Ueber die Definition des Tones

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Annalen der Physik und Chemie
Band LXIII, Heft 11, Seite 353–368
August Seebeck
Ueber die Definition des Tones
Ton (Musik)
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[353]
I. Ueber die Definition des Tones; von August Seebeck.

Ich bin in eine Controverse mit Ohm gerathen über die Frage:

Wird ein Ton, dessen Schwingungsmenge ist, ausschließend gebildet durch eine Bewegung von der Form , oder ist diese nur als ein besonderer Fall einer allgemeineren Form anzusehen?

Da diese allgemeinere Form, so viel wir wissen, bei einem Tone von ungeänderter Stärke der Bedingung genügt, daß nach Verlauf der Zeit stets derselbe Eindruck wiederkehre, so kann sie dargestellt werden durch die Reihe:

Jene Frage ist daher, anders ausgedrückt, diese:

Hat an der Erzeugung des Tones nur das erste Glied der Reihe einen Antheil, oder können auch die folgenden Glieder zur Bildung dieses Tones beitragen?

Es wird gut seyn, für die beiden Annahmen, zwischen welchen hier die Frage steht, kurze Benennungen zu haben. Daher mögen die beiden genannten Formen als engere und weitere bezeichnet werden. Die engere Form kann durch das erste Glied jener Reihe, die weitere, indem sie das Wesen des Tones bloß in die periodische Wiederkehr gleicher Eindrücke setzt, durch die Summe der ganzen Reihe vorgestellt werden. Die zweite Annahme schließt die erste nicht aus, sondern [354] begreift sie als einen besonderen Fall in sich. Dabei bemerke man, daß die weitere Form nur behufs der analytischen Behandlung in Gestalt einer Sinusreihe dargestellt ist, an sich aber eines einfacheren Ausdrucks fähig seyn mag; ferner daß sie in Gestalt jener Reihe offenbar zu weit ist, so lange die Werthe der und ganz willkührlich gelassen werden, wie ich bereits früher erinnert habe; wir müssen sie aber in dieser oder wenigstens in einer eben so unbestimmten Form lassen, weil uns die nöthige Beschränkung noch ganz unbekannt ist.

Um den Sinn dieser Bemerkungen noch weniger zweifelhaft zu lassen, habe ich in Fig. 1 bis 6 mehrere Wellenskalen gezeichnet, wobei man sich die Abscissen der gezeichneten Curve proportional der Zeit, und die Ordinaten proportional der Geschwindigkeit denken mag.

Alle diese Wellenformen haben dieselbe Länge der Periode, und können, wenn diese Periode bezeichnet, [355] durch die Reihe , oder einfacher durch vorgestellt werden. Fig. 1, S. 354, entspricht dem ersten Gliede jener Reihe, also der engeren Form, und ist wohl jedenfalls geeignet, den Ton allein zu geben; Fig. 2, S. 354, würde, wie ich anzunehmen Ursache habe, stets neben dem Tone dessen Octave erkennen lassen; ob aber auch Formen, ähnlich den ziemlich willkührlich gezeichneten Figuren 3 bis 6, S. 354, stets außer dem Tone dessen Beitöne … hören lassen müssen, und zwar in der durch die entsprechenden Glieder der Reihe bedingten Stärke, ist die Frage, um welche es sich handelt.

Ohm hat sich der engeren Form angenommen (diese Ann. Bd. LIX S. 513[WS 1]) und dieselbe mit dem Scharfsinne, welchen man an seinen Arbeiten kennt, an den Erscheinungen durchgeführt, welche an der Sirene beobachtet werden können. Er ist dabei zu einigen Resultaten gelangt, welche mit der Erfahrung übereinstimmen, so daß diese Uebereinstimmung Demjenigen, welcher mit diesen Versuchen nicht vertraut ist, leicht vollständig erscheinen konnte. Ich habe jedoch (diese Ann. Bd. LX S. 449[WS 2]) gezeigt 1) daß die Resultate seiner Rechnung in mehreren Punkten nicht durch die Erfahrung bestätigt werden[1]. 2) Da Ohm jene Ergebnisse nicht nur unter der Annahme der engeren Form, sondern auch unter der Voraussetzung einer besonderen Beschaffenheit der Sirenestöße erlangt hatte, so mußte ich, um über die Zulässigkeit der ersteren zu urtheilen, die Rechnung von der letzteren befreien, und ihr zunächst von dieser Seite her die nöthige Allgemeinheit geben, was Ohm der Raumersparniß wegen unterlassen hatte. Auch so noch führte die engere Form auf einige Resultate, welche durch die Erfahrung nicht bestätigt werden. Dagegen habe ich 3) gezeigt, daß unter der Annahme der [356] weiteren Form sich alle an der Sirene beobachteten Erscheinungen sehr einfach erklären lassen. Die Erfahrung spricht also in keinem Falle gegen die weitere Form, wohl aber in einigen Punkten gegen die engere.

Diesen Schluß, zu welchem ich durch eine consequente Analyse der in der Erfahrung vorliegenden Thatsachen gelangt war, hat mein gelehrter Gegner (diese Ann. Bd. LXII S. 1[WS 3]) durch eine neue Argumentation angefochten, welcher ich einige Bemerkungen entgegenzustellen habe, wobei ich mich, wie billig, an das halte, was wesentlich die in Rede stehende Frage betrifft[2]. Dieß reducirt sich auf folgende Punkte:

a) Ohm folgert aus seiner Theorie, daß zur Erzeugung eines Tones, dessen Schwingungsmenge ist, nur das eine Glied der Reihe , welches dieselbe Schwingungsmenge in sich trägt, beitragen kann.

b) Obgleich dieser Satz sich der von mir vertheidigten Ansicht zu widersetzen scheine, so gebraucht ihn doch Ohm deshalb nicht gegen dieselbe, weil es möglich sey, daß die folgenden Glieder der Reihe durch eine unregelmäßige Folge von Eindrücken den im ersten Gliede enthaltenen Ton verstärken, wofür das Daseyn der Combinationstöne spreche.

c) Wenn auch diese Verstärkung zugestanden werde, so müsse, wie der erste Ton durch alle folgenden Glieder, so auch der zweite durch alle geraden Glieder, der dritte durch das 9te, 12te … Glied u. s. w. verstärkt werden; dieß führe, wenn man es sich als möglich denken wolle, dahin, daß die Reihe außer dem ersten Tone auch alle folgenden eben so stark oder noch stärker hören lassen würde, wodurch sich die Annahme der weiteren Form von selbst wieder zu nichte mache.

[357] d) Da aber die Thatsache, daß der erste Ton durch die höheren Glieder der Reihe verstärkt wird, von Ohm nicht in Abrede gestellt wird, so macht dieser Gelehrte die Hypothese, daß diese Verstärkung auf einer Täuschung beruhe, welcher unser Gehör dann ausgesetzt sey, wenn ein Hauptton von seinen Beitönen begleitet ist; es werde nämlich von uns unwillkührlich der Hauptton für stärker und die Beitöne für schwächer angesehen, als sie wirklich sind, sey es, daß wir den letzteren gar nicht oder nur theilweise von dem ersteren trennen, oder daß dabei noch andere Momente zu Rathe zu ziehen seyen. Zu Gunsten dieser Annahme berührt Ohm einige Fragen, welche sich dadurch erklären lassen würden, so wie den Versuch eines Freundes, welcher in der That an der Violine die Schwächung eines höheren Tones durch das Hinzunehmen seiner Unteroctave und die Verstärkung des letzteren Tones durch den ersteren wahrnahm.

Ich habe zu diesen vier Punkten Folgendes zu bemerken:

ad a) Da jener Satz unter der Voraussetzung der engeren Form bewiesen ist, so kann derselbe nur den Sinn haben, daß die Reihe keine Umformung zuläßt, vermöge welcher aus den übrigen Gliedern, mit Ausnahme des ten, ein Glied von der Form

hervorginge. Dieser Satz ist von Bedeutung innerhalb der Annahme der engeren Form, denn aus ihm fließen zum Theil Ohm’s nachfolgende Schlüsse; allein er beweist durchaus Nichts gegen die weitere Form, und kann gegen diese nicht nur aus dem von Ohm angeführten Grunde, sondern vorzüglich deshalb nicht gebraucht werden, weil dieß ein logischer Cirkel seyn würde: denn um die Unwirksamkeit der folgenden Glieder zu beweisen, darf man natürlich nicht von der Voraussetzung ausgehen, daß nur ein Glied von der Form des ersten den [358] in Rede stehenden Ton bilden könne[3]. Jener Satz kommt also für die Prüfung der weiteren Form nicht, oder doch nur indirect, in sofern er zur Kritik der engeren dient, in Betracht.

ad b) Der Ansicht, daß eine nicht ganz regelmäßige Folge von Eindrücken einen (wenn auch minder vollkommenen) Ton erzeugt, bin ich keineswegs entgegen, habe dieß vielmehr früher selbst durch einen meiner Sirenenversuche bestätigt, und finde auch, daß diese Erfahrung sich der oben für den vollkommenen Ton aufgestellten weiteren Definition sehr natürlich anschließt. Wenn aber Ohm einer solchen minder regelmäßigen [359] Folge von Eindrücken die Möglichkeit zuschreibt, einen Ton zu bilden, so giebt er damit bereits eine Ausnahme von seiner Definition zu, und erkennt an, daß dieselbe zu enge ist, und ich sehe keinen Grund, warum man sich der Annahme der weiteren Form mehr widersetzen soll, als dem hier von ihm gebrauchten Auskunftsmittel.

ad c) Gegen die Bemerkung, daß die Verstärkung durch die folgenden Glieder sich, wie auf den ersten, eben so auf den zweiten, dritten und alle folgenden Töne erstrecken müßte, habe ich Folgendes zu erinnern. Erstens kann diese Behauptung nicht so allgemein hingestellt werden, sondern ihr liegt schon eine beschränkende Annahme über die Werthe der einzelnen zum Grunde, und es lassen sich andere Annahmen machen, wo das Gegentheil stattfinden würde. Man denke sich z. B., daß in der Reihe , , , und alle Glieder, welche nicht Primzahlen entsprechen, Null werden, so bleiben lauter Glieder übrig, die in ihrer Gesammtheit von derselben Periode sind, wie das erste, und daher nach der von mir vertheidigten Ansicht geeignet sind, den durch die Periode des ersten Gliedes bezeichneten Ton beträchtlich zu verstärken; allein es ist kein Glied vorhanden, das eine Verstärkung für den Ton des zweiten, dritten … Gliedes bedingen könnte. Ein ähnliches Verhältniß, wie das, welches ich an diesem extremen Falle erläutere, muß mehr oder weniger auch bei vielen anderen Annahmen eintreten. – Allein auch abgesehen hievon, finde ich in jenem Einwurfe keine Schwierigkeit gegen die Annahme der weiteren Form. Denn es ist wohl einleuchtend, daß, sobald die sämmtlichen Glieder der Reihe durch die ihnen gemeinsame Periode an dem in dieser Periode enthaltenen Tone einen Antheil haben, ein entsprechender Theil ihrer Mitwirkung verloren gehen muß für die den Theilperioden (dem zweiten, dritten … Gliede) entsprechenden Töne. Wenn z. B. die geraden Glieder allein, ohne die ungeraden, [360] vorhanden sind, so werden sie den Ton in einer gewissen Stärke geben; treten aber die ungeraden hinzu, so können jene jetzt den vorigen Ton nicht mehr in der vorigen Stärke geben, im Fall sie jetzt zugleich mit den letzteren für den Ton in Anspruch genommen sind. Man wird zugeben, daß diese Ansicht aus der Annahme der weiteren Form von selbst herfließt. Sollte man aber etwas Künstliches oder gar etwas »Geisterhaftes« darin finden, daß dasselbe Glied der Reihe einmal so und einmal wieder anders wirkt, so erwäge man, daß die anscheinende Künstlichkeit wohl nur darin liegt, daß wir eine an sich vielleicht nach sehr einfachen Gesetzen normirte periodische Bewegung in eine Sinusreihe aufgelöst haben, und daß ja bei den Combinationstönen ein gleiches Verhältniß eintreten muß, wie einer unserer ersten Akustiker mit Recht bemerkt[4]. – Endlich aber könnte jener Einwurf (c) eben so gut, oder vielmehr eben so wenig gegen Ohm’s Hypothese geltend gemacht werden, zu welcher ich jetzt übergehe.

ad d) Indem Ohm zugiebt, daß der im ersten Gliede der Reihe enthaltene Ton durch die folgenden Glieder verstärkt wird, ist er in der Hauptsache, im Thatsächlichen mit mir einverstanden, und es handelt sich jetzt noch um die Auslegung dieser Thatsache. Ich sage: Unser Ohr empfindet den Eindruck einer periodischen Bewegung als Ton; alle Glieder, welche an dieser Periode Theil nehmen, können (wenigstens unter [361] geeigneten Umständen) zur Stärke des Tones beitragen. Ohm sagt: Nur ein Glied bildet eigentlich den Hauptton, aber unser Ohr täuscht sich, indem es seine Beitöne mit zu ihm herüberzieht, und ihn selbst dadurch für stärker hält. Allein ich entgegne: Wodurch kann über die Frage, was zu einem Tone gehöre, entschieden werden, als eben durch das Ohr? Auf jede andere Weise erkennen wir nur Bewegung; das Ohr allein empfindet diese Bewegung als Ton, und was dasselbe stets zum Tone zieht, das gehört auch wirklich zu demselben, so wie das nicht Ton ist, was nicht als solcher empfunden wird. – Und was folgt aus dem von Ohm angeführten Versuche eines Freundes Anderes, als eine Bestätigung der von mir behaupteten Thatsache, daß der Hauptton durch die höheren Glieder der Reihe verstärkt werden kann, während dann natürlich der höhere Ton, den diese Glieder vorher erkennen ließen, eine entsprechende Schwächung erleiden muß[5]. Dieser Versuch kann daher eben so gut für meine Auffassung, als für Ohm’s Vermuthung geltend gemacht werden. Mit der Wirkung der Mixtur verhält es sich ganz eben so, und die Frage, wie es komme, daß wir an unseren Instrumenten die Beitöne so wenig bemerken, habe ich mir längst zu Gunsten meiner Ansicht beantwortet. An einer schwingenden Saite ist im Allgemeinen Nichts bestimmt, als jene Hauptperiode, welcher sich alle Glieder der Reihe anschließen, und die einfachste Form, welche Taylor vorraussetzte, kommt gewiß, streng genommen, nie, und in der Regel kaum angenähert vor; will man sich davon durch den Augenschein überzeugen, [362] so braucht man nur mit dem Mikroskope die Figuren zu betrachten, welche ein Punkt der Saite beim Schwingen beschreibt. Bei den Blaseinstrumenten ist der Fall fast eben so. Dennoch hören wir in der Regel sehr wenig von den Beitönen. Sollte dieß von einer bloßen Täuschung herrühren, so würde wohl die Wirkung unserer Musik in den meisten Fällen auf dieser Täuschung beruhen müssen. – Die beiden Fragen, warum das minder geübte Ohr die Beitöne leichter überhört, und warum sich ein falscher Ton im Concert so laut ankündigt, scheinen mir, in Ohm’s Sinne beantwortet, auf eine eigene Schwierigkeit zu führen. Denn wenn das geübte Ohr an sich schon die Beitöne mehr vom Haupttone trennt, so sollte man meinen, es müßte von einem falschen Tone, d. h. von einem, der sich nicht herüberziehen läßt, eher weniger beleidigt werden, als das ungeübte. In der That aber sind gewiß diese beiden Wahrnehmungen mehr aus einem psychischen[WS 5], die erstere vielleicht aus einem physiologischen Grunde zu erklären. – Was aber besonders die Sirene betrifft, so wiederhole ich, daß, wenn auch bei gleich abstehenden Löchern Beitöne gehört werden können, diese stets nur äußerst schwach sind, obgleich sich andererseits aus den Versuchen, wenn sie im Sinne der engeren Annahme ausgelegt werden, ergiebt, daß die bezüglichen Factoren , keineswegs klein sind. Die Annahme einer Gehörstäuschung müßte dem zufolge so weit ausgedehnt werden, daß selbst ziemlich starke Beitöne nicht oder kaum als solche gehört werden können, sondern vom Ohre zum Grundtone gezogen werden[6], ein Satz, dem, in dieser Ausdehnung genommen, wohl die Erfahrung jedes einigermaßen musikalischen Ohres widersprechen dürfte.

Indessen, wenn ich auch zuzugeben hätte, daß die erwähnten Erscheinungen sich durch Ohm’s Annahme [363] einer Gehörstäuschung vielleicht eben so gut erklären lassen, als durch die Annahme der weiteren Definition des Tones, so würde ich doch für die letztere nunmehr den Vorzug größerer Einfachheit geltend machen können. Denn Ohm hat bereits drei Annahmen, nämlich 1) ein Ton wird in der Regel gebildet durch ein Glied von der Form ; er kann aber 2) auch[WS 6] durch eine unregelmäßige Folge von Eindrücken gebildet werden; 3) er wird vermöge einer Gehörstäuschung durch alle Glieder von der Form

verstärkt. Durch die weitere Form wird hingegen Alles mit einem Schlage abgemacht.

Und was steht denn der Annahme der weiteren Form entgegen? Nach Ohm’s Meinung der Grundsatz »des Weisesten aller Naturforscher,« daß zur Erklärung einer Naturbegebenheit keine anderen Ursachen anzunehmen seyen, als welche nothwendig und hinreichend sind. Ich bestreite diesen Grundsatz so wenig, daß ich vielmehr denselben in dieser Frage nur consequenter als mein geehrter Gegner festgehalten zu haben glaube, denn ich habe mich gegen die Annahme der engeren Form aus keinem anderen Grunde erklärt, als eben weil sich mir aus der angestellten Prüfung ergab, daß sie weder nothwendig noch hinreichend ist. Dieß noch mehr in’s Licht zu setzen, mögen die folgenden Bemerkungen dienen, wobei ich auf ein Paar früher nur kurz angedeutete Punkte zurückzukommen habe. Ich frage also:

1) Ist die Annahme der engeren Form nothwendig? – Es ist wahr, daß man in gewissen Fällen der Tonerzeugung – wozu jedoch weder Luft- und andere longitudinale Schwingungen, noch die der Saiten zu rechnen sind – unter der Annahme unendlich kleiner Schwingungen und bei Ausschluß aller Hindernisse auf die Schwingungsform geführt wird, daß demnach diese Form zwar wohl nicht genau, aber doch [364] angenähert in der Wirklichkeit so vorkommt, daß die Glieder mit , … fehlen. Ich ziehe daher nicht in Zweifel, daß durch jenes Glied die Empfindung des Tones wirklich erregt wird[7]. Allein daraus folgt immer nur, daß ein Ton von jener Form seyn kann, aber nicht, daß jeder Ton derselben genügen muß. Warum sollten z. B. Wellen von der Form wie Fig. 3 bis 6, S. 354, nicht vielleicht eben so gut, und frei von Beitönen, denselben Ton geben, wie die erste Form. Mir ist kein Grund bekannt, der das Gegentheil bewiese, und so lange nicht gezeigt ist, daß bei jeder mit der engeren Definition (Fig. 1 S. 354) nicht übereinstimmenden Wellenform Beitöne vorhanden sind, kann ich nicht anerkennen, daß die Annahme dieser engeren Form nothwendig sey.

2) Ist die Annahme der engeren Form hinreichend, um die auf dem Gebiete des Tones vorliegenden Erfahrungen zu erklären? Wäre sie es, so würde man sie für sehr wahrscheinlich zu halten haben, und dieß allein ist es, meines Dafürhaltens, was Ohm zu zeigen gesucht hat. Allein die engere Form wurde von mir nicht hinreichend gefunden 1) zur Erklärung einiger Erfahrungen an der Sirene. Gegen diesen Einwurf hat Ohm die bereits besprochene Hypothese einer Gehörstäuschung aufgestellt. 2) Ich halte die engere Form nicht für hinreichend, weil sie, wie ich’s diese Ann. Bd. LIII S. 435[WS 7] und Bd. LX S. 480 erinnerte, keine Verschiedenheit des Klanges zuläßt. Denn in dem Werthe bestimmt die Höhe, die Stärke des Tones und ist offenbar für die Beschaffenheit desselben von keiner Bedeutung, also bleibt Nichts übrig, was eine Verschiedenheit des Klanges begründen könnte. Man müßte also, bei jener Annahme, alle diese Verschiedenheiten entweder [365] der der Beimischung von Geräuschen oder dem unvermerkten Mitklingen von Beitönen, kurz solchen Eindrücken, die nicht mit zum Tone selbst gehören, zuschreiben, was gewiß nicht für alle jene Unterschiede, namentlich für die der Vocale, ausreichend ist. Dieß führt darauf, daß zur Erklärung der Klangverschiedenheit noch eine veränderliche Größe, etwa ein Factor , in den Ausdruck der engeren Schwingungsform aufzunehmen ist. Ist dieser Factor periodisch, und ist seine Periode der von gleich oder ein aliquoter Theil davon, so würde dieß nichts anderes geben, als eben die weitere Form. Sollte aber jener Factor eine andere, längere oder gar incommensurable Periode haben können, so würde daraus folgen, daß selbst die weitere Definition noch zu enge ist; ein Fall, dessen Möglichkeit ich für jetzt weder behaupten noch bestreiten will. – Hieran knüpft sich 3) noch ein Bedenken gegen die engere Form, denn diese drückt nur einen Ton von constanter Stärke aus, und läßt ein Anschwellen oder Verhallen nicht zu. Mir scheint dieser Einwurf, welchen Hr. Prof. W. Weber brieflich gegen mich berührt hat, eben so einfach als treffend, denn man wird zugeben müssen, daß, um die veränderliche Stärke des Tones darzustellen, der constante Factor durch einen veränderlichen ersetzt werden muß; sobald dieß aber der Fall ist, ist auch die engere Form wesentlich aufgehoben, und findet höchstens noch angenähert statt. Obgleich das so einleuchtend ist, daß es einer weiteren Erläuterung nicht bedarf, will ich doch noch einen Augenblick bei den Folgerungen verweilen, zu welchen ein consequentes Festhalten der engeren Definition in dieser Beziehung führen würde. Man denke sich also einen Ton, dessen Stärke periodisch, wenn auch langsam, zu- und wieder abnimmt (oder auch nur eine Zeit lang mit veränderlicher Stärke wirkt), so tritt statt ein veränderlicher Factor ein, welcher [366]

gesetzt werden kann, wo die Periode der Zu- und Abnahme ausdrückt, und sehr viel kleiner als ist, wenn diese Zu- und Abnahme als solche erkennbar seyn soll. Die Bewegung wird also vorgestellt durch[8]:

Dafür kann man schreiben:

Dieß würde nach Ohm’s Definition das Zusammenklingen der Töne , , , , , , etc. geben, lauter Töne von wenig verschiedener Höhe, die uns statt eines reinen Schwellen und Nachlassen der Tonstärke die entsetzlichste Dissonanz geben würden. Wenn man mir entgegnen sollte, daß diese Bemerkung eben so gegen die weitere Form gerichtet werden könne, so beachte man, daß damit nur eingeräumt werden würde, es sey diese nicht, wie Ohm glaubt, zu weit, sondern von dieser Seite noch nicht weit genug, womit ich vollkommen einverstanden bin; denn die Reihe kann, wenn man , , … constant nimmt, den Ton auch nur darstellen, sofern seine Stärke sich nicht ändert. Deswegen habe ich auch (Bd. LX S. 453) definirt: ein Ton entsteht durch periodische Widerkehr eines gleichen oder ähnlichen Bewegungszustandes, und konnte nur, da ich bloß Töne von constanter Stärke zu besprechen hatte, den veränderlichen Factor, mit welchem die Reihe noch multiplicirt werden kann, vernachlässigen. Dagegen wird die engere Definition wesentlich modificirt, wenn veränderlich gedacht wird, und kann, wenn für diese Veränderlichkeit des keine Gränze vorgezeichnet wird, geradezu [367] in die weitere übergehen. – Erinnert man sich endlich, daß 4) wie vorhin erwähnt wurde, die Form zur Erklärung der Combinationstöne nach Ohm’s eigener Ansicht durch eine unregelmäßige Folge von Eindrücken ersetzt werden muß, so wird man schwerlich in Abrede stellen, daß diese Form nicht hinreichend ist.

Hat sich nun ergeben, daß die engere Form nicht nothwendig und aus verschiedenen Gründen nicht einmal hinreichend ist, so führt eben der von Ohm wiederholt geltend gemachte Grundsatz auf die Annahme der weiteren Form. Daß an diese Annahme, weil sie weniger bestimmt, und, wie ich wiederholt erinnere, wirklich noch zu weit ist, sich neue Fragen knüpfen, oder wie Ohm sich ausdrückt, daß dieselbe in ein neues Labyrinth zu führen scheint, kann kein Grund seyn, uns derselben zu entziehen; denn wir müssen es uns schon gefallen lassen, daß die Natur uns häufig mit der Antwort auf eine Frage neue Räthsel zu entziffern aufgiebt. Im vorliegenden Falle würde allerdings die engere Form ein bestimmteres Anhalten geben, als die weitere, und ich gestehe, daß ich selbst, da ich Ohm’s erste Abhandlung über diesen Gegenstand las, den Wunsch hegte, seine Ansicht bestätigt zu finden. Dennoch[WS 8] wird mit dem Aufgeben der engeren Form nicht etwa der Akustik eine Stütze für anscheinend wohl begründete Erklärungen entzogen; denn man wird auf dem ganzen Gebiete dieser Wissenschaft nur selten, und wo es geschehen ist, wohl mehr nur der Einfachheit wegen, von jener Annahme Gebrauch gemacht finden, und ich vermuthe sogar, daß Ohm’s Erklärung der Combinationstöne, welche wir hoffentlich bald zu erwarten haben, nicht wesentlich darunter leiden wird.

Der Stand der Sache ist, nach meiner Ansicht, noch immer dieser: die engere Form, welche Ohm vertheidigt, erweist sich der Erfahrung gegenüber als zu beschränkt; [368] die weitere Definition hingegen, welche das Wesen des Tones in die periodische Wiederkehr eines gleichen oder ähnlichen Bewegungszustandes setzt, scheint den bekannten Erfahrungen zu genügen. Wie die Bewegung beschaffen seyn müsse, damit der Ton einfach (frei von Beitönen) sey, ist uns noch unbekannt, und es bildet das Letztere, meines Erachtens, die nächste und wichtigste Frage, welche sich an diese Discussion knüpft.

  1. Dieß gilt, außer von den beiden letzten Nummern seiner Abhandlung, von einem Theile der Sätze S. 530 α. und S. 539 α.
  2. Ich unterlasse es deshalb, auf einen Theil von Ohm’s erster Abhandlung zurückzukommen, auf welchen dieser Gelehrte selbst kein weiteres Gewicht legt, obgleich ich sonst auch in Betreff der hierauf sich beziehenden Bemerkungen seines letzten Aufsatzes Einiges zu meiner Rechtfertigung zu entgegnen haben würde.
  3. Da ich keine Neigung fühle, einem so ausgezeichneten Gelehrten einen solchen fehlerhaften Schluß, oder auch nur die Tendenz zu demselben zuzutrauen, so vermuthe ich, daß Ohm mich in Betreff des Antheils, den ich den folgenden Gliedern zuschreibe, mißverstanden habe. Wenn ich geglaubt hätte, daß aus diesen ein Glied von der Form des ersten resultiren könne, so würde ich mich ja damit eben für die engere Form erklärt haben. Sollte vielleicht eine beiläufige Bemerkung (Bd. LX S. 480), mit welcher ich mir selbst einen möglichen Einwand zu Gunsten der von mir bestrittenen Ansicht erhob, zu einem solchen Mißverständniß Veranlassung gegeben haben, so wird sich dasselbe wohl durch eine genauere Beachtung jener Stelle erledigen, und hoffentlich die gegenwärtige Darstellung meine Ansicht noch weniger zweifelhaft lassen. – Wenn ich geneigt wäre eine petitio principii zu urgiren, wie mein geschätzter Gegner mir zutraut (s. die Anmerkung Bd. LXII S. 12), so hätte ich dazu wohl in der exceptionellen Behandlung seines ersten Aufsatzes wenigstens eben so viel Grund finden können, als in der deshalb von ihm vermiedenen allgemeinen, da der exceptionelle Fall eben auch ein solches Glied, wie er es brauchte, enthielt, und überdieß gerade dieser besondere Fall gewiß der Wirklichkeit nicht entspricht. Demnach hätte ich immer sagen können, solche Glieder, wie ich sie zur Erklärung des Tones brauche, sind gewiß vorhanden, ob aber gerade jenes eine da sey, welches Ohm gebraucht, ist noch zweifelhaft. Allein, da es auch mir, wie meinem geehrten Gegner, nicht um den Widerspruch, sondern darum zu thun ist, eine wichtige Frage an der Hand der Erfahrung vorurtheilsfrei zu prüfen, so habe ich nur solche Zweifel geltend gemacht, welche ich in der Vergleichung der Rechnung mit den Beobachtungen positiv begründet fand.
  4. „Es sey (schrieb mir Hr. Prof W. Weber[WS 4] vor mehreren Monaten) eine Wellenscala gegeben, welche sich durch

    darstellen lasse. Nach der Ohm’schen Definition kann und muß hier stets der Ton mit der Stärke und der Ton mit der Stärke gehört werden. Müssen nun aber diese Töne mit dieser Stärke gehört werden, so scheint mir für einen dritten gar nichts übrig zu bleiben. Mir scheint die Erscheinung des Combinationstones nur auf Kosten jener beiden Töne möglich zu seyn.“

  5. Der Erfolg dieses Versuchs scheint übrigens, wie zu erwarten war, nicht unter allen Umständen gleich zu seyn; ich habe bei einigen Versuchen mit Saiten und Orgelpfeifen weder jene Verstärkung des tieferen, noch eine Schwächung des höheren Tones mit einiger Deutlichkeit bemerken können, indem ich immer beide Töne noch zu kenntlich unterschied.
  6. Ich werde diesen Gegenstand in der gleich nachfolgenden Abhandlung weiter ausführen.
  7. Andere Akustiker, namentlich Pellisov und Cagniard-Latour würden übrigens, wenn ich nicht irre, wohl nicht einmal dieß zugeben.
  8. Ich habe der Einfachheit wegen genommen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Georg Simon Ohm: Ueber die Definition des Tones, nebst daran geknüpfter Theorie der Sirene und ähnlicher tonbildender Vorrichtungen. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 135, Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1843, S. 513 Quellen
  2. August Seebeck: Ueber die Sirene. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 136, Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1843, S. 449
  3. G. S. Ohm: Noch ein Paar Worte über die Definition des Tones. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 138, Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1844, S. 1 Quellen
  4. Wilhelm Eduard Weber
  5. Vorlage: physischen (korrigiert laut Berichtigungen)
  6. Vorlage: 2) fehlt vor auch (laut Berichtigungen)
  7. Beobachtungen über einige Bedingungen der Entstehung von Tönen. In: Annalen der Physik und Chemie. Band 129, Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1841, S. 417 Quellen
  8. Vorlage: Danach (korrigiert laut Berichtigungen)