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ADB:Wihl, Ludwig

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Artikel „Wihl, Ludwig“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 469–472, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wihl,_Ludwig&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 07:03 Uhr UTC)
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Wihl: Ludwig W., Philolog und Litterat, wurde am 24. October 1807, nach weniger gut beglaubigter Angabe 1806 zu Wevelinghofen bei Aachen von jüdischen Eltern geboren, die bestrebt waren, ihm eine höhere Bildung angedeihen zu lassen, obschon sie nicht vermögend waren. W. besuchte das evangelische Gymnasium zu Köln, wo dann die Aufmerksamkeit des Erzbischofs Graf Ferdinand v. Spiegel auf ihn gelenkt wurde. Dieser Kirchenfürst verschaffte ihm die Mittel zum Universitätsstudium, und W. konnte infolgedessen in Bonn und München classische und orientalische Sprachen gründlich treiben. In letzterer Stadt promovirte er zum Doctor der Philosophie, jedenfalls mit dem Büchlein (oder dessen erstem Theile), das den Haupttitel führt: „Ludovici Wihl De gravissimis aliquot Phoenicum inscriptionibus commentatio philologico-critica, cui accedit oratio Germanice scripta, quam in societate Philomathia Monacensi, die 13 M. Novembr. 1830 habuit: De artium inter Graecos primordiis, explicatione inscriptionis praemissa. Cum duabus tab. lithogr. inscriptionum (Monachii 1831)“, wie auch aus der Thatsache des Drucks durch den Universitätsbuchdrucker Dr. Karl Wolf zu schließen, dazu aus der Widmung an Eduard v. Schenk (s. d.), den Minister und Dramatiker, den Kölner Erzbischof und den Philosophen Schelling, damaligen Münchner Universitätsprofessor. Sie enthält außer der im Titel als Hauptsache genannten lateinisch abgefaßten Abhandlung eine kurze Betrachtung „Ueber einen antiken Carneol mit phönicischen Charakteren, in der Sammlung des Herrn Grafen Anatolio Demidoff“, die an W. eingesandt worden war, sowie die sorgfältige „Rede über die Anfänge der Kunst unter den Griechen, in Verbindung mit der Erklärung einer phönicischen Inschrift“, in dem philomathischen Verein zu München vorgetragen. Beide Arbeiten, die an eine im „Kunstblatt“ vom 10. August 1831 von W. veröffentlichte Stichprobe seiner Untersuchungen anknüpfen, stützen sich auf seine These, die Sprache der Phönicier sei hebräisch gewesen, und behandeln von da aus einerseits den Sinn einer Reihe von Notizen zu phönicischen Denkmälern, andererseits den Einfluß letzterer auf die älteste Periode hellenischer Kunst. Dies Werkchen scheint ziemlich selten [470] zu sein: sogar die Münchner Hof- und Staatsbibliothek besitzt bloß das aus der Privatbibliothek König Ludwig’s I. geschenkte Exemplar.

Nach beendigten akademischen Studien versuchte W. einen entsprechenden Posten im Staatsdienste zu erlangen; an die Docentenlaufbahn scheint er in erster Linie gedacht zu haben. Da er preußischer Unterthan war, mochte er es wol in Baiern gar nicht erst ernstlich wagen. Aber auch sein Landesfürst Friedrich Wilhelm III. wollte keinen Juden zum Professor ernennen, und Confessionswechsel war bei W. ausgeschlossen. So wurde aus dem strengen Philologen und Büchergelehrten ein Schriftsteller, zugleich Publicist und Belletrist. Er betheiligte sich an Karl Gutzkow’s Zeitschriftenunternehmungen, zuerst in Frankfurt a. M. am „Phönix“, dann in Hamburg am „Telegraph“, besuchte zwischendrein – alles dies liegt in den Dreißigern des Jahrhunderts – auch England und Frankreich, besonders beider Hauptstädte, und veröffentlichte, nachdem 1836 eine Sammlung seiner „Gedichte“ erschienen, mit als Ausbeute dieser Reise „Englischer Novellenkranz“ (1839). 1840 kehrte W., mit dem unverträglichen Gutzkow überworfen, nach Frankfurt zurück und gründete hier mit Mitteln, die ihm ein christlicher Bankier überwies, eine Erziehungsanstalt; sie ging nach anderthalb Jahren ein, weil christliche Zöglinge nicht aufgenommen werden durften. Die Jahre bis 1848 brachte W. darauf meist in Amsterdam und Utrecht zu, wol als freier Litterat, vielleicht auch als Lehrer thätig. Im Revolutionsjahre finden wir ihn zu Paderborn an einer politischen Tageszeitung beteiligt. Dazu paßte seine Natur freilich nicht, und so ists kein Wunder, daß er einmal die Grenze des Zulässigen überschritt und wegen des betreffenden Artikels ein Jahr Festungshaft zudictirt erhielt. Er entzog sich dieser Strafe durch die Flucht und ging nach Frankreich, wo er sich anfänglich in Paris aufhielt und später eine seitdem verwaltete höhere Lehrerstelle für Litteratur in Grenoble bekam. Bei Ausbruch des 1870er Kriegs mußte er Frankreich verlassen und wandte sich nach Brüssel, wo er von einer mäßigen Pension lebte und am 16. Januar 1882 starb.

Es macht ganz den Eindruck, als ob W. niemals ernstlich in die Belletristik hineingegangen wäre, falls sich seine Hoffnungen auf eine gesicherte philologisch-wissenschaftliche Wirksamkeit verwirklicht hätten. Wie innig er an dieser Disciplin hing, belegt deutlich die Einleitung zu Wihl’s „Geschichte der deutschen National-Literatur von ihren ersten Anfängen bis auf unsere Tage“ (1840), betitelt „Ueber Sprache im Allgemeinen und die deutsche insbesondere“, wo sich die vage Sprachphilosophie jener Decennien und etymologische Liebhaberei, diese sogar unfester als in dem Münchner Bändchen von 1831, mit linguistischen Ahnungen kreuzen. Das litterarhistorische Werk selbst ist nicht nur vom heutigen Standpunkte aus schlechthin werthlos, sondern die Parteilich- und Einseitigkeit in Auswahl, Auffassung, Gruppirung der litterarischen Dinge berührt in dem Lustrum, da Koberstein’s und Gervinus’ gewaltige Darstellungen unseres nationalen Schriftthums erwuchsen, überaus schwächlich. Höherer kritischer Blick fehlt durchaus, dafür wimmelt es von unpassenden oder nichtssagenden Parallelen, die nichts beweisen als eine ausgedehnte Belesenheit. Bemerkenswerth und dem Zeithange zur mittelalterlichen Poesie gemäß kommt die moderne Zeit der deutschen Litteratur, selbst der Classicismus, hinter den älteren Jahrhunderten äußerlich arg zu kurz. Methode sowie ordentliche Herrschaft über die eben damals fleißig durchackerte mittelhochdeutsche Periode suche man da nirgends. Aus persönlicher Activität schöpft nur der letzte, publicistisch gefärbte Abschnitt „Blicke in die Gegenwart“. Da zielt W. auf sein eigenes Verhängniß: „Man dünkte sich Wunder für etwas Großes, wenn man sich deutsch oder besser teutsch nannte, wenn man z. B. den Juden, obgleich er den lebendigsten Antheil an der Bewegung nahm, obgleich er über ein Jahrtausend den Druck der Deutschen getragen, [471] für undeutsch erklärte“; da spricht er ganz subjectiv: „Ich erinnere mich noch lebhaft eines Gesprächs mit Schelling, den ich mit Stolz Lehrer und Freund nenne, über Mendelssohn“; da streift er bei der Behandlung Ludwig Börne’s, auf dessen Grab er „am ersten Frühlingstage einen Kranz“ niedergelegt und eine Vision gehabt hatte, und Heinrich Heine’s, welch letzterem er eine genauere Aufmerksamkeit schenkt, sein Verhältniß zu dem „ungezogenen Liebling der Grazien“, „in dieser flüchtigen Skizze“ nicht zu Ausführlichkeit im Stande: „Doch dürften folgende Crayonstriche, die ich einem früher von mir im Telegraphen (1838 [mit Druckfehler 1818], July) mitgetheilten Aufsatze: H. Heine in Paris, entlehne, der Wahrheit nicht fern abliegen; sie sind wenigstens damals mit einer Vorliebe für Heine geschrieben, um die er sich später auf eine unerlaubte, unwürdige Weise gebracht hat.“ W. hatte Heine 1837, als er zuerst in Paris war, kennen gelernt und dann in Frankfurt den angezogenen Artikel veröffentlicht, der Heine hohes Lob zuertheilt, aber neben aller Anerkennung des Dichters den Charakter sammt der Sucht nach Allerweltsautorität tadelte, dabei Börne Recht gebend. Heine aber, da seine Eitelkeit immerhin zufrieden sein durfte, auch W. sichtlich keinen Angriff oder gar ein Federduell eröffnet hatte, hielt seinen Ingrimm zunächst verborgen und äußerte sich bloß brieflich seinem Verleger u. a. gegenüber (vgl. unten) höchst abfällig über die litterarische Klatschsucht und Schriftstellereitelkeit Wihl’s, der ihn nur zum Piedestal seiner Großmannssucht habe benutzen wollen. Bald danach entbrannte jedoch der Krieg, und erst als W. auf der Flucht 1848 nach Paris kam, näherte er sich Heine wieder, ohne daß ihre Beziehungen enger oder dauerhafter wurden. Heine beurtheilte W. ungünstig oder vielmehr er taxirte ihn viel zu gering, um auf eine Verbindung mit ihm irgend Werth zu legen, hat auch seine ganze Erscheinung verhöhnt. W. hatte 1847 eine lyrische Sammlung „Westöstliche Schwalben“ drucken lassen, seine erheblichste That in der Poesie, die aber doch nur Heine’s Spott – auch „Rabbi Faiwisch“ nannte er ihn – Nahrung bot: am 1. November 1850 meldete Heine Alfred Meißner von einem Besuche des, wegen eines tragikomischen Liebesabenteuers „trauernden Schwalben-Rabbi Wihl“ und gerade fünfviertel Jahre später „Den Schwalbenvater sehe ich, gottlob! nicht mehr, wie überhaupt mein Haus jetzt sehr von west-östlichem Gesindel gereinigt ist“. Das ist freilich noch milde neben einer Briefstelle vom Mai 1839 (an Gustav Kühne): „Ja, gegen den Wihl kann ich nicht selbst auftreten, er ist eine Wanze, die ich nicht mit den Fingern anrühren kann, ohne mich widerwärtig zu beschmutzen, die ich nicht zertreten darf, wenn ich mich nicht dem Mistduft seiner Stinkereien, die er verübt, aussetzen will“, wozu ein an den Almanach-Redacteur Christian Schad 1853 gerichteter Brief das Seitenstück gewährt: „Ich glaube, Sie sind es den Geruchsnerven Ihrer Leser schuldig, daß Sie von dieser herumkriechenden Wanze keinen versificirten Gestank in Ihren Almanach aufnehmen“. Vor Friedrich Hebbel scheint der Satiriker an der Seine diesen Ton nicht riskirt zu haben, wenn er 1843 zu ihm sagte: „ein Dichter, der keine Gedichte mache, sei wie ein Baum ohne Blüthen, aber Gutzkow, meinte er, werde nicht zu kurz kommen, denn wenn er stürbe, so werde Wihl sich hinsetzen und die zur Completirung nöthigen Gedichte aus Freundschaft für ihn abfassen und seinem Nachlasse einverleiben“, ein Witz, der kleinlich auf Wihl’s Heine-Essay in Gutzkow’s Journal anspielt und zeigt, daß Heine den Aerger noch immer nicht hinuntergeschluckt hatte. Jenes doppelte herbe Votum muthet uns hart an, wenn wir die „Gedichte“ Wihl’s von Anno 1836, die „Westöstlichen Schwalben“ von 1847 und die wol in der Hauptsache letzterem Bändchen einverleibten Nummern eigenen Fabrikats in Wihls „Jahrbuch für Kunst und Poesie. Jahrgang 1843“, das er mit Beiträgen Geibel’s, Gutzkow’s, Herwegh’s, Lenau’s, Mörike’s, Mosen’s, [472] Wolfg. Müller’s, Prutz’s, G. Schwab’s, Simrock’s u. a. herausgegeben hat, Revue passiren lassen. Manches darin ist Geibelisch beziehentlich im Stile der durch diesen eben aufkommenden norddeutschen Poeten repräsentirten Lyrik, Einzelnes auch Heinisch; auch zwei Brüder des Herausgebers, David und der 16jähr. Lazarus, erschienen mit nicht wenigen lyrischen Versen da auf dem Plan, der letztere romantisch im damals viel verspöttelten Sinn, der ältere hie und da Heinisch angehaucht, doch mehr zu Uhland neigend: von ihrem spätern Schicksal weiß ich nichts.

Vgl. Kurz, Gesch. d. dtsch. Lit.3 IV, 57 f. (stellt ihn hoch); flüchtig ist Brümmer, Lexik. d. dtsch. Dicht. u. Pros. d. 19. Jhrh., II, 484 f. (3. Ausg.), gut A. Englert, Vrtljhrschr. f. Litteraturgesch., VI, 316 f. (vgl. auch S. 322 [nicht 321, wie im Register]), der auf die einschlägigen Briefe in Karpeles’ Heine-Ausgabe Bd. 9 (man sehe auch die Elster’s) und A. Meißner, H. Heine; Erinnerungen, S. 114–137 verweist und die S. 240 stehende Ablehnung einer Beziehung des „Schwalbenvaters“ u. s. w. auf Wihl mit Recht nicht stichhaltig erachtet. Obige Auslassung zu Hebbel in dessen Biographie von Kuh, II, 63. Bloße Erwähnung bei Gottschall, D. dtsch. Nationallit. d. 19. Jhrhs.6 II, 394 u. III, 97.