Durch die Straßen Berlins

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Autor: F. B.
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Titel: Durch die Straßen Berlins
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aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 362-364
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Durch die Straßen Berlins.

Es ist eine eigenthümliche Seite des menschlichen Herzens, daß wir so gern nach den Gräbern geliebter Todten gehen. Es ist, als wolle man den Geschiedenen Rosen auf die Hügel pflanzen für die Dornen, die das Leben in reichem Maße brachte. Wäre es oft nicht besser, nach den Stätten zu gehen, die einst der Lebende bewohnte, sich das Haus, die Stube, den Garten zu betrachten, wo er Leid und Weh ertragen, Freude und Lust empfunden? Sagt nicht unser größter Dichter schon: „Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht.“?

Und wenn wir nun nach den Orten gehen, wo Männer oder Frauen gelebt, geliebt oder gelitten haben, die eingetragen sind in die Bücher der Geschichte, die Werke geschaffen haben, die noch im Herzen der Mit- und Nachwelt fortwirken und fortleben: legen wir dann nicht den Grund zu schönen Erinnerungen in unser Herz? pflücken wir nicht Immortellen, die nie verwelken? – Und dann, wird uns nicht oft erst das richtige Verständniß eines dichterischen Werks, nachdem wir die Stätte gesehen, wo es entstanden, gleichsam geboren wurde? Freilich, die Stuben, die Kämmerlein, in denen einst deutsche Dichter und Schriftsteller lebten, sehen meist sich alle gleich; sie sehen fast alle ärmlich, unscheinbar aus, wenn der Betreffende nicht von Hause aus mit Glücksgütern gesegnet war.

Hier, alte Roßstraße Nr. 1, wurde Ludwig Tieck geboren. Später, besonders in den dreißiger Jahren, wohnten in dem Hause in einzelnen Stuben vielfach Studenten. Ob wohl einigen derselben damals „die mondbeglänzte Zaubernacht“ geleuchtet? Wie Wenige, die hier gewohnt, ein- und ausgingen, werden daran gedacht haben oder es nur gewußt haben, daß hier der Dichter des gestiefelten Katers, der Verfasser so herrlicher Novellen gelebt – und sich als Knabe in dem Hause getummelt habe! Freilich, Tieck fand seine eigentliche Heimath erst gewissermaßen in Dresden, woselbst er der Welt am bekanntesten und zugänglichsten war. Im Alter erst kehrte er wieder nach Berlin zurück. Sein Sterbehaus ist das Haus Nr. 208 in der großen Friedrichsstraße, in dem sich gegenwärtig das Friedrich-Wilhelmstädtische Gymnasium befindet. Wie viel der Zöglinge mögen es wissen, daß Tieck einst dort gewandelt, daß er in dem Hause gestorben ist? Ob wohl hin und wieder, wenn einzelne Gedichte des Geschiedenen, die sich ja vielfach zerstreut in Lesebüchern und Anthologien finden, gelesen werden, daran erinnert wird, daß in diesen Räumen einst der Mann lebte und starb, der als Vorleser dichterischer Werke so hoch, so einzig in seiner Art dastand?

Wenige Häuser davon, in derselben Straße, Nr. 235, wohnte einst Chamisso. Man muß den alten Herrn gesehen und gekannt haben, um begreifen zu können, woher es kam, daß namentlich die jüngere Poetenwelt ihn so hoch verehrte und so lieb gewann. Er war ein Jüngling in greisen Haaren, ein Dichter von Gottes Gnaden; er war es, der Freiligrath gleichsam einführte und aus freudigem Herzen seiner Dichtergröße huldigte.

Wie saß er einst so krank auf dem Sopha, in seinem Zimmer und an Sterben denkend; wie sprach er sein Deutsch so langsam, gebrochen, während er dasselbe doch so fließend schrieb! Wie sprach er so rührend von seinem nahen Tode, indeß seine Kinder in der Nebenstube lärmten – und sich des Vaters launige Gedichte declamirten! Er ahnte es nicht, daß seine Gattin, jung und liebenswürdig, noch vor ihm in das Grab steigen würde. Er hörte den Kindern zu, er schwieg – und eine einsame Thräne rollte langsam still von der Wange.

Wo sein letzter Bundesgenosse zur Herausgabe des Musenalmanachs dagegen wohnte, nämlich der Freiherr Franz Gaudy, ist nicht schwer zu finden. Hat derselbe sich in dem Aufsatze „Besuch bei einem Dichter“ doch genugsam selbst geschildert und nicht unterlassen anzugeben, wo und wie er wohnte. Markgrafen-Straße 87 zu gleicher Erde, zu rechter Hand, wenn man in’s Haus trat, war’s, wo man den genialen Freiherrn finden konnte – wenn er just zu Hause war. Dies Letztere war vielleicht nicht häufig der Fall, oder mochte nur so scheinen, da er im Ganzen sich wenig aus Besuchen machte – und lieber Freunde und Bekannte in öffentlichen Localen sprach, wo man auch gemüthlicher bei einem Schoppen Wein oder einem Glase bairisch Bier sitzen konnte. Gaudy war offen und wahr, bis zum Exceß. So fragte ein Bekannter ihn, nach seiner Rückkehr aus Italien: „Baron! haben Sie während Ihrer Reise einmal an mich gedacht?“ worauf er, sich den langen rothen Schnurrbart streichend, kurz ab entgegnete: „Auf Ehre! niemals! niemals!“

Und doch war er von Herzen liebenswürdig, sanft; ja, wer es verstand, die rechte Saite anzuschlagen, dem zeigte er sich teilnehmend, herzlich. – Mit welcher Ernsthaftigkeit, mit welchem fast heiligen Eifer verzehrte er Vormittags in der Weinstube des damals allbekannten Louis Drucker seinen Sardellensalat und trank dazu bedächtig, wohlgefällig schlürfend seinen Wein! Er hatte nicht Zeit, dem Eintretenden die Hand zum Gruß zu reichen, er nickte nur stumm mit dem Haupt. Erst wenn sein Teller leer, reichte er dem Freunde die Hand und begann ein Gespräch, das in jeder Hinsicht anregend und anziehend war. Nachmittags und mehr des Abends war er eine Zeitlang gern in der Leipziger Straße bei Lauch. (So hieß der Wirth, wenn die Erinnerung nicht trügt.) Dort war die Christel Schenkmädchen, eine hübsche Dirne, der er in seiner Erzählung: „Die bairische Kellnerin“ eine freundliche Erinnerung wohl gewidmet hat. Hier saß er gern, wenn nicht ein Gast sich einfallen ließ, auf dem vorhandenen Instrument musikalische Studien zu machen; dann hielt es ihn nicht, er mußte fort. Musik der Art war ihm verhaßt; wie er auch nie Geschmack daran fand, ein Gedicht vorlesen zu hören; nur selbst lesend ging ihm ein richtiges Verständniß für dasselbe auf. Zu einer seiner schönsten Novellen, „der Stumme“, gab er hier eines Nachts ungesucht ein hübsches Seitenstück, während die genannte Erzählung selbst in der Weinstube Königs- und hohen Steinwegstraßen-Ecke spielt. – Er saß mit Freunden und Bekannten und erzählte von Italien. Ein Gast, ein Fremder, in unscheinbarer, etwas abgetragener Kleidung, umging mehrere Mal mit vorgebeugtem Haupt, still lauschend den runden Tisch, der rings besetzt war. Gaudy blickte auf, er bemerkte den Fremden, sein Thun, sein Treiben; er hielt in seiner Rede inne, er fragte auf den Lauscher deutend: „Kennt Jemand den Mann?“ und sprang, als dies verneint wurde, mit Heftigkeit auf und fragte den Fremden mit funkelndem Blick: „Herr! wer sind Sie? Was wollen Sie?“

Der Angeredete zuckte zusammen; schüchtern sprach der ärmlich Gekleidete, der Unscheinbare: „Verzeihung! Ich hörte Sie sprechen. Ich war auch in Italien!“ Dies eine Wort hatte den Baron besänftiget, er war wie umgewandelt, er faßte des Fremden Hand, er fragte nicht, wer er sei, er hieß die Freunde zusammenrücken, er ließ Wein bringen – und bat den Fremden Platz an seiner Seite zu nehmen.

Die Stunden der Nacht vergingen in zauberhafter Schnelligkeit. Mit welcher Freude, mit welchem Entzücken sprachen die Beiden von dem schönen Süden, von dem Lande ihrer Sehnsucht! Wer der Fremde war, wurde nicht gefragt. Er war in Italien [363] gewesen, er liebte es. Dies war genug, dies war sein Freibrief. Wenige Wochen darauf war Gaudy todt. Ein Schlaganfall machte seinem Leben ein Ende. Er starb den 6. Februar 1840.

Zwei Jahre darauf, am 23. October 1842 folgte ihm sein Freund E. Ferrand, dem noch neulich Th. Storm in seiner Sammlung „Liebeslieder“ so freundliche Worte der Anerkennung gespendet. Wie Wenige gedenken noch dieses einfachen, jugendlichen Sängers! Was H. Marggraff vor einiger Zeit über denselben veröffentlichte, nag wohl nicht ganz klar gezeichnet gewesen sein. Ferrand (mit seinem wahren Namen E. Schulz) wohnte zuletzt und starb Alexanderstraße Nr. 38a. zwei Treppen hoch. Hinter dem Hause befand sich der sogenannte „Englische Garten“, wo man ihn des Abends oft, seine Gattin am Arm, finden konnte. Der Concerte wegen, die hier stattfanden, kam er nicht, denn er hatte für Musik gar kein Gehör; er kam der Bäume wegen, wegen des Fleckchens Grün, das ihm hier entgegen lachte. Er liebte die Natur in hohem Grade, mehr aber das Kleine, Unscheinbare in derselben, als das Große, Erhabene. Manch einsam stehender, mit Staub bedeckter Baum hat ihn mehr zu Liedern begeistert, als dies selbst die erhabene Alpennatur, das schöne Schwaben, welches er an Gaudy’s Seite durchzog, zu thun vermochte.

Wer Ferrand als Mensch kennen lernen will, der lese seine Liebesnovellen, seine Erlebnisse des Herzens. Hier hat er sich, sein Leben und einzelne seiner Freunde treuer geschildert, als dies z. B. Moritz in seinem bekannten „Anton Reiser“ jemals von sich selbst zu thun vermochte. Ferrand war Dichter, und daß er dies so ganz nach Neigung und innerem Wohlgefallen sein konnte, war ein Glück für ihn. Er brauchte nicht um Lohn zu arbeiten, noch für Geld zu schreiben. Selbst die meisten seiner Werke ließ er auf eigene Kosten drucken. Er hatte eine ungemein große Literaturkenntniß. Seine größte Freude war, bei den Antiquaren und in den Leihbibliotheken nach den Werken vergessener Dichter zu stöbern. Das eigentliche Leben in seiner praktischen Bedeutung blieb ihm fern, und selbst beim Glase, im Kreise der Freunde, blieb er der liebenswürdige, heitere Dichter. Eine sinnige Auswahl unter seinen Poesien und kleinen Novellen würde ihn der Vergessenheit entreißen und seinen Hinterbliebenen, denen später nach seinem Tode das Vermögen verloren ging, vielleicht eine Hülfe gewähren.

Wie so ganz anders sah es dagegen in der Neuen Commandanten-Straße Nr. 21, Ecke der Jakobsstraße, eine Treppe hoch, aus! Dort wohnte ein alter Mann viele Jahre; er liebte nicht Blumen, wie der jugendliche Ferrand sie liebte; er hatte seine Freude an goldenen Tassen u. dergl., die er von hohen Häuptern des preußischen Regentenhauses erhalten hatte. Er war klein, der alte Mann, und seine Hand zitterte bedeutend, wenn er dem Gaste beim Kommen oder während des Gesprächs die silberne Dose, mit Spaniol gefüllt, hinreichte. Das Kinn und der zahnlose Mund war unausgesetzt in Thätigkeit und in Bewegung. Es war der Kriegsrath Karl Müchler, der Anekdotensammler. Der Greis hatte die Verunglimpfungen, die er eine Zeit lang erfuhr, wo man „ein Königreich für einen Witz“ gab, unbekümmert, wie tief derselbe auch verwunde, nicht verdient.

War er seiner Zeit auch kein großer Dichter, so war er doch ein Mann, der sein Vaterland liebte bis zum letzten Hauche seines Lebens, wenn diese Liebe auch eine einseitig-beschränkte war. Daß eines seiner Gedichte fälschlich für ein Erzeugniß Schiller’s gehalten wurde, und trotz aller Reclamationen und Beweise immer wieder in die Werke des Unsterblichen aufgenommen wurde, mag wenigstens Zeugniß geben, daß der alte Herr nicht gänzlich ohne Poesie war. Viele seiner Fabeln etc. stehen noch heute in Lesebüchern und Anthologien. – Wie froh, wie glücklich konnte er sein, wenn er eine Anekdote seines Lieblings Friedrich des Großen hörte oder irgend wo gefunden hatte! Im höchsten Alter, fast erblindet, dichtete er noch seine patriotischen Gesänge und schrieb seine Briefe, deren Inhalt freilich zuletzt schwer zu ergründen war, da die Handschrift fast unleserlich geworden. Der fünfundzwanzigste Jahrgang seines Anekdotenalmanachs gab zugleich sein wohlgetroffenes Bild. Friede seiner Asche!

Und weiter zurückschreitend, fällt der Blick auf ein hohes, stattliches Haus in der französischen Straße. Es hat die Nr. 42. Es gehörte, so mir recht, dem berühmten Medicinalrath Rust. Im zweiten Stockwerk aber wohnte einst Wilhelm von Humboldt, der Minister.

Derselbe sagte einmal: „Wenn man einem durchaus und wahrhaft großen Charakter lange zur Seite steht, geht’s wie ein Hauch von ihm auf uns über.“ Und diese Worte kann man auf ihn selbst im vollsten Sinne des Wortes anwenden. Wilhelm von Humboldt war ein durch und durch ausgeprägter Charakter. Seine ganze Erscheinung hatte etwas Ruhiges, Mildes, Angenehmes und doch dabei Festes. Sein Gruß selbst war wohlthuend, herzgewinnend. Alle, die ihm nahe standen, die ihm nahe kamen, fühlten das Wohlthuende, Beruhigende seiner Nähe. Der milde Hauch seines Herzens ging auf seine Umgebung über.

Wo der allbekannte, weltberühmte Bruder Alexander wohnte, ist bekannt. Das Haus Oranienburger Straße Nr. 67. ist oftmals genannt und sein Inneres beschrieben worden. Es ist ein einfaches, nur zwei Stock hohes Gebäude. Weniger ist wohl bekannt, daß in demselben Hause eines Dichters Mutter, die Mutter Theodor Körners, starb.

Wir schreiten den Linden zu, nach dem Palais des Grafen Raczinsky. In einem Seitengebäude des Hofes befand sich längere Zeit die Gemäldegallerie des Grafen, deren Besichtigung zu gewissen Stunden des Tages Jedem unentgeltlich freistand. Dort hing Kaulbach’s berühmte „Hunnenschlacht“, Leopold Roberts liebliche „Schnitter“, wie auch die „Söhne Eduards“ von Hildebrandt in kleinerem Maßstabe, nur etwas abweichend in der Ausführung von dem allbekannten größeren Gemälde desselben Meisters.

Vorn im Hause wohnte die Schwester Clemens Brentano’s, die Gattin Achim von Arnims, das Kind Bettina. Als sie jenen berühmten Briefwechsel schrieb, war sie bereits fünfzig Jahr. Es muß ein eigenes, aber interessantes Kleeblatt gewesen sein, diese Frau mit ihrem Gatten und dem Bruder. „Als die beiden Letzteren ihrer Zeit mit der Herausgabe von des Knaben Wunderhorn beschäftiget waren, hatte ich,“ erzählte der einst bekannte Antiquar J… in der Königsstraße, „viel Mühe mit ihnen. Sie kamen fast täglich zu mir. Sie stöberten Alles durch,“ sagte er. „Der Eine saß auf der Leiter und warf die Bücher droben durcheinander, während der Andere drunten, so weit er reichen konnte, kein Buch auf seiner Stelle ließ. Ich hatte, wenn sie fort waren, einen halben Tag zu ordnen, was sie in Unordnung gebracht, und meine Frau mußte regelmäßig nach ihrem Abgange den Laden fegen lassen. Hatten Beide doch gemeinhin die Taschen voll, gewöhnlich von Radieschen, die sie während des Suchenn aßen und mir das Kraut und den Abgang in den Laden warfen.“ Achim von Arnim starb bereits 1831. Bettina ist vor Kurzem, man möchte sagen, unbeachtet zur Ruhe gegangen. Sie war eine gedrungene Gestalt. Ihr ganzer Körper war stets in Bewegung, ein ruheloses Feuer durchglühte sie bis an’s Ende ihrer Tage. War sie auch in der letzteren Zeit nicht mehr literarisch thätig, so blieb sie doch stets Antheil nehmend an Allem, was groß, schön und erhaben war. Ihre Tochter, Gisel von Arnim, ist auch bereits als Schriftstellerin aufgetreten; dieselbe ist die Schwiegertochter des am 16. December vorigen Jahres Linksstraße Nr. 7 gestorbenen Wilhelm Grimm. Wird der Geist der Mutter in der Tochter fortleben?

Der Geschiedenen denkend, führt uns der Geist unwillkürlich ein anderes Frauenbild vor die Augen, das in mancher Hinsicht etwas Verwandtes mit der Erwähnten zeigt, wenn wir des Ungenirten, des Ungebundenen derselben gedenken, während der Geist sich nicht zur Höhe Bettina’s hinaufzuschwingen vermochte. Wir meinen Anna Louise Karschin, diese stets fertige Dichterin, die bekannter und geachteter in der Literatur dastehen würde, wenn sie weniger gedichtet hätte. So hat die Spreu zum Theil das Korn verschüttet, daß selbst Literaturkenner kaum mehr von ihr wissen, als jenen bekannten Vers, den sie dem großen Friedrich II. sendete, nachdem derselbe auf ihre wiederholten Bittgesuche ihr zwei Thaler Unterstützung hatte senden lassen. König Friedrich Wilhelm II. ließ derselben auf dem Haak’schen Markt, angesichts eines Baumganges, dort das Häuschen Nr. 1 bauen. An der Front desselben befinden sich einige Geniusköpfchen mit Flügelchen. Das Haus bildet einen Triangel, und der Hof, der eng aber luftig ist, hat dieselbe Gestalt. Einst standen einige Akazien auf dem Hofe, Weinlaub rankte an einer Laube sich auf, in der die Dichterin eine kurze Zeit ruhig, glücklich und zufrieden saß, bis ihr nie ruhender Geist sie wieder von hinnen trieb. Sie starb 1791 fern von Berlin. Ihre Enkelin war die bekannte Wilhelmine von Hezy.

Und nun wollen wir nach der Spandauer Straße Nr. 68 gehen. Dort wohnte einst Moses Mendelssohn. Dort hat derselbe [364] mit seinem Freunde, Rabbi Isaak Satanof, gesessen, und von hier aus ging er gewöhnlich Morgens zwischen 7–9 Uhr nach dem nahen Nicolaikirchhofe, wo Lessing wohnte. – Wenige Häuser davon, in derselben Spandauer Straße Nr. 53, lebte im Juli und August 1804 ein Dichter, der nie Ruhe im Leben fand, den die Unruhe in den Tod trieb. Hier wohnte Heinrich von Kleist. Als er im August 1811 in der Mauerstraße Nr. 53 seine Wohnung hatte, war der Stern seines Glücks bereits dem Verlöschen nahe. Wenige Wochen darauf, am 21. Decbr. desselben Jahres, endete er sein Leben. Ist es nicht rührend, wenn er, der im Leben so selten, fast niemals Ruhe fand, am Morgen seines Todes seiner geliebten Schwester Ulrike schreibt: „Ich kann nicht sterben, ohne mich zufrieden und heiter, wie ich bin, mit der ganzen Welt und so weit auch vor allen Andern, meine theuerste Ulrike, mit Dir versöhnt zu haben. Du hast an mir gethan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl; möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich. Das ist der herzlichste und innigste Wunsch, den ich für Dich aufzubringen weiß.“

Und mit diesen Worten wollen auch wir unsere Wanderung für heute schließen, vielleicht nehmen wir dieselbe einmal später wieder auf.

Friede den Geschiedenen; Glück, Liebe und Anerkennung den Lebenden, dann wird auch ihnen der Friede nicht fehlen. Anerkennung ist das Brod des Geistes, das Manna der Seele!

F. B…