Der Rabe (Übersetzung Strodtmann)
Geb. 1811 zu Baltimore, führte dieser originelle Geist ein unstetes und regelloses Schriftstellerleben, und starb 1849 in seiner Geburtsstadt. Eine wohlgeordnete Ausgabe seiner Werke wurde nach seinem Tode durch R. W. Griswold veranstaltet. Seine mysteriösen Erzählungen erinnern häufig an E. T. A. Hoffmann’s Manier – jedoch mit dem Unterschiede, daß Poe seine geheimnisvollen Wunder in der Regel am Schluß mit nüchternem Verstande erklärt. Unter seinen nicht eben zahlreichen Gedichten gehören manche zu den kostbarsten Perlen der englischen Literatur. Die rückerschaffende Analyse des „Raben“ ist vielleicht der interessanteste Aufschluß, den uns je ein Schriftsteller über das Geheimnis eines bewussten dichterischen Schaffens gewährt hat.
Der Rabe.
Einst zur Nachtzeit, trüb und schaurig, als ich schmerzensmüd und traurig
Saß und brütend sann ob mancher seltsam halbvergessnen Lehr’, –
Als ich fast in Schlaf gefallen, hörte plötzlich ich erschallen
An der Thür ein leises Hallen, gleich als ob’s ein Klopfen wär’.
Ein Verirrter, sonst Nichts mehr.“
The Raven.
Once upon a midnight dreary, while I pondered, weak and weary,
Over many a quaint and curious volume of forgotten lore –
While I nodded, nearly napping, suddenly there came a tapping,
As of some one gently rapping, rapping at my chamber door.
Only this and nothing more.“
In der rauhsten Zeit des Jahres, im Decembermonat war es,
Flackernd warf ein wunderbares Licht das Feuer rings umher.
Heiß ersehnte ich den Morgen; – aus den Büchern, ach! zu borgen
Um die Maid, die jetzt Lenore wird genannt im Engelsheer –
Hier, ach, nennt kein Wort sie mehr!
Ah, distinctly I remember, it was in the bleak December,
And each separate dying ember wrought its ghost upon the floor.
Eagerly I wished the morrow; – vainly I had sought to borrow
For the rare and radiant maiden whom the angels name Lenore –
Nameless here for evermore.
Jedes Rascheln, jedes Rauschen in des seidnen Vorhangs Bauschen
Weckt’ in mir ein ängstlich Grausen, das ich nie gefühlt vorher,
„Ei, wer sollte jetzt wohl pochen, wenn es nicht ein Wandrer wär’? –
Ja, ein Wandrer, der an meiner Thür verirrt von ungefähr –
Das wird’s sein, und sonst Nichts mehr.“
And the silken sad uncertain rustling of each purple curtain
Thrilled me – filled me with fantastic terrors never felt before;
„’Tis some visiter entreating entrance at my chamber door –
Some late visiter entreating entrance at my chamber door;
This it is and nothing more.“
Und ermuthigt jetzo stand ich auf, und Kraft und Ruhe fand ich;
Doch ich war in Schlaf gefallen, und so leise war das Schallen
Eures Pochens, dass sein Hallen kaum gedrungen zu mir her.“ –
Damit stieß ich auf die Thüre: – „Tretet ein, wer da ist, wer!“ –
Dunkel rings, und sonst Nichts mehr.
Presently my soul grew stronger; hesitating then no longer,
But the fact is I was napping, and so gently you came rapping,
And so faintly you came tapping, tapping at my chamber door,
That I scarce was sure I heard you“– here I opened wide the door: –
Darkness there and nothing more.
Träume träumend, die kein armer Erdensohn geträumt vorher.
Doch nur von des Herzens Pochen ward die Stille unterbrochen,
Und als einz’ges Wort gesprochen ward: “Lenore?“ kummerschwer,
Selber sprach ich’s, und: „Lenore!“ trug das Echo zu mir her, –
Doubting, dreaming dreams no mortals ever dared to dream before;
But the silence was unbroken, and the stillness gave no token,
And the only word there spoken was the whispered word, „Lenore?“
This I whispered, and an echo murmured back the word, „Lenore!“ –
Und zurückgekehrt ins Zimmer, stürmisch aufgeregt wie nimmer,
Hört’ ich bald ein neues Klopfen, etwas lauter als vorher.
„Sicher an dem Fensterladen pocht’ es – wohl, es kann nicht schaden,
Dass ich suche nach dem Faden, der dies Räthsel mir erklär’, –
’S ist der Wind, und sonst Nichts mehr!“
Back into the chamber turning, all my soul within me burning,
Soon again I heard a tapping something louder than before.
„Surely,“ said I, „surely that is something at my window lattice;
Let me see, then, what thereat is and this mystery explore –
’Tis the wind and nothing more.“
Auf riss ich das Fenster klirrend – siehe, gravitätisch schwirrend
Schritt ein Rabe, groß und mächtig, in das Zimmer zu mir her.
Nicht mit einem Gruß bedacht’ er mich, kein Dankeszeichen macht’ er,
Flog auf eine Pallasbüste ob der Thüre sacht und schwer,
Saß dort still, und sonst Nichts mehr.
Open here I flung the shutter, when, with many a flirt and flutter,
In there stepped a stately Raven of the saintly days of yore.
Not the least obeisance made he; not a minute stopped or stayed he,
Perched upon a bust of Pallas just above my chamber door –
Perched, and sat, and nothing more.
Und der schwarze Vogel machte, dass ich trotz der Trauer lachte,
So possierlich ernst und finster saß ob meiner Thüre er.
Alter Rabe, der verloren irrt im nächt’gen Schattenmeer!
Sprich, wie bist du denn geheißen im pluton’schen Schattenmeer?“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr.“
Then this ebony bird beguiling my sad fancy into smiling,
By the grave and stern decorum of the countenance it wore,
Ghastly grim and ancient Raven wandering from the Nightly shore –
Tell me what thy lordly name is on the Night’s Plutonian shore!“
Quoth the Raven: „Nevermore.“
Und den Unhold mit Erstaunen hört’ ich also deutlich raunen,
Denn wir müssen wohl gestehen, dass es Keinem noch geschehen,
Einen Vogel je zu sehen, der vor ihm gesessen wär’,
Der auf einer Büste über seiner Thür gesessen wär’,
Mit dem Namen „Nimmermehr.“
Much I marvelled this ungainly fowl to hear discourse so plainly,
For we cannot help agreeing that no living human being
Ever yet was blessed with seeing bird above his chamber door –
Bird or beast upon the sculptured bust above his chamber door,
With such name as „Nevermore.“
Dies er nur, als ob sein ganzes Herz darin ergossen wär’.
Nichts, das weiter ihn erregte, keine Feder er bewegte,
Bis ich leis die Lippen regte: „Andre Freunde flohn seither –
Morgen wird auch er entfliehen, wie die Hoffnung floh seither.“
That one word, as if his soul in that one word he did outpour.
Nothing farther then he uttered; not a feather then he fluttered –
Till I scarcely more than muttered: „Other friends have flown before –
On the morrow he will leave me, as my Hopes have flown before.“
Als die Stille unterbrochen jenes Wort, so klug gesprochen,
Dacht’ ich: Was er sagt, ist sicher seine ganze Mähr’ und Lehr’,
Die er seinem Herrn, dem armen, abgelauscht, den ohn’ Erbarmen
Schlug das Unglück, bis der warmen Hoffnung Stern erlosch im Meer,
Von der Klage: „Nimmermehr!“
Startled at the stillness, broken by reply so aptly spoken,
„Doubtless,“ said I, „what it utters is its only stock and store,
Caught from some unhappy master whom unmerciful Disaster
Followed fast and followed faster till his songs one burden bore –
Of ‚Never – nevermore.‘“
Immer noch der Rabe machte, dass ich trotz der Trübsal lachte;
Einen Sammetsessel endlich rollt’ ich näher zu ihm her.
In die Polster mich versenkend, sann ich, Arm in Arm verschränkend,
Was der Sinn von des gespenstisch finstern Vogels Krächzen wär’,
Der da schnarrte: „Nimmermehr.“
But the Raven still beguiling all my sad soul into smiling,
Straight I wheeled a cushioned seat in front of bird and bust and door;
Then, upon the velvet sinking, I betook myself to linking
What this grim, ungainly, ghastly, gaunt and ominous bird of yore
Meant in croaking „Nevermore.“
Also düstern Sinnes pflag ich, doch kein Wort zum Vogel sprach ich,
Ob sein Feuerauge brennend mir am tiefsten Herzen zehr’.
Als ich ruht’ auf sammtnen Kissen, überstrahlt vom Lichte hehr,
Ach, auf diesen sammtnen Kissen, überstrahlt vom Lichte hehr,
Ruhet sie jetzt nimmermehr!
This I sat engaged in guessing, but no syllable expressing
To the fowl whose fiery eyes now burned into my bosom’s core;
On the cushion’s velvet lining that the lamp-light gloated o’er,
But whose velvet violet lining with the lamp-light gloating o’er
She shall press, ah, nevermore!
Schwül dann ward und qualmig enge um mich her die Luft, als schwänge
„Gott hat Trost für dich erkoren durch die Engel, lichtgeboren!“
Rief ich, – „o vergiß Lenoren, die dein Herz geliebt so sehr!
Athme auf, vergiss Lenoren, die geliebt du allzu sehr!“ –
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“
Then, methought, the air grew denser, perfumed from an unseen censer
„Wretch,“ I cried, „thy God hath lent thee – by these angels he hath sent thee
Respite – respite and nepenthe from thy memories of Lenore!
Quaff, oh quaff this kind nepenthe and forget this lost Lenore!“
Quoth the Raven: „Nevermore.“
Ob dich der Versucher sandte, ob der Sturm dich jagte her, –
Du, der nimmer mich verschonet, der im Unholdslande wohnet,
Wo das nächt’ge Grauen thronet, künde mir, was ich begehr’:
Ist kein Balsam denn in Gilead? – künde, was ich heiß begehr’!“
Whether Tempter sent, or whether tempest tossed thee here ashore,
Desolate yet all undaunted, an this desert land enchanted –
On this home by Horror haunted – tell me truly, I implore –
Is there – is there balm in Gilead? – tell me – tell me, I implore!“
„Düstrer Bote!“ frug voll Zweifel ich, „ob Vogel oder Teufel!
Bei dem Himmel droben, bei dem Gott, den ich, wie du, verehr’:
Find’ ich, sprich! an Eden’s Thoren wieder einst, die ich verloren,
Jene Maid, die man Lenoren jetzo nennt im Engelsheer, –
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“
„Prophet!“ said I, „thing of evil – prophet still, if bird or devil!
By that Heaven that bends above us – by that God we both adore –
Tell this soul with sorrow laden if, within the distant Aidenn,
It shall clasp a sainted maiden whom the angels name Lenore –
Quoth the Raven: „Nevermore.“
„Vogel oder Teufel, hebe dich hinweg!“ so rief ich, „schwebe
Wieder in den Sturm zurück und in das nächt’ge Schattenmeer!
Keine Feder lass als Zeichen mir der Lüge sonder Gleichen!
Fort! und reiß aus meinem Herzen deines Schnabels scharfen Speer!“ –
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“
„Be that word our sign of parting, bird or fiend!“ I shrieked, upstarting –
„Get thee back into the tempest and the Night’s Plutonian shore!
Leave no black plume as a token of that lie thy soul hath spoken!
Take thy beak from out my heart, and take thy form from off my door!“
Quoth the Raven: „Nevermore.“
Und der Rabe, schwarz und dunkel, sitzt mit krächzendem Gemunkel
Noch auf meiner Pallasbüste ob der Thür bedeutungsschwer.
Seiner Flügel Schatten ziehen an dem Boden breit umher;
Und mein Herz wird aus dem Schatten, der mich einhüllt weit umher,
Sich erheben – nimmermehr!
And the Raven, never flitting, still is sitting, still is sitting
On the pallid bust of Pallas just above my chamber door;
And the lamp-light o’er him streaming throws his shadow on the floor;
And my soul from out that shadow that lies floating on the floor
Shall be lifted – nevermore!