Litterarische Skizzen/Gabriel Sundukianz

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Erzbischof Gabriel Aiwasowski Litterarische Skizzen
von Arthur Leist
Das armenische Zeitungswesen
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VIII.
Gabriel Sundukianz.



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[125] Es ist begreiflich, dass die christlichen Völker des Orientes durch ihre unmittelbare Berührung mit der mahomedanischen Welt dieser vielfach unterliegen mussten und zuletzt in Anschauungen, Sitten und Gebräuchen den Bekennern des Islams fast ähnlich wurden. Auch die Armenier vermochten im Laufe der Jahrhunderte diesem Schicksale nicht zu entgehen und wenn sie auch ihre Religion vor einer Verschmelzung mit Türken und Persern bewahrte, so gelang es ihnen doch nicht dem überwältigenden Drucke der islamitischen Lebensgesetze zu widerstehen und wurden somit in vieler Hinsicht äusserlich, in mancher auch innerlich, den Mahomedanern ähnlich. Dass sie bei alledem noch eine grosse Kluft [126] von den letzteren trennte, lässt sich nicht leugnen, aber es ist Thatsache, dass die Armenier bis zu Anfang unseres Jahrhunderts im Grossen und Ganzen unter dem Einflüsse der mahomedanischen Lebensauffassung standen und dem christlichen Abendlande geradezu fremd waren. Besonders war es die Sonderstellung der Frauen und deren Getrenntheit von den Männern, welche die Armenier lange von der abendländischen Welt fern hielt und der europäischen Kultur den Zutritt wehrte. Als der Andrang der letzteren immer stärker wurde, erschwachte natürlich allmälig die mahomedanische Beeinflussung, die nur eingeschlummerten christlichen Lebensgrundsätze erwachten wieder und mit ihnen erschloss sich auch die armenische Welt der europäischen Kultur. Die Europäisierung des Lebens ging jedoch nicht so leicht vor sich und sogar die gebildetere Klasse des Volkes brachte lange Jahrzehnte hindurch allen Neuerungen nur Misstrauen entgegen.

Unter solchen Umständen konnte natürlich so Manches, was im Abendlande längst [127] als Kulturbedürfnis betrachtet wurde, nur mit Mühe Wurzel fassen. Zu diesen Faktoren gehört unter anderen das Theater, dessen Aufkommen bei dem völligen Mangel an öffentlichem Leben bei den Armeniern sehr schwierig war. Die ersten Anfänge der Bühnenkunst wurden in den zwanziger Jahren in der Türkei[1] gemacht, wo damals in den armenischen Lehranstalten mitunter von den Schülern Deklamationsvorstellungen gegeben wurden, die natürlich mit der eigentlichen Bühnenkunst nur sehr wenig gemein hatten. In den vierziger Jahren machten die Armenier des Konstantinopelschen Stadtteils Hasgük die ersten Versuche, ein Liebhabertheater zu gründen, das jedoch einen fast völlig häuslichen Charakter hatte, obgleich ein gewisser Serapion Akimian das begonnene Unternehmen eifrig förderte. Im Jahre 1857 wurde zum Zwecke der Entwicklung des noch in der Wiege liegenden Theaterwesens, von Armenak Haikuni sogar eine Zeitschrift „Mussajk Massjaz“ [128] (die Musen des Ararat) gegründet, welche Übersetzungen von Bühnenstücken brachte und drei Jahre bestand.

Im Jahre 1858 wurde endlich in Konstantinopel die erste beständige öffentliche Bühne gegründet und zwar von einem Verein von Theaterfreunden. Bis dahin waren die Frauenrollen immer von Männern gespielt worden und zwar aus dem Grunde, dass keine Armenierin zu bewegen war die Bühne zu betreten. Erst jetzt entschloss sich eine junge Frau Namens Mariam, das Weib eines Schusters, allen Vorurteilen trotzend, Schauspielerin zu werden. Ihre Kühnheit wurde jedoch sehr übel aufgenommen, sie verlor ihren guten Ruf und sogar ihren Unterhalt, den sie sich als Weissnäherin verdiente. Auch ihr Mann, der Schuster, hatte von seinen Zunftgenossen viel zu leiden, so dass er schliesslich seine Werkstatt schliessen musste und sich aus Verzweiflung dem Trunke ergab.

Um dieselbe Zeit entstand auch in Smyrna ein armenisches Theater und bald darauf wurde von dem Dichter Beschiktaschlian in Konstaninopel [129] ein zweites gegründet. Im Jahre 1861 traten mehrere junge Leute zusammen und durch ihre Mühwaltung erstand in Pera das „Orientalische Theater“, welches bald eine ziemliche Bedeutung erlangte und auf die Entwicklung der armenischen Bühnenkunst grossen Einfluss hatte. Der erste armenische Schauspieler von Fach, der sich ganz und gar dem Theater widmete, war Stephan Ekschian, der auch die ersten Schauspielerinnen heranbildete, von denen sich in der Folge eine gewisse Arussiak einen guten Ruf erwarb. Besonders zeichnete sie sich als Amalie in Schillers „Räubern“ aus.

Im Jahre 1862 wurde auch der Anfang zu einer armenischen Oper gemacht, zu deren Entstehen nicht wenig Gabriel Eranjan, der Herausgeber der „Armenischen Lyra“, beitrug. Nach seinem Tode führte sein Schüler Tigran Tschuchadschian diese Zeitschrift weiter, gründete im Jahre 1863 noch die „Osmanischen Melodieen“ und verfasste schliesslich die Oper „Arschak II.“, deren Vorwurf er aus der armenischen Geschichte entlehnte.

[130] Seit dieser Zeit hatte das armenische Bühnenwesen in der Türkei ein wechselndes Glück, entwickelt sich jedoch weiter, wenn auch diese Entwicklung langsamen Schrittes vor sich geht. Anfänglich bestand das Repertoire der dortigen Theater zumeist aus Übersetzungen und zwar sowohl von Lustspielen als auch Dramen der hervorragendsten Dramaturgen des Abendlandes. Shakespeare, Schiller, Al. Dumas, Victor Hugo und viele andere wurden ins Armenische übersetzt und einem Publikum vorgeführt, das grösstenteils für die dramatische Kunst noch kein Verständnis besass, aber es heute wohl schon einigermassen erworben zu haben scheint, denn dafür zeugt die Begeisterung, welche gegenwärtig der ausgezeichnete Tragiker Adamian hervorruft, sobald er Shakespearesche Hauptrollen spielt, während mittelmässigere Darsteller mit Lauheit aufgenommen werden. Allerdings war es ein falscher Weg, den die damaligen armenischen Theaterfreunde einschlugen, um unter ihren Landsleuten den Kunstsinn auszubilden, aber es scheint doch, als ob sie dabei einem rechten [131] Instinkte gefolgt wären, denn die Armenier haben wirklich für das Ernstere und Ergreifende grosse Vorliebe und zeigen auch Verständnis dafür. Sehr zahlreich, wenn auch nur teilweise wertvoll, sind ihre aus der armenischen Geschichte entlehnten Dramen, die, mögen sie auch bei strenger Kritik viel zu wünschen übrig lassen, dennoch einen künstlerischen Kern besitzen und den Geschmack des Publikums kennzeichnen.

Das heimische Lustspiel kam bei den Armeniern erst da auf, als die grossen Dramen des Abendlandes schon mehrere Jahre hindurch über die Bretter ihrer Theater gegangen waren und sich bei ihnen gewissermassen eingebürgert hatten. Das Typische und Charakteristische des heimischen Lebens wurde nur wenig ausgenutzt und sogar mit geringem Erfolge. Für das beste armenische Originallustspiel der Konstantinopeler Theater galt lange Choren Galfs „A la franca“, in welchem die rücksichtslose Ausländerei der höheren armenischen Gesellschaft in Stambul einer komischen Verzerrung preisgegeben wurde.

[132] Einen ganz anderen Entwicklungsgang nahm das armenische Bühnenwesen in Transkaukasien. Hier war es das Lustspiel, mit welchem der Anfang gemacht wurde und zwar das Lustspiel mit völlig heimischem Stoffe und erst als die junge Bühne in die Hände eines rührigen, aber nur auf eine volle Kasse bedachten Unternehmers kam, wurden Indianer, italienische Banditen und diesen ähnliche Strolche auf die Bretter gebracht. Da war allerdings das Theater nur eine Schaubude der gewöhnlichsten Art und von Kunst war gar keine Rede. Der Schöpfer aller dieser Räuberspiele war ein gewisser M. Patkanian.[2] Er gab dem Publikum fast alle Wochen etwas Neues und zwar rührten alle diese Machwerke von ihm selbst her. Seine Produkte hatten lange bei dem noch ganz und gar nicht kunstreifen Volke grossen Erfolg, und erst als ein Nebenbuhler in der Person eines gewissen Karenianz auftrat, brach der ganz aus Rand und Band gekommene Komödienfabrikant [133] die Beine und musste seine Bude schliessen. Karenianz brachte im Jahre 1860 auf die noch ungehobelten Bretter ein gleichfalls ganz ungehobeltes Drama „Schuschanik“ (Susanna), dessen Stoff der armenischen Geschichte entlehnt war. Das Ding war schauerlich genug um zu gefallen und erlebte eine ganze Reihe von Aufführungen.

Mit dem Jahre 1863 trat für das armenische Theater in Tiflis eine Wendung zum Besseren ein. Zum ersten Male zeigten sich jetzt Frauen auf der Bühne und unter ihrer Mitwirkung gewann das Spiel mehr an wirklicher Charakteristik und Naturtreue. Auch vermehrte sich jetzt bedeutend die Zahl der Originalstücke, unter denen allerdings viel Pfuschwerk war, denn Viele, denen die Bühnenkunst ganz fremd war, griffen jetzt zur Feder und schrieben Dramen und Lustspiele, die nicht den geringsten Wert besassen. Die Lustspiele behandelten zumeist das an charakteristischen Eigenarten so reiche Tifliser Leben, brachten aber aus dieser reichen Fundgrube nur grobe Metallstücke ans Tageslicht. [134] Erst Ter-Grikorian und Gabriel Sundukianz erhoben das Lustspiel zum Charakterbilde. Unter den Stücken des ersteren zeichnete sich besonders der „Geizhals“ aus, der aus dem Leben herausgegriffen war und von den früheren Harlekingestalten weit abstand. Der zweite, Gabriel Sundukianz, der fast zu derselben Zeit auftrat, ist im strengen Sinne genommen, der eigentliche Schöpfer des armenischen Lustspiels und steht auch bis heute noch unübertroffen da. Er kennt vortrefflich die Tifliser Bevölkerung, ihre typischen Eigenheiten, Makel und Tugenden und ist zudem ein feiner Beobachter alles dessen, was nicht gerade oben aufliegt, aber doch Bedeutung hat und so manche Erscheinung des Lebens begründet. Als Sundukianz auftrat, befand sich die armenische Gesellschaft gerade im ersten Stadium der Übergangsperiode, denn ein Teil derselben fing an sich zu europäisieren, worunter allerdings die meisten nur die Annahme von Oberflächlichkeiten verstanden. Vor Allem galt es in das morsche Gebäude der alten Lebensregeln Bresche zu legen und die Kraft alter Vorurteile [135] zu erschüttern und dabei konnte das Theater erfolgreich Hilfe leisten. Sundukianz begann auch mit einer solchen Bresche, aber er blieb weit davon, durch dieselbe in das alte Gebäude hineinzusteigen und die Mauern zum Schwanken zu bringen. Er zog nur in seinem ersten Lustspiele „Chatabala“ gegen den Asiatismus des armenischen Lebens ins Feld und kehrte dann zu einzelnen Charakteren oder Übeln zurück, ohne weiter gegen das Alte und Schlimme als Ganzes aufzutreten. Ein Reformer oder Sittenreiniger im weiten Sinne ist er also nicht, aber er ist ein Charakterschilderer und Geissler, der oft einen glücklichen Griff thut und Witz besitzt. Dabei ist er schonungsloser Realist, der die Bereicherungskünste des Kaufmannes ausposaunt, dem Schwindel bis in seine geheimsten Triebfedern nachspäht und allen Schmutz solchen Treibens ans Tageslicht zerrt. Sein Feld ist weit, im Salon, im Arbeitszimmer des reichen Kaufmannes, im Laden des Krämers, auf dem Basar, überall lauscht er dem Getriebe, dessen Endzweck der Gewinn ist oder wenigstens [136] sein soll. Auch im Familienleben weiss er den Schatten hervorzuholen und manche lächerliche Seite zu zeigen.

In der „Chatabala“, welches Wort ungefähr besagt: „Was soll denn das heissen?“ macht er sich lustig über die heute schon unter den Armeniern schwindende Sitte, nach welcher der Bräutigam vor der Hochzeit nicht das Recht hat seine Braut zu sehen. Auf diese Weise kann es mitunter gelingen, die hässlichste Tochter unter die Haube zu bringen, wenn eine leidliche Mitgift dabei die Lockspeise ist. Im Stücke „Chatabala“ zeigt Sundukianz auf ganz geschickte Weise die Möglichkeit eines solchen Falles. Ein junger, schon etwas europäisierter Mann begegnet auf der Strasse einem jungen hübschen Frauenzimmer, das ihn ganz und gar bezaubert. Er erglüht natürlich in Liebe zu ihr und zieht über sie Erkundigungen ein bei seinem früheren Bekannten, den er seit mehreren Jahren nicht gesehen und jetzt gerade zufällig in der Nähe des Hauses trifft, in welchem die Schöne verschwunden. Der Bekannte ist ein schlauer [137] Kunde und benützt sofort die Gelegenheit, ein kleines Geschäftchen zu machen. Das Haus, in welches die Schöne eingetreten, gehört nämlich einem gewissen Sambachian, der ziemlich bemittelt ist und eine hässliche Tochter hat, die er auf keine Weise an den Mann bringen kann. Er erzählt also dem jungen Manne, die betreffende Schöne wäre die Tochter Sambachians, während sie jedoch in Wirklichkeit seine, des früheren Bekannten, Frau ist. Da es der verliebte Jüngling glaubt, gehen die Vorbereitungen ziemlich glatt von Statten und der alte Sambachian reibt sich schon die Hände vor Freude, endlich seine Tochter loszuwerden. Als der junge Mann schon zur Hochzeit im Hause Sambachians erscheint, bemerkt er jedoch, dass er betrogen worden und anstatt sich der scheinbaren Notwendigkeit zu fügen, sucht er so schnell wie möglich das Weite und lässt die hässliche Tochter Sambachians ganz einfach sitzen. Hätte er etwas weniger Entschlossenheit besessen, so wäre er wohl, um einen „Skandal“ zu vermeiden, des schlauen Spiessbürgers Schwiegersohn geworden [138] worden und die Geschichte hätte einen asiatischen Abschluss genommen. So aber endet sie auf europäische Weise und der Dichter protestiert durch den Mund des angeführten Jünglings gegen das Althergebrachte.

Im „Pepo“ zeigt Sundukianz einen Gauner, der auf alle mögliche Weise sein Vermögen vermehrt, der selbst den Armen den letzten Bluttropfen aussaugt und doch für einen Ehrenmann gilt und geachtet wird, weil er eben reich ist. Diesem Gauner, Namens Simsimian, hat der Vater des Fischers Pepo eine kleine Barschaft zum Aufbewahren anvertraut, die nun der letztere, um seine Schwester Keke an einen Krämer zu verheiraten, zurückverlangt. Unglücklicher Weise ist aber dem Fischer Pepo der von Simsimian ausgestellte Empfangschein abhanden gekommen und Simsimian verweigert daher die Auszahlung der ihm anvertrauten Summe. Pepo kann also seiner Schwester keine Mitgift geben und deren Bräutigam ist auch „praktisch“ genug, die Verlobung sofort rückgängig zu machen und sich nach einer andern Frau umzusehen. Nach [139] vielem Hin- und Herschweben der Handlung wird endlich der Schuldschein gefunden und Pepo stellt nun den geachteten Gauner an den Pranger der Öffentlichkeit. „Mögen jetzt die Leute erfahren,“ ruft er aus, „dass es für diesen Mann, den alle schätzen und achten, nichts Heiliges in der Welt giebt.“

Das Stück ist nicht arm an typischen Gestalten und Bildern und ist so ganz aus dem Leben der Tifliser Armenier herausgegriffen. Im ersten Akte hat man einen Einblick in die Häuslichkeit des armen Fischers, der ein biederer, ehrlicher Kerl ist und dessen Familienleben ein Bild anziehender Sittenreinheit und Tugend bietet. Alles, was der arme Mann verdient, teilt er mit seiner alten Mutter und seiner Schwester Keke und als er in Not gerät, bietet ihm sein Freund Kakuli seinen silbernen Gurt an, damit er mit dem dafür gelösten Gelde seine notwendigsten Ausgaben bestreiten könne. Auch ein paar Flaschen Wein bringt er mit, um den Freund in seinem Unglücke zu erheitern.

Der zweite Akt spielt im Hause des [140] reichen Gauners Arutin, der eben vier und zwanzig Gäste zu seiner reich besetzten Mittagstafel erwartet. Obgleich geldgierig und habsüchtig, muss er dennoch dem äusseren Glanze einige Opfer bringen und somit den Leuten, die etwa über ihn Schlimmes reden, die Mäuler stopfen. Als unkultivierter, ungesitteter Emporkömmling sieht er natürlich nur in der reich besetzten Tafel die Möglichkeit, sich Wichtigkeit beizulegen. Zu allem andern ist er zu plump, zu unflätig. Seine Frau Eufemia, die Tochter armer Eltern, die sich nun im Reichtum etwas Tünche angelegt, ist ein herrschsüchtiges eitles Weib, die im grellen Glanze des materiellen Wohlstandes alles Glück des Lebens sieht und vor keiner Verschwendung zurückschreckt, wenn diese nur Geräusch macht. Sie regiert ihren Mann und bändigt ihn nach ihrer Weise, europäisiert ihn, indem sie ihn feine Modekleider tragen lässt und ihn lehrt, wie man à la franca Staat macht.

In dem Stücke „Noch ein Opfer“ führt der Verfasser ideal angelegte Gestalten vor, denen er echte Materialisten gegenüber stellt. [141] Des Typischen giebt es hier weniger und das Stück ist minder gelungen als die beiden ersten, was sich gleichfalls von dem vierten „Die ruinierte Familie“ sagen lässt. Hier giebt es auch halb zivilisierte Menschen und die Kaufmannstochter Nathalie, die auf dem Klavier klimpert, etwas französisch liest und auch etwas plappert, die auf alle Bälle läuft, im Putz andere Mädchen zu überbieten sucht, die ist aus dem Leben gegriffen und höchst geschickt charakterisiert.

Ächte allmenschliche Charaktere giebt es in Sundukianz’s Lustspielen nicht, wohl aber gelungene Typen aus der Tifliser Stadtbevölkerung, Gestalten, die nicht genau zu bestimmen sind, da in ihnen der Kulturmensch noch nicht entwickelt ist und der kulturlose Morgenländer noch nicht aufgehört hat mitzuleben.

Für den Fremden sind seine Stücke ziemlich unverständlich, aber für das armenische Theater haben sie bedeutenden Wert und werden für künftige Lustspieldichter lange Zeit als Muster gelten dürfen. Auch als [142] Feuilletonist ist Sundukianz fast einzig in seiner Art und der beissende Witz, mit dem er die Lächerlichkeiten oder Schattenseiten des laufenden Lebens der Bewohner von Tiflis schildert, ist manchmal geradezu einzig in seiner Art.



  1. A. Erizow, „Istorija armjanskoj szeny“.
  2. Wohl zu unterscheiden von dem Dichter Patkanian und dem Petersburger Professor gleichen Namens!