Ueber die Gemäldeausstellung in Dresden vom 5ten März itztlaufenden Jahres 1767
Ich bin kein Kenner von der Malerey, und Sie verlangen, mein Herr, ich soll Ihnen von der letztern Gemälde-Ausstellung in Dresden etwas schreiben. Vielleicht weil die Kenner, oder diejenigen Freunde, welche Sie dafür halten, zu träge sind, Ihrem Verlangen Genüge zu thun? Eine schöne Aufmunterung für uns Unwissende! wir hören treuherzig, was die Gelehrten sagen, und folgen noch treuherziger unsern Empfindungen. Würde mir ein Künstler von seiner eignen Arbeit erzählen, daß er alles, was die Kunst von dem Gegenstande erfordern kann, geleistet habe, so nehme ich es mit aller Ehrerbietung an, weil doch einmal das Sprüchwort rechtskräftig geworden ist, daß man dem Künstler in seiner Kunst glauben müsse. Mit einer tiefen Verbeugung beurlaube ich mich dann von dem Künstler, und gehe, mir selbst überlassen, wohin mein Auge gelockt wird. Und hier, wenn ich darnach urtheilen sollte, sehe ich eben die Gefahr vor mir. Der gelehrte Hr. Alembert mag Unglück oder Wehe über alle die Werke der Kunst ausrufen, deren ganze Schönheit allein für die Künstler ist[1]: sein Ausdruck wird mich nicht schützen.
Um also wenigstens diesesmal nicht wider die Ordnung zu verstoßen, war ich, gegen alle meine [159] Empfindung gewaffnet, fest entschlossen, mich erst sorgfältig nach den Werken jedes Künstlers zu erkundigen, bevor meine Empfindung mir eine Ordnung der Kunstwerke aufdränge. In dieser geflissentlichen Fassung des Urtheils, die man, wenn sie nicht geflissentlich geschieht, Vorurtheil zu nennen pflegt, näherte ich mich dem ersten Ausstellungszimmer, in Willens so fort in das Innerste einzudringen. Allein ich konnte nicht weiter. Die Menge der Zuschauer versperrte mir den Weg; und ich war genöthigt, mich bey einer Wand aufzuhalten, wo die Werke der jungen Baukünstler aufgestellet waren. Diese Verweilung gereuete mich nicht, meine Neugier wurde mit lauter wirklichen Erfindungen der Lehrlinge des Professors der Architektur, des Hofbaumeisters Krubsacius, befriedigt. Perspectivische Vorstellungen wechselten mit Landhäusern ab, und ich übersann eben die Anlage eines artigen Gartens, als das Gedränge der vielen Menschen mich auf einmal auf die andre Seite brachte, wo mir anatomische und andere Zeichnungen die Schule des Prof. Casanova so sicher, als die Thierstücken, den Unterricht unsers Roos, verriethen: Bey andern schien mir die Zeichnungsart die fortgepflanzten Lehren des Direktor und Professor Hütins zu entdecken, als ich meinen Weg neben einer modellirten Minerva nahm, und bey der Arbeit eines Lehrlings des Prof. Knöflers, einen der Nebenstehenden fragte: von welchem Meister? so vorzüglich schien mir der Versuch eines Jünglings! Zu gutem Glücke gab niemand Achtung, und bey den Uebungen der jungen Kupferstecher [160] glaubte ich insonderheit an der Arbeit eines noch nicht sechszehnjährigen Lehrlings des Prof. Canale, der eine Landschaft nach Dieterich, unmittelbar nach dem Gemälde, in Kupfer gebracht hatte, viel Talent zu bemerken. Mir gefiel die Absonderung; und ich vernahm, daß den Erfindern, oder auch solchen, die in Oel gemalt, eine besondre Wand vorzüglich angewiesen worden. So wenig ich anfänglich willens gewesen war, mich so lange in diesem ersten Zimmer aufzuhalten, so unwillig verließ ich es doch, da ich mir an dem, was ich gesehen, die zukünftige Akademie, um derentwillen, wie ich vermuthe, die itzige Akademie errichtet worden, im Geiste vorstellen konnte. Ich blieb aber nicht lange in dieser süssen Betrachtung: denn ich mußte den neugierigen Nachfolgern Platz machen, und das nächste Zimmer, wo die Wände den Werken der Unterlehrer oder sonst mit Gnadengehalte begünstigten Künstler [WS 1], gewidmet, der große Erker aber den Versuchen eigentlicher Liebhaber überlassen war, überführte mich, daß auch für die Theilnehmung der letzteren an diesen gemeinnützigen Anstalten war gesorget worden. Das Beyspiel der Frau Generalinn von Löwendal[2], die zwo schöne Pastelgemälde, das Mitleiden und eine weinende Person, nach Rotari ausgestellt hatte, [161] und anderer Standespersonen konnte, da deren Kunstwerke der Bestimmung würdig, auch die Absicht, den Geschmack in allen Ständen auszubreiten, unläugbar befördern. Eben so anziehend wird auch vermuthlich, in künftigen Fällen, die eigene Reizung der Werke derjenigen Großen seyn, die das Ansehen des Beyspiels mit dem Ansehen der Person vereinbaret verlangen. Von der Madem. Dinglinger vergnügte mich das Bildniß ihres seitdem verstorbenen Vaters, eines in vielen Theilen geschickten Künstlers, ingleichen ein Nachbild nach Titian in Miniatur, und von der Madem. Riedeln in Oel ein Gemälde nach Franz Mieris, vom Hoftheatermaler Bibiena eine architektonische Vorstellung für den Schauplatz. Mein einmal auf die Höhe gelocktes Auge führte mich auf einige schöne Zeichnungen, die zusammen den Grundriß und den Aufriß einer römischen Kirche, von der Erfindung des nunmehrigen Cammerconducteurs Staffel, eines Sohns des Hrn. Appelationraths dieses Namens, vorstellten. Ich bedauerte, daß der Raum, der so vielen kleinen Gemälden, besonders zwoen in Oel gemalten meisterhaften Landschaften mit Vieh, von der Erfindung des jungen Wagners, eines Neffen unsers Dieterichs, gegönnet werden müssen, mir jene große architektonische Risse eines gewesenen Lehrlings der Architektur-Akademie, in der Nähe zu betrachten, nicht vergönnte. Unter jenen kleinen Sachen lobte man die geistreiche Zusammensetzung einer Kreuzigung in Pastel, von der Erfindung des Unterlehrers Mietschens sowohl, als einige freye Zeichnungen von seiner Hand. Der [162] Unterlehrer Felber hatte sich an Gemälde in der Poelenburgischen Art gewaget. Auf einem Tische im Erker lag die der Akademie der Künste zugeeignete sorgfältige Uebersetzung des Blondelischen Werkes von Landhäusern, in zween Bänden, von Beckern und Franken. Ich eilte aber aus diesem Zimmer, weil ich noch drey Zimmer vor mir hatte, für Meissen, Leipzig und gesammte Akademie. In dem ersten erblickte ich einen Amor im Gewölke mit einem Pfeile in der Hand, ein Modell in gebrannten Thon des Hrn. Acier, eines aus Frankreich zur Meißner Porcellanfabrike berufenen Künstlers. Der schalkhafte Blick des Amors würde Ihnen, wie mir, gefallen haben. Ich ward aber aus meiner stillen Aufmerksamkeit, durch die lautere Aufmerksamkeit derjenigen gezogen, welche einen lachenden Knaben bewunderten, dessen Schwester sauer sieht, daß er ihr eine Taube nehmen will. Dieses Gemälde des Hrn. Lindner ist nach der Natur in Pastell, sowohl als noch zwey Gemälde mit Papogeyen und andern Vögeln. Ich bemerkte nur im Vorbeygehen etliche Kupferstiche, den Prospekt von Meissen und anderer umliegenden Gegenden, von Probsthayn nach der Natur gezeichnet, und von Wernern, einem Lehrlinge des Boetius, in Dresden gestochen. In wiefern die guten Absichten auf den topographischen Nutzen solcher Vorstellungen Aufmunterung verdienen, überlasse ich ihrer Beurtheilung. In der Kunst will man von allem[3] haben.
[163] In diesem Grundsatze ward ich durch dasjenige bestärkt, was ich in den Zimmern der Leipziger Pflanzschule erblickte. Welch eine Mannigfaltigkeit! Der Urheber einer Landschaft in Wachsmalerey (auf feine Leinewand) die mir beym Eintritte in dieses Zimmer, nebst einigen Zeichnungen der Unterlehrer Geyser und Stein entgegenstieß, ist mir unbekannt: bekannter war einigen, das Urbild derselben; aber der bloße Einfall, dergleichen Arbeit zu liefern, war mir schon willkommen. Ein Modell in Thon von Hrn. Schlegel, zeigt den auf dem Scheidewege der Tugend und des Lasters sinnenden jungen Herkules, er steht in tiefen Gedanken, mit den Gesicht gegen die unter dem Bilde der Minerva vorgestellte Tugend gekehrt, wie etwan Dryden den Theseus beschreibt:
Deep Thought was in his Breast, and Counsel in his Face.
Dieses Modell macht, so viel ich davon urtheilen kann, dem Künstler wahre Ehre: und wie sehr wünschte ich der Vorstellung eine feinere und dauerhaftere Materie! Von einem neuen Mitgliede der Leipziger Akademie, Bause, sah man auf Gips eine schöne Kupferplatte abgedruckt: die fleißige Hausfrau, nach Gerhard Dow aus der Sammlung des Hrn. Winklers in Leipzig, der die Künste mit demjenigen Nachdrucke liebet, der sie allein zu heben vermag. Es ist [164] dem Hrn. Wille in Paris, so wie ein andres Blatt: das Gepäcke, nach Wouvermann von Hrn. Geyser, dem Professor und Direktor Oeser zugeeignet. Ein andres von eben dieser Hand, nach Salomon de Bray, ist die von der Sara dem Abraham zugeführte Hagar, alle aus vorgedachtem Cabinette. Eine nach der Natur gezeichnete radirte Gegend um Leipzig von Hrn. Herrmann, einem würdigen Sohne des Gottesgelehrten dieses Namens, und eine nachgeahmte Zeichnung nach Tiepolo von Hrn. Lindemann, dem Sohne des Hrn. Vicepräsidenten. Sie überzeugten mich von der rühmlichen Begierde, mit der viele daselbst Studirende sich den Geschmack in Künsten zu erwerben suchen, und sich den großen Vortheil des öffentlichen Unterrichts zu Nutze machen. Diejenigen, denen aus eigenem Triebe dergleichen Unternehmungen gelingen, bedürfen nicht sowohl Aufmunterung, aber sie können diese destomehr andern geben, die der Beruf zu dergleichen Beschäfftigung bestimmt. Von dieser letztern Art sind die Arbeiten des Hrn. Liebe und Stock, und es wird selbst dem Verlage der Bibliothek der schönen Wissensch. nicht schaden, wenn zu desselben Verschönerung, der Sohn der Frau Verlegerinn seine merklichen Talente auf eine so löbliche Art anwendet. Alles dieses mußte ich Ihnen, mein Herr, erst sagen, bevor ich Ihnen mein Vergnügen über so mannichfaltige Zeichnungen sowohl der menschlichen Figur, der Blumen und Zierathen, der Malerey von Mechau nach Hondhorst, und der feinen Zeichnung des jungen Oesers nach Mignard so wenig zu vergessen, als der geometrischen, perspektivischen und [165] architektonischen Aufgaben, jene unter der Direktion des Professor Oesers, diese unter der Anführung des Architekt. Habersangs anzeige. So wenig ich von den bildenden Künsten selbst mit Urtheilen der Kenner herauszugehen mir getraue, so darf ich Ihnen doch meine Ueberzeugung von deren Einfluß auf andre Künste nicht verbergen. Dagegen werden Sie mir erlauben, in dem Zimmer, wo sämmtliche Werke der akademischen Mitglieder vereinigt zu finden waren, behutsamer zu gehen. Bey einer Zeichnung von der Erfindung und Hand des Professor und Hofbaumeisters Krubsacius blieb ich gleich beym Eingange stehen, und verbot meinen Augen sich den Reizungen der umstehenden Gemälde zu überlassen. Durch das Beyspiel eines prächtigen Hauses von 118 Ellen lang, und von vier Geschoß, 31 Ellen hoch, ohne das Dach, eines Hauses, daran nicht das geringste Blümchen oder Laubwerk zu sehen ist, hat der Baukünstler das Vorurtheil, als ob das Ansehen eines Hauses nicht ohne Verzierungen von Bildhauer- oder Stucaturarbeit schön seyn könne, widerlegen wollen. Die Ansicht dieses Hauses besteht aus einem toscanischen Unterbau von zwey niedrigen Geschossen im bäurischen Werke, darüber sich eine dorische Ordnung von Wandpfeilern nach den strengsten Regeln in Eintheilung der Dreyschlitze und Zwischentiefen erhebt, die im Mittel gehöriger Maaßen vorspringt und mit einem Giebel gedeckt ist. Solche Ordnung begreift das sogenannte schöne Geschoß und ein darüber liegendes Halbgeschoß in sich. Das ganze Gebäude ist mit einem gebrochenen Dache gedeckt, [166] und im Giebelfelde ist, statt des Schildes, ein Ovalfenster angebracht. Das Vorzüglichste aber dieses Hauses besteht in einem großen Portale mit zwo freystehenden toscanischen Säulen, die einen Austritt vor dem mittelsten großen Bogenfenster unterstützen, am Fuße dieser Ordnung steht das einzige Wort: ARTI.
Gleich diesem schönen Risse gegen über war das Gemälde des Hrn. Oesers, dem Gemälde des Hrn. Hütin entgegen gestellt. Des letztern Kunstwerk zeigte einen jungen Zeichner, der bey der Lampe, welche ein fliegender Genius der Künste ihm hält, nach einer Statue zeichnet. Darunter waren ein paar kleinere Gemälde, auf deren einem eine Aufwärterinn in der Stellung vorgebildet war, als ob sie jemand mit ins Zimmer zu gehen nöthiget: auf dem andern eine Strickerinn. Von dem Oeserischen Gemälde will ich nur den Gegenstand berühren: Der in einen Kriegsknecht verkleidete, doch nach seiner langen Gestalt vorgestellte König Saul, liegt, über sein Schicksal, das er von dem Schatten Samuels vernommen hatte, erschrocken, auf dem tiefern Vorgrunde zu Boden: der nächste Kriegsknecht will ihm aufhelfen, immittelst leuchtet die Zauberinn, nicht weniger bestürzt, auf den gefallenen Saul mit der Fackel hinab. Bey dem lichte dieser Fackel entdecket man ihr jugendliches Gesicht und zugleich den Unmuth und den Zorn des andern Kriegsknechts, der sie drohend ergreift[4]. Doch ich darf mich nicht zu lange bey [167] einem Gemälde aufhalten, das an einem der schönsten Gemälde von Dieterich die würdigste Nachbarschaft [168] hatte. Wenn ich Ihnen sage, daß das Casanovische Gemälde, die Sophonisbe, in dem Zeitpunkte da sie den von dem Masinissa durch einen Soldaten überschickten Brief gelesen, und nach dem Giftbecher greift, die Mitte dieser Wand einnahm: daß dieses von zwo schönen Landschaften mit Vieh eingeschlossen war, wovon das erste einen von Wasser umflossenen Felsen, das andre einen Wasserfall, von Roos dem Auge vorlegte, daß beyde in der Nachbarschaft zwoer andrer reizenden Landschaften mit Vieh von Dieterich standen, eine, wo man auf dem Mittelgrunde einige [169] Ruinen entdeckte, mit einer hervorgetriebenen Heerde, die andre mit einer auf den Vorgrund ruhenden Heerde mit Felsen im Mittelgrunde linker Hand, daran der durchspielende Wasserfall vermittelst einer vorüber durchs Wasser getriebenen Heerde anmuthig gebrochen wird; wenn ich hinzu setze, daß diese hinwiederum zwo Dieterichische historischen Stücke, die Wiederkunft des verlornen Sohnes, und die Arbeiter im Weinberge vorstellend, auf der Seite hatten; daß sich damit ein sehr gutes kleineres Viehstück mit einem aufrechtstehenden braunen Stier vom Prof. Roos vereinte, das auch die Ehre hat bey Sr. Churfl. Durchl. aufbewahrt zu seyn; über welche hin und wieder Graafische Bildnisse und unter jenen eine Reihe der besten Kupferstiche und Zinggischen Zeichnungen hiengen: wenn ich, sage ich, dies hinzu setze; so werden Sie mir leicht glauben, daß eine Wand mit solchen Schilderungen einen Kenner sehr müsse gereizt haben: ich vor meine Person würde, aber ohne den herrlichen Ausdruck an dem verlornen Sohne zu verkennen, des Schmelzes der Farben zu geschweigen, stets wieder auf das erstgenannte Dieterichische Gemälde zurücksehen müssen. Ich gab immer auf dasjenige Acht, was etwan Kenner davon urtheilen würden, um Ihnen, mein Herr, wenigstens, wie es mit Ueberlieferung der Kunstbeurtheilungen nicht selten zu geschehen pflegt, mit deren Wiederhalle ergebenst aufzuwarten. Allein ich mußte mich eigner Beobachtung in Ansehung der Wirkung in jenem Gemälde und der mannichfaltigen Leidenschaften der den neugebornen Heyland, anbetenden Hirten überlassen. Das Licht [170] kömmt, wie in einem gewissen berühmten Gemälde, wo ich nicht irre, von Correggio, und zwar die Nacht genannt, von dem Kinde, und verbreitet sich auf die, theils um dasselbe knienden, theils stehenden Hirten und ihre Weiber nach der Stufe der Entfernung und in einer Klarheit, die mich muthmaßen ließ, daß dieses reine Licht diesem Gegenstande, so wie das Fackellicht in dem Oeserischen Gemälde, richtig, und in beyden dem Eigenen der Vorstellung angemessen sey; ich will so viel sagen, daß das letztere die Natur des Fackellichts, das erstere aber denjenigen Begriff vollkommen ausdrücke, den wir, unter der angenommenen Bedingung, uns von dem erhabenen Gegenstande machen können. Mein Vortrag würde auf einmal zu ernsthaft werden, wenn ich die besondre Gemüthsfassung des in mehr als einem Verstande gebeugt scheinenden Hirten, der lebhaft gerührten knieenden Hirtinn, beyder auf dem Vorgrunde, eines andern über den reizenden Anblick des heilbringenden Kindes freudigen Schäfers, neben welchem ein dritter mit aufgehobenen Händen, Gebete gen Himmel schicket, andere beyderley Geschlechts sich mit einander, über die frohe Begebenheit unterreden, beschreiben sollte, und gleichwohl würde meine Beschreibung nichts als Empfindung, nichts von der Kunst enthalten. War es Empfindung einer einmal zur Andacht aufgebrachten Fassung, oder sonst etwas, welches die meisten an der Hauptfigur eines andern weltlichen Gemäldes die Bildung des schreibenden St. Johannes des Evangelisten finden ließ, das getraue ich mir nicht zu entscheiden. Aber in der That fand [171] ich, daß, ohne die Gesetze der Statik zu wissen, eine Dame von einem auf einer Kugel sitzenden Engel, dessen senkungswidrigen Stand ohne Wunderwerk unmöglich hielt. Zum Glücke ist es nur eine Nebenfigur an dem guten Modelle des Professors Coudray zu einer Vorstellung der in den Himmel aufgenommnen heiligen Jungfrau. Ein für Kenner der Muskelwissenschaft recht gelehrtes Modell hatte der Professor und Hofbildhauer Knöfler ausgestellt: den geschundenen Marsyas im vollem Ausdruck der Schmerzen, und den Apollo in dieser Verrichtung, die ich lieber dem in gewissen mythologischen Beschreibungen angeführten scythischen Knechte gönnte. Der Direktor und Professor Hütin hatte bey dieser Gelegenheit seinen Charon, der ihm vor zwanzig Jahren in Paris so viel Ehre gemacht hatte, mit ausgestellt. Je schöner dieses Modell ist, destomehr schien die Bildhauerey dem Künstler Vorwürfe zu machen, daß er sie der Malerey aufgeopfert habe. An der letzten Wand sah man, nebst Zeichnungen zu Vorbildern für die Jugend, auch einige radirte Blätter des nur genannten Künstlers.
So hat mich die Bildhauerey von der Malerey abgebracht, von welcher ich Ihnen zwey Gemälde von Belotto, genannt Canaletto, eines eine trümmervolle Gegend vor dem pirnaischen Thore, das andere, eine angenehme Gegend, von Gamich aus, vorstellend, und drey Bildnisse des Hrn. Graafs, eines den Hrn. Generalfeldzeugmeister und Starosten Grafen von Brühl, das andre den Hrn. General-Postmeister [172] von Schönberg, das dritte den Herrn Obristen von Sacken vorstellend, auf Abschlag, anzuführen habe. Ich sage auf Abschlag: denn ich suche eine Gelegenheit, Ihnen zween der besten Bildnisse, dieses beliebten Künstlers bey andrer Gelegenheit bekannt zu machen: das dritte, das Bildniß des Hrn. D. Ernesti, kennen Sie, und die erstern beyden sind zur Ausstellung für diesesmal vergeblich gewünscht worden. Vielleicht würden Sie bey dem einen hier schwerlich auf den Hrn. C. M. F. v. F. rathen, da Sie dessen brennenden Eifer für die Beförderung und Aufnahme der Künste kennen.
Ich schreite zu den Kupferstichen, wo das Bildniß Sr. Königl. Hoheit des Durchl. Administrators von Canale nach einer casanovischen Zeichnung, und die Instruction paternelle, eines abwesenden Mitglieds des Hrn. Wille nach Terburg das Mittel einnahm. Von Camerata sah man den barmherzigen Samariter nach Feti aus der Churfl. Galerie, das schon in der Bibliothek angeführte Blatt, ein Crucifix nach Piazetta, und zween Köpfe nach Rotari. Zucchi war in Ausarbeitung, der sieben Sacramente von Crespi, lo Spagnuolo di Bologna genannt, glücklich fortgefahren, und lieferte die römische Firmelung, zugleich aber den von ihm sogenannten Enseigne en idée, mach Piazetta, beyde aus der Churfürstl. Gallerie. Dem Boetius dankten die Liebhaber diesesmal für seine sorgfältige Nachahmung einer Bernhard-Picartischen Zeichnung mit der Feder und der Tusche, die [173] Marter der Maccabäerinn mit ihren Kindern, und im Kupferstich den innern Platz eines Gasthofes, mit beladnen Mauleseln nach Hans van Lin, beyde aus der Hagedornischen Sammlung.
Was soll ich aber von dem Herrn Zingg sagen? Dieser geschickte Künstler hat sich große Verbindlichkeiten auf die künftigen Jahre aufgeleget, wenn er uns bey der diesjährigen Ausstellung nicht zu sehr verwöhnt haben will. Sieben Kupferblätter auf einmal! Darunter sind die beyden nach Mettay: Port près de Naples und Golfe près de Naples ganz neu. Zu den ältern, die hier aber nicht weniger willkommen waren, gehören, I. & II. Vûë d’Autriche, nach dem jüngern Brand in Wien; la Lune cachée, nach Art van der Neer; und nach Schützen in Frankfurt, I. & II. Vûë du Mein[5]. Unerwarteter waren mir anfänglich fünf Zeichnungen von der Erfindung und Hand des Künstlers, den Mondschein mitgerechnet, welcher, der Größe nach, vielleicht zum Gegenbilde nurgedachter meisterhaften van der Neerischen Landschaft dienen könnte, da der Künstler schon angefangen [174] hat, ihn in Kupfer zu stechen. Fürs künftige werde ich Sie also zu den angenehmsten Erwartungen berechtigen dürfen, nachdem einer von den Umstehenden versicherte, und mir auch nachher bestätigt wurde, es sey dieser Künstler gewohnt, wo er sich aufhalte, die schönsten Gegenden mit malerischer Wahl abzureissen; und da es ihm an Gegenständen um Dresden nicht fehle, so werde vermuthlich mehr als eine sächsische Flur in Kupfer erscheinen. „Wohl, versetzte ein andrer: so müßten sich aber mehr geschickte Kupferdrucker nach Sachsen wenden: und gewiß, mancher muß die allda getroffenen Anstalten zur Vermehrung und zum Vertriebe guter Kupferstiche nicht erfahren haben, oder seiner Kunst nicht recht gewiß seyn; denn sonst –“
Hier wurden der Eifer dieses Patrioten und meine Aufmerksamkeit zugleich unterbrochen. Ich sah mich genöthigt, meinen Platz andern Liebhabern zu überlassen, und ich befand mich endlich nicht ungerne den beyden architektonischen Blättern gegen über gestellt, welche mich mit einer Erfindung des Architekt Habersangs, der die Architektur bey der Kunstakademie in Leipzig lehret, bekannt machen sollten. Dieses war, nebst beygefügten Grundrisse, ein nach den strengsten Regeln der mathematischen Perspektive aufgeführter Prospekt einer Gallerie mit ionischen Säulen und Bogenstellungen, nebst einer großen Freytreppe, woran eine kleine Cascade angebracht war. Der Fleiß dieses Mannes verdiente auch durch solche Merkmale des Geschmacks empfohlen [175] zu werden. Die Wissenschaft bildet den Künstler wie den Gelehrten; keiner kann des Geschmacks entbehren; allein, sollte der Mangel desselben bey einem von beyden zu vermissen seyn: so würde der Gelehrte meines Bedünkens, mit weniger Geschmack sehr oft, der Künstler ohne Geschmack niemals zurechte kommen, nicht leicht nützen, insgemein aber schaden können. Ich urtheile vielleicht davon, nach dem Sprüchworte, wie der Blinde von der Farbe. Mir deucht indessen, daß, nicht um dem Mangel strenger Regeln vorzukommen, (denn darinnen fehlt der Unterricht auf hohen Schulen nicht;) sondern um den guten Geschmack auszubreiten, und gegen den verderbten Geschmack alle Künste, deren Werke der Symmetrie und schöner Formen fähig sind, zu sichern, Kunstakademien errichtet, und selbst den Gelehrten ehrwürdig werden.
Auf diese Betrachtungen brachte mich die Baukunst, und ich hoffte, meine Neigung zu derselben durch Wahrnehmung irgend eines schönen Risses von der Hand des Hrn. Oberlandbaumeister Exners als Professors der Akademie der Architektur, zu befriedigen: allein ich vernahm bald, daß diesen verdienten Mann die überhäuftesten Geschäffte davon abgehalten, aber uns nicht die Hoffnung benommen hätten, künftig etwas von seiner Hand an diesem Orte zu sehen. So brachte uns die Unpäßlichkeit des Hrn. Hofmalers Christian David Müllers, um Bildnisse von seiner Hand in Pastel: und was für die Liebhaber der Künste am empfindlichsten hätte seyn müssen, wenn [176] es einer entzogenen Aufmunterung der Kunst hätte beygemessen werden können, war, daß in diesem akademischen Saale nichts von der Hand der größten Beschützerinn derselben anzutreffen. Die obwohl Gottlob! glücklich überstandene Krankheit der Durchlauchtigsten Churfürstinn, hatte diese Folge gehabt; doch war der Akademie jene Ehre wirklich zugedacht gewesen; und die angenehmste Erwartung ist, so bald sie, wie diesesmal, genehm gehalten worden, der gnädigsten Aufmunterung gleich zu schätzen.
Ich nahm also meinen Rückweg, nicht blos einen Blick auf dasjenige, was ich gesehen hatte, zurück zu schicken; sondern auch noch vieles zu entdecken, das ich in der Eile übersehen hatte. Eine Zeichnung mit Tusche von dem Prof. Camerata nach Franz Mieris, um sich den Kupferstich fürs künftige zu erleichtern, zeigte völlig den Fleiß der Malerey. Ich weis nicht, ob des Camerata Grabstichel in diese Manier, einschlägt: die Zeichnung erlaubt wenigstens die günstigsten Vorurtheile. In dem Erkerzimmer waren noch zwey artige Miniaturgemälde von Dolsten nach van Dyck, besonders aber ein Blumenstück mit Saftfarben von der Jgfr. Friedrichen zu bemerken, deren Gemälde nur so bekannt, als der Jgfr. Dietschin in Nürnberg kleine Gemälde seyn sollten, um die Aufmunteṛung mehr als eines Kenners zu gewinnen.
Das Landschäftchen von jungen Stölzel nach Dieterich in Kupfer gestochen, hoffe ich Ihnen nächstens mit andern Sachen zu schicken, um ihre Gedanken [177] von dieser jungen Pflanzschule zu vernehmen. Bey dem Rückwege fand ich das Nebenzimmer offen, das zur Ausstellung künstlicher Zeichnungen und Modelle, und andrer vorzüglichen Arbeiten und Erfindungen geschickter Werkleute gewidmet war. Der Anfang war einmal damit gemacht. Ueber die Aussichten, die mit diesen Veranstaltungen verbunden sind, darf ich, itzt wenigstens, nicht schreiben. Vielleicht verspricht der große Zulauf des Volks nach und nach geöffnete Augen, in mehr als einem Stande. Ich schließe: mein Brief ist ohne hin zu lang; und, nachdem mich meine oft überflüßigen Betrachtungen über gewisse Gegenstände hingerissen haben, sich selbst ungleich. Uebersehen Sie jene, und behalten Sie diese: so giebt der Auszug wenigstens ein Verzeichniß der ausgestellten Kunstwerke. Mehr verlangten Sie ja nicht? Ich bin etc.
- ↑ Malheur aux productions de l’Art dont toute la beauté n’est que pour les Artistes! Eloge de Mr. de Montesquieu.
- ↑ Die gewesene erste Gemahlinn, des in französischen Diensten verstorbenen Marschalls Grafen von Löwendal, die auch wegen ihrer Liebe zur italiänischen Dichtkunst und Uebungen derselben von den Arcadiern in Rom, unter den Namen Euridice Coritesia, als Mitglied aufgenommen worden.
- ↑ Also sah man in den vorherbeschriebenen Zimmern auf Schaumünzenart, Brustbilder in Wachs besonders des Durchl. Administrators nach Casanova vom jungen Wermuth, einem angehenden Stempelschneider.
- ↑ Da der Hr. von Hagedorn am Ende seiner Betrachtungen über die Malerey eine Beschreibung eines Gemäldes eben dieses Innhalts vom Hrn. de Marcenay Deghui eingerücket, so wird es vielleicht Kennern, die die Oeserische Idee dagegen halten möchten, nicht unangenehm seyn, wenn wir ihnen hier eine vollständigere Vorstellung des obangeführten Gemäldes vorlegen. Der vom Herrn verlassene Saul, welcher zu Endor das Weib, die einen Wahrsagergeist hatte, um Rath fragt. Der Vorgang ist in ihrer finstern Wohnung, wo ihm Samuel sein trauriges Urtheil sprach. Der Geist ist verschwunden, nach dessen Rede Saul zur Erde fiel so lang er war; und die Wahrsagerinn tritt mit seinen Begleitern herzu, ihm beyzuspringen. Verwundernd und zagend steht sie zur Rechten auf den Stufen, über welche der König herabgefallen zu seyn scheint. Sie ist, wider die Gewohnheit der meisten, wohlgebildet. Eine streifigte Binde ziert ihr jugendliches Haupt, ein Band, woran ein Edelgestein glänzt, ist der Schmuck ihrer Stirne, und ein aufgelöster breiter Zaubergürtel, mit magischen Charaktern bezeichnet, fließt von ihrer rechten Schulter weit um ihren Rock her. Ihre Linke hebt sie erschrocken auf, blickt ängstlich nieder, auf den vor ihr hingeworfnen Saul, und hält ihn genau zu betrachten, mit der Rechten eine brennende Fackel in die Höhe; deren breite Flamme erhellet die Gegenstände, und die steinern Wände des engen Zimmers stärken die Beleuchtung durch ihren Wiederschein. Neben ihr steht einer der königlichen Vertrauten. Seine Miene ist Schrecken und Zorn. Er droht ihr mit geballter Faust, indem er mit der andern auf seinen Herrn zeigt, und sie, wegen des ihm begegneten Unfalls, zur Rede zu setzen scheint. Der andere greift dem König unter die Arme, ihn aufzurichten, der zur Linken beyde Ellebogen von sich streckt, die Hände auf dem Haupte über einander breitet, und das Angesicht verdeckt. Seine Gestalt unterscheidet ihn, der eines Haupts länger war, denn alles Volk, von den andern Kriegern, denen er sich durch die gewechselten Kleider gleich machte. Zur Linken des Vorgrunds stehet ein irrdenes Gefäß mit Kohlen, deren Glut die beschatteten Partien der liegenden und gebückten Figur aufklärt. Hinten steht das Ruhebette, auf welches er, nachdem er von der Erde aufgestanden, war, sich zu seiner Erholung niederließ, und ein paar Todtenköpfe liegen oben im Bogen der verhangnen Niesche, das Gemälde vier Fuß neun Zoll hoch, drey Fuß sechs Zoll breit.
- ↑ Rechnet man die Bergeres ambulantes nach Dieterich, und die zwey Blätter nach Vernet, 1) Peche heureuse und 2) Ecueil dangereux hinzu, so wird man außerdem, was er zu der Grunerischen Beschreibung der schweizerischen Eisgebürge gestochen, das Verzeichniß der vorzüglichsten Zinggischen Werke beysammen haben. Zwey Blätter nach Claude Lorraine gehören zu den Erwartungen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Künster