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ADB:Beta, Heinrich

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Artikel „Beta, Heinrich“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 486–493, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Beta,_Heinrich&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 12:00 Uhr UTC)
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Beta: Heinrich B. (oder Bettziech-Beta), Nationalökonom und Publicist, hieß eigentlich Bettziech und wurde am 23. März 1813 „in dem armen sächsischen Dorfe“ Werben bei Delitzsch (Prov. Sachsen) geboren. In seinen Adern floß vielleicht, entsprechend der Vergangenheit der Gegend, slavisch-sorbisches Blut. Der Familienname lautete ursprünglich Bettsciech oder Budzitsch; aber deutsch, man kann sagen germanisch fühlte er sein Lebtag vom Wirbel bis zur Zehe, durch Enttäuschungen und Drangsal, trotz Mißverständnisses und Verkennung. Er hat deren übergenug am eigenen Leibe spüren müssen, und doch hat er am Siege seiner Ueberzeugung, an der unverrückbaren Wahrheit der erfaßten Ideen nie gezweifelt. Durchaus deutsch war auch in Gedanke und Schrift seine – des, dem der Versuch, eine Scholle sein eigen zu nennen, rasch mißglückte – Liebe zum Grund und Boden, seine hohe Werthschätzung des Erdreichs und seiner Reichthümer, die ihn zu unablässigem Hinweise auf deren rationelle Ausnutzung trieb, endlich die Abkehr von, leidenschaftliche Warnung vor allen Auswüchsen unmoralischen Geschäftsgebahrens. Das Fehlschlagen aller seiner Versuche, auf einigermaßen sicherer Unterlage zu stehen, verbitterte seine Seele weniger als zu erwarten; aber freilich war der Haß, den diese durch und durch noble Natur allen irgendwie fauligen Zuständen entgegentrug, bitterer, derber als seine Begeisterung für eine gute und edle Sache schwärmerisch und feurig. Warm wurde er jedoch leicht, und diese Eigenschaft zeichnet alle seine Schriften aus und macht sie über ihren vollgültigen sachlichen Gehalt hinaus auf die Dauer zu einer fesselnden Lectüre. Aus einer Familie stammend, die seit jeher Landwirthschaft getrieben hatte, bekundete er für die Bedeutung des „Nährstandes“ immer regsten Sinn, urtheilte er von Haus aus mit naivem Geschmacke und ließ sich darin von keiner noch so einleuchtenden ökonomischen Theorie blenden – er blieb eben im Irrthum Gefühlsmensch. Dessen ungeachtet war er stolz, dem Volke der Denker anzugehören, und die ihm anhaftende lebhafte Phantasie beeinträchtigte die Selbständigkeit seines Ueberlegens kaum. Ein freier, idealer, echtem Fortschritt zugewandter, jeder Gewaltsamkeit abgeneigter, ein durchaus deutscher Geist, deutsch auch darin, daß er allemal bescheiden im Winkel stand, wo es galt, die Minute beim Schopfe zu fassen; und deshalb kam der überaus praktische, aber alles eher als [487] weltläufige Mann nie auf einen grünen Zweig, und sein ganzes äußeres Dasein deckt sich völlig mit dem Schicksale seiner vielen Pläne und Vorschläge.

Zu Halle a. S. in der Lateinschule der Francke’schen Stiftungen, dann auf der Universität gewann er den gründlichsten Unterbau einer vielseitigen Bildung. 1834–38 studirte er daselbst Philologie, Philosophie und Naturwissenschaften, beeinflußt vom philosophischen Radicalismus Arnold Ruge’s, in dessen und Th. Echtermeyer’s „Hallischen Jahrbüchern für Kunst und Wissenschaft“, dem bekannten Organe der umstürzlerischen Gesellschafts- und Culturkritik, „Beta“ β), ein Jung-Hegelianer wie diese, seit c. 1835 die litterarischen Sporen verdiente. Damals promovirte er, jedenfalls in Halle, und übersiedelte 1838 nach Berlin, wo er die Redaction des litterarisch-kritischen Theils von F. W. Gubitz’ „Gesellschafter“ zehn Jahre lang führte, nachdem er sich durch kleinere Artikel, z. B. über Lese- und Theatergeschmack, die Unart einer damaligen Wunderkinderdressur, Pianisterei und anderen überspannten schädlichen Virtuosenthums für eine Schriftstellerei, die sich dem Dienste der Oeffentlichkeit und Allgemeinheit widmete, gehörig geschult hatte. Das erste Auftreten mit eigenem Schilde bekam ihm aber schlecht. In den „Erinnerungen eines Flüchtigen“ berichtete er später: „Ja, ich kann mir hier öffentlich nachrühmen, daß ich vom König Friedrich Wilhelm IV. selbst der erste Märtyrer der Presse unter seiner Regierung genannt ward, und deren Geschichte – die der neuen Zeit – mit Confiscation meines ersten Buches anfing. In Königsberg ist eine Chronik der Regierung Friedrich Wilhelm’s IV. erschienen, worin die Confiscation des Buches: ‚Das Jubeljahr 1840 und seine Ahnen. Von H. Beta‘ als erste historische That dieser Regierung verzeichnet steht“. Und doch verschwisterte diese, 1840 den angejubelten König begrüßende Schrift, die trotz des ‚imprimatur‘ der Censur beschlagnahmt wurde, Beta’s damalige gemäßigt demokratische Gesinnung mit innigster Hingabe an die Einsicht in die Civilisationskraft des über tausend Jahre christlichen Germanenthums und offenem Glauben an die Mission der Hohenzollern – wem hätte das sympathischer klingen sollen als „dem neuen Romantiker auf dem Throne“, dem B. diese Aufgabe dringend anempfahl? Dies Ereigniß discreditirte B. natürlich von vornhinein und lähmte so seine ganze fernere Wirksamkeit. Er steckte sein Wissen und Streben in den Wahn, eine neue Aera, durch harmonische Reform der überkommenen Einrichtungen von oben und unten her, breche herein, und da er das Volk zur Erkenntniß der eigenen Existenzinteressen anzuleiten und zur rechten Theilnahme zu befähigen als sein Hauptziel ersah, so packte ihn nun in erster Linie die sociale Frage. Er ist an ihre Schwierigkeiten niemals mit socialistisch angehauchter Tendenz herangetreten, sondern mit dem Motto: Fleiß, Ehrlichkeit, Vernunft, bedächtiger Fortschritt. Das Werk „Geld und Geist, oder Versuch einer Lösung der arbeitenden Volkskraft“ enthält die sachlichen und ethischen Fundamente seiner bezüglichen Absichten. Der Freizügigkeit und einer nichts weniger als nivellirenden Gewerbefreiheit erstand anfangs der vierziger Jahre in B. einer der ersten und energischsten Vorfechter vor breiteren Schichten. Besonders setzte er sich für den Freihandel ein, den er nicht nur als Handelsfreiheit, sondern als eine Summe praktischer Freiheiten des Verkehrslebens verstand, wie es, von rastlosen gleichzielenden Wiederholungen abgesehen, zuerst sein „Freihandels-Katechismus“ zusammenfaßte. Mit Director Noak, dem spätern preußischen Abgeordneten John Prince-Smith, Stein u. A., die alle die Sache viel doctrinärer anfaßten, gründete er 1846 zu Berlin den Freihandels-Verein, über den er, ein eifriges Mitglied, später in den genannten „Erinnerungen“ bemerkt: „Hier verbrannten wir alle Hoffnungen und Befürchtungen wegen der Revolution und schwelgten in der Heiterkeit und Substantialität ewiger Gesetze des productiven, Mangel und Ueberfluß ausgleichenden Völker-, Cultur- und [488] Weltlebens. Manche Radikale schwärmten damals für Dampf-Guillotinen: wir hatten die Fülle des Lebens für alle Freunde und Feinde ohne alle Grenzen und begannen den jetzt über ganz Deutschland verbreiteten Vertilgungskrieg gegen die Politik künstlicher Fabrikation von Pestilenz und theurer Zeit. Deshalb konnten wir uns auch an der politischen Revolution nicht betheiligen“.

Darüber, daß er im höchsten Grade anrüchig geworden war, trotzdem ihn nur patriotische Absichten beseelten, durfte sich B. weder täuschen noch wundern. Er konnte nicht verlangen, nach den wenigen harmlosen Veröffentlichungen beurtheilt zu werden wie den 1840/41 gedruckten zwei Großoctavbänden „Das Nibelungenlied als Volksbuch. In neuer Verdeutschung [im vergröberten Versmaße des Urtexts] von Heinr. Beta. Mit einem Vorworte von F. H. v. d. Hagen. Mit Holzschnitten von F. W. Gubitz und unter dessen Leitung gefertigt“ – dessen Wesen und Zweck dem Kenner aus den Namen der beiden Mitbetheiligten und Fr. Zarncke’s (Nibelungenlied-Ausg. 4 S. LXX) Schweigen außer dem Titel erhellen – oder der Erneuerung alter deutscher Volksbücher, deren mit „Reineke Fuchs“ begonnene Serie der Selbstmord des Verlegers abbrach. War er denn nicht der arg subjective Redacteur der „Staffette“, die ja zwar alle Probleme der Industrie, Kunst und Wissenschaft, dazu, oft geradezu vorbildlich, alle speciellen städtischen Angelegenheiten – diese noch außerdem in mehreren Heften „Physiologie Berlins“ mit dem Finger auf den gesundheitlichen und ästhetischen Bedingungen der Stadterweiterung – mit Ernst oder Humor, immer aber scharf und treffend vor ihr Forum zog, aber ebenso ohne Scheu in die Streitfragen von Handel und Wandel hineinleuchtete? Die ihre harte Geißel des Tadels oder, je nachdem, der Satire, unbarmherzig auf Vorkommnisse der Politik niedersausen ließ wie auf die Rücken der nackt materialistischen Philosophen, etwas milder auf die Vertreter des damals in vielen unreifen Gehirnen spukenden pseudo-Fichte’schen „Pananthropismus“ oder den Nietzsche-Vorgänger Max Stirner, den Mann der unersättlich egoistischen Moral („Der Einzige und sein Eigenthum“, 1846) und dessen emancipationslüsterne Frau. Ueber ideal ausgedachten, real berechneten Erwägungen und Entwürfen brütete B., der unermüdlich an sich gefeilt und allerlei Anregungen, meistens unter kaustischem Witz gern an Theaterverhältnisse angelehnt, über Tagesfragen verstreut hatte, da ging das gewaltige Gewitter des „tollen Jahres“ nieder. Ihn überraschte es nicht, nur täuschte er sich im Erwarten reinigender Wirkung nach seinem Sinne. Der Tod der Gattin mag ihn dem früher so genehmen Umgange mit interessanten Leuten des vormärzlichen Berlin noch mehr entfremdet haben als seine beginnende Verstimmung über Erfolglosigkeit. Griff er nun allerdings auch nicht thätlich in die Revolutionskämpfe ein – was übrigens wol auch seiner Anlage widersprach – so erweist doch die Thatsache, daß „der von Bettziech-Beta redigirte ‚Krakehler‘ (der eigentliche Vater des ‚Kladderadatsch‘), der wegen seines Einflusses und seiner aufregenden Sprache schon im Januar 1849 verboten wurde“, als Typus für die vielen unterdrückten Preßpflanzen von 1848 gelten kann (Hnr. Kurz, Gesch. d. dtsch. Lit. IV, 932a), sowie die Polemik, die er, der Verfasser vieler damaliger Flugblätter, mit einer Broschüre an der gruseligen Prophezeiung der „Kreuzzeitung“ „Die rothe Fahne wird über ganz Europa wehen“ dahin übte, es könne soweit kommen, wofern man das Volk unbefriedigt oder nicht zufrieden lasse, seinen stark nach links verschobenen Standpunkt. Entschlossen, auf dem Lande innere und äußere Ruhe ein Jahr abzuwarten, erkannte er aus der gerichtlichen Untersuchung wegen Aufreizung zum Hochverrathe (jenem Hefte unterlegt) und der Eventualstrafe von 2–9 Jahren Zuchthaus die über seinem Schicksale schwebende Gefahr. Er entzog sich Ende 1850 oder Anfang 51 dieser durch die Flucht nach London, wo ihm nach einigen Wochen [489] die Zeitung meldete, wie er abwesend und unvertreten von jenem freigesprochen, wegen Preßvergehens zu sechs Monaten Gefängniß verurtheilt sei.

Auf britischem Boden, durch die Anregungen der Riesenstadt zumal, zog er seinen alten Adam aus. Eine kleine, längst verschollene Schrift „Deutschlands Untergang und Aufgang durch Amerika. Von Beta“ (Cassel 1851), die die noch in einer politisch-satirischen Posse „Der Genius Octroa“ wuchernden Schrullen und Sarkasmen endgültig abgestreift zeigt, stellt ihn uns an diesem Wendepunkte vor: jeder officielle Zwang wird verworfen, „wirkliche Demokratie“ nach Art der Cultur des „freien Amerika“ empfohlen, viel vom „freien Menschenthum“ phantasirt, das „Ruhe und Ordnung, Gewerbe und Handel, Humanität und Lebensgenuß“ sei, und am Ende der ideal-communistische Trumpf ausgespielt: „Staat und Kirche werden in dem Grade wahr und wirklich, daß sie jedes Menschen gesellschaftliches Eigenthum mit ausmachen“. In London heirathete B. wiederum, eine Landsmännin, und begründete einen Hausstand englischen Stils, ließ auch 1853 den achtjährigen Sohn Ottomar Hnr. nachkommen, der englische Schulen besuchte und dann neben naturwissenschaftlichen Studien unter des Vaters Controlle Uebersetzungen aus dem Englischen für deutsche Verleger, auch Beiträge über Italienisches zum ‚Morning Star‘ lieferte. B. selbst war während seines Londoner Jahrzehnts journalistisch ungemein fruchtbar. „Die Gartenlaube“ (seit 1853) hat er seit Anfang gleichsam mit in ihren Weltruf in die Höhe geschrieben, die Leipziger „Illustrirte Zeitung“, das „Magazin für die Literatur des Auslandes“ u. a. bediente er außer englischen und andern deutschen Zeitschriften mit regelmäßigen sachkundigen Beiträgen, „aus dem Reichthum und der Fülle von ausländischen und englischen Culturstoffen schöpfend“. Er ward dadurch für Deutschland ein allgemein anerkannter, fleißiger Importeur von fremden Gütern, „zum Nutzen, zur Belehrung und zum praktischen Gewinn seiner Leser“ („Gartenlaube“-Artikel, s. u.). Die Themata, die er da behandelte, fußten entweder in den Beobachtungen und Erfahrungen, die er in sorgfältigem Studium der englischen Zustände gewonnen hatte, oder es waren sonst Ergebnisse seines volkswirthschaftlichen bezw. volkspsychologischen, sociologischen Tiftelns, wenigstens jenseits des Canals neu befruchtet. Der Erfolg seiner litterarischen Thätigkeit für deutsche Blätter ermöglichte ihm eben jene Pachtmiethe von Häuschen mit Garten, wo er mit Weib und zwei Kindern saß, sogar Wohlthaten gegen Landsleute. Das Deutschthum drüben zu hohem Ansehen zu bringen, andererseits zu treuem Zusammenhalten zu veranlassen, war sein redlichstes Bemühn; repräsentativ gelang dies aufs glänzendste bei der vielbesprochenen Schiller-Säcularfeier 1859 im Crystal Palace, wo G. Kinkel’s Rede (mit Kinkel und Dr. Ernst Juch [† Ende Mai 1900 London] hatte B. „Hermann“, den Anfang der „Londoner Zeitung“, redigirt). Freiligrath’s von einem deutschen Vereine gesungene Cantate, der Fackelzug, der erste in England, mit ihrem überaus eindrucksvollen Gelingen anerkanntermaßen wie das ganze grandiose Fest auf sein Conto fielen. Daß dies in dem genannten Riesenetablissement, an dessen Neugestaltung B. als Mittelsmann für deutsche Künstler betheiligt gewesen war, stattfand, nimmt nicht wunder; ebensowenig, daß B. 1856 den starken Band 4 von „Webers illustrirter Reisebibliothek“ lieferte: „Der Krystallpalast von Sydenham, seine Kunsthallen, sein Park, seine geologische Insel“, in höchst lehr- und gedankenreicher Weise. War B. doch gerade während der großen Weltausstellung – 1853 gab er mit Lothar Bucher die „Ausstellungszeitung“ heraus – nach der Themse-Metropole gekommen, wo so mannichfache Ideen seiner Flugschrift „Deutschlands Untergang“, soweit sie kosmopolitisches Vorwärtsstreben mittels friedlichen Wettstreits betrafen, in die That umgesetzt erschienen. Seine Bekanntschaft mit dem Director des Ausstellungsgebäudes des Crystal Palace, Ogilvie, ermöglichte später eben jenes imposante Schillerfest. [490] Ein kühnes Unterfangen, das aber bald durch des Redacteurs Ungeschick zusammenklappte, eine deutsche Ausgabe der „Illustrated London News“, beschäftigte ihn einige Zeit. Ein paar Arbeiten für deutsche Verleger warfen soviel ab, daß man, um die Familie zu fristen, ein kleines Geschäft deutscher Spielwaaren etablirte; trotz entbehrungsvollen Ringens – seine zweite Gattin war die Seele – verloren sie durch die Flucht des betreffenden Hausmiethers nach einem halben Jahre Laden und das Erworbene. Erst seit dem wandte er sich ganz der obbezeichneten publicistischen Ausmünzung seiner gründlichen Umschau in Neuenglands Sitte, geistiger, socialer, mercantiler Cultur zu, wobei er immer die vielen conservirten altgermanischen Züge darin als vorbildlich heraushob, selbst auf die Gefahr hin, einzelne mißfallende Dinge mit in Kauf zu nehmen. In dem Sammelbecken seiner hergehörigen Eindrücke, dem überaus fesselnden Buche „Deutsche Früchte aus England. Erinnerungen und Erlebnisse“ (nach der Rückkehr 1864 in zwei Bänden veröffentlicht, 2. Ausg. 1867) spricht er über das gerade heute actuelle Thema des Wechselverhältnisses der beiden großen germanischen Nationen: „Man muß Jahre lang alle mögliche Details des englischen und deutschen Lebens in dessen Gegensätzen, Aehnlichkeiten und Einwirkungen hin und her erlebt, durchsprochen, gegen Angriffe vertheidigt und Eins durch das Andere corrigiren und verschönern gelernt haben, um zu würdigen, was ich damit meine, wenn ich für ein lebhaftes, gründliches und vielseitiges Tauschgeschäft zwischen englischer und deutscher Cultur und Lebensweise schwärme. Wir importiren damit durchaus gar nichts Fremdes, denn die Schönheiten dieser englischen Cultur und Lebensweise sind echt germanisch, bei uns verkommen, dort in Freiheit und Pflege zu üppigen Blüthen und Früchten erzogen“. Freilich heißt es im Schlußpassus dieses interessanten Memoiren-Werks: „Die Engländer sind uns in Acclimatisirung deutscher Vorzüge weit voraus“.

Endlich 1861 mit der allgemeinen Amnestie beim Regierungsantritte Wilhelm’s I. von Preußen schlug diesem wackeren deutschen Manne die Stunde der Heimkehr, und er ließ sich mit der Gattin und den zwei noch jugendlichen Kindern wieder in Berlin nieder. Mit frischem Eifer und Muthe führte er hier seine litterarische Thätigkeit fort. Zu den bisher von ihm bedienten deutschen Tagesblättern und Zeitschriften traten neu auffordernde, dazu Correspondenzen für Londoner Journale. Anfangs standen ihm noch die Berührungen und gemeinsamen Interessen Deutschlands und Englands im Vordergrunde; das beweisen auch außer dem genannten Werke von 1864 die zwei Bände Erinnerungen „Aus dem Herzen der Welt“ (1866), wo er „zumeist Londoner Zustände und englisches Leben, theils in sehr ansprechender novellistischer Form, theils in einzelnen scharf ausgeführten Skizzen“ schildert (Voss. Ztg.). Bald aber schwenkte B. im Stoffe wie in der Richtung seiner Bestrebungen und deren schriftstellerischen Niederschlägen ab. Mag sein, daß sein unleidlicher körperlicher Zustand diesen Umschwung, der freilich weder abrupt noch unmotivirt in ihm vorging, hervorbrachte. Schon seit 1855 war er theilweise gelähmt, und in den 60er Jahren konnte er erst nur an Krücken, dann gar nicht mehr gehen. Diese traurige Lage, durch erneutes Mißgeschick litterarischer Hoffnungen verschärft, traf den Familienvater hart: die aufopfernde Pflege durch seine Gattin, eine wirkliche Lebensgefährtin und in den letzten zehn Jahren sein Secretär, und des heranwachsenden Sohnes, Ottomar Heinrich, wissenschaftliche und litterarische, sich mannichfach in seinen Bahnen bewegende Anfänge waren ihm erfreulicher Trost. Die deutsche Schillerstiftung bewilligte ihm zu einer Badecur einmalig 200 Thlr., und zwar auf Antrag des ehemaligen Schillercomités in Petersburg (B. hatte aus London fleißig für russische Zeitungen correspondirt), das, sein Vorschlagsrecht ausübend, eine regelmäßige jährliche Ehrengabe für B. erbeten hatte. [491] Trotzdem gerieth dieser in böse Hülflosigkeit, und die unerkenntliche „Gartenlaube“ erließ Frühjahr 1867 einen Aufruf, besser eine Mahnung an die Schillerstiftung, u. d. T. „Ein Märtyrerthum der geistigen Arbeit“. Hatte B. sich schon in London aus Sorge für die Existenz seiner Familie überanstrengt, so versagte in Berlin der abgespannte Körper immer mehr, ohne jedoch die Schaffenslust und den stets reformlustigen Sinn wesentlich zu schwächen. So hat er denn die letzten zehn Jahre, wo zuletzt zunehmende Gicht an Händen und Füßen den zum Rollstuhl Verdammten ganz ans Krankenbett fesselte, in elender leiblicher und pecuniärer Verfassung zugebracht, doch geistig unermüdlich regsam, ungebeugten Gemüths und voll des Glaubens an den Fortschritt, die werbende Kraft der Wahrheit und seine eigenen Reformideen, bis ihn am 31. März 1876 der Tod von seinen Leiden erlöste.

Jenen Uebergang zu neuartigen Themen seines Denkens und Schreibens, der dann die ganze letzte Periode beherrscht, hatte B. etwa 1868 unter seltener Selbstüberwindung vollzogen. Seit diesem Jahre schrieb er eine ganze Anzahl kleinerer und größerer volkswirthschaftlicher Schriften, die sich auf Stadthygiene, Fischzucht und sociale Immoralitäten bezogen. Namentlich zog ihn die gemeinnützige Frage einer rationellen Fischzucht an. Als Ergebnis langjähriger gründlicher Umschau, insbesondere in London, Europas Haupt-Fischstadt, sowie der einschlägigen Litteratur stellte er eine große Fülle von Materialien gesichtet und anschaulich zusammen in dem eingehenden, 28 Capitel langen Werke „Die Bewirthschaftung des Wassers und die Ernten daraus“ (1868). Von dem berühmten Zoologen A. E. Brehm warm bevorwortet und mit 40 Holzschnitten brachte die das Lehrgebäude einer neuen Wissenschaft, der „Hydronomie“, welchen Untertitel B. 1870 der actuellen Broschüre „Neue Werke und Winke für die Bewirthschaftung des Wassers“ beigab; in letzterer behandelte er Nord- und Ostseefischerei, Friesen und Franzosen, künstliche Austern- und Fischzucht in Amerika, Rath und That aus Oesterreich, die Volks-Auster oder Mießmuschel, den Deutschen Fischerei-Verein und die Hydronomie. Sein Wunsch, diese seine nationalökonomischen Vorschläge den Landwirthen nicht minder als den Uferbewohnern ans Herz zu legen, sowie dem Forum der berufenen Fachleute zu unterbreiten, wurde durch die ersichtliche Rücksicht gekrönt, die ihnen seitens der öffentlichen Maßnahmen überlegter Fischzüchtung geschenkt worden ist. Das Ansehen eines Empfehlers wie Brehm, den das Buch als erstes volksthümliches seines Schlags in Deutschland in Form und Inhalt anheimelte, hätte dem eindrucks-, ja begeisterungsvoll stilisirten Handbuche nachhaltigere Achtung erwirken sollen, zumal vielgelesene Journale, z. B. „Europa“, aber auch angesehene land- und forstwirthschaftliche Fachorgane und „Der Zoologische Garten“ es beifällig recensirten. Um die ihm höchst wichtig scheinende Angelegenheit einem jeden bequem zugänglich zu machen, trug er sie dann noch in kräftigen populären Zügen 1873 in Heft 174 der Virchow-Holtzendorff’schen Sammlung gemeinverständlicher Vorträge vor: „Der wirthschaftliche Werth der Wassernutzung durch Fischzucht“; mit Recht mißt er sich darin das Verdienst der einschneidendsten Anregungen zur Verbesserung des Betriebs bei, auch das, den „Deutschen Fischerei-Verein“ mittelbar hervorgerufen zu haben. Auf seinem alten Reviere der Communalhygiene sehen wir ihn thätig in der Schrift „Die Stadt-Gifte und deren Umwandlung in neue Geld- und Lebens-Quellen unter Leitung eines deutschen Gesundheits-Parlaments“ (1870), wo ihn sein chemisch durchgebildeter Sohn unterstützte, ferner in Heft 71 der Holtzendorff-Oncken’schen „Deutschen Zeit- und Streitfragen“: „Wohl- und Uebelthäter in unseren Großstädten“ (1875), welches das moralische und materielle Elend des Großstadt-Proletariats, voran seines Abschaums, der Parias der Gesellschaft, warmherzig schildert und [492] energisch, keineswegs mit den sogenannten „kleinen Mitteln“, beseitigen will, in erster Linie die Wohnungsmisere. Dieselbe furchtlose Offenheit durchdrang ihn auch beim Vorgehen nach zwei anderen Richtungen. Für die eine bemerkt der fachkundige Nekrolog auf B. in der „Staatsbürgerzeitung“: „Welcher, von der Gnade der Zeitungsredacteurs und mehr noch von der Duldung der Zeitungseigenthümer abhängige, arme Litterat hätte wie H. Beta den Muth gehabt, die zersetzende Wirkung der Annonceninteressen auf die Haltung der Presse zu schildern – nicht leise andeutend, sondern in grellen, hell aufflackernden Farben und schlagenden wuchtigen Sentenzen, so daß kein Widerstehen war und trotz aller Opposition wenigstens einige Eigenthümer sich entschließen mußten, der öffentlichen Meinung und dem Andringen ihres Redacteurs nachzugeben. Die Unsittlichkeitsannoncen schwanden eine Zeit lang“ – gemeint ist das 11. Heft der eben genannten Flugschriften-Serie „Deutsche Zeit- und Streitfragen“, „Die Geheimmittel- und Unsittlichkeits-Industrie in der Tagespresse“ (1872). Den andern Schädling packt das 32. Heft derselben Serie, „Die Dichtkunst der Börse“ (1873), bei den Hörnern, wo B., von Sachkenntniß und Gemüthsdrang zugleich geleitet, die socialen Pflichten der rasch in die Höhe geschossenen Capitalisten – einige Zeit hielt er diesen ihren dann berüchtigten Genossen Dr. H. B. Strousberg als Muster vor Augen – für die Gemeinnützigkeit und die unbemittelte Masse zu fixiren versucht. In dieser Flugschrift S. 6 f. hatte B. sich für die Grundlage seiner Ausführungen auf ein englisches „kleines Bändchen“ gestützt, dessen 4. Auflage er 1874 „auf Veranlassung und mit einem Vorworte von Prof. Dr. Franz v. Holtzendorff“, dem Herausgeber der beiden von B. so eifrig bedienten Broschüren-Serien, deutsch vorlegte, Walter Bagehot’s „Lombardstreet. Der Weltmarkt des Geldes in den Londoner Bankhäusern“. Schon in England war B., wie sein Sohn 1899 brieflich es ausdrückt, „nahezu conservativ geworden“; es heißt das bei einem Manne von Beta’s vormärzlicher Vergangenheit, unbedingtem Fortschrittsbewußtsein, logischer Forschung ebensowenig irgendwie reactionär wie er überhaupt auf Partei, Fraction oder nur Doctrin jemals eingeschworen war. Ein Demokrat im höchsten Sinne des Wortes, der den Kern der Gesellschaft, die arbeitende Bürgerschaft mit ihren Ablegern bis in die untersten, existenz- und glücklosen Stufen, sich aus eigenem Ansatze wirthschaftlich heben und säubern sehen wollte, fühlte er sich zugleich seit 1871 deutschnational, wobei er „das neue Deutsche Reich auf dem Grunde germanischer Natur und Geschichte“ – so der Titel seiner feinsinnigen Programmschrift von 1871 – getreu seinen alten Zielen freiheitlich, modern, social, nicht übermäßig centralisirend sich entwickeln hoffte.

Heinrich B. verdient als ein vielseitiger, überaus kenntnißreicher, ideal gesinnter, weitblickender Nationalökonom und Publicist durchaus deutscher, volksthümlicher Art längst eine würdige Schilderung seines Lebens, eine gerechte Charakteristik seines Strebens. Die vielen ehrenden Abrisse und Nachrufe unmittelbar nach dem Tode konnten das dem verkannten, Jahrzehnte lang geistig und körperlich hart geplagten vortrefflichen Manne widerfahrene Unrecht nicht im geringsten gut machen, und seitdem ist er nahezu verschollen. Und doch war er schon vor einem halben Jahrhunderte der Bannerträger derselben nationalen, antiindividualistischen Socialpolitik, die in unserem Vaterlande jedem ehrlichen Fortschritts- und Volksfreunde aller Parteischattirungen, bewußt oder unbewußt, im Blute steckt. – Für vorstehende Skizze verdanke ich dem Sohne Ottomar außer ein paar directen Notizen den bezeichnenden „Gartenlaube“-Mahnruf für den darbenden „Märtyrer der geistigen Arbeit“, – ds.’ (Karl Ruß) gründlichen, liebevollen Aufsatz „Ein deutscher Volksschriftsteller“ i. d. 1. Beilage „Vossische Zeitung“ 1876, Nr. 176, das nachempfindende, wohlmeinende Gedenkblatt Ottomar’s i. d. „Staatsbürger-Zeitung“ 1876, S. 203 f. Im übrigen müssen Beta’s durchweg originelle und charaktervolle Schriften die Quelle sein, [493] seine Anschauungen darzulegen. Wenn er S. 14 der Schrift über den Werth der Wassernutzung durch Fischzucht von Jakobi’s Erfindung der Befruchtung der Fischeier mittheilt: „Die Sache kam nicht einmal in das allwissende Conversationslexikon“, so gilt das auch von B. selbst. Wir begegnen nur 1882 in Bornmüller’s Schr.-Lex. S. 66 f. einer kurzen Biographie, einer ebensolchen äußerlichen Inhalts in Brümmer’s Lexikon4 I, 113 f., wo seine Publicistik gar nicht, sogar die früheren poetischen Reproductionen nur flüchtig erwähnt sind. Beta’s Verleger Carl Winter in Heidelberg und J. F. Richter A.-G. Hamburg förderten diesen Artikel, indem sie Publicationen Beta’s überließen. Hugo Schramm hat B. (Bettzich) in seiner Fortsetzung von Oettinger’s Moniteur des dates VII (1873), S. 23b nachgetragen. Anschauliche begeisterte Schilderung des Londoner Heims und Daseins der Familie bei O. Beta, Deutschlands Verjüngung (1900) I, 17–21 (vgl. S. 29 f.); ebd. VII, 295 f. Wichtiges über H. Beta’s Leidensgeschichte und E. Keil’s („Gartenlaube“) unfeines Verhalten, gegenüber Theodor Fontane’s, damaligen Besuchers des Londoner Hauses, Mittheilungen in seinem „Zwischen 20 und 30“, S. 61 ff.