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ADB:Schlottmann, Constantin

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Artikel „Schlottmann, Constantin“ von Carl Gustav Adolf Siegfried in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 561–567, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schlottmann,_Constantin&oldid=- (Version vom 13. November 2024, 22:25 Uhr UTC)
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Schlottmann: Constantin S. ward am 7. März 1819 in Minden geboren, wo sein Vater Beamter der Regierung war. Auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt vorgebildet bezog er in seinem siebzehnten Lebensjahre die Universität Berlin, um Theologie zu studieren. Die Fülle der wissenschaftlichen Anregungen, welche diese Hochschule bot, wirkte nach verschiedenen Seiten anziehend auf ihn, bis sein ernster und ideal gerichteter Sinn sich dauernd der Theologie zuwendete. Unter den theologischen Lehrern war es besonders Neander, der damals auf so viele Schüler begeisternd wirkte, welcher auch S. für die Theologie gewann und dessen allgemeinen theologischen Standpunkt auch für die Zukunft beeinflußte. – Da S. zunächst sich auf das geistliche Amt vorbereiten wollte, so ließ er sich nach bestandener Candidatenprüfung in das Predigerseminar zu Wittenberg aufnehmen, auf welchem damals ein ganz von Neander’schem Geiste erfüllter Mann H. L. Heubner als Director wirkte. Mit dem Eifer und der Gewissenhaftigkeit, welche ihm stets eigen waren, ging S. ganz in den vom Predigerseminar vorgeschriebenen Thätigkeiten auf und hielt es nicht für zu gering, in einer Kinderbewahranstalt selbst Kinderchen von 3–6 Jahren die ersten geistigen Anregungen zu geben. Doch im Hintergrunde war der wissenschaftliche Trieb doch mächtig geblieben, und als er 1842 nach Berlin zurückgekehrt war, konnte es Neander nicht schwer fallen, ihn für die akademische Laufbahn zu gewinnen. Zwar war er genöthigt, sich seinen Unterhalt in Berlin durch Privatstunden zu verdienen; aber sein eiserner Fleiß wußte dennoch die wissenschaftlichen Studien nebenher so weit zu fördern, daß er 1847 sich als Privatdocent für alttestamentliche Theologie in Berlin habilitiren konnte. Als Licentiatenarbeit hatte er ein Heftchen hebräischer Lieder eingereicht, welche selbstgedichtete, der biblischen Poesie nachgebildete, Bekehrungsrufe an Israel ertönen ließen, in denen der anonyme christliche Prophet die Israeliten zu Christo rief. Der Titel lautete: „širê šachar leîs aškenazi šer âr libnê jisraêl“ (Lieder der Morgenröte von einem deutschen Manne, welche er sang den Söhnen Israels), Berlin 1847 bei K. Grobe. S. hat dem Unterzeichneten gegenüber, als er ihm dies Schriftchen zum Geschenk machte, selbst so bescheiden über diese Erstlingsarbeit geurtheilt, daß wir hier die Mängel derselben nicht weiter verfolgen wollen. Jedenfalls zeigte sie indessen eine correcte Handhabung des biblischen Hebräisch. S. dehnte alsdann sein Studium auch über die verwandten semitischen Dialekte und sogar auf Sanŝkrit und Zend aus. Letzterem Studium entsprang eine Ansicht über Zrvana karana, im Hiobcommentar S. 88, 144 vorgetragen, wonach derselbe gleich Belitân sei, welche von Spiegel in Zeitschr. d. Deutschen morgenl. Gesellsch. V, 226–228 näherer Berücksichtigung gewürdigt wurde. Er ward dadurch gut vorbereitet für die Stelle eines Gesandtschaftspredigers in Constantinopel, welche ihm nach einiger Zeit angeboten werden sollte. Zunächst rissen ihn die politischen Bewegungen des Jahres 1848 aus seiner Studienmuße. Er veröffentlichte: „Deutsche Weckstimmen von einem Westfalen, Ernst Moritz Arndt zugeeignet“. Patriotische Lieder, die eine schönere Zukunft Deutschlands weissagen. – Im J. 1850 veröffentlichte S. in der von Neander, Müller und Nitzsch begründeten Deutschen Zeitschr. f. christl. Wissenschaft und christl. Leben in dem ersten Jahrgange Nr. 23 eine Abhandlung über eine indische Parallele [562] der Hiobsage, in welcher der Held der Dichtung Haristschandra ganz ähnlich wie Hiob einer Prüfung unterworfen wird. Einzelne Berührungen selbst in den Ausdrücken mit dem Prolog im Hiob des alten Testaments sind in der That auffällig, gleichwol wird neuerdings von Kennern der indischen Litteratur ein Zusammenhang der Sagen bezweifelt, weil derartige Verhängung von Prüfungsleiden ein öfter in der indischen Dichtung vorkommendes Motiv sei. Ein großer Unterschied besteht aber auch jedenfalls darin, daß im Buche Hiob vorzugsweise geredet wird, bei Haristschandra aber alles sich durch Handeln oder Leiden vollzieht. Der ausführliche Commentar über Hiob, mit der Jahreszahl 1851 erschienen, ward von S. vor seiner Uebersiedlung nach Constantinopel vollendet. „Angesichts der Hadria“ schrieb er nach p. X die Vorrede. Daß S. nach dem damaligen Stande der Hioberklärung einen brauchbaren und fördernden Beitrag für dieselbe geschrieben hat, ist selbst von Ewald, Jahrbb. d. bibl. Wissenschaft III, 221–224, IV, 66 ff. anerkannt worden. Auch jetzt wird man das stoffreiche Werk immer noch nützen können, obwol der Verfasser durch seine ermüdende Weitschweifigkeit dem Leser dies nicht gerade erleichtert. Zu einer streng wissenschaftlichen und historischen Auffassung des Gegenstandes hat es aber S. trotz aller Gelehrsamkeit in diesem Buche nicht gebracht. Die christlichen Gedanken werden fast überall mit hineingetragen. So z. B. in der Auffassung vom Satan und den Engeln, S. 38 ff., in der Auslegung von Cap. 19, 25 ff., S. 331 ff. u. a. m. Der Apologet zeigte sich in der Art, wie die Echtheit der Elihureden erwiesen wird, S. 32 ff., 53–62. Viel Mühe hatte sich S. mit der Strophik gegeben, ohne begreiflicherweise zu ganz sicheren Resultaten gelangt zu sein. Auch die Uebersetzung verräth Sorgfalt und Geschmack. Das Ganze ist von einer schönen Begeisterung für die Herrlichkeit der Bibel und insonderheit des Hiobgedichtes getragen. – Nach empfangener Ordination trat S. Anfang 1851 sein Amt als Gesandtschaftsprediger in Constantinopel an, welches er bis zum Herbst 1855 bekleidete. Mit dem Chef der Gesandtschaft, dem Grafen Albert Pourtalés verband ihn bald eine engere Freundschaft, der auch ein dem Andenken des Genannten gewidmetes Gedenkblatt (Z. Erinnerung an den Gr. A. P., Neue ev. Kirchenzeitung 1863) entsprang. Um die deutsche evangelische Gemeinde zu Constantinopel erwarb sich S. mancherlei Verdienste. Er begründete eine deutsche evangelische Schule und wußte durch Predigt und Seelsorge die Deutschen der Stadt enger mit der evangelischen Gemeinde zu verbinden. Die Gelegenheit, das Türkische zu erlernen, ließ er nicht unbenutzt und wußte es nicht nur zur Fertigkeit im Sprechen zu bringen, sondern auch wissenschaftlich in den Bau der Sprache in einer Abhandlung über das türkische Verbum (Zeitschr. d. Deutschen morgenl. Gesellsch. XI, 1, ff., 557) einzudringen. Ebenso bereiste er Griechenland und lernte das Neugriechische sprechen. Mit Otto Blau machte er archäologische Ausflüge nach Lemnos, Imbros und Samothrake. Ueber die Alterthümer der letzteren schrieb er eine Abhandlung. Eine Reise nach Palästina, Syrien und Aegypten machte ihn in der biblischen Topographie einheimisch. Eine poetische Erinnerung an diese ganze orientalische Periode boten die „Ghaselen vom Bosporus“, Constantinopel 1854. Später (1856) erschien in Gelzer’s Monatsblättern der Aufsatz: „Kreuz und Halbmond“. – Schon vorher (1855 im Herbst) war S. einem Rufe als Professor der Theologie nach Zürich gefolgt, wo er eine vielseitige akademische Thätigkeit entwickelte, indem er über altes und neues Testament und auch über systematische Fächer las. Litterarische Arbeiten dieser Periode waren: „Ein kritischer Beitrag zur Geschichte deutscher Wissenschaft“ (Monatsschr. d. Züricher wissenschaftl. Vereins 1857), den Orientalisten Joseph Freiherr v. Hammer-Purgstall betreffend und eine Abhandlung „Ueber den Begriff des Gewissens“ (Deutsche Zeitschr. 1859). – 1859 ward S. nach [563] Bonn berufen. Hier wirkte er auch eifrig in kirchlichen Angelegenheiten mit bei Synoden und Conferenzen, war für Mission thätig u. a. m. Auch trieb er in dieser Zeit Gelehrtenstudien zur humanistischen Periode, deren Frucht die Abhandlungen waren: „De Philippo Melanchthone reipublicae litterariae reformatore“ 1860 und „De reipublicae litterariae originibus“ 1861. – 1866 ward er gleichzeitig mit Riehm zu Hupfeld’s Nachfolge nach Halle berufen. Hier hat er in 21jähriger Wirksamkeit eine fruchtbare Thätigkeit als akademischer Lehrer entwickelt. Einer seiner tüchtigsten Schüler sagt: „Sein anziehender Lehrvortrag wußte auch die trockensten Untersuchungen zu beleben. Er verstand es allenthalben Beziehungen zwischen der semitischen und indogermanischen Litteratur, sowie Berührungen zwischen den Schriften des alten Testaments und den Denkmälern des classischen Alterthums nachzuweisen. Es war etwas von Herder’schem Geiste in ihm, wenn er in oft glänzender Darstellung die Blüthen hebräischer Poesie beschrieb. Seine gründliche Kenntniß und eigene Anschauung des orientalischen Lebens wußte er in ausgezeichneter Weise für seine Vorlesungen nutzbar zu machen. Dagegen lag die Kritik etwas abseits von seinen individuellen Neigungen.“ – Neben den öffentlichen Vorlesungen leitete S. das alttestamentliche Seminar, in dem er wie auch bei den theologischen Prüfungen unweigerlich an der Bedingung des Lateinsprechens festhielt. Privatissime versammelte er auch um sich eine kleine Zahl zu epigraphischen Uebungen. Sonst hielt er auch Vorträge apologetischen Inhaltes, aus denen die Schrift über „David Strauß als Romantiker des Heidenthums“ (1878) und das Programm „Ueber die Osterbotschaft und Visionshypothese“ (1886) (darüber noch hernach) hervorgingen. Von seiner genauen Kenntniß griechischer Philosophie zeugt das Programm: „Ueber das Vergängliche und Unvergängliche in der menschlichen Seele nach Aristoteles“ (1873). – Als wissenschaftliches Specialgebiet erwählte sich S. je länger je mehr die semitische Epigraphik. Seine Erstlingsarbeit auf demselben betraf die bekannte große Inschrift des Eschmunazar (Zeitschr. d. Deutschen morgenl. Gesellsch. X, 407–431 ff., 587 ff.) 1856, welche von Ewald in den Göttinger gelehrten Anzeigen 1856, S. 1401 ff. in der bekannten absprechenden Weise beurtheilt wurde. Es war natürlich, daß bei einem Gegenstande, welcher nachher noch eine ganze Reihe ausgezeichneter Gelehrter beschäftigt hat, von S. nicht alle Fragen auf den ersten Wurf gelöst wurden. Aber er gehörte, wie Fleischer es einmal gut ausgedrückt hat, zu jenen „zäheren und hingebenderen Geistern“, die um der Erforschung der Wahrheit willen von einer schwierigen Aufgabe nicht ablassen, sondern immer wieder aufs neue alle Kräfte daran setzen, um ihrer Lösung nahe zu kommen. So erschien denn erst 1868 das Buch über: „Die Inschrift Eschmunazars“, XII, 202 S., Halle, in welchem S. alle seine Vorgänger an sorgfältiger Herbeiziehung alles bis dahin gesicherten epigraphischen und historischen Materials, an combinatorischem Scharfsinn und an Gründlichkeit der Methode übertraf. Man spürt jedem Satze, der geschrieben ist, die besonnene und wiederholte Erwägung an. Nichts ist überhastet in diesem Buche, das wie eine reife Frucht vom Baume abgefallen ist.

Es folgte die Erklärung der Mesa-Inschrift, welche ebenso Zeugniß von der unermüdlichen Ausdauer Schlottmann’s in der Verfolgung der epigraphischen, mythologischen, archäologischen und historischen Probleme ablegt. Immer aufs neue sehen wir ihn den Gegenstand vornehmen und die in demselben liegenden Schwierigkeiten beleuchten. Er begann 1870 mit der Schrift: „Die Siegessäule Mesa’s“, Halle 1870 (Osterprogramm). Es folgten die Abhandlungen: „Die Inschrift Mesa’s“ (in der Zeitschr. d. Deutschen morgenl. Gesellsch. XXIV, 253 bis 260), „Die Additamenta über die Inschrift Mesa’s“ (a. a. O. S. 438–460, 645–680; XXV, 463–483; XXVI, 820 und Nachtrag XXX, 325–328). [564] Danebenher ging der längere Aufsatz: „Der Moabiterkönig Mesa nach seiner Inschrift und nach den biblischen Berichten“ (Theol. Studien und Kritiken 1887, S. 587–634). – Gleichzeitig hatte S. auch die Deutung der inscriptio Melitensis 3 in Angriff genommen (Zeitschr. d. Deutschen morgenl. Gesellsch. XXIV, 403–414), infolge deren weitere Verhandlungen mit M. A. Levy und Hitzig entstanden (a. a. O. XXV, 177–190). Er dehnte seine Untersuchung auch auf die Melitensis 4 aus (a. a. O. S. 190–195) und gab (a. a. O. S. 149–177) einen werthvollen Beitrag zur phönikischen Grammatik in der Besprechung der phönikischen Suffixe der dritten Person Singularis ê (Jod) und im (Mem), deren Aussprache er in der hier angedeuteten Weise feststellte (vgl. bes. S. 163, 167). – Auf diese hochverdienstlichen Leistungen folgte ein ärgerlicher Handel, dessen Darstellung wir wegen der sonstigen Gediegenheit des trefflichen Mannes nur sehr ungern auf uns nehmen, sed omnia vincit veritas. S. hatte bereits in seiner ersten Schrift über das Mesadenkmal die Hoffnung ausgesprochen, es möchten sich auf dem Gebiete des alten Moab noch manche andere merkwürdige Funde thun lassen. Nun gab es in Jerusalem einen Antiquitätenhändler, Namens H. Schapira, der, weil er unzweifelhaft ächte Sachen zum Verkauf hatte und eine rechte Biedermannsmiene aufzustecken wußte, für einen durchaus zuverlässigen Mann galt, bis er im J. 1883 als einer der abgefeimtesten Fälscher entlarvt wurde und durch Selbstmord endigte (vgl. Pünjer, theol. Jahresbericht 1883, S. 811–813). Er hatte einen findigen Araber, Namens Selim, in seine Dienste genommen, welcher sich das Alphabet des Mesasteins zu verschaffen gewußt und mit Hülfe desselben auf Thongefäßen phönikische Inschriftzeichen angebracht und dann diese Gefäße in Moab, wo man ja dergleichen finden wollte, vergraben hatte. Unter seiner Führung wurde dann eine Expedition nach Moab unternommen und dort natürlich die Entdeckung der Funde gemacht, welche man gern haben wollte (vgl. H. Weser in Zeitschr. der Deutschen morgenl. Gesellsch. XXVI, 722–734.). Da die Schriftzeichen durchaus das Gepräge der Echtheit an sich trugen, so war es zunächst gar nicht zu verwundern, daß selbst ein so gewiegter Epigraphiker wie S., der doch die gefälschte brasilische Inschrift (a. a. O. XXVIII, 481–487,) als solche erkannt hatte, die Denkmäler als ächt annahm, wie ja auch Gesenius durch die inscriptio nuper in Cyrenaica reperta seiner Zeit getäuscht wurde. Das Verhängniß Schlottmann’s war es aber, daß seine beiden ersten Gegner[WS 1], welche die Unächtheit der moabitischen Thongefäße eigentlich nachgewiesen hatten (E. Kautzsch und A. Socin, die Echtheit der moabitischen Alterthümer geprüft, Straßburg 1876), aus einem edelmüthigen Gefühl der Schonung erklärt hatten, sie wollten nur die Zuversicht zu der Aechtheit dieser Dinge erschüttern, und das in A. Koch in demselben Jahre für S. sogar ein Vertheidiger der Aechtheit erstand. (Vgl. den Ueberblick über den damaligen Streit von Diestel in den Jahrbb. für Deutsche Theologie 1876, S. 451–473.) Dies und der Umstand, daß vorzugsweise auf seinen Rath das preußische Cultusministerium diese Thongefäße zu hohem Preise angekauft hatte, bestärkten S. in seiner vorgefaßten Meinung, die er nun mit der ihm eigenen Zähigkeit festhielt und mit einem Aufwand von Fleiß, Gelehrsamkeit und Scharfsinn vertheidigte, deren Verschwendung diesem Gegenstand gegenüber man nur bedauern kann. Nachdem er einen ersten und zweiten Bericht über „Die neuen moabitischen Funde und Räthsel“ erstattet hatte (Zeitschr. d. Deutschen morgenl. Gesellsch. XXVI, 383–416) folgte ein dritter (a. a. O. S. 786–797), in welchem er sich mit der Deutung eines Scheusals abmühte, welches sein Dasein nur der widerlichen Phantasie jenes gemeinen Burschen verdankte. Weiteres siehe a. a. O. 816–820; XXVII, 135 ff., vgl. S. 131 ff.; XXVIII, 171–184, 460–480. Vgl. über die gleichzeitige Litteratur: [565] Wissenschaftl. Jahresber. über d. morgenl. Studien im J. 1878, Leipzig 1881, S. 65 (Euting). Lagarde in Symmikta II, 1880, gibt unter der Aufschrift Moabitica auf S. 41–55 eine Sammlung der publicistischen Actenstücke über die in dieser Angelegenheit geführten Verhandlungen, auf S. 65–87 eine schneidende Kritik der ganzen wissenschaftlichen Persönlichkeit Schlottmann’s, die zwar nicht frei von Gehässigkeit ist, aber doch eine Anzahl ganz entschiedener Treffer enthält. Daß S. sich übereilt hat und daß sein Verfahren der Deutschen morgenl. Gesellschaft gegenüber nicht correct gewesen ist, wird nicht bestritten werden können. Der Streit zog sich noch durch mehrere Nummern der Allgemeinen Zeitung von 1887 hin, in denen Socin ein den Glauben an die Aechtheit der Funde vernichtendes Material beibrachte. Die von S. in Aussicht gestellte umfassende Widerlegung ist nie erschienen und scheint auch von den Bearbeitern seines Nachlasses ruhen gelassen zu werden.

Im Jahre 1878 erschien die Erklärung einer ägyptisch-aramäischen Inschrift aus der Ptolemäerzeit, in welcher S. Metrum und Reim zu finden glaubte (Zeitschrift der Deutschen morgenländischen Gesellschaft XXXII, 187–197), worauf de Lagarde mit einer bitterbösen Kritik antwortete (Nachr. d. königl. Gesellsch. d. Wissensch., Göttingen 1878 Nr. 10, S. 357–372, vgl. auch Symmikta II, 50–65). Hierauf wieder bezieht sich Schlottmann’s Entgegnung in der Zeitschr. d. Deutschen morgenl. Gesellsch. XXXII, 767 ff., die freilich nicht alle Einwürfe des scharfen Kritikers entkräftete. Auch von der weiteren Ausführung der Sache a. a. O. XXXIII, 252–291 kann man dies nicht sagen, so werthvolle Beobachtungen über Reim und Silbenquantität im Semitischen, besonders Arabischen und Neuhebräischen der Verfasser auch S. 268 ff. beibringt. Vgl. wissensch. Jahresbericht über die morgenl. Studien 1878, 1. Hälfte, S. 63 (Euting). – In demselben Bande, S. 292 ff., folgte die Deutung einer persisch-aramäischen Inschrift, die auf einer silbernen in Moskau befindlichen Schale steht. – Allgemeinen Nutzen hat S. mit seinem epigraphischen Wissen gestiftet in Artikeln des Riehm’schen Handwörterbuches des biblischen Alterthums, 2 Bände, 1884. Hier verdient in erster Linie der über „Schrift und Schriftzeichen“, S. 1416–1431 hervorgehoben zu werden, den man wohl als die beste und erschöpfendste Uebersicht über semitische Paläographie zur ersten Orientirung empfehlen kann. Der Artikel über „Astarte“, S. 111–115, ist ebenfalls sehr gründlich und belehrend, nur daß auch hier leider der Segen der Moabitica an einzelnen Stellen verunstaltend wirkt. Werthvoll sind ferner die Artikel über „Baal“, S. 126–129, „Chamos“, S. 225 ff., „Götzendienst“, S. 520–524, „Hercules“, S. 596–599, „Jupiter“, S. 799, „Mesa“, S. 984–986, „Moab“, S. 1004–1009, „Moloch“, S. 1010–1013, um andere kleinere zu übergehen.

Trotzdem S. sich bei solchen strengen Studien mit ächt deutscher Gründlichkeit bis in die kleinsten Kleinigkeiten vergraben konnte, nahmen ihn dieselben keineswegs ausschließlich in Anspruch. Er hatte ein Auge auch für die Vorgänge der Zeit und ein Herz für die christliche Kirche und für sein deutsches Volk. Daß der deutschen Christenheit das unverfälschte Gotteswort und die evangelische Freiheit erhalten bleibe, war ihm eine heilige Angelegenheit, der er Zeit und Kräfte opferte, welche sonst der Wissenschaft zu Gute gekommen wären. – Als zur Revision des lutherischen Bibeltextes von mehreren deutschen Staaten eine Commission ernannt ward, gehörte S. seit 1865 zu den eifrigsten Mitarbeitern derselben. Bei einer der ersten Probeveröffentlichungen des verbesserten Textes, welche die Psalmen betraf (von K. F. Schröder 1876) war S. mit einer Beigabe betheiligt über den Goël im Buch Rut und mit Berichtigungen zur Genesis. In den Sitzungen der Commission zu Halle hatte S. meist den [566] Vorsitz. Nachdem die vollendete Arbeit dieser Commission in der sogenannten Probebibel 1883 den Theologen und Laien zur Begutachtung vorgelegt war, entstand eine lebhafte litterarische Bewegung über diese Frage, in welche S., der dabei gewissermaßen sein eigenstes Werk mit vertheidigte, energisch mit eingriff. Ein Aufsatz in den Deutsch-evangelischen Blättern 1885 Hft. 2, S. 129 bis 137 und eine Schrift: „Wider Kliefoth und Luthardt in Sachen der Lutherbibel“ 108 S. Halle 1885 brachten vieles Werthvolle und Beherzigenswerthe bei, zeigten auch an manchen Stellen das Unberechtigte oder Uebereilte des ausgesprochenen Tadels und vertheidigten tapfer das Recht der Gemeinde auf das richtige Bibelwort gegen hierarchische Bevormundung, waren aber insofern nicht ganz klug abgefaßt, als der Verfasser durchblicken ließ, daß nach seiner Meinung er eigentlich allein die Sache ordentlich verstünde und daß ihn und vielleicht noch einige andere Commissionsmitglieder, die sich auf uneingeschränktes Lob eingerichtet hatten, der Tadel verstimmt hatte. (Vgl. über diese Polemik Lipsius, Theol. Jahresbericht 1884, S. 20–23; 1885, S. 24–28.) Den Ausgang dieser auch jetzt noch nicht abgeschlossenen Angelegenheit hat S. nicht mehr erlebt. Sonst siehe Verhandlungen der 2. Generalsynode zu Berlin 1885, S. 174–178. Lipsius, Theol. Jahresbericht 1887, S. 27.

Seine Liebe zu der Wahrheit des Evangeliums und sein Gefühl für die Freiheit des Christenmenschen verwickelte ihn aber nicht nur in Kämpfe mit protestantischen Hierarchen. Der Erfolg der römischen Hierarchie, welche durch geschickte Benutzung der Verhältnisse, insonderheit des politischen Parteigeistes, eine tiefe Erniedrigung des Protestantismus und des deutschen Nationalgeistes herbeizuführen wußte, entflammte diesen Sohn der rothen Erde zu einer edlen Entrüstung. Sowohl in publicistischen Aeußerungen, wie in den Anti-Windthorst überschriebenen Artikeln der Magdeburgischen Zeitung, als auch in wissenschaftlicher Form eröffnete er den Kampf. Das Letztere geschah in der Schrift: „Erasmus redivivus s. de curia Romana hucusque insanabili“, 1. Theil 1881, vollständig 1883 Halle. In classischem Latein, wie er aus seinen humanistischen Studien gelernt hatte, zeigte S. an Döllinger, wie das infallibilistisch gewordene Rom keinen selbstständigen Denker und Charakter mehr ertragen könne. Diese Schrift bot Veranlassung zu einem Angriff ultramontaner Abgeordneter im Abgeordnetenhause des preußischen Königreichs, welche ächt jesuitisch-inquisitorisch vom preußischen Cultusminister verlangten, er solle die protestantische Theologie mundtodt machen. Furcht vor den Römlingen, sowie der Mangel an theologischer und historischer Bildung unter den anwesenden Mitgliedern des hohen Hauses ließen die Antwort sowol der Regierung, als auch der Abgeordneten auf diesen Uebermuth äußerst schwächlich ausfallen (s. stenogr. Bericht der Verhandlungen vom 11. und 15. März 1881). Der letztere hatte aber das von seinen Urhebern gewiß nicht gewünschte Resultat, daß nunmehr die öffentliche Aufmerksamkeit auf Schlottmann’s Schrift in ganz anderer Weise als bisher gelenkt wurde. Es wurde infolge davon von J. Jacobi unter dem Titel: „Der deutsche Gewissenskampf gegen den Vaticanismus, Halle 1882 einer der wichtigsten Abschnitte der Schrift ins Deutsche übersetzt und mit einem längeren Vorwort von S. versehen. Daneben trat auch die Vertheidigungsschrift von D. J. L. Jacobi hervor, betitelt: „Professor Schlottmann, die Hallesche Facultät und die Centrumspartei“, welche in 2., verschärfter Auflage 1882 erschien. (Vgl. zu dieser Litteratur Pünjer, Theol. Jahresbericht 1882, S. 232; 1883, S. 257.) – Eine der letzten Arbeiten Schlottmanns war: „Die Osterbotschaft und die Visionshypothese“ 49 S. 1886, in welcher er einen früheren Vortrag über diesen Gegenstand von Hoßbach bestritt. Die Arbeit war deshalb nicht recht genügend, weil die inzwischen erschienenen viel bedeutenderen Erörterungen dieser Frage von Holsten [567] und Keim nicht berücksichtigt waren. – In demselben Jahre war eine Abhandlung von ihm über den Strophenbau in der hebräischen Poesie gedruckt in den Actes du VIe congrès international des Orientalistes, S. 473–492. – Sein letztes Werk hatte S. zur Ausgabe vorbereitet, als ihn der Tod überraschte. Das „Compendium der biblischen Theologie des alten und neuen Testaments“, herausgegeben von Ernst Kühn VI, 192 S., erschien Leipzig 1889. Es enthält dieses Werk „die Dictate, welche S. in seinen Vorlesungen über biblische Theologie zu geben pflegte“. Für den theologlsch-conservativen Standpunkt kann man dies „Compendium“ als ein wahres Musterbuch bezeichnen. Wer der Meinung ist, daß die Entwicklung der wahren Religion schon von Adam’s Zeiten an auf das Dogma der evangelischen Kirche hin angelegt sei, der wird hier den vollkommensten und knappsten Ausdruck seiner theologischen Anschauungen vom Gange der Sache finden, wie denn auch Frz. Delitzsch im Theol. Litteraturblatt 1889, Nr. 30 sein völliges Einverständniß mit dieser Darstellung ausgesprochen hat. Wer aber der Meinung ist, daß die kritische Erforschung des alten und neuen Testaments ein ganz anderes Bild vom Keimen und Wachsen der Religion des alten und des neuen Testaments ergebe, der wird sich nicht befriedigt fühlen, weil namentlich dem alten Testament die ganz fremdartigen Schablonen kirchlicher Lehre aufgezwängt werden. Aber auch für den vom Verfasser abweichenden Standpunkt bietet das Buch mancherlei reiche Belehrung in Einzelheiten und die kurze und scharfe Zusammenfassung der Anschauungen des Verfassers zu lesen ist ein Genuß, an manchen Stellen sogar eine Erbauung. Vgl. Theol. Litteraturzeitung 1889, Nr. 20.

S. war sein Leben lang fast immer gesund und auch im Alter noch außerordentlich rüstig gewesen. Dem stets unverheirathet Gebliebenen ersetzte die liebevolle Pflege einer eng ihm verbundenen Schwester das Familienleben. In den letzten Jahren hatte er mehrfach unter Entzündungen der Lunge gelitten, auch stellten sich Symptome eines Herzleidens ein. Er war nicht gewohnt, sich zu schonen. Das verschlimmerte die Sache. Vom Arzt nach Meran geschickt, fühlte er dort das Schwinden der Kräfte und machte sich auf den Heimweg, wo er noch Döllinger besuchte. Zu Haus angelangt starb er an einem Schlagfluß am 8. November 1887. – Den Eindruck einer Persönlichkeit, die nicht nur als Gelehrter, sondern auch als Charakter gediegen, kernhaft und rein war, wird jeder Unbefangene von Schlottmann’s Lebensbilde mit sich nehmen. – (Vgl. für das Biographische: Brandt, Zur Erinnerung an D. Const. Schlottmann, Deutsch-ev. Blätter 1889 Hft. 3, S. 187–199. Th. Arndt in Protest. Kirchenzeitung 1887, Nr. 46.) –

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gegener