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- S. 1020, 60 zum Art. Iunius:
55a) D. Iunius Brutus Albinus. Der Name lautet nur D. Brutus in den Briefaufschriften bei Cic. fam. XI 1. 4–26, in den Entwürfen der Senatsconsulte bei Cic. Phil. III 37f. VIII 33 und bei allen lateinischen Autoren. Das zweite Kognomen geben ihm nur die griechisch schreibenden Historiker an wenigen Stellen: Plut. Caes. 64, 1: Δέκιμος Βροῦτος ἐπίκλησιν Ἀλβῖνος. 66, 2; Anton. 11, 2: Βροῦτος Ἀλβῖνος; Brut. 12, 3: τὸν ἕτερον Βροῦτον ἐπίκλησιν Ἀλβῖνον. Appian. bell. civ. II 464. 479. III 102: Δρκμος Βροῦτος Ἀλβῖνος. Dio XLIV 14, 3: Βροῦτον τὸν Δέκιμον, ὃν καὶ Ἰούνιον Ἀλβῖνόν τε ἐπεκάλουν. Er selbst nennt sich auf seinen Münzen (s. u.): Albinus Bruti f.. Gegenstücke dazu sind die ältere Münzaufschrift: Lent(ulus) Mar(celli) f(ilius) (o. Bd. IV S. 1390 Nr. 230) und die gleichzeitige Inschrift: Λ[ε]ύκιος Σενπρ[ώ]νιος Βηστία υἱὸς Ἀτρατῖνος (IG IX 2, 39 = Dessau 9461. u. Bd. II A S. 1366ff. Nr. 26); in allen drei Fällen ist das eigene Kognomen das des Adoptivvaters und das in der Filiation genannte das des leiblichen Vaters, und mindestens in zweien ist jenes insofern das vornehmere, als es das eines patrizischen Geschlechtes ist. Zwar bedürfte die Gestaltung der Namen bei Adoptionen in der letzten republikanischen Zeit noch einer eingehenden Untersuchung (vgl. z. B. Q. Metellus Pius Scipio, Q. Caepio Brutus, M. Terentius Varro Lucullus, A. Terentius Varro Murena), doch genügen jene zwei analogen Fälle zur Bestätigung der herrschenden Ansicht, daß D. Brutus von Geburt der Sohn des D. Iunius Brutus Consuls 677 = 77 (o. Bd. X S. 968 Nr. 46) und seiner Gattin Sempronia (u. Bd. II A S. 1446 Nr. 103) gewesen ist, daher als Geschlechtsgenosse verwandt mit M. Brutus (Plut. Brut. 28, 1), und von dem letzten Postumins Albinus, dem Consul von 655 = 99 A. Albinus oder einem jüngeren, adoptiert wurde. Durch die [370] Adoption begründet ist seine von Cic. fam. XI 7, 1 (Servium consobrinum tuum; vgl. 24, 2) bezeugte Verwandtschaft mit dem jüngern Ser. Sulpicius Rufus, dessen Mutter eine Postumia war (s. Röm. Adelsparteien 405). Das Geburtsjahr des Brutus ist nicht genau bekannt. Die Bekleidung der Praetur im J. 709 = 45 und die Designation zum Consulat für 712 = 42 führen auf 669 = 85; aber Caesar bezeichnet ihn nicht nur im J. 698 = 56 (bell. Gall. III 11, 5), sondern auch noch 702 = 52 (ebd. VII 9, 1. 87, 1) als adulescens, woraus geschlossen wird, daß er damals noch nicht im quaestorischen Alter stand (Drumann-Groebe G. R.² III 698. IV 43); dann wäre er ungefähr 673 = 81 geboren und von Caesar früher zu den höheren Ämtern befördert worden, als gesetzlich erlaubt war, ähnlich wie z. B. der noch weit jüngere P. Dolabella (o. Bd. IV S. 1300ff.). Sein Geburtstag war der Tag, an dem im J. 711 = 43 die Nachricht von seiner am 21. April erfolgten Befreiung aus Mutina in Rom eintraf (Cic. fam. XI 14, 3; ad Brut. I 15, 8), wahrscheinlich der 27. April. Über seine Jugend ist nichts bekannt; es ist aber möglich, daß er sich schon als Zwanzigjähriger an Caesar anschloss. Denn 693 = 61 verwaltete dieser Hispania ulterior und kämpfte dort mit Lusitanern und Gallaekern; in derselben Provinz und gegen dieselben Feinde hatte der Großvater des Brutus sich seinen Siegesbeinamen Callaicus erworben (o. Bd. X S. 1021ff.); gewiß hatte der Enkel dort manche Beziehungen, und gewiß suchte er nach dem Ende der Catilinarischen Verschwörung, bei der seine Mutter die Hand im Spiele gehabt hatte, gern einen schicklichen Vorwand, um sich aus Rom zu entfernen. Jedenfalls ist er im J. 696 = 58 sofort bei der Übernahme der gallischen Statthalterschaft dem Caesar gefolgt, da er schon im zweitnächsten Jahr ein wichtiges Kommando erhielt, obgleich er wegen seiner Jugend noch nicht zu den Legaten gehörte. Er hatte nämlich für den Feldzug gegen die Veneter in der Bretagne die auf der Loire gebauten und die von den einheimischen Bundesgenossen gestellten Schiffe auszurüsten und anzuführen. Schon bei dem Feldzug im jenseitigen Spanien 693 = 61 hatte Caesar gaditanische Schiffe auf dem Ozean verwendet (Dio XXXVII 53, 4); jetzt im J. 698 = 56 galt es, auch an den ozeanischen Küsten Galliens die Überlegenheit der Römer zu erweisen, und damit konnte nur ein mit dem Seewesen vertrauter und bereits erprobter Offizier betraut werden; vielleicht war Brutus schon in Spanien von Caesar erprobt worden. Wie beim ersten Zusammenstoß Roms mit einer überlegenen Seemacht im Mittelmeer vor zweihundert Jahren (o. Bd. V S. 1779), so war auch hier die Aufgabe, die bessere Beschaffenheit der feindlichen Fahrzeuge und Bemannungen unwirksam zu machen und den eigenen Soldaten Gelegenheit zum Kampf mit der blanken Waffe zu geben; der Unterschied lag darin, daß die größere Manövrierfähigkeit der Schiffe im Mittelmeer von den Rudern, auf dem Ozean von den Segeln abhing; daher ließ Brutus Werkzeuge konstruieren, um aus größerer Entfernung die Segeltaue zu zerschneiden und dadurch die Bewegungen der Gegner zu lähmen. Bei dem Zusammentreffen [371] mit der über 220 Schiffe zählenden feindlichen Flotte in der Bucht von Quiberon nördlich der Loiremündung kam ihm noch mehr eine plötzlich eintretende Windstille zu statten, sodaß er einen großen und entscheidenden Sieg erfocht (Eingehender Bericht Caes. bell. Gall. III 9, 1. 11, 5–16, 4, benutzt bei Oros. VI 8, 7–16 und Dio XXXIX 40, 1–43, 5; vgl. über dessen Erweiterungen Melber Commentationes Woelfflinianae [Leipz. 1891] 289–297, auch Schwartz o. Bd. III S. 1707f. Bondurant 26, 64. Jullian Hist. de la Gaule III 297ff.). Vielleicht befehligte Brutus auch bei den britannischen Expeditionen der folgenden J. 699 = 55 und 700 = 54 Caesars Flotte; beim Kriege gegen Vercingetorix und bei der Belagerung von Alesia im J. 702 = 52 führte er aber auch Abteilungen der Legionen und der Reiterei (Caes. bell. Gall. VII 9, 1f. 87, 1), was vielleicht seine Bezeichnung als ἱππάρχης Caesars bei Appian. bell. civ. III 408 veranlaßt hat (doch vgl. Viereck z. d. St.). Wenn er bis dahin als adulescens die Quaestur noch nicht bekleidet hatte, so tat er dies möglicherweise im J. 703 = 51 oder 704 = 50, in welch letzterem er sicher eine Zeitlang in Rom war, da Caelius Ende April berichtete (bei Cic. fam. VIII 7, 2): Paulla Valeria, soror Triarii, divortium sine causa, quo die vir e provincia venturus erat, fecit; nuptura est D. Bruto. Die Heirat fand in der Tat statt, denn Cicero erwähnt die Frau während des Mutinensischen Krieges (fam. XI 8, 1 an Brutus: Polla tua). Beim Ausbruch des Bürgerkrieges blieb Brutus dem Caesar treu und hatte vielleicht schon im April 705 = 49 in dessen Auftrag die Münzprägung in Rom zu leiten. Die von ihm geschlagenen Denare weisen die Aufschrift Albinus Bruti f. und verschiedene Typen auf, darunter Andeutungen seiner Taten in Gallien und den Stammvater des Postumischen Geschlechtes, dem er durch seine Adoption angehörte. Sie gehören zusammen mit solchen des C. Vibius Pansa und sind früher gleich diesen in die Zeit des Mutinensischen Krieges gesetzt worden (Mommsen Münzw. 652. Babelon Monn. de la rép. rom. I 111f. 383ff. Grueber Coins of the roman rep. I 507–509. 512), aber der Fund zahlreicher Stücke in einem spätestens 708 = 46 vergrabenen Denarschatz nötigte zu einer früheren Datierung, und zwar wollte Mommsen (Ztschr. f. Numism. XI 152–157) das J. 706 = 48 annehmen, während andere unter Erwägung der politischen Gesamtlage es für wahrscheinlicher halten, daß Caesar gleich nach seinen ersten Erfolgen im Frühjahr 705 = 49 eine außerordentliche Münzprägung durch Brutus und Pansa anordnete (vgl. Grueber a. O.) Dann fand Brutus eine seinen Fähigkeiten entsprechende Verwendung gegen Massilia, dessen Belagerung der nach Spanien eilende Caesar ihm und dem C. Trebonius übertrug. Beide waren Legaten, Trebonius der im Range höher stehende und mit der obersten Leitung beauftragte; er hatte besonders die drei Legionen des Landheers unter sich, Brutus als Praefectus classis die Seemacht, für die unter seiner Aufsicht bei Arelate eiligst zwölf Kriegsschiffe gebaut worden waren (Caes. bell. civ. I 36, 4f. 56, 3. II 22, 3; vgl. [372] über die Stellung der beiden Legaten noch II 12, 2. 13, 1ff. Liv. ep. CX. Schol. Bern. Lucan. III 514. Dio XLI 19, 3; ungenau Flor. II 13, 25). Die Massalioten rüsteten 17 Schiffe aus und übertrugen den Befehl dem bei ihnen eingetroffenen L. Domitius Ahenobarbus (o. Bd. V S. 1341f.); sie rechneten noch mehr als auf die größere Schiffszahl auf die überlegene Erfahrung und Gewandtheit, da ihre Seeleute und Seesoldaten den besten Ruf hatten. Doch in der Seeschlacht, die ihnen Brutus Ende Juni am Ausgang des Hafens bei der kleinen Insel (j. Ratonneau) lieferte, gewann er einen vollständigen Sieg, indem er sechs ihrer Schiffe eroberte und insgesamt neun unschädlich machte (Caes. bell. civ. I 56, 1–58, 4. Dio XLI 21, 3; vgl. Liv. Schol. Bern. Lucan. III 524; über die Frage, ob die sechs genommenen Schiffe in die neun verlorenen eingerechnet sind oder davon zu unterscheiden, s. die Herausgeber zu Caes. bell. civ. I 58, 4). Während Trebonius die Stadt von der Landseite einschloß, brachten die Bürger ein Geschwader von wiederum 17 Schiffen in See und schickten es den 16 Pompejanischen entgegen, die L. Nasidius zu ihrem Beistand heranführte; die Vereinigung wurde östlich von Massilia bei dem Kastell Tauroentum vollzogen (j. Tarente s. CIL XII p. 53; von den Zeugnissen für den Namen zu streichen nach ebd. p. 811 die Inschrift Nr. 396, hinzuzufügen Schol. Bern. Lucan. III 524). Hier nahm Brutus Ende Juli die Schlacht an, obgleich seine Flotte auch nach Einverleibung der gekaperten feindlichen Schiffe die schwächere war; seine Front stand wahrscheinlich nach Osten und die der Gegner nach Westen. Zwei Trieren wollten von verschiedenen Seiten her sein Admiralschiff rammen; er entging ihnen mit knapper Not; seine Schiffe hielten tapfer stand; die Massalioten auf dem rechten Flügel der feindlichen Stellung sahen fünf ihrer Schiffe in den Grund gebohrt und vier genommen; ein weiteres entkam mit dem Geschwader des Nasidius, das den linken Flügel bildete, statt in den heimischen Hafen nach Spanien (Caes. bell. civ. II 3, 1–7, 3; vgl. 22, 1. Liv. Dio XLI 25, 1. – Lucan. III 509–762 hat aus den zwei Seeschlachten eine einzige gemacht und diese mit dichterischer Freiheit ausgestaltet. Vgl. noch Sidon. Apollinar. c. 23, 16f.: Martem tulit ista [scil. Massilia] Iulianum et Bruto duce nauticum furorem). Jetzt war Massilia zu Lande und zu Wasser abgeschnitten. Domitius versuchte mit drei Schiffen die Blockade des Brutus zu durchbrechen, kam aber bloß mit seinem eigenen hindurch (Caes. bell. civ. II 1–4; vgl. Dio XLI 25, 2), und Caesar konnte auf dem Rückwege aus Spanien die Kapitulation der Stadt entgegennehmen (s. über die Belagerung im allgemeinen Jullian III 587ff. Rice Holmes The roman republic III 78ff. 409ff., auch Kromayer-Veith Schlachten-Atlas Röm. Abt. 86f Bl. 19, 4). Brutus erhielt für 706 = 48 bei Caesars Abgang nach Griechenland (Appian. bell. civ. II 197) und für 708 = 46 bei dem nach Afrika (ebd. II 465) die Verwaltung des neu unterworfenen Galliens (ebd. III 408: ἄρξαντι τῆς παλαιᾶς Κελτικῆς ὑπ’ ἐκείνῳ καὶ ..... ὑπ’ αὐτοῦ κεχείροτονημένῳ καὶ τῆς ἑτέρας Κελτικῆς ἄρχειν unter irriger Vertauschung des Cisalpinischen und des [373] Transalpinischen Galliens) und bewährte sich 708 = 46 bei der Unterdrückung eines Aufstands der Bellovaker (Liv. ep. CXIV). Von dem im August 709 = 45 heimkehrenden Herrscher wurde er allein außer dem jungen Großneffen und M. Antonius der Aufnahme in seinen Reisewagen gewürdigt (Plut. Anton. 11, 2). Ob er während der ganzen Zeit von etwa vier Jahren Gallia Comata verwaltete, ist zweifelhaft; sicherlich hat er unter Caesar die Praetur geführt, entweder schon 706 = 48 oder, was wahrscheinlicher ist, als einer der jetzt für den Rest von 709 = 45 gewählten vierzehn Praetoren (vgl. Drumann-Groebe IV 14, 5f., doch auch III 602, 1. Letz Die Provinzialverwaltung Caesars [Diss. Strassburg 1912] 12. 14f. 17, 1. Jullian IV 29f. Sternkopf Herm. XLVII 327. 340). Es ist für die Beurteilung des Brutus vielleicht nicht ohne Bedeutung, festzustellen, daß er an den Kämpfen gegen seine Mitbürger keinen Anteil genommen hat, und vielleicht hat Caesar selbst ihn davon ferngehalten, um ihm innere Konflikte zu ersparen. Die geschichtliche Überlieferung hat den Brutus einseitig vom Caesarianischen Standpunkt betrachtet und die hohen Gunstbeweise des Herrschers gegen ihn um so stärker hervorgehoben, je mehr sie seine Undankbarkeit und Treulosigkeit nachweisen wollte. Zweifellos schenkte Caesar ihm unbedingtes Vertrauen und legte das besonders in seinen letzten Anordnungen an den Tag (Vell. II 56, 3. 64, 2. Plut. Caes. 64, 1; Brut. 12, 3. Appian. bell. civ. II 464f. Dio XLIV 14, 4. 18, 1). In seinem Testament vom 13. Sept. 709 = 45 bestimmte er im Falle des Todes seiner nächsten Erben den Brutus zum Nacherben und im Falle der Geburt eines Sohnes zum Vormund, woraus die falschen Angaben abgeleitet sind, er habe Brutus zum Vormund des Adoptivsohns eingesetzt (Dio) und habe für den Fall von dessen Tode ihn selbst adoptiert (Appian.–Belege: Suet. Caes. 83, 2. Plut. Caes. 64, 1. Appian. II 597. 611. Dio XLIV 35, 2). Im Anfang 710 = 44 ordnete Caesar für seine voraussichtliche Abwesenheit im Partherkriege an, daß Brutus im J. 710 = 44 das Cisalpinische Gallien mit den dort stehenden Truppen übernehmen sollte (Vell. II 60, 5. Suet. Aug. 10, 1. Nic. Damasc. v. Caes. 28, 112. Appian. II 518f. III 4. 18. 58. 408. Dio XLIV 14, 4. XLV 9, 3) und im J. 712 = 42 zusammen mit dem für Gallia Comata ernannten Statthalter L. Munatius Plancus das Consulat (Vell. II 58, 1. 60, 5. Suet. Nic. Damasc. 22, 77. Appian. III 408. Dio XLIV 14, 4. XLVI 53, 1. Regelmäßige Bezeichnung als cos. des. bei Cicero in den Philippischen Reden und den Briefaufschriften, als Kollege des Plancus in der Korrespondenz mit diesem). Brutus hatte diese hohen Auszeichnungen durch die vorzüglichen Dienste, die er dem Caesar geleistet hatte, in vollem Maße verdient. Es wird auch nirgends behauptet, daß ihn etwa Unzufriedenheit mit seiner Belohnung, Eifersucht auf andere Günstlinge oder ähnliche niedere und selbstsüchtige Motive gegen Caesar gereizt hätten. Von den antiken Berichterstattern gibt nur Plut. Brut. 12, 3 Näheres über seinen Beitritt zu der Verschwörung und zwar auch nicht über seine inneren Beweggründe, sondern über die äußeren [374] Umstände, bei denen M. Brutus in vorteilhaftes Licht gerückt wird. Cicero hat in keinen näheren Beziehungen zu Dec. Brutus gestanden und liefert daher keine wesentlichen Beiträge zu seiner Charakteristik; wenn er später wiederholt von der Erinnerung an die Taten der angeblichen Ahnen spricht, die beide Bruti zum Tyrannenmord getrieben habe (Phil. II 26. 30. III 8ff. IV 7. VI 9. VII 11), so denkt er dabei in erster Linie stets an M. Brutus. Von den Neueren hat sich besonders Bondurant 38–53 bemüht, die Motive des Brutus für seinen Parteiwechsel aus der politischen Gesamtlage zu erschließen; ein befriedigendes Ergebnis ist nicht zu erzielen, weil die Persönlichkeit zu wenig erkennbar ist; aber eine ehrliche, durch die Erfahrungen der letzten Zeit sich beständig steigernde Überzeugung von der Unrechtmäßigkeit der Alleinherrschaft Caesars kann ganz wohl die Haupttriebfeder gewesen sein. Infolge seiner Stellung war neben den ehemaligen Pompeianern M. Brutus und C. Cassius Dec. Brutus unter allen Verschworenen der angesehenste, dem von den bisherigen Caesarianern nur noch sein Kriegskamerad C. Trebonius ebenbürtig erschien (Suet. Caes. 80, 4. Nic. Damasc. 19, 59. Appian. II 464. 474. – Liv. ep. CXVI. Vell. II 56, 3. Dio XLIV 14, 3f.). Den grimmigen Hass aller Getreuen Caesars (vgl. venefica im Munde des M. Antonius, Cic. Phil. XIII 25? über die Stimmung der Veteranen ebd. X 15. XIII 34f.) zog sich Brutus durch die Hinterlist zu, mit der er an den verhängnisvollen Iden des März einerseits das ahnungslose Opfer in die Falle lockte, anderseits für die Sicherheit der Mörder vorsorgte. Nachdem er noch am Abend des 14. März von Caesar bei M. Lepidus als Gast eingeführt worden war (Appian. II 479), erschien er am Morgen des 15. März in Caesars Hause, um ihn in den Senat abzuholen, und wandte alle Künste der Überredung und sogar sanfte Gewalt an, bis er seine Bedenken gegen die Teilnahme an der Senatssitzung überwunden hatte (besonders eingehend Nic. Damasc. 23, 84. 24, 87 und Plut. Caes. 64. 1f., übereinstimmend Suet. Caes. 81, 4. Appian. II 481. Dio XLIV 18, 1f. Vgl. Becht Regeste über die Zeit von Caesars Ermordung [Diss. Freiburg i. B. 1911] 9. 71f.). Über seine Beteiligung an der Mordtat ist nichts bekannt, denn die Behauptung, er habe den M. Antonius an der Tür der Curie im Gespräch festgehalten (Plut. Caes. 66, 2), beruht ohne Zweifel auf einer Verwechslung mit C. Trebonius (Plut Brut. 17, 1 u.a., s. Drumann-Groebe III 655, 7), und die entgegengesetzte: Δέκμος δὲ Βροῦτος ὑπὸ ταῖς λαγόσι διαμπερὲς παίει (Nic. Damasc. 24, 89) aller Wahrscheinlichkeit nach auf einer solchen mit M. Brutus (s. ebd. III 656, 8. Paulus 11, 2. Bondurant 36f. Becht 10, 2). Zum Schutz der Verschworenen hielt Brutus eine größere Anzahl Gladiatoren in Bereitschaft, die er für die Abhaltung von Spielen hatte anwerben dürfen; sie waren in den ersten Stunden als die einzige bewaffnete Macht in Rom von ausschlaggebender Bedeutung (Vell. II 58, 2. Nic. Damasc. 26, 98. Plut Brut. 12, 3 [übertreibend]. Appian. II 513, der noch III 201 diese Gladiatoren bei den Streitkräften des Brutus [375] in Mutina mitrechnet). Da bereits in der nächsten Nacht das Einrücken der Truppen des Lepidus das Stärkeverhältnis der Parteien änderte, war es ein Fehler des Dec. Brutus, daß er seine Fechter nur zur Besetzung des Capitols hergab, und es konnte ihm dies als die erste versäumte Gelegenheit zum Vorwurf gemacht werden; doch war M. Brutus dafür nicht weniger verantwortlich (Cic. ad Att. XIV 14, 2 vgl. XV 12, 2; ferner XV 11, 2; s. Gelzer Bd. X S. 992). Ein Dokument von höchstem Werte aus diesen Tagen ist der erste bei Cic. fam. XI 1 erhaltene Brief des Brutus, gerichtet nicht an Cicero, sondern an M. Brutus und Cassius. O. E. Schmidt (Jahrb. f. Philol. CXXIX 334–337) hat überzeugend dargelegt, daß er vor der Senatssitzung des 17. März am frühen Morgen geschrieben sei, und hat damit bei den meisten Neueren Zustimmung gefunden, z. B. sehr entschieden bei Ferrero Größe und Niedergang Roms (Deutsche Übers.) III 326ff.; Groebe (bei Drumann² I 411ff.; vgl. Becht 17ff. 77f.) ist noch einen Schritt weitergegangen, indem er den Brief schon auf den Morgen des 16. März verlegt. Dagegen hat sich E. T. Merrill (Classical Philology X 241–259) in eingehender Erörterung gewendet und die Abfassung des Schreibens bis zum 10. April hinabgerückt und hat Sternkopf (Wochenschr. f. klass. Philol. XXXIII 485–489) überzeugt und Rice Holmes III 568, 9 mindestens in seiner Ansicht erschüttert. Zu überzeugen vermag weder die Polemik Merrills noch seine eigene Darlegung, da sie viel zu kleinlich ist und die Gesamtentwicklung der Dinge viel zu wenig würdigt. Die Verhandlungen zwischen Dec. Brutus und A. Hirtius, die sowohl dem eigentlichen Briefe (fam. XI 1, 1–5) wie der Nachschrift (ebd. 6) vorausliegen, können keine anderen sein als die unmittelbar nach Caesars Ermordung gepflogenen, von denen Nic. Damasc. 27, 106 Kenntnis hat. Das Verständnis des Briefes ergibt sich aus der Vergleichung der wertvollen Einzelheiten bei Nic. Damasc. mit der Schilderung der Gesamtlage bei Appian. Nur im ersten Schrecken darüber, daß Antonius und Lepidus sich für die Aufrechterhaltung der Caesarischen Ordnungen und gegen die Mörder erklärten, konnte Dec. Brutus fürchten, daß er selbst wegen seiner Teilnahme an dem Morde des Anspruchs auf die ihm von Caesar verliehene Provinz verlustig gehen müßte (a. O. 1), und daß für ihn und seine Genossen nur bei den schon gegen den lebenden Caesar im Aufstand begriffenen Parteigängern Sex. Pompeius und Caecilius Bassus Rettung zu finden wäre (a. O. 4). Es ist dieselbe Auffassung, die z. B. den L. Cornelius Cinna (o. Bd. IV S. 1287f.) bewog, am 15. März die Abzeichen der Praetur abzulegen, weil er das Amt von Caesar empfangen hatte und dies nun nach dessen Ermordung als ungültig ansah (Appian. II 509); in der Senatssitzung des 17. erschien er schon wieder als Praetor (Appian. II 526), da sich Antonius bereits anschickte, die äußersten Konsequenzen aus jener Auffassung zu ziehen (vgl. besonders Appian. II 505). Indem der Senat am 17. beschloß, daß Caesars Verfügungen in Kraft bleiben sollten, wurde dem Dec. Brutus gerade der Besitz der Provinz bestätigt, den er bei Abfassung jenes Briefes bereits verloren [376] glaubte. Es bleibt also trotz Merrills Widerspruch dabei, daß der Brief vor der Senatssitzung des 17. März geschrieben ist, aber nicht schon am Morgen des 16., sondern erst nachdem der Verlauf dieses Tages die Zuversicht des Antonius gestärkt hatte. Schon Schmidt (336) betonte mit Recht, daß die Erhaltung dieses Briefes in der Ciceronischen Korrespondenz, zu der er gar nicht gehört, nur aus seiner ganz besonderen Wichtigkeit zu erklären ist; davon kann im April, wo der briefliche Verkehr zwischen den Caesarmördern ungestört und lebhaft sein durfte, keine Rede sein. Und wenn die Empfänger des Briefes gar nicht mehr in Rom gewesen wären, so hätte der Schreiber ruhig die zweite Besprechung mit Hirtius, die ihn zum Anhängen der Nachschrift (6) veranlaßte, abwarten können, ehe er überhaupt schrieb. Schließlich wäre der Brief, falls er abgefaßt wäre, nachdem Dec. Brutus die Entwicklung der Dinge in Rom fast einen Monat lang beobachtet hatte und als er in seine Provinz abgehen wollte, das Zeugnis einer geradezu trostlosen Geistesverfassung des Absenders. Sehr ehrenvoll ist er für ihn auch dann nicht, wenn er zwischen der fluchtartigen Auflösung des Senats am 15. März und seinem ersten Wiederzusammentreten geschrieben ist; aber er ist dann doch entschuldbar. Vielleicht hatte sich Dec. Brutus aus aufrichtiger republikanischer Überzeugung der Verschwörung angeschlossen und war nun gänzlich überrascht und bestürzt, daß gegen alle Erwartung nach der Beseitigung des einen Mannes die alten Ordnungen sich nicht ohne weiteres wieder einstellten, sondern ihm persönlich die bisherigen Genossen als erbitterte Feinde drohten. Er blieb in Rom bis gegen Mitte April und traf dann in Gallia Cisalpina ein, wo er bei den zwei in der Provinz stehenden Veteranenlegionen (Nic. Damasc. 28, 112. Appian. III 201) eine gute Aufnahme fand (Atticus an Cicero am 19. April, vgl. Cic. ad Att. XIV 13, 2. Appian. III 4). Hier beherrschte er die Landverbindungen der Halbinsel mit dem übrigen Reiche und war deshalb der wichtigste Bundesgenosse für die Partei der Caesarmörder (Cicero an Cassius am 3. Mai, fam. XII 1, 1. Appian. III 18. 102f.) und der gefährlichste Gegner für M. Antonius, sodaß dieser von Anfang an danach strebte, ihm die Provinz zu nehmen (vgl. schon Cic. fam. XI 1, 1 [s. o.]; dann ad Att. XV 4, 1. 5, 3. 10. Vell. II 60, 5. Nic. Damasc. 28, 112. Appian. II 518f. III 102–104). Er erreichte seine Absicht durch den Beschluß der Tributcomitien vom 1. Juni, der ihm selbst an Stelle Makedoniens das Cisalpinische Gallien und zwar auf die Dauer von fünf Jahren zuwies (vgl. darüber Sternkopf Herm. XLVII 357ff. Rice Holmes The architect of the roman empire [Oxford 1928] 192ff.) und den Kreis des Brutus und Cassius in die größte Aufregung versetzte, was sich u. a. bei der Zusammenkunft in Antium am 8. Juni in heftigen Anklagen gegen Dec. Brutus kundgab (Cic. ad Att XV 11, 2; s. auch 20, 2. Rice Holmes The architect 202f.). Über die Tätigkeit in der Provinz seit seiner Ankunft erstattete Brutus im September oder Oktober einen Bericht an den Senat, von dem er einen kurzen Auszug an Cicero schickte [377] (fam. XI 4, vgl. 5, 1). Am meisten von allen Verschworenen hatte er durch den an Caesar geübten Undank und Verrat in Volk und Heer Mißtrauen hervorgerufen und konnte nur hoffen, es durch vorsichtige Zurückhaltung und durch Vermeidung jeder Verfassungsverletzung zu überwinden. Zwar wurden auch ihm Auszeichnungen wie der Gemeindepatronat von Puteoli (Cic. Phil. II 107) und vielleicht von Vicetia (Cic. fam. XI 19, 2) zuteil; doch vor allem suchte er seine Truppen sich fest zu verbinden und in gute Stimmung zu versetzen, indem er sie gegen verschiedene Stämme in den benachbarten Alpenlandschaften führte und so von den inneren Verhältnissen ablenkte und durch Beute bereicherte (zur Bedeutung von Inalpini fam. XI 4, 1, vgl. Plin. n. h. III 37. 47. Suet. Aug. 21, 1). Er verwahrte sich gegen die Unterstellung, als ob ihn dabei hauptsächlich sein eigener Ehrgeiz geleitet habe, obgleich er sich in diesem Briefe zuerst den Imperatortitel beilegte (vgl. die Aufschriften fam. XI 4–8. 11–13. 18f. 21. 24; Phil. III 37. 38. IV 9. V 24. 27. 36. VI 2. VII 15. VIII 33. XIII 21) und Cicero bat, seine weiteren Wünsche nach äußerer Anerkennung beim Senat zu unterstützen (vgl. dazu Phil. VI 8). Sein Standpunkt hatte eine gewisse Berechtigung und fand bei Cicero besseres Verständnis als bei M. Brutus und Cassius. Während die angesehensten Männer der eigenen Partei seit den ersten deutlichen Enthüllungen der Pläne des Antonius den Brutus zum Widerstand aufforderten (Appian. III 103, vgl. 126. 151. 153), enthielt sich Cicero bis in den Herbst hinein solcher verfänglicher Ratschläge. Anfang Juli hatte er über die Gesinnung des Brutus, wie über die des Plancus gute Nachrichten (ad Att. XV 29, 1), und Anfang November erwog er die wichtige Frage, ob der junge Caesar, der gerade bei den Verhandlungen des 1. Juni als persönlicher Gegner des Brutus aufgetreten war (Appian. III 118) für ihn zu gewinnen wäre (ad Att. XVI 9). Der Bericht, den er von Brutus über dessen Streifzüge in die Alpen erhielt (fam. XI 4), ist die erste Anknüpfung unmittelbaren brieflichen Verkehrs und ist in seiner Kürze und Kühle ebenso bezeichnend wie die ersten Schreiben, die er nun im Dezember seinerseits an Brutus richtete. Ihre Reihenfolge fam. XI 5. 6. 7 ist nicht die chronologische; 7 gehört jedenfalls vor 6, und nach Sternkopf (Herm. XL 529–543; vgl. Bondurant 74ff. Ferrero III 129, 2. Rice Holmes The architect 34f. 204) ist auch 6, 1 von dem Folgenden zu trennen und als Antwort auf 4 an die Spitze der ganzen Reihe zu stellen, wobei dann freilich dem verbleibenden Briefe 6, 2f. jede Einleitung fehlt. Seit dem Sommer hatte sich das Verhältnis zwischen Antonius und Brutus sehr verschlechtert; dieser scheint sogar von dem Consul eines Mordversuchs beschuldigt worden zu sein (Cic. ad Att. XVI 11, 5, vielleicht auch XV 13, 6 und die Beschimpfung als venefica durch Antonius Phil. XIII 25). Indem er zu seinen beiden Legionen eine dritte aushob, bekundete er schon seine Absicht, die Provinz zu behaupten (Cic. fam. XI 7, 3; Phil. V 36. Appian. III 18. 201. 244); mit seinem Entschluß, sie dem Antonius nicht abzutreten, war der Krieg unvermeidlich (Appian. III 187). Antonius brach in [378] der Nacht nach dem 28. November von Rom auf und erließ an Brutus die Aufforderung, gemäß dem Befehl des Volkes Gallia Cisalpina zu räumen und sich nach Makedonien zu begeben; Brutus verweigerte das unter Berufung auf entgegengesetzte Weisungen des Senats (Appian. IDT 198); in Wahrheit lagen ihm solche damals noch nicht vor, sondern er handelte ganz auf eigene Verantwortung (privato consilio Cic. Phil. III 12. 14. V 28. X 23), wie seine Freunde im Senat am 1. Januar 711 = 43 ausdrücklich anerkennen mußten (ebd. V 37): Illum nondum interposita auctoritate vestra suo consilio atque iudicio non ut consulem recepit, sed ut hostem arcuit Gallia. Als der Consul ihm eine bestimmte Frist zur Räumung der Provinz setzte, erwiderte Brutus in entsprechender Weise (Appian. III199), und als jener Mitte Dezember wirklich von Ariminum aus über die Grenze einrückte, scheute Brutus nicht vor einer Fälschung eines Senatsbefehls zurück, um seine Autorität bei den Untertanen gegen das höhere Imperium zu behaupten (Appian. III 200; vgl. Cic. Phil. III 1. 11). Das war die Wirkung solcher dringender Mahnungen, wie er sie in diesen Tagen aus Rom empfing, z. B. von Cicero fam. XI 7, 2: voluntas senatus pro auctoritate haberi debet, cum auctoritas impeditur metu. Gleichzeitig erklärte er in einem Edikt, das in der Hauptstadt am Morgen des 20. Dezember bekannt wurde: se provinciam Galliam retenturum in senatus populique Romani potestate (Cic. Phil. III 8. 37; vgl. 34. IV 7. V 28; fam. XI 6, 2), und rief die Provinzialen zur Abwehr des Antonius auf (Cic. Phil. IV 8; vgl. auch V 28. VII 24f. XII 9). Unter dem Eindruck dieser seiner Haltung faßte der Senat am 20. Dezember den entscheidenden Beschluß: Er hieß die Weigerung des Brutus, dem Antonius die Provinz zu übergeben, gut und befahl ihm, sie nur einem vom Senate selbst geschickten Nachfolger abzutreten (Cic. Phil. III 12. 14. 37–39: Antrag im Senat; IV 8f.: Mitteilung an das Volk; fam. XI 6, 2f.: Bericht an Brutus, alles von demselben Tage; s. noch Phil. V 28. VII 11. X 23). Inzwischen schlug Brutus unter dem Vorgeben, er werde vom Senat nach Rom gerufen, den Weg nach Italien ein; er gelangte nur bis Mutina, besetzte die Stadt mit seinen drei Legionen und seinen Gladiatoren, verproviantierte sie und wurde von dem herankommenden Antonius unverzüglich in ihr eingeschlossen (Liv. ep. CXVII. Flor. II 15, 8. Oros. VI 18, 3. Appian. III 200–202. 219f). Der Beginn der Belagerung war am 1. Januar 711 = 43 in Rom allgemein bekannt (Cic. Phil. V 24. 26f. VI 2. 3. 4) und bildete den Gegenstand der von den neuen Consuln A. Hirtius und C. Vibius Pansa geleiteten Senatsverhandlungen an diesem und den folgenden Tagen. Der Antrag Ciceros, dem Brutus für sein Verhalten Lob und Dank auszusprechen (Phil. V 36, vgl. 35. 37. VI 2), wurde angenommen, und damit war sein Widerstand gegen Antonius gebilligt (Cic. Phil. VI 6. Appian. III 209. 247. Dio XLV 42, 4). Es wurde ferner beschlossen, daß die beiden Consuln und der junge Caesar dem Brutus zu Hilfe ziehen sollten; aber zunächst wurde eine Gesandtschaft von drei angesehenen Consularen [379] abgeschickt, um Frieden zu stiften. Da infolgedessen im Januar alles in der Schwebe blieb, hatte ein, Ende des Monats an Brutus gerichteter Brief wenig anderen Inhalt als die Versicherung: Admirabilis est quaedam tui nominis caritas amorque in te singularis omnium civium (Cic. fam. XI 8, 1). Der Vermittlungsversuch mißglückte; Antonius ließ die Gesandten des Senats nicht nach Mutina zu Brutus hinein (Cic. Phil. V 6. VII 26. VIII 20f. Liv. ep. CXVIII) und betrieb die Belagerung während des Winters mit großem Eifer, sodaß er ihn vollständig von der Außenwelt abschnitt und in arge Bedrängnis brachte (Cic. Phil. VIII 17. 20. X 10. XIII 20f. XIV 4. Dio XLV 24, 3. 34, 6. 36, 3. 37, 1). Indem er dabei neben dem Anspruch auf die Provinz die Rache für Caesar als Kriegsgrund betonte (Dio XLVI 35, 2; vgl. Appian. III 398), versetzte er den Sohn Caesar in eine peinliche Lage (Suet. Aug. 10, 2f. Appian. III 209. 249. Dio XLV 14, 1–15, 2). Anfang Februar rühmte Cicero den Brutus (fam. X 28, 3), und noch Ende Februar hoffte er von ihm, er würde die Einschließung durchbrechen und so den ganzen Krieg beenden (ebd. XII 5, 2). Anfangs schlug Brutus in der Tat die feindlichen Angriffe glücklich ab und entdeckte und vereitelte die Absicht des Antonius, seine Soldaten durch heimliche Boten zum Abfall zu verleiten (Dio XLVI 36, 1); auch später noch entfremdete er sogar dem Antonius seine eigenen Leute, als er einem zu ihm übergegangenen Senator großmütig seine zurückgelassene Habe nachschickte (ebd. 38, 3f. Gegenstück dazu das Benehmen des Antonius gegen Cn. Domitius Ahenobarbus 723 = 31, Plut. Ant. 63, 3; s. o. Bd. V S. 1330, 59ff.). Aber die enge Einschließung rief in der Stadt Hungersnot und Krankheit hervor, so daß die Kräfte des Brutus und der Seinen schon um die Wende des März und April ganz erschöpft waren (gleichzeitig und gleichlautend Cic. fam. XII 6, 2 an Cassius und ad Brut. II 1, 2; etwas später ad Brut. II 2, 2. 4, 3; später vom 23. April Brutus selbst fam. XI 13, 2: Recurri ad meas copiolas; sic enim vere eas appellare possum; sunt extenuatissimae et inopia omnium rerum pessime acceptae; auch 10, 5: Alere iam milites non possum ; 19, 1: cum sim cum tironibus egentissimis. Appian. III 267. 290. 296. 332. 400. Dio XLVI 36, 2). Die bereits bis Bononia vorgedrungenen Entsatzarmeen des Hirtius und des Caesar suchten ihnen auf dem Flusse Scultenna etwas Lebensmittel zuzusenden (Frontin. strat. III 14, 3f.) und durch Feuersignale, Taucher und Brieftauben eine Verbindung mit ihnen herzustellen (ebd. 13, 7f. Plin. n. h. X 110. Dio XLVI 36, 4f.), wobei wohl der früher bewährte, erfinderische Geist des Brutus ebenso tätig war, wie der seiner Befreier. Endlich, nachdem auch der andere Consul Pansa mit Heeresmacht herangekommen war, brachten die Schlachten bei Forum Gallorum und bei Mutina dem Bedrängten die Erlösung. Über seine eigene Haltung während der Kämpfe des 21. April gehen die Meinungen auseinander: Vell. II 62, 4 sagt höhnisch: D. Bruto, quod alieno beneficio viveret, decretus triumphus, und Dio XLVI 40, 1f. ähnlich: καὶ ἐπινίκια αὐτῷ ἐψηφίσαντο τά τε λοιπὰ τοῦ πολέμου [380] ..... τοῖς τε στρατιώταις τοῖς συμπολιορκηθεῖσίν οἱ καὶ ἐπαίνους καὶ τἆλλα ..... καίπερ μηδὲν ἐς τὴν νίκην συμβαλομένοις, ἀλλ’ ἀπὸ τῶν τειχῶν αὐτὴν ἰδοῦσι δοθῆναι ἔγνωσαν. Dagegen schrieb M. Brutus gegen Mitte Mai (Cic. ad Brut. 14, 1): Cum alia laudo et gaudeo accidisse, tum quod Bruti eruptio non solum ipsi salutaris fuit, sed etiam maximo ad victoriam adiumento, und Cicero schrieb gegen Ende Mai zurück (ad Brut. I 2, 2): De Antoni fuga audisti, Bruti eruptione, populi Romani victoria, und um dieselbe Zeit an D. Brutus selbst (fam. XI 14, 1): Tantam spem attulerat exploratae victoriae tua praeclara Mutina eruptio, fuga Antoni conciso exercitu. Drumann (G. R.² I 224) hat hauptsächlich unter der falschen Voraussetzung der Unechtheit der Brutusbriefe die Nachricht verworfen, daß ein Ausfall des Brutus aus Mutina zu der Niederlage des Antonius beigetragen habe; die neuere Forschung ist mit Recht zu dem entgegengesetzten Ergebnis gelangt (Groebe bei Drumann² I 458f. mit Anführung der früheren Arbeiten; vgl. IV 15, 11. Bondurant 91ff. Ferrero III 195. Rice Holmes The architect 210, 4); nur ist die Bedeutung des Ausfalls für die Gesamtentscheidung von D. Brutus und seinen Parteigenossen ebenso überschätzt, wie von dem Caesar und den Seinen bestritten worden, sodaß die spätere, von ihm beeinflußte Geschichtschreibung nichts mehr davon übrig ließ (s. noch Blumenthal Wien. Stud. XXXV 267). Da Hirtius im Kampfe gefallen und Pansa tödlich verwundet war, stand der Caesar als der einzige Feldherr der Entsatzarmeen dem Brutus gegenüber. Auch über die Begegnung beider am Tage nach der Schlacht, am 22. April, gehen die Ansichten in ähnlicher Weise auseinander. Brutus selbst äußerte sich (fam. XI 13, 1): Sequi confestim Antonium his de causis non potui: Eram sine equitibus, sine iumentis, Hirtium perisse nesciebam, Aquilam perisse nesciebam (s. Pontius Aquila. Dio XLVI 38, 3. 40, 2 u. a.); Caesari non credebam prius quam convenissem et conlocutus essem. Hic dies hoc modo abiit; auch klagte er (ebd. 10, 4): Quod si me Caesar audisset atque Appenninum transisset, in tantas angustias Antonium compulissem, ut ..... conficeretur. Sed neque Caesari imperari potest nec Caesar exercitui suo. Nach Appian. III 298–301 hatte Brustus den Caesar als Feind zu fürchten und wünschte deshalb eine Unterredung mit ihm unter Vorsichtsmaßregeln und vor Zeugen, um sich von der Mitschuld an der Ermordung des Dictators zu reinigen; der Caesar habe das mit schroffen, in direkter Rede wiedergegebenen Worten abgelehnt; darauf habe Brutus so laut, daß er und die Seinen es hören mußten, die früheren Senatsbeschlüsse vorgelesen und ungefähr das, was die in den nächsten Tagen gefaßten neuen Beschlüsse enthielten, angekündigt. Diese Darstellung weist unzweifelhafte Anachronismen und Unrichtigkeiten auf und ist deshalb von Drumann (G.R.² I 225) unter allgemeiner Zustimmung für erfunden erklärt worden (vgl. Viereck zu Appian. Bondurant 93, 175. Ferrero III 201, 15. Rice Holmes The architect 57, 3). Aber mit der von Appian. III 298 dem Brutus zugeschriebenen Absicht: [381] πείσειν γάρ, ὅτι δαιμόνιον αὑτὸν ἔβλαψεν, ἐς τὴν Καίσαρος ἐπιβουλὴν ἐπηγμένον ὑφ’ ἑτέρων stimmt auch Oros. VI 18, 5 überein: Caesar victoria potitus est, cui D. Brutus de coniuratione occisi Iuli Caesaris confessus preces paenitentiae fudit, so daß auch hier die Grundzüge der Auffassung und der Berichterstattung über Livius auf den späteren Augustus selbst zurückzuführen sind (s. Blumenthal 268f.). In der Tat war der Konflikt der Pflichten, in den die Unterstützung des Brutus den jungen Caesar stürzte, einer der heikelsten Punkte in der ganzen damaligen Lage; er war von Cicero in den letzten Monaten stets nur mit großer Behutsamkeit berührt worden (Phil. V 51. X 15f. XIII 46f. XIV 4) und wird auch in den angeführten Äußerungen des Brutus mehr umgangen, als aufgedeckt. Es war der verhängnisvolle Fehler Ciceros und des von ihm geleiteten Senats in Rom, daß sie die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten nicht genügend würdigten, daß sie, nachdem auch der zweite Consul, Pansa, seinen Wunden erlegen war, den designierten Consul Brutus als den gegebenen Nachfolger im Oberbefehl betrachteten und den Privatmann Caesar bei Seite schoben, was vom staatsrechtlichen Standpunkt aus richtig erscheinen konnte, in der Wirklichkeit ganz unmöglich war. Das Nähere kann hier nicht ausgeführt werden, da es in die allgemeine Geschichte dieser Zeit gehört. Jedenfalls machte Brutus zunächst den Caesar für das Entkommen des Antonius verantwortlich (bei Cic. fam. XI 10, 1. 4. 11, 2. 12, 2. 14, 2), und in Rom wurde er, der bis dahin illud pignus libertatis populi Romani gewesen war (Cic. Phil. XII 22), nach kurzer Zeit selbst dafür und für alle schlimmen Folgen verantwortlich gemacht (Cic. ad Brut. I 10, 2: Bruti deinde ita multa peccata, ut quodam modo victoria excideret e manibus). Nachdem er durch den Abzug des Antonius am 21. April befreit war (vgl. noch Plancus bei Cic. fam. X 11, 2. Liv. ep. CXIX. Vell. II 61, 4. Flor. II 15, 4 u. a.), gewann er am 22. zunächst Fühlung mit dem Caesar (s. o.) und folgte am 23. einer Aufforderung Pansas, nach Bononia zu kommen, erfuhr aber unterwegs dessen inzwischen eingetretenen Tod und kehrte nach Mutina zu seinen Truppen zurück (Bericht an Cicero, fam. XI 13, 2). Am 24. nahm er die Verfolgung des Antonius auf, der bereits einen Vorsprung von zwei Tagen; hatte (ebd.), kam aber zunächst nur bis Regium Lepidum, wo er einige Tage verweilte und am 29. vor seinem Aufbruch an Cicero fam. XI 9 über seine nächsten Pläne schrieb; er werde sich bemühen, jedes Verbleiben des Antonius in Italien zu verhindern. Am 30. April war er in Parma (Frg. eines Briefes fam. XI 13 b) und setzte den Marsch über Placentia und Clastidium bis Dertona fort, von wo er am 5. Mai den Bericht fam. XI 10 an Cicero sandte (Kartenskizze der Märsche bei Bardt Herm. XLIV 579). In diesen Tagen muß er die Beschlüsse erfahren haben, die der Senat auf die Kunde von seiner Befreiung und dem Tode der beiden Consuln am 27. April gefaßt hatte, übrigens noch unter der irrigen Voraussetzung seines guten Einvernehmens mit dem Caesar (vgl. Cic. ad Brut. I 3, 4 vom 27. April: Reliquias hostium Brutus persequitur et Caesar). [382] Es waren ihm dadurch ein Triumph (Liv. ep. CXIX. Vell. 62, 4, s. o.) und Dankfeste bewilligt worden (Cic. fam. XI 18, 3; vgl. Appian. III 302. Dio XLVI 39, 3), und vor allem war ihm der Oberbefehl über die consularischen Heere und die Fortsetzung des Krieges gegen den als Feind geächteten Antonius übertragen worden (Liv. ep. CXIX. CXX. Appian. III 302. 325. Dio XLVI 40, 1f. 50, 1). Er hatte nach Pansas Tode dessen Heer von dem Quaestor Manlius Torquatos sofort übernommen (Appian. III 311. o. Bd. XIV S. 1192 Nr. 72) und verfügte so über sieben Legionen (bei Cic. fam. XI 10, 5), aber seine eigenen Soldaten waren durch die Leiden der ausgestandenen Belagerung gänzlich erschöpft (s. o.), die des Pansa waren ungeübte Rekruten (Appian. III 332, vgl. 400), und es fehlten ihm alle Geldmittel, um sie an sich zu fesseln (bei Cic. fam. XI 10, 5). Zudem war es dem Antonius gelungen, am 3. Mai in Vada Sabatia seine Vereinigung mit P. Ventidius glücklich durchzuführen. Unter diesen Umständen lautete der Bericht, den Brutus aus Dertona über die bisherigen Ereignisse und über die nächsten Aussichten erstattete, ziemlich ungünstig (fam. XI 10) und bereitete ebenso wie die der folgenden Tage dem Cicero eine schwere Enttäuschung (fam. XI 12, 1f.). Am 6. Mai rückte Brutus von Dertona nach Aquae Statiellae vor, von wo er fam. XI 12 an Cicero abschickte und wo er hörte, daß die Truppen des Ventidius sich weigerten, Italien zu verlassen, und daß Antonius deswegen die Richtung nach Norden statt nach Westen einschlagen wollte. Er kam ihm am 10. Mai mit der Besetzung von Pollentia zuvor, versperrte ihm diesen Weg und glaubte damit einen großen Vorteil errungen zu haben (Bericht aus Pollentia von demselben oder dem nächsten Tage bei Cic. fam. XI 13, 1–4; s. Bardt 580f.); aber vielleicht hatte jene Bewegung des Antonius ihn nur ablenken und festhalten sollen; der Gegner konnte nunmehr ungehindert die ligurische Küstenstraße passieren, schon am 15. Mai in Forum Julii auf gallischem Boden festen Fuß fassen und die Verhandlungen mit den hier stehenden ehemaligen Caesarianern, zunächst mit M. Lepidus aufnehmen. Brutus konnte sich über die drohenden Gefahren nicht lange täuschen und schickte in diesen Tagen durch Boten dem Senat so sorgenvolle Berichte (vgl. dazu auch Appian. III 333), daß Cicero ihn in einem Briefe vom 19. Mai zu ermutigen und aufzurichten unternahm (fam. XI 18). Sein eigener Plan war, über die Alpes Graiae, den Pass des Kleinen St. Bernhard, die Verbindung mit L. Munatius Plancus zu suchen und dann mit ihm gemeinsam den Lepidus von Antonius fernzuhalten. Plancus, sein künftiger Kollege im Consulat, stand mit ihm in brieflichem Verkehr, erwartete ihn an der Isara bei Cularo (bei Cic. fam. X 15, 4. 18, 2. 4; vgl. über diese Briefe Sternkopf Herm. XLV 250ff.) und versicherte ihm, daß Lepidus den Antonius nicht aufnehmen würde, was Brutus noch am 15. Mai an Cicero weitergab (nicht erhalten, doch erwähnt fam. X 20, 2 und XI 14, 3). Am 21. Mai erstattete Brutus aus Vercellae einen Bericht an den Senat, den er vorher mit einem Privatbriefe fam. XI 19 dem Cicero zu etwaiger [383] Verbesserung vorlegen ließ; er beklagte sich immer wieder, daß er nicht die kriegserfahrenen Legionen bei sich hätte, die ihm eigentlich zugewiesen waren (fam. XI 19, 1 mit Antwort 14, 2), sondern unerprobte Neulinge (vgl. dazu noch Plancus bei Cic. fam. X 24, 3. Pollio ebd. 35, 5. Cic. ad Brut. I 10, 2), und er erhielt auch von Cicero wenig mehr als Versprechungen und Vertröstungen als Antwort (fam. XI 14 von Ende Mai), auch noch etwa Empfehlungen, wie die des L. Aelius Lamia, für dessen Bewerbung um die Praetur er seinen Einfluß auf die Rittercenturien geltend machen sollte (fam. XI 16 und 17; s. o. Bd. I S. 552 Nr. 75). In Eporedia kamen ihm so beunruhigende Nachrichten über das Verhalten des jungen Caesar und der Veteranen zu, daß ihm sein Verbleiben in Italien notwendiger erschien, als das Eingreifen in Gallien; er setzte das dem Cicero in einem längeren sorgenvollen Briefe vom 24. Mai (fam. XI 20) und: in einem kürzeren und etwas mutigeren vom 25. dar (fam. XI 23); als er die am 4. und am 6. Juni abgesandten Antworten (fam. XI 21 und 24) empfing, waren sie längst durch die Ereignisse überholt. Denn am 29. Mai hatte sich Lepidus mit Antonius vereinigt, und Plancus, der ihm gegen Antonius hatte Hilfe bringen wollen, war gerade noch im letzten Augenblick nach Cularo hinter die Isara zurückgegangen. Jetzt mußte Brutus sich mit ihm vereinigen und erkaufte den Durchmarsch durch das Gebiet der Salasser um hohen Preis (Strab. IV 205); er schickte von unterwegs am 3. Juni einen Bericht an den Senat und zugleich einen kurzen und eiligen, von banger und nur allzu berechtigter Furcht erfüllten Brief an Cicero, den letzten erhaltenen (fam. XI 26). Er wurde von Plancus in Cularo sehnsüchtig erwartet, am 6. Juni innerhalb der nächsten drei Tage (bei Cic. fam. X 23, 3; vgl. Sternkopf 267); nach ihrem Zusammentreffen richteten beide ungefähr am 11. Juni ein gemeinsames Schreiben an Senat und Volk (bei Cic. fam. XI 13, 4f. [13a]), und angesichts des Auftretens des Caesar in Italien und der Caesarianer in Gallien waren sie die letzte Hoffnung der Senatspartei (Cicero an Brutus am 18. Juni fam. XI 25, 1: Scito igitur in te et in collega spem omnem esse; dasselbe bald darauf nochmals an denselben XI 15, 1, an Plancus X 22, 1, an C. Furnius X 26, 1, an Cassius XII 8, 1. 10, 3, an M. Brutus ad Brut. I 10, 2. 14, 2. 15, 9. Vgl. Appian. III 372. Dio XLVI 53, 1). Brutus wurde in seinen Mitteilungen an Cicero sehr einsilbig (vgl. Cic. fam. XI 25, 1. 2. 15, 2), und ließ sich durch Plancus entschuldigen (ebd. XI 15, 1); auch dieser gab zuletzt am 28. Juli noch einmal beruhigende Versicherungen mit dem Hinweis auf die Stärke des Heeres des Brutus (bei Cic. fam. X 24, 3: In castris Bruti una veterana legio, altera bima, octo tironum; die Gesamtzahl von 10 Legionen ebenso bei Appian. III 400, aber die Bestandteile unrichtig: ὧν τέσσαρα μὲν (τέλη) τὰ ἐμπειροπολεμώτατα ὑπὸ λιμοῦ διέφθαρτο καὶ ἐνόσει ἔτι, τὰ νεοστράτευτα δὲ ἦν ἕξ, ἀταλαίπωρα ἔτι καὶ πόνων ἄπειρα). Cicero selbst wandte sich in diesen Monaten nochmals an Brutus mit einer Fürsprache für den jungen Ap. Claudius, der als Parteigänger des Antonius anscheinend in die [384] Hände des Brutus gefallen war (fam. XI 22; s. o. Bd. III S. 2853f. Nr. 298). In Rom erzwang im August der Caesar seine Wahl zum Consul und ließ gleich darauf durch die Lex Pedia die Verurteilung der Mörder des Dictators aussprechen, die des verhaßten Brutus an erster Stelle nach M. Brutus und Cassius (Liv. ep. CXX. Dio XLVI 53, 2; vgl. Appian. III 398). In Gallien trat um dieselbe Zeit C. Asinius Pollio dem Bunde des Antonius und Lepidus bei und führte ihm dann den Plancus zu. Dieser trennte sich von Brutus (Vell. II 64, 1. Appian. III 399. Dio XLVI 53, 2), und nun erfüllte sich dessen Schicksal sehr schnell, vielleicht noch im Laufe des September. Er sah die letzte Rettung in der Möglichkeit, auf dem Landwege zu M. Brutus nach Makedonien zu gelangen, mußte aber die Absicht, südlich der Alpen durch Oberitalien nach Illyrien zu ziehen, aufgeben, weil ihm hier der Caesar die Wege zu sperren drohte, und faßte den abenteuerlichen Plan, nördlich um Italien herum durch die unbekannten Alpenländer zu ziehen (Appian. III 400. Dio). Da weigerten sich die Truppen, ihm weiter zu folgen, und gingen teils zu dem Caesar, teils zu Antonius über (Liv. ep. CXX. Vell. II 64, 1. Appian. III 402. Dio XLVI 53, 3), sodaß er nur noch mit seinen keltischen berittenen Leibwächtern und dann mit einer immer mehr zusammenschmelzenden kleinen Zahl von Begleitern die Flucht fortsetzte, schließlich in keltischer Tracht und keltisch sprechend in den Bergen herumirrte, bis er von einem eingeborenen Häuptling gefangen wurde. Wo er schließlich sein Ende gefunden hat, ist kaum zu ermitteln. Der ausführlichste Bericht, der Appians, spricht zweimal vom Überschreiten des Rheins (III 401. 403) und dann vom Verzicht auf den weiten Umweg und der Richtung gegen Aquileia (III 404: οὐ τὴν μακροτέραν ἔτι περιιών, ἀλλὰ ἐπὶ Ἀκυληίας), sodaß Brutus ziemlich weit nach Osten gekommen wäre; aber Appian ist in geographischen Dingen sehr unwissend und unzuverlässig, wie u. a. die merkwürdige Notiz zeigt, daß sich die Illyrier in Metulum gegen den Caesar mit Maschinen verteidigten, die sie besaßen ἐκ τοῦ πολέμου ὃν Δέκμος Βροῦτος ἐνταῦθα ἐπολέμησεν Ἀντωνίῳ τε καὶ τῷ Σεβαστῷ (Appian. Illyr. 19; vgl. dazu Veith Feldzüge d. Caesar Octavianus in Illyrien [Wien 1914] 18, 1). Nach Liv. ep. CXX ist Brutus vielmehr iussu Antoni, in cuius potestatem venerat, ⟨caesus?⟩ a Capeno Sequano interfectus und nach Oros. VI 18, 7 in Gallia a Sequanis captus et occisus; daß Sequaner zu zu seiner Verfolgung aufgeboten wurden, paßt zu der Flucht über den Rhein und zu der Festnahme im Machtbereich des Antonius, nicht des Caesar (s. auch Drumann-Groebe I 261, 2. Jullian IV 51f.). Der keltische Häuptling, der den Brutus erst gastlich aufnahm, aber dann an Antonius verriet, heißt bei Vell. II 64, 1: Camelus und bei Appian. III 405 (dreimal). 407: Κάμιλος, richtig wohl Camulos (Holder Altcelt. Sprachsch. I 727); der Führer der von Antonius geschickten Reiter war nach Val. Max. IV 7, 6. IX 13, 3 ein Furius, jener Sequaner Capenus (Liv.) wahrscheinlich einer seiner Leute. Ein Ser. Terentius suchte durch eigene Aufopferung den Brutus zu [385] retten (Val. Max. IV 7, 6), und ein Helvius Blasio gab ihm durch freiwilligen Tod das Beispiel tapferen Sterbens (Dio XL VI 53, 3); wenn beide Anekdoten als Beweise treuer Freundschaft zu seinen Gunsten sprechen, so stehen ihnen gegenüber die Erzählungen, wie Brutus sich selbst ans Leben klammerte und eines wenig männlichen Todes starb (Val. Max. IX 13, 3. Sen. ep. 82, 12. Dio XLVI 53, 3). Antonius hatte zwar seinen Tod befohlen (vgl. noch Vell. II: 64, 1. 87, 2. Auct. de vir. ill. 85, 2), hatte ihn selbst aber nicht sehen wollen und ließ seinen abgeschlagenen Kopf beisetzen (Appian. III 407). Die Caesarianer waren sehr befriedigt, daß nach Trebonius auch dieser Verräter und Mörder des Dictators nach kaum anderthalb Jahren von der gerechten Vergeltung ereilt war (Vell. II 64, 2. Appian. III 408. IV 1); aber M. Brutus nahm wiederum für ihn Rache, indem er den in seinen Händen befindlichen C. Antonius hinrichten ließ (Plut. Brut. 28, 1. Dio XLVII 24, 4). So reich das Material für die äußere Lebensgeschichte des Brutus ist, so wenig ergibt es für die tiefere Kenntnis seiner Persönlichkeit; Cicero nennt seit den Iden des März 710 = 44 den Namen des Parteigenossen oft mit lobenden, aber ganz konventionellen Epitheta; andere Charakteristiken (z. B. bei Plut. Brut. 12, 3: ἄλλως μὲν οὐκ ὄντα ῥέκτην οὐδὲ θαρραλέον) gehen von einzelnen Zügen aus, die teilweise einseitig überliefert oder einseitig aufgefaßt worden sind, so daß die Richtigkeit eines Gesamtbildes wie des von Drumann IV² 16f. gezeichneten unsicher bleibt. Seine erhaltenen Briefe schrieb Brutus als Militär sachlich in der gewöhnlichen Umgangssprache (s. Gerhard De D. Juni Bruti genere dicendi. Diss. Jena 1891). Monographien von M. Paulus Diss. Münster 1889 und B. C. Bondurant Diss. Chicago 1907.