BLKÖ:Wranitzky, Paul

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Wrany, Eugen
Band: 58 (1889), ab Seite: 143. (Quelle)
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Wranitzky, Paul (Director des Wiener Hofopernorchesters und Compositeur, geb. zu Neureisch in Mähren 30. December 1756, gest. zu Wien am 26. September 1808). Der ältere Bruder [144] Antons [s. d. S. 141], nicht minder mit musicalischem Talente begabt, aber weit fruchtbarer und bekannter als dieser. Er besuchte gleich ihm die unteren Lateinschulen bei den Prämonstratenser-Chorherren seines Geburtsortes, bei denen er auch den ersten Unterricht in der Musik, und zwar in Gesang und Orgelspiel erhielt. Dann setzte er seine Studien in Iglau und Olmütz fort, an beiden Orten sich auch in der Musik weiter bildend, und besonders war es die Violine, auf die er sich mit großem Eifer verlegte. Als er 1776, damals 20 Jahre alt, nach Wien kam und im k. k. theologischen Seminar Theologie hörte, erweckten seine musicalischen Kenntnisse solche Aufmerksamkeit, daß man ihm die Stelle eines Musikdirectors im Seminar übertrug. In dieser Zeit trat er mit dem damals in Wien sich aufhaltenden schwedischen Capellmeister Kraus, dem nachmaligen Gatten seiner Nichte Anna, in näheren Verkehr und erhielt von ihm Unterricht in der Composition. Bei seinem ungewöhnlichen Compositionstalente fanden schon seine ersten nur in Handschrift bekannt gewordenen Tonstücke großen Beifall und machten seinen Namen als den eines geschickten Componisten bald in weiteren Kreisen bekannt. Dabei wurden seine Gewandtheit und Sicherheit in Leitung größerer Musikkörper bald Veranlassung, daß man ihm öfter die Direction von Orchestern überließ und ihn zu Akademien und Concerten heranzog, welche in den Familien des höheren Adels in Wien, wo eben die Musik in höchster Blüthe stand und selbst bei Hofe mit großer Vorliebe gepflegt wurde, damals nicht selten statthatten. Unter solchen sich immer günstiger gestaltenden äußeren Verhältnissen gab er bald das theologische Studium auf und nahm vorab eine Stelle in der damals berühmten Fürst Eszterházy’schen Capelle an, deren Seele eben Joseph Haydn war. Aber schon 1785 folgte er der Berufung zum Director des Orchesters an dem k. k. Hofoperntheater, in welcher Eigenschaft er bis an seinen Tod mit großem Ruhm wirkte. Die verschiedenen Angaben seines Todesdatums: 26. und 28. September und wieder October, sind nach den oben angeführten der „Wiener Zeitung“ vom 1. October 1808 entnommenen festgestellt. Paul Wranitzky war ein ungemein fruchtbarer, dabei ebenso vielseitiger als zuweilen glücklicher Componist. Er schrieb Opern, Ballete, musicalische Zwischenacte, Symphonien, Quintette, Quartette, Trios und andere Compositionen à la Camera von denen im Ganzen über ein halbes Hundert im Druck erschienen, eine nicht minder große Zahl aber in Handschrift geblieben ist. Ich habe mit Vergleichung der verschiedenen Quellen, namentlich Gerber und Dlabacz und dann mehrerer Musikkataloge, obige Zahl der gedruckten Compositionen herausgefunden, dabei aber die Entdeckung gemacht, daß deren nicht wenige eine und dieselbe Opuszahl tragen, so daß z. B. mit Opus 1 gleich vier, mit Opus Nr. 15, 16 und 17 je drei verschiedene Compositionen bezeichnet sind, u. s. w. Eine Feststellung dieser Angaben wäre nur in einem großen Musikarchive durchführbar, das aber meines Wissens nicht besteht. Wranitzky erfreute sich besonderer Huld der Kaiserin Maria Theresia (geb. 1772, gest. 1807), zweiten Gemalin des Kaisers Franz I., in deren Auftrage er verschiedene Compositionen zu ihrem eigenen Gebrauche, sowie zu Darstellungen bei Hofe vollendete. Noch sei bemerkt, daß er mehrere Jahre Secretär [145] der Societät zum Besten der Tonkünstlerwitwen gewesen und dieselbe sich unter seiner Mitwirkung, besonders durch seine gute Wahl der aufzuführenden großen Singstücke, offenbar gehoben hat. Seine Thätigkeit fällt in eine Zeit, in welcher die hellsten Sterne der Tonkunst an Oesterreichs musicalischem Himmel glänzten, Beethoven, Jos. Haydn, Mozart, und noch die Triumphe der Gluck’schen Periode nachklangen. Wenn man die Zeitschriften jener Tage durchblättert, so findet man, daß Wranitzky nicht minder gefeiert und in jenen Tagen von Alt und Jung gepriesen wurde. Aber mit seinem Tode war er bald verschollen, und heute kennt man außer seinem Namen, den ein Musikkundiger auch nur oberflächlich erwähnt, nicht eine Note mehr von seinen zahlreichen zu seiner Zeit auf allen Theatern, in allen Concerten und in den Musikcirkeln der hohen Wiener Gesellschaft mit Vorliebe vorgetragenen Werken. Für diese merkwürdige dem großen Haufen unverständliche Wandlung gibt der berühmte Culturhistoriker W. H. Riehl in seinen „Musicalischen Charakterköpfen“, in welchen er auch unseren Wranitzky vorführt, zutreffende und allgemein verständliche Aufschlüsse. Wir lassen nun hier in einer Uebersicht die Compositionen Wranitzky’s folgen, soweit es uns gelungen, dieselben aufzufinden.

Paul Wranitzky’s Compositionen. a) Dramatische. Opern und Operetten:Oberon. König der Elfen“. Operette für Wien 1784. Gestochen fürs Clavier, Mannheim bei Heckel, desgleichen zu Offenbach, dann auch als Harmonie für zwei Clarinetten, 2 Hörner, 2 Fagot; diese Oper wurde zu Frankfurt während der Kaiserkrönung innerhalb sechs Wochen 24mal mit stets gleichem und großem Beifall aufgeführt. – „Der dreifache Liebhaber“. Operette für Wien um 1791. – „Die Poststation“. Operette ebendaselbst um 1793. – „Merkur der Heiratsstifter“. Operette für das Marinelli’sche Theater zu Wien um 1793. – „Das marokkanische Reich“. Operette für Wien. – „Die gute Mutter“. Operette für Wien 1794. Die Tenorarie daraus: „Am frühesten Morgen“ u. s. w. wurde fürs Clavier gestochen (Wien 1794). – „Das Fest der Lazzaroni“. Oper für Wien 1795, gest. fürs Clavier in Offenbach bei André, dann auch zu Braunschweig. – „Der Schreiner“. Operette um 1799. Ballete:Die Weinlese“. – „Zephyr und Flora“ Ballet für Wien, gestochen fürs Clavier bei Artaria in Wien 1796. – „Zemire und Azor“. – „Das Waldmädchen“. Musicalische Begleitungen zu nachfolgenden Schauspielen: „Johanna von Montfaucon“. – „Rudolf von Felseck oder la tempesta“. – „Siri-Brahe“ „Rolla’s Tod“ und die zweiactige Cantate „Die Fürstenfeier“, mit 7 Recitativen, 6 Arien, 1 Duett, 2 Quartetten und 10 Chören. Die auftretenden Personen sind: die Milde, die Gerechtigkeit, die Weisheit, die Tapferkeit und der Chor des Volkes. Diese Cantate wurde zuerst in Wien, aber 1798 auch in Eisleben aufgeführt b) Kammermusik, Concerte, Sextette, Quintette, Quartette, Trios, Duos und Soli: „3 sonates pour le clavecin avec violon et violoncelle“ Op. 1“; unter dieser Opuszahl erscheinen auch: „3 quartetti p. flauto, viola, alto e basso“ (Wien 1794), dann „Sestetti e quintetti“ (Offenbach 1790) und „Concerto“ (Berlin bei Hummel 1799). – „Symphonie à l’occasion du couronnement du roi d’Hongrie“ Op. 2 (Offenbach 1796), mit der nämlichen Opuszahl findet sich auch eine „Sonate p. clavi., v. et b.“ (Wien bei Artaria 1796) und „6 Duos à 2 fl.“ (Berlin 1798). – „VI Quat. à fl., v., a. et b.“ Op. 5 (Wien 1792). – „VI Quat. p. viol.“ Op. 9 (Speier 1792); dabei befindet sich das einzige bekannte Bildniß Wranitzky’s. – „VI Quat. o. viol.“ Op. 10, Livr. 1 et 2 (Offenbach 1790). – „3 gr. Symphonies“ Op. 11, Livr. 1, 2, 3 (Leipzig 1791), unter dieser Opuszahl auch ein „Concert p. violon“ (Offenbach 1811). – „VI Duos à 2 fl.“ Op. 13 (Paris 1798). – „6 Quatuors“ Op. 15, Livr. 1 et 2 (Offenbach und Wien 1791). – „3 gr. Symphon.“ Op. 16, Livr. 1, 2, 3 (Leipzig 1791); unter dieser Opuszahl erscheinen [146] „6 Quatuors“ Op. 15, Livr. 1 et 2 (Paris). – Symphonie“ Op. 17 (Speier 1791) unter dieser Opuszahl auch: „VI Trios à fl., a. et b.“ (Wien, Artaria). – Symphonie“ Op. 18 (Speier 1791). – Symphonie à l’occasion du couronnement de l’Empereur“ Op. 19 (Offenbach 1792) – „6 Trios p. clav., v. et b.“ Op. 20 (ebd. 1792). – „3 Trios p. clav., v. et b.“ Op. 21 (ebd. 1793). – „3 Clavier-Solos“ Op. 22 (Offenbach 1793). – „6 Quatuors p. v.“ Op. 23, Livr. 1 et 2 (ebd. 1793). – „1 Concerto a. fl. princ.“ Op. 24 (ebd. 1793). – „Symphonie. La chasse“ Op. 25 (ebd. 1793, auch Paris; und für Clavier, Violine und Baß arrangirt); unter dieser Opuszahl auch „3 Duos conc. p. 2 fl. terminés par des variations“ (Paris 1798). – „3 Quatuors“ Op. 26. – Concerto p. vcllo“ Op. 27 (Offenbach 1793). – „3 Quatuors p. fl., v., a. et b.“ Op. 28 (ebd. 1794). – „3 Quintuors p. 2 v., 2 a. et vcllo“ Op. 29 (Wien 1793). – „6 Quintuors p. viol.“ Op. 30, Livr. 1 et 2 (Paris). – Grande Symphonie caractéristique pour la paix avec la République française“ Op. 31, pour 21 Instr. (Augsburg 1797), auch „arrangée p. le clav. avec. v. et vclle“ (ebd.), wieder pour 2 v., a., vclle (ebd.), nebst einer ausführlichen gedruckten Beschreibung der darin gemalten Gegenstände. – „6 Quatuors“ Op. 32, Livr. 1 et 2 (Augsburg). – „6 Duos à 2 fl.“ Op. 33, Livr. 1 et 2 (ebd. 1798); unter dieser Opuszahl auch: „3 gr. Symphonies“ Livr. 1, 2 et 3 (Offenbach 1798) und „Concert p. deux flûtes“. – „3 Quatuors p. clav., 2 v. et vclle“ Op. 34 (ebd. 1799). – „3 gr. Symphonies“ Op. 35, Livr. 1, 2 et 3 (ebd. 1799). – Grande Symphonie zur Feier der Vermälung des Erzherzogs Palatin“ Op. 36 (ebd. 1799). – „Symphonie zur Feier der Vermälung des Grafen EszterházyOp. 37 (ebd. 1799). – „3 Quatuors à 2 v., 2 a. et b.“ Op. 38 (ebd. 1799). – „I Concertante pour fl. et hautb. avec orch.“ Op. 39 (ebd. 1799); unter derselben Opuszahl auch: Quatuor pour flûte, violon, 2 altos et vlclle“.Grand quatuor pour 2 violon, 2 altos et violoncelle“ Op. 45 in Es. – Quatuor“ Op. 49, in F. – „I Concertante pour fl. et hautb. av. orch.“ Op. 50 (Offenbach 1804). – „I Concertante p. fl. et hautb. av. orch.“ Op. 52 (ebd. 1804). – „3 Trios p. 2 fl. et vclle“ Op. 53. Das ist mir gelungen von den mit Opuszahl bezeichneten Compositionen Wranitzky’s in den verschiedenen Katalogen aufzufinden. Außerdem fand ich noch ohne Angabe der Opuszahl: „Felice chi vi mira. Rondo“. – „Journal für Quartettenliebhaber auf zwei Violinen, Alt und Baß“, 13 und wohl noch mehr Hefte. – „12 Marches“. Uebrigens herrscht in Aufzählung seiner Compositionen bei Dlabacz, Gerber und Anderen eine so große Verwirrung, daß, man sich nicht leicht auskennt. Eine große Menge ist ungedruckt, und mögen sich einzelne seiner Arbeiten in Musikarchiven und in Händen von Liebhabern oder Sammlern, wie Thalberg, Mosel, Kiesewetter befunden haben oder noch befinden. So besaß die berühmte Ricordi’sche Musicalienhandlung in Mailand von Wranitzky das Manuscript einer Symphonie in La maggiore[WS 1] für ganzes Orchester. Riemann gibt summarisch 100 Compositionen – außer den Opern, Balleten und Zwischenactmusiken – an, und zwar: 27 Symphonien, 12 Streichquintette, 45 Streichquartette, 9 Streichtrios für Violine, Bratsche und Cello, 1 Celloconcert, 1 Flötenconcert. 3 Trios für 2 Flöten und Cello, 1 Divertissement für Clavier und Streichtrio und gegen 50 ungedruckte Werke.
Riehl über Paul Wranitzky. Wir haben oben in der Lebensskizze angedeutet, wie Wranitzky’s Name, der seinerzeit so viel genannt und gepriesen worden, nahezu verschollen ist. Wir führen zur Erklärung dieser auffallenden Erscheinung die Ansicht eines Musikkenners an, der in dergleichen Dingen competent ist, nämlich Riehl’s und schließen daran als curiosen Gegensatz das Urtheil eines anderen Musikgelehrten, das fünfzig Jahre früher geschrieben wurde. Riehl schreibt: „Als eine andere Originalfigur erscheint in unserer Gruppe Paul Wranitzky“ (in dieser Gruppe faßt Riehl „die göttlichen Philister“: Gyrowetz, Rosetti, Pleyel, Wranitzky, Hoffmeister, Neubauer zusammen). Wranitzky nimmt als Instrumentalcomponist ungefähr dieselbe Stelle ein, welche Wenzel Müller unter den dramatischen Tonsetzern behauptet. Den Ton der Wiener Localposse hat er mit großer Gewandtheit nicht bloß auf die niederen Gattungen des Instrumentalsatzes, sondern selbst [147] auf Symphonien und Quartette übertragen! Unser Zeitalter, welches die Symphonie fast nur im Geiste Beethoven’scher und Mendelssohn’scher Idealität zu fassen gewohnt ist, mag schwer begreifen, wie man auch den leibhaftigen Hanswurst in die Symphonie bringen könne. Und doch hat dies Wranitzky gethan. Dieser Mißbrauch, den er mit Lust am Volksgesang getrieben, zeigt uns aber wieder, wie tief die ganze Mozart-Haydn’sche Schule ihre Wurzeln in der volksthümlichen Sangesweise getrieben hatte. Wranitzky merkte es gar nicht, welch schneidender Widerspruch darin lag, jene natürliche Einfalt und grobe Komik des niedersten Volkstones, die eigentliche Bänkelsängerei zur durchgehenden Grundstimmung einer Symphonie zu machen! Etwas ganz Anderes ist es, diesen Ton in solchen Werken gelegentlich einmal leise anklingen zu lassen; das hat nicht nur Haydn, das hat selbst Beethoven im übersprudelnden Humor manchmal gethan, Wranitzky dagegen bietet in den Tondichtungen höheren Styls durchwegs Pumpernikel. Als historisch denkwürdig ist aber diese Thatsache zu betonen, daß hier das volksthümliche Element bis zu solcher Ungebühr in den Instrumentalsatz eingedrungen ist. Ein Quartett, eine Symphonie kann nicht wohl bloßes Localstück sein; Wranitzky aber hat immer bloß als echter Oesterreicher für Oesterreicher geschrieben. Nicht bloß die zartere volksthümliche Gemüthlichkeit, sondern auch den plumpen Kasperlhumor, die breite, weiche, mit sich selbst tändelnde Gutherzigkeit seiner Landsleute strebt er in den Instrumentalwerken wie in seinen Opern als stete Grundfärbung festzuhalten. Dadurch hat er so glänzendes, aber auch so schnell verhalltes Lob geerntet, namentlich in Oesterreich. Von der sinnigen Zartheit, mit welcher Haydn in Rondos und Menuets ähnliche local volksthümliche Elemente zu verklären weiß, findet sich bei Wranitzky keine Spur; er ist derber Naturalist und führt stets einen breiten Pinsel, der dann bei seiner erstaunlich großen und, wie es scheint, sehr flüchtigen Productivität, weit seltener den frischen markigen Ton eines echten Kunstwerkes fürs Volk treffen mag, als er zu platter Darstellung der Alltäglichkeit herabsinkt, wie denn der Meister auch nicht selten eine ganz ernsthaft musicalische Periode so recht in toller Wienerischer Lustigkeit durch die wunderbarste Gassenhauermelodie unterbrechen läßt. Wranitzky hat nebenbei eine ziemlich große Zahl Opern componirt und zu unserer Großvaterzeit paradirte sein „Oberon“ auf allen deutschen Bühnen. Wenn wir diesen „Oberon“ vergleichen mit dem Weber’schen, der ihn rasch in die Vergessenheit gestoßen hat, dann geht uns erst recht ein Licht auf, wie wenig diese breite, behagliche und spaßhafte Wiener Musik zu der Romantik der Oper paßte. Ja, die Wranitzky’schen Opern wollen uns überhaupt heutzutage so wenig mehr anmuthen, daß wir selbst dann, wenn wir uns mit größter Selbstentäußerung auf den historischen Standpunkt jener Tage zurückversetzen, kaum begreifen, wie dieselben ein Publicum zu entzücken vermochten, das bereits an Gluck, Mozart und den großen Italienern sich erbaut und durch ihre hohen Ideale zur ästhetischen Mündigkeit erhoben hatte. So allgewaltig wirkte eben doch der Zauber des damals neu gewonnenen volksthümlichen Elementes, daß man ihm selbst da nicht widerstehen konnte, wo ein wirklicher Mißbrauch damit getrieben war. Darin aber liegt der große Unterschied zwischen Wenzel Müller’s und Wranitzky’s dramatischen Werken, daß Müller’s Possen nichts weiter prätendiren als ergötzliche Bänkelsängerei, während Wranitzky’s Bühnenarbeiten zum Theil sich anlassen, als wollten sie große wohl gar romantische Opern sein, da sie doch in der That nichts weiter sind, als bloße Bänkelsängereien. Darum hören wir heute Wenzel Müller’s Possen immer noch mit Vergnügen, während uns Wranitzky’s Opern ganz ungenießbar geworden sind. Durch Wranitzky’s wie durch Haydn’s dramatische Leistungen wird es uns erst recht klar, daß dieser große Meister sammt seinen Schülern zum Operngenre eigentlich nicht berufen gewesen. Gar wohl gelang es ihnen, Subjectivität in der reichen Sangesfülle zarter und tiefer Lyrik auszuströmen, gar wohl dieselbe in dem breiten klaren Strome classischer, Epik objectiv zu spiegeln, doch nimmer vermochten oder achteten sie die höhere, auch das Individuellste durchdringende Objectivität des echt dramatischen Styles zu erreichen.“ So Riehl, wie gediegen, tief in den Geist eindringend! Während der altväterische, behäbige Gerber, nachdem er geklagt, daß ihn Wranitzky noch immer auf Nachrichten über sein Leben warten lasse, fortfährt: „Indessen, wenn wirken leben [148] heißt, so kann folgendes mühevoll von mir gesammelte Verzeichniß seiner Werke, die Früchte von nur 16 Jahren, statt einer umständlichen Lebensbeschreibung dienen. Welch eine Thätigkeit und welch einen bewunderungswürdigen Fleiß setzt dies bei einem Manne nicht voraus dessen Vormittage zu den Opernproben, sowie die Nachmittage zu den Aufführungen selbst verwandt werden müssen, dessen Nächte also allein zu der zum Componiren nöthigen Zeit übrig bleiben! Noch mehr müssen seine Geschäfte in den Augen desjenigen wachsen, welcher mit den Werken des Herrn Wranitzky näher bekannt ist, wo der Augenschein lehrt, daß er zu einem einzigen seiner Quartette so viele und nicht weniger Noten schreiben muß, als vor dreißig Jahren kaum sechs Quartette enthielten, wie man sich aus den damals beliebten Wanhal’schen und Leop. Hoffmann’schen Quartetten selbst leicht überzeugen kann. Auf eine andere für diesen Künstler noch ehrenvollere Betrachtung muß uns auch noch die Menge seiner gestochenen Werke führen, indem man sie gewiß nicht zehn Jahre hindurch in ganz Europa gestochen und gekauft haben würde, wenn sie, besonders die Instrumentalstücke, nicht von Werth gewesen wären.“ Dann zählt Gerber Wranitzky’s Werke auf, sie abtheilend in I. fürs Theater, II. für die Kammer: a) Sinfonien, b) Concerti, c) Sextetti und Quintetti, d) Quartetti, e) Trios, f) Duos und Solos.
Quellen. Dlabacz (Gottfr. J.). Allgemeines historisches Künstler-Lexikon für Böhmen und zum Theile auch für Mähren und Schlesien (Prag 1815, Gottl. Haase, 4°.) Band III, Sp. 414–418. – Gerber (Ernst Ludwig). Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler u. s. w. (Leipzig 1792, Breitkopf, gr. 8°.) Bd. II, Sp. 830. – Derselbe. Neues historisch-biographisches Lexikon u. s. w. (Leipzig 1814, gr. 8°.) Bd. IV, S. 612 bis 615. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1832, 8°.) Bd. VI, S. 190. – Gaßner (F. S. Dr.). Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Franz Köhler, schm. 4°.) S. 905. – Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Für Künstler, Kunstfreunde und alle Gebildeten. Angefangen von Dr. Jul. Schladebach, fortgesetzt von Eduard Bernsdorf (Offenbach 1861, Joh. André, 8°.) Bd. III, S. 891. – Riemann (Hugo Dr.). Musik-Lexikon. Theorie und Geschichte der Musik, die Tonkünstler alter und neuer Zeit u. s. w. (Leipzig 1882, Bibliographisches Institut, br. 12°.) S. 1021. – Bremer (Friedrich). Handlexikon der Musik. Eine Encyklopädie der ganzen Tonkunst (Leipzig [1882], Reclam jun., 12°.) S. 784 [nach diesem wäre Paul Wranitzky der Vater der beiden Sängerinen Kraus und Seidler. Dies ist unrichtig, diese waren nur seine Nichten und die Töchter seines Bruders, des Fürst Lobkowitz’schen Capellmeisters Anton Wranitzky].
Porträt. Gestochen von Boßler, auf dem Titelblatt seiner 6 Quatuors u. s. w. Op. 9 (sehr selten).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: La mgggiore