ADB:Münchhausen, Gerlach Adolf Freiherr von
Gerlach Heino hatte bei der Erbtheilung, welche seinen älteren Brüdern, bez. deren Kindern Alt- und Neu-Leitzkau (bei Jerichow) verschafft hatte, das Gut Wendlinghausen erhalten. Durch seine Verheirathung mit der Erbtochter des Selmnitzschen Geschlechts, Sophie von S., deren Vater der kurfürstlich sächsische Geheimrath und Oberaufseher der Grafschaft Mansfeld, Ernst Friedemann von S. war, erwarb er dazu die Güter Strausfurt (Kreis Weißensee, Regierungsbezirk Erfurt) und Steinburg (Kreis Eckartsberga, Regierungsbezirk Merseburg). Hierher zog er sich zurück, als er 1689 sein Amt eines kurfürstlich brandenburgischen Oberstallmeisters und Kammerherrn wegen Kränklichkeit aufgab, und behielt diesen Wohnsitz bis zu seinem Tode (1710) bei. Aus seiner 1683 geschlossenen Ehe gingen sechs Söhne und fünf Töchter hervor. Einen geschichtlichen Namen haben nur zwei der Söhne erlangt: Gerlach Adolf und sein jüngerer Bruder Philipp. M. war das fünfte Kind, der dritte Sohn seiner Eltern. Ueber seine Schul- und Erziehungsjahre ist nichts bekannt. Eine Angabe, nach welcher er das Gymnasium zu Weimar besucht haben sollte, hat sich nicht bestätigt. Auch die Nachrichten über seine Universitätszeit sind kümmerlich und blos äußerlicher Art. Er hat von 1707–1711 studirt, vorzugsweise in Jena. Hier hörte er B. G. Struve und Wildvogel und wurde durch sie in staatsrechtliche und historische Studien eingeführt; unter des ersteren Vorsitz disputirte er „De legibus, consuetudinibus et forma imperii“, unter dem des letzteren 1710 „De capitulatione perpetua“, einen Gegenstand der Reichsgesetzgebung, der die damalige Zeit lebhaft beschäftigte. Der Besuch von Halle, das im raschen Aufschwunge einen großen Ruf namentlich im jus publicum erworben hatte, war für einen jungen protestantischen Edelmann, der in Staatsdienste zu treten gedachte, unentbehrlich. Die Koryphäen der Universität, der er seit 1710 angehörte, Thomasius, Gundling, der Kanzler von Ludewig, Just. Henning Böhmer waren seine Lehrer. Enge Freundschaft verband ihn mit dem Grafen Gotter (Bd. IX, S. 451). Aufmerksam beobachtete er, wie spätere Aeußerungen bezeugen, die Verhältnisse der jungen Hochschule, die Lehrmethode ihrer Docenten, die wissenschaftlichen und socialen Zustände unter Professoren und Studenten [730] und fand, gereift wie er war, mehr Gefallen an der Hallischen als an der Jenaischen Lebensweise. Nachdem er 1711, der Sitte der Zeit folgend, auch noch eine holländische Universität, Utrecht, besucht hatte, kehrte er nach Jena zurück, um hier 1712 ohne Vorsitz „De vicariatu Italico“ zu disputiren. Damit schloß seine Studienzeit. Es folgte die herkömmliche Reise durch Holland und Frankreich, nach deren Beendigung er 1714 die Stelle eines extraordinären Appellationsrathes in Dresden erhielt. Schon im nächsten Jahre trat er in den Dienst des Landes über, dem von nun an sein ganzes Wirken gelten sollte: König Georg I. übertrug ihm eine der drei Rathsstellen des 1711 gegründeten Oberappellationsgerichts zu Celle, deren Besetzung ihm zustand, während die übrigen sechs durch die Stände besetzt wurden. Am 6. Mai 1716 wurde M. in sein Amt eingeführt und beeidigt. Das Jahr zuvor hatte er sich mit der dreizehnjährigen Sophie von Wangenheim, der einzigen Tochter des 1705 verstorbenen Reisemarschalls von Wangenheim zu Gotha, verheirathet. Neben den ihm durch seinen richterlichen Beruf auferlegten Arbeiten beschäftigten ihn geschichtliche und staatsrechtliche Studien, so daß er als die geeignete Persönlichkeit erschien, um in publicistischen Streitigkeiten, an denen die Zeit nie Mangel litt, verwendet zu werden. So fungirte er 1722 als königlicher Subdelegatus zur Ausrichtung einer kaiserlichen Commission in Sachen des Fürsten von Ostfriesland gegen den Herzog von Sachsen-Barby und führte den Streit in Hamburg glücklich zu Ende. Das Jahr darauf handelte es sich darum, die Augsburgischen Confessionsverwandten in Hildesheim gegen Beeinträchtigungen, wie sie ihnen seit 1720 vielfach gegen die Bestimmungen des Recesses von 1711 zugefügt waren, gelegentlich der eingetretenen Sedisvacanz zu sichern. Die Verfolgung dieser Aufgabe brachte M. in Berührung mit David Georg Strube, der seit 1720 die Stelle eines Syndicus der Hildesheimschen Stände bekleidete und zu so einflußreicher Rolle in der juristischen Praxis und Litteratur nicht blos seiner engern Heimath berufen war. Die Freundschaft, die sich bei dieser Veranlassung zwischen M. und dem sechs Jahr jüngeren Strube knüpfte, währte lebenslänglich, und noch auf seinem Todtenbett vertraute er ihm als Nachlaß seine Schriften und Actenstücke an. Auf die Dauer fand sich M. durch die richterliche Thätigkeit nicht befriedigt, und nachdem er der Regierung zu erkennen gegeben, „daß er jedesmal auf das Jus publicum und damit zusammenhängende historisch-politische Wissenschaften sich gelegt und vielmehr applizirt, als die praktische Rechtsgelahrtheit getrieben“, übertrug sie ihm 1726 die Stelle des Comitialgesandten in Regensburg. Als im Jahr darauf König Georg II. auf den Thron gelangte, berief er M. in den Geheimenrath und ernannte ihn 1732 zugleich zum Großvogt der cellischen Amtsvogteien. Die „königl. Großbrittannischen zur churfürstlich Braunschweig-lüneburgischen Regierung verordneten geheimen Räthe“ bildeten in Folge der Residenz des Landesherrn in England ein Collegium von so großer Selbständigkeit wie kein anderes in deutschen Landen. In dieser Behörde war M. die bedeutendste, bald auch die einflußreichste Persönlichkeit. Das gilt nicht blos von der inneren, sondern auch von der auswärtigen Politik. Von seiner Thätigkeit auf jenem Gebiete weiß man längst; um so weniger ist man über seinen Antheil an den auswärtigen Geschäften unterrichtet. Erst eine archivalische Untersuchung und Darstellung der englisch-hannoverschen Geschichte während der Jahre 1740–1770 wird das Bild des Politikers M. enthüllen. Bisher sind nur vereinzelte Züge gelegentlich ans Licht gekommen. Verlief das erste Jahrzehnt seiner Thätigkeit im Geheimen Rathe unter friedlichen Arbeiten, so führte ihn die Zeit nach der Thronbesteigung Friedrichs des Großen mitten hinein in die politischen Kämpfe und Intriguen. Seine Verbindung mit König Georg II. wurde die engste, und es mag nicht [731] wenig zur Befestigung seines Einflusses beigetragen haben, daß sein Bruder Philipp 1740 die Stelle eines Chefs der deutschen Kanzlei in London erhielt. Zu den Kaiserwahlen und Krönungen Karl VII. (1742) und Franz I. (1745) entsandte ihn die Regierung als ersten Wahlbotschafter, und er hatte hier Gelegenheit, Kurbraunschweig wie durch den Glanz seines Auftretens – die hannoverschen Pferde erregten allgemeines Aufsehen – so durch die Gründlichkeit seiner Kenntniß des reichsstaatsrechtlichen Herkommens und seine diplomatische Gewandtheit würdig zu repräsentiren. Bei den Vorgängen, die sich in Frankfurt im August und September 1745 vor und nach der Wahl Franz I. abspielten, fiel ihm die wichtigste Rolle zu. Er drehe das Rad, sagte man. Von preußischer Seite gab man ihm Schuld, er befördere das zu rasche Vorgehen des Kurfürstencollegiums, ein Vorwurf, der sonst weder Hannover noch der Reichsmaschinerie von dorther gemacht zu werden pflegte. Auch der andere Vorwurf, M. und die mit ihm Stimmenden ließen bei ihrem Verfahren die Reichsverfassung außer Acht, wog nicht schwer, hatte M. doch als juristischen Berather keinen Geringern als Johann Jakob Moser zur Seite. Der letzte Grund dieser Anklagen war doch nur, daß M. sich den österreichischen Wünschen und Interessen entgegenkommender erwies als den preußischen. Damit entsprach er aber der Politik seines Herrn, und wenn Friedrich der Große nach der mit König Georg II. zu Hannover am 26. Aug. 1745 abgeschlossenen Convention ein anderes Verhalten erwartete, so überschätzte er die Tragweite der Zusage Englands, seine guten Dienste zur Herstellung des Friedens zwischen Preußen und Oesterreich zu verwenden, nicht minder als die Aufrichtigkeit Georg II. Der in jenen Tagen so oft beklagte Widerstreit der englischen und hannoverschen Interessen, der Gegensatz zwischen dem Ministerium des Königs und dem des Kurfürsten machte sich auch hier geltend. M. stand ganz und voll auf Seiten der hannoverschen Politik; er war deren Seele. So sehr er sich nun auch mit dem Könige, in dem oft genug das hannoversche Interesse überwog, eins fühlte, ihr Gegensatz gegen die Fridericianische Politik war doch nicht der gleiche. Georg II., der M. gern zum Vertrauten seiner intimsten Pläne machte, hegte noch vierzehn Tage vor jener Convention von Hannover den Gedanken an eine Achterklärung des Reiches gegen Friedrich und einen Krieg gegen Preußen, in dem man ihm ein oder das andere Stück Landes abnehmen und behalten könne. Auch M. sah in Friedrich nicht mehr als einen Nachbar, der seine große Macht zur Insultirung seiner Mitstände und zu Illudirung des Reichssystematis mißbrauche, aber mit den Vergrößerungsgelüsten seines Herrn war er keineswegs einverstanden. „Der hochselige König“ – so schrieb er unmittelbar nach Georg II. Tode – „wäre ein recht großer Regent gewesen, wenn er in Kriegen, bei denen es auf das Wohl und Wehe des ganzen Europa ankam, nicht allemal gesuchet hätte, einige elende Aemter und Dörfer vor seine teutsche Lande abzubekommen. Er hat sie doch nicht erhalten, sich aber einen Ruhm entzogen, der größer als alle Siege gewesen sein würde, nämlich daß das allgemeine Wohl sein einziger Zweck gewesen wäre“. Sein Standpunkt war der reichspatriotische. Er war der österreichischen Politik zugethan, weil er von ihr, wenn nicht das Beste, so doch weniger Gefährdung des Reiches als von Preußen erwartete. Dem neugewählten Kaiser Franz überreichte er ein von J. J. Moser ausgearbeitetes Memoire, in dem freimüthig die Grundsätze des Rechts und der Klugheit dargelegt waren, welche eine nach seiner Meinung für den Herrscher und für Deutschland glückliche Regierung sicherten. Außer einer gerechten Justizadministration und friedlicher Behandlung der Religionssachen war dem Kaiser ans Herz gelegt, von Unternehmungen, die im Reichsconvent nicht mit gutem Willen, sondern nur unter Widerspruch großer Höfe durchzubringen seien, von vornherein zu abstrahiren. Eine Ueberhebung [732] oder der Versuch einer Bevormundung, den man neuerdings darin hat finden wollen, ist in diesem Schritte so wenig erblickt worden, daß M. sich vielmehr der größten Gunst Maria Theresia’s zu erfreuen hatte und die Erlaubniß erhielt, persönlich an sie zu schreiben. Von den Lorbeeren, welche in der diplomatischen Action dieser Zeit etwa errungen worden sind, haben die Mißerfolge des nächsten Jahrzehents wenig übrig gelassen. Wie oft war gespottet und gehöhnt, der Zwerg Hannover sei dem Riesen England auf die Schultern gestiegen und dirigire seine Bewegungen! Jetzt trat nun der Fall ein, daß die politischen Verhältnisse Englands das Stammland seiner Könige in die Wechselfälle des Krieges verwickelten. So hochachtbare Persönlichkeiten den Geheimen Rath bildeten, so eifrig und umsichtig sie für das Landeswohl sorgten, in der nun erforderlich werdenden Cooperation mit dem kriegerischen Nachbarstaat enthüllten sich alle Schattenseiten, die von einem aristokratisch-juristischen Regimente unzertrennlich erscheinen: die Langsamkeit der Bewegung, die Schwierigkeit zu durchgreifenden Entschlüssen zu kommen, das Vertrauen in die Kraft juristischer Formen, der Glaube, daß das was nicht sein dürfe, deshalb auch nicht eintreten könne. Lange trug man sich mit der Hoffnung, Hannover dem drohenden Conflict fernhalten, Frankreich mit dem staatsrechtlichen Argument abwehren zu können, der Krieg gehe lediglich England, nicht Hannover an. Frankreich selbst, so erwartete man, werde die Neutralität Hannovers respectiren und Niemand sei besser geeignet, Frankreich zu solcher Anerkennung zu bewegen, als der alte Bundesgenosse Englands und Hannovers. Die von dem kaiserlichen Hofe gestellten Bedingungen enthielten dann aber solche Zumuthungen, daß jede Aussicht der Gefahr ausweichen zu können, verschwand. Zuletzt klammerte man sich noch an die Hoffnung, wenn auch der Krieg mit Frankreich unvermeidlich sein sollte, doch die Feindschaft Oesterreichs vermeiden zu können. Dazu erschien als das beste Mittel, sich jeder Offensivoperation zu enthalten und die Grenze strictester Nothwehr nicht zu überschreiten. Man wird nicht behaupten können, daß M. unter den bejahrten Mitgliedern seines Collegiums das ängstlichste gewesen sei, aber sich der muthigen, kühnen Politik anzuschließen, die Friedrich der Große vertrat und immer wieder empfahl, dazu fehlte ihm doch jede Regung. Jeder Schritt vorwärts mußte dieser zögernden ängstlichen Staatsweisheit abgenöthigt werden. Wochen lang wurde General von Schmettau, den Friedrich nach Hannover entsandt hatte, um die kriegerischen Rüstungen zu betreiben, hingehalten, ehe die erforderlichen Ordres vom Ministerium ausgefertigt wurden. Man begreift den Unmuth Friedrichs über ces maudites perruques d’Hanovre, die immer an ihre terre sainte und niemals an die seinige dachten. Als endlich zu Ende Mai 1757 M. selbst die Lage der Dinge den Abschluß eines Bündnisses zwischen Hannover und Preußen zu begünstigen schien und er vier Wochen später nach eingetroffener königlicher Zustimmung den Vertragsentwurf an Podewils übersandte, wie froh war er da, seinen der Post bereits übergebenen Brief noch zurückerhalten zu können – denn soeben war die Nachricht von der Niederlage Friedrichs bei Collin (18. Juni) bekannt geworden. Es wäre ungerecht, in alledem blos eine Schuld der hannoverschen Minister und Münchhausen’s insbesondere zu erblicken. Man darf die exponirte Lage des Landes, das die Franzosen mit seinen unzulänglichen Kräften fernhalten sollte, ohne von Preußen oder England namhafte Hülfe zu empfangen, ebenso wenig außer Acht lassen als die äußeren und inneren Schwierigkeiten mit dem König Georg II. zusammenzuwirken, der es über sich gewann, die eine Hand Preußen zum Bunde zu reichen und die andere nach Wien hin auszustrecken. Am wenigsten Berechtigung hat es, das eingewurzelte Mißtrauen gegen Friedrich als Entlastungszeugniß anzurufen, denn König Georg war erst [733] dann warm für den Krieg auf dem Continent geworden, als ihn Friedrich mit der Aussicht auf Vergrößerung an seinen Grenzen, auf Paderborn und Osnabrück, gekirrt hatte, und hatte M. beauftragt, mit dem Grafen von Podewils darüber in nähere Verhandlung zu treten mit der Weisung, daß er bei günstigen Zeitläuften nicht das Paderbornsche, sondern das Hildesheimsche und das Eichsfeld, an welchen Landen er von Alters her begründete Ansprüche besitze, zum Vorwurf nehmen werde. Wie hier, so ist auch in allen anderen diplomatischen Transactionen dieser Zeit M. der Führer. Er steht mit dem Herzog von Newcastle, dem Haupte des gestürzten Ministeriums, dem der König sein Vertrauen zu schenken fortfuhr, in Correspondenz, muß aber auch von ihm hören, daß in England alle das Heil Hannovers im engen Anschluß an Preußen erblicken. Als dann nach der unglücklichen Schlacht bei Hastenbeck (26. Juli 1757) die Franzosen ins Herz des Landes drangen und am 9. August die Hauptstadt besetzten, blieb M. auf seinem Posten in Hannover, während der größte Theil seiner Collegen mit dem Archiv und allen wichtigen Papieren des Landes sowie den Kostbarkeiten des Landesherrn nach Stade übergesiedelt waren. Von seiner Wohnung, dem Osnabrücker Hofe – der jetzige Fürstenhof auf der Kalenberger Neustadt – führte er die schwierigen Verhandlungen mit den Franzosen, die eine förmliche Verwaltung des Landes, natürlich zunächst für ihre finanziellen Bedürfnisse, einrichteten, und suchte nach Kräften die Lasten der Occupation zu erleichtern. Dadurch blieb es M. erspart, zum Zustandekommen der schimpflichen Convention von Kloster Zeven, welche der General der alliirten Armeen, der Herzog von Cumberland, am 8. September mit dem Feinde abschloß, gleich seinen Stader Collegen mitzuwirken. Nach dem Bekanntwerden des Vertrags erhielt M. den Befehl, sich schleunig mit seinem Collegen v. d. Bussche nach Stade zu begeben, um der Wiederkehr solcher Vorkommnisse zu begegnen. So dringlich M. auch die Nothwendigkeit seines Verbleibens in Hannover vorstellte, er mußte dem königlichen Befehl Folge leisten; aber der vereinigte Ministerrath, wenn er auch die rechtliche Unverbindlichkeit der Convention für den König nicht in Abrede stellte, wagte unter dem Eindruck des Elends, das die feindliche Occupation des Landes zur Folge hatte, nicht, dem Könige die Verwerfung des Vertrages anzurathen. Man kennt die glückliche Wendung, welche der Krieg nahm, seit nach der Schlacht bei Roßbach König Friedrich den Herzog Ferdinand von Braunschweig entsandte, um an die Spitze der alliirten Truppen zu treten. So pflichtgetreu sich auch M. den Befehlen fügte, die von London kamen und ein rückhaltloses Anschließen an Preußen vorschrieben, seine Bedenken und Besorgnisse konnten nicht zur Ruhe kommen, und jeder kleine Unfall, jedes nachtheilige Gerücht gab ihm zu Klagen in Briefen an den preußischen Minister, Grafen v. Finkenstein, Anlaß. Als König Georg II. starb (1760), hinterließ er M. ein Legat von 20 000 Thlrn., während den übrigen Geheimräthen mit Ausnahme Diedes zum Fürstenstein, der 15 000 Thlr. erhielt, nur je die Hälfte vermacht war. Auch der Gunst des Nachfolgers, König Georg III., erfreute sich M. in hohem Grade. Er wurde 1765 zum Premierminister ernannt und ermächtigt, in allen höheren Collegien, mit Ausnahme der Justizbehörden, zu präsidiren.
Münchhausen: Gerlach Adolf Freiherr von M., geb. am 14. Oct. 1688 zu Berlin, † den 26. Novbr. 1770 zu Hannover. Das von Niedersachsen ausgegangene, dann nach Thüringen und Obersachsen verzweigte Geschlecht theilte sich schon seit dem Mittelalter in zwei Linien, die weiße und die schwarze. Der letzteren gehörte Münchhausen’s Familie an. Der VaterM. erlebte die Wiederkehr des Friedens noch lange genug, um auch noch an der Heilung der Wunden mitzuwirken, die der Krieg dem Lande geschlagen. So sehr er sich in der hohen Politik gefiel – il ne se mouche pas sans politique, hat man von ihm gesagt – dem Betrachter seines Lebens thut es wohl, der diplomatischen Thätigkeit im europäischen Weltgetriebe die friedliche Arbeit für das innere Landeswohl gegenüberstellen zu können, zumal sie einen Erfolg aufzuweisen hat, dessen Bedeutung weit über die schmalen Grenzen des Territoriums [734] hinausreicht und dauernder ist als manch glorreicher Sieg, der im Cabinette oder auf dem Schlachtfelde gewonnen wird. Nachdem M. 1753 Kammerpräsident geworden – mon président des finances pflegt ihn Georg II. zu bezeichnen – bildete er wie sein Ressort den Mittelpunkt der inneren Verwaltung. Man rühmt ihm nach, daß unter seiner geschickten Leitung sich die Pachtgelder aus den Kammergütern um 100 000 Thaler gegen früher gehoben hätten. Bei der großen Bedeutung der Landwirthschaft für Hannover und den mannigfachen und kräftigen Bestrebungen zu ihrer Hebung, die das vorige Jahrhundert auszeichnen, konnte es nicht fehlen, daß M. diesem Erwerbszweige seine Aufmerksamkeit besonders zuwandte. Bekannt geworden ist auf diesem Gebiete namentlich die Begründung des Landgestüts zu Celle im J. 1735. Für die hannoversche Pferdezucht, die seit alter Zeit großen Ruf und Bedeutung hatte, wurde dies auf königliche Kosten eingerichtete Institut von ungemeinem Nutzen und konnte nach kurzer Zeit schon erheblich erweitert werden: anfangs nur auf 12 Beschäler berechnet, war die Zahl nach dreißig Jahren bereits auf das Vierfache gestiegen. Die Weserschleuse bei Hameln, 1734 vollendet, ist ebenfalls unter Münchhausen’s Direction zu Stande gekommen, und die Sandsteinquadern, welche das Werk umschließen, zeigen noch seinen Namen. Es war eine verdiente Ehrenbezeugung, wenn die Gesellschaft ökonomischer Patrioten, die landwirthschaftliche Gesellschaft zu Celle, die eine so segensreiche Wirksamkeit entfaltet hat, gleich bei ihrer Begründung im J. 1764 M. zum Ehrenmitgliede ernannte. Wenn aus der Zeit seines Ministeriums berichtet wird, daß nicht leicht eine Acte über irgend eine wichtige Angelegenheit, in welches Specialdepartement sie auch gehöre, ohne sein eigenhändiges Votum existiren werde, so wird es auch wenig Zweige des öffentlichen Lebens geben, die nicht seinen Einfluß erfahren hätten. Für die eigenthümliche Entwickelung des hannoverschen Landes ist kaum ein Zug so bezeichnend als die Ausbildung seines geschlossenen Beamtenstandes, der Angestellten, wie man gerne sagte. Durch die Förderung des Auditorenwesens hat M. sehr erheblich dazu mitgewirkt. Geistliche und Schulangelegenheiten hatten M. seit seinem Eintritt in das Geheimerathscollegium beschäftigt. Die Geschichte des Welfenhauses, einst von Leibniz begonnen, von den nachfolgenden Leitern des Archivs aufgenommen, wurde auf seine Anregung soweit gefördert, daß 1750–53 durch Scheidt die vier Bände der Origines Guelficae ans Licht treten konnten. Auch an der Verwaltung der Universität Helmstedt, bis 1745 einem Besitzthum des Gesammthauses Braunschweig, war er betheiligt und wirkte bei Neuberufung von Professoren mit. Leistungen dieser Art und manches andere, was noch verborgen in den Acten schlummern mag, würden ihn nicht über die Linie eines verdienstvollen Verwaltungschefs erhoben haben; was ihn auszeichnet und unsterblich macht, ist seine Thätigkeit für die Begründung der Universität Göttingen. Man nennt ihn ihren Schöpfer. Pütter, der Geschichtschreiber Göttingens, sagt: „ihm hat sie ihr Dasein und auf die ersten 36 Jahre ihre ganze Einrichtung und mehr als väterliche Fürsorge zu danken.“ Ob M. auch die erste Idee zuzuschreiben? Seit mehr als 50 Jahren war in Hannover der Gedanke angeregt, im Lande eine höhere Bildungsanstalt zu errichten. Leibniz hatte schon dem Herzog Johann Friedrich, dann seinem Nachfolger Ernst August gleich nach dessen Regierungsantritt einen Plan vorgelegt; nur war sein Absehen, da er den Universitäten seiner Zeit wenig Geschmack abgewinnen konnte, mehr auf eine fürstliche Academie für die Noblesse gerichtet. Verschiedene der in seinem Aufsatze vom Jahre 1680 geäußerten Gedanken kehren nachmals fast mit den gleichen Worten wieder, so daß die Vermuthung, er habe auf die Spätern eingewirkt, sei ihnen jedenfalls bekannt geworden, kaum abzuweisen ist. Selbst die geplante Anstalt nach Göttingen, dem Sitze eines wohl florirenden gymnasium ducale, [735] zu legen, ist dort schon vorgeschlagen. Mehr als am Hofe wird dies von Leibniz ausgeworfene Samenkorn in den Kreisen der gelehrten Geschäftsmänner, die sich um Bibliothek und Archiv sammelten und in den Wegen Leibnizen’s zu arbeiten fortfuhren, Beachtung gefunden haben. Je bedeutender und selbständiger sich das Kurfürstenthum seit Beginn des 18. Jahrhunderts entwickelte, desto mehr mochte die Idee Eingang gewinnen, namentlich auch am Hofe. Bei König Georg II. schwerlich um ihres wissenschaftlichen Gehalts willen; eher bei der Königin Caroline, die sich gern eine Schülerin des großen Philosophen nannte, und in ihrer klugen, zurückhaltenden Weise viel über den Gemahl vermochte. Ihm wird sich der Gedanke von der Seite empfohlen haben, daß ihm seine Stellung als Kurfürst neben Brandenburg und Sachsen, noch dazu als Träger einer der glänzendsten Königskronen, die Einrichtung einer solchen Bildungsstätte zur Pflicht mache, wie sie andererseits seinem Lande, seinem Staate und seinem Namen zum Vortheil und zur Ehre gereichen werde. So etwa mag der Boden vorbereitet gewesen sein, als M. die Idee aufgriff. Zuerst soll er sie 1731 im Geheimenrathe zur Sprache gebracht haben, aber bei dem damaligen Kammerpräsidenten Heinrich Albrecht von dem Bussche auf Widerstand gestoßen sein, der meinte, man müsse sich hüten, etwas neues anzufangen, ein Wort, daran M. sich und andere nachmals bei den mühseligen Gründungsarbeiten oft erinnert hat. Herr von dem Bussche starb bald darauf. In den Sommer 1732 fällt ein Besuch des Königs in seinem Geburtslande und zugleich der wahrnehmbare Anfangspunkt der Arbeiten für die Errichtung der Universität. Im August legte Hofrath Gruber, seit 1729 kurfürstlicher Bibliothekar und Historiograph (Bd. X, S. 4), einen unvorgreiflichen Vorschlag zu Anlegung und Aufrichtung einer neuen Universität in Sr. kgl. Majestät Teutschen Landen vor, der in den nächsten Monaten Umarbeitungen und Erweiterungen erfuhr; im Winter war dann M. selbst mit der Ausarbeitung eines vollständigen für den König bestimmten Gutachtens beschäftigt und suchte sich der guten Meinung des Geheimenraths von Hattorf, der damals an der Spitze der deutschen Kanzlei in London stand, durch dessen Neffen, den geheimen Kanzleisecretär v. Hattorf, zu versichern. Im Frühjahr 1733 war der Plan so weit gefördert, daß M. mit Gruber und dem Consistorialrath Tappe ein engeres, allwöchentlich zweimal zusammentretendes Comité bildete, um alle nöthigen Maßregeln für die Behandlung im geheimen Rathe so gut als möglich zu präpariren, und ein aus dem April stammendes Votum Münchhausen’s sich vorzugsweise mit der Auswahl der zu berufenden Professoren beschäftigen konnte, denn – wie er selbst es einmal ausgedrückt hat – eine Akademie ist eine Anstalt, bei der die Lehrer eher als die Lernenden existiren müssen, wie in einer Fabrik, ehe Käufer erscheinen, Waaren gefertigt sein und ehe Waaren gefertigt werden können, Arbeiter da sein müssen. Zwei Aeußerungen jenes Votums sind besonders hervorhebenswerth; sie betreffen die theologische und die juristische Facultät. In jene sollen keine Männer berufen werden, deren Lehren zum Atheismo und Naturalismo leiten oder auch die Articulos fundamentales religionis evangelicae anfechten und den Enthusiasmus einführen, aber ebenso wenig solche, die ein evangelisches Pabstthum behaupten, ihr ganzes Systema andern aufdringen, diejenigen, so in gewissen das fundamentum fidei nicht concernirenden questionibus mit ihnen kein gleiches Sentiment führen, verketzern und die libertatem conscientiae sammt der Toleranz als unleidentlich ansehen. Die juristische Facultät will er mit berühmten und vortrefflichen Männern besetzt wissen, um sie zu einem Anziehungspunkt für vornehme und reiche Leute zu machen. Solchem Zweck entsprechen weder die unselbständigen Praktiker noch die bloßen Theoretiker, er sucht nach Leuten, die eine solide Theorie und das Studium antiquitatum Romanarum et Germanicarum mit der Praxis verknüpfen. [736] Ihm ist sehr um eine vorsichtige Application des römischen Rechts auf den teutschen Statum zu thun, in der Ueberzeugung, daß die wichtigste Materie juris publici et privati nicht aus dem römischen, sondern aus den teutschen Rechten und Gewohnheiten zu entscheiden sei. Die übrigen Facultäten sind nur flüchtig berührt. Ueber die Professur der Philosophie äußert er aber doch das bezeichnende Wort: so wenig er auch für sich vor des Wolffens Philosophie, die die tempora scholasticorum zu erneuern drohe, sonderliche Hochachtung trage, so würde man der neuen Academie ohnfehlbar Tort thun, wenn man diese Philosophie, die überall so viele Anhänger und so großen Beifall gefunden, nicht lehren lassen wolle. Verhältnißmäßig rasch kam man in dem Vorbereitungsstadium über das Moment hinweg, welches bei den damaligen Verfassungs- und Finanzeinrichtungen des Landes als das schwierigste erscheinen mußte: die Beschaffung der Universitätsdotation. Neben dem Könige, der aus den Mitteln der Klosterkammer bewilligte, mußten die Stände von sechs verschiedenen Landschaften um ihre proportionirlich abgestuften Beiträge zu den laufenden Unterhaltungskosten der Universität wie zu den durch die erste Einrichtung veranlaßten angegangen werden. Schon von Ostern 1734 ab wurden die bewilligten Geldmittel gezahlt und im Herbst des Jahres mit einzelnen Vorlesungen begonnen. Aber wie wenig gelang es, den Theil des Planes, auf den M. besonderen Werth legte, zu verwirklichen, die Anstalt sofort mit einer stattlichen Zahl berühmtester Namen zu eröffnen! Ein kleines Häuflein, kaum Namen ersten Ranges darunter, hatte sich eingefunden. Von den berühmten Hallensern, auf die M. besonders gerechnet hatte, war niemand gekommen, hatte niemand kommen können, denn König Friedrich Wilhelm I. hatte bei schwerer Ahndung unter dem 22. April 1733 die Annahme fremder Vocationes untersagt und die ganze Universität für die Befolgung des Verbots haftbar gemacht. Sein Beispiel hatten Sachsen für Leipzig und Wittenberg, die herzoglich sächsischen Landesherrn für Jena nachgeahmt; Hessen versagte Rambach, Württemberg Pfaff den Wegzug, Mosheim lehnte aus Anhänglichkeit an seinen Landesherrn und Helmstedt, dem gegenüber auch M. Rücksichten zu nehmen hatte, den Ruf ab. Andere, deren Vocation geglückt war, rechtfertigten das in sie gesetzte Vertrauen nicht, wie der Jurist Mascov, oder wußten sich nicht mit den Studenten ins Einvernehmen zu setzen, wie Gebauer. Einige starben sehr bald nach der Uebersiedelung, wie der Jurist Brunnquell, der von Jena her eines sehr guten Rufes genoß, und Albrecht [WS 1], der einzige Mediciner, den die Universität anfangs besaß. Zu diesen Hindernissen, die sich dem Aufkommen Göttingens entgegenstellten, gesellte sich die mangelhafte Beschaffenheit der Stadt, ihrer Häuser, die Theuerung der Lebensmittel, die unzureichenden wissenschaftlichen Hülfsmittel der Buchhandlungen und Buchdruckereien, die schlechte Postverbindung, die starke Garnison, mit der die Studentenschaft, in einer jungen Universität erregter als anderswo, in Conflict zu gerathen drohte: Mißstände, die an sich schwer genug wogen, wie Münchhausens Klagen gegen seine Vertrauten und seine unausgesetzten Bemühungen um Abhülfe bezeugen, die durch das Gerücht und die Neider, die dem jungen Institut nicht fehlten, aber noch erheblich vergrößert wurden. Niederdrückender für M. war es, daß der königliche Beistand und Beifall, der ihm anfangs zur Seite stand, mit dem Wachsen der Schwierigkeiten nachzulassen anfing. Was M. zu um so größerer Thätigkeit anspornt, das macht den König unmuthig und verdrießlich. Die fortwährenden Berichte und Anfragen ermüden, die Geldforderungen erschrecken ihn; er dringt auf Sparsamkeit, findet die bewilligten Gehalte zu hoch, während M. ausführt, daß Männer von großer Reputation ihre bisherigen Stellungen nicht ohne erhebliche Vortheile zu erlangen aufgeben, und läßt es an seiner Unterstützung fehlen, wo M. sie anruft, um [737] Professoren, die nach Göttingen zu kommen bereit sind, gegen ihre Landesherrschaft zu vertreten, da doch die Dienerpflicht keine Leibeigenschaft involvire und dem Herrn kein Recht gebe, einen Diener wider seinen Willen aufzuhalten und als einen Wildfang zu tractiren. Der schlimmste Stand der Dinge muß 1736 und Anfang 1737 erreicht sein: Mosheim, der mit M. fortwährend in Verbindung blieb, meinte damals, das ganze Unternehmen laufe auf eine Flickerei hinaus, höchstens auf eine Anstalt von Landeskindern, deren man 4–500 vi et precario am Ende zusammenbringen werde; er beklagt den großen Mann, der seinen unermüdlichen Eifer den Wissenschaften aufzuhelfen an einen so ungünstigen Boden verwende. Und hatte M. schon früher wahrzunehmen geglaubt, den König gereue des Instituti, so hielt er es jetzt für nöthig zu bemerken, die Universitätssache gehöre gewiß nicht zu der geringsten Classe der Landesaffairen, zumal sie auch dem Lande eine erhebliche Einnahme verschaffe. Er hätte aber auch darauf hinweisen dürfen, daß denn doch alles Mißgeschicks und aller Hindernisse ungeachtet in diesem Vorbereitungsstadium der Jahre 1734–37 nicht zu unterschätzende Erfolge erreicht waren. Mochte die Zahl der Studenten unter 400 bleiben und der Wunsch Münchhausen’s, in jeder Facultät mindestens zwei in großer Reputation stehende Männer zu besitzen, nicht erfüllt sein, die Universität konnte doch eine Reihe angesehener Lehrer aufweisen, und zwei Männer von grundlegender Bedeutung, Gesner für das philologische, Haller für das medicinisch-naturwissenschaftliche Studium, beide in der verheißungsvollsten Thätigkeit für die Zukunft der Universität begriffen. Schon war das philologische Seminar und die Bibliothek begründet, und es war gelungen, für letztere den reichen Bücherschatz, den der Geheimerath Joachim Heinrich von Bülow in Hannover hinterlassen hatte, zu gewinnen und damit nach Münchhausen’s Ausdruck der neuen Universität ein desto größeres Lüstre zu verschaffen, als in Teutschland keine Universität war, welche sich rühmen konnte, mit einer so nombreusen und selecten Bibliothek in omni scibili versehen zu sein. So konnte man gutes Muthes zur Inauguration der neuen Universität am 17. September 1737 schreiten, zu deren feierlichen Begehung der König eine erhebliche Summe ausgesetzt hatte, und M. als königlicher Hauptgesandter, begleitet von seinem Bruder und dem Consistorialdirector Tappe, dem zweiten Hauptgesandten, in Göttingen erschien. – Selbst von wohlwollenden Beobachtern ist in den Anfangsjahren wohl geäußert worden, es scheine dem Unternehmen der rechte Plan zu fehlen, der Rathgeber seien zu viele; was der eine aufbaue, verderbe der andere wieder. Der Baumeister, consequent und unverdrossen, mochte sich ihm auch das Tantae molis erat mehr als einmal auf die Lippen drängen, triumphirte über alle Widersacher und alle Verzagtheit. Nach wenig Jahren sah er seine unablässige, dem kleinsten wie dem größten Interesse Aufmerksamkeit schenkende Arbeit durch den vollsten Erfolg gekrönt. Als im Sommer 1748 der König die Universität zum erstenmale besuchte, trank er bei der feierlichen Tafel dem Minister auf das Wohl seiner Tochter, der Georgia Augusta, zu. Nach dem königlichen Privilegium von 1736 war die Besorgung der Universitätsangelegenheiten zwei Mitgliedern des Geheimenraths als Obercuratoren anvertraut. In Wahrheit hat M. während seines Lebens die Leitung allein in Händen gehabt, wo nicht besonders wichtige Vorschläge der Berathung des gesammten Geheimenraths oder der Entscheidung des Königs bedurften. Als sein Secretär – wir würden heutzutage vortragender Rath sagen – stand ihm Joh. Eberh. Mejer, später Balcke, zuletzt Georg Brandes zur Seite. Ein Kanzler oder Director der Universität, der nach dem Beispiel Halles nöthig erschien, wurde nicht dauernd bestellt, und als ein solcher bestellt war, währte Münchhausen’s unmittelbare [738] Fürsorge für alles die Universität Angehende nichtsdestoweniger[WS 2] fort. Nur in wenigen Fächern traute sich M. ein eigenes Urtheil über Personen und Leistungen zu, so wichtig auch gerade diese Fächer, Jurisprudenz insbesondere öffentliches Recht und Geschichte, für die junge Universität wurden. Aber er wußte überall sich geschickten Beiraths zu bedienen. Er besaß die Gabe, die rechten Rathgeber herauszufinden, sich ihre Belehrung in schneller und richtiger Erfassung anzueignen. Durch den ausgebreiteten Briefwechsel, in den er sich mit Gelehrten und Geschäftsmännern, mit Göttingern wie Auswärtigen setzte, erwarb er sich eine umfassende Kenntniß dessen, was an der neuen Universität geschah, was man draußen von ihr erwartete, über sie urtheilte. Mit hervorragenden Persönlichkeiten des Landes und der Nachbarschaft oder eines Wissenszweiges trat er in Verkehr, um sie zu Aeußerungen über die Universitätsbedürfnisse zu veranlassen. Die Geschäfte des Curators waren dadurch besonders gesteigert, daß der Universität zwei der sonst üblichen Rechte nicht beigelegt waren: sie besaß weder eine eigene Vermögensverwaltung noch das Recht bei Berufungen mitzuwirken. So mußte nicht nur um jede Geldbewilligung Anfrage nach Hannover geschehen, sondern auch bei jedweder Anschaffung; ja die der Bücher für die Bibliothek nahm bis 1770 das Curatorium selbst vor. Jede in dem Lehrkörper eintretende Vacanz nöthigte M., sich mit sachkundigen Männern zu berathen. Ehe in Göttingen selbst solche Stützen für ihn vorhanden waren, wandte er sich in dergleichen Fällen an D. G. Strube, J. J. Moser, Mosheim, an die Aerzte Werlhof und Hugo in Hannover, an J. H. Böhmer und andere in Halle. Die Gutachten der Hallenser waren ihm besonders werthvoll, denn das Vorbild dieser neuen protestantischen Universität, die sich in kurzer Zeit den größten Namen erworben, schwebte ihm überall bei den Arbeiten für Göttingen vor. Er suchte nach den Gründen ihres raschen Aufschwunges und fand sie namentlich in dem großen Fleiß der Professoren, die sich ungemein angegriffen, um die Universität hochzubringen. Er empfahl deshalb in Göttingen wie dort die Ferien einzuschränken, jede Vorlesung in einem halben Jahre zu Ende zu bringen, keinen Wochentag auszusetzen. Neben dem Aufschwunge Halles hatte er aber auch dessen Sinken gesehen und wünschte den Conflicten mit der starken Garnison, die in Halle dazu geführt hatten, in Göttingen durch Verringerung der Besatzung, da sie bei dem Festungscharakter der Stadt nicht entbehrt werden konnte, vorzubeugen. Aber auch die mystische Theologie Halles, den Pietismus, und das Staatsrecht, wie es der Kanzler von Ludewig lehrte, wünschte er von Göttingen fernzuhalten. Und so, durch die Aufnahme der Vorzüge Halles und das Meiden seiner Nachtheile sollte Göttingen befähigt werden, mit Halle in Wettstreit zu treten. Bei seiner Auswahl unter den zu Berufenden ließ sich M. insbesondere von dem Gesichtspunkt leiten, daß nicht von vornherein der Zunder der Uneinigkeit nach Göttingen getragen werde. Er betont den friedliebenden Charakter der Lehrer, die Duldung fremder Ansichten, damit nicht Parteiung unter den Professoren Spaltungen und Unruhen unter den Studirenden nach sich ziehe. Bei den damaligen Zuständen in der evangelischen Kirche mußte sich jene Ermahnung besonders an die Theologen richten. Weder von dem rigiden Orthodoxismus noch von dem Pietismus will er wissen. So große Stücke er auf J. J. Moser hält und so gern er ihn für Göttingen gewonnen hätte, er verhehlt nicht seine Abneigung gegen seine mehr als pietistische Gesinnung (oben S. 377). Verträglich und moderat, ist seine Forderung, die er ausdrücklich auch als die des Königs geltend macht, der ein Beharren bei der maßhaltenden, in seinem Hause traditionellen kirchlichen Richtung verlangt, während allerdings in Hannover selbst rigide Theologen und Anti-Unionisten das Ruder führten und durch Phil. Ludwig Böhmer, Generalsuperintendenten [739] zu Celle, die Forderung einer strengsten Beaufsichtigung der übrigen Facultäten durch die theologische erhoben wurde. Aber weder diese Unterordnung noch die der theologischen Facultät unter das Consistorium wurde zugestanden, sondern die ganze Universität unmittelbar unter den König gestellt. Es ist eine oft wiederholte Behauptung, es sei bei der Gründung Göttingens überwiegend auf eine tapfere Juristenfacultät oder auf eine Pflanzschule für die höhere Staatsdienerschaft abgesehen gewesen. Es ist das ein Irrthum, und schon die Fürsorge für die theologische Facultät widerlegt ihn. Durch die Stiftung von Freitischen seitens des Königs und der Landschaften wurde von vornherein auf ärmere Studirende Bedacht genommen. Aber es ist leicht erklärlich, daß jener Irrthum entstand; und es hat nicht an Stimmen in Münchhausen’s Umgebung gefehlt, die wünschten, er hätte seine Sorgfalt auf die juristische Facultät beschränkt (Bd. XXI, 213). Für die Pflege der Rechts- und Staatswissenschaften, die M. aus eigner Kenntniß am vollständigsten zu beurtheilen vermochte, interessirte er sich naturgemäß ganz besonders. Seine volkswirthschaftlichen Anschauungen standen ganz unter dem Einfluß der Schule, die, wie das auch schon Leibniz in dem erwähnten Aufsatze anrieth, das heimische Geld zu behalten und fremdes hereinzuziehen, sich zum Ziel setzt. Er will, daß die Universitätslehrer fleißig schreiben, nicht auf Grund fremder Compendien lesen, sondern selbst solche verfassen; denn durch den Debit der Universitätsschriften geht eine ungeheuere Summe Geldes ins Land. Es dient zur Zierde einer Akademie, wenn von allen Gegenden und Orten her Gutachten eingeholt und vor überschriebenes Papier Geld in Menge ins Land gebracht wird. Er bekennt ein- für allemal, daß er bei Besorgung seiner Curatel nicht blos darauf ausgehe, daß nur Landeskinder auf der Universität zum Dienste des Staates erzogen werden, sondern daß auch so viel als möglich reiche Ausländer, von welcher Religion sie seien, angelockt werden. „Warum sollte ich dem Lande des Fremden Vermögen, den Universitätsbürgern den Umlauf des beträchtlichen Geldquantums mißgönnen? Hunderttausend ihnen alle Jahr zufließende Louisd’or thun ihnen wohl, und die Landesregierung wird überzeugt, daß sie Samen ausstreut, der bei Landeskindern moralische, bei Fremden goldene Früchte trägt“. Er gesteht, daß ihm gerade auch deshalb der Flor der juristischen Facultät besonders am Herzen liegt. Die damalige Verbindung Hannovers mit England ließ ihn hoffen, die Herren Engländer nach Göttingen zu gewöhnen, woselbst sie gewiß eben so gut als in Holland ihr Geld verzehren könnten. Mehr als diese Hoffnung ist die andere in Erfüllung gegangen, Göttingen zu einem Anziehungspunkt für die Noblesse zu machen. Es erregte Münchhausen’s hohe Freude, als er schon 1735 nach London melden konnte, daß der confluxus von Studenten und zumalen von Standespersonen und Adelichen ziemlich groß sei, und bereits sechs Grafen in Göttingen studirten, dessen sich wol keine andere Universität zu rühmen habe. Es klingt schlimmer, als es gemeint ist, wenn er räth, die Herren Professoren möchten diejenigen von hohem Stande cajoliren und ihnen auf alle Weise wohl begegnen, denn er empfiehlt dabei das Beispiel des Thomasius zu befolgen, der bei seinem ziemlich ernsten Wesen die Gabe gehabt, der Leute Gemüther zu gewinnen. Um dieses Theils der Studentenschaft willen verlangte der König auch von vornherein, daß für die Exercitia in Göttingen besser als sonst auf Universitäten üblich, gesorgt werde, und es ist bezeichnend, daß das erste in der Stadt eigens für die Zwecke der Universität errichtete Gebäude das Reithaus war. Die Rücksicht auf die Nobiles ließ es M. besonders bedauern, nicht gleich einen guten Publicisten gewinnen zu können; und als sich einmal das Gerücht verbreitete, es würden von der Göttinger Facultät regalistische Grundsätze vertreten, erklärte er, damit würde man sich das Odium des Adels zuziehen, ohne [740] doch den Dank des Königs zu verdienen, der in der Oberappellationsgerichts-Ordnung declarirt habe, daß er nicht mehr Recht als ein anderer Privatus verlange, und nicht wolle, daß man die Person ansehe. Ein alter Hallenser, stand er in dem Streit zwischen Ludewig und Gundling entschieden auf Seiten des letztern. Das absolute Fürstenrecht, gegründet auf unhistorische Constructionen, war ihm fremd. Aber er hätte nicht durch des Thomasius Schule gegangen sein müssen, wenn er nicht bei aller Schätzung des Historischen darauf gedrungen hätte, die rationes legum zu untersuchen und das natürliche Recht zu excoliren, um daraus die in legibus civilibus nicht determinirte Casus zu entscheiden. Einen Rechtslehrer, der alle diese Eigenschaften in sich vereinigte, sofort für Göttingen zu gewinnen, gelang nicht. Aber zehn Jahr später besaß ihn die neue Universität, und M. durfte sich das Verdienst zuschreiben, ihn aufgefunden und für Göttingen herangezogen zu haben. Das war Pütter, der Staatsrechtslehrer nach dem Herzen Münchhausen’s. Durch einen Verwandten auf den jungen Marburger Licentiaten, der sich mit dem in Göttingen noch unvertretenen Reichsprocesse beschäftige, aufmerksam gemacht, hatte M. die Mittel zu einer gelehrten Reise nach Wetzlar, Regensburg und Wien vor Antritt des Extraordinariats gewährt, sich mit ihm über Lehr- und Arbeitspläne verständigt, und ihm Acten aus seiner Comitialgesandtenzeit wie sonstige werthvolle Materialien für sein Fach zur Verfügung gestellt. An ihm erlebte er dann auch die Freude, daß seine Vorlesungen von den Söhnen des Adels und des höheren Beamtenstandes aus dem Reich wie aus dem Ausland, augsburgischer wie katholischer Confession, mit Eifer aufgesucht wurden, und dazu beitrugen, Göttingen zu dem zu machen, was es in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts war: die hohe Schule des deutschen Staatsrechts. – Wo es M. nicht auf den ersten Wurf glückte, eine Berühmtheit für Göttingen zu erwerben, da wußte er zu warten, bat den Ablehnenden ein Freund der Akademie zu bleiben, und erneute dann seine Anträge zur gelegeneren Zeit. So gelang es 1747, Mosheim nach Göttingen zu ziehen. Ein Weg wie dieser, war nur selten brauchbar. Es gab einen andern, praktischern, um den persönlichen und ökonomischen Schwierigkeiten, die sich bei Besetzung der Lehrstühle gezeigt hatten, zu begegnen. „M. stand auf der Warte, um nach jungen Talenten auszuspähen“, hat der Biograph Heyne’s von ihm gesagt; er sieht darauf, gute geschickte Leute in Vorrath zu haben, Göttingen zu einer Pepinière, einem Seminarium gelehrter Männer zu machen. Und welche Erfolge er auf diesem Wege erzielt hat, zeigen Namen, wie Haller, auf den ihn Werlhof aufmerksam gemacht hatte, der Orientalist Joh. Dav. Michaelis und Pütter. Um einen Weg, wie den bezeichneten, mit Erfolg gehen zu können, bedurfte es großer Achtsamkeit auf litterarische Thätigkeit, wie sie der Minister selbst übte oder durch andere üben ließ. Als Büsching ihn um Mittheilungen für sein geographisches Werk anging, sprach er ihm den Wunsch aus, er möge die Nachrichten sich im Lande selbst, womöglich in Göttingen, colligiren. So bescheiden auch die Anerbietungen waren, es gelang Büsching zu gewinnen, dessen Erdbeschreibung in ihren auf Deutschland, die Niederlande und die Schweiz bezüglichen Theilen in Göttingen entstand und auf Anordnung des Ministers durch Bücheranschaffungen der Bibliothek, Portofreiheit für seine ausgebreitete Correspondenz und Nachrichten aus amtlichen Quellen unterstützt wurde. Den Candidaten Johann Beckmann, der sich als Schulmann in Rußland beschäftigt hatte, und sich bei ihm für eine Professur meldete, um sich insbesondere dem jetzigen modeseienden studio oeconomico zu widmen, nahm M. auf Büsching’s Empfehlung an und gewann damit für Göttingen den Begründer der Technologie. Die Zahl der jüngeren Professoren, Extraordinarien mit sehr bescheidenen Gehalten, war in Folge dieses Verfahrens oft recht [741] groß und gab in den Kreisen der älteren, die über Ueberfüllung, und der jüngeren Lehrer, die über Mangel an Beförderung klagten, mannigfach zu Unzufriedenheit Anlaß. M. konnte sich damit trösten, daß die Aemulation auf Universitäten viel Böses, zugleich aber auch viel Gutes herbeigeführt habe. Als eine gute Frucht der zahlreichen Besetzung wurde es besonders erkannt, daß der einzelne Docent sich concentriren konnte, und nicht wie anderswo, und auch zu Anfang in Göttingen, zuviel Fächer nebeneinander zu vertreten brauchte. Was M. bei Berufungen in erster Linie betonte, war, ob der Bewerber donum proponendi, donum didacticum habe. Die bloße Gelehrsamkeit genügte ihm nicht. Als Göttingens Ansehen sich befestigt hatte, da strebte er auch wohl danach, berühmte Namen, die blos litterarisch thätig sein oder in freierer Stellung neben dem Lehrkörper stehen sollten, an Göttingen zu fesseln: so wenn er mit Büsching in späteren Jahren über seine Rückkehr unterhandelte, oder sich mit J. J. Moser, mit Winckelmann in Verkehr setzte. Aber hiervon abgesehen, theilte doch M. und seine Schöpfung die Grundrichtung der Zeit. Die junge Welt wurde damals so wenig wie später von bloßer Gelehrsamkeit angezogen. Die Richtung auf das praktisch Brauchbare, die unmittelbare Verwerthung der Wissenschaft für das Leben, insbesondere auch für die Besserung der vorhandenen Zustände, war was man suchte, und nicht wie später im Bürgerthume, sondern gerade in den Kreisen des Adels, der Fürsten, der höheren Beamten fanden diese Tendenzen ihre wärmsten Vertreter. Damit war auch dem Professorenthum sein Weg vorgezeichnet. Die Studirenden zu tüchtigen und gewandten Geschäftsmännern heranzubilden, war das Ziel, das die hervorragendsten Lehrer verfolgten. Diejenigen Wissenschaftszweige, die unmittelbar für das Leben arbeiteten, erfreuten sich der größten Blüthe. Das gilt von den staatswissenschaftlichen, den philologischen und den naturwissenschaftlichen Studien. Wie wenig darunter ein blos äußeres Abrichten und Zustutzen für die Zwecke des praktischen Lebens zu verstehen war, zeigen die Briefe Münchhausen’s, in denen er besonders in Erörterungen über die richtige Methode des Unterrichts einzutreten liebt. Die Correspondenz, die M. mit Gliedern der Universität fortgesetzt führte, auch nachdem die Universität in Gang gebracht war, war ungemein groß und regsam. Die Briefe, alle von seiner Hand geschrieben, zeichnen sich durch Sachlichkeit und Kürze aus, beobachten bei aller persönlichen Theilnahme des Schreibers die strengsten Formen der Höflichkeit. Nichts von Standesdünkel, nichts von büreaukratischer Ueberlegenheit ist darin zu finden. Er steht dem Gelehrten mit voller Achtung gegenüber, wenn er auch da, wo er als Beamter, als Vorgesetzter sich zu äußern hat, fest und bestimmt aufzutreten weiß. Die persönlichen Verhältnisse der Lehrer sind ihm nicht gleichgültig; er arbeitet nach Kräften daran, daß es den Professoren in Göttingen wohl gehe und gefalle. Als Gebauer erkrankte, ließ er sich genau über seinen Zustand berichten, um die hannoverschen Aerzte zu consultiren und theilte dann die von ihnen angerathenen Medicamente mit. Als Haller gleich bei seinem Einzuge seine Frau verlor, verschrieb ihm M. aus eigenem Antriebe seinen Landsmann und Lieblingsschüler Huber aus Basel. Es würde zu weit führen, wollte man alle Einrichtungen und Maßregeln aufzählen, mit denen er den Bedürfnissen des Unterrichts, wie sie nach und nach sich herausstellten und ihm von den Vertretern der einzelnen Fächer dargelegt wurden, zu Hülfe kam. Es muß hinreichen, einzelnes hervorzuheben. Auf Haller’s Anregung wurde ein theatrum anatomicum erbaut und der botanische Garten angelegt, ein Entbindungshospital gegründet und durch Münchhausen’s Verordnungen den jungen Medicinern die damals noch seltene Gelegenheit verschafft, sich selbständig in der Zergliederung menschlicher Leichen zu üben. Mochte zu der unter [742] Segner’s Anleitung erbauten Sternwarte ein alter Festungsthurm der Stadt benutzt sein, so galt sie doch ihrer inneren Einrichtung nach als sehr zweckmäßig und hat den Arbeiten des berühmten Tobias Mayer zur Stätte zu dienen vermocht. Besonderes Interesse schenkte M. der 1751 gestifteten und mit der Universität in Verbindung gesetzten königlichen Gesellschaft der Wissenschaften und dem litterarischen Organ der neuen Hochschule, den Göttinger gelehrten Anzeigen, deren Anfänge ins Jahr 1739 zurückgehen. Nicht weniger als für den Lüstre der Universität ist er für den der gelehrten Zeitung besorgt: er macht auf neue litterarische Erscheinungen aufmerksam, übersendet sie, dringt auf rasche Anzeige, weil das Studium novaturiens die Seele der Zeitungen sei, sucht durch sie die Kenntniß fremder Litteraturen, wie der englischen, russischen etc., und damit wieder den Ruhm Göttingens als eines Sammelpunktes aller Bildungsmittel auszubreiten. Die schriftstellerische Thätigkeit der Universitätsmitglieder liegt ihm überhaupt besonders am Herzen. So scharf er sich über die Arbeiten des Juristen Senckenberg äußert, er bedauert doch sein rasches Wiederweggehen von Göttingen wegen seiner Activität und seines fleißigen Schreibens: „die Leute wollen was sehen, wenn sie ein Vertrauen zu einem Orte fassen sollen“. Auch auf den Inhalt der Arbeiten suchte er einzuwirken: er macht gelehrte Mittheilungen, schickt interessante Acten, Statute, verschafft seltene Bücher, regt zu Vorlesungen an, die im Lehrplane fehlen, kurz ist von einer nicht blos unermüdlichen, sondern auch einer umsichtigen, nach allen Richtungen hin sorgsamen Thätigkeit. Alles sucht er für seine Georgia Augusta nutzbar zu machen, und es ist kein übler Witz, wenn Lichtenberg nach einem Gewitter bedauert, daß dabei so wenig zu beobachten, die Blitze so unsystematisch gewesen seien, wenn der selige M. noch gelebt hätte, wären sie sicherlich lehrreicher ausgefallen. Die den Göttinger Professoren für ihre Schriften gewährte Censurfreiheit ist oft mit Ruhm hervorgehoben worden. Es darf aber doch nicht übersehen werden, wie ängstlich man in der Handhabung war, sobald man eine Schädigung der Universität aus freimüthigen Aeußerungen ihrer Glieder oder eine Collision mit den Interessen anderer befürchtete. Der Historiker Köler, dessen Gewinnung M. als die eines Kleinods erschien, hatte eine Disputation gegen die Ritterschaft zu schreiben vor. M. hatte zwar nichts dagegen, weil linguae liberae in academiis sein müssen, wünscht aber doch das Manuscript zuvor zu lesen, um zu sehen, daß die hiesige principia nicht so gar großen Anstoß leiden. Als Pütter, gewiß ein vorsichtiger Mann, 1749 seine Patriotische Abbildung des heutigen Zustandes der höchsten Reichsgerichte erscheinen ließ und darin das Reichskammergericht vor dem Reichshofrathe bevorzugte, meinte M., damit schlage man zu Wien das Kalb in die Augen, weil der Reichshofrath in effectu noch die einzige Stütze und das Ueberbleibsel der kaiserlichen Autorität sei, und schickte dann selbst für die Gelehrten Anzeigen eine Recension der Art, daß der kaiserliche Hof nicht ombragirt würde. Schlimmer erging es Büsching. Seine theologische Doctordissertation zu Gunsten der biblischen, sich der scholastischen entgegensetzenden Theologie (1757), die ihm die Göttinger Facultät der Hauptsache nach durchgelassen hatte, zog ihm ein Rescript des Ministers zu, welches ihn verpflichtete, in theologischen Materien hinführo nichts zu ediren, welches nicht vorher dem Geheimenrathe zur Censur eingeschicket worden; motivirt war das mit der Besorgniß, daß man den Verfasser der Heterodoxie beschuldigen werde und die Feinde der Universität Gelegenheit nehmen möchten, dieselbe zu decreditiren und deren Zuwachs zu verhindern. Büsching meinte das Verfahren besonders auf den Consistorialrath Götte, den Beichtvater Münchhausen’s zurückführen zu können, aber aller Protection des Ministers ungeachtet hatte er doch auch bei seiner geographischen Arbeit es erfahren müssen, [743] daß von ihm die Einsendung der ihm durch die Stadtmagistrate unmittelbar zu Theil gewordenen Nachrichten und die Weglassung alles dessen gefordert wurde, was den königlichen Juribus nachtheilig sein könne.
War es ein seltenes Glück für Göttingen, daß ein Mann wie M. an seiner Wiege stand, so war es ein kaum geringeres, daß es ihm vergönnt war, fast vierzig Jahre seine Schöpfung unter seiner Leitung zu behalten. Kaum hatte die Universität ihre ersten schwierigsten Zeiten überstanden, so hatte der Friede ein Ende und der siebenjährige Krieg brachte der Stadt wiederholte und langwierige feindliche Occupation. Trotz der Anwesenheit französischer Besatzung wurde der regelmäßige Gang der Universitätsvorlesungen aufrecht erhalten. Die Zahl der Studirenden verringerte sich zwar, aber der Name und Ruf Göttingens wurde durch die fremden Offiziere weiter getragen. So beschränkt auch die Geldmittel in den öffentlichen Cassen wurden, M. wußte die fortdauernde Zahlung der Gehalte zu ermöglichen. Nach dem Kriege bedurfte besonders die Stadt der Hebung und Unterstützung. Das arme Göttingen, heißt es in einem Briefe Münchhausen’s vom Jahre 1763, erfordert fast eine neue Creation. Es zeugt für die Solidität der ganzen Einrichtung der Hochschule, daß die Störung der kriegerischen Jahre sich verhältnißmäßig wenig fühlbar machte. Wie weit hin der Name Göttingens erschollen war und welches Vertrauens sich seine Lehrer erfreuten, beweisen zwei Vorkommnisse der sechziger Jahre, die M. zu nicht geringer Genugthuung gereichten: die 1764 vom König von Dänemark ausgerüstete arabische Expedition, welche von Göttingen, namentlich Michaelis angeregt war und zu der sich Karsten Niebuhr hier vorbereitete, und der um dieselbe Zeit an Ayrer, Meister, Achenwall und Gatterer gelangende Antrag nach Petersburg zu kommen, um bei der beschlossenen Gesetz- und Justizreform ihren Rath zu ertheilen. Wollte man die Bedeutung der Universität an der Zahl ihrer Studirenden messen, so blieb sie allerdings weit hinter der Frequenz zurück, welche Halle und Jena in ihren glänzenden Tagen und Göttingen selbst gegen Ende des Jahrhunderts aufzuweisen hatten. Aber M. wie die Göttinger trösteten sich damit, daß es nicht sowohl auf die Menge, als die Tüchtigkeit und den Fleiß der Studirenden ankomme; und mit berechtigtem Selbstgefühl setzte man den „Purschenuniversitäten“ die gute Haltung und Wohlerzogenheit der Göttinger Studenten gegenüber. Eine tüchtige Universitätswache, ein wohldisciplinirtes Regiment, ein thätiger Polizeicommissar, fleißige Lehrer, eine vorzügliche Bibliothek, gute Predigeranstalten erachtete M. als Dinge, die mehr als alles übrige zur Erhaltung der Ruhe und Ordnung unter den Studirenden beitrügen. Daß er aber auch scharf von obenher einzuschreiten wußte, wo er eine Störung der Studien durch Bewegungen unter den Studenten besorgte, beweist sein Vorgehen gegen die Orden in wiederholt erneuerten Verboten von 1748, 1762 und den folgenden Jahren. Mitunter hat ihm trotz aller Vorsicht bei den Berufungen auch der Friede unter den Professoren zu thun gemacht. Mag er auch geäußert haben, Epigramme seien ihm lieber als die unthätige Harmonie, der satirische Geist Kästner’s ist ihm doch zuweilen recht unbequem geworden und hat auch wohl bewirkt, daß „dieser so geschickte Mann“ den Einfluß verlor, den er eine Zeitlang beim Curator besessen. Ueber die Art des Verkehrs mit dem Curator äußerte Kästner selbst: M. hatte es gern, daß man ihm frei schrieb; deswegen that er doch, was er wollte. Das wird auch für die anderen Vertrauensmänner zutreffen, die M. nach und neben einander in Göttingen hatte: Haller, Gesner, Michaelis, Ayrer, Heyne, Pütter, wie für die, welche er in Hannover zu Rathe zog, Strube und Scheidt, der sich seit seiner Berufung an die Bibliothek (1748) seines Vertrauens erfreute. Die Briefwechsel mit den meisten von diesen und mit manchen anderen sind erhalten, und man müßte sie ausschreiben, wollte man [744] ein vollständiges Bild der Thätigkeit und der Persönlichkeit Münchhausen’s entwerfen. Wird man bei der Durchsicht versucht, ihn der Vielregiererei oder einer weitausgedehnten Bevormundung zu zeihen, so wird doch dies Gefühl überwogen durch den Einblick, den man in den umfangreichen Wirkungskreis des Staatsmannes gewinnt, der mit größter Sachkenntniß und Pünktlichkeit die Geschäfte behandelt, bei aller Sorge für das Detail den Ueberblick über das Ganze behauptet und bei allem seinem Thun geleitet wird von einer unbegrenzten Liebe des boni publici. Als er in seinen letzten Lebensjahren einige Geschäftszweige abzugeben durch das Alter genöthigt ward, behielt er sich die Universitätsangelegenheiten vor und bearbeitete sie unter Assistenz des Geheimenrats Burch. Christ. von Behr, seines einstigen Nachfolgers, und des Secretärs Georg Brandes bis an sein Lebensende. Gelang es ihm 1769 in Lichtenberg und Schlözer Göttingen zwei seiner zukunftreichsten Namen zu sichern, so hat er in den letzten Wochen, die ihm beschieden waren, wie schon seit Jahren sich bemüht, Albrecht von Haller wieder nach Göttingen zu ziehen, und noch von seinem Sterbelager aus die Wegberufung Heyne’s abgewendet. M. hatte nach Zimmermann’s, seines Arztes, Bericht viele Jahre hindurch einen schwindsüchtigen Husten und ein beständiges Fieber gehabt. „Von seinen Ministerialgeschäften hatte den 82jährigen Mann seine Krankheit bis acht Tage vor seinem Tode auch nicht eine einzige Stunde abgehalten.“ M. war von Gestalt groß und mager; das Imposante seiner Erscheinung soll in etwas durch einen steifen Gang, Ueberbleibsel eines durch Springen aus einem durchgehenden Wagen verursachten Beinbruches, beeinträchtigt worden sein. Die freundlichen Gesichtszüge erhielten durch starke Augenbrauen etwas Würdevolles. Sein überlebensgroßes Bild im Botschaftercostüm, wie er es in Frankfurt trug, bewahrt die Göttinger Bibliothek, ein kleineres im Ritterharnisch hängt im Senatszimmer der Aula. Den Eingang des neuen Auditoriengebäudes schmücken die vier Sandsteinstatuen Münchhausen’s (die nördlichste), König Georg II., Herzog Julius II. (des Stifters von Helmstedt) und Leibnizens. Ueber das Liebenswürdige seiner Persönlichkeit sind alle Stimmen einig. Er konnte wie Titus niemanden ohne ein fröhliches Gesicht von sich lassen, sagt derselbe Gewährsmann, Schlözer, der bekennt: der Mann war für unser einen, der schon soviel Welterfahrung hatte, um Ernst und Realität von allgewöhnlichen Ministercomplimenten unterscheiden zu können, zum Anbeten. – M. hinterließ keine Nachkommen. Die beiden Kinder erster Ehe starben schon in den ersten Lebensjahren. Von seiner Frau geb. v. Wangenheim, die 1750 starb, berichtet Büsching’s Selbstbiographie mannigfach; sie war dem Pietismus zugethan und durch ihren Wohlthätigkeitssinn ausgezeichnet: das von ihrer Schwiegermutter begründete Strausfurter Waisenhaus bereicherte sie um vier Stellen, und noch heute vertheilen die Göttinger theologische und die juristische Facultät halbjährlich ein von ihr gestiftetes Stipendium. 1755 schloß der Minister eine zweite Ehe mit Christiane Lucie v. d. Schulenburg-Betzendorf, die ihn um 17 Jahre überlebte. Die Leiche Münchhausen’s ruht in der unmittelbar neben seiner Wohnung gelegenen Neustädter Hof- und Stadtkirche, die auch die Gebeine Leibnizens birgt. Am 28. December wurde in der Göttinger Universitätskirche (j. Bibliothek) eine akademische Trauerfeierlichkeit veranstaltet, bei der Heyne die Gedächtnißrede hielt und eine von Kästner gedichtete Cantate gesungen wurde. Unter den Zeitgenossen fehlte es nicht an Stimmen, die mit dem edeln Freiherrn auch den Ruhm und die Blüthe Göttingens begraben glaubten. Aber gerade darin zeigte sich seine Größe, daß die Einrichtungen, die er geschaffen, auch ohne seine persönliche Theilnahme fortwirkten, und die Lehrkräfte, die er mit sicherem Blick erkannt, sich zu ihrer vollen Bedeutung entwickelten. Gerade die 20 Jahre nach 1770 zeigen die höchste Blüthe Göttingens und die Richtung, [745] die M. ihm gegeben, ist noch lange hin für Lehrer wie für Lernende bestimmend geblieben.
- Treuer, Geschlechtshistorie der Herren von Münchhausen. (Gött. 1740), S. 171. A. F. v. Münchhausen, Geschlechtshistorie des Hauses derer v. M., (Hannov. 1872), S. 87. Zedler, Univ.-Lex. s. h. v. Pütter, Litt. des Teutschen Staatsrechts 2, S. 1 ff. Heeren, Heyne, S. XIV und 95 ff. v. Hassell, die schles. Kriege u. das Kurfürstenth. Hannover, S. 250 ff. Droysen, Gesch. der preuß. Politik V, 2, S. 522 ff. A. Dove, Das Zeitalter Friedrichs d. Gr. u. Joseph II. (Gotha 1883), S. 81, 337 u. a. m. Borkowsky, Die englische Friedensvermittlung im J. 1745, (Berl. 1884), S. 36, 56 u. a. m. Schäfer, Gesch. des siebenj. Krieges I, 237, II, 1, S. 375. Stüve, Art. Hannover im Staatswörterb. v. Bluntschli und Brater 4, S. 720. O. Klopp, Leibnizen’s Werke 5, S. 66. Rößler, die Gründung der Univ. Göttingen, S. 10 u. v. a. St. Unger, Göttingen u. die Georgia Augusta, S. 71 ff. Selbstbiographien v. Pütter, J. J. Moser, Büsching (Beitr. z. der Lebensgesch. denkwürd. Personen, Thl. 6). Chr. v. Schlözer, A. L. v. Schlözers öffentl. und Privatleben, Bd. 1, S. 96 u. 143. Kästner, Werke 4, S. 105. Göttinger Professoren: A. v. Haller v. Henle, Pütter v. Zachariä, (Gött. 1872). Hugo, Lehrbuch der Geschichte des Röm. R. seit Justinian, S. 527 ff. O. Mejer, ehemal. Studentenverbindungen, (Nord u. Süd, XXIX, S. 69). F. Frensdorff, über e. Band des Pütter’schen Nachlasses, (Nachr. v. d. Kgl. Gesellsch. der Wiss. 1883, Nr. 2); die Anstellung Pütter’s in Göttingen, (Ztsch. des histor. V. f. Niedersachsen, Jhrg. 1883, S. 256). Bodemann, Zimmermann, S. 60. Pütter, Gelehrtengesch. v. Gött. 2, S. 219, 240.