Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)/Zweites Gebot I
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Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir bei seinem Namen nicht fluchen, schwören, zaubern, lügen oder trügen, sondern denselben in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken.
Der Herr erhöre dich in der Not, der Name des Gottes Jakobs schütze dich! Ps. 20, 2.
Seit 1400 Jahren feiert die Kirche den Advent des Herrn. Am ersten Sonntag gedenkt sie der Niedrigkeit seiner Ankunft, da Er arm und gering denen sich naht, die aus der Armut erlöst werden wollen. Am zweiten Advent sieht sie hoffend auf die Zukunft hinaus, da Er prächtig und mächtig wiederkommen wird, zum Schrecken der Feinde und zum Troste der Seinen. Am dritten Adventsonntag denkt sie daran, wie Er jetzt noch täglich zu uns kommt in Wort und Sakrament. Und am vierten faßt sie die dreifache Zukunft, die einstige, die jetzige und die ewige, in den Lobpreis dessen, der vor der Türe steht, anbetend zusammen.
Mitten in diese Adventszeit fällt nun die Erklärung des zweiten Gebotes, die vom Mißbrauch und rechten Gebrauch des Namens Gottes handelt. Das zweite Gebot wehrt uns bei seinem Namen zu fluchen, zu schwören, zu zaubern, zu lügen, Unrechtes und Ungutes zu treiben, und heißt uns seinen Namen in allen Nöten anrufen, zu ihm beten, ihn loben und ihm danken. Da wird es gut sein, Gemeinde Jesu, wenn wir in dieser Abendstunde uns über den Namen Gottes etwas besprechen.
Die Frage wäre wohl die: ist der Name Gottes der, womit Er genannt werden kann oder der, womit Er genannt werden will?
Ach, wie vielfach wird das Unbegreifliche und Unfaßbare mit allerlei Namen belegt und bezeichnet! Dort ist es das Geschick, hier die allwaltende Natur, dort der Himmel, hier die Vorsehung, dort das große, alles umschließende Weltwesen, der Weltgeist, die Weltseele, das Weltgewissen, und hier sagt man dir: Du bist Gott, o Mensch, und Gott ist deinesgleichen; nicht Er ist Mensch geworden, sondern der Mensch ist Gott.
So sucht man ihm allerlei Namen zu geben, um das Unfaßliche faßbar zu machen. Man sucht es näher heranzuziehen und schließlich zieht man es in den Staub, sucht es begreiflich zu machen und beraubt es seiner Größe, will es der Seele bei dieser Benennung heimisch werden lassen und schließlich kann sie nimmer sich retten. Zu einem Begriffe, den ich nenne, zu einem Etwas, das ich bezeichne, zu einem Faßbaren, das ich mir vorstelle, kann ich nicht in meiner Not rufen: erhöre mich, lieber Herre Gott! und in meiner Sünde mich wenden: erbarme Dich mein, Herre Gott! und in meiner Todesnot mich flüchten: mache mich| selig! Es ist an dem, daß Gottes Name nicht das ist, womit Er genannt werden kann; das verflüchtigt sich dann am meisten, wenn man es am meisten braucht, das zerrinnt, wenn man seine Hand fassen will: Rette mich von meinen Widersachern! Das zergeht, wenn’s uns am allerbängsten ums Herze ist und man wünschen möchte, daß es bleibt.So darf ich sagen, ich muß es sagen: der Name Gottes ist das, womit Er genannt werden will. Er hat sich in einer unbegreiflichen Güte uns geoffenbart: Ich, der Herr, das ist mein Name! der persönliche Gott, den ich anreden, an den ich mich wenden, den ich fragen, den ich anrufen kann, Er ist der Einzige, der mir nicht gleich ist und doch von mir mit dem traulichen, kindlichen „Du“ angeredet werden darf; die einzige Person in der weiten, weiten Welt, die jenseits meiner Persönlichkeit steht, frei von Sünde, rein von Sorge, los vom Übel, todesmächtig, lebensgewaltig und doch mir allein zugewendet. Er ist der Herr, der seinen Namen mir kundgetan hat im Alten Testamente durch sein Schöpfungswerk: Herr unser Herrscher, wie herrlich ist Dein Name.
Der Herr, der mit großen, gewaltigen Runen sein heiliges Wesen in das Weltleben hineingeschrieben hat, vor dem die Berge beben und den die Welt des Meeres verkündet, der durch die Herrlichkeit des Sommers und durch die ernsten Tage des Winters verneuend, heilend, beruhigend schreitet. Er ist der Herr, der Gott, der seinen Namen in der Geschichte geoffenbaret hat: „Das ist mein Name, daß man mich ehre unter den Völkern!“ Der da die Tyrannen zerblitzte und die Throne der Machthaber stürzte und in die Weltgeschichte mit starker Hand eingreift, daß nicht geschehe, was die Welt will, sondern was Er will, und daß nicht werde, was Menschen gebieten, sondern sei, was Er heißt. Es ist der Gott, der durch Jahrtausende| auch dem blödesten Auge zeigt, daß Er Recht und Gerechtigkeit übet auf Erden und daß, wenn man am wenigsten an seine Nähe glaubt, Er sich am nächsten der Welt erzeigt, der Gott, der vor 100 Jahren unsere Väter vom Joch der Tyrannen und unser Volk vom Schrecken der Zwingherrschaft befreite und es dort auf den Leipziger Schlachtfeldern herrlich führte, daß Königreiche zerfielen und Machthaber ihr ruhmlos Ende fanden, und eine ganze Geschichtsentwicklung, die ganz Europa unter einen Namen zu bringen schien, plötzlich wie ein wirrer Traum zerstob. – Es ist der Gott, der seinen Namen nicht bloß in den gewaltigen Zügen der Natur und in den gigantischen Hieroglyphen der Weltgeschichte geoffenbart hat, sondern der dem geringsten Menschen, dem ärmsten Tagelöhner, dem unmündigen Kinde sich erzeigt: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten! Es ist der Gott, dessen Name auf den Lobgesängen der Armen und auf der Zerschlagenen Dank und Psalmen wohnt, der da in Schrecken Frieden, in Angst Freude, in Not Trost und in Sterbenssorge Leben und Seligkeit geschenkt hat: Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friedefürst.Und dieser Gott, der durch die Natur schreitet, allen geoffenbart, und in der Geschichte wirkt, heimlich und doch offenkundig, und dem einzelnen Menschenherzen sicher zeigt, wie der Prophet schreibt: Der Ich wohne bei denen, so zerschlagenen und demütigen Geistes sind usw. –, der Gott hat am letzten in diesen Tagen sich durch seinen Sohn geoffenbart, dem Er einen Namen, der über alle Namen ist, schenkte, so daß der Herr Jesus sagen kann: Wer mich siehet, der siehet den Vater!
Das ist der Name Gottes, nahe in Jesu Christo unserm Herrn. Das ist die Selbstoffenbarung Gottes, krönend vollendet in der Menschwerdung seines Sohnes. Das ist die Deutlichkeit Gottes, am Kreuze klar dargestellt| und in der Krippe ärmlich verborgen und doch dem Glauben kund.Wie kann ich dann meiner Zweifel Herr und meiner Sorge los werden? Ich kenne kein anderes Mittel, als daß ich ins Heiligtum gehe und bete, mich zurückziehe von mir selbst und den Saum seines Gewandes anrühre, in all den Rätseln zu meiner Seele sage: warte ein wenig; du begreifst nicht, aber du wirst es hernach erfahren! Viel zu hoch, als daß Er begriffen werden könnte, darum zweifle nicht!
Siehe, denke an dein eigenes Leben! Auch in diesem deinem Leben war gar vieles viel zu hoch, als daß du, der du jetzt seinen Wegen nachsinnst und seinem Gange nachsiehst, es begreifen möchtest. Er hat dich wunderlich, merkwürdig, eigenartig, vielleicht sogar ganz ungemeint geführt. Aber mein Geist muß Dir das Zeugnis geben, daß Du mich wirklich wohl geführt. Und jetzt nach vielen Jahren vielleicht mußt du sagen: wo ich hätte anders geführt werden wollen, da muß ich nun meinen Mund in den Staub stecken und sagen: Du hast alles wohlgemacht! Ich strauchelte oft, aber Deine Hand hielt mich; ich habe viel gezweifelt, aber Deine Treue wachte über mich, oft gefragt, ob gerade diese Wegwendung mich nicht ganz von Dir scheide und siehe, gerade diese Wendung des Weges brachte mich Dir und Dich mir näher.
Viel zu hoch, als daß ich es begreifen möchte! Luther hat als letztes Wort bekanntermaßen geschrieben – auf einem losen Zettel, den man zwei Tage nach seinem Tode auf seinem Schreibtisch fand: Wir sind Bettler, das ist wahr!.... Folge anbetend den Spuren: Der Gerechte läuft dahin und wird beschirmt.
Anbetend ihren Spuren! Ja, viel zu hoch, als daß Er ergründet werden könnte, als daß meine Gedanken ihn| ersteigen und meine Phantasie zu ihm hinanreichen möchte! Darum zweifle nicht, sondern bete! Im Gebet zerrinnt der Zweifel. Es ist, als ob ich aus der kalten Nachtluft, an der der Atem gefriert und das Blut in den Adern stockt, plötzlich in das heimlich durchwärmte Gemach eintreten dürfte. Nun vergesse ich Sorge und Kummer, Unpäßlichkeit, Unwirtlichkeit des Weges, ich bin daheim. So kommt man aus den erkältenden Zweifeln an Gott und aus den erstarrenden Fragen über Gott in eine heimatliche, frohgemute Atmosphäre, sobald man betet: Er so hoch und ich ein Bettler; ich so hoch und Er war arm. Er so fern und ich ihm so entlegen und nun naht Er zu mir, der Unbegreifliche, und jetzt ist das Rätsel gelöst: nicht Er hat sich von mir gefernt – denn Er steht mitten unter uns – sondern ich habe mich von ihm geschieden. Meine Untugenden haben sein Geheimnis unheimlich und seinen Namen unfaßlich gemacht. Als Er aber mir zu vergeben sich anschickte, da ward ich froh.Und zum zweiten. Der Name des Herrn ist ein festes Schloß, eine hohe Burg, ein Wartturm, viel zu fest, als daß er eingenommen werden könnte, darum fürchte dich nicht!
Wird nicht doch am Ende des 20. Jahrhunderts der alte Gott begraben werden? Wird nicht doch die Weltgeschichte Ihn in Trümmer schlagen?
Werden wir es nicht doch noch, vielleicht mit bitterem Weh, erfahren: Gott ist tot, es lebe die neue Welt! Liebe Christen! Daß es manchmal so durch die Seele zieht, darf uns nicht wundern. Es geht wirklich so viel Schweres durchs Herz. Aber der Name des Herrn ist ein festes Schloß, viel zu stark, denn daß es eingenommen und erobert werden könnte; darum fürchte dich nicht! Es gibt nie, daß ich so sage, ein neues Sprengmittel, das gegen diese Festung angewendet wird. Es ist immer die alte| Feindschaft mit neuen Namen, es sind nie neue Feinde, die die Festung berennen, es sind nur alte mit neuer Art. Und diese Festung, über die Jahrhunderte mit Unwettern hingezogen sind, auf der Gewitter ruhten, um die Blitze zuckten und Donner rollten, ist bis zur Stunde unversehrt geblieben. Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Wenn der Herr Jesus Christus kein anderes Wort in die Welt, die durch Furcht des Todes das ganze Leben in Knechtschaft sein müßte, hineingerufen hätte, als nur das eine Wort: Fürchte dich nicht! so müßten wir ihm schon dafür Lob sagen unser Leben lang. Denn all unsere Fasern erbeben und unser ganzes Gemüte erschrickt und unsere Seele ist sehr bange: da tritt Er mitten unter die betrübten und furchtsamen Jünger, hinein in die Gemeinde der Erschrockenen und Mutlosen, der Verzagten und Trostbedürftigen und spricht, wie einer, der alle Gewalt hat: Fürchte dich nicht! Und nun blicken wir auf ihn und sehen: Er trägt ja die Spuren dessen, was uns schreckte! Er hat ja in seinem hl. Angesichte die Zeichen davon, was uns ängstete! Er bringt in seiner ganzen Persönlichkeit die Erweise dessen, was uns so sehr sorglich machte! Er hat alles überwunden. So schreibt Luther an seine sterbende Mutter im Mai 1531: Das ist ein rechter Segensmann und Heiland, des will ich mich trösten, an den will ich mich halten; denn Er hat es gesagt: Sei getrost!Und wenn du zagst und dir um Trost recht bange ist: du hörst die Botschaft wohl, doch fehlt der Glaube; es gehen Wochen ins Land und deine Seele gleicht dem dürren, wüsten Erdreich. Es geht die Adventszeit vorüber, es kommt Weihnachten, die Passionszeit zieht vorbei, Ostern naht und dein Herz ist nicht froh geworden; denn im tiefsten Grunde wohnt das bittere Weh: Er ist nicht zu mir gekommen! Das ist dasselbe Weh, das einst die Jünger quälte: es war Abend geworden und Jesus war noch nicht gekommen. Und das andere Weh: kein Wort mehr erquickt mich. Ich kenne sie alle: Trostsprüche, Verse, Lieder, Gebete, aber ich bleibe bei ihnen allen ohne Trost.
So nimm das letzte Wort mit: der Name des Herrn ist ein festes Schloß, viel zu reich, als daß es je ausgehungert werden könnte! Siehe, wenn du darbst, ist Er dir sehr nahe, ist Er deiner Seele am nächsten. Und wenn du hungerst und dürstest nach Gerechtigkeit, kommt Er um dich froh und satt zu machen. Du bist ihn zu sehr gewöhnt, darum hat Er dir einen Hunger verordnet; du hast dich zu sehr verwöhnt, deshalb hat Er dir einen Mangel auferlegt. Wenn Er aber merkt, daß Leib und Seele im Staube liegen und kümmerlich leben, dann zeigt Er auf einmal, welche Reichtümer, welch unerschöpfliche Güte und Gnade, welche Himmelsgaben Er für dich Armen, Kranken und Hungernden besitzt. Glaubt es mir, auch im neuen Jahre beut Jesu Name Seligkeit. Viel zu reich, als daß je dieser Name aufgezehrt werden könnte.
Luther sagt einmal: So lange dir dein Name wert ist, ist Jesu und Gottes Name dir gar nichts wert. – Und| das sei die eigentliche Christenleidenschaft und das eigentliche Christenkreuz, daß sie, ihres Namens froh, an Gottes Namen nichts hätten, und, Gottes Namen froh, an dem ihren nichts mehr besäßen. – So ist es: so lange du an dir satt wirst, ist Gottes Name gar nichts für dich. Und so lange du in deiner Behausung lebst, gibt dir Gottes Name keinen Trost. Aber nun sind wir unseres Namens unfroh geworden; wir wissen, wie bald er verklingt wie eine matte Luft, als ob er nie gewesen und wie rasch er versinkt, als hätte er nie etwas bedeutet. Ihr wißt alle, wer seines Namens froh wird und seines Namens sich rühmt, der wird enttäuscht. Denn das sind die schwersten und auch die seligsten Stunden, wo der Mensch seinen Namen ablegen und vor sich selbst flüchten und nimmer genannt werden möchte. In der Stunde schaut man nach einem Namen aus, der über alle Namen ist, der dein eigenes Sterben überdauert und der sich der Sünde doch nicht schämt, der da einen Namen des Menschen mit Sünde und Schuld bedeckt sieht und doch ihn tröstet, der einen neuen Namen gibt, wenn der alte zu schwer und zu traurig ist. Gottes und des Herrn Jesu Name ist ein reiches Schloß. Fürchte nicht, daß Er aufgezehrt werde, weil so viele von ihm nehmen. O komme herzu, es ist auch für dich alles bereit! Der Gerechte läuft dahin und wird emporgehoben. Aus der Niedrigkeit des Lebens, aus der Schnödigkeit der Arbeit, aus der Blödigkeit des Gemütes, aus dem Todesschrecken, den das eigene Leben in die Seele bringt, wird er emporgehoben.Und dann glaube nur, wenn dir dein Leben so schwer wird, ist Er gekommen, der die Mühseligen mit ihrer Last und die Beladenen mit ihrer Sorge ruft, daß Er sie frei, ledig und froh mache.
So wünsche ich euch als Adventstrost, daß der Name des Herrn euch ein festes Schloß sei. Wenn ihr grübelt, zweifelt, so ruft Er euch zu: Kommet und sehet, wie freundlich Ich bin! Lobet, betet und danket! Und wenn ihr euch fürchtet, daß die Mauern der Festung erbeben, zerfallen und euch begraben möchten, so hört: der sie gebaut hat und den Bau mit Gnade trägt und ihre Mauern mit Verheißung stützt und all ihre Steine, mit Treue gefügt, festigt, der alte Gott spricht euch zu: Fürchte dich nicht.
Und wenn ihr darbt und euch um Trost sehr bange ist und euch der Feind zuruft: die alten Verheißungen sind vernichtet und die alten Quellen fließen nicht mehr und das Brot ist durch die Dauer der Jahre in der Wüste hart und ungenießbar geworden, so wird Er euch sagen: Aus meiner Fülle nehmt Gnade um Gnade!
Adventsangst – Adventstrost! Adventliche Angst: ach, wie werde ich vor Dir bestehen, wenn Du kommst! Werde ich Raum bei Dir finden, wenn Du bei mir einkehrest? Adventlicher Trost: Ich bin es, das ist mein Name; nicht mürrisch, nicht greulich und mein Geschrei wird nicht gehört auf den Gassen. Mein Name aber ist und seine Ehre, daß Ich den glimmenden Docht nicht auslösche und das zerstoßene Rohr nicht gar zerbreche. Denn Ich bin euer Friede.
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