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Der gute Gerhard von Köln

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Autor: Heinrich Pröhle
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Titel: Der gute Gerhard von Köln
Untertitel:
aus: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten, S. 217–239
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Tonger & Greven
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans eines Exemplares der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin, Signatur 19 H 104 auf Commons; E-Text nach Deutsche Märchen und Sagen
Kurzbeschreibung: Zusammenfassung von Der guote Gêrhart des Rudolf von Ems
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[217]
Der gute Gerhard von Köln.

Im Dome zu Magdeburg klangen laut die Glocken. Kaiser Otto der Große, Heinrich des Finklers mächtigerer Sohn, hatte dies herrliche Kunstwerk am Elbstrome erbaut. Heute sollte es eingeweiht werden. Nicht Opfer wollte der Kaiser an diesem Tage darbringen, wie sonst wohl noch die Sitte war. Nein, mit Stolz, als erwartete er selber Dank von Gott, ging heute Otto zur Kirche.

„Herr mein Gott“, sprach er, „nun haben wir Dir Opfer genug dargebracht. Schon mein Vater kämpfte gegen die heidnischen Wenden. Ich habe die Bistümer gestiftet in ihrem Lande, wo Dein Lob gesungen wird vor allen Altären. Auch die Ungarn habe ich besiegt am Lech, daß sie hinfort das Reich müssen meiden, in welches sie so viele räuberische Einfälle gemacht hatten. Bis in ihr Land habe ich sie von meinen Heeren verfolgen lassen. Die Schätze, welche sie zuvor aus Deutschland hinweg getragen hatten, wurden in Ungarland hinter Wällen und Erdringen geborgen gefunden. Meine Diener brachten sie zurück und legten mir viele Tonnen Goldes zu Füßen. Davon, o Herr, habe ich Dir noch diesen Dom im Sachsenlande erbaut. Zu ihm sollen die Wenden über die Elbe herüber kommen, um hier die Messe zu hören. Der Erzbischof von Magdeburg ist über viele Fürsten gestellt. Manches Fürstenkind sitzt als Chorherr zu [218] seinen Füßen. Sein Wort soll ins Gewicht fallen, wenn man nach mir einen Kaiser erwählt. Das alles, o Herr, habe ich zu Deinen Ehren so eingerichtet. Solches hat kein König für Dich gethan, der jetzt auf der Erde lebet. Nun aber laß mich auch heute wissen, wie Du mich belohnen willst.“

Das war das Gebet, das der Kaiser am Tage der Einweihung des Domes zu Magdeburg vor allem Volke hielt, und das mit den Weihrauchwolken zum Himmel drang.

Da vernahm der Kaiser vor dem Altare die zürnende Stimme eines Engels, den Gott zu ihm sandte. Dieser sprach:

„Als Gott Dir die höchste Würde auf Erden verlieh, da hat er große Mängel an Dir übersehen. Wenn er Dich nun immer in völliger Reinheit des Herzens gefunden hätte, so würde wohl auch fernerhin ein Stuhl in seiner Nähe für Dich bereit gestanden haben. Allein nun hast Du mit Deinem stolzen Rühmen Dich selbst bezahlt gemacht. Du hast Deinen Lohn dahin. Deine Verdienste sind vor Gott nicht so groß, als Du selber sie schätzest. Es könnte Dir sehr lieb sein, wenn Dein Ruhm vor Gott nach der Schätzung der Engel nur dem eines gewissen jetzt lebenden Kaufmanns gleich wäre.“

Betroffen sprach der Kaiser: „Der Weg zu Gott stände einem Kaufmanne offen, und mir wäre er verschlossen? So bitte ich Gott, daß mir der Name dieses Kaufmannes genannt werde, damit ich von ihm erfahren kann, welcher Weg zu Gott führt.“

Der Engel sprach: „Er wird der gute Gerhard genannt und führet Lot und Elle wohl zu Köln am Rheine.“

„Herr, mein Gott,“ sprach der Kaiser, „was kann ein solcher Mann nur Großes vollbracht haben, daß er jetzt so hoch in Deiner Gunst steht? Ich werde Boten zu ihm senden, daß sie mir Kunde davon bringen.“

„O laß die Boten,“ vernahm er wieder des Engels Stimme, „und wenn Du Dich selbst aufmachtest und kämest zu ihm, den alle Welt als den Guten preist, Du würdest nichts von seinen Thaten vernehmen. Wohl wäre er lieber tot, als daß er eigenen Ruhm Dir erzählte, der doch so groß ist, daß Dein Verdienst ihm gegenüber Dir nur als eitler Wahn erscheinen würde.“

[219] Der Kaiser schlich in tiefes Sinnen versunken von dannen. Ihm ließ des schlichten Kaufmanns Ruhm nicht Ruhe mehr bei Tag und Nacht. Er machte sich mit einigem Geleite auf zur Fahrt nach der alten Stadt Köln am Rhein. Auf sein Geheiß lud der Bischof alle Bürger der Stadt ein, sich bei ihm zu versammeln. Sie kamen alle, jung und alt, in feierlicher Tracht einhergeschritten. Und nachdem der Kaiser sie gnädiglich begrüßt, stellten sie sich in weitem Bogen vor ihm auf. Des Kaisers Auge durchlief spähend ihre Reihen. Er wollte nur den Einen herausfinden, den Gottes Stimme so hoch gepriesen hatte. Da fiel sein Blick auf eine Gestalt, die, obgleich des Alters Zeichen an sich tragend, doch in erhabener Schöne und Kraft alle anderen überragte. Mit reichen Gewändern geschmückt, erblickte er den Mann vor sich. Er sah, wie er frei um sich blickte, wie die anderen ehrfurchtsvoll bemüht waren, ihm einen eigenen Platz einzuräumen. Der Kaiser wußte es wohl, noch ehe der Bischof ihm auf Befragen es gesagt hatte, es sei der reiche Kaufmann, den alle Welt weit und breit kenne, der gute Gerhard, wie des Volkes Mund ihn bezeichne. Als er darauf den versammelten Bürgern verkündete, daß er gekommen sei, um guten Rat zu hören, daß er Einen aus ihrer Mitte wählen möchte, um sich von ihm denselben geben zu lassen, und daß er den Gerhard sich dazu ausersehen hätte, riefen alle einstimmig, die Wahl sei gut, er sei der Würdigste von Allen.

Der Kaiser zog den Gerhard mit sich in sein Gemach. Nun endlich war sein Sehnen erfüllt, den Hochgepriesenen vor sich zu sehen, und er wollte nicht ruhen, bis er von ihm selbst erfahren, was ihm so hohe Gunst eingebracht habe.

Der Kaiser lud Gerhard ein, auf sammtnem Ruhebette neben ihm zu sitzen, und wie jener sich auch sträubte, er mußte den Ehrenplatz einnehmen. Nun begann des Kaisers Fragen. „Wie kam es nur, daß Dir solch’ Name wurde? Sie nennen Dich den frommen, den guten Gerhard. Was hast Du nur so Großes Gott zu Liebe gethan? Um Dich allein kam ich so weit daher. Du darfst mir nichts verhehlen.“

Umsonst war des guten Gerhards Bitte, von diesem Verlangen abzustehen. Er suchte seinen Beinamen von ganz geringfügigen Ursachen herzuleiten. Es half ihm alles nichts. Der Kaiser drang immer ungestümer [220] mit seinem Forschen auf ihn ein. Endlich, als all sein Bitten und Flehen unbeachtet blieb, wandte sich der gute Gerhard im heißen Gebet zu Gott. „Du, mein Herr Gott,“ sprach er, „wollest mir vergeben, wenn ich nun, wie zum eitlen Ruhme mir, mein Thun hier ausbreite. Du, Herr Gott, kennst mich, Du prüfest mich und weißt, daß ich’s zu eignem Leide nur jetzt unternehme.“

Darauf zog ihn der Kaiser wieder zu sich auf den sammtenen Ruhesitz und der gute Gerhard begann also zu erzählen:

„Mein Vater ließ mir bei seinem Tode als seinem einzigen Sohne ein nicht unbedeutendes Erbe zurück. Als Kaufmann gedachte ich dasselbe noch zu vermehren. Mein Sohn sollte einst, wie alle seine Vorfahren, der reiche Gerhard genannt werden. So ließ ich denn noch Reichtümer genug zurück, als ich mich eines Tages mit fünfzigtausend Mark zu Schiffe begab, um drei Jahre in ferneren Ländern zu reisen und dort Handel und Wandel zu treiben. Wohlerfahrene Schiffer begleiteten mich und ein treu Ergebener diente mir als Schreiber und Kaplan zugleich.

Nach Lievland und dem bernsteinreichen Strande Preußens ging’s. Wir wandten uns dann dem Lande der Reußen zu, wo wir die feinen Zobelfelle in Fülle fanden. Dann lenkten wir unsere Fahrt der Levante zu, wohin Damaskus und Ninive ihre schönen Zeuge sandten. Aller Orten war mir der Handel wohl gelungen. Der weichen Felle hatte ich besonders viele eingekauft und dachte, daß ich wohl dreifachen Gewinn daran haben würde. Frohen Herzens beschloß ich nun heimzukehren und befahl den Schiffern, die Fahrt zurück zu lenken. Ich hoffte, in kurzer Zeit wieder bei den Meinen zu sein. Da aber begann mein Leid.

Die Sonne verdunkelte sich plötzlich. Schwarze Wolken zogen am Himmel herauf, und ein Sturm erhob sich, daß wir meinten, unser Schiff werde im Kampfe mit den ungestümen Wellen in tausend Splitter gehen. Zwölf Tage und Nächte wurden wir so umher geworfen. Zwölf Tage und Nächte schwankten wir zwischen Himmel und tiefster Tiefe. Schon trieben Trümmer von Bugspriet und Raaen auf dem Wasser umher, die Gefahr war auf’s Höchste gestiegen. Da beruhigte sich der Sturm, da blickte aus zerrissenen Wolken der Himmel blau und klar hervor. Aber Niemand wußte zu sagen, wo wir uns befanden. Zwar sahen wir am hohen Ufer [221] ein felsig Land vor uns liegen, doch Niemand antwortete unserm Rufen. Unser Schiff hatte Schutz in einer Bucht gefunden. Da hieß ich Einen das Felsenriff erklettern, um von dort aus in’s weite Land zu schauen, ob etwa eine Stadt zu erblicken sei, wohin wir unser Schiff lenken könnten.

Da schaute der Späher vom hohen Felsenriff herab auf ein reiches wohlbebautes Land. Mit hohen Zinnen lag eine Stadt am Meer, wohl befestigt mit tiefen schiffbaren Gräben. Reiche Frachten standen an den Pforten, und noch immer sah man des Handelsgutes viel vom Meer herein bringen. O wie viel Zoll mußte dies dem Burgvogt verschaffen! Es war das Land Marocco, wohin wir geraten waren, und Castelgunt hieß die Stadt am Meeresufer. Wir fuhren ungesäumt dem Hafen zu und landeten bei der Stadt und fanden sie groß und prächtig. Die Bürger waren Heiden, doch begrüßten sie mich freundlich, als der Burgvogt gefahren kam, um die Waren zu besichtigen. Sein Äußeres flößte mir Vertrauen ein, und so machte ich mir rasch durch’s Gedränge Bahn zu ihm. „Warum bist Du gekommen?“ redete mich der Burgvogt an; „kamst Du des Marktes wegen? Selten wagen sich Christenleute her zu mir, doch freut mich’s, daß Du hier bist.“ Ich hatte eigentlich nur die Absicht gehabt, mein Schiff zu bessern und frisches Wasser einzunehmen, doch antwortete ich rasch: „Um zu gewinnen, muß man auch Gefahr nicht scheuen, doch wird’s Euch nicht leid werden, laßt Ihr mich ungehindert weiter fahren.“ „O sei nur gutes Mutes,“ entgegnete er, „es soll Dir keiner hier ein Haar krümmen. Auch magst Du hier Handel treiben, ohne mir Zoll zu geben. Mir liegt daran, den Handel an diesem Port zu mehren, und auch Christenleute sind mir willkommen dazu. Der Kaiser hat mich hierhergesetzt, die Fremden zu schützen samt ihrem Gut. Sucht Euch die beste Herberge hier aus. Ihr sollt mein Gast sein die ganze Marktzeit hindurch, weil Ihr der erste Christ seid, der hier zum Handel her kam.“

Alsbald führten mich seine Schergen der besten Herberge zu. Ich fragte, wie der Mann heiße, der mir so gnädiglich hier begegnete. „Stranmur heißt er,“ riefen sie; „er ist Landgraf dieses Landes und Burgvogt dieser Stadt. Das Recht über den Strand hat er vom Kaiser als Lehn empfangen.“ Nun dankte ich Gott, der mir im Heidenlande so gute [222] Aufnahme beschert hatte. Stranmur von Castelgunt erwies mir alle Ehre und zeigte immer deutlicher, daß er mir wohl wollte. Wir wurden täglich vertrauter mit einander. Da bat er mich eines Tages, ihm meine Schätze, die Waren, die ich im Schiffe führte, zu zeigen.

Er sah voll Erstaunen die schöne Ladung, die das Schiff barg. „Gerhard,“ sagte er, „Deine Schätze sind so kostbar, wer könnte sie Dir bezahlen, wenn ich es nicht könnte? Ich will Dir auch meinen Schatz zeigen, und, behagt er Dir, so biete ich ihn Dir zum Tausch an. Es ist ein eigen Ding mit diesem Schatze. Hier zu Lande gilt er nichts, doch dort bei Euch im Christenlande gäb’ es wohl kaum etwas, womit er bezahlt werden könnte. Mir ist der Schatz ein lästig Gut, doch Du magst wohl den zwanzigfachen Preis mit ihm gewinnen.“

„Gewinn zu suchen,“ sprach ich, „ist jedes Kaufmanns Pflicht. Zeig’ mir Deinen Schatz, vielleicht einen wir uns, wie wir einander vertrauen lernten.“ Ich vermutete, den Reichtum aller Juden dort zu finden, edle Spezereien, Gold, Perlen und kostbare Steine. Wie bestürzt war ich aber, als mein Wirt mich in ein entferntes Gemach führte, und ich statt Ballen reichen Gutes den Anblick größten Elendes vor mir fand. Zwölf junge Ritter lagen in schweren Banden hier gefesselt. Zwei und zwei an einander geschlossen zog die Last der Ketten fast zur Erde nieder. Sie waren so jung, daß kaum der erste Bart ihnen sproßte, doch sah man die edle Abkunft deutlich auf ihren Gesichtern ausgeprägt. Erschrocken, gepeinigt stand ich solchem Jammer gegenüber. Noch heute wird mir weh zu Mut, wenn ich daran denke. Ich wandte meinen Blick hinweg. Da zog der Burgvogt mich hinaus aus diesem Gemach und meinte, noch größeren Kaufschatz werde er mir zeigen. Als er eine andere Thür öffnete, wuchs mein Entsetzen noch. Fast derselbe Anblick ward mir hier. Aber nicht Jugend und Schönheit zeigten sich mir, sondern gramentstellte Greise fand ich im feuchten, kalten Gemach eingekerkert: zwölf edle Gestalten, alle Anzeichen fürstlicher Geburt an sich tragend, von Elend mehr noch als von den Jahren gebeugt, je zwei und zwei an einander gekettet. Stranmur sah das Grausen, was mich bei diesem Anblick erfaßte, und verließ mit mir den schauerlichen Ort.

Wankenden Schrittes, das Herz voll Erbarmen, folgte ich ihm zu [223] einer dritten Thür, die seinen reichsten Schatz barg, wie er meinte. Kein Erstaunen kommt dem gleich, welches mich beim Betreten dieses Gemaches erfaßte. Ja, der Schatz, den wir hier fanden, war wohl des höchsten Preises wert. Wohl kein Gewinn konnte mit ihm verglichen werden. O, er vermochte Sorgen zu zerstreuen, Mannesmut zu stählen und Herzen zu erfreuen. Fünfzehn Frauen in holder Schöne saßen im Kreise dort. Die Krone der Jugend und edlen Sittsamkeit zierte ihre Häupter. Wie viel Treue und Güte, Bescheidenheit und Huld leuchtete mir aus ihren Augen entgegen, wenn auch trüber Kummer ihren Glanz verschleierte! Vor allen aber trug eine der Schönheit Preis an sich. Voll stiller Hoheit erschien sie mir wie der Mond unter Sternen. Man sah es wohl, daß sie die geborene Fürstin war. Die Frauen trugen keine Ketten, auch zeigten sie viel Ergebung und Geduld, doch erfüllte mich ihr Anblick mit tiefstem Mitleid.

Stranmur führte mich hinweg. „Sahst Du Dir alles an,“ sagte er, „und bist Du bereit, zu tauschen?“ „Womit soll ich tauschen?“ entgegnete ich, „ich sah nur, was mir voll Erbarmen das Herz zerschnitt.“ „Jene alle, die ich Dir eben als meine Gefangenen zeigte, will ich in Deine Hände geben, so Du mir dafür Deine Schätze eintauschst“, sprach hierauf Stranmur, der harte Mann; „mir ist ihr Heimatsland zu weit gelegen, nimm Du sie mit Dir. Hohes Lösegeld wird man Dir gern für sie geben. Mit Gold und edlem Gestein wird man sie Dir aufwiegen zu Köln am Rheine. Du siehst wohl, es ist ein guter Kauf.“

„Wie aber kam’s, fragte ich, daß diese Fremdlinge in Deine Gewalt fielen?“

„Kennst Du Engelland?“ sagte er; „dort sind die werten Ritter alle geboren. Daß sie so weit hierher verschlagen wurden, ging folgendermaßen zu. Sie begleiteten den reichen König Wilhelm nach Bergen im norwegischen Reiche, wo dieser König Reinmunds Tochter zum Weibe empfing. Du sahst sie sitzen, die schöne Frau inmitten ihrer vierzehn Begleiterinnen. Der Sturm warf sie auf ihrer Fahrt an diesen Strand mit vier und zwanzig Rittern, den besten Engellands. Dieser Strand und dieser Hafen ist mir zu eigen gegeben. So wurden sie meine Gefangenen nach Landes Brauch. Ich kann mit ihnen schalten nach eigenem Willen. Willst Du sie [224] eintauschen für die Schätze, die Du mit Dir führst? Lebt König Wilhelm noch, so wird er sie gern einlösen von Dir, und der nordische König Reinmund wird keinen Preis zu hoch finden, um sein Kind wieder zu sehen. Giebt Dir die Hoffnung auf Gewinn nicht Lust zum Tausch? Doch wie Du willst, ich dränge ihn Dir nicht auf, und ob Du auch nicht einwilligst, wird doch mein Schutz Dir sicher sein wie zuvor.“

Der Gedanke an das reiche Gut, was ich hier zurücklassen sollte, machte mich in meinem Entschlusse wankend. Ich bat mir eine Nacht Bedenkzeit aus. In dieser Nacht stritten Verstand und Herz um die Oberhand in mir. Das Herz sagte: befreie die Armen! Der Verstand warnte: gieb nicht so reiches Gut um einen Wahn aus den Händen. Endlich schlief ich ein. Da erschien mir ein Engel mit lichten Zügen im Traum.

Erwache, Gerhard! rief er zürnend mir zu. Hast Du vergessen das Wort Deines Heilandes: was Ihr den Ärmsten thut, das habt Ihr mir gethan? Ist des Herzens Mahnen bei Dir so ganz umsonst? Und wird Gott nicht hier wie dort Dir Dein Erbarmen lohnen? Alsbald verschwand mir der Engel. Voll Scham über mein langes Zweifeln wachte ich auf und dankte Gott, daß er mich davon befreite. Mein Entschluß war rasch gefaßt, und als der Schreiber kam, um mir die Messe zu lesen, sprach er den Segen zu meinem Vorhaben. Getröstet ging ich aus. Da kam mir der Burgvogt schon entgegen. „Nun, hast Du’s bedacht?“ fragte er. „Ja, Herr“, war meine Antwort, „laß die Gefangenen ohne Fesseln vor mir erscheinen; willigen sie dann ein, mit mir zu gehen, so sind die Schätze meines Schiffes Euer Eigentum.“ „Ich vertraue Dir, wie sonst keinem“, entgegnete er, „so mag es drum sein, daß ihre Fesseln schon jetzt gelöst werden.“

O, jetzt hättet Ihr die Freude sehen sollen, als die Armen nach mehr als einem Jahre ohne Fesseln frei einander wiedersahen! Heiße Thränen entrannen stromweis ihren Augen. Sie lagen einander in den Armen und dankten Gott, der einen Christen zu ihrer Rettung in dies ferne Land gesandt hatte. Als sie hörten, um welchen Preis ich ihnen Errettung brachte, fielen sie mir zu Füßen und gelobten laut, mir alles reichlich zu bezahlen, wenn sie die Heimat wiedersähen. Mehr noch als alles dies ging mir der Anblick der jungen schönen Königin Irene, so hieß sie, zu Herzen. [225] Sie konnte vor Schluchzen kaum sprechen, als ich sie fragte, ob auch sie mit ihren Frauen bereit sei, mir zu folgen. Sie blickte mich mit ihren süßen thränenerfüllten Augen an und erwiderte: Wenn der König von Engelland, mein Gemahl, noch lebt und nicht auch gleich uns in öder Ferne schmachtet, so wird er Dir reichen Ersatz bieten, und wenn sie alle gestorben wären, denen ich angehöre, so wird doch Gott Dir Dein Erbarmen lohnen.

Als ich darauf den Burgvogt am Thore traf, empfing er mich sogleich mit der Frage, wie es nun stände mit dem Tausch, ob er mir behage. „Wenn Du den Armen, die ich mit mir nehmen soll, zurückgiebst, was sie mitbrachten an diesen Ort, wenn Du ihr Schiff gut ausrüstest zur Fahrt: dann gebe ich Dir alles Gut in meinen Ballen und fordere nichts weiter“, antwortete ich ihm. „Hältst Du mich für einen Betrüger?“ rief Stranmur aus. „Nicht ein Härchen werde ich zurück behalten von dem, was diese mir hierher brachten.“

Wir gaben uns die Hand, und so war der Handel geschlossen.

Stranmur hielt Wort. Mein Schiff war zwar anstatt mit reichem Kaufmannsgut nur noch mit Sand und Quadern als Ballast angefüllt, aber beide Schiffe, das meinige und das der hier Gestrandeten wurden von ihm zur Reise aufs beste ausgerüstet und mit allem Nötigen versehen. Es währte nicht lange, so fuhren unsere Schiffe mit gutem Winde der fernen Heimat zu.

Als wir dort angekommen waren, wo unsere Wege sich scheiden mußten, und der Weg für Jene nach Engelland, der meine auf Utrecht zu ging, erfuhr ich, daß zwei der Jungfrauen, die die junge Königin umgaben, mit ihr aus Norwegen gekommen waren, die andern zwölf edlen Mägdelein aber aus Engelland stammten. Da nahm ich die Königin mit ihren zwei Gefährtinnen aus ihrer Heimat zu mir aufs Schiff. Wenn Wilhelm von Engelland noch lebte oder König Reinmund sein Kind aufsuchte, so sollten sie die edle Königin Irene unversehrt und gesund bei mir wiederfinden.

„Fahrt Ihr getrost nach Engelland, edle Ritter, nehmt die edlen Jungfrauen in Eure Obhut[1] und führet sie der Heimat zu. Geht es Euch gut, dann mögt Ihr mein gedenken“, sprach ich. Wohl boten sie mir an, bei mir zu bleiben, bis man das Lösegeld für sie gezahlt hätte, ja einige [226] drangen sogar eifrig in mich, sie nicht eher zu entlassen, als bis man mir Ersatz für meine kostbare Ladung geschafft hätte. Ich nahm es nicht an. „Geht getrost heim zu Euren Eltern und Kindern“, sprach ich, „lebt Euer König noch, so thut ihm alles kund, auch mögt Ihr König Reinmund Kunde geben. Ich werde Euch Boten senden, wollet Ihr dann meines Dienstes bei Euch gedenken, so wird es mir willkommen sein.“

Sie überhäuften mich mit Dankesworten. Das Scheiden kam uns bitter an. Dann fuhren jene mit ihrem Schiffe dem Themsestrome zu, das meine nahm dem Rheine entgegen seinen Lauf.

Nicht lange währte es, so erblickte ich die gute Stadt Köln am Rheine. Ich sandte Boten voraus an mein Gemahl. Sie mußten ihr berichten, daß ich froh heimkehre und reichen Kaufschatz wie noch nie mitbringe.

Sie kam mir entgegen mit meinem Sohne, und Scharen von Bürgern, jung und alt, begleiteten sie. So ward ich wie auch die holde Königin wohl empfangen. Aber wie klein wurde aller Freude, als sie das Schiff bestiegen, um mein erhandeltes Gut zu sehen, und nichts als Stein und Sand aus Afrika zu erblicken war. Das teuere Gut, was ich für meine Schätze erhandelt hatte, führte ich an der Hand hinweg.

„Wo blieb das reiche Gut, Gerhard?“ fragte mein Weib. „Statt reich gefüllter Truhen sind hier nur Sand und Quadern zu schauen.“

„Hadre nicht mit mir, lieb Ehgemahl“, sprach ich, „sieh hier, aller Frauen Krone tauschte ich dafür ein.“ Mein Weib aber stand und rang die Hände: „Bist Du von Sinnen, Gerhard“, rief sie, „daß Du Dir heimbrachtest solche Teufelsbraut?“

Die junge Königin weinte mit ihr, als sie solchen Empfang von meinem Gemahl bekam.

„O weh mir“, schluchzte sie, „wär’ ich doch in der Gefangenschaft geblieben! Viel lieber wollte ich trübe Tage ferner erdulden, als Dir, Deinem Weibe und Kinde solchen Gram schaffen! Ich tadle Dein Weib nicht, daß sie um das verlorene Gut sich härmt. Wer weiß denn, ob ihr je Ersatz wird? Mein süßer Bräutigam kann gestorben, vielleicht auch mein Vater vor Gram umgekommen sein. Obgleich ich einst nur Gold- und Seidenmaschen zu wirken gewöhnet war, so will ich doch jetzt Euch gern die niedrigsten Dienste thun.“

[227] „O sänftigt Euren Kummer, edle Königin“, entgegnete ich, „Ihr kennt nicht meines lieben Gemahles Gemüt. Sie hatte wohl Recht, mich voll Thorheit zu wähnen, da ich mich sogar zuerst unterfing, mit Necken ihr zu begegnen. Klär’ ich nur erst das Rätsel auf, so werdet Ihr sehen, ihr Herz verzichtet gern auf bessern Kauf, und sie wird unserm Gaste eine frohe Wirtin sein.“

Mein Weib sprach: „Ich vertraue Dir, es ist genug, daß ich gesund Dich wiedersehe. So sei mir auch hoch willkommen dies edle Königskind.“ „Laß sie uns nicht mehr zürnen“, bat nun auch mein Sohn Gerhard; „ich will ihr gerne dienen so viel ich kann, nie soll ein lieberer Gast uns erschienen sein, als diese holde Frau, die Du aus Heidenbanden erlöstest.“

So führten wir die Fürstin samt ihren Jungfrauen unter unser Dach. Wir räumten ihr schöne Gemächer ein und führten ihr manche edle Maid aus der Stadt als Gespielin zu. Alle nahmen sich die holde Frau zum Vorbild. Diese aber unterwies die anderen in allerlei schöner Arbeit. Mit Borten fein, mit Perlen und Gesteinen ward mancher Seidenkragen schön gestickt. So lebte die junge Königin unter uns, und wer sie ansah in ihrer Lieblichkeit und Schöne, dem wurde das Herz froh.

So war länger als ein Jahr vergangen und keine Kunde war uns gebracht worden, ob König Wilhelm, ob König Reinmund noch am Leben seien. Obgleich die junge Königin ihren Kummer zu verbergen suchte, sahen wir wohl, wie sehr sie sich im Stillen grämte. Hörte sie den Namen Wilhelm, so rannen heiße Thränen aus ihren Augen. Sie werden längst gestorben sein, nach denen sie so sehr sich sehnt, so dachte ich, wie sollte es sonst kommen, daß kein Bote sich hier blicken läßt? Auch von den Freunden in Engelland hörten wir nichts.

So stiegen endlich bange Zweifel um das Wohl der Königin in mir auf. So lange ich lebte, wollte ich ihr schützend und als treuer Berater zur Seite stehen, das gelobte ich mir. Aber was sollte einst aus ihr werden, wenn vielleicht gar zu ihrem Leid noch Not und Armut sich gesellten? Dieser Gedanke ließ mir keine Ruhe mehr.

So ging ich denn eines Tages zu der Fürstin. Ich bat sie, mich in Geduld anzuhören, und mir nicht zu zürnen, sollte auch meine Rede ihren Unmut erregen.

[228] „Edle Frau,“ sprach ich zu ihr, „der Sorgen mancherlei beschweren mein Herz bei Tag und oft sogar bei Nacht, doch am meisten bedrückt mich der Gedanke, was aus Euch werden soll, wenn ich einst nicht mehr bin. Euch lebt kein Bräutigam und kein Vater mehr. Längst wohl hätten sie sonst Euch Kunde von sich gegeben. Nun hört den Rat, der Euch vom Freunde kommt. Wie sehr Ihr auch gefaßt seid auf alles, so wißt Ihr doch nicht, welch schwere Last, auch unverschuldet, die Armut ist. So wollet denn mit Vernunft handeln. Verschmähet nicht den Gatten, den Eures Pflegers Haus Euch bietet. Verschmähet die Zunft der Kaufmannschaft nicht. Sie schafft Ehre und reichen Lohn, das habt Ihr wohl an mir und meinem Sohne erfahren. Ihn biet’ ich Euch zum Gemahl an. Weiset ihn nicht von Euch. Kein Tag bringt Euch zurück, was einst Ihr besaßet. Bemühet Euch zu vergessen, was ein böses Geschick Euch raubte.“

„Lieber Vater“, antwortete die edle Fürstin, „Ihr seid mein bester Berater auf dieser Welt. Ich werde thun, was Euch am besten scheint. Auch weiß ich keinen, der mir so gut, so treu und so des besten Glückes wert erscheint als Euer Sohn. Doch habe ich eine Bitte noch, und Du wirst sie, lieber Vater, mir nicht versagen. Laß mich ein Jahr noch warten, laß mich noch hoffen, ob er nicht doch noch wiederkehrt, den ich so lang’ ersehnte, mein Glück, mein Lebensheil. Ich weiß, er lebt, o vielleicht seh’ ich ihn noch dieses Jahr. Wo nicht, so will ich gern in Deinen Willen mich ergeben.“

Ich willigte ein, lag doch das Glück der holden Königin mir einzig im Sinne.

Das Jahr war bald verschwunden. Keine Kunde hatte es gebracht weder von Norwegen noch von Engelland. Die Königin sollte nun eines Kaufmanns Weib werden. Sie verbarg unter fröhlichen Gebärden ihre Traurigkeit. Als ich jedoch sah, daß sie entschlossen war, meines Sohnes ehelich Gemahl zu werden, dachte ich, kein Glück auf Erden könne dem unsern gleichen. Ich ließ mit großer Pracht alles zur Hochzeit herrichten. Mein Reichtum sollte Niemandem verborgen bleiben. Ich ging auch zu dem Erzbischofe, dem Fürsten von Köln, erzählte ihm alles, was sich mit mir begeben und pries ihm laut meines Sohnes Ehre und Glück. Mag’s auch der Neider viele geben, rühmte ich mich, ich frage nicht danach. Ja, [229] Herr, ich gelüste sie noch zu mehren, indem ich mich unterfange, zum Hochzeitstag Euch, hoher Fürst, in mein Haus zu laden. Euer huldreich Kommen würde erst mein Glück vollkommen machen.

„Dein Sohn, der stolze Knecht“, erwiderte hierauf der Bischof, „ist wie selten Einer aller Ehren wert. Drum werde ich ihm zu Pfingsten Dienstmanns Recht gewähren und an seinem Hochzeitstage mit dem Ritterschlage ihm die höchste Würde verleihen. Ich werde an dem Tage auch Dein Gast sein und mit viel teuren Genossen bei Dir einkehren.“ Da schied ich denn voll Dank von meinem Herrn, und lud darnach die Edlen, die Ritter und Grafen und viele reiche Bürger in mein Haus. In meinem Hofe ließ ich einen weiten Kreis, ringsum mit hohen Sitzen umgeben, herrichten. Hier sollte man zuschauen, wie die Ritter einander im Kampfe maßen.

Nun war der Heiligabend vor Pfingsten da. Mein Sohn ritt vor die Stadt hinaus, um die von fern herkommenden Gäste zu empfangen. Auch der Fürst Bischof kam mit großer Pracht geritten. Die edlen Herren waren uns so wohl gewogen, daß sie einstimmig meinen Sohn Gerhard für würdig erklärten, morgen aus des Bischofs Hand das Schwert des Ritters zu empfangen.

Da führte ich die junge Königin zu meinem Herrn hin, und sie wurde meinem Sohne zur Ehe verlobt. Sie ließ sich willig vom Haupt die Krone nehmen.

Nun ritten die Ritter in den Kreis, um sich in muth’gem Kampf schöner Frauen Gunst zu erwerben. Mein Herr führte Irenen zu ihrem Sitze und nahm an ihrer Rechten Platz. Oft ließ mein Sohn vom Fechten ab, um zu der holden Maid hinzureiten und mit süßen Blicken sie anzuschauen. Oft auch sandte er vom Rosse herab viel Grüße zu ihr hin.

Da begann der Tag zu sinken. Die heilige Nacht zog herab. Wohl sehnte sich mein Sohn danach, bei der wunderschönen Frau zu sein, doch mußte er sich’s versagen, bis er am nächsten Tage mit Ritterspflichten auch Rittersrechte empfing.

Am anderen Morgen erklangen laut vom nahen Dome die Glocken. In königlichem Schmucke kam die Braut zum Gottesamt gegangen. Viel schöne Frauen und Mägdlein, mit glänzendem Geschmeide angethan, folgten [230] ihr nach. Nach ritterlichem Brauch trug auch mein Sohn ein Kleid von teuerem Sammete bei diesem Gottesamt. Elf junge Edelinge, die mit ihm zugleich heute den Ritterschlag empfangen sollten, knieten in der Halle neben ihm. Als die Messe verklungen war, beugten sie alle ihre Kniee vor dem Bischof, der ihre Schwerter segnete. Fröhlich sprangen dann die jungen Ritter – erst noch Knappen – hinaus und zerbrachen ihre Schäfte.

Was stand nun noch dem Glücke meines Sohnes im Wege? Kaum werdet Ihr ahnen, was jetzt sich ereignete.

Schon saß Gerhard beim Hochzeitmahl der Braut zur Seite, da sah ich plötzlich etwas entfernt einen Fremdling stehen. Die hellen Thränen rannen ihm über das bleiche Antlitz, so sehr er auch sich ihrer zu erwehren bemüht war. Wankend hielt er sich an einer Säule fest, und ich sah wie sein Blick nur nach Irenen gerichtet war. Ich trat ihm näher. Zerrissen war sein Gewand, und sein Anblick rief tiefes Erbarmen in mir wach. Doch sah ich bald trotz der Fetzen, in denen sein Kleid herab hing, trotz des Staubes, der Wang’ und roten Mund ihm schwärzte, daß es ein schöner, junger, hochgewachsener Mann war, der vor mir stand. Blaue Adern durchzogen seine weiße Haut. Ich hielt ihn für einen Angelsachsen. Herr Gott, dachte ich, was führt den Fremdling heute her? Was ist’s, daß er nur nach der schönen Braut hinblickt?

Ich ging zu ihm und fragte ihn um sein Leid. Lange wollte er mir die Antwort weigern. Da führte ich ihn abseits und ließ nicht ab, in ihn zu dringen. „Wie kommt’s“, forschte ich, „daß ich so elend Euch vor mir sehe, wie kommt’s, daß Euch Irenens Anblick so großen Schmerz bereitet? Ich sah es wohl, wie Ihr die Hände wandet. Wie ist Euer Name? Wer je nur trauernd zu mir kam, wurde gern von mir erfreut.“

„Ich lebe“, sprach der Fremde, „in so großer Pein, daß nichts mir willkommener wäre als der Tod. Wohlan denn, ich heiße Wilhelm, Wilhelm von Engelland. Meine Ahnen beherrschten dies Land, und auch mir ward die Krone, als mein Vater starb. Mit achtzehn Jahren fuhr ich um eine Braut über’s Meer gen Norwegen. Von stattlichem Gefolge umgeben, mit vierundzwanzig Grafen und zwölf Jungfrauen kam ich zu König Reinmunds Hofe. Seine liebliche Tochter, den hehrsten Engeln gleich, bot mir der König zum Gemahl, doch sollt’ ich schwören ihrer zu entsagen, bis ich das Ritterschwert

[230a]

Der gute Gerhard von Köln.

[231] empfangen hätte. Ich schwur den Eid. Da übergab mir König Reinmund Irenen mit zweien ihrer Jungfrauen, doch mußte sie umgeben von meinen Rittern die Fahrt nach Engelland antreten, während ich mit Reinmunds Heer ein anderes Schiff bestieg. So nah dem süßen Ziele, sollte ich es doch nimmermehr erreichen. Furchtbare Stürme überfielen uns auf der Fahrt und trennten beide Schiffe weit von einander. Endlich strandete unser Schiff und versank. Während ich selbst noch an meines Schiffes Mast mich festgeklammert hielt, sah ich die Getreuen in den Wellen untergehen. Nachdem ich lang umhergetrieben war, kam ich ans Land. Wo das Schiff, das mein theueres Gemahl mit sich führte, geblieben war, war mir gänzlich unbekannt. Und nun finde ich, die ich seit Jahren gramerfüllt, verzweifelnd gesucht, als eines Anderen Braut wieder! Noch einmal durfte ich sie sehen, der ich zu eigen einst gehörte, die schönste aller Frauen. Nun, Leben, fahre hin!“

Da ich voll Kummers den fremden Gast so klagen hörte, forderte ich ihn auf, sich mir auszuweisen als Wilhelm, König von Engelland. Er entgegnete: „Wohl hat der Gram mich lange Zeit umher getrieben in der Fremde, und mein Gewand deutet nicht auf königliche Würde, doch käme sie mir nahe und sähe dies Ringelein, sie würde mich wohl erkennen. Nun aber möge Euer edler Sohn an ihrer Seite lange und glücklich leben. Ich will mir nichts erstreiten, sondern wieder still von dannen gehn.“

„Gott hat ein großes Wunder an Euch gethan,“ sprach ich hierauf zu dem betrübten Gast; „er kann Euch auch leicht wieder zu Ehre und vollem Glücke bringen. Harret hier mein! Ich kehre bald zu Euch zurück.“

Ich ging hinweg und ließ dem Fremdling ein köstlich Bad bereiten. Linde Hände mußten ihm Haar und Bart scheren. Dann ließ ich ihm prächtige Kleider bringen. Und so stand er mit einemmale in voller Schöne, wie neugeboren, vor meinen Knappen da.

Darauf begab ich mich zu dem Bischof, der noch beim Mahle saß, zog ihn beiseite und erzählte ihm die Wundermähr. „Herr,“ sprach ich, „bei diesem allen empfinde ich so Glück als Leid. Mein Gerhard war so wohl beraten mit diesem Königskind, und nun soll er weichen?“ Und doch hat Gott so großes Wunder an diesem Herrn gethan, daß es Christenpflicht ist, meinen Sohn verzichten zu lassen. Helft mir, Herr, ihn dazu zu bewegen. [232] „Wenn’s auch mir mehr zu Leide als zu Liebe geschieht,“ antwortete der Bischof, „so will ich doch gern Euren Sohn ermahnen, daß er zurücksteht vor dem Fremdling. Doch kenne ich Euren Gerhard wohl, er wird nimmermehr sein Gewissen mit fremdem Raub beschweren wollen.“

Ich rief meinen Sohn von der Seite seiner Braut hinweg. Voll Bestürzung vernahm er meinen Bericht, wie Gott den Herrn der Angeln so wunderbar gesandt hätte zum Hochzeitsmahle, und daß er jenem nun sein teueres Ehegemahl nicht verweigern dürfe.

Mein armer Sohn stand stumm da, kein Wort kam über seine Lippen. „Gerhard,“ drang der Bischof in ihn, „Gerhard! willst Du scheiden, was Gott verbunden hat? Willst Du einst als Ehebrecher vor Gottes Thron erscheinen? O bedenke, daß Gott zur rechten Stunde der holden Königin den trauten Gemahl, wie vom Tode auferstanden, wieder zugeführt hat. Willst Du diejenigen trennen, welche die Minne fest verbunden hat, so daß sie ein Herz und ein Leib sind? Willst Du Gottes Fluch auf Dein und Deines Vaters Haupt laden?“

Da endlich hub mein Sohn an zu reden: „Soll ich mir alles nehmen lassen, meinen Frieden, mein Glück und meine Ruhe?“ „Gieb hin, mein Sohn!“ ermutigte ihn der Bischof, „Gott wird Dir seinen Frieden schenken, hier schon auf Erden und noch mehr einst in jenem Leben.“

„Gottes Hand liegt schwer auf mir!“ klagte mein armes Kind; „die ich so lieb hatte, die fordert er von mir.“ „Hast Du sie wirklich lieb, die edle Königin,“ erwiderte der Bischof, „wohlan, so zeige es ihr, indem Du ihrem Glücke das schwerste Opfer bringst.“

„Mein Vater,“ hub endlich sich ermannend mein Gerhard an, „wohl, es sei. Zeigt mir ihn, der um meine Liebe freit.“ Nun ward ich froh und zog mein Kind an meine Brust, und beide weinten wir vor Liebe und Leid.

Jetzt riefen wir den König von Engelland. Da kam er und stand vor uns im lichten Glanze der Schönheit: blond, hoch gewachsen und minniglich.

Der Bischof war inzwischen wieder zum Mahl gegangen und saß dort an der Seite der jungen Königin.

Ich ließ dem König von Engelland ein Pferd bringen, und so ritten mein Sohn und ich mit ihm zum Staunen der versammelten Menge zur [233] Hochzeitstafel hin. Der Bischof empfing uns dort. Er hieß den fremden Gast sich neben die Braut setzen. „Sagt mir, lieber Vater“, sprach jene alsbald, „wer ist der fremde Ritter?“ „Kennt Ihr ihn nicht?“ ward Ihr zur Antwort; „ist es nicht Wilhelm, Euer Gemahl?“ „O habt Erbarmen!“ bat sie weinend; „was soll Eurem armen Kinde doch der Spott?“

„Herzliebes Leben“, vernahm sie darauf ihres Liebsten Stimme, „kennst Du dies Ringelein nicht? Du gabst es mir bei einem bitteren Scheiden, wie Du das gleiche von mir empfingst.“ Sie sah ihn an mit Thränen, dann rief sie aus: „Herzliebster! sei willkommen! o willkommen tausendmal!“

Dann sank sie erbleichend hin. Des jungen Königs Arme umfingen sie. Mit Küssen weckte er sie auf zum seligen Lebensrausche. Nicht sahen sie mehr den Schwarm der Gäste. Sie hielten sich umschlungen, als wollten sie nimmer mehr von einander lassen. Sie sahen sich an und konnten sich nicht satt sehen. Verschwunden schien vor ihnen die ganze weite Welt umher.

Da faßte mich ein Freudenrausch. Ich dankte Gott, daß er mir damals im Traume so süßen Rat gegeben hatte. Nicht dünkte mich mehr das Opfer zu groß, das ich an Gold und Silber hatte bringen müssen.

Da blickte ich auf den jungen König und sah, welche Spuren das überstandene Elend auf seinem schönen Gesichte zurückgelassen hatte. Er hatte jetzt über all seinem Glück das Essen und Trinken ganz vergessen. Ich mahnte Irenen daran, da legte sie selbst ihm Speise vor und weinte Freudenthränen in den Wein, den sie ihm kredenzte.

„Da Euch nun noch immer ein Eid den Weg zum vollen Glücke sperrt,“ wandte ich mich an den König, „so verschmähet nicht – weiß ich mich gleich der Ehre nicht wert – bei mir das Schwert und den Ritterschlag zu nehmen.“

„Vater“, erwiderte hierauf der edle Gast, „gern folge ich Deinem Rate und, gefällt Dir’s wohl, so sei schon morgen der Tag. Du weißt am besten, was mir frommt. Hast Du doch die Meinen von großem Leid errettet, dazu auch noch mein süß Gemahl.“

Hätte nicht die Liebe ihn dazu getrieben, wohl nie hätte König Wilhelm von Engelland darein gewilligt, bei mir, der doch solcher Würde viel zu fern stand, Ritter zu werden.

Nun aber ließ ich ihm mit königlicher Pracht ein Fest bereiten. König [234] Wilhelm wurde Ritter, wie Tags zuvor mein Sohn, und nach dem Harme einer langen Trennung durfte ihm die holde Königin nun ganz angehören. Es war ein freudenreicher Tag.

Die Feste waren verklungen, die Hochzeitsgäste hatten sich zerstreut, da trat eines Morgens der junge Fürst zu mir ein. „Vater“, sprach er, „Du wirst mir Rat geben in meinen Sorgen. Mein süß Gemahl hast Du mir wieder gegeben, aber noch immer bin ich meines Landes beraubt. Die Großen meines Volkes wähnen mich längst gestorben. Einige wollen mich verstoßen, wenn ich auch wiederkäme, um sich selbst zu erhöhen. Zwar weiß ich die Besten mir getreu, doch sind viele Plätze schon in meiner Feinde Hand. Nur Du, Vater, kannst helfen, wenn Du mir Mittel und Wege giebst, mein Land wieder zu erreichen.“ „Ich habe das alles wohl bedacht“, entgegnete ich ihm. „Ein Schiff liegt schon am Strande, und ich selbst will Euch begleiten. Solltet Ihr aber Streit bekommen, so stehen viele tapfere Ritter zur Wehr bereit für Euch.“

Mit Weinen sah mein Weib die junge Königin, die ihr so lieb geworden war, von sich scheiden. Wir fuhren mit gutem Winde hinab den breiten Rhein. Dann nahm das offene Meer uns auf. Der Himmel war unsrer Fahrt günstig, und so währte es nicht lange, bis wir die Themse hinauf der Hauptstadt Wilhelms zuflogen. Was für ein Getreibe fanden wir da, die Werft, den Strom entlang! Der Sicherheit wegen begab ich mich vorerst nur mit zweien meiner Knappen in die Stadt, während die übrigen verborgen im Hafen zurückblieben.

Als ich am Thore der Stadt anlangte, konnte ich im Gewühl der Menge des Volkes, welches auf und ab wogte, kein deutlich Wort vernehmen. Da mußte ich mich entschließen Nachtherberge zu nehmen. Der Wirt, den ich antraf, schien mir ein gefälliger Mann zu sein, und so fragte ich ihn, ob etwa ein Turnier so viele Gäste herbeigelockt habe. „Ihr müßt weither gekommen sein“, war seine Antwort, „daß Ihr nicht wißt, was für ein Tag hier bevorsteht. So hört denn! Der junge König dieses Landes ist gestorben. Es ist schon längere Zeit her, und noch hat sich kein neuer Fürst, der unser Herr wäre, gefunden, die Verwirrung wuchs von Tag zu Tag, und keine Einigung kam bisher zu Stande.

[235] Die einen wollten diesen, die anderen jenen zum Herrscher haben. So ersah endlich das Volk, des ewigen Streitens müde, sich vierundzwanzig Edle aus, die es übernehmen sollten, den neuen König zu wählen. Dieselben tagen nun heute im hohen Saale mit drei Erzbischöfen, welche ihnen beigegeben sind.“

Als ich dies vernahm, machte ich mich rasch auf, um den Eintritt zu dem Saale zu suchen. Die reichen Kleider, die ich trug, halfen mir bald an’s Ziel. Keiner der Thürhüter verwehrte mir den Eingang. Ja, im Saale angelangt, wurde mir sogar ein Stuhl angeboten. Ihr könnt Euch meine Freude und mein Erstaunen denken, als ich die vierundzwanzig edlen Ritter vor mir erblickte, die ich im Heidenlande aus so großer Qual errettet hatte. Doch keiner von allen erkannte mich sogleich. Ich trat zu ihnen heran mit den Worten: „Edle Herren, habt Ihr nun einen gefunden, der hoch genug geboren wäre, um hier dem Reich ein König zu sein? Habt Ihr ihn nicht gefunden, so könnte vielleicht mein schlichter Rat Euch frommen.“ Sie sprachen: „Wer hier so weise ist, uns raten zu können, der möge frank und frei hier seine Meinung aussprechen.“

„Wohl kann ich“, wandte ich mich hierauf zu den Versammelten, „Euch einen König nachweisen, dem die Krone Englands ziemte, wie keinem andern. Er ist von hochedler Geburt und hoher Tugenden voll.“

„Wie nennt Ihr Euch?“ riefen da einige, „haltet Ihr nur halb, was Euer Mund uns eben verhieß, so soll der Tag, der Euch geboren, gepriesen sein!“

Da nannte ich ihnen meinen Namen. Als sie den Namen hörten, Gerhard von Köln, sprangen sie empor. Sie lagen mir am Halse, sie stürzten mir zu Füßen, sie nannten mich Vater, Bruder!

„Gott sandte Dich hierher!“ riefen sie, „Du sollst die Krone tragen, keinem Herrlicheren gebührt sie.“ Wie ich mich auch bemühte, mich ihnen verständlich zu machen, ihnen zu erzählen ihres jungen Königs Los, ihr lauter Jubel ließ mich nicht zu Worte kommen. Die Thür wurde aus den Angeln gerückt, ich selbst empor gehoben auf einen Schild und auf den Markt getragen. In der Mitte desselben stand ein Stuhl, und trotz allen Sträubens wurde mir die Krone auf das Haupt gesetzt. Laut riefen sie mich zum König von Engelland aus, und alles Volk stimmte jauchzend [236] ein. Dann wollten sie mir huldigen, wollten mir den Eid schwören. Kein Weigern wollte helfen, bis ich endlich mit drohenden Worten mir Gehör erzwang.

„Ihr Herren“, hub ich an, „habt Ihr mich nun zu Euerem königlichen Herrn ernannt und habt die Krone mir auf’s Haupt gesetzt, so werdet Ihr nun auch erlauben, daß ich abdanke. An meiner Statt, der ich nur eines Kaufmanns Sohn bin, werde ich Euch den Mann bringen, hochgeboren und aus königlichem Blute stammend, der die Krone mit Würde tragen wird. Ich habe ihn gefunden.“

„Nein“, ertönte es von aller Lippen, „mein Vater, wir wollen gern für unser Reich auf den fürstlichen Herrn verzichten. Du gabst uns Leben und Freiheit wieder, Du allein sollst über uns herrschen.“

„Habe ich Euch je was zu lieb gethan“, sagte ich, „so that ich, was mein Herz erfreute, und reich bin ich dafür nun belohnt worden. Ihr habt mir eine Krone und ein Land dafür gegeben! Das alles biete ich nun aber mit Freuden dem rechten Erben, dem Königssohn, Wilhelm von Engelland dar.“

„Wilhelm von Engelland!“ sprachen sie mit traurigen Geberden. „Ja, lebte er noch! – Aber wehe uns, er ist ja tot!“

„Nein, freut Euch! er lebt!“ rief ich, „und Irene, sein traut Gemahl, dieselbe, die Ihr einst mir anvertrautet, ist bei ihm! Sie sind Euch ganz nahe. Auf, kommt mit mir zum Hafen, da sollt Ihr sie selbst schauen.“

O, da begann ein Sturm! Sie sprangen auf, sie riefen nach Rossen nach Panier, nach ihren Knappen. Bald sah man die edlen Ritter alle in goldener Kleider Pracht, auf reichgeschirrten Rossen dem Hafen zueilen.

Schon hatte ich meinen Knappen zu König Wilhelm mit der Botschaft voraus gesandt.

So ritt König Wilhelm ihnen, mit reichem Hermelin geschmückt, entgegen. An seiner Seite ritt Irene, die wunderschöne Frau, und ein stattliches Geleit begleitete sie.

Da gab’s ein herrlich Grüßen! Mit Freudenthränen umarmte der König die Getreuen. Da stand auch die Königin bereit, sich küssen zu lassen, sie hatte mit ihnen das bittere Leid erdulden müssen.

Im langen stolzen Zuge ging’s nun nach der Stadt hin. Mit frohem Sang und Klang kam auch der Erzbischof gefahren. Bürgerscharen gesellten [237] sich dazu. Endlich war das edle Königspaar im hohen Saale angelangt und empfing dort die Königskrone. Nun wurde Recht und Gerechtigkeit gesprochen, die Verräter wurden bestraft, und dem ganzen Lande der Frieden zugeschworen. Boten wurden mit der frohen Kunde nach aller Herren Ländern ausgesandt. Könige kamen herbei, und auch König Reinmund kam angefahren mit tausend Rittern und manchen holden Frauen. Ich darf Euch nicht die Wonne schildern, welche die junge Königin hierbei empfand. Zu lange würde es Euch auch währen, wollte ich Euch den Glanz, die Pracht schildern, welche sich entfaltete.

König Wilhelm beriet nun mit seinen Getreuen, was man mir doch zum Lohn geben könnte, ehe ich schied. Und nichts anderes als Kent, das Herzogtum, hatte man mir ausersehen. Als all die hohen Gäste nun im Kreise rings um ihn herum saßen, hieß der König alles schweigen und begann auf mich zeigend also zu reden:

„Hier sitzt, der mich und meine Genossen errettete, der neues Leben in meine Brust flößte, als ich, ein Kranker an Seele und Leib, bei ihm einkehrte. Er gab mir Gesundheit wieder, und ein Weib, welches er dem eigenen Sohne nahm. Auch büßte er der reichen Schätze viele ein, und gab uns Leben, Ehre und Habe wieder. Wir werden stets seine Schuldner bleiben; doch zum Zeichen, daß wir erkenntlich sein möchten, bieten wir ihm das Herzogtum Kent zum Fahnenlehen an.“

„Herr, glaubt mir“, erwiderte ich, „ich bin Euch dankbar für das Geschenk, das Ihr mir zugedacht habt. Glaubt mir, ich werde es Euch in Treuen nimmer vergessen; aber dennoch kann ich die hohe Ehre, die mir jetzt zu Teil werden soll, nicht annehmen. Ich bin zu hoch, zu niedrig für Euren Lohn: zu hoch, weil man die Königswürde schon einmal auf meine Schultern legte; zu niedrig, weil ich doch immer nur ein schlichter Kaufmann bin. Indessen könnt Ihr mich beglücken, edler Herr, wenn Ihr mir gebt, was ich selbst von Euch erbitte. Schwört mir, Herr, denen die Schuld zu erlassen, die sich an Euch, an dem Reiche vergingen. Laßt allen Groll verschwinden, auf daß sie, die irrten in böser Zeit, wieder Rechte und Anteil an Euch haben. Gewährt mir dies, o Herr, das sei mein Fahnenlehn!“

„Wohlan, es sei“, sprach da mein königlicher Herr. „Wer sich je an mir verging, dem sei die Sühne erlassen, ich will ihm meine Huld wieder [238] schenken. Doch nun nimm, wenn Du selbst es nicht willst, für Deinen Sohn dies Lehen an. Nimm an die Stadt London und eine Grafenkrone für ihn!“

„Nein, Herr“, erwiderte ich, „es geht nicht an. Ein Kaufmann hat wohl mit Kronen zu schaffen, doch sind’s dann nur gemünzte.“

„Edle Herren“, sprach da mein Sohn, „verschont uns mit Kronen und mit Waffen, laßt meinen Vater und mich zurückkehren, es wird das Beste für uns sein.“

Doch Irenen’s süßer Mund ließ nicht ab mit Bitten, ich mußte ihr versprechen, doch wenigstens zur Abschiedsstunde ein Kleinod von ihr anzunehmen.

Nun kamen die Ritter, denen der König auf mein Bitten die Sühne ihrer Vergehen erlassen hatte. Sie küßten den Saum meines Mantels und begleiteten mich im Triumphe durch die Straßen, wo die jauchzende Menge mich empfing.

Der Tag des Abschieds kam, und alle weinten, wie ich selber mit weinte. Dann erschien die holde Königin Irene, brachte mir gar viel des kostbarsten Geschmeides und sprach: „Lieber Vater, nimm dies für dich und meine gute Mutter, die mich so lange pflegte, zum Angedenken mit.“ Da nahm ich, um sie nicht zu kränken, eine Spange und dies Brustgeschmeide. Mein Weib erfreute die Spange unsäglich, die sie stets trägt, und das Geschmeide hege ich als Kleinod an meiner Brust.

Trübe sahen sie mich scheiden und blieben am Gestade, bis wir einander entschwanden.

„Als ich nun heimkehrte, ward dem Volke vieles vorgerühmt von meinen Thaten, ausgeschmückt, überblümt! Da gab es mir denn – ohne Grund – den Namen des Guten. Ihr wißt wohl, hoher Herr, daß ich dazu nicht gut genug bin. Ich habe Euch ja erzählt, wie ich erst so langsam zum guten Entschlusse kam, wie erst der Engel im Traum mich heftig dazu antreiben mußte. Dazu trat ich nun heute als meines eigenen Lobes Verkünder Euch entgegen. Ach, glaubt nur, um recht hoch bei Euch zu steigen, verhehlte ich Euch Manches, was Euch, wüßtet Ihr’s, wohl Fehler auf Fehler meines Herzens zeigen würde.“

Als der gute Gerhard ausgesprochen, konnte der Kaiser, der ihm [239] lautlos zugehört hatte, das stürmische Pochen seines Herzens nicht mehr bezwingen. Thränen auf Thränen rannen ihm in den Bart. Und das war ein Segen für ihn, den Gott ihm schickte. Tiefe Scham und Reue über seinen Übermut erfüllte sein Herz. Der Demut duft’ge Blume war darin aufgeblüht. Er fühlte tief, wie so falsch doch sein eitler Ruhm gewesen sei.

„Gerhard“, sprach der Kaiser, „du viel werter Mann, denke nicht, daß du dich versündigtest, als du mir dein Herz aufschlossest. Deine Rede hat mich himmelwärts gewiesen. Es war gut, daß du mir nichts verschwiegest. Ich will dir’s klagen: mein Herz krankte an falschem Ruhme. Das Gute wurde weit von Stolz und Selbstvermessenheit überragt. Daß ich dem Herrn ein Haus erbaute, ein großes Stift, das war’s, worauf ich pochte, es hatte mich ganz mit dem Gifte des Hochmuts erfüllt. Ich wähnte, mir damit ein Recht auf’s ew’ge Leben erworben zu haben.

Nun büße ich’s mit Thränen. Gott selbst war es, der mich zu dir wies, damit ich von Dir Demut lerne. Wie klein erscheinen mir meine Thaten nun gegen das, was Du gethan! Reichlich ist mir gelohnt, daß ich so weit zu Dir geritten bin. Erflehe Du nun dem Kaiser, dem eitlen Rühmer, bei Gott das ewige Heil!“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ohhut