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ADB:Neher, Bernhard von

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Artikel „Neher, Bernhard von“ von August Wintterlin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 381–387, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Neher,_Bernhard_von&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 03:23 Uhr UTC)
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Neher: Karl Joseph Bernhard v. N., Maler und Director der Stuttgarter Kunstschule, geb. am 16. Januar 1806 in Biberach. † am 17. Januar 1886 zu Stuttgart, war der Sohn eines Faßmalers; sein Großvater und Urgroßvater waren angesehene Kunstmaler gewesen. N. lernte frühe beim Vater zeichnen und half ihm auch beim Bemalen (=Fassen) von Schildern, Processionskreuzen u. dgl. Schon in seinem 13. Lebensjahre erhielt er einen höheren Kunstunterricht von dem Biberacher Maler Franz Müller, einem tüchtigen Techniker, der viel gereist und fein gebildet war. Mit 15–16 Jahren wagte sich der Schüler keck an den Versuch, biblische Compositionen und Bildnisse in Oel auszuführen. Im J. 1822 brachte ihn der Vater nach Stuttgart, wo damals keine Kunstschule bestand, aber der Maler und Galleriedirector Hetsch (s. A. D. B. XII, 320 u. 321) und der Bildhauer Dannecker (s. A. D. B. IV, 741 ff.) sich seiner freundlich annahmen. Der letztere ließ ihn am Modellzeichnen seiner Schüler theilnehmen. Ein Familiengemälde, welches bei ihm bestellt wurde und ein Auftrag des Biberacher Stadtrathes auf ein Bildniß König Wilhelms für seinen Sitzungssaal boten neben einer spärlichen Unterstützung von Hause die Mittel zum Unterhalte. Von Anton Gegenbaur (s. A. D. B. VIII, 495 ff.) veranlaßt, ging er, vom Stadtrathe in Biberach mit einem Stipendium auf zwei Jahre bedacht, im Herbst 1823 nach München und trat als Schüler in die von Johann Peter v. Langer (s. A. D. B. XVII, 678) geleitete Akademie ein. Der [382] zopfige Unterricht an dieser Anstalt sagte ihm aber nicht sehr zu; er zeichnete und malte mehr für sich und suchte daneben, wie schon in Stuttgart, durch das Lesen der alten und neuen Classiker seine in Biberach nicht über die Volksschule hinausgeführte Bildung zu vervollständigen. Der große Wendepunkt in der Geschichte der Münchener Akademie, die Berufung von Cornelius im J. 1824 war kaum für irgend einen ihrer Schüler von so durchgreifender Bedeutung wie für N. Der Meister erlaubte, im J. 1825 in München angekommen, ihm sofort nach Einsicht seiner Studien einen Carton mit lebensgroßen Figuren, „Die Wiedererkennung Josephs und seiner Brüder in Aegypten“, in der Akademie auszuführen. Für ein darauf in Angriff genommenes Oelgemälde „Graf Eberhard von Württembergs Klage um seinen in der Schlacht von Döffingen gefallenen Sohn Ulrich“ ließ ihm Cornelius ein besonderes Zimmer in der Akademie einräumen. N. nahm das im J. 1827 vollendete Bild, als er in München im J. 1828 austrat, mit nach Stuttgart, wo es vom Kunstverein angekauft wurde. Ein glänzendes Zeugniß von Cornelius, das er zusammen mit dem erwähnten großen Carton dem Könige Wilhelm vorlegte, erwirkte ihm eine mehrjährige Reiseunterstützung nach Italien. Im Mai 1828 fuhr N., nachdem er zuvor noch das Dürerfest in Nürnberg mitgefeiert hatte, über Mailand und Florenz, von wo aus er einen Abstecher nach Pisa machte, nach Rom. Er verwandte den ganzen ersten Sommer zu Studien, die er mit Vorliebe im Vatikan an Raphael, der bald sein Liebling und Leitstern wurde, und an den Antiken trieb. Unter dem Einfluß von Overbeck und Veit, mit welchen er, obwol kein ganzer Nazarener, freundlichen Verkehr hatte, gab er den in Deutschland gefaßten Gedanken, einen Kreis von Hohenstaufenzeichnungen zu machen, auf und malte als sein erstes römisches Bild: „Die Erweckung des Jünglings von Nain“ mit halblebensgroßen Figuren. Cornelius, der inzwischen auch nach Rom gekommen war, veranlaßte ihn, dasselbe zu der im Capitol veranstalteten Ausstellung zu geben, wo hochangesehene fremde Künstler, wie Hor. Vernet, Leop. Robert und Charl. Eastlake vertreten waren. Das Bild, welches in Rom großen Beifall fand, wurde von N. nach einer durch seine Stipendien ihm obliegenden Verpflichtung an die Stuttgarter Staatsgallerie abgeliefert; er erhielt aber dafür noch eine ansehnliche Gratification. Raphaelisch in den Formen, den Venezianern sich annähernd in den Farben, läßt es doch schon, wie Neher’s spätere Werke, durch alle italienische Form und Farbe jene deutsche, oder genauer gesagt, jene oberschwäbische Einfalt, Kraft und Tiefe der Empfindung durchscheinen, welche seine Bilder bei aller Verschiedenheit des Stiles doch wieder in die Nachbarschaft von Zeitblom’s Werken bringen (vgl. darüber: Lübke, B. Neher’s Fresken im Schiller- und Goethezimmer des großherzoglichen Residenzschlosses zu Weimar, S. 6). Unter venezianischem Einfluß im Colorit stand N. damals durch seine enge Freundschaft mit dem Maler Jos. Ant. Dräger aus Trier († zu Rom im 1833), der den Farbengeheimnissen Tizian’s und seiner Schule mit Eifer und Erfolg nachspürte. Ein Dritter im Bunde wurde zu Anfang des Jahres 1831 der Hamburger Maler Erwin Speckter († 1835), ein Bruder von Otto, dem Fabelbuch-Speckter. Wer das damalige Leben und Treiben Neher’s und seiner Freunde recht anschaulich kennen lernen will, der lese die von Wurm in Hamburg im J. 1846 in zwei Bändchen herausgegebenen Briefe, welche Speckter aus Italien in die Heimath schrieb. Mit Dräger las N. gleich im ersten Winter fast täglich Abends die göttliche Komödie von Dante; später wagte er sich an die griechischen Tragiker in Uebersetzungen, oft bedauernd, daß er sie nicht im Originale lesen konnte. Als ein munterer und liebenswürdiger Gesellschafter, den eine angeborene Weitherzigkeit von allem Parteigezänke fernhielt, wurde ihm der Umgang mit deutschen Kunstgenossen der verschiedensten Richtungen zu einer [383] Quelle des Genusses und der Belehrung. Koch, Preller, Genelli waren ihm nicht weniger gut als Overbeck, Veit, Führich und die Anderen. Eine edle Seele aus den letztgenannten Kreisen, die Malerin Fräulein Emilie Linder aus Basel, bestellte gleich nach der Vollendung des Jünglings von Nain ein neues Bild, „Abraham mit den Engeln vor seinem Zelte“, bei ihm und gewährte ihm dadurch die Mittel zu einem weiteren Jahre Aufenthalt in Rom. Das im J. 1832 vollendete Gemälde kam später durch Vermächtniß der Bestellerin mit ihren anderen Kunstschätzen an das Museum in Basel (s. A. D. B. XVIII, 697). Im Sommer trieb N. gewöhnlich auch landschaftliche Studien, wenn er zur Erholung die Wälder von Albano und die Umgebung von Tivoli aufsuchte oder gelegentlich auch einmal in Gesellschaft von Freunden und schwäbischen Landsleuten einen größeren Ausflug machte. Im Mai 1832 besuchte er mit Speckter, dem württembergischen Landschafter Louis Mayer und dem Darmstädter Brentano, einem alten Freunde von München her, Neapel (vgl. Speckter, Briefe etc. 2 S. 1 ff.). Mit einem reichen Schatze von Erinnerungen und Anschauungen, aus denen er ein langes Leben mit frommem Danke schöpfte, verließ N. im August 1832 Rom. In Assisi und Florenz studirte er mehrere Wochen die ersten Meister des XV. Jahrhunderts, besonders Masaccio und Fiesole, welche großen Einfluß auf seine Kunst gewannen und ihn, wie wir sehen werden, vor allzu ängstlicher Raphael-Nachahmung bewahrten. Auch in Bologna und Venedig widmete er den einheimischen großen Meistern und ihren Schulen noch einige Wochen und ging dann über Padua und Verona nach München zurück. Hier verschaffte ihm Cornelius nach kurzer Frist einen Auftrag, an welchem der junge 26jährige Mann das Maß seines Könnens erproben konnte. König Ludwig übertrug ihm die Ausschmückung des damals dem Architekten Gärtner zur Restauration übergebenen Isarthores in München mit Fresken. Nach der Idee – aber nicht, wie fälschlich behauptet wurde, nach den Skizzen – von Cornelius sollte der Einzug Kaiser Ludwig des Baiern nach der Schlacht bei Ampfing über dem Haupteingang auf einer Fläche von 75’ Länge und 8’ Höhe dargestellt werden, die Seiteneingänge sollten die Bilder der heiligen Jungfrau und des heiligen Benno zieren. N. machte mit einem im Freskomalen schon geübten Freunde, Clemens Kögl aus baier. Oberndorf, den er auch zur Aufzeichnung von einzelnen Theilen des Cartons beiziehen konnte, vertragsmäßig bis Ende September 1835 das Ganze fertig und als es enthüllt war, fand sein Werk den wohlverdienten Beifall. Die schön bemessene Bewegung des Zuges, die treffliche Anordnung und Verbindung der einzelnen Gruppen, die stolzen Männer, die anmuthigen Frauen, die lieblichen Kinder, die prächtigen Pferde erregten allgemeine Bewunderung. Die kühne und doch durchaus sichere Zeichnung, die klare, harmonisch gestimmte, festlich heitere Farbe überraschte die Kunstgenossen und Kunstfreunde. Man meinte den Geist Masaccio’s über dem Bild schweben zu sehen. Leider blieb seine Schönheit nicht lange ungetrübt. Die Unbilden der Witterung machten schon im J. 1858 eine Ausbesserung nothwendig, welche jedoch von Professor Lindenschmit mit aller Schonung vollzogen wurde. Aber eine Neuherstellung im J. 1881 durch Lindenschmit’sche Schüler nach dem A. Keim’schen Verfahren ausgeführt, gab demselben einen fremdartigen unfreundlichen Charakter. Ein vom Münchener Kunstverein zu gleicher Zeit mit dieser „Wiederherstellung“ veranlaßter und als Vereinsgabe desselben weit verbreiteter Kupferstich von Friedrich Zimmermann, einem Schüler Neher’s aus dessen Leipziger Zeit, gibt eine bessere Vorstellung von der alten Herrlichkeit des Bildes.

Eine neue, nicht minder ehrenvolle Aufgabe wandte ihm sogleich Ludwig Schorn zu, welchen N. von Stuttgart her kannte und in München als Lehrer der Kunstgeschichte gehört hatte. Schorn, seit 1833 Leiter des Kunstwesens in [384] Weimar, schlug ihn der Großherzogin Maria Paulowna für die Ausschmückung der Zimmer des großherzoglichen Schlosses vor, welche dem Andenken Schiller’s und Goethe’s durch Darstellungen nach ihren Werken geweiht werden sollten.

N. nahm mit Freuden an, als der von der Großherzogin genehmigte Antrag an ihn kam und traf im Mai 1836 in Weimar ein. Er entwarf zuerst die Skizzen und Cartons zum Schillerzimmer, aber nach kurzer Malarbeit auf der feuchten Mauer zog sich der Allzufleißige eine hartnäckige Augenentzündung zu, welche ihn zuweilen ganz an der Arbeit hinderte. In dieser harten Zeit hielt ihn die freundliche Theilnahme der Weimarer Kreise aufrecht. Die hohe Bestellerin zeigte bei der Verzögerung der Ausführung die liebenswürdigste Geduld, Schuchardt und Eckermann, die einstigen Secretäre Goethe’s, Friedrich Preller, ein alter Freund von Rom her, Oberbaudirector Coudray mit den Seinigen und viele andere Familien suchten ihm über die schweren Tage hinüberzuhelfen. Im Sommer 1837 besuchte N. die Seebäder in Nizza, aber seine Augen konnten immer noch keine Anstrengung ertragen. In dieser Noth rief er den Freund Kögl von München herbei und bald arbeiteten sie wieder so einträchtig zusammen wie am Isarthor. Im Winter 1839–1840 wurde das Schillerzimmer fertig und im Genusse einer glücklichen Häuslichkeit, welche Marie, die Tochter des Oberbaudirectors Coudray, dem jungen Meister als Gattin bereitete, gediehen auch die Goethecartons in erwünschter Raschheit.

Als im J. 1841 der Director der Leipziger Akademie, H. V. Schnorr v. Carolsfeld, starb, berief die königlich sächsische Regierung N. an seine Stelle mit dem Zugeständniß, daß er die Weimarer Fresken von Leipzig aus vollenden dürfe. Er trat sein Amt im Herbst 1841 an und zog in den folgenden Sommern regelmäßig mit seiner Familie und mit Kögl, bis dieser treue Gehilfe im Winter 1843–1844 von einer Krankheit weggerafft wurde, nach Weimar, um die dort während des Winters fertig gewordenen Cartons auf die Mauer zu übertragen. Nach Kögl’s Tod gewann er Gehilfen an seinem späteren Nachfolger in Leipzig, Gustav Jäger, an seinen Schülern Kühne, Leutemann und Zumpe und für die decorativen Arbeiten an dem Weimarer Hofstuccator Hütter und den jungen Schülern Preller’s, Hummel und Thon. Im Sommer 1846 konnte er die Gemälde der Goethegallerie als fertig übergeben und hatte nur noch die Entwürfe für die von Fräulein Facius zu modellirenden Broncethüren und ein Relief über dem Mitteleingang zu componiren, was im J. 1847 geschah. Die Cartons zu beiden Zimmern wurden später von der württembergischen Regierung angekauft und zieren jetzt die Corridore des Stuttgarter Museums der bildenden Künste. In Photographieen hat sie der Verleger W. Spemann mit einer Einleitung von Lübke herausgegeben, in welcher Neher’s Kunstweise und seine Stellung zu den alten und zeitgenössischen Meistern erschöpfend dargelegt ist. Wie am Isarthor hat sich N. an den Stoffen der Schiller’schen und Goethe’schen Balladen als ein Meister epischer Darstellung bewährt. Die größeren Scenen aus den Dramen, wie z. B. „Tell’s Schuß“ und „Der Tanz in Wallenstein’s Lager“ schließen sich den Balladenbildern gleichwerthig an. Weniger gelungen, wenn auch meist noch hoch über der gewöhnlichen Illustration stehend, sind die in scharfbegrenzten Situationen dargestellten dramatischen Charaktere. Von einer ganz neuen, glänzenden Seite dagegen zeigt sich seine Kunst schon in den Nixenreigen des Erlkönigs und des Fischers, in den aufschwebenden Gestalten von „Der Gott und die Bajadere“ und in den Engelchören bei Faust’s Tod. Hier, wo seine Phantasie weit freieren Spielraum hatte, wo er in mythologischen Figuren auch das Nackte zu seinem Rechte kommen lassen durfte, trat er, wie kaum ein zweiter deutscher Maler mit seinem Raphael in einen Wettkampf um den Preis der höchsten Schönheit ein. Sein Größtes aber leistete er in den aufsteigenden [385] Streifenbildern mit den Goethe’schen Hymnen: „Meine Göttin“, „Ganymed“, „Wanderers Sturmlied“ und „Prometheus“. Es gelang ihm wie keinem zweiten die licht- und lebensprühenden Worte der in herrlichen Rhythmen einherwogenden Gesänge in farbenleuchtende Gestaltenreihen umzuwandeln, denen ein gleich geistvolles Leben, eine nicht weniger wunderbare Bewegung innewohnt. In diesen Compositionen und in den verwandten zum Gesang der Geister über den Wassern, zu den Urworten u. a. bereitete der Maler sich und anderen eine Augenweide um die andere. Er hätte Goethe, wäre er noch am Leben gewesen, mit gutem Muthe zum frohen Genusse einladen dürfen.

Von Weimar, wo er diese glänzende Spur seines Daseins hinterlassen, kehrte N. im Herbst 1846 nicht nach Leipzig zurück, sondern ging mit seiner Familie und seinen beiden Schülern Leutemann und Zumpe nach Stuttgart. Er hatte sich, so gern er in Leipzig war, dessen Kunstfreunde ihm aufs freundlichste entgegengekommen waren, im Frühjahr 1846 durch die Rücksicht auf seine hochbetagte Mutter und seine Geschwister in Biberach bestimmen lassen, eine ihm an der Stuttgarter Kunstschule angetragene Professur an die Stelle des verstorbenen Professors Dieterich anzunehmen. An dieser Anstalt wirkten neben ihm Steinkopf, ein Meister der idealen Landschaft, der Bildhauer Wagner, Neher’s alter Freund aus seiner ersten Stuttgarter Zeit, und der im J. 1845 eingetretene, ihrem Lehrercollegium jetzt noch angehörende Professor von Rustige, ein Schüler Schadow’s in Düsseldorf, Die jüngere Düsseldorfer Schule hatte mehr und mehr unter belgischen Einflüssen den historischen und religiösen Idealstil mit der Pflege des Genre und genrehaften Geschichtsbildes, die Freskomalerei mit den Oelfarben vertauscht. Sie fing gerade damals an die Cornelianer auf allen Flanken zurückzudrängen. Auch in Stuttgart hatte ihr eifriger Vertreter, Rustige, schon ehe N. kam, die Schüler für diese Richtung gewonnen. Es lag also in den allgemeinen Verhältnissen und nicht an Neher’s Person, wenn er weder damals noch später, als Professor Häberlin das Banner der Pilotyschule siegreich an der Anstalt aufpflanzte, der idealistischen Richtung eine größere Anzahl von Zöglingen zuführte. Außer wenigen ganz Getreuen, wie Professor Bentele in Stuttgart und Zumpe († 1864) in Dresden folgten die meisten seiner besonderen Schüler wie Grünenwald und Keller, jetzt Stuttgarter Professoren, und Th. Her in München bald der größeren Neigung für das Genre, wenn sie auch dessen höhere Gattungen pflegten und gelegentlich auf die alte Kunstweise zurückgriffen. N. hat aber doch, zumal seit ihm im J. 1854 nach Steinkopf’s Tode die Vorstandschaft der Schule unter der Direction des späteren Präsidenten und Staatsrathes v. Köstlin übertragen wurde, als Lehrer einen sehr großen Einfluß an dieser Anstalt ausgeübt. Die Verpflichtung aller Professoren zur abwechselnden Correctur im Antiken- und Actsaale, wie sie früher an derselben bestand, brachte ihn mit sämmtlichen Zöglingen, selbst mit den Bildhauern in nahen Verkehr. Hier nun machten sich seine reichen Kenntnisse, seine Gewissenhaftigkeit, seine im besten Sinne des Wortes vornehm-künstlerische Haltung in vollem Maße geltend. Die Schüler fanden bald heraus, daß niemand einen schöneren Act stelle, niemand richtiger, freilich auch niemand unerbittlicher corrigire als er. Er wußte mit seinen freundlich und doch wunderbar tief leuchtenden Augen allen zu imponiren. Kaum haben je die vorgerückteren Schüler seiner Kollegen eine fertige Arbeit zur Ausstellung gebracht, ehe sie seinen Rath darüber eingeholt hatten. Mit dankbarer Anhänglichkeit blieben sie ihm auch alle ergeben, die Historien- wie die Genre-, die Tiermaler, wie die Landschafter. N. hat durch diese freisinnige Haltung über den wechselnden Zeitströmungen, durch dieses verständige Eingehen auf jede Art von Talent, wenn es nur mit ehrlichem Streben verbunden war, nützlicher an der Schule gewirkt, als wenn er mit Eitelkeit und Eigensinn die Schüler in den [386] Bann seiner eigenen Richtung hätte einzwängen wollen. Es war darum auch nur gerecht, daß er bei der Verwandlung der Anstalt in eine Kunsthochschule oder Akademie (unter Beibehaltung des Namens Kunstschule) unter dem Ministerium v. Golther’s im J. 1867 zum Director bestellt wurde.

Auch für die schaffende Thätigkeit Neher’s war die Zeit seiner Uebersiedlung nach Stuttgart nicht von vorneherein günstig. König Wilhelm, welcher in seinem Lustschlosse Rosenstein durch Gegenbaur, Dieterich u. a. nicht wenig Fresken hatte ausführen lassen, baute damals an der Wilhelma bei Cannstatt, welche entsprechend ihrem maurischen Stile nicht mit Wandbildern ausgestattet werden sollte. Allein hierdurch wurde N. auf ein Feld zurückgeführt, auf welchem er schon früher Lorbeeren gepflückt hatte und jetzt noch einen vollen Kranz erringen sollte: die kirchliche Malerei. König Wilhelm übertrug ihm im J. 1847 die Ausschmückung von drei Fenstern im Chore der Stuttgarter Stiftskirche mit Glasgemälden. N. faßte schon damals die Ausfüllung sämmtlicher Chorfenster dieser Kirche ins Auge und entwarf sechs Compositionen, welche in sinnreicher symbolischer Zusammenstellung von Haupt- und Nebenbildern – die letzteren aus dem Alten Testament und den Gleichnissen Christi entnommen – den ganzen Kreis der christlichen Heilswahrheiten umschreiben sollten. Die mit Wasserfarben colorirten drei ersten Cartons mit der Geburt Christi, Christus am Kreuz und der Auferstehung wurden nach seinen Skizzen zum Theil von ihm selbst, zum Theil von seinen Schülern Leutemann, Zumpe und Grünenwald in den Jahren 1847–1852 ausgeführt und in München von den Gebrüdern Scheerer auf Glas gebracht. Das nicht zu dieser Reihe gehörige Orgelfenster in derselben Kirche mit König David und musicirenden Engeln wurde im J. 1852 von König Wilhelm bestellt und in demselben Jahre ausgeführt. Für das vierte Chorfenster mit der Pfingstpredigt (1864–1865) und das fünfte mit dem jüngsten Gericht (1871–1873) fanden sich ungenannte bürgerliche Stifter. Der sechste und letzte Carton mit der Anbetung des Lammes wurde von Verehrern des im J. 1879 verstorbenen Stiftspredigers und Prälaten Kapff bestellt. In den drei ersten Cartons knüpfte N. sichtlich mehr an Fiesole und Overbeck an als an Raphael, wie in seinen römischen religiösen Bildern. In demselben Stile ist auch das im J. 1850 für die katholische Stadtpfarrkirche zu Ravensburg gemalte große Altarbild mit der Kreuzigung in der Mitte und den Aposteln Petrus und Paulus auf den Flügeln gehalten. Eine Rückkehr zu freieren und volleren Formen, mit einem Worte zu Raphael, zeigt zuerst das große Oelbild vom Jahre 1855, „Die Kreuzabnahme“, in der Stuttgarter Staatsgallerie. In derselben Richtung erhielt ihn das anmuthige Oelbild „Der Frühling“, vom Jahre 1858, jetzt im Stuttgarter Residenzschlosse und zwei religiöse Oelgemälde: „Noah’s Dankopfer“ (1861) und „Christus die Kinder segnend“ (1863), einst im Besitze der Stuttgarter Familie v. Jobst. Als N. nun im J. 1863 den Carton zu einem Glasgemälde für die Stuttgarter Leonhardskirche, einen segnenden Christus mit den vier Evangelisten, und in den Jahren 1864–1865 den Carton zum vierten Chorfenster der Stiftskirche mit der Pfingstpredigt malte, trug er diesen Stil auch auf seine Glasgemälde über und bildete ihn im fünften und sechsten Chorfenster zur höchsten Vollendung aus. Zur Charakterisirung dieses Eigenstiles unseres Meisters müssen wir vor Allem daran erinnern, daß N., ein durchaus treuer Sohn der katholischen Kirche, fast ausschließlich für protestantische Kirchen zu malen hatte. Er war dadurch schon in der Auswahl des religiösen Darstellungsstoffes auf das gemeinsam Christliche, nicht sowol der kirchlichen Tradition als der heiligen Schrift Angehörige, angewiesen. Aber auch in der Formgebung mußte er, wie er bald fühlen mochte, sich von jener ascetisch-katholischen Ausdrucksweise ferne halten, welche ein Führich, Steinle u. a., mit scharfkatholischem Bewußtsein [387] arbeitende Meister sich angeeignet haben. Dieser äußeren Hinführung auf die anmuthigere und allgemeiner giltige Formensprache des 16. Jahrhunderts gab N. um so leichter nach, als seine eigene Natur ihn dorthin drängte, wie seine nicht-kirchlichen Werke gezeigt hatten. Vor hohler Glätte jedoch und fader Süßlichkeit, zwei Klippen, welche auf diesem Wege liegen, bewahrten ihn die ernsten Studien der alten Meister, sein deutsches Gemüth und die Achtung vor der Natur, welche er auch bei seinen kirchlichen Bildern unablässig zu Rathe zog. Den einmal gewonnenen Stil hielt N. auch in einigen anderen Gemälden fest, welche neben den Stiftskirchenfenstern entstanden, so in den von Sr. Maj. König Karl von Würtemberg bestellten drei Fenstern für die wiederhergestellte Kirche des Stuttgarter alten Schlosses, die „Anbetung der drei Könige“ in der Mitte und in den Seitenfenstern Graf Georg und Herzog Christoph von Württemberg mit ihren Namensheiligen vom Jahre 1866, ferner in dem mittleren Chorfenster der Stuttgarter Johanneskirche „Die Kreuzigung“ und in der Predella „Das letzte Abendmahl“, vom Jahre 1876. Auch ein noch im Besitze der Familie befindliches Oelgemälde vom Jahre 1872: „Abrahams Fürbitte für die Gerechten in Sodom“ gehört in diese Reihe. Mit überraschend geschickter Anbequemung an den byzantinisch-russischen Stil malte N. in den Jahren 1865–1866 in Oel drei Bilder, „Christus“, „Maria“ und den „heiligen Nikolaus“ für die Decke und zwei Engel für die Schutzwand des Altars der griechischen Kapelle des Stuttgarter Residenzschlosses im Auftrage I. Maj. der Königin Olga. Für Porträtmalerei hatte N. keine Vorliebe; doch hat er einige mehr durch feine Auffassung der ganzen Persönlichkeit als durch scharfe Durchbildung der Einzelformen sich auszeichnende Bildnisse, z. B. von sich selbst, von dem Bildhauer Wagner und dem Historiker Stälin d. Ae. gemalt.

Für so viele und in ihrem hohen Werthe überall erkannte Arbeiten fehlte es unserem Meister auch an Ehren und Auszeichnungen nicht. Die Akademieen von München und Wien ernannten ihn zu ihrem Mitgliede; außer seinem Landesherrn ehrten ihn die Könige von Baiern und Belgien mit hohen Orden. Auf Reisen nach München, Wien, Paris, Brüssel sah er sich von den angesehensten Kunstgenossen gefeiert. In Stuttgart war er bald nach seiner Ankunft in einen Kreis der gebildetsten Männer aufgenommen worden, zu welchem G. Schwab, Grüneisen, Notter, Stälin d. Ae. gehörten; mit den hervorragendsten Künstlern, Zanth, Gegenbaur, Mauch, Egle, Leins, Donndorf u. a. stand er in wechselseitig fruchtbarem Verkehre.

Vgl.: Das Schiller-Zimmer im Großh. Residenzschloß zu Weimar. Fresko-Gemälde von Bernh. Neher, nach dessen Federzeichnungen in getreuen Facsimile’s gestochen von Wilh. Müller I. (u. einz.) Lief., Weimar u. Leipz. o. J., Fol. (enthält nur drei Scenen aus Wallenstein und der Braut von Messina). – Schiller’s Lied von der Glocke in 40 Blättern bildlich dargestellt v. B. Neher. Nach den Entwürfen des Meisters zu den Wandgemälden im Großh. Schlosse zu Weimar auf Holz gezeichnet von H. Leutemann u. geschnitten von J. G. Flegel, Leipz. 1855, Fol. – B. Neher’s Fresken im Schiller- u. Goethezimmer des großh. Residenzschlosses zu Weimar. M. Text von W. Lübke. N. d. Orig. photogr. von Fr. Hanfstängl. Stuttg. o. J., Fol. – Merz im Christl. Kunstblatt, Jahrg. 23 (1881), S. 1 ff. – Krell in der (Leipz.) Ill. Zeitung, Bd. 64 (1875.), S. 230. – Raupp in d. (Leipz.) Ill. Zeitung, Bd. 81 (Jahrg. 1883), S. 423. – Pecht, Deutsche Künstler des 19. Jahrh., 4. Reihe, S. 148 ff. – Nekrologe von Baisch in Ueber Land u. Meer, Pecht in Die Kunst für Alle, Raupp in der (Leipz.) Ill. Zeitung u. dem Unterzeichneten in der Schwäb. Chronik u. der Zeitschrift für bild. Kunst, je im Jahrg. 1886.