Kreuzeswissenschaft/Kreuz und Nacht
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Es ist zunächst zu fragen, ob Kreuz und Nacht in gleichem Sinne Symbol sind. Dieses Wort wird ja in vielfacher Bedeutung gebraucht. Es wird manchmal in einem sehr weiten Sinne genommen, sodaß man darunter alles Sinnenfällige versteht, wodurch etwas Geistiges bezeichnet wird, oder alles aus natürlicher Erfahrung Bekannte, wodurch auf etwas Unbekanntes, vielleicht sogar in natürlicher Erkenntnis Unerfahrbares hingewiesen wird. In diesem weiten Sinne können Kreuz wie Nacht Symbol genannt werden. Aber schon, wenn wir den Unterschied von Zeichen und Bild berücksichtigen, wird ein Gegensatz sichtbar. Das Bild – als Abbild verstanden – weist auf das Abgebildete durch eine innere Ähnlichkeit hin; wer [33] es sieht, der wird dadurch unmittelbar auf das Urbild hingelenkt, das er darin wiedererkennt oder daraus kennen lernt. Zwischen Zeichen und Bezeichnetem bedarf es keiner inhaltlichen Übereinstimmung. Ihre Beziehung ist durch eine willkürliche Setzung gestiftet, über diese Setzung muß man unterrichtet sein, um das Zeichen zu verstehen. Das Kreuz ist offenbar kein Bild im eigentlichen Sinn. (Wenn man es ein Sinnbild nennt, so besagt das nicht viel mehr als Symbol in der soeben umschriebenen weiten Bedeutung: ein Anschauliches, das auf einen über das Anschauliche hinausliegenden Sinn hinweist.) Zwischen Kreuz und Leiden besteht keine unmittelbar faßliche Ähnlichkeit, aber auch kein rein willkürlich festgesetztes Zeichenverhältnis. Dem Kreuz ist seine Bedeutung durch seine Geschichte zugewachsen. Es ist kein bloßer Naturgegenstand, sondern ein Werkzeug, von Menschenhand zu einem ganz bestimmten Zweck verfertigt und gebraucht. Als Werkzeug hat es in der Geschichte eine Rolle von unvergleichlicher Tragweite gespielt. Von dieser Rolle weiß jeder etwas, der im christlichen Kulturkreis lebt. Darum führt das Kreuz durch seine anschauliche Gestalt unmittelbar hinein in die Sinnfülle, die damit verwoben ist. Es ist also ein Zeichen, aber eines, dem seine Bedeutung nicht künstlich angeheftet ist, sondern wahrhaft zukommt auf Grund seiner Wirksamkeit und seiner Geschichte. Seine sichtbare Gestalt weist auf den Sinnzusammenhang hin, in dem es steht. Dem werden wir gerecht, wenn wir es ein Wahrzeichen nennen.
Die Nacht dagegen ist etwas Naturhaftes: das Gegenspiel des Lichtes, uns und alle Dinge einhüllend. Sie ist kein Gegenstand im eigentlichen Wortsinn: sie steht uns nicht gegenüber und steht auch nicht auf sich selbst. Sie ist auch kein Bild, sofern man darunter eine sichtbare Gestalt versteht. Sie ist unsichtbar und gestaltlos. Und doch nehmen wir sie wahr, ja sie ist uns viel näher als alle Dinge und Gestalten, ist mit unserem Sein viel enger verbunden. Wie das Licht die Dinge mit ihren sichtbaren Eigenschaften hervortreten läßt, so verschlingt sie die Nacht und droht auch uns zu verschlingen. Was in ihr versinkt, das ist nicht einfach nichts: es bleibt bestehen, aber unbestimmt, unsichtbar und gestaltlos wie die Nacht selbst oder schattenhaft und gespenstisch und darum bedrohlich. Dabei ist unser eigenes Sein nicht nur durch die in der Nacht verborgenen Gefahren von außen bedroht, sondern durch die Nacht selbst innerlich betroffen. Sie nimmt uns den Gebrauch der Sinne, hemmt unsere Bewegungen, lähmt unsere Kräfte, bannt uns in Einsamkeit, macht uns selbst schattenhaft und gespenstisch. Sie ist wie ein Vorgeschmack des Todes. Und all das hat nicht nur vitale sondern auch [34] seelisch-geistige Bedeutung. Die kosmische Nacht wirkt auf uns ähnlich wie das, was in übertragenem Sinne Nacht genannt wird. Oder umgekehrt: was in uns ähnliche Wirkungen hervorbringt wie die kosmische Nacht, das wird in übertragenem Sinn Nacht genannt. Ehe wir dieses Was zu fassen suchen, müssen wir uns aber klar machen, daß schon die kosmische Nacht ein doppeltes Gesicht hat. Der dunklen und unheimlichen Nacht steht die mondbeglänzte Zaubernacht gegenüber, die von mildem, sanftem Licht durchflutete. Sie verschlingt die Dinge nicht, sondern läßt ihr nächtliches Antlitz aufleuchten. Alles Harte, Scharfe und Grelle ist hier gedämpft und gelindert, es offenbaren sich Wesenszüge, die bei hellem Tageslicht niemals zum Vorschein kommen. Es lassen sich auch Stimmen vernehmen, die der Tageslärm übertäubt. Und nicht nur die lichtvolle, auch die dunkle Nacht hat eigene Werte. Sie macht dem Hasten und Lärmen des Tages ein Ende, sie bringt Ruhe und Frieden. All das wirkt sich auch im Seelisch-Geistigen aus. Es gibt eine nächtliche, milde Klarheit des Geistes, in der er, von dem Frohndienst der Tagesgeschäfte frei, gelöst und gesammelt zugleich, in die tiefen Zusammenhänge seines eigenen Wesens und Lebens, der Welt und Überwelt hineingezogen wird. Und es gibt ein tiefes dankbares Ruhen im Frieden der Nacht. An all das muß man denken, wenn man die Nachtsymbolik des hl. Johannes vom Kreuz verstehen will. Aus den Zeugnissen über sein Leben und aus seinen Gedichten wissen wir, daß er überaus empfänglich war für die kosmische Nacht mit all ihren Tönungen. Er hat ganze Nächte am Fenster mit dem Blick auf die weite Landschaft oder im Freien zugebracht. Und er findet Worte für die Nacht, die von keinem andern Sänger der Nacht übertroffen werden (Geistlicher Gesang, Str. 15)[1]. Die Seele vergleicht den Geliebten:
La noche sosegada | Der stillen Nacht, der schönen, |
En par de los levantes de la aurora, | Die schon das neue Morgenlicht durchdringet, |
La música callada, | Musik mit leisen Tönen |
La soledad sonora, | Und Einsamkeit, die klinget, |
La cena, que recrea y enamora. | Erquickend Nachtmahl, das die Lieb’ beschwinget. |
Wenn der Denker Johannes in seinen Abhandlungen von der Nacht spricht, so steht dahinter die ganze Fülle dessen, was das [35] Wort für den Dichter und Menschen bedeutet. Wir haben es, sofern es symbolischer Ausdruck ist, in einigen Zügen wiederzugeben gesucht, ohne es damit zu erschöpfen. Nun müssen wir uns bemühen, das zu fassen, was auf solche Weise symbolisch ausgedrückt werden soll. Johannes hat es ausführlich behandelt, und wir werden darauf zurückkommen müssen. Vorläufig gilt es nur einen ersten Einblick zu gewinnen, um die Eigentümlichkeit des vorliegenden Symbolverhältnisses sichtbar zu machen. Die mystische Nacht ist nicht kosmisch zu verstehen. Sie dringt nicht von außen auf uns ein, sondern hat ihren Ursprung im Innern der Seele und befällt auch nur diese eine Seele, in der sie aufsteigt. Doch die Wirkungen, die sie im Innern hervorbringt, sind denen der kosmischen Nacht vergleichbar: sie bedingt ein Versinken der äußeren Welt, mag sie auch draußen in hellem Tageslicht ausgebreitet liegen. Sie versetzt die Seele in Einsamkeit, Öde und Leere, unterbindet die Tätigkeit ihrer Kräfte, ängstigt sie durch drohende Schrecken, die sie in sich birgt. Doch auch hier gibt es ein nächtliches Licht, das eine neue Welt tief im Innern erschließt und die Welt draußen gleichsam von innen her erhellt, sodaß sie uns als eine völlig veränderte wiedergeschenkt wird.
Wir versuchen nun, über das Verhältnis von kosmischer und mystischer Nacht Klarheit zu gewinnen, soweit es auf Grund dieser ersten einführenden Erwägungen möglich ist. Offenbar handelt es sich hier um keine Zeichenbeziehung, nichts von außen und willkürlich Festgesetztes, auch um keinen ursächlich und geschichtlich erwachsenen Zusammenhang wie beim Wahrzeichen. Es liegt eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung vor, die es erlaubt, hier und dort denselben Namen zu gebrauchen. Wenn man vom Bild der Nacht spricht, so will man damit wohl sagen, daß der Name in erster Linie der kosmischen Nacht zukommen und von da auf die mystische Nacht übertragen sei, um durch ein Allbekanntes und Vertrautes mit etwas Unbekanntem und schwer Zugänglichem bekannt zu machen, das ihm ähnlich ist. Es kann aber von keinem Abbildverhältnis die Rede sein: es ist ja nicht eines dem andern nachgebildet. Eher ist an das Verhältnis symbolischen Ausdrucks zu denken, wie es allgemein zwischen Sinnenfälligem und Geistigem besteht: wie Gesichtsbildung und Mienenspiel Ausdruck seelischer Eigenart und seelischen Lebens sind, wie sich in der Natur Geistiges und sogar Göttliches offenbaren. Es ist eine ursprüngliche Gemeinsamkeit vorhanden und eine sachliche Zusammengehörigkeit, die das Sinnenfällige geeignet macht, Geistiges erkenntnismäßig zu erschließen. Vom Bildverhältnis bleibt nur die Ähnlichkeit – eine Ähnlichkeit [36] allerdings, bei der das beiderseits „Gleiche“ nicht eigentlich faßbar ist, sondern nur durch gewisse übereinstimmende Züge angedeutet werden kann. Unterscheidend gegenüber dem Bildverhältnis ist nicht nur die mangelnde Abbildlichkeit, sondern auch der Umstand, daß wir es nicht mit Gebilden zu tun haben, mit fest umrissenen Gestalten. Darin liegt auch ein Gegensatz zum mimischen Ausdruck: einer ganz bestimmten Veränderung des Gesichts, die der Künstler mit Stift oder Pinsel nachzeichnen kann, entspricht ein ebenso bestimmter seelischer Vorgang. Die Nacht aber, die kosmische wie die mystische, ist etwas Gestaltloses und etwas Umfassendes, was sich in der Fülle seines Sinnes nur andeuten, aber nicht ausschöpfen läßt. Eine ganze Weltsicht und Daseinsverfassung ist darin beschlossen. Eben darin besteht das Gemeinsame: in der Tatsache und der Eigenart dieser Weltsicht und Daseinsverfassung. Ein Unfaßbares hier und ein Unfaßbares dort und doch soweit deutlich, daß eines mit dem andern in Deckung gebracht und als Zugang zum andern verwendet werden kann, nicht in willkürlicher Wahl und planmäßiger Vergleichung, sondern in symbolischer Erfahrung, die auf Urzusammenhänge stößt und dadurch für begrifflich Unsagbares einen notwendigen bildhaften Ausdruck findet.
Wir sind jetzt imstande, den Unterschied im Symbolcharakter von Kreuz und Nacht kurz zusammenzufassen: das Kreuz ist das Wahrzeichen alles dessen was mit dem Kreuz Christi in ursächlichem und geschichtlichem Zusammenhang steht. Nacht ist der notwendige kosmische Ausdruck der mystischen Weltsicht des hl. Johannes vom Kreuz. Das Überwiegen des Nacht-Symbols ist ein Zeichen dafür, daß in den Schriften des heiligen Kirchenlehrers nicht der Theologe, sondern der Dichter und Mystiker das Wort führte, wenn auch der Theologe Gedanken und Ausdruck gewissenhaft überwachte.
Es gilt nun, die mystische Nacht zu erforschen, um in ihr den Widerhall der Botschaft vom Kreuz zu vernehmen. Wir werden dabei am besten das Lied von der Dunklen Nacht zum Ausgangspunkt wählen: es liegt ja den beiden großen Traktaten zugrunde, die sich mit der mystischen Nacht beschäftigen[2].
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NOCHE OSCURA |
DUNKLE NACHT
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I |
I
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En una noche oscura, | In einer dunklen Nacht, |
Con ansias en amores inflamada, | Da Liebessehnen zehrend mich entflammte, |
Oh dichosa ventura! | O glückliches Geschick! |
Salí sin ser notada, | Entwich ich unbemerkt, |
Estando ya mi casa soscgada. | Als schon mein Haus in tiefer Ruhe lag. |
II |
II
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A oscuras, y segura | Im Dunkel wohl geborgen, |
Por la secreta escala disfrazada, | Vermummt und auf geheimer Leiter, |
Oh dichosa ventura! | O glückliches Geschick! |
A oscuras, y en celada, | Im Dunkel und verborgen, |
Estando ya mi casa sosegada. | Da schon mein Haus in tiefer Ruhe lag. |
III |
III
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En la noche dichosa | In dieser Nacht voll Glück, |
En secreto, que nadi me veía, | Heimlichkeit, da niemand mich erblickte, |
Ni yo miraba cosa, | ich auch nichts gewahrte, |
sin otra luz, ni guía, | Und ohne Licht noch Führer |
Sino la que en el corazón ardía. | Als jenes, das in meinem Herzen brannte. |
IV |
IV
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Aquesta me guiaba | Und dieses führte mich |
Más cierto que la luz de mediodía, | Weit sichrer als das Licht des hellen Tages |
A donde me esperaba, | Dahin, wo meiner harrte |
Quien yo bien me sabía, | Er, der mir wohlbekannt, |
En parte, donde nadie parecía. | Abseits, da, wo uns niemand scheiden konnte. |
V |
V
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Oh noche, que guiaste, | O Nacht, die Führer war! |
Oh noche amable más que el alborada, | O Nacht, viel liebenswerter als die Morgenröte! |
Oh noche, que juntaste | O Nacht, die du verbunden |
Amado con amada, | Die Liebste dem Geliebten, |
Amado en el Amado transformada! | In den Geliebten die Geliebte umgewandelt! |
[38]
VI |
VI
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En mi pecho florido, | An meiner blüh’nden Brust, |
Que entero para él sólo se guardaba, | Die sich für ihn allein bewahrte, |
Allí quedó dormido, | Entschlief er sanft, |
Y yo la regalaba, | Ich streichelte ihn sacht, |
Y el ventalle de cedros aire daba. | Und Kühlung gab des Zedernfächers Wehen. |
VII |
VII
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El aire de el almena | Als leicht der Morgenwind |
Cuando ya sus cabellos esparcía, | Die Haare spielend ihm begann zu lüften, |
Con su mano serena | Mit seiner linden Hand |
En mi cuello hería, | Umfing er meinen Nacken, |
Y todos mis sentidos suspendía. | Und alle meine Sinne mir entschwanden. |
VIII |
VIII
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Quedéme, y olvidéme, | In Stille und Vergessen |
El rostro recliné sobre el Amado, | Das Haupt auf den Geliebten hin ich lehnte, |
Cesó todo y déjeme, | Entsunken alles mir, |
Dejando mi cuidado | Verschwunden war die Angst, |
Entre les azucenas olvidado. | Begraben unter Lilien im Vergessen. |
Das dichterische Bild ist vollkommen durchgeführt, kein lehrhaftes Wort durchbricht es. Dafür geben die beiden erklärenden Traktate, Aufstieg und Dunkle Nacht, den Schlüssel zum Verständnis.
Die Seele, die das Lied singt, hat die Nacht durchschritten, sie ist am Ziel angelangt, in die Vereinigung mit dem göttlichen Geliebten eingegangen. Darum ist es ein Preislied auf die Nacht, die Weg zu seligem Glück geworden ist. Der Jubelruf: o glückliches Geschick! klingt wiederholt auf. Aber Dunkelheit und Angst sind nicht vergessen. Es ist noch möglich, sich rückblickend hineinzuversetzen.
Das Haus, das die Braut verlassen hat, ist der sinnliche Teil der Seele[3]. Es ist in Ruhe, weil alle Gelüste darin zum Schweigen gebracht sind. Die Seele konnte sich aus ihnen zurückziehen, weil Gott [39] sie selbst davon freimachte. Aus eigener Kraft hätte sie es nicht vermocht. Mit dieser kurzen Erklärung ist schon der bedeutsame Unterschied zwischen aktiver und passiver Nacht gekennzeichnet, der später noch ausführlich behandelt wird, und das wechselseitige Verhältnis beider. Um frei zu werden von der Fesselung durch ihre sinnliche Natur, muß die Seele mit aller Kranftanspannung darauf hinarbeiten, aber Gott muß ihr mit Seiner Wirksamkeit zu Hilfe kommen, ja zuvorkommen: Gottes Tun regt das ihre an und vollendet es.
Die Loslösung wird als eine Nacht bezeichnet, die die Seele durchschreiten muß. Sie ist es in dreifachem Sinn: im Hinblick auf den Ausgangspunkt, den Weg und das Ziel. Ausgangspunkt ist das Verlangen nach den Dingen dieser Welt, dem die Seele entsagen muß. Diese Entsagung versetzt sie aber in Dunkelheit und wie ins Nichts. Darum wird sie Nacht genannt. Die Welt, die wir mit den Sinnen wahrnehmen, ist ja natürlicherweise der feste Grund, der uns trägt, das Haus, in dem wir uns heimisch fühlen, das uns nährt und mit allem Nötigen versorgt, Quelle unserer Freuden und Genüsse. Wird sie uns genommen oder werden wir genötigt, uns aus ihr zurückzuziehen, so ist es wahrlich, als wäre uns der Boden unter den Füßen weggezogen und als würde es Nacht rings um uns her; als müßten wir selbst versinken und vergehen. Aber dem ist nicht so. In der Tat werden wir auf einen sicheren Weg gestellt, allerdings auf einen dunklen Weg, einen in Nacht gehüllten: den Weg des Glaubens. Es ist ein Weg, denn er führt zum Ziel der Vereinigung. Aber es ist ein nächtlicher Weg, denn im Vergleich mit der klaren Einsicht des natürlichen Verstandes ist der Glaube eine dunkle Erkenntnis: er macht uns mit etwas bekannt, aber wir bekommen es nicht zu sehen. Darum muß gesagt werden, daß auch das Ziel, zu dem wir auf dem Weg des Glaubens gelangen, Nacht ist: Gott bleibt auf Erden auch in der seligen Vereinigung für uns verhüllt. Unser Geistesauge ist Seinem überhellen Licht nicht angepaßt und schaut wie in nächtliches Dunkel. Wie aber die kosmische Nacht nicht ihrer ganzen Dauer nach gleich dunkel ist, so hat auch die mystische Nacht ihre Zeitabschnitte und entsprechenden Grade. Das Versinken der Sinnenwelt ist wie das Hereinbrechen der Nacht, wobei noch ein Dämmerlicht von der Tageshelligkeit zurückbleibt. Der Glaube dagegen ist mitternächtliches Dunkel, weil hier nicht nur die Sinnestätigkeit ausgeschaltet ist, sondern auch die natürliche Verstandeserkenntnis. Wenn aber die Seele Gott findet, dann bricht in ihre Nacht gleichsam schon die Morgendämmerung des neuen Tages der Ewigkeit herein.
[40] Eine gewisse Berührung zwischen Nacht und Kreuz ließe sich wohl schon auf Grund dieses kurzen Überblicks herausstellen; das Verhältnis wird aber noch deutlicher werden, wenn wir die Phasen der Nacht nun im einzelnen betrachten.
Der Ausgangspunkt oder der erste Abschnitt wird von dem Heiligen dunkle Nacht der Sinne genannt[4]. Das, worauf es hier eigentlich ankommt, ist die Ertötung der Freude am Verlangen nach allen Dingen. Es kann sich ja nicht darum handeln, nicht mehr mit den Sinnen wahrzunehmen. Sie sind die Fenster, durch die in die Kerkerfinsternis unseres leibgebundenen Lebens das Licht der Erkenntnis fällt; und die können wir nicht entbehren, solange wir leben. Aber wir müssen lernen zu sehen und zu hören usw., als sähen und hörten wir nicht. Die Grundeinstellung zur sinnenfälligen Welt muß eine andere werden. Diese Grundeinstellung ist beim natürlichen Menschen durchschnittlich durchaus keine reine Erkenntnishaltung – er steht vielmehr in der Welt als Begehrender und als Mann der Tat. Tausendfach ist er mit ihr verknüpft, weil sie ihm bietet, was sein Verlangen stillt, ihn zu Taten anregt und selbst der Stoff seiner Taten ist. Im allgemeinen läßt er sich in seinem Tun und Treiben von Trieben und Begierden leiten, in Nahrung und Kleidung, Arbeit und Ruhe, Spiel und Erholung, im Verkehr mit andern. Er fühlt sich glücklich und zufrieden, wenn er auf keine außerordentlichen Hindernisse stößt. Keine außerordentlichen – denn daß ein hemmungsloses Ausleben in dieser Welt nicht möglich ist, das ist ihm normalerweise von Jugend an so vertraut, daß es ihm zur zweiten Natur geworden ist. Er weiß durch Erziehung und Erfahrung, daß ungehemmte Triebbefriedigung der eigenen Natur verderblich ist, und wird schon durch die gesunde Vernunft zu einer gewissen freiwilligen Einschränkung und Regelung geführt. In gleicher Richtung wirkt die Rücksicht auf andere, die sich im natürlichen Gemeinschaftsleben als unabweisliche Forderung aufdrängt, das natürliche Recht und das natürliche Sittengesetz. Durch alle das wird aber das natürliche Recht der Triebe nicht angetastet, es wird nur mit andern Rechten in Ausgleich gebracht. Mit dem Einsetzen der Dunklen Nacht dagegen beginnt etwas ganz Neues: das ganze behagliche Zuhausesein in der Welt, [41] das Erfülltsein von den Genüssen, die sie bietet, das Verlangen nach diesen Genüssen und das selbstverständliche Jasagen zu diesem Verlangen – all das, was für den natürlichen Menschen das helle Tagesleben bedeutet –, das ist in Gottes Augen Finsternis[5] und unvereinbar mit dem göttlichen Licht. Es muß mit allen Wurzeln heraus, wenn für Gott Raum werden soll in der Seele. Dieser Forderung entsprechen, heißt mit der eigenen Natur auf der ganzen Linie den Kampf aufnehmen, sein Kreuz auf sich nehmen und sich zur Kreuzigung ausliefern. Der heilige Vater Johannes führt in diesem Zusammenhang das Wort des Herrn an: „Wer nicht allem entsagt, was er (mit dem Verlangen) besitzt, kann mein Jünger nicht sein“ (Luc. 14,33). Daß die Herrschaft des Verlangens in der Seele wahrhaft Finsternis ist, wird ausführlich nachgewiesen: die Gelüste ermüden und quälen die Seele, verdunkeln, beflecken und schwächen sie; und sie rauben ihr den Geist Gottes, von dem sie sich durch die Hingabe an den tierischen Geist abwendet. Den Kampf dagegen aufnehmen oder sein Kreuz auf sich nehmen, das heißt aktiv in die dunkle Nacht eingehen. Der Heilige gibt dafür einige kurze und bündige Weisungen, von denen er selbst sagt: „Wer sich .... allen Ernstes darin schulen will, der wird keine anderen mehr brauchen, da er in ihnen alle hat“. Sie lauten:
„1) Trage immerfort das Verlangen, Christus in allen Dingen nachzuahmen und dein Leben dem Seinen gleichförmig zu machen. Darum mußt du es betrachten, damit du es nachahmen und in allem dich so verhalten kannst, wie Er sich verhalten würde.
2) Damit du das ja gut fertig bringest, mußt du auf jeden Genuß verzichten, der sich deinen Sinnen bietet, und ihn fern von dir halten, wenn er nicht einzig zur Ehre und Verherrlichung Gottes gereicht.
Und zwar sollst du das tun aus Liebe zu Jesus, der in Seinem Leben keine andere Freude und kein Verlangen kannte als den Willen Seines Vaters zu vollziehen. Dies nannte er Seine Speise und Nahrung. Wenn sich dir z.B. ein Vergnügen bietet im Anhören von Dingen, die nicht zum Dienste Gottes beitragen, dann sollst du daran weder Freude haben noch sie anhören wollen .... Ebenso übe Entsagung in Bezug auf alle deine Sinne, sofern du ihre Eindrücke gut abweisen kannst. Denn [42] wofern du dies nicht kannst, genügt es, daß du wenigstens keine Freude daran hast, wenn diese Dinge an dich herantreten. Sorge desgleichen dafür, wie du deine Sinne abtötest und unberührt bewahrst von jener Lust. Dann werden sie gleichsam im Dunkeln sein und du wirst so in kurzer Zeit große Fortschritte machen.
Als durchgreifende Mittel zur Abtötung und harmonischen Ordnung der vier natürlichen Leidenschaften: Freude, Hoffnung, Furcht und Schmerz mögen folgende Leitsätze dienen. Denn wo diese Leidenschaften beruhigt und wohlgeordnet sind, da können die obengenannten Güter und viele andere gedeihen. Darum sind diese Leitsätze auch von großem Wert und die Wurzel großer Tugenden. Trage Sorge dafür, daß deine Neigung stets gerichtet sei:
– Nicht auf das Leichtere, sondern auf das Schwierige,
– Nicht auf das Angenehmere, sondern auf das Unangenehmere,
– Nicht auf die Ruhe, sondern auf die Mühe,
– Nicht auf das Mehr, sondern auf das Weniger,
– Nicht auf das, was dir mehr Freude, sondern was dir Unfreude bringt,
– Nicht auf das, was dir Trost, sondern vielmehr auf das, was dir Mißtrost bereitet,
– Nicht auf das Höhere und Wertvollere, sondern auf das Niedrige und Unscheinbare,
– Nicht auf das, was etwas sein will, sondern auf das, was nichts sein will.
– Nicht das Bessere in den Dingen suchen, sondern das Schlechtere. Verlange um Christi willen einzugehen in völlige Entblößung und Freiheit und Armut von allem, was es in der Welt gibt. Diese Werke sollst du von Herzen umfangen und dich bemühen, den Willen darin aufgehen zu lassen .... Wird das Gesagte recht gehandhabt, so genügt es, um eingehen zu können in die Nacht der Sinne....“[6]
Daß dieses aktive Eingehen in die dunkle Nacht der Sinne gleichbedeutend ist mit bereitwilligem Aufnehmen des Kreuzes und beharrlichem Kreuztragen, bedarf keiner Erläuterung mehr. Aber am Kreuztragen allein stirbt man nicht. Und um die Nacht völlig zu durchschreiten, muß der Mensch der Sünde sterben. Er kann [43] sich zur Kreuzigung ausliefern, aber er kann sich nicht selbst kreuzigen. Darum muß das, was die aktive Nacht begonnen hat, durch die passive Nacht vollendet werden, d.h. durch Gott selbst. „Soviel sich auch die Seele bemüht, sie vermag doch nicht durch eigene Anstrengung sich so wirksam zu reinigen, daß sie auch nur im geringsten zur vollkommenen Liebesvereinigung mit Gott fähig ist, wenn Er sie nicht in Seine Hand nimmt und in jenem dunklen Feuer reinigt....“[7]
Es ist früher erwähnt worden, daß das aktive Eintreten der Seele in die dunkle Nacht ihr nur möglich ist, weil Gottes Gnade ihr zuvorkommt, sie zieht und auf dem ganzen Wege stützt. Aber diese zuvorkommende und helfende Gnade hat bei den Anfängern noch nicht den Charakter der Dunklen Nacht. Sie werden vielmehr von Gott behandelt wie kleine Kinder von einer zärtlichen Mutter, die sie auf ihren Armen trägt und mit süßer Milch nährt: es wird ihnen bei allen geistlichen Übungen – bei Gebet, Betrachtung und Abtötungen – reichlich Freude und Trost zuteil. Diese Freude wird bei ihnen zum Beweggrund, sich den geistlichen Übungen hinzugeben. Sie merken nicht, welche Unvollkommenheit darin liegt und wieviele Fehler sie bei ihren Tugendübungen begehen. Der Heilige zeigt an lebendigen Beispielen, daß sich bei den Anfängern alle 7 Hauptsünden, auf geistliches Gebiet übertragen, finden: geistliche Hoffart, die sich etwas auf ihre Gnaden und Tugenden zugute tut, auf andere herabsieht und lieber belehrt als Belehrung annimmt; geistliche Habsucht, die nicht genug bekommen kann an Büchern, Kreuzen, Rosenkränzen usw.[8] Um von all diesen Mängeln frei zu werden, müssen wir von der Milch der Tröstungen entwöhnt und mit kräftiger Kost ernährt werden. „Haben sie sich eine Zeit lang auf dem Wege der Tugend geübt, in der Betrachtung und in dem Gebet sich treu erwiesen und durch die Süßigkeit und den Genuß, den sie dabei gefunden, sich von der Anhänglichkeit und Liebe zu den Dingen dieser Welt freigemacht, haben sie sich endlich einige geistige Kraft in Gott erworben, wodurch sie das Gelüsten nach den Geschöpfen bezähmen und um Gottes willen einige Beschwerden und Trockenheiten ertragen können, ohne sich [44] nach jener besseren Zeit zurückzusehnen, wo sie an den geistlichen Übungen mehr Wohlgeschmack und Genuß empfanden ...., dann verdunkelt ihnen Gott all dieses Licht, verschließt ihnen die Tür und verstopft ihnen die Quelle des süßen Wassers des Geistes, aus der sie bisher immer, und so oft es ihnen beliebte, getrunken hatten .... Jetzt .... versetzt Er sie in Dunkelheit, sodaß sie nicht wissen, wohin sie sich mit ihrer Einbildungskraft und ihren Gedanken wenden sollen“[9]. Alle frommen Übungen erscheinen ihnen nun geschmacklos, ja widerwärtig. Daß es sich dabei nicht um die Folge von Sünden und Unvollkommenheiten handelt, sondern um die reinigende Trockenheit der dunklen Nacht, sieht man an drei Kennzeichen:
1) daß die Seele auch an den Geschöpfen keinen Geschmack findet;
2) daß sie „mit peinlicher Angst und Sorge an Gott denkt und glaubt, sie diene Ihm nicht recht und es gehe rückwärts, weil sie keine Freude an göttlichen Dingen wahrnimmt“[10]. Denn darum würde sie sich keine Sorge machen, wenn ihre Trockenheit in Lauheit begründet wäre. In der reinigenden Trockenheit dagegen herrscht immer das Verlangen, Gott zu dienen. Und der Geist erstarkt, während der sinnliche Teil aus Mangel an Genuß sich schlaff und kraftlos fühlt. „Gott überträgt die Güter und Kräfte des sinnlichen Teils auf den Geist, und da die Sinnlichkeit und die natürliche Kraft für diese keine Empfänglichkeit haben, darum leiden sie Entbehrung, bleiben trocken und leer. Denn der sinnliche Teil des Menschen hat keine Befähigung für das, was des Geistes ist. Wenn daher der Geist Erquickung findet, fühlt das Fleisch Widerwillen und zeigt sich schlaff zum Handeln. Der Geist, der zur selben Zeit Nahrung empfängt, wird weit kräftiger, wachsamer und umsichtiger als vorher, um es im Dienst Gottes an nichts fehlen zu lassen“[11]. Weil er aber an geistige Süßigkeit noch nicht gewöhnt ist, empfindet er zunächst nichts davon, sondern nur Trockenheit und Mißfallen;
3) erkennt man die reinigende Trockenheit daran, „daß die Seele nicht mehr betrachten und nachsinnen und trotz aller Anstrengung den inneren Sinn der Einbildungskraft nicht mehr gebrauchen kann .... Gott teilt sich in diesem Stande der [45] Seele nicht mehr durch die Sinne mit, wie Er es vorher mittels des forschenden Nachdenkens tat...., sondern Er hat jetzt begonnen, sich mittels des reinen Geistes mitzuteilen, wobei ein Aufeinanderfolgen von Gedanken nicht mehr stattfindet, nämlich mittels des Aktes der einfachen Beschauung, zu der weder die inneren noch die äußeren Sinne des sinnlichen Menschen eine Befähigung haben“. Diese dunkle und für den sinnlichen Mensch trockene Beschauung ist „etwas Verborgenes und auch für den, der sie besitzt, geheimnisvoll....“[12] Gewöhnlich verleiht sie „der Seele eine Neigung und ein Verlangen nach Einsamkeit und Ruhe, ohne daß sie an etwas Bestimmtes denken könnte noch auch wollte“[13]. Würden die Seelen sich nun ruhig verhalten, „so würden sie gar bald in dieser Ruhe und in diesem Vergessen aller Dinge jene überaus köstliche innere Erquickung empfinden. Diese Erquickung ist nämlich so zart, daß sie die Seele gewöhnlich nicht fühlt, wenn sie ein übermäßiges Verlangen danach trägt oder in besonderer Weise um deren Genuß besorgt ist.... Sie gleicht der Luft, die sogleich entschwindet, wenn man sie mit der Hand erfassen will .... Gott behandelt die Seele in diesem Stande in der Weise und führt sie auf einem so eigenartigen Wege, daß sie das Werk Gottes, .... wenn sie aus eigener Kraft und Fähigkeit wirken will, eher hindert als fördert“. Der Friede, den Gott ihr durch die Trockenheit des sinnlichen Menschen schenken will, ist „geistig und überaus köstlich“ und „Sein Wirken ruhig, zart, still, befriedigend und friedevoll, von den früheren Genüssen, die mehr fühlbar und sinnlich wahrnehmbar waren, durchaus verschieden“[14]. So ist es zu verstehen, daß nur das Sterben des sinnlichen Menschen gespürt wird und nicht der Anbruch eines neuen Lebens, der sich darunter verbirgt.
Es ist keine Übertreibung, wenn wir die Leiden der Seelen in diesem Zustand ein Gekreuzigtwerden nennen. In ihrer Unfähigkeit, ihre Kräfte zu gebrauchen, sind sie wie festgenagelt. Und zu der Trockenheit kommt die Qual der Furcht, sie seien auf einem Irrweg. „Sie leben in dem Glauben, alle geistlichen Güter verloren zu haben und von Gott verlassen zu sein“. Sie mühen sich ab, auf die frühere Weise tätig zu sein, können aber damit nichts ausrichten und stören nur den Frieden, den Gott in ihnen wirkt. Sie sollten [46] jetzt gar nichts anders tun als die „Geduld bewahren und im Gebet ausharren, ohne irgend eine Tätigkeit; es wird hier von ihnen allein gefordert, daß sie ihre Seele frei und unbehindert von allen Erkenntnissen und Gedanken und in Ruhe bewahren, ohne sich darum zu kümmern, was man denken und betrachten soll; es genügt, wenn sie in einem ruhigen und liebenden Aufmerken auf Gott verharren und jede Besorgnis, jede Tätigkeit und jedes übermäßige Verlangen, Gott wahrzunehmen und zu kosten, ausschließen“. Statt dessen mühen sie sich ohne sachkundige Führung vergeblich ab, quälen sich vielleicht noch mit dem Gedanken, daß sie mit dem Gebet nur Zeit verlieren und es lieber aufgeben sollten. Würden sie sich der dunklen Beschauung ruhig überlassen, dann würden sie bald spüren, was der 2. Vers des Nachtliedes sagt: das Aufflammen der Liebe. „Denn die Beschauung ist nichts anderes als ein geheimnisvolles fried- und liebevolles Einströmen Gottes, welches, wenn man es nicht hindert, die Seele mit dem Geist der Liebe entflammt“[15]. Anfangs wird diese Entflammung der Liebe gewöhnlich gar nicht wahrgenommen. Die Seele fühlt vielmehr nur Trockenheit und Leere, schmerzliche Angst und Besorgnis. Und wenn sie etwas davon spürt, so ist es ein peinvoller Sehnsuchtsdrang nach Gott, eine schmerzende Liebeswunde. Erst später wird sie erkennen, daß Gott sie durch die Nacht der Sinne reinigen und die Sinne dem Geist unterwerfen wollte. Dann wird sie ausrufen: O glückliches Geschick! Und es wird ihr klar werden, welchen Gewinn das „unbemerkte Entweichen“ für sie bedeutete: es hat sie befreit von der Knechtschaft, in der die Sinne sie hielten, ihre Neigung nach und nach losgelöst von allen Geschöpfen und den ewigen Gütern zugewendet. Die Nacht der Sinne war für sie die enge Pforte (Matth. 7,14), die zum Leben führte. Nun soll sie auf dem schmalen Weg durch die Nacht des Geistes wandeln. So weit gelangen freilich nur wenige, doch schon die Vorteile aus der ersten Nacht sind überaus groß: es wird der Seele Selbsterkenntnis verliehen; sie kommt zur Einsicht in ihr eigenes Elend, findet nichts Gutes mehr an sich und lernt dadurch, mit größerer Ehrfurcht Gott gegenüberzutreten. Ja, erst jetzt geht ihr die Größe und Erhabenheit Gottes auf. Gerade die Freiheit von allen sinnlichen Stützen ermöglicht es ihr, Erleuchtungen zu empfangen und für die Wahrheit zugänglich zu werden. Darum heißt es im Psalm: „Im wüsten, unwegsamen und wasserlosen Lande erscheine ich vor Dir im Heiligtum, um Deine Herrlichkeit zu schauen“ (Ps. 62,3). Der Sänger gibt damit [47] zu verstehen, „daß nicht die geistigen Freuden und zahlreichen Genüsse .... die Voraussetzung und das Mittel zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes waren, sondern Trockenheit und Entblößung des sinnlichen Menschen....“[16] Unter „unwegsames Land“ aber versteht Johannes die Unfähigkeit, durch diskursives Denken sich einen Begriff von Gott zu machen oder durch nachforschendes Denken mit Hilfe der Einbildungskraft voranzukommen.
In der Trockenheit und Leere wird die Seele auch demütig. Die frühere Hoffart schwindet, wenn man in sich nichts mehr findet, was Anlaß geben könnte, auf andere herabzusehen; vielmehr erscheinen einem die andern nun viel vollkommener, es erwacht Liebe und Hochschätzung für sie im Herzen. Man hat auch jetzt zuviel mit dem eigenen Elend zu tun, um auf andere zu achten. Durch ihre Hilflosigkeit wird die Seele auch unterwürfig und gehorsam; sie sehnt sich nach Belehrung, um auf den rechten Weg zu gelangen. Gründliche Heilung erfährt die geistliche Habsucht: wenn man an keinerlei Übungen mehr Geschmack findet, wird man sehr mäßig und tut, was man tut, rein um Gottes willen, ohne eigene Befriedigung darin zu suchen. So geht es mit allen Unvollkommenheiten. Mit ihnen entschwindet dann auch alle Verwirrung und Unruhe. Statt dessen zieht ein tiefer Friede ein und eine ständige Erinnerung an Gott. Ihm zu mißfallen ist die einzige Sorge, die noch bleibt. Die dunkle Nacht wird zur Schule in allen Tugenden: sie übt in Ergebung und Geduld, wenn man im geistlichen Leben treu ist, ohne Trost und Erquickung zu finden. Die Seele gelangt zu einer lauteren Gottesliebe, indem sie nur noch um Gottes willen handelt. Das Ausharren in allen Widerwärtigkeiten gibt ihr Kraft und Starkmut. Die vollkommene Reinigung von allen sinnlichen Neigungen und Gelüsten führt zur Freiheit des Geistes, in der die zwölf Früchte des Geistes reifen. Sie gibt Geborgenheit gegenüber den drei Feinden: Teufel, Welt und Fleisch, die gegen den Geist nichts ausrichten können: ihnen ist die Seele „unbemerkt entwichen“. Und nun, da die Leidenschaften zur Ruhe gebracht sind, die Sinnlichkeit durch die Trockenheit eingeschläfert, „liegt das Haus in tiefer Ruhe“.
Die Seele ist entschlüpft und auf den Weg des Geistes gelangt, den Weg der Fortschreitenden oder den Erleuchtungsweg, auf dem Gott sie selbst, ohne ihre eigene Tätigkeit, unterrichten will. Sie befindet sich jetzt in einem Übergangszustand. Die Beschauung verlebt ihr reine geistige Freuden, an denen auch die gereinigten [48] Sinne Anteil gewinnen. Sie kehrt aber zeitweise noch zur Betrachtung zurück. Und auch die Freuden wechseln mit schmerzlichen Heimsuchungen. Vor dem Eintritt in die Nacht des Geistes kommen zur Trockenheit und Leere noch schwere und schmerzliche Prüfungen durch peinliche Versuchungen: der Geist der Unlauterkeit und der Gotteslästerung bemächtigt sich ihrer Einbildungskraft, und ein Geist des Schwindels stürzt sie in tausend Skrupeln, in Verwirrung und Ratlosigkeit. Durch diese Stürme sollen die Seelen erprobt und gestählt werden. Es werden aber nicht alle gleich schwer geprüft. Viele gelangen über diesen Übergangszustand überhaupt nicht hinaus. Doch die ans Ziel gelangen sollen, müssen viel ertragen. Je höher der Grad der Liebesvereinigung ist, zu dem Gott sie emporführen will, um so gründlicher und langdauernder pflegt die Reinigung zu sein. Denn auch den Fortgeschrittenen haften noch viele gewohnheitsmäßige Unvollkommenheiten an, von denen sie durch die Nacht des Geistes befreit werden müssen. Mit dem Geist zusammen werden auch die Sinne erst völlig gereinigt werden. Denn in ihm haben die Unvollkommenheiten ihre Wurzeln[17].
Die Darstellung des Reinigungsweges zeigt deutlich, daß diese Nacht nicht ohne Licht ist, wenn ihm auch die Augen der Seele noch nicht angepaßt sind und es nicht wahrnehmen können. In den verhältnismäßig kurzen Ausführungen, die Johannes der Nacht der Sinne widmet, werden die wertvollen Früchte der Nacht stark hervorgehoben. Aber das steht nicht im Gegensatz zur Kreuzesbotschaft. Es wurde ja schon früher daran erinnert, daß der Heiland an die Ankündigung Seines Leidens und Sterbens am Kreuz die frohe Botschaft von der Auferstehung schloß. Nach der Liturgie der Kirche geht es per passionem et crucem ad resurrectionis gloriam. Mit dem Tod des Sinnenmenschen hält das Erstehen des Geistesmenschen Schritt. Aber diese wunderbare neue Geburt ist bisher nur angedeutet worden. Johannes hat sich in der Darstellung der ersten Nacht kurz gefaßt, weil er Eile hat, zur Nacht des Geistes zu gelangen. Sie ist sein Hauptgegenstand. Darum ist es besser, das Verhältnis von Tod und Auferstehung erst nach der Dunklen Nacht des Geistes zu behandeln.
- ↑ E. Cr. III 160 f.
- ↑ Text der E. Cr. III 157. Die Übersetzung ist mit Hilfe der verschiedenen Übertragungen in der deutschen Ausgabe des Theatinerverlages und einer wortgetreuen flämischen (Cyriel Verschaeve, Schoonheid en Christendom, Brügge 1938, S. 57 f.) dem Urtext möglichst genau angepaßt.
- ↑ Aufstieg, B. I Kap. l, E. Cr. 136.
- ↑ Sie wird behandelt im I. Band des Aufstiegs zum Berge Karmel und im I. Teil der Dunklen Nacht, der Die dunkle Nacht der Sinne überschrieben ist.
- ↑ Diese Finsternis, in der Sünde begründet, ist durchaus unterschieden von der Dunkelheit, die in Gott ihren Ursprung hat und zur Aufhebung der Finsternis führt.
- ↑ Aufstieg, B I Kap. 13, E. Cr. I 87 ff.
- ↑ Dunkle Nacht, Die Nacht der Sinne § 4, E. Cr. II 13.
- ↑ a. a. O. § 2 ff., E. Cr. II 8 f.
- ↑ a. a. O. § 9, E. Cr. II 26 f.
- ↑ a. a. O. § 10 (Kap. 9), E. Cr. II 28.
- ↑ a. a. O. II 29.
- ↑ a. a. O. II 31.
- ↑ a. a. O. II 30.
- ↑ a. a. O. § 10 (Kap. 9), E. Cr. II 31.
- ↑ a. a. O. § 11 Kap. 10), E. Cr. II 33 f.
- ↑ a. a. O. § 2 (Kap. 12), E. Cr. II 42.
- ↑ Vgl. Die Nacht des Geistes, § 3 (Kap. 3), E. Cr. II, 55.
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