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ADB:Naumann, Johann Gottlieb

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Artikel „Naumann, Johann Gottlieb“ von Emil Naumann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 306–314, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Naumann,_Johann_Gottlieb&oldid=- (Version vom 29. November 2024, 09:49 Uhr UTC)
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Naumann: Johann Gottlieb N., kursächsischer Kapellmeister. – Der musikalische Zopf in Deutschland erhielt seine erste Anregung von Italien her. Die etwa mit dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts in ihren Anfängen sich zeigende Vorliebe der italienischen Tonkunst für nur sinnlichen Wohllaut darf man sich jedoch nicht so vorstellen, als wenn dieselbe plötzlich, wie eine über ihre Dämme steigende Fluth, über die Tonschulen Italiens und dessen Nachbarländer hereingebrochen wäre. Selbst die neapolitanische Schule, obwol sie später der eigentliche Heerd für die Hervorbringung des nur Conventionellen und Modischen in der italienischen Tonkunst werden sollte, begann ursprünglich noch auf einen hohen und reinen Ton gestimmt sich zu entwickeln. Ihr Haupt, Alessandro Scarlatti, verdient einen Platz neben Gabrieli, Palestrina und Lotti, den Großmeistern der anderen classischen Tonschulen Italiens, und selbst der spätere, ganz ausgewachsene musikalische Zopf giebt dem wirklichen Talente noch immer Gelegenheit zu einer künstlerischen Entfaltung, die sich sehr wohl und auffallend von der Mittelmäßigkeit oder von den Nichttalenten dieser Epoche unterscheidet. Das Letztere ist selbst noch von gewissen Schülern der Italiener unter den Deutschen zu sagen; namentlich von solchen, die, gleich Hasse, Graun und N., den italienischen Zopfstil am talentvollsten bei uns vertreten haben und sich darum ebenfalls von einer großen Zahl anderer, in diesem Stil componirender, aber weniger begabter deutscher Tonsetzer höchst vortheilhaft unterscheiden.

N. ward am 17. April 1741 in dem durch Schillers „Wallenstein“ so bekannt gewordenen Dörfchen Blasewitz bei Dresden an der Elbe geboren. Sein Urgroßvater war Hufschmied, sein Großvater (1676–1757) Waffenschmied, sein Vater dagegen ein schlichter Bauer und Besitzer eines bescheidenen Grundstückes und Häuschens in Blasewitz. Den ersten Unterricht genoß der Knabe in der Dorfschule zu Loschwitz, einem, seinem Heimathsort auf dem andern Ufer der Elbe gegenüberliegenden reizenden Dörfchen. Sein Talent für Musik und die Wissenschaften zeigte sich schon so früh und bedeutend, daß ihn seine Eltern, obgleich es fast über ihre Mittel ging, das Gymnasium „zum heiligen Kreuz“ in Dresden besuchen ließen. Hier erhielt er sowohl den ersten lateinischen, als Gesangsunterricht und benutzte nebenher seine Bekanntschaft mit dem Loschwitzer Dorforganisten so trefflich, daß er schon mit 12 Jahren im Stande war, die Orgel beim Gottesdienst in der Loschwitzer Dorfkirche zu spielen. Der Vater hätte ihn gern sich gänzlich zum Organisten, Kantor oder Schulmeister ausbilden lassen; die lebhafte Mutter widersprach jedoch solchen Plänen auf das Entschiedenste. Sie meinte, ein Schulmeister erhalte nur durch die Gunst eines Höhern sein Aemtchen, und sei, selbst wenn er es erhalten, abhängig von Hunderten, vor welchen er sich sein Leben lang biegen und schmiegen müsse. Ein tüchtiger Handwerker hingegen finde bald durch sich selbst sein Unterkommen, brauche sich dafür bei niemand zu bedanken und nicht mehr zu arbeiten als er bezahlt erhalte. Sie drang mit ihrer Meinung durch und der Sohn ward in seinem 13. Jahre zu einem Schlosser in die Lehre gebracht. Der arme Knabe hatte dort zunächst Glas zu stoßen, das die Schlosser zum Löthen brauchen: ein Geschäft, das den ehemaligen Kreuzschüler so unglücklich machte, daß er eines Tages seinem Meister entlief. Der Empfang zu Hause war nicht der freundlichste. Die Mutter forderte, daß er schnurstracks zu seinem Meister zurückkehren [307] solle. Da der Knabe jedoch versicherte, daß er lieber in den Tod gehen werde, versuchte man ihn durch ein anderes Mittel mürbe und gefügig zu machen. Es ward ihm zuerkannt – das Vieh seines Vaters zu hüten. So beschimpfend diese Verrichtung für den Halbjüngling zu sein schien, so gelassen unterzog er sich doch derselben. Er befand sich ja dann wenigstens in freier Luft, sah das schöne bergige Stromthal der Elbe um sich her und konnte seinen Träumereien und Ideen, namentlich seinen musikalischen, ungestört nachhängen. Eine solche Ergebung in sein Schicksal paßte keineswegs in die Absicht der Mutter; der Vater nahm jedoch jetzt lebhaft des Sohnes Partei und meinte gegen seine Frau: „sie werde in ihren alten Tagen doppelt andächtig in der Kirche mitsingen, wenn ihr ältester Sohn dazu die Orgel spiele.“ Dies schlug durch und der glückliche Knabe durfte fortan seiner Neigung folgen, erhielt nun den ersten höheren Musikunterricht bei dem Dresdener Cantor Homilius und wanderte auf diese Weise bis zu seinem 16. Lebensjahre ununterbrochen zwischen Dresden und Blasewitz hin und her. Sein höchster Genuß aber war, Sonntags in der Dresdener katholischen Hofkirche eine Messe von Hasse mit anzuhören; denn diesen großen Tonkünstler, den selbst seine italienischen Zeitgenossen so hoch schätzten, daß sie ihm den Beinamen: il caro Sassone gaben, liebte N. schon damals und bis in sein angehendes Alter mit wahrer Ehrfurcht. Im Bauernhäuschen seiner Eltern übte er daneben täglich Tonsätze von Seb. Bach auf einem höchst mittelmäßigen tafelförmigen kleinen Clavier, die er bald mit Fertigkeit, formalem Verständniß und Gefühl vortragen lernte; eine Thatsache, die um 1757, also nur sieben Jahre nach des großen Leipziger Cantors Tod, dem seine Mitwelt ja eigentlich nur respectvoll aus dem Wege gegangen war, schon zu den Seltenheiten gehörte und zu einer höchst bedeutsamen Wendung des Geschickes unseres angehenden Jüngers der Tonkunst mit beitragen sollte. Zu Dresden befand sich nämlich in den ersten Frühlingsmonaten des obengenannten Jahres unter vielen anderen Fremden auch ein schwedischer Kammermusikus, Weeström mit Namen, ein junger, munterer, in seiner Kunst nicht unerfahrener, aber auch das Leben gern genießender Mann. Bei seinen vielen Spaziergängen in die reizende Umgegend Dresdens war er auch einmal nach Blasewitz gekommen und hatte daselbst die Erfahrung gemacht, daß unseres Naumann Mutter zwar keine eigentliche Gastwirthschaft halte, jedoch auf Begehren einen sehr guten Kaffee koche und einen trefflichen Stangenkuchen backe. Er fand sich von da an häufig in dem kleinen Häuschen ein. Zu seinem Erstaunen sah er einst auf dem kleinen Spinett, das in dem Bauernstübchen stand, Bach’s „Wohltemperirtes Clavier“ liegen und ließ sich von seiner Wirthin, da er hörte, daß der Sohn des Hauses dasselbe spiele, das Versprechen geben, ihm denselben in sein Hotel zu näherer Prüfung zu senden. N. erschien am anderen Tag in dem noch heute existirenden Hotel de Saxe und überraschte Weeström durch seine musikalischen Fähigkeiten dergestalt, daß er dem Jüngling vorschlug, ihn auf seine Kosten mit sich nach Italien zu nehmen, wohin er selber, um den Unterricht des berühmten padre Tartini zu genießen, im Auftrage seiner Regierung gehe. So freudig der junge Mensch auch hierzu bereit war, so hatte er doch einen harten Stand bei seinen Eltern, die sowol die damals so weite Entfernung Italiens, als der Gedanke, daß ihr im Lutherthum aufgewachsener Sohn zum Katholicismus bekehrt werden könne, zu einem entschiedenen Widerstand bewogen. Es gelang jedoch dem Schweden, denselben zu brechen und so trat er mit seinem Schützling Ende Mai des Jahres 1757 die für den Letzteren entscheidend werden sollende Fahrt nach Italien an. Die Reisenden gingen zunächst nach Hamburg, freilich ein seltsamer Weg, um von Dresden nach Italien zu gelangen. Angekommen in der alten Hansestadt sollte der junge Sachse die traurige Erfahrung machen, daß ihn sein vorgeblicher Beschützer nicht als seinen [308] jugendlichen Freund und Begleiter, sondern als seinen Bedienten, ja als seinen Sclaven behandelte. Zehn Monate blieben sie in Hamburg, ohne daß für den jungen N. von Musik die Rede war. Der völlig mittellose und daher ganz auf Weeström angewiesene Jüngling mußte diesem seinem nunmehrigen Herrn nicht nur täglich die Kleider bürsten, die Stiefeln putzen, den Ofen heizen, den Kaffee kochen und zum Laufburschen dienen, sondern erhielt nicht einmal, wie Leporello, „schlechte Kost und wenig Geld“, da ihm Weeström, um ihn völlig in seiner Gewalt zu behalten, baare Münze überhaupt nicht verabreichte. Erst nachdem der Winter von 1757 auf 1758 völlig verstrichen war, wurde die Weiterreise nach Italien angetreten, wobei Weeström im Postwagen saß, während N. denselben Weg meist zu Fuß machen mußte, eine Thatsache, die sich nur dadurch erklärt, daß die damals den Verkehr besorgenden Postkutschen einen wahren Schneckengang innehielten. Etwa im Mai 1758 trafen sie in Venedig ein, dessen imponirenden ersten Eindruckes sich der junge Nordländer bis an sein Lebensende erinnerte. Aber auch in Italien gedachte Weeström so wenig seiner, N. und dessen Eltern gegebenen Versprechungen, mittelst deren er den Jüngling aus den Armen der Seinen gerissen, daß er ihn von aller Betheiligung an dem Unterricht Tartini’s ausschloß. Statt dessen mußte ihm der junge Mensch sein Cello täglich in des Meisters Wohnung und wieder zurücktragen. Unter solchen Umständen erscheint es fast wie eine Fügung des Himmels, daß Padre Tartini N. einmal zufällig auf dem Corridor traf, wo er sich wenigstens horchend an der im Innern der Wohnung des Meisters von dessen Schülern gemachten Musik zu betheiligen suchte. Eine Frage gab die andere; das offene, ehrliche Wesen des jungen Nordländers gefiel dem Italiener und nachdem er durch weiteres Ausforschen erfahren, wie die Dinge in Wahrheit lagen, sagte er zu dem Jüngling in gütigem Tone: „Mein Sohn, Du sollst nicht blos an der Thüre stehen bleiben, von morgen an gehörst Du zu meinen Schülern und betheiligst Dich an dem Unterricht, den ich Dir, wenn ich finde, daß Du Talent hast, unentgeltlich ertheilen werde.“ Weeström mußte gute Miene zum bösen Spiele machen und den neuen Mitschüler dulden. Im J. 1761, nach einem dreijährigen Cursus in der Harmonielehre, im Contrapunkt und in der musikalischen Formenlehre, verließ N. mit dem ausgezeichneten deutschen Violinisten Pitscher Padua, um über Rom nach Neapel zu reisen, wo beide, zu dem Zwecke die italienische Oper zu studiren, über ein halbes Jahr verweilten. Von hier kehrten die Reisenden zur Charwoche abermals nach Rom zurück, um die in dieser Zeit durch den päpstlichen Sängerchor in der sixtinischen Capelle vorgetragenen alten a capella–Gesänge zu hören. In Bologna fand N. einen Brief seines trefflichen Meisters Tartini vor, durch den derselbe ihn dringend dem Padre Martini empfahl, der in Bologna lebte und sich damals einer kaum geringeren Berühmtheit erfreute als Tartini. Dieser rüstete ihn wieder mit Empfehlungen nach Venedig aus, durch die er nicht nur so zahlreiche Schüler daselbst fand, daß er sein Leben fortan durch Musikunterricht zu fristen vermochte, sondern auch bald den Auftrag erhielt, eine Opera buffa für das Theater San Samuele zu schreiben, den er in der unglaublich kurzen Zeit eines Monats ausführte. Dieser dramatische Erstling gefiel so sehr, daß er während des Carnevals 1763 einige 20 Mal gegeben ward.

Nach Beendigung des siebenjährigen Krieges, der mit dem Frieden von Hubertusburg seinen Abschluß gefunden und N. auch in seinem Vaterlande die Wiederkehr geordneter und der Kunst günstigerer Zustände vermuthen ließ, erwachte in ihm die Sehnsucht nach seinen Eltern und nach seiner Heimath, welche ihn, wie aus seinen Briefen zu ersehen war, keinen Augenblick verlassen hatte, in verdoppelter Stärke. Er componirte den Satz einer Messe für die katholische Hofkirche in Dresden und sandte denselben seiner lebhaften und courageusen [309] Mutter mit der Bitte, das Werkchen der verwittweten Kurfürstin Maria Antonia in einer der Audienzstunden derselben zu überreichen. Von dem Wohl- oder Uebelgefallen dieser hochstehenden musikalischen Dame wollte er dann sein nächstes ferneres Schicksal abhängen lassen. Der Vater des jungen Meisters schüttelte zu dem Schreiben zweifelnd sein Haupt; die Mutter hingegen fand den ganzen Plan vortrefflich. Die muthige Frau legte zum nächsten Sonntag ihre besten ländlichen Kleider an, empfahl ihr Vorhaben und den geliebten Sohn dem Schutze Gottes und postirte sich in den Gang, den die Kurfürstin auf ihrem Wege aus der Hofkirche zum Schlosse passiren mußte. Als Maria Antonia endlich erschien, überreichte sie ihr mit zitternden Händen und bebenden Worten die Arbeit ihres Sohnes, die die Fürstin mit den Worten entgegennahm: „Nun wohl, gute Frau, ich nehme ihr Geschenk an, und wenn sie heute über acht Tage wieder herkommen will, so soll sie es aufrichtig von mir erfahren, wie mir die Arbeit gefallen hat.“ Eine Woche später erfuhr die brave Bäuerin, daß Maria Antonia so zufrieden mit der überreichten Composition sei, daß sie in Italien bereits Erkundigungen über deren Componisten einzuziehen begonnen. Die letzteren fielen so günstig für N. aus, daß ihn die Kurfürstin nach Dresden berief und ihm das Geld zur Rückreise auszahlen ließ. So sah denn N. nach siebenjähriger Abwesenheit seine Eltern und seine Heimath wieder, woselbst ihm zunächst die Composition einer ganzen Messe aufgetragen wurde, deren Probe im Musiksaal der Kurfürstin von so trefflicher Wirkung war, daß der 23jährige Meister mittelst Rescript vom 18. September 1764 mit 240 Thaler Jahresgehalt (damals das Dreifache von heute) zum kurfürstlich sächsischen Kirchencomponisten ernannt ward. Im Sommer des nächsten Jahres wurde dem jungen Kammercomponisten Urlaub auf ein Jahr ertheilt, damit er in Italien die letzte Hand an sein musikalisches Können und Wissen lege. Denn in Italien mußte damals jeder deutsche Musiker heraufgekommen sein und seine ersten Erfolge gefeiert haben, wenn er in der deutschen Heimath etwas gelten und für voll angesehen werden sollte. So brach denn N. in Begleitung seiner Kunstbrüder und späteren Collegen Joseph Schuster und Franz Seydelmann abermals nach Italien auf, dem damaligen Eldorado der Tonkunst, woselbst unser junger Blasewitzer für Palermo und Venedig die Opern: „Achille in Sciro“ und „L’Alessandro nelle Indie“ componirte. Er hatte damit soviel Erfolg, daß ihm seine Regierung seinen Urlaub bis October 1768 verlängerte. Nunmehr aber mußte er zurückkehren, da ihm der Befehl zu Theil geworden, zur bevorstehenden Vermählung des Kurfürsten Friedrich August III. Metastasio’s „La Clemenza di Tito“ als Festoper für das königliche Hoftheater in Musik zu setzen. Die im Januar 1769 stattfindende Festaufführung der genannten Oper hatte sich des allgemeinsten Beifalls zu erfreuen und da man die N. so rasch zu Theil gewordene dramatische Fertigkeit im Stil der Neapolitaner allein seinem Aufenthalt in Welschland zuschrieb, so brach er im J. 1772 mit einem abermaligen Urlaub seiner Regierung zum dritten Male nach Italien auf. Er nahm seinen Weg diesmal über Augsburg und München, in welcher letzteren Stadt sich damals Maria Antonia zum Besuch am Hofe ihres Bruders, des Kurfürsten von Baiern, befand und musicirte mit derselben, sie am Clavier begleitend und täglich in die höchsten Kreise mit einbezogen, länger wol, als ihm für seine italienischen Kunstzwecke lieb sein konnte. Denn wenn auch Maria Antonia eine vortreffliche Musikerin war und die Huld, die ihm die hohen Herrschaften erwiesen, ihm schmeichelhaft sein mußte, so war doch sein Urlaub nach Italien nicht allzuweit bemessen und wurden aus den vier oder fünf Tagen, die er in München zu verweilen gedachte, ebenso viele Wochen. Endlich im Lande seiner Sehnsucht angekommen, componirte er dort in überraschend kurzer Zeit für Venedig die Opern „Solimano“, „Le Nozze disturbate“, „L’Isola disabitata“, [310] „L’Ipermnestra“ und für Padua „L’Armida“. Daß dem gefeierten Tonkünstler in Welschland vortheilhafte Anerbietungen, zu dem Zwecke, ihn dort ganz festzuhalten, gemacht wurden, ist natürlich; ebenso begreiflich aber erscheint es, daß er, als guter Deutscher und ein dem sächsischen Hof besonders verpflichteter Meister an Dresden festhielt. Dagegen muß es als ein besonderer Beweis der Treue gegen sein specielles Vaterland Sachsen angesehen werden, daß er 1774 auch einen glänzenden Antrag, als Hofcapellmeister mit 2000 Thaler Gehalt, der ihm nach seiner Rückkehr aus Italien durch Friedrich den Großen zu Theil ward, wenn auch erst nach einem Kampfe mit sich selbst, da er in vieler Beziehung ein Bewunderer dieses großen Königs war, ebenfalls ausschlug. Man wußte dies in Dresden zu würdigen und ernannte N. 1776 mit 1200 Thaler jährlichem Gehalt zum kurfürstlich sächsischen Hofcapellmeister. Für das Dresdener Hoftheater hatte er während dieser Zeit die Opern geschrieben: „Il Villano geloso“ und „L’Ipocondriaco“.

Als den Beginn eines neuen Abschnittes der Künstlerlaufbahn Naumann’s haben wir das Jahr 1776 zu bezeichnen. N. war bereits, nächst Hasse und Graun, der beliebteste unter den Meistern geworden, die den italienisirenden Stil während des 18. Jahrhunderts von Welschland nach Deutschland übertragen hatten, oder – noch deutlicher gesprochen: welche die, im Interesse der damals alles dominirenden Sänger unter den Ausläufern der neapolitanischen Schule emporgekommene Concertoper auch in Deutschland einheimisch machten, was jedoch bei großen Talenten, wie die drei Genannten, eine trotzdem zuweilen eintretende und aus deutschem Ernst hervorgehende Vertiefung ihrer Bühnenwerke nach der dramatischen Seite hin nicht ausschloß. Der Ruf nun, den sich N. in diesen Beziehungen erworben, hatte ihm bis zu dem obengenannten Jahre hauptsächlich Aufträge und Triumphe im Süden, d. h. in Italien, verschafft, wo man stolz auf den daselbst ausgebildeten nordischen Schüler geworden war. Von 1776 an nimmt auch der Norden an der Würdigung seiner künstlerischen Bedeutung Theil und zwar namentlich der skandinavische, da ihm der sächsische Hof, auf direct ausgesprochene Wünsche der dortigen Souveräne, von nun an sowol nach Stockholm wie nach Kopenhagen wiederholten längeren Urlaub ertheilte. Zunächst war es König Gustav III. von Schweden, der unseren Meister nach dem Norden berief, jener hervorragende und freisinnige Monarch, der später so tragisch endete, daß ihn der Franzose Auber und der Italiener Verdi in unserem Jahrhundert zum Helden der beiden Opern machten: „Gustave III.“ (in Deutschland „Der Maskenball“ genannt) und „Un Ballo in Maschera“. Diesmal bestand Naumann’s Aufgabe darin, die sehr heruntergekommene königliche Kapelle nach den Bedürfnissen der Neuzeit zu reformiren, sowie die Oper „Amphion“ in schwedischer Sprache für die Stockholmer Hofbühne in Musik zu setzen. Es gelang dem sächsischen Meister, bald einen gebildeteren musikalischen Vortrag sowie zugleich eine strammere dienstliche Disciplin bei der schwedischen Kapelle einzuführen. Die sichtliche Gunst des Königs gab hierbei allen seinen Ermahnungen Nachdruck und seinen Maßregeln Gedeihen. Es ward sehr bemerkt, daß ihm zu jeder Tageszeit freier Zutritt bei Hofe eingeräumt ward und daß selten ein Tag verging, wo der Monarch ihn nicht zu sich rufen ließ, noch mehr aber, daß Gustav III. sich häufig persönlich bei den Proben einfand, die N. angesetzt hatte. N. ward auf diese Weise nicht nur bei der Bevölkerung populär, durch die auch seine Oper „Amphion“ glänzend aufgenommen worden war, sondern auch der gefeierte Mann des Tages in den aristokratischen Kreisen Stockholms und, nachdem erst die Herzogin von Südermannland bei ihm Unterricht zu nehmen begonnen, wollten alle vornehmen Cavaliers und ihre Damen von ihm singen, spielen und componiren lernen. Der König hatte sich überdies so sehr in die [311] immer wieder gegebene Oper „Amphion“ verliebt, daß deren Schöpfer von der ersten Aufführung der Oper an von ihm nicht anders mehr genannt wurde als „Amphion“. Unter diesen Umständen kann es uns nicht wundern, daß N. unter dem 26. Februar 1778 an einen Dresdener Freund schrieb: „Ganz Stockholm ist mein; Amphion hat einen erstaunlichen Lärm gemacht und einen unerhörten Beifall gehabt, sowohl vom Hof, wie von der ganzen Stadt“, und als er den Tag darauf den König in der Freimaurerloge sprach, um ihm dort seinen Dank für die vielen ihm gestern gegebenen Beweise von Huld auszusprechen, unterbrach ihn der König mit den verbindlichen Worten: „Mein lieber Naumann, das sind nur Kleinigkeiten, die Sie nicht als Geschenk eines Königs, sondern nur als Zeichen meiner Freundschaft und des Vergnügens betrachten wollen, welches Ihr Amphion mir gemacht hat. Ich behalte mir Besseres für Sie vor, wenn Sie abreisen werden, da ich mir leider nicht mit der Hoffnung schmeicheln darf, Ihr Glück in Schweden zu machen.“ – Im J. 1780 ging N. zum zweiten Male nach Stockholm, woselbst seine, ebenfalls in schwedischer Sprache geschriebenen Opern „Cora“ und „Gustav Wasa“ (mit „Amphion“ zusammen die drei bedeutendsten unter seinen dramatischen Werken), einen ganz unglaublichen Erfolg errangen. Cora namentlich hat sich bis in die neueste Zeit auf der schwedischen Bühne lebendig erhalten, da diese 1780 für Stockholm componirte Oper im J. 1882, zur Feier des 100jährigen Bestehens der dortigen, von N. einst persönlich eingerichteten Capelle und Oper, abermals gegeben und mit großem Beifall vom heutigen Publicum der Hauptstadt Skandinaviens aufgenommen ward. Der ebenfalls für Schweden geschriebene „Gustav Wasa“, dessen Sujet Gustav III. selber gewählt und an dessen poetisch-dramatischer Gestaltung und Versificirung der Monarch persönlich mitgewirkt hatte, ward sogar zur schwedischen Volks- und Nationaloper und enthält, gleich dem Amphion, einzelne Scenen und Nummern, die heute noch einer Aufführung würdig wären. Für Kopenhagen, nach welcher Stadt N. 1785 während seiner Dresdener Urlaubszeit berufen ward, lieferte er eine dänische Umarbeitung seines „Orpheus“. Auch hier wurden ihm die glänzendsten Anerbietungen gemacht, um ihn für immer zu fesseln; aber auch hier hielt N. in unerschütterlicher Treue an Sachsen und an dessen Fürstenhause fest. Ein so unbeirrtes Beharren verfehlte nicht seine Wirkung; am 20. November 1786 ward der sächsische Meister zum kurfürstlichen Obercapellmeister mit 2000 Thaler Jahresgehalt ernannt. Aber auch außerhalb der Grenzen Sachsens fuhr man, wie bisher fort, ihn auszuzeichnen. Schon als N. mit seiner Oper „Orpheus“ einen immensen Erfolg in Kopenhagen gehabt, verschaffte sich König Friedrich Wilhelm II. von Preußen durch seinen Gesandten, und zwar ohne Vorwissen des Componisten, mehrere Nummern aus der noch als Manuscript existirenden Oper, ließ sich, da er ein leidenschaftlicher Cellospieler war, dieselbe für Violoncell mit begleitendem Orchester arrangiren und befahl, als N. auf seiner Rückreise von Dänemark nach Sachsen Berlin berührte, denselben nach Potsdam. In Sans-Souci angekommen, ward der Tonkünstler in den Kuppelsaal des Schlosses geführt, wo er zu seiner Verwunderung lange warten mußte, ohne daß ihn jemand ansprach, während er sich zugleich ein seltsames Knistern und Flüstern hinter einer ihm gegenüber befindlichen Doppelthür nicht zu erklären wußte. Da öffnet sich dieselbe unvermuthet, rauschende Orchesterklänge erschallen und unser Meister erblickt dicht vor sich Friedrich Wilhelm II., der, an seinem Cello sitzend und von seiner Capelle umgeben und accompagnirt, den Componisten des „Orpheus“ mit dessen eigenen Tönen begrüßt. (Dem Verfasser ward die Ehre zu Theil, den erzählten Vorfall wörtlich in der oben mitgetheilten Weise aus dem Munde König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen zu vernehmen.) Solchen Bezeugungen von Huld schloß sich 1788 eine, N. durch Friedrich Wilhelm II. zu Theil werdende Einladung nach Berlin an, der ebensolche in den Jahren 1789 und 1793 folgten. Bei [312] diesen Gelegenheiten kamen im königlichen Opernhause der preußischen Hauptstadt sein pantomimisches Ballet „Le sort de Médéa“ und seine ernste Oper „Protesilao“ zur Aufführung, während man um dieselbe Zeit, sowol in der Berliner Singakademie wie in Potsdam, sein Oratorium „Davidde in Terebinto“ gab. Durch das letztere Werk hatte sich der König so erbaut gefühlt, daß er dessen Componisten nicht nur mit Huld und Ehren überhäufte, sondern ihm auch eine mit Brillanten besetzte und mit 400 Friedrichsd’or gefüllte goldene Dose überreichen ließ, der er im J. 1797, als er N. zum vierten Male nach Berlin citirt, außer einem Reisehonorar von 1000 Thaler eine zweite prächtige Dose hinzufügte, die einen noch höheren Werth dadurch erhielt, daß sich Friedrich der Große derselben bedient hatte. Bei der letzten Gelegenheit führte auch die Berliner Singakademie unter der Leitung ihres Stifters und Dirigenten Karl Friedrich Christian Fasch (1736–1800) unserem Meister zu Ehren dessen schönen 111. Psalm auf. In Dresden war N. während der genannten Jahre ebenfalls nicht müßig geblieben. Außer durch mehrere neue Opern, darunter die 1791 componirte opera buffa „La Dama soldata“ und das zu der 1792 stattfindenden Hochzeit des Prinzen Max bestimmte Festspiel „Amore giustificato“, hatte er sich hier in den beiden letzten Jahrzehnten durch eine Reihe vortrefflicher Messen für die katholische Hofkirche hervorgethan, von denen noch in der Gegenwart mehrere in Dresden die hohen katholischen Festtage zu verherrlichen bestimmt sind. So stehen noch heute Aufführungen Naumann’scher Messen für den 2. Oster- und den 2. Pfingstfeiertag in Dresden traditionell fest. Doch ist es nicht blos die Pietät, die diese Werke in der Stadt lebendig erhält, wo der Meister dereinst gewirkt; Naumann’sche Messen, Vespern, Litaneien etc. kommen in der Gegenwart auch noch in anderen katholischen Ländern und Kirchen vielfach zu Gehör, so in den letzten Jahrzehnten namentlich in Oesterreich-Böhmen und im katholischen Rheinland, in welchem letzteren der Verfasser selber einer besonders glänzenden Aufführung der As-dur-Messe des Meisters in dem herrlichen Kölner Dom beiwohnte. Das letztgenannte Werk sowie Naumann’s A-moll-Messe sind überdies im besten Sinn Muster jenes musikalischen Zopfstils, den Deutschland von Italien überkommen und liefern außerdem den schlagenden Beweis dafür, daß es dem wirklichen gebornen Talente gegeben ist, auch in einer Zeit allgemeiner musikalischer Decadence sich über deren Durchschnittsniveau zu erheben, die Auswüchse der herrschenden Kunstmanier zu mildern und selbst den Stil einer solchen Zeit, soweit dies der Einzelne vermag, zu veredeln. Hieraus erklärt sich nicht nur, daß unser Meister als Kirchencomponist heute noch hochgeschätzt und vielfach zu Gehör gebracht wird, sondern auch die warme Anerkennung, die man ihm selbst noch in einer Zeit angedeihen ließ, in welcher Genies, wie Mozart und Beethoven, alle neben ihnen wirkenden Meister überstrahlten und verdunkelten. So schreibt Graf Dietrichstein in Wien unter dem 23. Februar 1823 an den Fürsten Lichnowsky, mit der Bitte, sein Schreiben an Beethoven mitzutheilen, bei welchem damals der Kaiser von Oesterreich eine Messe bestellen zu wollen schien: „Fugen lieben Se. Majestät sehr, das Dona nobis pacem mit dem Agnus Dei ohne besonderen Absprung verbunden und sanft gehalten; was bei zwei Messen von Naumann und von Abbé Stadler eine besonders schöne Wirkung macht.“ – Beethoven selber spricht der Gräfin Elise von der Recke, die Beethoven zu einer Aufführung Naumann’scher Messen nach Dresden entboten, unter dem 11. des „Weinmonats“ des Jahres 1811 sein aufrichtiges Bedauern darüber aus, daß ihre Einladung zu spät komme; der Meister war nämlich durch eine für Ungarn rasch zu vollendende Composition damals an Wien gebunden. Aber nicht nur Naumann’s 21 Messen, ein Te Deum laudamus, viele Offertorien und andere katholische Hymnen fanden in der mitgetheilten Weise bis auf unsere Tage ihre Würdigung, sondern in gleicher Art manche von N. als Protestant componirte [313] Psalmen, Motetten, Oratorien und Cantaten und unter den letztgenannten namentlich sein durch Melodienreichthum, originelle Erfindung und große Ensemblewirkungen ausgezeichnetes Oratorium „I Pellegrini“ sowie sein Meisterwerk, das Klopstock’sche „Vaterunser“, über das kein Geringerer als C. M. v. Weber an einen Fachgenossen, der ihn um die Nennung eines zu einem Musikfest geeigneten chorischen Werkes bittet, unter dem 27. Februar 1823 schreibt: „Vorschlagen könnte ich Ihnen das jetzt im Stich erschienene (bei Breitkopf & Härtel in Leipzig) Vater Unser von Naumann. Ein herrliches Werk!“ – Der Schöpfer des „Freischütz“ gab diesem seinem Urtheil über das genannte Werk eine neue Bekräftigung dadurch, daß er zu dem denkwürdigen großen Musikfeste, welches er am 1., 2. und 3. Juli 1824 in Quedlinburg dirigirte und das zur Verherrlichung von Klopstock’s 100. Geburtstage in des Dichters Vaterstadt gefeiert wurde, Naumann’s „Vater Unser“ auserwählte und an die Spitze der aufzuführenden Werke gestellt hatte. Aus dem Oratorium „Die Pilger“ ward in Berlin neuerdings der, durch seinen innigfrommen Ausdruck und seine melodische Schönheit tief rührende „Pilgergesang“, der zugleich als polyphon reich entwickeltes Ensemblestück wirkt, in der Bearbeitung von Professor Julius Stern abermals neu aufgelegt und in verschiedenen Vereinen wieder aufgeführt und der bedeutendste Kirchencomponist Deutschlands, seit dem Hingange Mendelssohn’s, der uns im Jahre 1885 leider ebenfalls durch den Tod entrissene Meister Friedrich Kiel, versicherte dem Verfasser, daß er dem Studium der Naumann’schen Messen sehr viel verdanke, wie denn beispielsweise auch das Agnus dei aus Kiel’s berühmtem F-moll-Requiem, Einwirkungen des kursächsischen Meisters auf den so viel jüngeren Meister in einem hohen Grade zeigt. Es sind darin unschwer directe Anknüpfungen an das ergreifende Miserere aus dem Gloria von Naumann’s As-dur-Messe zu erkennen. Wir berühren einen solchen Fall nur darum, um darzuthun, wie vielfache und unmittelbare Einwirkungen auf hervorragende Meister der Gegenwart dem Componisten von Klopstock’s „Vater Unser“ bis zum heutigen Tage erhalten geblieben sind. – Daß unserem Naumann überdies, obwohl er ein Sohn seiner Zeit und seines Jahrhunderts war, darum doch die Erkenntniß eines weit über sein Zeitalter hinauswirkenden Genius nicht verschlossen blieb, beweisen seine Worte über Mozart und über die, von diesem für den schönen Sopran der Storace componirte Scene mit Rondo: „Non temer, amato bene“ (Nr. 505 des Köchel’schen Verzeichnisses). Mannstein und Otto Jahn erzählen, daß N., als man ihm diese Arie vorsang und darin bis zu der Stelle gekommen war: „tu sospiri, o duol funesto“, entzückt ausgerufen: „Das ist ein göttlicher Gedanke! Wer hat diesen Mann gelehrt, Theilnahme an fremdem Schmerze und den des eigenen Herzens in so wenigen Noten auszudrücken?“ – Naumann’s letztes dramatisches Werk war seine am 25. April 1801 auf dem Dresdner Hoftheater in glänzender Ausstattung und unter großem Beifall aufgeführte italienische Oper „Aci e Galatea“. Schon im Herbste desselben Jahres, am 2. Oct. 1801, fand man ihn entseelt an einem Wege des sogenannten „großen Gartens“ von Dresden hingestreckt, wo ihn auf einem Spaziergang ein plötzlicher Tod ereilt hatte.

Es bleibt uns noch übrig, der Gestaltung des Privatlebens Naumann’s mit einigen Worten zu gedenken. Der Tonmeister hatte sich 1792 mit der Tochter des in Kopenhagen residirenden dänischen Admirals von Grodtschilling verheirathet. Schon vorher hatte sich N., wie er selber mit gutem Humor gegen einen Verwandten brieflich äußert, ein schönes Grundstück in dem, Dresden benachbarten Dorfe Blasewitz, dicht neben dem Bauernhause seiner Eltern, lediglich aus dem Ertrage ihm von fürstlichen Personen dedicirter Dosen, Ringe und anderer Pretiosen gekauft, und sich darauf ein schönes Villenhaus nebst parkähnlichem Garten und Weinberg erbaut und angelegt. In dieses anmuthige Heim führte [314] er die jugendliche Gattin, die ihrem Alter nach seine Tochter hätte sein können, ein, um an ihr, für die wenigen ihm noch gegönnten Jahre, die treueste, theilnehmendste Gefährtin, sowie, da sie auch musikalisch ungewöhnlich begabt war, zugleich eine, an seinen künstlerischen Interessen und Arbeiten den verständnißvollsten Antheil nehmende Freundin zu besitzen. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder, ein Mädchen und drei Knaben, hervor, von welchen letzteren sich der älteste, Karl Friedrich, Geheimer Hofrath und ordentlicher Professor an der Universität Leipzig, als ausgezeichneter Mineralog, der zweite Moritz Ernst Adolf, Geheimer Medicinalrath und ordentlicher Professor an der Universität Bonn, als trefflicher Arzt und Kliniker, sowie endlich der jüngste, Constantin August, als ordentlicher Professor der Mathematik an der Bergakademie zu Freiberg im sächsischen Erzgebirge hervorthat. Die dritte Generation weist, in des Meisters Enkeln Emil und Ernst, wieder zwei Tonkünstler auf, von denen der Erstgenannte kgl. preußischer Professor und Hofkirchenmusikdirektor in Berlin (seit 1873 nach Dresden übergesiedelt), der Letztere akademischer Musikdirektor und großherzoglicher Professor an der Universität Jena geworden. – Einige Jahre, ehe N. heirathete, meldete ihm eines Morgens sein Bedienter einen alten, wie ein Bauer aussehenden aber höchst sonntäglich und reinlich gekleideten Mann an. Als der Greis Naumann’s comfortable Wohnung betreten und rund in derselben um sich hergeblickt, rief er mit erhobener Stimme aus: „Gottes Barmherzigkeit ist groß! Ja, ja, so mag’s wohl bei unseren Vorfahren ausgesehen haben! Dort soll Manches sehr schön, sehr prächtig nach damaliger Zeit gewesen sein.“ Auf Naumanns Fragen an den Alten, was es mit diesen Worten auf sich habe, gab sich der Letztere als ein, einer Seitenlinie angehörender älterer Verwandter des Tonkünstlers zu erkennen und erzählte auf weiteres Drängen: Sein Großvater, unseres Naumann’s Ururgroßvater, sei ein thüringischer Edelmann gewesen, der durch einen unrechtmäßiger Weise verlorenen Proceß und andere Unglücksfälle um sein ganzes Vermögen gekommen und bald darauf an der Pest gestorben sei. Seine zwei Söhne, Knaben von drei und vier Jahren, habe dessen Schwester, ein schon alterndes Fräulein von N., zu sich genommen, und sie bis zum zehnten Jahre ärmlich bei grober Kost erzogen, sowie durchaus verlangt, daß sie als Bauern sich zu nützlichen Menschen ausbilden sollten, da sie viel zu arm und hilflos wären, um als Edelleute aufzutreten. Einer von diesen Brüdern, der Aeltere, habe das Schlosser-, der Andere (des Tonkünstlers Urgroßvater) das Schmiedehandwerk ergriffen. Nur unter der Bedingung habe das alte Fräulein kurz vor ihrem Tode ihr weniges Vermögen zwischen ihren Neffen getheilt, daß sie bei ihrem neuen Stande bleiben und Niemanden, selbst ihren Kindern nicht, von ihrer Abkunft etwas sagen wollten. Bis zu seinem Sterbebett habe sein (des Sprechenden) Vater dies geheim gehalten. Als er es ihm wenige Stunden vor seinem Tode eröffnet, habe er ihm wieder geloben müssen, seinen Kindern Alles zu verschweigen, damit Keinem derselben – so waren seine ausdrücklichen Worte – der Narr in den Kopf steige. (so mitgetheilt in A. G. Meißner’s Bruchstücke zur Biographie J. G. Naumann’s, Prag 1803, sowie in Hofrath Dr. Gotthilf Heinrich von Schubert’s Lebensgeschichte Naumann’s, Dresden 1844.)

Mit diesem seltsamen Erlebniß, das nicht allzu romantisch erscheint, wenn man erfährt, daß sich die Familie Naumann, nach amtlich beglaubigten Documenten und Aktenstücken, bis zum Jahre 1599 zurückführen läßt, um dort, plötzlich und ohne jeden weiteren Anhalt, zu verschwinden, schließen wir unsere Lebensskizze des sächsischen Meisters. Wie es sich auch mit dessen Herkunft verhalte, Joh. Gottlieb Naumann hat jedenfalls das höhere Verdienst, sich und seine Nachkommen durch eigene Kraft aus dem Bauernstande in den gebildeten deutschen Bürgerstand emporgehoben zu haben.