Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)/Zweites Gebot II

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Zweites Gebot I Hermann von Bezzel
Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)
Zweites Gebot III »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Zweites Gebot II.
Du sollst den Namen deines Gottes nicht mißbrauchen!

 Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir bei seinem Namen nicht fluchen, schwören, zaubern, lügen oder trügen, sondern denselbigen in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken.

 Ich bin der Herr und sonst keiner mehr; kein Gott ist außer mir. Jes. 45, 5.


 Nichts ist so heilig, daß es nicht entheiligt werden könnte und nichts so teuer, daß es nicht seines Wertes beraubt werden möchte. Menschenzungen sind stärker als Gottes Name und Menschenhände gewaltiger als sein Recht. Er hat seinen Namen heilig gemacht, Menschen können ihn entheiligen. Er hat seine Allmacht groß werden lassen. Menschen sind stärker als Gottes Allmacht. Sein Name ist so heilig, rein und hehr, daß die Engel des Himmels ihn auszusprechen sich scheuen und in heiliger Ehrerbietung vor ihm sich beugen. Und die Zunge, dieses Übel voll tödlichen Giftes, kann auch diesen wunderbaren Bau in Asche legen und den Namen Gottes entheiligen. Seine Allmacht umschließt Himmel und Erde, alle Lande sind ihrer Ehre voll; seine Gewalt hält das Meer in Banden und seiner Größe müssen sich auch die Teufel beugen; aber der Menschenwille ist stärker als Gottes Allmacht. Er ruft und der Mensch antwortet nicht, Er lockt und der Mensch hört nicht. Er wirbt und der Mensch verschmäht die Werbung, Er streckt die Hände aus und der Mensch will diese ladende Hand nicht sehen.

|  Darum sagt unser Katechismus von fünf Stücken, mit denen wir den Namen Gottes entheiligen: Daß wir bei seinem Namen fluchen, schwören, zaubern, lügen oder trügen.

 Da denkst du auf deinem Lager, indem du des Tages Lauf und Last noch einmal übersiehst, nicht an diejenigen, denen du weh getan hast, so daß du Gottes Erbarmen anflehen und sagen müßtest: Ich habe gesündigt in den Himmel und vor Dir, sondern du denkst nur an diejenigen, die dir weh getan haben und dein letzter Gedanke ist ein verwünschender; du hoffest, daß du es, wenn du ihnen auch nicht direkt Böses anwünschest, doch noch erleben möchtest, wie deinen Feinden bezahlt und deinen Gegnern wohlvergolten wird. Und in deine Träume webt sich die Verstimmung des Tages und in deinen Schlaf mengt sich das bittere Gift der Rache und wenn du erwachst, ist aus der Verstimmung des vorigen Tages eine Abneigung und Feindschaft geworden. So hat sich in die Beschäftigung mit dem Namen Gottes, in das letzte „walte Gott“ am Abend der Fluch gegen deinen Nächsten eingedrängt, übergewaltig hat er das Gebet zum Verstummen und den Gedanken an Gott zum Schweigen gebracht; du hast bei seinem Namen, in der Nähe des Namens Gottes geflucht.

 Und was du in der Stille dachtest, das kann die Zunge nicht lange bewahren. Denn wenn noch eine göttliche Heimsuchung zurückhält, was tief in der Werkstätte des Herzens ersonnen wird, auf einmal in einem unbewachten Augenblicke, in einem unbedachten Worte eilt es über die Lippen: du hast deinem Nächsten geflucht. Du hast ihm wiederum vielleicht nicht alles Üble angewünscht, es vielleicht in eine mildere Form eingekleidet, aber das soll er noch sehen, das soll er noch erleben, wie ihm dieses und jenes, das er dir angetan hat, noch heimgezahlt wird. Und unwillkürlich werden dann diese verwünschenden Worte zu wirklichen Flüchen.

|  Ich rede ja nicht zu einer Gemeinde, die der gemeinsten Flüche sich bedient, wie wir sie auf der Gasse hören: wenn der Fuhrknecht seinen Wagen nicht mehr weiterführen kann und nun den armen Pferden alles Schlimme wünscht, oder wenn der Arbeiter nicht den Stein heben kann und nun glaubt, seine müden Arme dadurch zu stärken, daß er alles Heilige und Hehre verwünscht und verflucht. Wie es denn auch ein Zeichen der Männlichkeit bei hoch und nieder ist, wenn rohe und rauhe Flüche über die Lippen eilen. Es hat mir neulich ins Herz geschnitten, als im Deutschen Reichstag ein hoher Herr, ein Vertreter der politischen Richtung, die dem Christentum nahe sein soll, mit einem derben Fluch seine Rede unterbrach. Und in den Zeitungen war verzeichnet: Allgemeine Heiterkeit, die sich von der äußersten Linken bis zu den höchsten Staatsbehörden, die im Reichstage vertreten sind, fortpflanzte. Wie wollen wir dem Volke noch die große Sünde des Fluchens verwehren, wenn in der Hochschule des rechten und guten Tones ungerügt und ungescheut geflucht wird? Darüber brauche ich hier nicht zu reden, die Gemeinde hält sich wohl von derlei Flüchen fern. Aber denke daran, wie du auch manchmal nicht bloß deinem Nächsten Böses erdenkst und ersinnst und nicht bloß deinem Nächsten Böses wünschest, sondern auch wie du deinen Herrn und Gott und seinen hl. Namen verfluchst. Wie dort in schwerster Drangsalshitze, umgeben von der Torheit der Freunde und umdroht von der Unwissenheit und Versuchung seines Weibes, in bitterer Krankheitslast Hiob den Tag seiner Geburt verfluchte, wie Jeremias den Tag verwünschte, daß er nie erschienen wäre, da man seinem Vater meldete, es sei ihm ein Sohn geboren, so ist auch über deine Seele manchmal die Nacht gekommen, da du keinen Stern seiner Verheißung und keines Lichtes seiner Gnade mehr gedenken mochtest, da dir Gott lästig war, der die Blüten auf deinem Lebenswege nur dazu| sich öffnen hieß, damit du ihr Welken bemerken könntest, und der nur dazu die Freude wie einen flüchtigen Schatten auf deinen Lebenspfad sandte, damit du ihr Verschwinden sehen könntest. Und so hast du deinen Gott verwünscht, der sich mit seinen Geboten in deine Freuden und mit der starren Härte in dein Leben und mit seinen schweren Worten in dein Glück eindrängte: du hast bei seinem Namen ihm geflucht; dem Nächsten und dem treuen Gott selbst.
.
 Weil aber der Mensch im tiefsten Grunde – wer sich selbst kennt, wird mir recht geben – niemand mehr mißtraut als sich selbst, so erhebt sich das Schwören. Wie wenige unter uns können etwas, irgend etwas ohne eine Beteuerung behaupten! Der Heiland sagt: Christenrede sei ein Ja und das ist Ja und sei ein Nein und das ist Nein, und was über diese beiden schmalen Grenzen von Ja und Nein hinüberströmt, das kommt vom Feind. Der Feind ist es, der die vielen Worte macht; der Feind ist es, der das Ja und Nein des Christen entwertet, der unsern gegenseitigen Verkehr erschwert, so daß wir schließlich, um glauben zu finden, hohe Verheißungen und ernste Beteuerungen einflechten müssen. Du erzählst eine ganz schlichte Sache; ein Blick deines Nebenmenschen, ein Lächeln, irgend ein Zug in seinem Gesicht läßt dich erraten, er traut dir nicht, und du selber traust dir am wenigsten, weil du weißt, wie selten du die Wahrheit ganz sagst und nun beginnen die Beteuerungen: bei den Kindern, wenn wir ihnen so zuhören, mit Ehre und Seligkeit, mit einem Gute, das sie noch nicht kennen und mit einem Gute, das sie noch nicht haben. Wir hören, wie wegen geringfügiger Dinge teuerste Kleinodien verpfändet werden. Und wir Erwachsene? Ja gewiß, ja fürwahr, ich versichere dich, daß es so war, du darfst es mir glauben und nun werden Beteuerungen angefügt. Und wie steht es denn mit dem losen und leichtfertigen Schwören bei den geringsten Unannehmlichkeiten?| Ach Gott, lieber Gott, allmächtiger Gott, teurer Herr, so enteilt es euren Lippen.

 Der Name, den ihr in der Not anrufen, dem ihr nach der Not danken sollt, der wird entwürdigt, weil er zur Redensart ward. Da sind die Frommen, die sich eine Summe geistlicher Redensarten zurechtgelegt haben: du gehst aus dem Zimmer, man ruft dir nach: Gott sei mit dir und geleite dich! Sie wollten etwas Gleichgültiges sagen und haben doch geschworen.

 Man begrüßt dich mit: Gott grüße dich! und sie haben etwas ganz anderes dabei gedacht. Gerade bei denen, die in und von Gottes Wort leben, hat sich so eine Menge frommer Worte zusammengefügt und es überrascht uns dabei, daß, wenn sie sagen: Gott tröste, Gott berate dich, Er sei mit dir, Er führe dich, Er helfe dir aus! es doch eine Nichtachtung seines Namens ist. Und weiter: diese furchtbare Sorglosigkeit bei der Abnahme und Leistung des öffentlichen Eides! In München werden vielleicht in einer Woche 6–800 Eide vor Gericht abgelegt; ein Richter hat mir erzählt, er habe an einem Tage 80 Eide abgenommen. Bei seinem Namen muß man schwören; unser häusliches und öffentliches Leben ist nicht mehr von Klang und Gewicht, sonst müßten wir nicht unserm Leben solche Beteuerungen und unseren Worten solche Gewichte beifügen.

 Der Heiland spricht Matth. 5: „Ich sage euch, daß ihr allerdinge nicht schwören sollt“ und mahnt uns damit, daß wir es ja recht ernst mit der Wahrheit nehmen und von dem quälenden Mißtrauen gegen uns selbst erlöst werden mögen, damit unsere Rede lauter, klar und rein sei. Was für eine Weihnachtsgabe wäre das, die eine Mitschwester der andern geben dürfte, die unsern gemeinsamen Verkehr leuchtend erhellte, wenn ihr einander versprechen wolltet: wir glauben dir aufs Wort, und wenn wir dem Herrn geloben wollten, daß wir seinen Namen nicht lose im| Munde führen, auch nicht bei frommen Gesprächen. Liest man die Briefe sogenannter Erweckter oder solcher, die erweckt sein wollen, so könnte man leicht Überdruß an diesen triefenden Redensarten, mit denen der Name Gottes entheiligt wird, empfinden. Ach, du willst jemand dein Beileid bezeigen. Meinst du, es tut’s, wenn du viele Worte machst und eine Reihe von Bibelworten aneinander setzest? Du willst jemand Glück zu einem freudigen Tag wünschen. Ist es notwendig, daß du ihm eine ganze Fülle frommer Worte schreibst? Die Kürze des Wunsches ist auch seine Wahrheit und die Wahrheit des Wunsches ist Schlichtheit und die Schlichtheit macht nicht viele Worte.

 Wir sollen bei seinem Namen nicht schwören. Das muß von früh auf gelernt werden, daß jedes Wort echt sei. Bitte, ehe du sprichst: Gib meinem Worte Nachdruck ohne Verdruß! Bete, ehe du schreibst; laß die wenigen Zeilen von Salz und Weihe durchgeistigt sein. Wende dich an den, der so wenig Worte gemacht hat und doch sein ewig Wort hat Fleisch werden lassen, daß Er dir Kürze, Wahrheit und Echtheit schenkt. Denn wo man bei Gottes Namen eilig, überflüssig und überschüssig handelt, da ist die unheimlichste Gewalt, die Gott angetan werden kann, nicht fern, die Gewalt der Zauberei.

 Unsere Alten haben eine doppelte Zauberei unterschieden: die Zauberei des Schauens und die Zauberei des Wirkens.

 Die Zauberei des Schauens, die man wohl auch „Wahrsagerei oder Weissagen“ nennt, wobei Weissagen nicht mit Weisheit zusammenhängt, sondern mit weisen, zeigen, schauen, in die Zukunft blicken.

 Und die Zauberei des Wirkens oder der Tat: eine Gestaltung der Verhältnisse ohne Gottes Willen mit Gottes Name.

 Da ist zunächst das Wahrsagen. Welch eine Nacht ist über unserm Volk und nicht zum mindesten über unsern| Gebildeten ausgebreitet! Der Mann, der über alle göttliche Offenbarung lächelt, schleicht am Abend zur Kartenschlägerin, damit sie ihm für ein Werk, das er morgen vorhat, günstig die Karten legt. Die Dame des Salons, die es als eine unziemliche Zumutung und als eine anmaßliche Bevormundung empfände, wenn man ihr riete, einmal einen Psalm zu beten, wendet sich an irgend ein Medium, an eine Tischrückerin, an eine Somnambule, daß die ihr die Zukunft voraussage. „Mein Volk tut eine zwiefache Sünde: Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich hie und da ausgehauene Brunnen, die doch löcherig sind und kein Wasser geben.“ Wenn man es weiß, wie in vornehmen Kreisen mit dem Tischrücken, mit dem Erscheinen der Abgeschiedenen in spiritistischen Sitzungen gefehlt wird, so erschrickt man, daß der Name Gottes so lange entheiligt wird und der Herr schweigt dazu, als achte Er nicht darauf. Welch ein Meer, in das der Feind jauchzend hineinsieht, ist der Aberglaube! Träg und trüb, zäh und düster wälzt sich dieses Meer an Gestaden hin, über die der Heiland gewandelt ist, der da spricht: Ich bin das Licht der Welt! Mit Schrecken gewahren wir, wie auch in christlichen Gasthäusern und Hospizen die Zahl 13 um der Narren willen, die bekanntlich den größten Teil der Menschheit ausmachen, vermieden wird. Jede Bahnverwaltung kann es euch sagen, daß die Einnahmen den 13. eines Monats am geringsten sind, denn ein „gebildeter Mensch“ reist am 13. nicht gerne. Und unter den Tagen ist besonders der Donnerstag und der Freitag besonders heilvoll, doch der Freitag kein guter Reisetag und was dergleichen mehr ist. Das nennt man Zauberei und Todsünde.
.
 Als Saul seinen Gott verloren und seinen Seelsorger verlassen hatte, da wandte er sich an das arme Zauberweib nog Endor: Liebe, laß mir doch Samuel kommen von den Toten! Und so ist es bis auf diesen Tag: Gott verlassen| sie und die unheimlichen Gewalten, die im Innern des Lebens sich regen, die Bosheit, wie Paulus an die Epheser schreibt, die Bosheit im Luftbereich, die rufen sie an und hören auf und glauben an die Wahrsagekunst, die besonders in Berlin furchtbar betrieben wird, so daß ganze Häuserviertel mit solchen Leuten besetzt sind, die dieses unheimliche Geschäft und Gewerbe treiben. Die wirkende Zauberei ist vor allem die heillose Sympathie bei Krankheiten, das Besprechen der Wunden, das Beschwören von allerlei Leiden, die geheimen Künste, die Geheimmittel, bei denen die Torheit noch größer ist als der Unsinn; das alles ist ein Bund mit unheimlich furchtbaren Gewalten, ein Bund, der nicht immer erfolglos ist. Ich stand einmal an dem Sterbebette eines Zuchthaussträflings, der mich am Samstag gebeten hatte, ihm das hl. Abendmahl zu reichen. Aber mir war es zu schwer; denn ich halte nichts für Unrechter als einem Schwerkranken das Sakrament gleich einem Zaubermittel zu reichen. Ich verweigerte es ihm also, nicht, weil ich es übel mit ihm meinte, sondern weil ich in ihm den wahren Hunger nach dem Mahle wecken wollte. Am Sonntag und Montag besuchte ich ihn und am Montag war eine merkliche Besserung in dem Befinden des vom Arzte schon Aufgegebenen zu konstatieren. Als ich ihn frug, ob er vielleicht eine Arznei eingenommen habe, die ihm Erleichterung verschafft habe, gestand er mir endlich nach langem Zureden, sein Vater habe heimlich des Nachts etwas von seinem, des Todkranken, Speichel im Walde vergraben und seitdem, es war Samstag, sei es besser. Ich habe schwere Mühe gehabt, ihm begreiflich zu machen, daß so nicht der gnädige und barmherzige Gott hilft, sondern das Schreckbild des Feindes. Was ich diesem armen, sterbenden Menschenkinde in seinen letzten Stunden habe kaum mehr klar machen können, das geht durch unser ganzes Volk: Gott will es nicht mehr und seiner Allmacht traut| es nicht mehr und das Gebet hält es für eine Torheit und die Hilfe des Herrn für unmöglich; Er tut keine Wunder mehr. Aber die unheimlichen Mächte, die ihre Opfer fordern, und die dämonischen Gewalten, die im Finstern schleichen, und die Götzen des Aberglaubens, denen so gerne und willig und reichlich geopfert wird, die tun Wunder und Zeichen und darum zaubert unser Volk.

 Es ist bis heute noch nicht ausgemacht, woher das Wort Zaubern kommt. Ich habe es je und je erklärt mit eilen. Eilen, weil der Feind nur wenig Zeit hat; eilen, weil, wenn man seine Hilfe braucht, man seine Zeit ausnützen muß. Unser armes Volk eilt mit verbundenen Augen zu dem stummen Gott. Wir sollen nicht zaubern! Und wenn du vielleicht in der Stille lächelst, daß man es dir, dem gebildeten Menschen des 20. Jahrhunderts, zutraut, du seiest auch so schwach, so frage dich, ob nicht in deinem Herzen allerlei Aberglaube herrscht, weil der rechte Glaube aus ihm wich, und ob du doch nicht heimlich da oder dort Hilfe suchst, wo keine zu finden ist.

 Selbst die Versuche, die ernste Christen manchmal wagen, auf gut Glück und Gefahr ein Gotteswort aufzuschlagen und dieses Gotteswort dann als maßgebend zu erachten, erscheint mir als gefährlich. Auf so äußerliche Weise offenbart sich Gott nicht und in so mechanischer Form kann man seinen Willen nicht erforschen. Darum sorge dafür, daß statt des kleinlichen Mißtrauens gegen Gott, das, wenn es hoch hält, mit allerlei äußerlichen Stützen ihm nahen will, das volle, klare, kindliche Vertrauen in dein Herz einzieht: Du bist mein Gott und ich danke Dir; mein Gott, Dich will ich preisen!

 Seht, in unsern Tagen, wo alles fiebert, spricht man so gerne von den Dingen nach dem Tode, von Erscheinungen und Heimlichkeiten, von all diesen Verbindungen mit Abgeschiedenen. Und man spricht davon nicht in heiliger| Heilsbegierde, sondern in gefährlicher Neugierde. Ich leugne nicht, daß allerlei Spukgestalten durch die Welt gehen, aber das sind nie Geister von Abgerufenen. Die bei ihrem Herrn daheim sind, die wollen nimmer kommen, und, die nicht daheim sind, die dürfen nicht mehr kommen. Laßt euch durch diese Dinge nicht beschweren! Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen. Er offenbart sich auch nicht durch Tote, sondern durch sein lebensvolles Wort.
.
 Und endlich sollen wir bei seinem Namen nicht lügen oder trügen! O, wie schwer ist dieses letzte Wort, weil es unser ganzes innerstes Geheimnis, unsere gottesdienstliche Lebenshaltung, unser religiöses Leben, daß ich so sage, betrifft! Es ist weit leichter für weniger fromm gehalten zu werden, als man ist, als für frömmer angesehen zu werden, als man wirklich ist. Jede Miene, jeder Zug in deinem Antlitz, der Andacht heuchelt, während dein Herz ferne davon ist, jedes stille Gebet in der Kirche, das du verrichtest, ehe du dich setzest, deine Blicke umherschweifen lassend und überlegend, was du der Nachbarin dann noch sagen willst, ist Lügen und Trügen in seinem und bei seinem Namen. Jedes kniend dargebrachte Gebet im Kämmerlein, das du nicht vom Herzensgrunde darbringst, ist Lug und Trug bei seinem Namen. Und nun zeigt sich unser ganzes Heiligungsleben so mit Falschheit und Schein durchsetzt. Wir ehren ihn mit unsern Lippen und nahen uns ihm mit unserm Munde, doch unser Herz ist ferne von ihm. Wir reden gewaltig gegen die und jene Unart, weil wir sie selbst üben. Wir sprechen flammend gegen den Unfleiß und lassen uns selbst gehen. Wir können über die Ausnützung der Zeit schöne Worte machen und wir vergeuden sie. Wir sprechen von der Pflicht der Nächstenliebe und der Erste, der an unserer Türe anklopft, sieht unser saures Antlitz. Wir reden, daß unsere Lindigkeit kund werden soll allen Menschen, und wir machen große Unterschiede: den| Lieblingen sind wir freundlich und die andern weisen wir von uns.

 So ist unser ganzes Heiligungsleben nicht nur Stückwerk, sondern Schein und Schimmer und unwahr, unwahr bei seinem Namen. Es ist, als ob wir über die erste Seite unseres Tageslaufes Gott schreiben würden, wie vielleicht ein Kaufmann sein Geschäftsbuch auf der ersten Seite „Mit Gott“ beginnt, und jede Zeile, die nun unter diesen Namen gereiht wird, verleugnet ihn. Morgengebet und Abendgebet – zwischen diesen beiden Gottesdiensten gestaltet sich der Tag, schwer, weltlich, äußerlich, gottferne. Und am Abend war wieder eine Lüge mehr getan.

 Seht, indem wir so den Namen Gottes mißbrauchen, gleichen wir Leuten, die einen güldenen Schlüssel zu einem köstlichen Tor, bei dessen Öffnung uns ein reicher, weiter Saal begrüßt, so oft herumdrehen und ausnützen, bis der Schlüssel nimmer öffnet. Wir gleichen Menschen, die ein köstliches Kleinod so lange in den Händen herumwiegen und -wägen, bis es den Händen entrollt in den Sand. Denn wenn du den Namen Gottes Tag um Tag entwertest, wird er in der Sterbestunde dir nur wertlos sein. Du willst den Schlüssel zum Heiligtum endlich brauchen, wozu er dir gegeben ward, aber der Schlüssel versagt und das Heiligtum bleibt dir verschlossen.

 Darum wollen wir Gott fürchten und lieben, den hl. Gott, der plötzlich uns seinen Namen entziehen kann und ist kein Gottesname mehr über unserm Haus! Wir wollen ihn lieben, den gnädigen Gott, der seinen Namen uns schenkt, damit wir zu ihm flüchten dürfen in der Zeit, da uns Hilfe not ist.

 Ach, daß wir aus der heutigen Betrachtung den kräftigen Vorsatz wieder nehmen möchten:

 Ich will es mit dem Namen Gottes ernst nehmen, weil Er es so ernst mit mir nimmt! Ich will den Namen| Gottes in mein Herz schließen, weil Er mich längst in sein Herz geschlossen hat!

Ich will Dich mit Fleiß bewahren,
Ich will Dir leben hier,
Dir will ich abfahren;
Mit Dir will ich endlich schweben
Voller Freud, ohne Zeit,
Dort im andern Leben.

Amen.





« Zweites Gebot I Hermann von Bezzel
Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)
Zweites Gebot III »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).