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Ahmed und Paribanu

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Textdaten
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Autor: Johann Andreas Christian Löhr
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Titel: Ahmed und Paribanu
Untertitel:
aus: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, Band 2, S. 405–430
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Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1820]
Verlag: Gerhard Fleischer d. Jüng.
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Kinder- und Jugendbibliothek München und Commons
Kurzbeschreibung:
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[405]
31. Ahmed und Paribanu.

Ein mächtiger König von Indien hatte drei Söhne. Der älteste Prinz hieß Hußein, der zweite hieß Ali und der jüngste hieß Ahmed. Mit diesen Prinzen war zugleich eine Nichte des Königs aufgewachsen und erzogen worden, weil ihr Vater frühzeitig gestorben war. Ihr Name war Nurunnihar.

Als sie erwachsen war, dachte der König von Indien darauf, sie an einen benachbarten König zu verheirathen, aber da fand es sich, daß alle seine drei Söhne mit großer Leidenschaft in die Prinzeßin verliebt waren, und jeder derselben forderte sie von dem Vater zur Gemahlin.

Der Vater stellte jedem der beiden jüngern Prinzen besonders vor, ihrer Liebe zu Gunsten des ältern Bruders zu entsagen; sie aber hatten tausend Einwendungen, und wenn der Vater ihnen dieselben widerlegt hatte, so behaupteten sie, es sei ihnen unmöglich ohne die Prinzeßin zu leben. Hußein behauptete hartnäckig das Nämliche.

Der Vater sahe, welchen Haß und Bitterkeit, und wie viel Verwirrungen im Hause und Lande eine so unglückliche Liebe unter den Brüdern erzeugen würde, und wußte nur noch ein Mittel, welches er mit seinem königlichen Ansehen unterstützte.

„Die Prinzeßin selbst, sagte er, soll einen von Euch wählen, und wer dann sich widerspenstig bezeigt, den will ich Landes verweisen.“

Die Prinzen waren mit diesem Ausweg zufrieden, denn jeder schmeichelte sich, daß ihn die Wahl treffen müße und keinen andern Bruder, weil er sie am heftigsten liebe. Der Vater aber war hoch [406] erfreut, seine Prinzen so vernünftig und alle Verwirrungen gehoben zu wißen, und bildete sich auf seine Weisheit nicht wenig ein.

Aber wie betroffen war der König, als die Prinzeßin hartnäckig die Wahl verweigerte. Wie kann ich denn wählen? allergnädigster Oheim, sagte sie, da ich sie alle drei gleich lieb habe, weil sie alle gleich schön, gleich weise und gleich liebenswürdig sind.

Es ist meinem Herzen unmöglich eine Wahl zu treffen, zumal da ich mittelst derselben dem Einen einen Vorzug zu geben schien und die beiden Andern betrüben müßte. Nein, gnädigster Herr, wählet Ihr selbst, welchen ich als meinen Gemahl ehren und lieben soll.“

Gegen so viel Zartheit konnte der arme König mit aller seiner Weisheit nicht auskommen, und quälte sich Tag und Nacht um einen andern Ausweg zu finden. Endlich fand er einen, der ihm ganz vorzüglich zu sein schien.

„Gehet auf Reisen, meine Söhne, redete sie der Vater an; und wähle sich Jeder ein eigenes Land, das er besuchen will. Wer mir nach einem Jahre die wundersamste Seltenheit mitbringt, der soll die Prinzeßin haben.“

Bei sich selbst dachte auch der König noch, daß während der Zeit eines Jahres schon manche Liebe sei vergeßen worden, und neue Gesichter neue Neigungen erzeugt hätten. Ueberdieß glaubte er noch mit Recht, es könnte den Herren Söhnen sehr zuträglich sein, einmal eine zeitlang fremdes Land und Volk, fremde Kunst, Art und Sitte zu sehen.

Die Prinzen ritten nach einigen Tagen als Kaufleute verkleidet fort, jeder von einem vertrauten Hofbedienten begleitet, der als Sklave verkleidet war, und nöthingenfalls seinem jungen Herrn ein wenig Verstand leihen konnte.

In dem ersten Nachtlager, neben welchem sich der Weg nach [407] drei verschiedenen Weltgegenden hin theilte, wurden sie eins, sich über ein Jahr hier wieder zu versammeln und dann zusammen zu dem Vater zurückzukehren.

Der älteste Prinz reiste mit einer Karawane nach dem Königreiche Bisnagar. Er brauchte drei Monate, um durch Wüsten und fruchtbare Länder, durch Gebirge und Thäler dorthin zu gelangen. Er wählte sich die Hauptstadt zu seinem Aufenthalte und kehrte in dem großen Khan ein, wo die fremden Kaufleute ihre Herberge hatten, um bei ihnen die Seltenheiten und Wunder fremder Länder und Reiche und die Sitten und Gebräuche der Völker zu erkundigen.

Er besahe sich den königlichen Palast und wollte es sich selbst nicht glauben, daß derselbe größer, herrlicher und kostbarer sei, als der Palast seines Herrn Vaters.

Er bemerkte den lebendigen Handel der Stadt, die köstlichen Waaren verschiedener Erdgegenden, die bewundernswerthen Arbeiten der Künstler, die großen Reichthümer und den Prachtaufwand der reichen Einwohner, und sahe mit Vergnügen die Kauf- und Handelsplätze und die Buden der Kaufleute, Künstler und Handwerker mit den vortrefflichsten Rosen und andern kostbaren Blumen geschmückt.

Eines Tages war er im Besehen so vieler Neuheiten und Kostbarkeiten, die sich in den verschiedenen Quartieren der Stadt befanden, recht müde geworden. Er bat einen Kaufmann um eine Ruhestelle in deßen Bude, und sie wurde ihm freundlich bewilligt.

Nicht lange hatte er geruht, als ein Ausrufer vorbei ging, mit einem Teppiche auf dem Arme, der weder sehr groß noch kostbar war, und den derselbe für dreißig tausend Thaler ausbot. Er rief den Rufer, besahe den Teppich, schüttelte den Kopf und sagte: [408] „Mein guter Freund, ich begreife nicht, wie man einen solchen Teppich zu solchem Preis ausbieten kann?“

„Ich glaube es schon, versetzte der Rufer; aber, mein Herr, es gibt Dinge, die nicht Jedermann sogleich begreift, und es ist Manches unscheinbar, was dennoch hohen Werth hat. – Ihr werdet es, mein Herr, noch weniger begreifen, wenn ich Euch sage, daß Ihr diesen Teppich nicht unter funfzig tausend Thaler erkaufen könnt.“

„Das ist seltsam!“ sagte der Prinz. – „Ja freilich!“ erwiederte der Ausrufer. „Er hat indeßen eine Tugend, die noch seltsamer als der Preis ist, und diesen grade durch ungewöhnliche Niedrigkeit seltsam macht.“

„Ihr sprecht in Räthseln, mein werther Herr;“ sagte der Prinz empfindlich. – „So ist es fürwahr, allerwerthester Herr;“ antwortete der Ausrufer. Indeßen wird Euch Alles klar sein, sobald Ihr wißen werdet, welch eine Tugend dieser Teppich hat. Setzet Euch drauf; wünschet Euch dann, wohin Ihr wollt, und Ihr seid im selben Augenblick dort!“

„So?“ sagte der Prinz mit langgezogenem Ton, und dachte sogleich, daß eine solche Seltenheit wohl schwerlich einem seiner Brüder aufstoßen möchte. Er machte die Probe mit dem Teppich, setzte sich mit dem Ausrufer darauf, wünschte sich in den Khan auf seine Zimmer, und war im Augenblick dort.

Nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt hatte, zahlte er den Preis und behielt den Teppich.

Jetzt hatte er Zeit genug sich überall im Lande umzusehen und den königlichen Palast, die Tempel der Götter, die Aufzüge und Tänze und Feste zu Ehren der Gottheiten, die Künste der Gauckler, und tausend andere Dinge zu beschauen. Das Alles aber beschäftigte [409] ihn lange so sehr nicht, daß er nicht noch sehr viel Langeweile sollte gehabt haben, zumal da es keiner eigentlichen Rückreise bedurfte, indem er mit seinem Wunschteppich in einem Augenblicke wieder an den verabredeten Ort der Zusammenkunft sein konnte. Da ihn überdieß die große Sehnsucht quälte, der schönen Nurunnihar näher zu sein, so wünschte er sich plötzlich einmal in einem starken Anfall von Liebe und Langweile in die Nachtherberge zurück, war in demselben Augenblick mit seinem Begleiter dort, und wartete einige Monate mit Schmerzen auf die Rückkunft seiner Brüder.

Ali, der zweite Prinz des indischen Königs, war in der Gesellschaft mehrerer Kaufleute die Straße nach Persien gezogen, wohin er auch nur nach langer und beschwerlicher Reise gelangte und ebenfalls in der Hauptstadt einen Khan zu seiner Herberge wählte, in welchem sich Kaufleute aufhielten.

Gleich am ersten Tage als er die Stadt durchwandelte, um die Reichthümer und Prächtigkeiten derselben zu beschauen, bemerkt er unter den vielen Ausrufern Einen, der ein kurzes, kaum zollstarkes elfenbeiners Rohr in der Hand hielt, und es für dreißig tausend Thaler ausschrie.

Der Prinz fragte einen Kaufmann in der nächsten Bude: „Fehlts denn dem Menschen dort mit dem elfenbeinern Rohr etwa ein wenig oben im Hirn?“

„Es mag freilich wohl Vielen dort fehlen, versetzte der Kaufmann, indeßen müßte es bei diesem seit gestern erst rappeln; denn er war bis jetzt der kenntnißreichste und geschätzteste aller Ausrufer in unserer Stadt, dem man grade die kostbarsten und seltsamsten Sachen anvertraute. Laßet Euch in meiner Bude nieder und verziehet ein wenig; er wird bald wieder zurückkommen, dann wollen wir ihn fragen.

[410] Ali setzte sich in die Bude neben den Kaufmann, und als der Ausrufer rückkehrte, rief der Kaufmann denselben an und sagte: „Dieser Herr hier hat Euch in übeln Verdacht, weil ihr so ein unbedeutendes Rohr von Elfenbein zu so ungeheurem Preise ausruft.“

„Mein Herr, sagte der Ausrufer, indem er zu Ali sich wandte, Ihr seid es nicht allein, der mich des Rohres und seines Preises wegen für verrückt hält; wüßtet Ihr indeßen die Tugend deßelben, Ihr würdet Euch nicht wundern, daß der wahre Preis zwanzigtausend Thaler höher ist, als der ausgerufene.“

„Wie so?“ fragte der Prinz, und der Ausrufer erwiederte: „Nehmet das Rohr, haltet das Auge an das Glas deßelben und wünschet zu sehen, was Euch beliebt.“

Der Prinz wünschte die Prinzeßin Nurunnihar zu sehen, und im Augenblick erblickte er sie fröhlich und guter Dinge im wohlbekannten Zimmer am Putztisch, von ihrem Frauenzimmer umgeben. Darauf wünschte er seinen Vater zu sehen, und er sahe ihn auf seinem Throne mitten unter seinen Vezieren und Räthen und der Großvezier schien über eine wichtige Angelegenheit zu sprechen. Er verlangte noch dieß und das zu sehen und sahe es.

Der Kauf war bald geschloßen, und Ali glaubte, daß ihm die Prinzeßin gewiß, denn er hielt es für unmöglich, daß eine gleich kostbare Seltenheit sich noch auf der Erde finden könne. Er durchreisete das Land nach allen Richtungen, kehrte dann zurück und fand seinen ältern Bruder schon in der Herberge vor.

Ahmed war nach Samarkand in der Tartarei gereist und hatte sich bald genug mit den Waarenplätzen bekannt gemacht. Gleich in den ersten Tagen rief ein Ausrufer einen künstlichen Apfel um dreißigtausend Thaler aus. Der Prinz fragte nach der Tugend des Apfels. Der Ausrufer gab ihm Bescheid und sagte, dieser Apfel [411] sei wohl das größeste Kleinod der Welt. Er heile alle und jede Krankheiten überhaupt und alle Fieber noch insonderheit, wenn man nur ein ganz klein wenig daran röche oder ihn auch nur an die Nase halte. Er erzählte ihm, daß ein sehr großer Naturkundiger, der alle Pflanzenkräfte gekannt hätte, sein ganzes Leben darauf gewandt habe, solch einen Apfel aus den kräftigsten Dingen zusammen zu setzen. Ihn selbst hätte ein so plötzlicher Todt hinweggenommen, daß er sich seiner Erfindung nicht habe bedienen können.

Die umstehenden Kaufleute bekräftigten die Aussage des Ausrufers und setzten hinzu, daß die erstaunlichsten Kuren mit diesem Apfel seien vollbracht worden. „Was brauchts vieler Versicherungen? rief einer der Umstehenden, die Probe läßt sich sogleich an meinem kranken Freunde in der Nachbarschaft machen, welchen alle Aerzte aufgegeben haben. Er liegt wie eine Leiche schon seit acht Tagen, und athmet nur noch unmerklich.

Man ging hin; man machte den Versuch, und der Kranke athmete sogleich wieder kräftig und stark, die Augen wurden helle, die Wangen blühten und der Genesene forderte Speise.

Der Prinz kaufte den Apfel, er mußte aber ebenfalls funfzigtausend Thaler dafür zahlen und zahlte sie gern; ja, er gab vor Freuden dem Ausrufer noch zweihundert Goldstück zur Belohnung.

Der Prinz wunderte sich in seinem Herzen über die Narren, die einen solchen Wunderapfel verkauften, mit welchem sie in einem einzigen Jahre bei reichen Tagedieben und Schwelgern und bei begüterten Alten, die gern unsterblich sein wollen, zehnmal so viel spielend hätten verdienen können, als sein Verkaufpreis war. Indeßen was kümmerte das ihn; hatte er doch nun, wie er sich schmeichelte, die Prinzeßin.

[412] Nachdem er die Tartarei dahin und dorthin durchzogen hatte, war es Zeit zur Heimkehr und er kam ohne Unfall in der Herberge an, wo er die Brüder schon vorfand.

Die Brüder besprachen sich nun über ihre Reisen und Jeder rühmte sich, er habe ein unübertreffliches Wunderding gekauft und es unendlich theuer bezahlt, aber dennoch unendlich tief unter seinem Werth, denn man könnte in kurzer Zeit weit mehr damit erwerben.

Nach und nach kams denn zum Vorschein, welch kostbares Stück ein Jeglicher erhandelt hatte, und Jeder zeigte das Seinige den Andern. Es fiel ihnen auf, daß sie Alle zu gleichen Preisen gekauft hätten, und Jeglicher zwanzigtausend Thaler über die erste Forderung hatte geben müßen. Aber es wurde Jedem ganz unheimlich zu Muthe, wenn er bedachte, daß alle drei Seltenheiten von gleich wundersamen Werthe wären und keines ein vorzügliches Recht auf die Prinzeßin geben möchte. Indeßen kam es doch erst auf die Probe an, ob jegliches Wunderding die gepriesene Eigenschaft auch wirklich besitze.

„Nehmt mein Rohr und versucht es,“ sagte Ahmed zu Hußein. Dieser nahm das Rohr, sahe hinein mit dem Wunsche Nurunnihar zu erblicken. Plötzlich erbleichte er und ließ das Rohr vor Schrecken beinahe fallen. „Ach, es ist Alles vergebens! rief er schmerzlich; Nurunnihar liegt in den letzten Zügen und unser Vater steht weinend mit den Aerzten neben ihrem Bette.“ Die Brüder erbleichten nun ebenfalls.

„Hußein, rief Ahmed, laß sehen, ob dein Teppich sich bewährt. Kommt! wir wollen uns auf den Teppich setzen und zu der Kranken hinwünschen.“

Sie setzten sich auf den Teppich, wünschten, und waren in demselben Augenblick im Zimmer der Prinzeßin zum Schrecken der [413] stummen Aerzte, der heulenden Frauen und des weinenden Vaters. Sie vergaßen alle zierlichen Höflichkeiten und Worte und blickten traurig auf die geliebte Kranke. Ahmed aber nahm den köstlichen Apfel und hielt ihr denselben dicht unter die Nase. Gleich darauf schlug Nurunnihar die Augen auf, rieb dieselben, sahe die Umstehenden an und wußte nicht, wie sie daher kamen, oder was sie nur wollten? Es war ihr, als ob sie von einem langen, recht erquickenden Schlafe erwacht sei.

„Willkommen, liebe Vettern, sagte sie zu den Prinzen, indem sie ihnen die Hand reichte. Es freut mich, daß Ihr gesund wieder von Eurer Reise zurück seid!“

Nachdem bei Allen die erste Freude vorüber war, kam bei dem Könige und den Prinzen das Leid nach; denn wer nun die Prinzeßin besitzen sollte, blieb jetzt eben so unentschieden als zuvor.

„Meine Söhne, sagte der Vater, ich bin in neuer und peinlicher Verlegenheit. An sich sind Eure drei außerordentlichen Dinge von ganz gleich unschätzbaren Werth, und zu der Rettung der Prinzeßin hat Jedes gleich viel beigetragen. Wäre das Rohr nicht gewesen, so hättet Ihr von der Krankheit Nurunnihars nichts gewußt; ohne den Teppich wärt Ihr nach ihrem Tode angekommen, und ohne den Apfel hätte sie nicht können genesen. Ruhet heute aus, vielleicht kommt guter Rath über Nacht.“

In der That war der auch über Nacht gekommen, und der König hatte ein leichtes Auskunftsmittel, gleichsam wie im Schlafe, gefunden.

Er ließ die Prinzen am andern Morgen mit Pfeil und Bogen auf die große meilenlange Aue kommen, die zur Reitbahn diente, und es wurde angenommen, derjenige solle der glückliche Besitzer der Angebeteten sein, deßen Pfeil am weitesten fliegen würde.

[414] Hußein spannte den Bogen und schoß sehr weit, aber Alis Pfeil flog weiter hin. Jetzt schoß Ahmed, aber kein Auge sahe seinen Pfeil zur Erde fallen. Man suchte überall, man lief dahin und dorthin, man vermuthete, der Pfeil Ahmeds möchte weiter geflogen sein als die beiden andern, aber man wußte es doch nicht gewiß. Man hatte über eine halbe Stunde hinaus nach dem Pfeile gesucht, und das war weiter als die stärksten Helden der alten Zeit je einen Pfeil hatten schießen können.

Der König berathete sich auf der Stelle mit den Großen seines Reichs, wem die Prinzeßin zufallen sollte? und sie entschieden einstimmig für Ali, denn Ahmeds Pfeil wurde, aller Einwendungen deßelben ungeachtet, als gar nicht gültig angenommen, weil er gar nicht vorhanden war.

Noch deßelbigen Tages wurden die Vermählungsfeierlichkeiten begonnen. Hußein wollte denselben nicht beiwohnen, denn sie hätten sein Herz zerrißen. Er verließ den Hof, entsagte dem Rechte der Thronfolge, ging in die Einsamkeit und wurde ein Derwisch, der bald in den Ruf einer großen Heiligkeit kam. Das machte fehlgeschlagene Liebe.

Ahmed wollte eben so wenig Feierlichkeiten beiwohnen, die ihm höchst peinlich sein mußten, aber der Welt zu entsagen war er gar nicht gewillet. Jetzt beschäftigte ihn sein Pfeil. Er suchte denselben mit aller Anstrengung und war darüber in Gedanken wohl eine Stunde weit gegangen. Er wollte umkehren, aber es war ihm, als würde er durch eine heimliche Gewalt fortgezogen, und er ließ sich leicht ziehen, da ihn Alis Glück weiter vom Hofe abtrieb.

Er war wohl, träumend über die wunderbaren Dinge, welche sich ereignet hatten, vier Meilen weit von dem Hofe entfernt, als er ganze Reihen schroffer Felsen gewahr ward, die er gar nicht [415] kannte, zum Beweise, daß er zu Hause wirklich nicht zu Hause war.

Als er an den Felsen heran kam, fand er einen Pfeil an der Erde liegend, den er für den seinigen erkennen mußte, wie oft und genau er ihn auch besahe und wie unglaublich es auch war, daß derselbe so weit geflogen sein sollte. „Das sind Wunder über Wunder!“ sagte er zu sich selbst. Indem er, seinen Pfeil in der Hand haltend, längs des Felsens in tiefen Gedanken dahin schlich, kam er in ein Felsenthal, ging hinein und erblickte eine eiserne Pforte, die sich nach einwärts öffnete, als er daran stieß.

Er ging in eine Höhle hinab, und bald umfloß ihn ein Licht, welches zwar Alles erhellte, aber doch ganz anders als das Tageslicht. Als er etwa einige hundert Schritte mählig und sanft herabgeschritten war, erblickte er einen überaus geräumigen Platz und in der Mitte deßelben einen Palast, wie er noch niemals gesehen hatte, obwohl er ein Jahr lang auf Reisen gewesen war. Zugleich trat eine Dame aus dem Palaste in Begleitung einer Schaar reichgeschmückter Jungfrauen. Ihre Schönheit war göttlich und Ahmed hatte sie kaum gesehen, so war Nurunnihar aus seinem Herzen und also auch aus seinem Gedächtniß vertilgt. Indem er ihr entgegen gehen und dann vor dem Glanz ihres Sonnenantlitzes niederfallen und anbeten wollte, rief sie ihm mit lauter Stimme zu: „Willkommen Prinz Ahmed! Wie lange hat mein Herz sich Eurer ersehnt!“

Erstaunt über sein Gekanntsein und über die kühne Deutlichkeit zärtlicher Ausdrücke, wollte er sich nun niederwerfen und fragen, welches Glück ihm das Vergnügen gewähre, von ihr gekannt zu sein; aber sie bat ihn in ihren Saal zu treten, wo sie mit mehr Muße plaudern könnten!

[416] „Welch ein Saal! Welch ein Glanz, wie Morgenlicht und Mondschein untereinander! Welch eine edle Bauart! Welch ein rein erhabener Styl! Wie kräftig und mild! Wie prächtig und anziehend! Es ist das Abbild des Himmels mit seinen Sternen!“

Also rief unser Prinz aus, der wohl wußte, wie man sein ästhetisches Gefühl zu Tage legen muß, wenn man es mit feinen Sinnen dahin gebracht hat, die sanfte Rundung einer braunschweiger Mettwurst von der geschmackvollen Plumpheit eines Hamburger Rinderbratens mit Kritik unterscheiden zu können.

Die Dame schien wohl von der recht vornehmen, aber nicht von der ästhetischen Sorte und sagte lächelnd: „Ihr beliebt artig zu spaßen, mein Prinz. Dieß hier ist mein schlechtestes Landhaus, auf welchem ich mich aber am liebsten aufhalte, weil es so einfach ist.

Sie ersuchte ihn sich zu ihr aufs Sofa zu setzen und sagte: „Prinz, Ihr sollt wißen, daß ich eine Tochter eines Genius bin, der eine große Macht besitzet, und Paribanu heiße. So werdet Ihr Euch denn auch nicht wundern, daß ich sowohl Euch als Eure Familie längst kenne, eben sowohl als die Prinzeßin Nurunnihar, und die Geschichte Eurer Liebe zu ihr. Ihr, für Eure Person scheint mir eines höhern Glücks würdig, als Ihr in dem Besitz dieser Dame würdet gefunden haben. Ich war es, die Eurem ältesten Bruder den Teppich, Ali das Rohr und Euch den Apfel in die Hände brachte. Heute war ich bei Eurem Pfeilschießen unsichtbar gegenwärtig, fing Euren Pfeil, welcher nicht einmal über Hußeins Pfeil würde hinausgekommen sein, mitten im Fluge auf und führte ihn bis dahin, wo Ihr ihn gefunden habt.

[417] Ihr errathet leicht, daß ich es auf Euch abgesehen hatte, und da die höhern Geister von den Kleinlichkeiten der Erdkinder nichts wißen, so sag ich es Euch frei, daß es nur auf Euch ankommt, der glücklichste Sterbliche zu werden.

Ahmed verstand, was sie meinte. Er fiel vor ihr nieder und wollte ihr den Saum des Kleides küßen, sie aber reichte ihm dagegen lächelnd die Hand. Noch deßelben Abends wurden Beide ein Paar, denn die Geister haben nicht Zeit, sich mit den Umständlichkeiten der Alltagsmenschen abzugeben.

Beim Abendeßen waren sie allein am Tische, wo sich Köstlichkeiten an Speisen und Weinen fanden, von welchen Ahmed noch nie gehört hatte. Sie genoßen reichlich und mit Entzücken, indeßen schöne Jungfrauen in Chören mit Saitenspiel und Gesang das herrliche Mahl würzten. Dann kamen tanzende Genien und Feen in großen Schaaren und ergötzten die Neuvermählten, so lange es Paribanu, ihrer Herrin, gefiel.

Die Pracht und Herrlichkeit, welche Ahmed am andern Tage sahe, als ihn Paribanu in Zimmern und Gärten herumführte, ist nicht zu beschreiben. Diamanten wie Hünereier, Trinkgefäße von Rubinen und Smaragden, die mehrere Kannen befaßten, Pfirsichbäume, die über zehntausend Früchte trugen, Weinreben stark und hoch wie große Eichbäume, deren Zweige mit reichen Laub und Früchten beladen, zur Erde herabhingen und große Lauben bildeten und ähnliche Dinge gehörten zu den geringsten Kleinigkeiten.

Sechs Monate waren dem glücklichen Paar unter tausend Abwechselungen der Lust und Liebe und Freude dahingegangen, und Ahmed hatte in seinem Glück Vater und Hof und Prinzeßin und Brüder vergeßen. Nun aber fiel es ihm doch ein wenig [418] aufs Herz, wie bekümmert der Vater seinetwegen sein möchte. In der That dachte dieser, der Prinz könnte aus Desperation in alle Welt gegangen sein, oder sich gar ein Leides gethan haben, wie man denn solcher traurigen Exempel auch damals schon viel hatte.

Es wurden Eilboten in alle Gegenden des Reichs gesendet mit Befehlen an die Statthalter, den Prinzen anzuhalten, mit dem nachdenklichen Zusatze, „falls er ankäme.“ Als er nun aber nirgends ankam, so wurde der Vater untröstlich und bat den Vezier mit Thränen Mittel auszusinnen, den Aufenthalt des verlornen Sohnes zu entdecken.

Der Vezier sann und sann, aber vergebens. Aber was er nicht ersann, erklügelte ein Untervezier – das nämlich, daß eine große Wahrsagerin und Zauberin ganz im Verborgenen in der Stadt lebe, ein altes böses Stück Weib, aber in ihrer Kunst klug wie der Fürst der Finsterniß selbst. „Laß sie so böse sein als sie will, sagte der Großvezier, wenn sie uns jetzt nur Rath schafft.“

Die Zauberin mußte kommen, und erhielt große Verheißungen für den Fall, daß sie den Aufenthalt des Prinzen herausbringe. Einen ganzen Tag arbeitete die Zauberin mit aller ihrer Wißenschaft, brachte aber nur so viel heraus, daß der Prinz noch lebe, aber nicht wo? „Es muß, sagte sie, dabei etwas Besonderes obwalten, sonst hätte ich es gewiß ausgefunden.“

Da der Prinz erst wieder an seinen Vater anfing zu denken, so erzählte er auch oft und gern von ihm, aber in seinen Erzählungen herrschte eine gewiße Schwermuth und Sehnsucht, die aus dem Wunsche entstand, den Vater einmal wieder zu sehen – ein Wunsch, welchen laut werden zu laßen er nicht wagte.

[419] Paribanu hatte ihrem Gemahl sein Verlangen bald abgemerkt. „Prinz, sagte sie, Ihr habt den natürlichen Wunsch Euren Vater zu sehen. Ziehet immer hin, aber bedenkt, wie ungeduldig mein Herz Euch wieder zurückerwarten wird. Ich werde Euch zwanzig von meinen Leuten zu Pferde mitgeben, die Euch keine Schande machen sollen. Zieht hin und bleibet einige Tage, sagt Eurem Vater, daß Ihr glücklich seid, aber sagt ihm nicht, wo Ihr Euch aufhaltet, und nicht von Eurer Vermählung und meinem Stande. Ich habe gute Gründe zu dieser Bitte.“

Es erhob sich ein großes Freudengeschrei, als der Prinz mit seinem Gefolge einzog, bei welchem das schlechteste Pferd das Leibpferd des Sultans an Feuer und Schönheit und an Reichthum des Schmucks weit übertraf.

Der Vater weinte Freudenthränen und wollte nun wißen, wie es ihm ergangen sei? Mit tausend Worten und Höflichkeiten berichtete der Prinz dem Vater, daß er unaussprechlich glücklich sei, aber das Uebrige sei ganz und gar ein Geheimniß, welches nicht enthüllt werden dürfe.

Drei Tage lang dauerten die Festlichkeiten am Hofe und am vierten eilt Ahmed wieder in aller Frühe fort und überraschte seine Gemahlin, die ihn noch lange nicht zurückerwartet hatte. – Der Prinz stattete seit dieser Zeit alle Monat einen dreitägigen Besuch bei dem Vater ab, und jedesmal, wenn er ankam, war sein Gefolge reicher und glänzender gekleidet als die vorigenmale.

Einigen überweisen Vezieren, die unglücklicherweise zu den Günstlingen des Königs gehörten, wollte das sehr verdächtig vorkommen. „Wovon kann der Prinz solchen Aufwand bestreiten? fragten sie, da er keine Güter und kein Einkommen hat. Warum kommt er so glänzend? und warum ist er gegen die Hofdiener [420] und gegen das Volk so freigebig, wenn es nicht darum ist, die Augen der Leute zu bestechen und ihre Herzen zu gewinnen, um einst den Vater vom Throne zu stürzen. Und was hätte er auch sonst nöthig seinen Aufenthalt zu verbergen? Zuverläßig ist er in der Nähe, um sogleich den nächsten günstigen Augenblick zu ergreifen. Seine Pferde und Leute sind ja so frisch, wenn er ankommt, als ob er einen Spatzierritt gemacht hätte. – Und wer weiß denn, ob ihm nicht noch die Entscheidung des Königs über den Besitz der Prinzeßin Nurunnihar so grollend im Herzen sitzt, als sei ihm großes Unrecht geschehen!“

Unser indischer König wollte seinen tief und weitsehenden Vezieren anfangs das Ohr nicht leihen. Er liebte seinen Sohn und fühlte, daß er von diesem geliebt wurde; aber die Veziere wußten wohl, daß man durch öftere Wiederholungen einen Verdacht am Ende zur Gewißheit erheben kann. – Der König fing an zu glauben, daß seine Krone wackelnd werde, und wurde nun mißtrauisch.

Die Zauberin wurde berufen und empfing ihre Aufträge. Sie spähete den Wegen des Prinzen nach, und da dieser in einer Gegend der Felsen verschwand, wo kein Mensch, weder zu Fuß noch zu Pferd einen Weg haben konnte, so schloß sie, daß er wohl einen Verkehr mit der Welt der Genien haben möchte. Dieß ward ihr um so gewißer, als sie längs der Felsen hinschlich, und weder eine Höhle noch sonst einen Eingang entdeckte, indem die eiserne Pforte nur denjenigen sichtbar war, welchen Paribanu wohlwollte.

Die Zauberin erhielt für diese erste Nachricht einen kostbaren Diamant und die Erlaubniß ganz nach eigenem Bedünken ferner zu verfahren.

[421] Als die Zeit kam, wo der Prinz den Vater wieder zu besuchen pflegte, ging die Zauberin zum Felsen und legte sich an diejenige Stelle deßelben, wo der Prinz verschwunden war.

Der Prinz kam am frühen Morgen zum Felsen heraus und fand das arglistige Weib winselnd und ächzend dort liegen und sich kläglich an dem Boden krümmen und winden. Er war mitleidig und fragte, was ihr fehle? Sie aber sahe ihn kläglich mit halbgebrochenen Augen an und sagte mit matter Stimme: „Fieber! Fieber! – Kann nicht weiter! – – Kein Mensch hier!“

Der Prinz ließ sie von seinen Leuten durch den Felsen zu dem Palast seiner Gemahlin bringen, und sie derselben empfehlen. Er selbst ritt, ohne abzusteigen, weiter.

„Saget dem Prinzen, sprach Paribanu zu den Leuten, die ihrem Herrn nun nachritten, nachdem sie das Weib überbracht hatten, saget ihm, daß wir uns schlechten Dank verdienen werden.“

Sie ließ die Kranke in ein prächtiges Zimmer führen und zur Ruhe bringen. Dann ging eine von den Dienerinnen hin und kam mit einer Schale voll Waßer zurück. „Trinkt das, gute Frau, sagte sie; es ist Lebenswaßer aus dem Löwenbrunnen, welches vor Ablauf einer Stunde Euer Fieber unfehlbar hebt.“

Mit vielen Grimaßen und scheinbaren Widerwillen trank das Weib und legte sich dann, sorgfältig zugedeckt, hin, gleichsam die Ausdünstung abzuwarten.

Die Zauberin wäre gern wieder aus dem Bette gewesen, aber des Scheins wegen mußte sie die Stunde abwarten, bis zu deren Ablauf man sie allein gelaßen hatte. Sie saß schon völlig wieder angekleidet, als die Dienerinnen zurückkamen und rief ihnen entgegen: „O, wie vielen Dank bin ich Eurer Gebieterin schuldig! Wie erquickt bin ich! Das ist ein wahrhaftiger Wundertrank!“

[422] Man führte sie in dem Palaste herum, um allen Augen verblendenden Glanz und alle Pracht deßelben zu sehen, und zuletzt brachte man sie in einen Saal, wo Paribanu auf einem goldenen Thron saß, umgeben von Schaaren von Feen, deren Schönheit überirrdisch war. Sie wollte vor Paribanu niederfallen und danken, die aber kam ihr zuvor und sagte: „Ich freue mich, liebe Frau, daß Ihr so bald wieder hergestellt seid. Laßet Euch noch, wenn es Euch ergötzt, in den übrigen Zimmer meines Palastes und auch in meinen Gärten umherführen, erquickt Euch dann, und setzet Eure Reise glücklich fort!“

Sie ließ sich umherführen und das Erstaunen über alle die Wunder, die sie sahe, verschloßen ihr den Mund; und als sie von den Führerinnen hörte: dieß sei unter sieben tausend Palästen, die ihre Gebieterin in dem unermeßlichen Umfang ihres Reiches besäße, grade der geringste, wurde es ihr schwindelnd.

Unter mancherlei Gesprächen kam sie bis zur eisernen Pforte, wo man sie heraus ließ. Kaum hatte sich die Pforte hinter ihr wieder geschloßen, als sie sich umkehrend dieselbe genau ins Auge faßen und Platz und Stelle merken wollte. Aber es war keine Pforte vorhanden.

Die Zauberin eilte, dem König Bericht zu erstatten, und als es geschehen war, verstärkerte sie den Verdacht des Königs, indem sie sagte: der Prinz werde ja wohl aus Ehrfurcht und Kindesliebe nicht nach dem Throne des Vaters trachten, aber wer bürge denn für die ehrgeitzigen Absichten seiner Gemahlin? Seine Majestät möchten immer geruhen ihre ganze Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand zu richten. Derselben Meinung waren die Günstlinge, die auch anwesend waren, und weil sie entschloßene Maaßregeln liebten, riethen sie, den Prinzen mit seinem Gefolge beim nächsten [423] Besuch in sichern Gewahrsam zu nehmen, bis man selbst sicher sei. Dieß sei das untrüglichste und sicherste Mittel.

„Weise Herren, sagte das Weib, Euer Gedanke ist höchst vortrefflich, aber ich fürchte doch, es möchte zu viel Aufsehen machen also zu verfahren, und die Begleiter des Prinzen, die ohne Zweifel Genien sind, möchten für menschliche Festhaltungsmittel zu luftig und geschickt sein, und sich bald frei machen.“ – Beßer dürfte es sein, Seine Majestät der König forderte Etwas von dem Prinzen, was selbst die Gemahlin deßelben zu leisten nicht im Stande wäre. Dann bliebe er vielleicht aus Schaam in seinem unterirrdischen Reiche und käme nie wieder.“

Dieser Rath gefiel Allen darum, weil keiner einen beßeren wußte. Aber was sollten sie denn fordern?

Darauf hatte das Weib auch schon gedacht. „Ewre Majestät, sagte sie, fordere doch ein Zelt, welches ein einziger Mensch mit der Hand umfaßen kann, und worunter dennoch die ganze Armee Ewrer Majestät Platz haben möge.“

Das war ein übergöttlicher Gedanke, und als am andern Morgen Ahmed seinen Vater besuchte, sagte dieser mit vielen Worten, daß ihm der Zufall das Glück des Prinzen verrathen habe. Er sei der Gemahl einer wunderschönen und sehr mächtigen Fee, die auch ihm, dem Vater ihres Gemahls, Etwas zu Gunsten thun werde, und ihm unglaubliche Ausgaben ersparen könne. – Hierauf kam dann die Bitte um ein Zelt hervor, wie es die Zauberin angegeben hatte.

Der Prinz erstaunte über die Entdeckung seines Geheimnißes und noch mehr über das seltsame Ansinnen seines Vaters. Nie hatte er selbst noch die Macht seiner Gemahlin auf die Probe gesetzt, und wußte nicht, wie weit diese reiche, aber daß sie ein [424] solches Zelt hervorzubringen im Stande sein werde, bezweifelte er sehr. Indeßen versicherte er den Vater, den Wunsch seiner Gemahlin vorzutragen, und setzte hinzu: „Wenn ich aufhören sollte Ew. Majestät zu besuchen, so ist es ein Zeichen, daß ein solches Zelt unter die Unmöglichkeiten gehört.“

Seine Majestät machten noch viele Worte, aber Ahmed reiste sogleich ab und kam bei guter Zeit nach Hause, aber mit verdrießlichem Gesicht.

Paribanu errieth bald, was vorgegangen sein möchte und befragte den Prinzen, aber erst nach vielem Bitten erfuhr sie, daß dem König seine Vermählung bekannt sei, und den höchst seltsamen Wunsch deßelben.

Paribanu erinnerte ihn an die Worte, die sie ihm hatte sagen laßen, als er ihrer Pflege das kranke Weib empfehlen ließ. Sie erklärte ihm, wie Alles zusammenhing, und was man befürchte, denn die Genien, welche den Prinzen in Gestalt von Reitern begleiteten, hatten genau bemerkt, was am Hofe des Königs vorging.

„Prinz, sagte sie, Ihr scheint geglaubt zu haben, die Gewährung des Wunsches Eures Vaters übersteige meine Kräfte, aber es gibt noch schwierigere Dinge, die ich ohne Mühe hervorbringen kann. Eröffnet mir nur künftig ohne Zurückhaltung, was Euer Herr Vater wünscht. Mir liegt daran ihm zu beweisen, wie hoch ich Euch ehre.“

Sie ließ ihre Schatzmeisterin rufen. „Nurgihan, sagte sie, bringe mir das größeste Gezelt aus meinen Schatzkammern;“ und sie brachte es. Es war so klein, daß man es in der Hand gemächlich verbergen konnte und Ahmed mußte es sich ansehen. Er schüttelte aber leise den Kopf und sahe bedenklich aus. Paribanu lächelte über ihn, und sagte: „Nurgihan, gehe und spanne das Zelt auf der großen [425] Ebene auf, damit der Prinz sehe, ob es seinem Herrn Vater auch recht sei?“

Als das Zelt aufgespannt war, fand es Ahmed so groß, daß das Heer seines Vaters zweimal darunter Platz gehabt hätte. Vor Erstaunen blieb er stumm, und küßte nur dankbar die Hände seines Gemahlin.

„Prinz, sagte diese, ich merke wohl, daß Euch das Zelt groß genug scheint, wißet aber auch, daß es sich nach der Zahl der Gelagerten ausdehnt oder verengt, so daß es auch für einen einzigen Mann nur eben die rechte Größe hat. Erquickt Euch, mein geliebter Gemahl, und bringt es sodann noch heute Eurem Herrn Vater. Er soll nicht denken, daß Ihr erst Mühe gehabt hättet, ein solches Gezelt von mir zu erlangen, und eben so wenig, daß ich erst Mühe gehabt hätte daßelbe hervorzubringen.

Mit seinen leichten Rennern war der Prinz noch bei guter Zeit bald wieder beim Vater und behändigte ihm das Zelt. Der Vater erschrack, denn er hatte die Rückkunft des Prinzen nimmer wieder erwartet. Aber es wurde ihm ganz unheimlich zu Muthe, als am andern Morgen das Zelt aufgeschlagen wurde, und sich ohne alles Zuthun immer mehr und mehr erweiterte, bis es Platz hatte für sechsmalhunderttausend Mann, und dann sich wieder verengte bis zu dem Raum für Einen Mann.

Der König hielt wieder geheimen Rath mit der Zauberin und den Günstlingen, und die Zauberin rieth, das Waßer des Lebens aus dem Löwenbrunnen von dem Prinzen zu fordern. Sie wußte wohl, daß Lebensgefahr dabei war daßelbe zu holen, denn sie hatte es von den Dienerinnen Paribanus gehört.

Ahmed erstaunte, als er hörte, was sein Vater forderte, und [426] meinte, der Vater habe wohl mit dem Gesundheitsapfel können zufrieden sein, um sein Leben zu erhalten.

Als der Prinz zurückgekehrt war, brachte er tausend danksagende Worte vom Vater zurück, aber er eröffnete zugleich den neuen, noch seltsamern Wunsch, den er sehr mißbilligte.

„Laßet es gut sein, antwortete Paribanu. Man sucht Euch zu verderben; das soll aber nicht gelangen. Laßet Euch zwei Pferde bereit halten, laßet einen Hammel schlachten und in vier Theile theilen, und legt diese Theile auf eins der beiden Pferde, auf das andere aber setzet Euch selbst. Sodann nehmt diesen Knauel Zwirn. Morgen mit frühem Tage reitet fort, und sobald Ihr aus der eisernen Pforte seid, werfet den Knauel vor Euch hin. Er wird anfangen zu laufen und nur erst aufhören, wenn Ihr an den offenen Pforten einer alten Burg seid. Innerhalb derselben liegen vier Löwen; zwei wachen und zwei schlafen; aber die wachenden werden die schlafenden brüllend erwecken, sobald sie Euch gewahr werden. Ihr aber reitet dreist zu und werfet ihnen die Hammelsviertel hin, so werden sie Euch gehen laßen. Eilet dann auf den Burghof, in deßen Mitte Ihr den Brunnen mit dem Lebenswaßer antreffen werdet. Schöpfet eilends mit einem Gefäße, das Ihr mitnehmen müßet, aus dem Brunnen, und kehret schnell zurück, damit die Löwen noch beim Freßen sind, und Ihr desto sicherer durch sie hin könnt. – Uebrigens sollt Ihr wißen, daß dieses Waßer von Kobolden und Erdgeistern in unterirrdischen Tiefen durch Feuer bereitet wird. Es gibt den Feigen Muth, macht die Muthigen rasend, die Stummen beredt, lehrt tanzen und taumeln, schafft festen Schlaf, benebelt die Weisen, daß sie die Dinge nicht unterscheiden können, verursacht, daß die Schwachen tausendfältiges tolles Ding [427] begehen, richtet viel Händel an, und wird einmal in künftigen Zeiten in Schlachten Wunderdinge verrichten. Die Menschen werden es nämlich nach zehntausend Jahren erfinden und es ebenfalls Lebenswaßer, oder Aquavit oder wohl auch Brantwein nennen.“

Der Prinz kam Allen getreulich nach. Die Löwen brüllten zuerst und fraßen alsdann, ohne sein zu achten. Das Waßer wurde geschöpft und die Rückkehr war sicher. Aber zwei der Löwen folgten ihm nach. Der Prinz zog seinen Säbel, sahe aber bald, wie freundlich dieselben waren und vertrauete ihnen. Einer derselben ging seitwärts in einem Bogen um ihn herum, um einige Schritte vor ihm vorauszukommen und ihm voran zu gehen; der andere ging hinter ihm drein. Beide schienen ihn schützen zu wollen, sie begleiteten ihn aber nur bis an die Pforten des Königspalastes und kehrten friedlich im schnellen Trabe zurück.

Als der Prinz das Lebenswaßer gebracht hatte, dankte ihm der König abermals mit vielen schmeichelnden Worten, die Veziere aber ärgerten sich, daß derselbe der Gefahr entgangen sei.

Wieder ein neues Stück hatte die Hexe ersonnen, deßen Wirkung gewiß unfehlbar sein sollte. Der König forderte, als ein großer Liebhaber von Seltenheiten, einen kleinen Mann, anderthalb Fuß hoch, mit einem schwarzen Barte von dreißig Fuß Länge, der auf der Schulter eine eiserne Keule von fünfhundert Pfund trüge und mit derselben so leicht als mit einem Spatzierstöckchen handthieren, aber zugleich sprechen könnte. An einem solchen Kerlchen hätte er dann eine Seltenheit, wie man sie an keinem Fürstenhofe fände, an welchen man schon damals, um sich [428] vor der lieben Langeweile zu retten neben Hofnarren auch Zwerge hielt, welche um so höher geschätzt wurden, je garstiger und widersinniger sie gebildet waren.

Was der Prinz auch einwenden mochte, der Vater bestand auf einen so verzerrten Zwerg.

Als er das kindisch eigensinnige Verlangen seiner Gemahlin vortrug und tausend Bedenklichkeiten äußerte, lachte dieselbe und sagte: „Diese Aufgabe ist leichter, als Euer Herr Vater wohl gedacht hat, denn den kleinen Mann, welchen derselbe verlangt hat, findet er bis aufs Haar in meinem Bruder Schaibar, der eine ehrliche Haut ist, nur ist er blutdürstig und fürchterlich rachsüchtig, wenn man ihn beleidigt hat. Ich will ihn kommen laßen, aber erschreckt nicht vor seiner fürchterlichen Gestalt.“

„Ist er Euer Bruder, versetzte fein der Prinz, so kann ich ihn ja nicht mit Furcht und Abscheu, sondern nur mit Liebe und Ehrfurcht ansehen.“

Schaibar wurde durch ein auf Kohlen gestreutes Räucherwerk herbeigerufen und trat mit gebietrischem Schritte ein. Sein dicker Bart starrte dreißig Fuß lang vorweg und sein eben so dicker Knebelbart ging weit bis über die Ohren hinauf und bedeckte ihm das Gesicht. Die kleinen Schweinsaugen lagen tief im Kopfe, der mit einer spitzen Kappe bedeckt war; dabei hatte er vorn und hinten einen Buckel.

„Was ist das für ein Mensch?“ fragte er die Fee mit funkelnden Augen, indem er auf den Prinzen zeigte, welchen ein kaltes Grausen überlief. Als ihn aber seine Schwester Bericht gethan und um Verzeihung gebeten hatte, ihn nicht zur Hochzeit eingeladen zu haben, indem er damals mit einem Kriegszuge [429] hätte zu schaffen gehabt, wurde er sehr freundlich, und bot dem Prinzen seine Dienste an.

Als er hörte, worauf es ankam, wollte er sogleich den Marsch antreten; allein die Schwester bat ihn das bis Morgen zu verschieben, indem sie ihm noch manche Nachricht ertheilen müßte über Alles, was mit dem Prinzen und deßen Vater bisher vorgegangen sei.

Bei früher Tagszeit kamen Ahmed und Schaibar in die Hauptstadt, wo Alles mit Entsetzen vor dem Ungeheuer flohe. Auch die Wachen im Königspalast entflohen mit Zittern und Beben, und so kamen Beide ohne Hinderniß in den großen Saal, wo der König, umgeben von seinen Ministern, auf einem Thron saß.

Ohne erst zu erwarten, daß er dem Könige vorgestellt wurde, ging Schaibar auf den Thron zu und fuhr den König mit furchtbarer Stimme an: „Du hast mein begehrt. Hier bin ich. Was willst du?“

Der König hielt beide Hände vor die Augen und hätte sich auch gern die Ohren damit zugehalten, um den Donner der furchtbaren Stimme nicht zu hören. Vor Entsetzen konnte er nicht antworten. „Was willst du?“ fragte Schaibar noch zweimal schrecklicher, und als er abermals keine Antwort empfing, rief er: „Sprich!“ und schlug ihn zugleich mit der geschwungenen Keule todt, ehe es der Prinz verhindern konnte. Einmal ins Todtschlagen gekommen, schlug er links und rechts die Veziere und Günstlinge todt, auf jeden Schlag Einen, um sie für den Unrath zu bezahlen, welchen sie dem König statt guten Rath gegeben hätten. Nur der Großvezier blieb verschont, weil er Alles, was vorgegangen war, immer widerrathen hatte. Aber die Zauberin mußte herbeigeholt werden. Zitternd fiel sie vor dem Schrecklichen nieder. „Ha,“ sagte Schaibar, [430] du zitterst, du hast das Fieber wieder; ich will dirs vertreiben;“ und damit schlug er ihr den Kopf ein.

Mit dem Allen war Schaibar noch nicht zufrieden, sondern er drohete der ganzen Stadt den Kopf einzuschlagen, wofern sie nicht freiwillig seinen Schwager Ahmed zum König ausriefen. Das geschahe mit tausend Freuden und lautem Jubelruf, der Keule wegen, und die Großen des Reichs huldigten dem Prinzen mit großem Entzücken, und nachdem Schaibar seine Schwester geholt hatte, wurde auch dieser gehuldigt, denn obwohl sie eine mächtige Königin unter der Erde und geistiger Natur war, verschmähete sie doch den Thron eines Erdkönigs nicht.

Der König bezeigte sich gnädig gegen den Bruder Ali, der an allen Händeln keinen Antheil genommen hatte, und schenkte ihm auf lebenslang eine große Provinz. Hußein sollte sich ebenfalls eine Provinz aussuchen, aber er blieb lieber als Derwisch in seiner Einsamkeit, wo er nicht leicht zu befürchten hatte, daß ihm der Kopf könnte eingeschlagen werden.