Rosen-Monate heiliger Frauen/Hedwig

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LIII.
17. Oktober.
Hedwig.


 Hedwig, Herzogin von Schlesien, nachmals auch von Polen, Gemahlin des Herzogs Heinrich des Bärtigen, stammt aus dem hochberühmten und weit bekannten Geschlecht der Grafen von Andex und Herzoge von Meran. Sie hatte drei Schwestern. Die älteste, Agnes, ist die, welche König Philipp August von Frankreich im Juni des Jahres 1196 zu Compiegne als Braut empfieng, nachdem er seine rechtmäßige Gemahlin entlaßen hatte, die er aber dann selbst, vom Interdicte des Pabstes bezwungen, wieder entläßt und sie nach Schloß Poissy verweist, wo sie, zuvor ihrer großen Schönheit wegen besungen, nunmehr in großer Schmach an gebrochenem Herzen starb. Die andere Schwester ist Gertrud, an den König Andreas von Ungarn vermählt, die Mutter der heiligen Elisabeth von Thüringen, deren Lebensgang dem ihrer Tante Hedwig bei| aller Verschiedenheit doch so ähnlich ist. Die dritte war Aebtissin in Franken. Hedwig hatte auch vier Brüder, von welchen der erste Berthold, als Patriarch von Aquileja, der andere Elebert, als Bischof von Bamberg starb, während die beiden anderen, Heinrich und Otto, die Güter ihres Vaters theilten.

 Im Jahre 1174, so viel man schließen kann, war Hedwig geboren; erzogen wurde sie im Kloster Kitzingen am Main; zwölf Jahre alt wurde sie nach damaliger Weise mit Heinrich, ihrem Gatten vermählt, mit dem sie 1201 den Thron bestieg, deßen Tod sie im Jahre 1238 erlebte. Sechs Kinder, drei Söhne, drei Töchter gebar sie ihrem Gemahl: drei von ihnen, Boleslav, Agnes und Sophie, starben früh wieder hin; ihr Sohn Conrad starb auf der Jagd durch einen Sturz vom Pferde; ihr Sohn Heinrich fiel in jener gewaltigen Schlacht der Christenheit gegen die Tartaren am 9ten April 1241. So blieb ihr am Ende niemand übrig, als ihre einzige Tochter Gertrud, die Aebtissin des von Hedwig gestifteten Klosters Trebitz und ihre Schwiegertochter Anna, welche Vormünderin ihrer minderjährigen Söhne war.

 Schon die bisherigen Notizen aus ihrem Lebenslaufe| können die überlegsame Leserin überzeugen, wie reich an Kreuz und Leiden die Herzogin Hedwig gewesen sein muß. Allein wenn man das Familiengemälde der heiligen Hedwig noch weiter enthüllen wollte, wie sich in ihrem eigenen Geschlecht und ihrer väterlichen Familie Greuel und Herrlichkeit, Lasier und Tugend vereinten, wie Fluch und Segen des Allmächtigen auf dasselbe niedergiengen; wenn man die Kämpfe aufdecken würde, die in ihren eigenen Landen zwischen den Nationalitäten entbrannt waren und ihre eigenen Söhne ergriffen und in tödlichem Haße schieden; überhaupt wenn man sich recht klar werden könnte über die Stellung Hedwigs mitten im Knotenpunkte ihrer ereignisvollen, weltgeschichtlichen Zeit: so würde man erkennen, welche mächtige Hebel an dies weibliche Herz angesetzt wurden, damit es würde, was es werden sollte; aber auch wie geartet und wie bewacht es sein mußte, um diese Hebel zu vertragen und von ihnen gefördert, anstatt durch sie zermalmt zu werden und zu verderben.
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 Man kann wohl sagen, daß sie durch diese starken Hebel gehoben und durch eine gewaltige Hand Gottes erzogen worden ist, so daß sie bis jetzt noch als ein| ehrwürdiges Vorbild für andere aufgestellt werden kann. Auch ihre Heiligung trägt allerdings nicht das Gepräge unserer Zeit, sie erscheint in einem mittelalterlichen Gewande und in den Formen der römischen Kirche. Daß sie, die mächtige Gebieterin, welche nicht blos auf ihren Eheherrn den bestimmtesten Einfluß hatte, sondern durch ihren Zuspruch kriegsgerüstete Könige und Herren zum Frieden bewegen konnte, im armen Gewande einhergieng, ihren Leib geißelte und peinigte, nicht bloß fastete, – niemals im Bette schlief, sondern auf dem Erdboden, und dergleichen Dinge, wird unter uns kaum auf jemand einen zur Nachahmung reizenden Eindruck machen. Es wird nicht an solchen fehlen, für welche Hedwig schon deshalb umsonst gelebt hat, und die sie deshalb, so zu sagen, nicht einmal würdigen, sie genauer anzusehen und die wahren Spuren der Wirkung des heiligen Geistes bei ihr zu suchen. Am allermeisten wird es ihr bei Leuten der zuletzt bezeichneten Art zum üblen Urtheil und zum Schaden gereichen, daß sie nicht bloß viele Klöster stiftete, sondern die Klosterfrauen sehr hoch hielt, und von Bettlern die Brosamen, welche sie an Klosterpforten empfangen hatten, kaufte und selbst verspeiste, ja gar selbst mit Bewilligung| ihres Mannes in einem Kloster wohnte, dem ihre Tochter Gertrud als Aebtissin vorgesetzt war, und sich dabei der Leitung derselben unterordnete. Auch solche Züge, wie z. B. daß sie niemals ohne die Almosenschüssel zur Kirche oder an andere öffentliche Orte gieng, werden wenig Aufmerksamkeit finden. Doch fehlt es auch nicht an anderen, die nicht bloß Kraft und Weltentsagung, sondern auch eine herzgründliche Ergebenheit an den HErrn Jesus und eine treue Nachfolge Seines heiligen Lebens bekunden. Wohin sie reiste, folgten ihrem Hofe dreizehn auserwählte Arme, welche mit anderen, die sich dazu fanden, von ihrem Küchenmeister zuerst berücksichtigt werden mußten; auch von ihrem eigenen Tische wies sie ihnen das beste zu; den einzigen Apfel, den sie einmal übrig hatte, theilte sie mit ihnen. Kein Armer zieht vor ihrer Hofburg ohne den Sold der Barmherzigkeit vorüber, den sie selbst gab. Wer in Angelegenheiten Jesu reiste, war ihr ein hochwerther und geehrter Gast. Als sie eines ihrer Klöster baute, erbat sie sich von ihrem Gemahl, daß auf eine Weile keine Todesstrafe vollzogen würde, sondern die Verbrecher das Kloster bauen müßten, damit sie Zeit zur Buße fänden. Ueberhaupt hielt sie gern das Schwert| der Gerechtigkeit durch ihre Fürbitte auf, um den Sündern Gnadenfrist zu erstrecken. Oft ließ sie statt von Richtern, von Geistlichen das Urtheil sprechen, damit es milder ausfallen möchte. Sie wollte die Unterthanen nicht durch hohe Abgaben beschwert haben, sondern zahlte oft aus eigenem Beutel die ihnen aufgelegten Geldbußen. Sie besucht die Wöchnerinnen und versorgt sie, und während sie den eigenen Leib vernachläßigt, erwirkt sie, daß die Gefangenen immer frische Linnen bekommen, und Licht in ihre Kerker Zugang finde. Sie, die in freiwilliger Armuth lebt, ermuntert zu den kostbaren Stickereien der Frauenklöster, um die Gottesdienste auch auf diese Weise zu verherrlichen. Sie ist aber auch so voll Eifers, die Erkenntnis Christi zu verbreiten, daß sie selbst mühevoll Hand anlegt. So findet man sie eine Zeit lang bemüht, ein altes Weib zu lehren. Weil diese, über und über vernachläßigt, wie sie war, auch das heilige Vaterunser nicht merken konnte, so muß ihr das Bette neben der Herzogin gemacht werden, und sie unterbricht des Nachts vielfach den eigenen Schlaf, um der Alten die heiligen Worte auch im Schlafe ins Ohr zu sagen. Das alles ist freilich ungewöhnlich, wer sollte aber nicht erkennen,| daß es die Aeußerung eines gottverlobten Gemüthes ist.
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 Hedwig war kein schwaches Weib, sie hatte keine verweichlichte Seele. Sie wußte in den großen Fragen ihrer Verhältnisse sich zu entscheiden: wenn sich ihre Söhne im blutigen Zwist einander gegenüber stellen, der eine die slavische, der andere die deutsche Nationalität vertritt, der von ihr geliebte Gemahl ins Lager des ersteren geht, so geht sie, die deutsche und deutschgesinnte Mutter, ins Lager des anderen. Bei aller Macht des Willens und der Entschlüße aber ist sie eine sanfte Herrin, die ihre Diener nie schilt, nicht zornig anläßt. „Warum hast du das gethan? Möge dir der HErr vergeben,“ das ist ihre Correction. Dabei ist sie für sich selbst eines freieren Geistes. Indem sie einem jeden die möglichste Weitschaft läßt, die Selbstbeschränkung achtet, Nonnen und Mönche übermäßig ehrt, ihnen nicht blos die Hände, sondern die Stühle küßt, selbst in einem Kloster klösterlich lebt, und zwar mehr als alle Nonnen; wahrt sie sich doch ihre Freiheit und will durch die klösterliche Zucht nicht gebunden und verhindert sein, auszugehen, wohin es ihr gut ist, wohin es ihre Regenten- oder Christenpflicht gebietet. So sehr| sie das Leben im Kloster anzieht, so sehr ist ihr auch alle Noth und alles Elend außerhalb des Klosters ein Magnet; sie ist überall zu finden: wo Elend einkehrt. – Man kann ihr nicht vorwerfen, daß sie den Gemahl oder die Kinder nicht geliebt hätte; sie war eine zärtliche Gattin und Mutter, die auch selbst von Gemahl und Kindern herzlich geliebt und geehrt wurde. Dennoch scheint es wirklich, als wenn sie unter der ernsten Erziehung ihres Lebensgangs, unter dem Segen der Gnadenmittel, unter den Uebungen der Gottseligkeit den Glauben und die Seelengröße gefunden hätte, in gottergebener und ungestörter Ruhe auch Todesfälle der Ihrigen hinzunehmen. Ihr Ehegemahl hatte je länger je mehr den Weg Hedwigs erwählt, dazu ist das Lob seiner Regierungsweise groß: er reifte je länger je mehr. Als er nun im Jahre 1238 eines gottseligen Todes starb, weinten die Nonnen von Trebitz, bei denen sie lebte und zerfloßen in Jammer. Nur Hedwig weint nicht. „Wozu euer Jammer, rief sie, wer will gegen den Rathschluß des HErrn streiten? Ihm gehört unser Leben; unser Trost muß sein alles, was Ihm gefällt; wie Er über uns verfügt, sollen wir uns Ihm ergeben, sei es| daß Er uns von dieser Welt abrufe, oder unsere Freunde wegnehme.“ Als ihr Sohn Heinrich in der Schlacht gegen die Mongolen erlag, rettete Hedwig seine Kinder und verlor in dieser schweren, betrübten Zeit so wenig wie früher den Gleichmuth. Sie war die Trösterin ihrer Schwiegertochter Anna. „Gott, sagte sie, hat mit meinem Sohne gethan, wie es Ihm gefallen hat; wir sollen keinen andern Willen haben, als den des HErrn.“ Dann hob sie ihre Augen auf gen Himmel und betete: „Ich danke Dir, o mein Gott, daß Du mir einen Sohn gegeben hast, der mich nie betrübte, der mir immer mit Liebe und Ehrerbietung begegnete. Ihn am Leben zu sehen, war für mich große Freude; aber ich preise ihn glücklich, und empfinde noch größere Freude, da ich ihn durch seinen Tod der Vereinigung mit Dir in Deinem Reiche gewürdigt sehe.“ Vor einem solchen Benehmen schweigt doch wohl der Tadel, und wer so Kreuz tragen kann, der ist doch wohl nicht bloß in der Schule des HErrn Jesus gewesen, sondern trägt auch Früchte Seines Geistes.
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 Wie sie den Tod der Ihrigen gottergeben getragen hat, so nahm sie auch den eigenen Tod getrost und| freudig hin. Sie sah ihn vorher und bereitete sich zu demselben, noch ehe die Ihrigen die Ueberzeugung gewonnen hatten, daß es an der Zeit sei. Die Betrachtung der Leiden Jesu war ihr letztes Geschäft in dieser Welt, in welchem sie auch zum ewigen Leben entschlief, und zwar am 15. Oktober 1243 in ihrem Kloster zu Trebitz; ebendaselbst fand auch ihr Leib die Ruhestatt.




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