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Bankwesen (1914)

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Autor: Richard Witting
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Titel: Bankwesen
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aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band, Sechstes Buch, S. 284–310
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[732]
Bankwesen
Von Geh. Regierungsrat Richard Witting, Berlin


Geschichtliche Übersicht.

Wer die Entwicklung unseres Bankwesens im letzten Vierteljahrhundert darstellen will, müßte eigentlich das gesamte Wirtschaftsleben dieser Epoche historisch und kritisch beleuchten. Ist es doch beinahe zum Gemeinplatz geworden, daß unsere Banken den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Organismus darstellen, und daß bei ihnen alle wirtschaftliche Tätigkeit ihren zentralen Ausdruck findet.

Im Rahmen dieser Arbeit können naturgemäß nur wenige, nur die wichtigsten Kapitel des Bankwesens und der Bankpolitik behandelt werden. Wir müssen uns darauf beschränken, einen kurzen Abriß der Geschichte des Bankwesens und seiner Technik zu geben, und ewige besonders wichtige Probleme der Bankpolitik kurz zu behandeln.

Die Phasen wirtschaftlicher Entwicklung sind an den Kalender nicht gebunden, und man kann daher die Periode seit dem Jahr 1888 – die Thronbesteigung des regierenden Kaisers – kaum als einen besonderen Abschnitt in unserem Bankwesen darstellen. Will man solche Schnitte überhaupt machen, so könnte man eher an die Zeit vor und nach dem großen Kriege mit Frankreich denken, und seit 1870 wiederum die Entwicklung in den neunziger Jahren mit ihren Bestrebungen der Ausdehnung und der Konzentration als einen Wendepunkt in der Geschichte des Bankwesens charakterisieren.

Das deutsche Wirtschaftsleben hat – das ist genügend oft geschildert – in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts einen so gewaltigen und über alles Erwarten starken Aufschwung genommen, daß es sich von dem Zustand bis um die Mitte des Jahrhunderts ganz und gar unterscheidet. Der Beginn des 19. Jahrhunderts, wo Dampf Eisenbahn und Maschinen fehlen, ähnelt mehr den weit zurückliegenden Jahrhunderten als der Gegenwart; die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist eine völlig neue Zeit.

Nach 1870 setzte in dem neu entstandenen Deutschen Reiche eine reformatorische Gesetzgebung ein, die vor allem die Konzessionspflicht für die Aktiengesellschaften ausschaltete. Bis dahin hatte sich das Bankwesen fast ausschließlich in den Häusern einiger großer Privatbankiers konzentriert, die das reguläre Bankgeschäft und auch das größere Finanzgeschäft mit ihren zum Teil schon recht bedeutenden Mitteln zu betreiben imstande waren. Hier trat nun, begünstigt durch die Gesetzgebung, durch die technische und wirtschaftliche Entwicklung die Aktiengesellschaft an die Stelle des einzelnen, und ein zäher Kampf entbrannte zwischen beiden Formen, der mit dem [733] Siege der Aktienbanken endete. Die Kräfte des Privatbankiers reichten zur Befriedigung des Kreditbedürfnisses tatsächlich nicht aus, wenn auch gewiß nicht zu bestreiten ist, daß schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, namentlich in Mittel- und Süddeutschland, es nicht ganz wenige hervorragende Privatbankiers gegeben hat.

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Ende der achtziger Jahre einen besonderen Abschnitt in der Entwicklung des Bankwesens eigentlich nicht darstellt, und man kann für diese Zeit nur ein neues charakteristisches Moment hervorheben, nämlich das langsame Hervortreten der Reichshauptstadt Berlin als Zentrum des gesamten deutschen Bankwesens. Der große Aufschwung nach 1870 fand durch die schwere Krisis von 1873 ein rasches und jähes Ende. Es kamen die Jahre eines wirtschaftlichen Tiefstandes, bis, hauptsächlich infolge der neuen Bismarckschen Wirtschafts- und Finanzpolitik, eine Ära starken Aufstiegs einsetzte, die etwa bis zum Jahre 1883 dauerte; dann folgte nach dem bekannten Gesetz der Kontrastbewegung, das ja auch gerade für das Wirtschaftsleben seine Geltung heischt, eine Periode der Depression, worauf etwa 1888 eine neue Aufschwungsepoche einsetzt. Sie wurde noch einmal zu Beginn der neunziger Jahre unterbrochen, setzte sich dann aber unausgesetzt fast 10 Jahre fort, um zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer scharfen, aber zum Glück nur kurzen Krisis zu führen. Seitdem ist unser Bankwesen von schwereren Erschütterungen verschont geblieben, denn das Jahr 1907, das allenfalls noch als ein kritisches bezeichnet werden kann, war weniger durch Vorkommnisse im heimischen Wirtschaftsleben bedingt, als durch finanzielle Erschütterungen in Amerika.

In diesem Zeitabschnitt haben sich die Aufgaben des deutschen Bankwesens genauer bestimmt, sie haben festumrissene Gestalt gewonnen. Man hat die Tätigkeit der Banken des öfteren verglichen mit der des Herzens im menschlichen Körper; die Banken sollen, wie das Herz den Kreislauf des Blutes, so den des Kapitals in der Volkswirtschaft regeln. Die Analogie ist in der Tat vorhanden. Die Banken nehmen aus allen Teilen des Volkskörpers das Kapital an sich in Form von Depositen und sonstigen Guthaben, und haben die Aufgabe, die so gewonnenen Gelder im Wege der Kreditgewährung richtig und zweckmäßig zu verteilen; die Banken sind also das Bindeglied zwischen dem Kapitalbesitzer einerseits, der ihnen das Geld bringt, und dem Unternehmer andererseits, der jene Gelder zur Förderung seiner Unternehmen bedarf. Zwischen diesen beiden Polen, dem Geldgeber und dem Kreditnehmer, spielt sich das gesamte laufende, das sogenannte reguläre Geschäft der Banken ab, und zu ihren wichtigsten Funktionen gehört es, daß auf dem ganzen Wege, den das Kapital zu durchlaufen hat, es möglichst immer produktiv sei, d. h. eine angemessene Verzinsung abwerfen soll. Unaufhörlich strömt das Kapital den Banken zu als den großen Hochreservoiren aller mobilen Gelder, und ihnen liegt es ob, alle diese Mittel für die verschiedensten Gebiete nutzbar zu machen. Es kann nicht fraglich sein, daß die Banken dieser ihrer ersten und vornehmsten Aufgabe durchaus gerecht geworden sind; sie haben, das zeigt ein Blick auf unsere gesamte Entwicklung, die Produktivität unserer Volkswirtschaft gerade durch die Art der Kapitalsverteilung ganz außerordentlich gesteigert. Gewiß sind unsere Banken nicht nur Ursache dieser Entwicklung gewesen, sondern auch [734] hier verknüpft sich, wie so oft, Ursache und Wirkung eng; aber man wird den deutschen Banken und ihren Leitern das Zeugnis nicht versagen dürfen, daß sie mit zäher Beharrlichkeit diesem Ziel, Förderung der gesamten Volkswirtschaft, nachgestrebt haben. Mag auch Gesetzgebung und Technik einen ganz erheblichen Anteil an dieser Entwicklung für sich in Anspruch nehmen, bestritten kann doch nicht werden, daß es schließlich kühner Kaufmannsgeist gewesen ist, der den Dingen ihren Lauf gab. Alle Fortschritte einer genialen Technik, alle Verbesserungen im Verkehrswesen würden niemals das stolze Gebäude des deutschen Wirtschaftslebens haben errichten können ohne diesen starken kommerziellen Geist. Und wenn an der Peripherie die Räder surren, die Maschinen rattern, wenn dort die Eisenbahnzüge sausen und Schiffe fahren – bewegt, nutzbar bewegt wird alles doch nur durch den Kaufmann, der einsam in seinem Kontor die Fäden spinnt, Menschen und Dinge nach seinem Winke leitet. Das muß immer wieder hervorgehoben werden, wenn man vom deutschen Bankwesen spricht. Vielleicht hat man sich nicht immer und überall von einer etwas kurzsichtigen Dividendenpolitik ferngehalten; vielleicht hat man bei der Empfehlung der Effekten für das anlagesuchende Publikum nicht immer mit der nötigen Vorsicht und Objektivität verfahren; vielleicht war man bei dem Emissionsgeschäft nicht immer bestrebt, Augenblickserfolge zu vermeiden und nur wirtschaftlich nützliche Werte an den Markt zu bringen. Zweifel können erhoben werden, ob die Währungs- und Diskontpolitik unseres Zentralinstituts bei den Banken immer unbedingte Förderung gefunden hat, und ob letztere bei der Kreditgewährung, namentlich an die Industrie, nicht manchen Fehler gemacht haben; fraglich mag endlich sein, ob in den Geschäften mit Grund und Boden die Banken die großen volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte immer genügend berücksichtigt haben. Aber so viel steht jedenfalls fest, daß in den wichtigsten Zweigen unseres nationalen Wirtschaftslebens die Banken produktiv gearbeitet und auf der Höhe ihrer Aufgabe gestanden haben. Die Staaten und alle Organe der Selbstverwaltung, Provinzen, Kreise, Städte und Gemeinden sind bei ihren Kreditbedürfnissen von den Banken unterstützt worden, und die Entwicklung, namentlich unseres deutschen Städtewesens, wäre ohne die verständnisvolle Mitwirkung der Finanzwelt kaum denkbar gewesen. Vollbahnen und Kleinbahnen, elektrische Zentralen, Häfen, Chausseen, Schiffe, Bergwerke sind von der deutschen Bankwelt finanziert und dadurch erst ermöglicht worden. Und nicht nur im Innern ist so unsere gesamte wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung mit der Tätigkeit der Banken verknüpft; gerade auch für die Weltstellung Deutschlands haben diese mit allen Mitteln und in den verschiedensten Rüstungen gekämpft. Wenn heute der deutsche Handel in der ganzen Welt sich ausbreitet und Achtung genießt, so ist das unbestritten und unbestreitbar eine Folge weitblickender deutscher Bankpolitik. Die Banken haben an wichtigen Stellen des Erdballs im Auslande Stützpunkte errichtet durch Tochterbanken und anderweitige Filialinstitute. Sie haben mit deutschem Gelde im Auslande großartige industrielle Unternehmungen finanziert, die ihren deutschen Charakter bewahrt haben; und durch Förderung der Seeschiffahrt und der überseeischen telegraphischen Kabel haben sie eine dauernde und organische Verbindung aller dieser Unternehmungen mit der Heimat [735] hergestellt. Man wird diese Tatsachen immer wieder zu berücksichtigen haben bei der an sich gewiß berechtigten Forderung einer nationalen Bankpolitik. Einmal können die Banken den Aufgaben, die das Gesamtwirtschaftsleben der Nation an sie stellt, doch nur gerecht werden im Rahmen bankmäßiger Tätigkeit; sie dürfen sich nicht mit den fundamentalen Forderungen des Geschäftslebens in Widerspruch setzen. Die intensive und planmäßige Förderung der deutschen Industrie aber ist unbedingt nicht minder eine nationale Tat, als die Pflege des deutschen Exports und Imports und die Verdrängung der englischen und französischen Handelswelt aus der Vermittlerrolle zwischen Importeur und Exporteur in Deutschland. Gerade auf letzterem Gebiet haben unsere Banken, und vor allem die bedeutendste und größte, die „Deutsche Bank“, sich durch jahrelange Mißerfolge nicht abhalten lassen, sondern ihren Weg mit kraftvoller Entschlossenheit verfolgt. Man kann eben das deutsche Bankwesen nur begreifen und richtig beurteilen, wenn man es im Zusammenhange mit dem gesamten nationalen Wirtschaftsleben betrachtet, und gerade für die Periode unserer Berichterstattung ist es vielleicht angezeigt, auch durch einen kurzen Vergleich mit dem englischen und französischen Bankwesen den richtigen Standpunkt zu finden.

Vergleich mit dem englischen und französischen Bankwesen.

Es hat eine Zeit gegeben und sie liegt noch nicht allzuweit zurück, wo das englische Bank- und Kreditsystem als vorbildlich und nachahmenswert gepriesen wurde. Man ist hiervon allmählich mehr und mehr zurückgekommen. Bekanntlich besteht äußerlich in England eine scharfe Scheidung zwischen denjenigen Finanzinstituten, die sich mit dem laufenden Geschäft: Annahme von Depositen, Diskontierung von Wechseln und anderweitiger Kreditgewährung und den Instituten, die sich mit den Effekten-, Gründungs- und sonstigen Finanzierungsgeschäften befassen; es herrscht somit in England eine ziemlich streng durchgeführte Arbeitsteilung. Die Joint-Stock-Banken pflegen das Depositengeschäft; es sind zum Teil Institute größten Stils, die als Sammelbecken aller, auch der kleinsten unbeschäftigten Geldsummen dienen. Ihr Filialnetz ist ungeheuer ausgedehnt und erstreckt sich auf das ganze Land; einzelne der großen Londoner Banken haben 600 Filialen und darüber. An Gesamtdepositen haben sie jetzt über eine Milliarde Pfund Sterling und auch hinsichtlich des Kundenkreises sind sie ziemlich genau differenziert. Die einen arbeiten ausschließlich mit Großkaufleuten und der Hautefinance, andere mit den reichen Privatkapitalisten, wieder andere mit den Mittelklassen, und auch sachlich ist die Scheidung intensiv durchgeführt. Man kennt in England Banken für Reederei, für Export, Import, Kolonialartikel, für Rohprodukte, Handelsfabrikate, Edelmetalle und dergleichen mehr. Bei der Kreditgewährung kommen diese großen Finanzinstitute höchstens für ihre engste Kundschaft in Betracht; bei uns würde man sagen, daß sie mehr das passive als das aktive Kreditgeschäft pflegen. Ihre Gelder geben sie an die Diskonthäuser und an die Brokers weiter, die ihrerseits das Diskont- und Lombardgeschäft pflegen und deshalb als eigentliche Kreditvermittler anzusehen sind. Das Effekten-Kommissionsgeschäft wird in London durch die Stock-Brokers und Jobbers gemacht; die Broker für fremde Rechnung, die Jobber für eigene. Dem [736] Gründung- und Emissionsgeschäft und der Börsenspekulation halten sich die englischen Banken grundsätzlich fern. Hier treten die Merchants, die Auslands- und Kolonialbanken ein. Dieses ganze Finanzierungs- und Gründungsgeschäft wird in England viel weniger mit fremden Mitteln betrieben; die Merchants arbeiten nicht oder doch höchst selten mit Depositen und zeichnen sich in der Regel durch außerordentliche eigene Kapitalkraft aus. Hierbei mag betont werden, daß die im Laufe der letzten 10 Jahre in England errichteten Filialen unserer großen deutschen Banken sich mehr mit der Tätigkeit der Merchants befassen, als mit der der Depositenbanken.– Nun darf man aber keineswegs glauben, daß mit dieser Spezialisierung im englischen Bankwesen der Gipfel der Vollkommenheit erreicht ist; gerade, weil die großen Banken keinerlei Interessen an den emittierten Werten haben, weil keinerlei organische Verbindung, wie bei uns, zwischen Bankwelt und Industrie besteht, konnte es möglich werden, daß das englische Kapitalistenpublikum mit einer wahren Hochflut zweifelhafter oder geradezu fauler Gründungen überschwemmt worden ist. Auf der anderen Seite sind unter den von den Stockbrokers hinterlegten Effekten gerade in den letzten Jahren riesige Beträge von Goldminen und amerikanischen Eisenbahnshares gewesen, die in kritischen Zeiten gar nicht oder doch nur mit großen Verlusten zu verwerten waren, so daß die Joint-Stock-Banken häufig genug an die Hilfe der Bank von England appellieren mußten. So ist es denn auch nicht wunderbar, daß in allen größeren Wirtschaftskrisen, die im Laufe der Zeit in England hereingebrochen sind, eine sehr große Zahl von Depositenbanken in Konkurs gingen; und man hat auch in England selbst sich diesen Übelständen nicht verschlossen und Schritte unternommen, um der Schwäche des englischen Banksystems abzuhelfen. Alles das sollten diejenigen bedenken, die ohne genauere Kenntnis der Verhältnisse nicht müde werden, die Vorzüge des englischen Systems zu rühmen.

Das englische Bankwesen wird von dem System der Zentral-Notenbank nicht wesentlich bestimmt, wie man freilich auch andererseits sagen kann, daß die Politik der Bank von England durch die eigenartige Entwicklung, die das englische Wirtschafts- und Bankleben genommen hat, determiniert wird. Die Bank von England steht bekanntlich noch scharf auf dem Standpunkt des Currency-Prinzips und läßt jederzeit eine Verminderung in ihrem Notenumlauf eintreten, sobald ihr Metallvorrat sich verringert. Dieses Prinzip beruht auf der Furcht vor Preissteigerungen im Falle eines Überflusses an Zahlungsmitteln, und ist in der Theorie längst als unzutreffend bekannt; aber in der Praxis herrscht für die Bank von England immer noch die Peelsakte von 1844 und sie verlangt, daß alle Noten, die über den Betrag von 380 Millionen M. ausgegeben werden, durch Metall gedeckt sein müssen. Als Ersatz für die fehlenden Banknoten ist das Scheck- und Abrechnungswesen (Clearing) und das Giro vorzüglich ausgebildet. Und das ist wiederum nur möglich geworden durch das bereits erwähnte, bis in die kleinsten Flecken des Landes entwickelte und ausgebaute Filialsystem, das bei der größten Mehrzahl aller Geschäfte beide Kontrahenten als Inhaber von Bankkonten erscheinen läßt.

Ganz anders liegen die Verhältnisse in Frankreich, wo zunächst das Zentralinstitut das sog. Banking-Prinzip am strengsten vertritt; die Banque de France kommt dem [737] Bedürfnis nach vermehrten Zahlungsmitteln durch Vermehrung des Notenumlaufs nach, sobald der Metallvorrat stärker in Anspruch genommen wird. Frankreich sieht also die unbedeckte Banknote nicht als einen Übelstand an, was historisch zu erklären ist, weil die Bank von Frankreich seit ihrer Gründung durch Napoleon I. das Notenmonopol besaß, staatlich stets streng kontrolliert und deshalb vor den Gefahren einer zügellosen Notenausgabe weit mehr geschützt war. Eine gesetzliche Vorschrift für die Höhe der Notendeckung bestand in Frankreich überhaupt nicht; von Zeit zu Zeit wird nur der Höchstbetrag der ausgebbaren Noten fixiert. Die Zirkulation des Notenumlaufs wechselt in Frankreich stark, viel stärker als in England, weil in Frankreich die höheren Stufen der Zahlungsvermittlung, Scheck, Abrechnung, Giro nicht annähernd so entwickelt sind als in England, und weil infolgedessen im Falle des stark gesteigerten Wirtschaftsverkehrs die Noten neben dem Bargeld das alleinige Zahlungsmittel bilden. Auch sonst ist das Banksystem in Frankreich von dem englischen ziemlich wesentlich verschieden; die Arbeitsteilung ist dort nicht annähernd so fortgeschritten wie in England. Im Grunde ist nur der Crédit Lyonnais ausschließlich Joint-Stock-Bank geblieben, während sich die anderen großen Institute von der Industrie und überhaupt von dem Finanz- und Emissionsgeschäft nicht vollständig fernhalten. Ferner gibt es in Frankreich auch reine Effektenbanken, sogenannte Banques d’affaires, die fast gar nicht mit Depositen arbeiten, sondern mit eigenem Geld und in ihrer Geschäftstätigkeit mehr den englischen Merchants und Auslandsbanken ähneln. Besonders fällt aber auch auf, daß die großen Pariser Banken, ebenso wie die Bank von Frankreich, in viel stärkerem Maße dem mittleren und kleineren Geschäft Kredit geben. Im Jahre 1906 betrug der Durchschnitt des diskontierten Wechsels bei der Deutschen Bank 5363 M., dagegen beim Crédit Lyonnais etwa 625 M.; bei der Reichsbank 2066 M., bei der Banque de France 550 M. –

Das deutsche Banksystem.

Das deutsche System hält in vielen Dingen die Mitte zwischen englischem und französischem ein und hat sich in einzelnen Sparten ganz individuell entwickelt. Charakteristisch ist vor allem in Deutschland, daß sich die großen Institute an fast allen Arten des Bankgeschäfts beteiligen; sie sind zugleich Depositen-, Effekten- und Emissionsbanken haben Filialen und Zweigniederlassungen im In-und Auslande und dienen ebenso dem inneren Verkehr wie sie das Import- und Exportgeschäft vermitteln. Eine ganz besondere Eigentümlichkeit des deutschen Bankwesens im Vergleich zum englischen ist die enge Fühlung unserer Großbanken zur heimischen Industrie. Das gibt auch der Stellung der deutschen Banken zur Reichsbank die Richtung.

Und so ergeben sich wichtige Unterschiede. Bei der Vielseitigkeit der deutschen Banken ist vor allem die Pflege des Wechselkredits naturgemäß doch noch immer nicht so intensiv wie in England. Die Folge ist, daß in England die Kreditvermittlung durch die Zentralbank immer entbehrlicher und geringer wird, während bei uns die Reichsbank als Kreditgeberin erster Instanz noch eine außerordentlich erhebliche Rolle spielt. Bei uns sind ferner, wie wir sahen, die großen Banken nicht reine Depositenbanken; ihre Leiter behalten [738] deswegen eine größere Übersicht, aber auch eine große Verantwortlichkeit und Einfluß auf die gesamten Wirtschaftsverhältnisse. Des weiteren beruht unser Banksystem immer noch viel stärker auf Barzahlung und Noten; der ganze Geschäftsverkehr ist weit mehr von diesem ursprünglicheren Zahlungssystem durchtränkt, und bei uns kann man deswegen die Goldreserve der Reichsbank nicht, wie in England, als die ausschließliche und letzte Reserve für alle Geschäfte betrachten wie dort. Auf der anderen Seite treten in den Beziehungen der Banken zur Reichsbank bei uns gewisse Nachteile stark und immer stärker hervor. Die Vielseitigkeit des Geschäfts bei uns, namentlich das starkentwickelte Effektengeschäft, nötigt zu Ultimozahlungen, und da außerdem sich bei unserem Kreditsystem sehr viele Zahlungen an bestimmten Terminen zusammendrängen, so pflegen unsere Großbanken durch entsprechende Erleichterung ihres Wechselportefeuilles sich im Wege der Rediskontierung bei der Reichsbank Geld zu verschaffen. Gerade dadurch werden am Schlusse des Monats und noch mehr des Quartals die großen Notenausgabe-Vermehrungen begreiflich. Es ist auch nicht zu verkennen, daß die deutschen Großbanken, um die ihnen so stark zuströmenden fremden Gelder nutzbringend in kurzfristigen Anlagen zu verwerten, sich in den letzten Jahrzehnten steigend dem Wechseldiskontgeschäft zuwenden; die Zustände nähern sich in dieser Hinsicht allmählich mehr den englischen; die Macht des Zentralinstituts auf dem Diskontmarkt ist keine ausschließliche mehr.

In allen drei Ländern hat sich die Macht der Privatbanken gegenüber den Zentralbanken entwickelt, weil das beschäftigungslose Kapital mit dem steigenden Volkswohlstand infolge der verbesserten Zahlungsmethode sich in immer riesigeren Summen den Privatbanken zuwendet. Nur diese können eine, wenn auch oft nur geringe Verzinsung in Aussicht stellen, während den Zentralinstituten eine lukrative Verwendungsmöglichkeit nicht in dem Maße zusteht. Am stärksten ist die Privatbankmacht in England entwickelt, neben der die umlaufenden Noten und Bankdepositen der Bank von England eine nur bescheidene Rolle spielen. In Deutschland und Frankreich hat diese Macht die gleiche Höhe noch nicht erreicht. In Frankreich ist bei der geringeren Entwicklung von Handel und Industrie die gewinnbringende Verwendungsmöglichkeit der Depositengelder nicht leicht gegeben, und diese Depositen verwandeln sich daher in der Regel bald zu in- oder ausländischen Rentenwerten und entziehen sich damit der Verwendungsgewalt durch die Banken. In Deutschland ist der Geldmacht der Privatbanken eine starke Konkurrenz entstanden durch die Sparkassen und Kreditgenossenschaften, deren Spargelder in Höhe von ca. 17 Milliarden die etwa 9–10 Milliarden betragenden fremden Gelder der Banken noch um ein Drittel übersteigen. Die Stellung der Privatbanken zum Zentralnoteninstitut zeigt sich besonders in der Art, wie das Zentralinstitut bei dem Diskontgeschäft arbeitet. In England und auch in Frankreich ist das Zentralinstitut als erstinstanzlicher Kreditvermittler so gut wie ausgeschaltet, was in England an den ungeheuren Mitteln der Joint-Stock-Banks und an der riesigen Zahl ihrer Filialen liegt. Zwei, drei große Pariser Banken haben ebenfalls eine ungeheure Zahl von Filialen, auch an den kleinsten Orten, und da die Banque de France an der dritten Unterschrift noch immer strikte festhält, so wird die Geschäftswelt ohnehin von selbst in der Mehrzahl der Fälle [739] an die Privatbanken als erstinstanzliche Kreditvermittler verwiesen. In Deutschland dagegen hat die Reichsbank 4–500 Haupt- und Nebenfilialen über das ganze Reich ausgebreitet, und gerade in der Peripherie sind diese Filialen noch immer in der Mehrzahl der Fälle erste Kreditvermittler. Durch das Rediskontierungssystem in Deutschland bleiben die Privatbanken daher trotz ihrer großen Geldmacht doch immer noch in einer gewissen Abhängigkeit von der Zentralbank, wogegen die englischen Banken, die zum Rediskont grundsätzlich nicht schreiten, eine weit unabhängigere Stellung haben. Allgemein ist die Frage der Stellung des Zentralinstituts zu den Privatbanken eine ernste und schwierige geworden, und man hat gerade in den letzten Jahren verschiedene Mittel und Wege vorgeschlagen, die Stellung der Zentralinstitute zu festigen.

Bevor wir nun auf die Einzelheiten des deutschen Bankwesens näher eingehen, möchten wir einen flüchtigen Blick auf die wirtschaftlichen Zustände werfen, die zu dem großartigen Aufschwung unseres Bankwesens geführt haben. Die nach dem deutsch-französischen Kriege einsetzende Entwicklung hatte in erster Linie der enorm vermehrten Bevölkerung Ernährung und Arbeit zuzuweisen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die hypertrophische Städteentwicklung durchaus gedeihlich ist; für die Ausbildung unseres Geldkredits und Bankwesens war sie von außerordentlicher Bedeutung. Mit der Bevölkerung und der durch die Entwicklung von Technik und Verkehr so gewaltig gesteigerten Produktivität wuchsen Einkommen und Volksvermögen in geradezu riesenhaftem Maßstabe. Die Schätzungen des heutigen nationalen Vermögens variieren zwischen 200 und 360 Milliarden und übersteigen wohl schon diejenigen Frankreichs, während sie die englischen annähernd erreichen. Auch das deutsche Volkseinkommen von schätzungsweise 20–25 Milliarden per Jahr zeigt den enormen Aufschwung des deutschen Wirtschaftslebens, dessen Kapitalvermehrung nach vorsichtigen und ernsthaften Forschern jährlich 3½–3¾ Milliarden beträgt. Es liegt auf der Hand, daß von diesen Riesenkapitalien sehr hohe Beträge in Effekten aller Art angelegt werden, und daß diese ganze Entwicklung für unser Geld- und Banksystem von unmittelbarer Bedeutung sein mußte. Hinzu kam ein mit der Entwicklung von Handel und Industrie Schritt haltender Aufstieg der Landwirtschaft, die ihre Arbeitsmethoden und Produktionsfähigkeit intensiv steigerte und so zur Kräftigung des inneren Marktes ganz außerordentlich beitrug.

Zu Beginn unserer Berichtsperiode hatten wir in Deutschland einige 70 Kreditbanken; Ende 1912 gab es deren 156. Im Jahre 1888 betrug das Grundkapital sämtlicher Kreditbanken 1328 Millionen M. Ende 1912 betrug es 4082 Millionen M. Auch der Betrag der Bankreserven ist interessant. 1888 waren es 16,10% des Grundkapitals, Ende 1912 31,8%; es bewegt sich also auch dieses Prozentverhältnis in stark steigender Richtung. An eigenem und fremdem Kapital hatten sämtliche Kredit- und Hypothekenbanken zusammen Ende 1912 insgesamt 33½ Milliarden in Verwaltung. Die eigenen und fremden Kapitalien der Kreditbanken allein stiegen in den 25 Berichtsjahren von 2½ Milliarden auf 15½ Milliarden.

Die Konzentrationsbewegung.

Eine besonders charakteristische Erscheinung im deutschen Bankwesen ist die Konzentrationsbewegung, [740] die sich im Wirtschaftsleben aller Völker geltend gemacht hat und sich im Handel und in der Industrie in verschiedenen Formen zeigt. Freilich ist diese Konzentrationsbewegung wohl nirgends mit der Intensität und Schnelligkeit aufgetreten wie im deutschen Bankwesen, und sie hat der Entwicklung geradezu die charakteristische Note gegeben, zumal ohne diese Konzentration die deutschen Banken wohl kaum in der Lage gewesen wären, den Anforderungen eines völlig veränderten Erwerbslebens gerecht zu werden. Die Ursachen, die zu dieser Konzentration führten und die Wege, die sie einschlug, waren in den verschiedenen Ländern verschieden; die Wirkung war überall gleich. Durch die gewaltigen Bevölkerungsverschiebungen und die Zusammendrängung der Massen in den Städten werden enorme Kapitalien für die Unterbringung und Ernährung dieser Massen erforderlich; das Prinzip der Konzentration macht sich aus wirtschaftlichen und technischen Notwendigkeiten heraus überall geltend und führt zu einer Verbesserung der Technik, der technischen Methoden und zu einer Vereinheitlichung der Betriebe. Im Bankwesen speziell erforderten die so unendlich gesteigerten Ansprüche eine ganz wesentliche Vermehrung der Kapitalien; der im regelmäßigen Verlauf der Dinge gesteigerte Umlauf der Barmittel genügte nicht, und es mußten sich zur Finanzierung der gewaltigen Unternehmungen die bis dahin getrennt marschierenden Kapitalkräfte zusammenschließen. Erleichtert wurde diese Konzentration durch das wirtschaftliche Institut der Aktie, die eine Zusammenfassung getrennter Kapitalien ohnehin wesentlich erleichtert und in vielen Fällen erst ermöglicht. Zunächst schritt man überall zu einer Erhöhung der eigenen Mittel, die man sich durch Vermehrung des Aktienkapitals zu verschaffen bemüht war; aber diese Art der Geldbeschaffung findet ihre natürliche Grenze an den Kursen; überhaupt lassen Rücksichten auf Rentabilität und Höhe der Dividende eine Vermehrung des Aktienkapitals immer nur bis zu einem bestimmten Grade zu. Hier setzte die Konzentrationsbewegung ein, indem, abgesehen von einzelnen Zusammenschlüssen, jedes Institut bemüht war, fremdes Kapital zu seinen wachsenden geschäftlichen Zwecken heranzuziehen. Man begann die Tätigkeit der Bank durch Schaffung von Depositenkassen und Filialen intensiver zu machen und suchte andrerseits die Fähigkeit, die emittierten Werte dauernd bei der Kundschaft unterzubringen, gerade durch die Ausdehnung dieser Klientel zu stärken. So wuchs wiederum mit der Vermehrung der Emissionstätigkeit das Konzentrationsbedürfnis der Banken. Am allermeisten mußte sich diese Bewegung in der Reichshauptstadt bewähren, wo eine besonders starke Börse die Voraussetzung erfolgreicher Emissionstätigkeit war; und das hatte wiederum die Folge, daß die großen internationalen Emissionen mit Vorliebe den Berliner Markt aufsuchten, weil die dortigen Emissionsbanken ihren Ruf als solche schon genügend bewährt hatten. Es lag in der Natur der Sache, daß auch das sonstige laufende Geschäft der Banken, sowohl der Akzeptverkehr wie das Wechselgeschäft mit dieser Konzentration in engem Zusammenhang stand, da das Wechselgeschäft sich wesentlich auf kommerzielle Beziehungen der Bank stützt. Auch die verfeinerten Methoden des Kreditwesens, die verbesserte Technik im Scheck-Abrechnungs- und Giroverkehr mußte die Konzentrationsbewegung fördern, je umfangreicher die Geschäftsbeziehungen und je zahlreicher die Klientel der Bank wurde. Besonders unterstützt [741] wurde in Deutschland die Bankkonzentration durch die in der Industrie sich durchsetzende Ära der industriellen Kartelle und Syndikate, unter denen namentlich das Kohlensyndikat und der Stahlwerksverband eine führende Rolle spielten; ja, diese Industriekonzentration machte die der Banken insofern notwendig, als für die neuen riesigen Fusionen und Kombinationen auch wieder riesige Kapitalmittel erforderlich wurden.

Die Konzentration selber vollzog sich, wie gesagt, in verschiedenen Formen und auf verschiedenen Wegen, aber immer mit der Wirkung, daß die Macht des in den Banken arbeitenden Kapitals quantitativ und qualitativ vermehrt wurde, und merkwürdigerweise waren es gerade die Zeitläufe nach starken Wirtschaftskrisen, die das Anschwellen der Kapitalien gefördert haben, was psychologisch leicht zu erklären ist. Während einer Krisis empfindet der Schwächere und Kapitalärmere seine Schwäche am ehesten und wird gerade nach Überwindung der Krisis am leichtesten geneigt sein, Umschau zu halten nach einem Stärkeren, dem er sich angliedern, und unter dessen Schutz er sich stellen könnte. Hier ist auf wirtschaftlichem Gebiet ein ähnlicher Vorgang zu verzeichnen, wie er auf politischem und sozialem Gebiet in der Geschichte des deutschen Mittelalters sich so oft abgespielt hat. Während der letzten 25 Jahre war es namentlich die Zeit nach der Krisis von 1901, in der sich die Konzentrationsbewegung mit einer geradezu unheimlichen Schnelligkeit geltend machte, wozu gewisse Ereignisse in Amerika, die stark auf die kontinentalen Anschauungen einwirkten, den Anstoß gaben. Denn gerade damals hatte sich in Amerika der ungeheure Stahltrust zusammengeschlossen mit einer bisher noch nie dagewesenen Kapitalkraft von mehr als einer Milliarde Dollar. Diese Trustbildung hatte in Deutschland ein gewisses Angstgefühl ausgelöst und überall auch in den Köpfen der Finanz- und Handelswelt die Überzeugung erweckt, daß nur starke und große Kapitalsmächte der Herrschaft Amerikas würden Widerstand leisten können. Zu vergessen ist auch nicht, daß die Gesetzgebung in Deutschland zu ihrem Teil zur Schwächung der schwachen und zur Stärkung der starken Finanzkräfte beigetragen hat. Die Reichsbankstempelgesetze von 1894 und 1900 und das im Jahre 1897 eingeführte Börsengesetz haben die Stellung der Einzelbankiers, namentlich in der Provinz, ganz wesentlich erschwert. Die Konkurrenzfähigkeit gegen die Großen hörte auf, da die letzteren bei den Unkosten ganz erheblich sparen konnten, und auf der anderen Seite waren lohnende und wirtschaftsnützliche Zweige der provinzialen Arbeitskräfte, namentlich die Arbitrage, durch die Veränderung in der Gesetzgebung so gut wie unmöglich geworden. Die führenden Berliner Großbanken gliederten sich im Lauf der Jahre eine Reihe provinzieller Bankinstitute an und bildeten dadurch wichtige und mächtige Gruppen innerhalb der deutschen Finanzwelt. So beträgt beispielsweise die Summe der Aktienkapitalien plus Reserven bei der Gruppe der Deutschen Bank mehr als eine Milliarde Mark. Ähnlich, wenn auch finanziell nicht so bedeutend, sind die Gruppen der Diskonto-Gesellschaft, der Dresdner Bank und andere. Und das Kapital der Deutschen Bank, das im Gründungsjahre 1870 15 Millionen betrug, ist heute 200 Millionen, ebenso hoch beläuft sich heute das der Diskonto-Gesellschaft, das im Gründungsjahre 1851 30 Millionen betrug, und auch die Dresdner Bank mit 9,6 Millionen im Gründungsjahre 1872 hat heute bereits 200 Millionen Kapital. Die Konzentration wählte übrigens noch andere Wege als [742] die der Kapitalserhöhung und der Angliederung von Unternehmungen. Die großen Banken begründeten Kommanditen und Filialen in der Provinz, indem sie sich bei bestehenden alten Bankgeschäften durch Kapitalseinlage beteiligten oder diese Geschäfte unter Übernahme ihres Kundenkreises in Filialen umwandelten. Häufig schritten auch die Banken zur Errichtung selbständiger Filialen an anderen Plätzen, wobei freilich immer eine gewisse Karenzzeit verging, bis diese ganz neuen Unternehmungen sich ein eigenes Geschäft von Bedeutung aufbauen konnten.

Banken und Industrie.

Auf die Entwicklung unseres Bankwesens hat das Verhältnis zur Industrie, das wir in dieser Form sonst nirgends finden, einen ganz wesentlichen Einfluß gehabt, zumal, wie wir sahen, gleichzeitig mit der Bankkonzentration auch die der Industrie große Fortschritte gemacht hatte. Bei der letzteren waren es hauptsächlich Rücksichten des Betriebes; die Industrie mußte sich an denjenigen Orten stark zusammendrängen, wo die Arbeitsverhältnisse und die Verkehrsbedingungen besonders günstig waren; die Konzentration wurde ferner bedingt durch eine, die billigere Produktion oder besseren Absatz fördernde Vereinigung von Betrieben. Alle die großen Transaktionen in der Montanindustrie, der elektrotechnischen, der chemischen Industrie und Reederei, aber auch in der Maschinenindustrie und in anderen Branchen, vollzogen sich unter dem maßgebenden Einfluß der deutschen Bankwelt, die sich durch Kreditgewährung, durch Übernahme von Aktien und Obligationen in stete enge Fühlung mit der Industrie gebracht hatte. Bei den Minen und Gegenminen, in den Kämpfen zwischen den großen Industriekonzernen und einzelnen Werken, bei denen auch mächtige Einzelfirmen hervortraten, finden wir fast immer die Männer der Hochfinanz in irgendeiner Form beteiligt oder führend, und es entstand aus diesen jahrelangen gemeinschaftlichen Arbeiten unter den leitenden Persönlichkeiten der Banken und der Industrie eine Art von Symbiose, die für die Gestaltung unseres ganzen Wirtschaftslebens entscheidend wurde. Es ging bei dieser Entwicklung nicht immer und überall friedlich und ruhig zu; des öfteren haben ziemlich erbitterte Kämpfe der einzelnen Banken und Bankgruppen um die Vorherrschaft in großen Industrieunternehmungen stattgefunden, aber in den letzten Jahren ist im allgemeinen eine ziemlich reinliche Scheidung eingetreten, und die verschiedenen Konzerne haben sich abgegrenzt und kristallisiert.

Es kann heute, wo die Konzentrationspolitik noch Gegenwartsgeschichte ist, füglich noch nicht entschieden werden, ob diese ganze Bewegung, die übrigens mehr oder minder stark sich überall in der Welt geltend gemacht hat, nur Vorteile mit sich bringt oder auch von Nachteilen begleitet ist. Einzelne Vorteile springen ohne weiteres in die Augen; die Möglichkeit, in den starken und mächtigen Konzernen eine Finanzpolitik großen Stils und nach einem festen Programm zu treiben. Die Riesenunternehmungen, die unsere Großbanken heute darstellen, werden kaum noch geneigt sein, reine Geschäftspolitik nach einseitigen Gewinnrücksichten zu treiben, und sie werden auch eher imstande sein, eine nationale oder imperialistische Wirtschaftspolitik der Regierung zu unterstützen. Der Überblick über unser gesamtes Wirtschaftsleben, den gerade bei der [743] Universalität unseres Bankwesens die Männer an der Spitze haben, wird sie leichter in den Stand setzen, die großen Ziele und Aufgaben des deutschen Wirtschaftslebens zu erfassen und sich von Augenblicksgewinnen und Augenblickserfolgen fernzuhalten. Nachteile sind selbstverständlich ebenfalls vorhanden: man kann manchmal Zweifel darüber hegen, ob es für den Einzelnen noch möglich ist, den ungeheuren Geschäftsbetrieb der führenden Großbanken und aller unter ihrem Machtbereich stehenden Institute zu kontrollieren. Und man darf ferner nicht vergessen, daß die Monopolstellung der Riesenbanken den mittleren und kleineren Existenzen im Bankgewerbe das Weiterbestehen stark erschwert, zum Teil unmöglich macht. Immer mehr verschwinden auch im Bankgewerbe die selbständigen Existenzen und an ihre Stelle tritt, ganz wie sonst im Handel und in der Industrie, ein Heer von Angestellten, die ähnlich wie bei den Behörden in beinah bureaukratisch spezialisierter Arbeit ihr Brot finden. Alles in allem aber kann wohl nicht bezweifelt werden, daß die Konzentrationsbewegung bei Banken und Industrie für das deutsche Wirtschaftsleben, so wie es nun einmal ist, nützlich und beinahe notwendig war, denn ohne die riesigen Machtfaktoren, die wir in unserem Banksystem und in der Industrie besitzen, würden wir schwerlich den wirtschaftlichen Rang errungen haben, den wir heute einnehmen, und würden wohl kaum in der Lage sein, eine für die weitere Entwicklung richtige und erfolgreiche Handelspolitik zu treiben.

Gehen wir nun, nach diesen mehr allgemeinen Betrachtungen, etwas näher auf Einzelheiten ein, und sehen wir uns die Geschäftstätigkeit der deutschen Banken im letzten Vierteljahrhundert genauer an.

Das Depositengeschäft.

Unter den regulären Geschäften der Banken ist das Depositengeschäft ein ganz besonders wichtiges, denn im letzten Grunde beruht ja die Machtentwicklung unserer Großbanken auf dem Anwachsen der Depositen und fremden Gelder. Erst nach 1870 ist eine planvolle Pflege des Depositengeschäfts bei uns aufgenommen worden, und die Errichtung von Depositenkassen in den verschiedenen Teilen Berlins und seiner Vororte sowie an anderen Plätzen des Reichs, gewöhnte die Gewerbetreibenden und Kapitalisten langsam daran, auch die kleinsten verfügbaren Summen zinsbar anzulegen. Es dauerte viele Jahre, ehe das Publikum diese neue Art, über seine Gelder produktiv zu verfügen, annahm, denn es war bei uns üblich, viel größere Kassenbestände zu halten, als eigentlich nötig war. Das ganze Bankwesen war noch zu wenig entwickelt; nur die wenigsten Geschäftsleute und Private besaßen eine regelmäßige Bankverbindung. Der Scheckverkehr, Giroverkehr, Abrechnungsverkehr existierten nicht, und so mußten sich die Banken ihre Depositenkunden gewissermaßen erst schaffen. War es aber einmal gelungen, einen Geschäftsmann zu einer dauernden Verbindung mit der Depositenkasse zu bewegen, so entwickelte sich das übrige von selbst. Zunächst wurde dem soliden Geschäftsmann ein Kredit eröffnet, und aus der laufenden Geschäftsverbindung ergab sich dann die Hingabe von Depositen an die Bank. Der Kunde der Depositenkasse gewöhnte sich daran, seine Wechsel bei der Bank zu diskontieren, Schecks auf sie auszustellen, er ließ sich Akzeptkredit einräumen und besorgte durch die Depositenkasse auch den An- und Verkauf von Effekten. [744] So wurde gewissermaßen die Depositenkasse der Pionier für ein richtig ausgebildetes verfeinertes Bankwesen, und es entwickelte sich eine Kette wechselseitiger Beziehungen zwischen Publikum und Bank. Selbstverständlich hatten die, namentlich von den Geschäftsleuten bei der Bank vorübergehend untergebrachten Gelder nicht die Bedeutung von wirklichen Depositen im engeren Sinn. Unter den letzteren pflegt man im allgemeinen Gelder zu verstehen, die bei den Banken zu zinsbarer Benutzung hinterlegt werden; das eigentliche Deposit ähnelt sehr den Sparkassenguthaben. Aber auch jene von Geschäftsleuten nur vorübergehend getätigte Hingabe von Geld zog das Kapital in die Kassen der Banken. Es entwickelte sich unter den Banken ein außerordentlich scharfer Wettbewerb um die Heranziehung fremder Gelder, und es entstand durch dieses Zusammenströmen der Kapitalien die Notwendigkeit, auf immer neue Anlagemöglichkeiten bedacht zu sein. Daher kann es nicht Wunder nehmen, daß das ungeheure Anwachsen der fremden Gelder in den Banken Gegenstand dauernder und scharfer Kritik gewesen ist. Abgesehen davon, daß, wie oben bereits betont, durch diese große Kapitalmacht der Banken dem Zentralinstitut eine starke Konkurrenz geschaffen wird, entsteht ja auch die Frage, ob alle diese Summen volkswirtschaftlich richtig verwendet werden, und ferner die ebenso berechtigte nach einer tunlichsten Sicherung der Depositen. Die Konzentration im Bankgewerbe bringt es eben mit sich, daß die Verfügung über Milliarden bei wenigen Instituten liegt. Man kann sich nicht darüber täuschen, daß an sich die Großbanken es in ihrer Macht hätten, durch Zuteilung und Verweigerung von Kredit einzelne Teile der Volkswirtschaft zu fördern oder zu schädigen; man könnte sich denken, daß einzelne Industriezweige und einzelne Großunternehmungen besonders reichlich mit Kapital versorgt werden, während andere darben; man könnte befürchten, daß die den Großbanken übergebenen Betriebskapitalien festgelegt und daß dadurch die Liquidität beeinträchtigt wird. Ja, man kann sich denken, daß gerade der ungeheure Zustrom von Mitteln die Banken veranlassen möchte, ihre Kreditgewährung zu überspannen. Alle diese Bedenken sind wiederholt erhoben worden. Wer unser Banksystem aus eigener Erfahrung und Beobachtung kennt, der weiß freilich, daß das Verantwortlichkeitsgefühl der Leiter außerordentlich stark entwickelt ist, und daß vor allem mit größter Aufmerksamkeit darauf geachtet wird, gegen die Summe der fremden Gelder einen Aktivbestand an leicht greifbaren Mitteln und liquiden Positionen zu halten.

Liquidität.

Wir kommen hier auf einen Punkt, der gerade in den letzten Jahren im Vordergrund der Betrachtung gestanden hat, auf die sogenannte Liquidität, d. h. einfach ausgedrückt, auf die Fähigkeit der Banken, ihren Verpflichtungen nach menschlichem Ermessen gerecht zu werden. Freilich so viel bares Geld gibt es einfach nicht, daß eine einzelne Bank oder alle Banken zusammen jederzeit ihre Verbindlichkeiten mit barem Gelde aus eigener Kraft einlösen könnten. Aber das Verlangen ist berechtigt, daß die den Banken zur Verfügung gestellten Gelder möglichst in den Dienst des soliden und reellen Geschäftslebens gestellt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß unsere Industrie mehr mit fremden [745] Mitteln arbeitet, als eigentlich wünschenswert ist. Vielfach werden bei uns neue Investitionen nicht aus Gewinnrücklagen finanziert, sondern durch Kapitalvermehrung und Kreditaufnahme. Gerade bei unseren alten großen Einzelfirmen in der Industrie hat die Kraft darin gelegen, daß sie sich aus sich heraus durch die im Betriebe erzielten Gewinne und Ersparnisse vergrößert haben; das hat, namentlich im Westen des Reiches, die großen Vermögen geschaffen. In der später entwickelten Aktienindustrie, die auf Dividende sehen mußte, ist dieser Standpunkt nicht immer genügend gewahrt worden. Dadurch wurde das Verhältnis zwischen eigenem und fremdem Kapital ungünstig und hat namentlich in früheren Jahren, wo die Erfahrung noch fehlte, häufig zu einer etwas überhasteten Emissionstätigkeit verleitet. Auch Staat und Kommunen trugen durch eine zuweilen beinahe fieberhafte Tätigkeit dazu bei, den Kapitalmarkt stark in Anspruch zu nehmen und zu schwächen, und so wurde ein Zustand geschaffen, der zwar sicher ein Zeichen von Kraft ist, der aber die Sorge um die Liquidität bei den Banken doch nie ganz hat schwinden lassen. Die sog. Bardeckung ist ständig gesunken. Vergleicht man in den Bankbilanzen der letzten 20 Jahre das Verhältnis der Deckung der Depositen und Kontokorrent-Verbindlichkeiten in den deutschen Aktienbanken durch den Barvorrat, so findet man eine offensichtliche Verschlechterung; speziell bei den Berliner Großbanken sank das Verhältnis von 70% auf etwa 20%, wobei noch zu erwägen ist, daß am Jahresabschluß das Bardeckungsverhältnis besonders günstig zu sein pflegt; am 31. Oktober 1911 betrug es nur 4½% und am 28. Februar nur 3,7%. Nun ist freilich richtig und wird von jedem erfahrenen Bankpraktiker bestätigt, daß das Vorhandensein von Barmitteln für die Liquidität keineswegs allein entscheidend ist; man kann mit geringfügigen Barmitteln bei richtiger interner Bankpolitik allen möglichen Eventualitäten unter Umständen ganz ruhig entgegensehen, während man vielleicht trotz großer Kassenvorräte als Bankleiter sorgenvolle Stunden hat. Es entscheiden eben andere Gesichtspunkte. Man hat neuerdings auf eine Herabsetzung des Zinsfußes für Depositen gedrängt, um dadurch den Wettbewerb um die fremden Gelder einzuschränken. Aber es ist ja gar nicht, oder doch nicht allein, die Anziehungskraft des hohen Zinsfußes, worauf das Anwachsen der fremden Gelder bei den Großbanken beruht; wir haben gesehen, daß es sich zu einem sehr erheblichen Teil bei den Depositen nicht um wirkliche Spargelder handelt, sondern um verfügbar zu haltende Mittel von Geschäftsleuten; oft genug auch um Unterlagen für Effekten-Spekulationsgeschäfte. Die Frage der Depositen und der Liquidität ist einmal nicht zu trennen von dem Problem der Kreditgewährung im allgemeinen; alle diese Dinge hängen unmittelbar und eng miteinander zusammen. Gerade weil die Banken berufen waren, die Geldzirkulation durchzuführen und die disponiblen Kapitalien namentlich der Industrie in den verschiedensten Formen wieder zuzuführen, gerade deshalb waren sie genötigt, sich hierbei in erster Linie auf die ihnen zur Verwendung übergebenen fremden Kapitalien zu stützen. Wer also die Entwicklung des Depositenwesens, die Kreditgewährung und Liquidität in unserem Bankwesen angreift, der muß sich klarmachen, daß er in gewissem Sinne unsere ganze wirtschaftliche Entwicklung, auf die wir doch mit Recht stolz sind, verwirft. Bei der Expansion [746] der Industrie mußten sich, wie wir oben schon angedeutet, die Banken in der verschiedensten Weise durch Aktienübernahme, durch Gewährung von Anlage-, Betriebs- und Kontokorrent-Kredit beteiligen, und zu diesen Transaktionen brauchten sie Geld und immer wieder Geld.

Man hat hinsichtlich der Depositen Vorschläge gemacht, die auf nichts weniger zielen, als auf eine gänzlich anderweitige Organisation unseres historisch gewordenen Bankwesens. Man möchte das Übel an der Wurzel packen, und gerade die Erfahrungen der letzten Krisis haben Veranlassung gegeben, daß die öffentliche Meinung sich mit diesen Besserungsvorschlägen eingehend beschäftigt. Abgesehen von der schon erwähnten Maßregel, eigene Depositenbanken nach englischem System zu errichten, verdient namentlich der bekannte Vorschlag des Präsidenten der Zentralgenossenschaftskasse, Heiligenstadt, besondere Beachtung. Heiligenstadt will alle Banken, die Depositen annehmen, gesetzlich verpflichten, 1–2% vom jährlichen Durchschnittsbetrage ihrer sämtlichen Kreditoren bei der Reichsbank zu hinterlegen. Aus der angeblich zu geringen Liquidität der Banken folgert er, daß die fremden Gelder in zu großem Umfange für Anlagezwecke festgelegt worden sind, und er will durch seinen Vorschlag einen entsprechenden Teil des eigentlichen Betriebskapitals der deutschen Volkswirtschaft auch dauernd in liquiden Mitteln erhalten. Werden so auf der einen Seite die Betriebsmittel der Reichsbank verstärkt, so würden auf der anderen Seite auch die Banken verhindert werden, einen übermäßigen Teil der fremden Gelder festzulegen. Der Vorschlag, der sicherlich einen beachtenswerten Grundgedanken aufweist, hält näherer Prüfung nicht stand; kein Mensch und kein Gesetz kann die Banken zwingen, die ihnen entzogenen Mittel gerade aus ihren langfristigen Anlagen zu nehmen, und eine wirksame Durchführung des Heiligenstadtschen Gedankens wäre überhaupt nur möglich, wenn die Privatbanken zur Haltung einer bestimmten Barreserve gesetzlich gezwungen würden. Gegen eine so einschneidende, die Betätigungsfreiheit der Banken schwer einengende Bestimmung aber lassen sich doch sehr starke Bedenken erheben; die Erfahrung hat gelehrt, daß derartige gesetzliche Bindemittel schließlich für die Allgemeinheit weit schädlicher zu sein pflegen als der auf der anderen Seite erhoffte Vorteil. Es kommt hinzu, daß aller Wahrscheinlichkeit nach der Reichsbank durch diese Zwangsreserve neue Barmittel gar nicht zufließen würden; die Privatbanken würden wahrscheinlich nur ihr Giro bei der Reichsbank entsprechend verringern und die fragliche Quote der Reichsbank gutschreiben lassen. Ein anderer Reformvorschlag geht auf eine größere Publizität über die Geschäftsführung der Privatbanken, und man kann hier mit Befriedigung feststellen, daß die Berliner Großbanken sich schon seit mehreren Jahren freiwillig entschlossen haben, in Zweimonatsbilanzen ihren Status in Form von Rohbilanzen vor der Öffentlichkeit darzulegen, und zwar nach einem bestimmten Schema. Gewiß soll man derartige Veröffentlichungen nicht überschätzen; wir können hierbei nur Bezug nehmen auf das, was wir bei Besprechung des Liquiditätsbegriffes gesagt haben. Auch durch die Zweimonatsbilanzen würden ungesunde Zustände, die intern bei den Privatbanken bestehen, kaum erkannt werden, denn den einzelnen Konten kann wirklich nicht angesehen werden, ob im konkreten Falle liquide Beträge in ihnen stecken. Wechsel, Reports, Lombards gelten [747] im allgemeinen als liquide; Effekten als illiquide, und dabei weiß doch jeder Kenner, daß die Wechselbestände im vollen Betrage kaum bei irgendeiner Bank flüssig zu machen sind, auch nicht im Wege der Rediskontierung; und umgekehrt gibt es unter den Effekten, wenigstens in normalen Zeiten, stets sehr große Beträge, die jederzeit verwertbar zu machen sind. Immerhin ist die Veröffentlichung dieser Zweimonatsbilanzen für die Banken ein Mittel der Selbstdisziplin und Kontrolle; dem geschäfts kundigen Publikum gewährt sie gerade durch Vergleichung der einzelnen Zahlen einen gewissen Einblick, und jedenfalls haben diese Bilanzen für die Finanzwissenschaft, die Statistik und die gesamte Nationalökonomie einen unbestreitbaren Wert. Voraussichtlich wird man immer mehr auf eine noch größere Spezialisierung der Bilanzen hindrängen, was aber dazu führen kann, daß den Banken ernste Schwierigkeiten erwachsen, weil sie möglicherweise interne Vorgänge ihres Geschäftsbetriebes vor die Öffentlichkeit bringen und den Augen der Konkurrenz preisgeben müssen. Jedenfalls muß man sich klar sein, daß keine Liquiditätsschlüssel und keine gesetzliche Vorschriften für die Sicherheit der fremden Gelder unanfechtbar Gewähr leisten können. Bei den Verhandlungen der Bank-Enquete von 1908–1909 ist ja auch von den schärfsten Kritikern die Sicherheit und Solidität der überwältigenden Mehrheit unserer Kreditbanken, soweit sie mit mehr als einer Million Aktienkapital arbeiten, in keiner Weise angezweifelt worden. Und gerade die Zusammenbrüche der letzten Jahrzehnte, „Leipziger Bank“ und „Niederdeutsche Bank“, haben gezeigt, daß man durchaus liquide erscheinende Bilanzen veröffentlichen kann, in denen die wirklichen Schäden der Geschäftsführung sich verstecken. Also in formellen Vorschriften über Liquidität können bestimmte Garantien sicherlich nicht gefunden werden. Man hat nun auch von einer staatlichen Beaufsichtigung der Banken gesprochen, wie sie für Hypotheken und Versicherungsbanken schon eingerichtet ist; solche Gedanken kann man indes nicht scharf genug zurückweisen. Die staatliche Beaufsichtigung würde nicht bloß eine schwere dauernde Belästigung für die Banken darstellen, sondern sie würde auch die Staatsverwaltung mit einer Verantwortlichkeit belasten, die zu tragen sie kaum imstande ist. Im allgemeinen haben alle Banken von einiger Bedeutung das Kontroll- und Revisionssystem in ihren eigenen Mauern mit großer Sorgfalt ausgebildet, und es ist kaum denkbar, daß ein staatlicher Beamter die gewährten Kredite, den An- und Verkauf von Effekten, die Eingehung von Finanz- und Konsortialgeschäften kritischer, sachkundiger und strenger beurteilen könnte, als dies von den Organen der Bank selbst zu geschehen pflegt. Endlich kann man hier darauf hinweisen, daß der Reichsbank eine sehr starke materielle Möglichkeit beiwohnt, das ihr von den Banken eingerichtete Wechselmaterial auf Bonität und Solidität zu prüfen; und gerade den kleineren Banken gegenüber, die zuweilen eine, zur Höhe ihres Aktienkapitals gemessen, sehr große Summe von Depositen haben, wäre eine solche kritische und korrigierende Durchsicht der eingereichten Wechsel besonders zu wünschen. Denn es kann nicht zweifelhaft sein, daß bei den kleineren Banken die Liquidität häufig eine wesentlich ungünstigere ist. Eine Statistik über 52 Aktienbanken mit einem Kapital von je unter 300 000 M. hat ergeben, daß diese Banken das Achtfache ihres Kapitals und ihrer Reserven als Depositen haben, [748] und daß ihre Barmittel 3¼% ihrer Depositen betragen. Bei 62 Banken mit einem Aktienkapital von 300 000 M. bis 1 Million M. stellt sich das Verhältnis so, daß die Depositen und Spareinlagen das Dreieindrittelfache des Kapitals und der Reserven ausmachen, und daß die Barmittel etwa 9½% der Depositen darstellen. Bei 45 Banken dagegen von größerer Bedeutung ist das Verhältnis ein wesentlich anderes; hier betragen die Barmittel 30% der Depositen, und letztere übersteigen nicht etwa, wie bei den kleinen Banken, das Kapital um ein Vielfaches, sondern stellen nur 66% des verantwortlichen Kapitals dar. Es ist deshalb mit Recht gefordert worden, daß gerade die kleinen Banken nicht nur von der Reichsbank, sondern auch von den größeren und großen Banken dauernd kontrolliert werden, und daß so versucht werden soll, in erzieherischem Sinne auf sie einzuwirken. Es liegt im Interesse der Reichsbank sowohl als der privaten Großbanken, daß auch bei den kleinen und kleinsten Bankinstituten Zusammenbrüche vermieden werden; denn jeder solche Vorfall wirkt höchst beunruhigend und schädigend und kann leicht, zunächst in lokalen Kreisen, Paniken und Runs hervorrufen, deren Folgen für das Geschäftsleben manchmal verhängnisvoll sind. Es ist deshalb auch nur zu begrüßen, daß bei einzelnen drohenden Zusammenbrüchen in den letzten Jahren sich die Großbanken wenigstens zu teilweiser Befriedigung der kleinen Depositengläubiger zusammengeschlossen haben. Und man hat gerade aus dem Kreise der Hautebanque heraus wiederholt der Reichsbank eine möglichst strenge Prüfung des von den Banken eingereichten Wechselmaterials dringend empfohlen, was doch beweist, daß die Bankwelt die Kontrolle eines berufenen, sachkundigen, mitten im Wirtschaftsleben stehenden Organs, wie die Reichsbank, nicht nur zurückweist, sondern sogar lebhaft wünscht.

Diskontgeschäft. Reichsbank.

Überhaupt aber ist die Entwicklung unseres Bankwesens mit der Institution der Reichsbank eng verknüpft, und man vermag schwer in das Innere des Bankwesens einzudringen ohne eine genauere Kenntnis der Natur unseres Zentralinstituts. Denn ein besonders wichtiger Zweig des Bankgeschäftes ist und bleibt die Wechseldiskontierung, und alles, was direkt oder indirekt mit dem Diskontgeschäft und der Diskontpolitik zusammenhängt, führt wiederum unmittelbar zur Reichsbank. Wir hatten oben die Organisation des englischen und französischen Zentralnoteninstituts kurz beleuchtet und gesehen, daß die deutsche Reichsbank ungefähr zwischen beiden steht. Bei ihr braucht nur ein Drittel der Noten in bar gedeckt zu sein, womit sie sich mehr dem französischen System nähert. Gerade in Zeiten starker Anspannung kann sich das Institut mit einer geringeren als der üblichen Notendeckung begnügen und die Zahlungsmittel nach Bedarf vermehren, aber – und hier nähert sie sich wieder mehr dem englischen Currency-Prinzip – sie muß eine Notensteuer an das Reich abführen, sobald die ungedeckten Noten eine bestimmte, ein für allemal festgesetzte Summe überschreiten. Hierdurch soll die Reichsbank gezwungen werden, den Diskont zu erhöhen, wenn die Anspannung eine bestimmte Grenze überschreitet, da sie anderenfalls mit positivem Verlust arbeiten müßte. Nun sind natürlich diese Vorschriften der Bankverfassung für die Diskontpolitik der Reichsbank [749] gewiß von Bedeutung, aber es gibt außerdem eine große Reihe anderer Faktoren, die auf den Diskont der Bank und damit auch auf den des ganzen Landes einwirken. Das gesamte Wirtschaftsleben der Nation bestimmt schließlich den Geldmarkt und die Zinssätze, und es heißt doch die Bedeutung dieser allgemeinen wirtschaftlichen Zustände verkennen, wenn man glaubt, daß Reichsbank und Großbanken lediglich durch andere Organisation des Systems in der Lage sein könnten, den Zinsfuß innerhalb eines Landes dauernd niedrig zu halten. Tatsache ist, daß die älteren und reicheren Kulturstaaten im allgemeinen den niedrigsten Durchschnittsdiskont haben, was doch beweist, daß der Volkswohlstand in unserem gesamten Geldsystem eine wichtige Rolle spielen muß. Freilich, es entscheidet hierbei nicht schon und an sich die Menge des vorhandenen nationalen Kapitals; wäre das der Fall, so müßte in Deutschland, wo sich das Nationalvermögen den in letzten Dezennien so außerordentlich stark gesteigert hat, der Zinsfuß ein niedriger sein; bekanntlich ist das gerade Gegenteil der Fall. Der Durchschnittssatz des Bankdiskonts betrug in den Jahren 1897–1908 in Deutschland 4,47%; in Frankreich 2,92%, in England 3,58%; das hängt mit dem Bau und Leben des betreffenden nationalen Wirtschaftskörpers eng zusammen. Frankreich ist ein Rentnerland, ein Land, in dem nicht annähernd so viel gearbeitet und geschaffen wird, und in dem nicht entfernt in dem Maße neue Werte erzeugt werden, wie etwa in Deutschland. Die Folge davon ist, daß in Deutschland viel mehr kurzfristige Leihkapitalien begehrt werden als in Frankreich, was zu einem erheblichen Teil, vielleicht entscheidend mit der immer noch starken Volksvermehrung zusammenhängt. Bei uns kommt hinzu, daß das stark arbeitende und auch entsprechend verdienende Volk zwar mehr produziert, aber auch erheblich mehr konsumiert, als ein sparsames Volk. Deutschland importiert einen erheblichen Teil seiner Nahrung- und Genußmittel aus dem Ausland, und da es diesen Import mit Geld bezahlen muß, so wirkt dieser Zustand unmittelbar auf den Geldmarkt ein. Deutschland verzehrt oder verbraucht annähernd die Hälfte sämtlicher eingeführten Waren und nur die knappe andere Hälfte des Imports sind Rohmaterialien zur Weiterverwertung. Frankreich dagegen führt nur etwa ein Sechstel an Lebensmitteln und Vieh ein und annähernd ebensoviel an Gebrauchsgegenständen; dagegen verwendet es zwei Drittel dieser Einfuhr für die Weiterverarbeitung, läßt es also produktiven Zwecken dienen. – Die Folge davon ist, daß bei uns zur Bezahlung der großen Summen für Ernährung und Gebrauch eine ganz gewaltige, kommerzielle und industrielle Tätigkeit eintreten muß. Trotzdem ist in Deutschland, freilich auch in Frankreich, die Handelsbilanz, also Verhältnis von Einfuhr zur Ausfuhr, ungünstig, wir führen eben immer noch weit mehr ein als aus. Deutschland steht hierbei bekanntlich in der Mitte zwischen Frankreich und England; in England ist die Einfuhr um 26,5% größer als die Ausfuhr; in Frankreich um 13,4%, in Deutschland um 17,7%. Wäre die Handelsbilanz allein entscheidend, so müßten alle drei Länder, und England am meisten, jährlich Gold zur Bezahlung des Minus exportieren. Indessen das Minus der Handelsbilanz wird in anderer Weise ausgeglichen; alle drei Länder sind Gläubigerländer und sie kompensieren einen großen Teil ihrer Schuld aus Warenimporten mit den Zinsen, die Schuldnerstaaten aus geliehenen Geldern (Anleihen) an sie zu entrichten [750] haben. Dadurch und durch weitere Einnahmen des Fracht- und Fremdenverkehrs, aus Unternehmungen im Auslande, wird schließlich die Zahlungsbilanz aktiv und in allen drei Ländern der Goldbestand jährlich größer. Auch hinsichtlich der Art, wie jedes Volk seine wirtschaftlichen Bedürfnisse befriedigt, herrscht ein starker Unterschied namentlich zwischen Deutschland und Frankreich. In Frankreich ist bei Staat, Gemeinde und Einzelwirtschaften eine viel größere Sparsamkeit üblich als in Deutschland, wo alles im großen, manchmal im größten Stil betrieben wird, und wo bei öffentlichen Korporationen und in der Einzelwirtschaft häufig genug ein volkswirtschaftlich höchst bedenklicher Luxus Platz gegriffen hat. Die Tatsache, daß allein in den Jahren 1908 und 1909 Reich, Staat und Gemeinden in Deutschland 3,3 Milliarden Schulden gemacht haben, spricht Bücher und Bände. Das Kapital, das über das dringende Bedürfnis hinaus in überflüssigen Anlagen festgelegt ist, wird dem allgemeinen wirtschaftlichen Leben entzogen und vermindert, und verteuert das zur Verfügung stehende Leihkapital.

Alles das sind Faktoren für die Gestaltung des Diskonts in einem Lande und bei der ungeheuren Bedeutung, die das Diskontgeschäft für unser Bankwesen besitzt, und auf die wir schon oben hinwiesen, möchten wir nun noch einiges über das Wesen dieses Geschäftes, wie es sich seit einigen Jahrzehnten entwickelt hat, hinzufügen. Für die deutschen Kreditbanken, die ja einen erheblichen Teil ihrer fremden Gelder kurzfristig anzulegen haben, ist ohnehin das Diskontgeschäft nicht nur zweckmäßig, sondern geboten. Die Diskontierung von Wechseln ist ein wirtschaftlich insofern besonders nützliches Kreditgeschäft, als es gerade den gewerblichen Teil der Bevölkerung unabhängiger vom Kapital macht. Der Produzent oder Kaufmann, der durch Diskontierung der Wechsel alsbald Zahlung erhält, kann sein Geschäft fortsetzen, auch ohne das entsprechende liquide Kapital zu besitzen. Aber auch das Kapital, in der Hauptsache die Bankwelt, wird durch das Diskontgeschäft begünstigt, denn durch die Kurzfristigkeit des Diskontkredits ist eine bessere Ausnützung der sonst zins- und nutzlos liegenden, auch kleinsten Geldbeträge möglich. Hiernach könnte es den Anschein haben, als ob die nationale Arbeit, Handel, Industrie, und Landwirtschaft, Interesse am niedrigen Diskont hat, als ob dagegen die Bankwelt mehr am Bestehen hoher Diskontsätze interessiert wäre. Das ist aber doch nur beschränkt der Fall; richtig ist, daß das mittlere und kleinere Geschäft in Industrie, Handel, Landwirtschaft, Gewerbe jeder Art, von einer möglichsten Stetigkeit und Gleichmäßigkeit des Diskonts Nutzen hat, denn ein häufiger jäher Wechsel stört ihnen ihre Kalkulation, während der etwa erhöhte Diskontsatz an sich ihnen keine wesentlichen Nachteile bringt. Richtig ist auch, daß die Banken durch einen hohen Diskontsatz nicht so sehr betroffen werden; ihr Verdienst ist mehr von der Differenz der Debet- und Kredit-Zinsen beeinflußt als von der Höhe des Diskonts an sich. Von diesem Standpunkt aus kann man sagen, daß die Bank von Frankreich am nachhaltigsten den mittleren und kleineren gewerblichen, industriellen und landwirtschaftlichen Betrieb im Inlande schützt, weil ihr Diskont der niedrigste und stetigste ist; sie gibt den Großkapitalien und den Kapitalisten überhaupt am wenigsten zu verdienen. [751]

Privatdiskont.

Aber die Vorwürfe, die man namentlich in Deutschland den Großbanken so häufig gemacht hat, daß sie die Diskontpolitik der Reichsbank grundsätzlich und absichtlich durchkreuzen, und daß sie den Privatdiskont – das ist der Marktdiskont, der für sogenannte Primadiskonten im offenen Geldmarkt an der Börse gezahlt wird – künstlich herniederdrücken, sind im wesentlichen unbegründet. Die Spannung zwischen dem Privatdiskontsatz und dem Reichsbanksatz beruht auf mannigfachen Gründen, die darzulegen den Rahmen dieses Aufsatzes überschreiten würde; aber fest steht doch wohl, daß die Großbanken ein lebhaftes Interesse haben, daß der Privatdiskont sich möglichst wenig vom jeweiligen Bankdiskont entfernt, denn die Banken bestimmen den Zins, den sie auf ihre Depositen zu zahlen haben, im wesentlichen nach der Höhe des jeweiligen Reichsbankdiskonts, während sich ihre Zinseneinnahmen aus Wechsel, Lombards und Reports häufig nach dem Marktzins berechnen. Ist außerdem die Spannung zwischen Reichsbank- und Privatdiskont eine überdurchschnittliche, so würde die Kundschaft jederzeit rasch geneigt sein, den billigeren Akzeptkredit auszunutzen, was banktechnisch keineswegs immer erwünscht ist. Die Gegner unserer Bankpolitik berufen sich mit Vorliebe auf Frankreich, vergessen dabei aber, daß bei uns für die Bildung des Privatdiskontsatzes ein viel stärkeres Angebot und Nachfrage vorhanden ist als in Frankreich, wo es an der Fülle von Diskontabnehmern durchaus fehlt. Die Reichsbank hat ferner bei der Festsetzung des Diskonts vor allem auf die Erhaltung unserer Währung Rücksicht zu nehmen und an tunlichste Aktivität unserer Zahlungsbilanz zu denken, die sich am besten in den Wechselkursen ausspricht; und endlich werden ja in dem weit geschäftsfreudigeren Deutschland die Kreditansprüche von Handel und Industrie in erster Linie von den Kreditbanken selbst befriedigt; die Reichsbank kommt erst in zweiter Linie als Diskontör in Betracht. Auch dadurch ergibt sich eine größere Spannung zwischen Marktdiskont und Reichsbankdiskont als in einem Lande, wo das Diskontgeschäft im wesentlichen in den Händen des Zentralinstituts liegt. Jedenfalls wird man wahrheitsgemäß sagen können, daß die Großdiskontöre in Deutschland sich bei der Normierung des Privatsatzes stets in möglichst enger Fühlung mit der Reichsbank gehalten, und daß sie hierbei die Rücksichten auf Verdienst hinter die allgemeinen Gesichtspunkte der Wirtschaftspolitik zurückzustellen verstanden haben.

Diskontpolitik.

Im Wesen der Diskontpolitik liegen gewisse Schwierigkeiten. Während der Privatdiskontör sich nach Angebot und Nachfrage zu richten hat und richtet, müssen die Zentralbanken auf die Tendenzen der Volkswirtschaft, auf die internationalen Handelsmärkte Obacht geben und sich unter Umständen entschließen, in die Freiheit der wirtschaftlichen Kräfte einzugreifen und bei ihren Maßnahmen die Rücksichten auf die allgemeine Wohlfahrt, insbesondere auf die Aufrechterhaltung der Währung entscheiden lassen. Hierbei hat man gerade in den letzten Jahrzehnten zu Mitteln gegriffen, die auch für das Verhältnis der Privatbanken zum Zentralinstitut wichtig sind. Die Banken haben sich häufig für den Import von Gold interessiert, wofür sie bei uns seit 1879 zinsfreie Vorschüsse von der Reichsbank erhalten, [752] und namentlich ist die Devisenpolitik der Reichsbank gerade in den letzten Jahren ein wirksames Mittel geworden, Goldausgänge zu verhindern. Die Reichsbank kann nämlich, sobald die Goldausfuhr infolge des Standes der Wechselkurse lohnend wird, die ausländischen Devisen im Markte anbieten und dadurch auf den Wechselkurs drücken. Die Privatbanken dagegen haben wiederum in Übereinstimmung mit der Diskontpolitik der Reichsbank, Devisen in ihren Portefeuilles behalten, um für den Fall einer Geldversteifung oder einer Krisis Auslandsgold heranziehen zu können. Gerade die Devisenpolitik der Reichsbank unter ihrer jetzigen Leitung hat die Stetigkeit des Diskonts an den Ultimoterminen wesentlich erleichtert; denn ohne das gefüllte Devisenportefeuille hätte die Diskontschraube öfters noch schärfer angezogen werden müssen.

Das eigentliche Kreditgeschäft.

Das Rückgrat des aktiven Bankgeschäfts bildet naturgemäß das eigentliche Kreditgeschäft; seine Entwicklung drückt dem modernen Bankwesen die besondere Note auf. Man hat mit unbegründeten und manchmal mit begründeten Angriffen die Kreditpolitik der deutschen Bankwelt verfolgt und hat immer wieder darauf hingewiesen, daß die Banken durch eine übermäßige Unterstützung des Kreditbedürfnisses im Handel und Gewerbe, namentlich aber in der Industrie, gewisse ungesunde Erscheinungen in unserem Wirtschaftsleben hervorgerufen haben; besonders spielt hier wieder der von uns bei der Depositenfrage schon behandelte Hinweis eine Rolle, daß nämlich die Depositengelder der Banken zu langfristigen Krediten benutzt worden seien. Gewiß ist bei der Kreditgewährung seitens der Bankwelt so manches Mal gesündigt worden; bei einer Krisis, wie die der neunziger Jahre, aber auch 1901 und 1907 wurde man sich immer wieder bewußt, daß die Grenze raisonnabler Geschäftstätigkeit häufig überschritten sei. Allein diese Grenze in jedem Augenblick richtig zu bestimmen, ist herzlich schwierig, weit schwieriger als wohlgemute Kritik ahnt. Im Drange und unter dem suggestiven Druck einer stark aufsteigenden Konjunktur ist es für den Bankleiter, der doch verdienen, sein Geschäft vernünftig erweitern und sich nicht von der Konkurrenz überflügeln lassen will, ganz außerordentlich schwer, im richtigen Augenblick nein zu sagen. Die Kredite, die verlangt werden, erscheinen im Augenblick des Begehrens fast immer sachlich begründet; der Kaufmann und Industrielle, der Kredit verlangt, wird in solchen Perioden günstiger Wirtschaftsentwicklung nachweisen können, daß er den Kredit produktiv ausnützen kann. Hinterher, wenn die Krisis ausgebrochen ist, wenn die Konjunktur umgeschlagen hat, wenn alles, was bisher rosenrot aussah, mit einem Mal grau in grau erscheint, ist es natürlich leicht, von einem Übermaß der gewährten Kredite zu sprechen. Gerade auf diesem Gebiet ist ja auch eine regulierende Tätigkeit des Zentralnoteninstituts mit Hilfe des Diskontsatzes so außerordentlich wichtig. Solange das Geld flüssig und billig ist, wird ohnehin die Neigung, es im Kreditgeschäft möglichst nutzbringend zu verwerten, bei den Banken vorhanden sein, und tritt dann nach und nach eine Versteifung des Geldmarktes ein, zeigt das Anziehen der Diskontschraube auf ein Sinken des wirtschaftlichen Barometers, dann ist es gewöhnlich nicht mehr möglich, sich den übernommenen Verpflichtungen zu entziehen. Immer wieder wird man dann daran [753] erinnert, daß das Bankwesen keine Wissenschaft ist, und daß sie in ihren letzten und entscheidenden Teilen nicht erlernt werden kann; die Leitung einer Bank ist eine Kunst, und zum Erfolg gehört auch ein glücklicher Instinkt, das richtige Fühlen des herannahenden Umschlags. Freilich aberwitzige Kreditgewährungen, wie sie z. B. die Leipziger Bank vorgenommen hat, die an eine einzige Gesellschaft 93 Millionen Mark Kredit gab, obwohl die Bank selbst nur 48 Millionen Mark Aktienkapital besaß, sind immer verwerflich; schon der Grundsatz einer vernünftigen Verteilung des Risikos muß jede Bank abhalten und hält jede vernünftig geleitete Bank davon ab, zu viel auf eine Karte zu setzen. Im allgemeinen pflegen die deutschen Banken bei der Kreditgewährung über einen ziemlich engen Rahmen nicht hinauszugehen. Man darf auch nicht vergessen, mit welcher fieberhaften Hast sich das deutsche Wirtschaftsleben entwickelt hat, und wie kurz eigentlich der Zeitraum ist, in dem die deutschen Banken ihre Erfahrungen haben sammeln können. Nimmt man dazu den schon öfters berührten Umstand, daß das Geschäft der deutschen Banken ein ziemlich universelles und lange nicht so spezialisiert ist, wie das der englischen, dann wird man milder und gerechter urteilen. Die Kreditgewährung wird auch wohl von dem Gesichtspunkte aus angegriffen, daß das den Banken anvertraute Sparkapital überwiegend der Industrie und dem Handel, namentlich dem Großhandel und mittleren Handel, in Form des Kredits gewährt wird, während Landwirtschaft, Handwerk und Kleingewerbe vernachlässigt worden sei. Das ist zum Teil richtig, ist aber auch durch den Gang der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland nur zu sehr begründet. Einmal hat die Landwirtschaft sich den Formen des modernen Kreditverkehrs erst als letzte unter den großen Berufszweigen angeschlossen; die Organisation der Bankwelt war schon auf Handel und Industrie zugeschnitten, als die Landwirtschaft auf dem Plan erschien. Es fehlte aber auch für einen Blankokredit an die Landwirtschaft der Bankwelt die Möglichkeit einer dauernden Kontrolle über Person und Geschäftsbetrieb des einzelnen Landwirts. Hier konnte erst im Wege des ländlichen Genossenschaftswesens und der Ausbildung des Sparkassensystems auch auf dem flachen Lande Abhilfe geschaffen werden. Für Realkredite aber schuf sich die Landwirtschaft durch die großen landwirtschaftlichen Institute eigene Organe mit eigener, den ländlichen Verhältnissen angepaßter Verwaltung. Ähnlich verhielt es sich mit dem Handwerk und Kleingewerbe. Auch hier mußten erst durch den Scheck, Abrechnungs- und Überweisungsverkehr, namentlich durch Postscheckverkehr, die neuere Kredit- und Verkehrsform geschaffen werden, und nur durch lokale Genossenschaften, Sparkassen und kleine bankmäßig eingerichtete Kreditinstitute konnte ein vernünftiger Personalkredit gewährt werden. Je mehr sich Landwirtschaft, Handwerk und Kleingewerbe der modernen Form des Kreditverkehrs bedienen, um so eher wird es den Großbanken durch besondere Organisationen ermöglicht werden, auch diesen Kredit zu pflegen, wie das in Frankreich ja schon von lange her der Fall ist. Überhaupt ist man zu der Annahme berechtigt, daß die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte in der deutschen Bankwelt ein klareres Verständnis für die Art des zu gewährenden Kredits erweckt haben; man darf aber auch nicht vergessen, daß auf diesem Gebiete die Leiter der Großbanken wiederum vor einer schweren Aufgabe stehen. Sie würden durch ein [754] plötzliches Abschneiden oder Kündigen eines gewährten Kredits nicht nur ein einzelnes kommerzielles oder industrielles Institut in geradezu verhängnisvolle Lage bringen, sondern sie würden auch durch eine zu rigorose Anwendung ihrer Kreditgrundsätze unser ganzes Wirtschaftsleben krisenhaft erschüttern. Ob es möglich ist, den langfristigen industriellen Kredit, der ja nach seiner Natur besondere Schwierigkeiten bietet, anders zu gestalten, ob insbesondere die Hechtsche Idee „Schaffung eines Zentralinstituts für den langfristigen gewerblichen Kredit in einer oder anderen Form durchführbar ist, das zu prüfen würde hier zu weit führen.

Das Finanzierungsgeschäft.

Mit Rücksicht auf den uns gewiesenen Raum darf hier auf andere Gebiete des regulären Bankgeschäfts nicht eingegangen werden; insbesondere kann das so wichtige und charakteristische Akzeptgeschäft nicht behandelt werden; wir müssen mit einer kurzen Beleuchtung des großen Finanzgeschäfts schließen. Die Entwicklung des deutschen Wirtschaftslebens hatte, wie wir sahen, unseren Banken von Anfang an eine gewisse Universalität in der Geschäftsgebahrung verliehen. Deutschland war nicht reich genug, um selbständige Depositenbanken zu ernähren, und schon seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts wandte sich die deutsche Bankwelt bewußt den großen Finanz-Emissions- und Konsortialgeschäften zu. Die Periode nach dem großen Kriege von 1870 brachte das Gründungsfieber und mit ihm eine Unzahl von innerlich faulen Gründungen. Der Mangel jeder Publizität bei dem Gründungshergang und das Fehlen einer Verantwortlichkeit für die in der Regel anonym bleibenden Gründer führte, neben anderen Ursachen, zu dem Krach von 1873. Die Gesetzgebung schritt ein, und es wurden durch eine Reihe von Vorschriften ganz neue Grundlagen für die Errichtung von Aktiengesellschaften und für die Umwandlung schon bestehender Institute in Aktiengesellschaften erlassen. Von Anfang an haben die deutschen Banken hierbei eine führende Rolle gespielt, und im großen und ganzen kann man ihre Tätigkeit auch hier nur als nützlich und für das gesamte Wirtschaftsleben förderlich bezeichnen. Durch die Neugründung von Aktiengesellschaften wurde erst die Möglichkeit geschaffen, die Produktion durch Errichtung sehr großer Betriebe ganz enorm zu steigern; bei der Umwandlung bestehender Geschäfte in Aktienform wurde in der Regel derselbe Zweck erreicht, und diese juristisch-ökonomischen Vorgänge haben zu der außerordentlichen Intensivierung unseres ganzen Wirtschaftslebens in hohem Maße beigetragen. Die Banken haben es auch immer als ihre Pflicht betrachtet, sich um die industriellen und kommerziellen Gesellschaften, die sie gründeten, umwandelten, und deren Aktien sie emittierten, eingehend und dauernd zu kümmern, und sie haben auch in schweren Zeiten, so lange es irgend ging, ihre starke Hand über diesen Gesellschaften gehalten und sich für deren Gedeihen gleichsam verantwortlich gefühlt. Unter den mancherlei Vorwürfen, die man gegen die deutsche Bankwelt und das deutsche Banksystem erhebt, ist als besonders unbegründet wohl zu bezeichnen, daß die Banken sich durch das Finanzierungs- und Emissionsgeschäft mühelos Gewinn verschafft haben. Wer das ausspricht, mag ein bedeutender Gelehrter sein, von der Praxis des Banklebens versteht er nicht allzuviel. Keine Arbeit ist vielleicht [755] mühevoller und verantwortungsreicher als die der größeren bankgeschäftlichen Transaktionen; jeder Neugründung und Umwandlung, auch jeder Übernahme von Aktien gehen sehr eingehende und zeitraubende Untersuchungen voran, die sich nach den verschiedensten Richtungen hin erstrecken. Zunächst wird natürlich das betreffende industrielle und kommerzielle Institut auf Herz und Nieren geprüft, wenn man es nicht schon, wie das in der Mehrzahl der Fall sein wird, seit längerer Zeit genau kennt. Und gerade aus einer Kontokorrent-Verbindung pflegen derartige Finanztransaktionen zu entstehen, wie wir das oben beim Kapitel Kredit schon beleuchtet haben. Hat eine Bank langfristigen Kredit gegeben, so wird sie ihn von vornherein in der Absicht und dem Wunsche gewährt haben, den Kredit über kurz oder lang durch Aktien und Obligationen zu mobilisieren. So verbindet sich das Gründungs- und Emissionsgeschäft eng mit dem Kreditgeschäft. Vor der Entscheidung wegen Übernahme oder Emission der Aktien ist seitens der Bankleiter die gesamte Wirtschaftslage, Konjunktur und der Geldmarkt zu prüfen. Es muß untersucht werden, ob für derartige Papiere zurzeit Aufnahmefähigkeit vorhanden ist, ob der Geldmarkt die nötigen Chancen bietet, ob man das Geschäft allein machen kann oder sich Konsorten und Unterbeteiligte suchen soll. Es ist mit Rücksicht auf die Liquidität der Bank zu prüfen, welche Beträge man fest übernimmt, und wofür man sich, und in welchen Formen Option gewähren läßt. Und endlich ist beim Vertrieb der Aktien durch Bonifikationen und Abmachungen mit den Provinzialbankiers die nötige Vorsorge für eine nützliche Abwicklung des Geschäfts zu treffen. Auch die Übernahme von Anleihen des Reichs, der Einzelstaaten, der Städte und sonstiger Korporationen ist für die Banken keineswegs immer ein nutzbringendes Geschäft gewesen. Jede Emission, jede Gründung und Umwandlung bedeutet im Übrigen ein erhebliches Risiko, bei dem die Chancen durchaus nicht immer auf seiten der finanzierenden Banken sind. Schwere Verluste, jahrelange Sorgen sind häufig die Folgen dieser Transaktionen für die Banken gewesen, und fast jedes einzelne der deutschen großen Bankinstitute hat an einem oder anderen Unternehmen, das bei seiner Gründung oder Finanzierung sehr verheißungsvolle Aussichten zu bieten schien, schmerzliche Erfahrungen gemacht. Gerade die Erfahrung der letzten Jahrzehnte und eine immer mehr vervollkommnete Technik haben auch auf diesem Gebiete allmählich ruhigere Zeiten herbeigeführt; man darf hoffen, daß so schmerzhafte Wunden, wie sie die deutschen Banken früher auf diesem Gebiete erlitten, ihnen fortan doch erspart bleiben werden.

Export–Kapitalismus.

Ganz besonders stark angefochten wurde in den letzten Jahren das Auslandsgeschäft der Banken: die Übernahme auswärtiger Anleihen und auswärtiger Industriewerte und deren Plazirung an deutschen Börsen. Man hat den Banken vorgeworfen, daß sie ohne Rücksicht auf den heimischen Markt das Geld ins Ausland trügen, daß sie die Interessen unseres Handels, namentlich aber unserer Industrie und Landwirtschaft, vernachlässigt und lediglich Rücksichten auf Gewinn haben entscheiden lassen; man hat nach gesetzgeberischen Maßnahmen und Schritten der Zentralinstanz gegen diesen Exportkapitalismus gerufen, und namentlich bei der Bankenquete von 1908/1909 hat auch [756] diese Frage eine wichtige Rolle gespielt. Mit Vorliebe pflegt man sich darauf zu berufen, daß das deutsche Publikum an auswärtigen Anleihen, an Portugiesen, Amerikanern, Griechen, Mexikanern usw. sehr viel Geld verloren habe, und daß die Banken auch hierbei nicht die Interessen ihres Vaterlandes genügend geschützt hätten. Der Vorwurf, so erhoben, ist unbegründet. Die Verluste, bei denen die Banken übrigens selbst recht erheblich beteiligt waren, liegen Jahrzehnte zurück; heute sind fast alle für Anleihen in Betracht kommenden Staaten wirtschaftlich so erstarkt und finanziell in so geordneten Verhältnissen, daß ähnliches, wenigstens in dieser Schärfe, sich kaum wiederholen dürfte. Die ganze Technik des Emissionsgeschäftes ist so entwickelt, die Banken haben gelernt, die Budgets und Finanzen der kreditsuchenden Staaten so eingehend zu prüfen, der Informationsdienst über alle in Betracht kommenden Faktoren ist derart entwickelt, daß die verhängnisvollen Irrtümer zurückliegender Jahrzehnte heute schwerlich gemacht werden. Im übrigen aber ist das Arbeiten deutschen Geldes in Auslandsstaaten volkswirtschaftlich und politisch nicht nur wünschenswert, sondern notwendig. Unsere passive Handelsbilanz, das haben wir oben schon gesehen, können wir nur ausgleichen durch eine günstige Zahlungsbilanz; diese Zahlungsbilanz aber können wir nur günstig gestalten durch Zinsen und Erträge, die wir aus dem Auslande beziehen. Wir können außerdem durch die dem fremden Staate gewährten Kredite in den meisten Fällen unserer Industrie lohnende Aufträge verschaffen, und können endlich durch Errichtung eigener industrieller oder kommerzieller Institute – elektrische Werke, Banken usw. – wiederum unsere Zahlungsbilanz wesentlich verbessern. Dieser viel angefeindete Exportkapitalismus hat geholfen, Deutschland den Weg zu seiner wirtschaftlichen Entfaltung zu bahnen. Selbstverständlich muß auch hier mit Maß und Ziel verfahren werden, müssen die wohlverstandenen Interessen des heimischen Wirtschaftslebens entscheidend sein. Es ist zu tadeln, wenn in Zeiten knappen Geldstandes ausländische Werte bei uns eingeführt werden, bei denen ein wirtschaftlicher Nutzen weder für unsere Industrie noch sonst herausspringt. Und ferner wäre es wünschenswert, daß die finanzielle Beteiligung der deutschen Bankwelt im Auslande sich möglichst planvoll vollzöge, wenn sie sich tunlichst auf bestimmte Gebiete konzentriert, wenn also die deutsche Finanzpolitik wirklich der Vorposten würde für große deutsche Politik. So hat es England und Frankreich gemacht. Frankreich hat die russische Anleihe in ungeheuren Beträgen aufgenommen und dadurch das russisch-französische Bündnis eigentlich erst ermöglicht; es hat Algier, Tunis, Marokko zunächst mit finanzieller Penetration erobert, um sie dann auch politisch in Besitz zu nehmen. Und gar England hat Südafrika und Ägypten, Persien und Ostasien durch eine planvolle und zielbewußt geleitete Kapitalexportpolitik vor seinen Wagen gespannt. Gewiß: Deutschland ist als letztes unter den kapitalspendenden Ländern auf den Plan getreten; es hat sich die Gebiete nicht aussuchen können und hat oft rasch zugreifen müssen, um überhaupt dabei zu sein, aber es sollte fortan nicht überall auf dem Erdball wahllos und planlos sein Kapital investieren, sondern auch hierin nur wirklich nationale Bankpolitik treiben. Hierzu bedarf es guter Informationen, weiten Blicks und Standhaftigkeit seitens der auswärtigen politischen Zentralinstanz. In England und Frankreich gehen die [757] großen Kapitalmächte nie ohne intime Fühlung mit ihren auswärtigen Ämtern vor; es wäre zu wünschen, daß auch in Deutschland die große Politik sich der Bankwelt für ihre Minen und Gegenminen immer mehr bedient. Auch auf dem Gebiete der Kolonialpolitik haben unsere Banken verdienstvoll gewirkt, und namentlich die großen Gesellschaften in Südwestafrika, aber auch in Deutsch-Ostafrika zeigen eine rege Betätigung deutschen Großkapitals. Und das ist um so mehr anzuerkennen, als unsere Bankwelt nicht gerade begeistert in die Kolonialpolitik hineingegangen ist, da sie das ganz unbekannte und unerschlossene Terrain fürchtete. Auch hier wird es die Aufgabe der Kolonialverwaltung sein, das deutsche Großkapital immer mehr für eine Betätigung in den deutschen Kolonien, die ja doch Heimatland sind, zu interessieren und ihm bei seinen Unternehmungen ratend und fördernd zur Seite zu stehen. Das kann geschehen unbeschadet der berechtigten Interessen der Farmer und Siedler, denn es gibt eine große Reihe von Aufgaben auch in den deutschen Kolonien, die nur vom Großkapital zu lösen sind.

Schlußbetrachtung.

Das Bild, das wir versucht haben für das deutsche Bankwesen der letzten 25 Jahre zu zeichnen, ist naturgemäß nur skizzenhaft; es ist ein zu ausgedehntes Gebiet und konnte in dem knappen Rahmen dieser Arbeit nur in großen Zügen geschildert werden. Aber das eine wird sich auch aus dieser kurzen Darstellung ergeben: es ist ein ungeheures Quantum produktiver wirtschaftlicher Arbeit, das tagaus, tagein von den deutschen Banken geleistet wird. – Genügt nun – mit dieser Betrachtung möchten wir schließen – die Organisation unserer Bankinstitute ihrer Riesenaufgabe, und sind die an der Spitze stehenden Männer der ungeheuren Verantwortung, die sie zu tragen haben, gewachsen? Die Organisation unserer Banken ist, ebenso wie sie selber, in natürlicher, schrittweiser Entwicklung entstanden. Bei den größten Instituten, den Berliner Großbanken, ist sie vorbildlich und musterhaft; der Apparat funktioniert außerordentlich schnell und glatt, und im Laufe eines Tages wickeln sich in den Banken eine Unsumme manchmal recht schwieriger und komplizierter Transaktionen ab. Jedes Rad an diesen ungeheuren Maschinen funktioniert prompt; es hat sich allmählich und im Laufe der Jahrzehnte eine zum Teil bewundernswerte Technik herausgebildet, die aber freilich für staatliche Institute, die nach ganz anderen Grundsätzen und unter ganz anderen Gesichtspunkten arbeiten, keineswegs ohne weiteres nachzuahmen ist. Für die Staatsverwaltung die Formen des kaufmännischen Großbetriebs zu verlangen, ist ein Unding; beide können freilich manches voneinander lernen und haben wohl auch gelernt. Daß trotz scharfen Kontrollen und eifriger, aufreibender Arbeit Fehler, Veruntreuungen bei den Banken vorkommen, ist nicht zu verwundern; menschliches wird aus menschlichen Institutionen nie auszumerzen sein. Bedenkt man aber, welche Milliarden im Jahre in den deutschen Bankpalästen umgesetzt werden, und welche ungeheuren Summen dabei in die Hände von manchmal ganz untergeordneten Organen gelegt werden müssen, so wird man seine ehrliche Anerkennung nicht versagen dürfen. Im geschäftlichen Leben, wo man mit der Konkurrenz und der Kundschaft rechnen muß, können unmöglich die Kautelen und Kontrollen geschaffen werden, die im amtlichen Leben möglich sind. Die [758] Entwicklung freilich, die das deutsche Bankwesen genommen hat, und die es gerade in seinen größten Instituten immer mehr auf das reguläre Bankgeschäft hindrängt, hat es mit sich gebracht, daß der ganze Betrieb in mancher Hinsicht bureaukratisch, schematisch werden mußte, und das dient nicht gerade der Auslese der Tüchtigsten. Für die Mehrzahl der Bankangestellten kommt es heute mehr auf Fleiß, Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit an, als auf besondere geistige, schöpferische Qualitäten, die zu betätigen sie nicht allzu häufig Gelegenheit haben. Immer mehr bildet sich unter den Tausenden der Beamtentypus aus, und demgemäß haben sich die sozialen Einrichtungen gestaltet, die die Banken zugunsten ihrer Angestellten getroffen haben und weiterhin treffen werden. Und so wird die Auslese für die leitenden Stellen nicht immer leicht sein, da die Gelegenheit sich auszuzeichnen seltener geboten ist. Noch haben wir unter den Leitern unserer großen deutschen Banken eine Anzahl bedeutender Männer; ihrer Tatkraft, ihrer Intelligenz, ihrer unermüdlichen Hingabe an die große Aufgabe ihres Berufs hat Deutschland nicht zum wenigsten seine wirtschaftliche Blüte zu verdanken. Hoffen wir, daß es den deutschen Banken nie an einem Nachwuchs fehlen möge, der diesen Fürsten der Handelswelt gleicht oder ihnen doch wenigstens nahe kommt!