7) C. Fannius. An den Namen C. Fannius knüpft sich die Streitfrage, ob es in der Gracchischen Zeit einen oder zwei Männer dieses Namens gegeben habe. Cicero unterschied zwei in dem Anfang 708 = 46 verfaßten Brutus 99: Horum aetatibus adiuncti duo C. Fannii C. M. filii fuerunt; quorum Gai filius, qui consul cum Domitio fuit, unam oratiomem de sociis et nomine Latino contra Gracchum reliquit ... (100) et causas defensitavit et tribunatus eius, arbitrio et auctoritate P. Africani gestus, non obscurus fuit. (101) Alter autem C. Fannius M. filius, C. Laelii gener, et moribus et ipso genere dicendi durior, is soceri instituto ... Panaetium audiverat, eius omnis in dicendo facultas historia ipsius non ineleganter scripta perspici potest. Dagegen schrieb Cicero im November 710 = 44 ad Att. XVI 13 c, 2: Mihi velim scribas, quibus censoribus C. Fannius M. f. tribunus plebis fuerit: videor mihi audisse P. Africano L. Mummio; id igitur quaero. In der Zwischenzeit hatten infolge der Stelle des ,Brutus‘ Erörterungen über die fragliche Persönlichkeit zwischen Cicero und Atticus stattgefunden, wovon aus dem Juni 709 = 45 vorliegt ad Att. XII 5, 3 (verderbt überliefert, vgl. dazu O. E. Schmidt Briefwechsel des Cicero 314–316. Gurlitt Philol. LIX 135): Et vide, quaeso, L. Libo ille, qui de Ser. Galba, Censorinone et Manilio an T. Quinctio M.’ Acilio consulibus tribunus plebis fuerit, conturbabat enim me in Bruti epitoma Fannianorum quod erat in extremo; idque ego secutus, hunc Fannium, qui scripsit historiam, generum esse scripseram Laeli; sed tu me γεωμετρικῶς refelleras, te autem nunc Brutus et Fannius. ego tamen de bono auctore, Hortensio, sic acceperam, ut apud Brutum est. hunc igitur locum expedies. Die Angaben des ,Brutus‘ sind nicht nur durch Ciceros spätere Erklärung, daß der Volkstribun C. Fannius nicht C. f, sondern M. f. gewesen sei, berichtigt worden, sondern auch durch eine Weihinschrift, die dasselbe für den Consul lehrte (CIL I 560 = VI 1306: C. Fanni M. f. | cos. de | sena. sen. | dedit). Daraufhin hat Mommsen (zu CIL I 560)[1] die Ansicht aufgestellt, es habe nur ein einziger C. Fannius existiert; Cicero sei nach der Abfassung seines ,Brutus‘ darüber von Atticus belehrt worden; er habe aber diesen einzigen C. Fannius noch immer für C. f. gehalten, – vielleicht weil von älteren Fannii nur ein Gaius (Nr. 20)
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in den Fasten vorkam –, sei dann durch die Epitome des Brutus aus dem Werke des C. Fannius M. f. darauf aufmerksam geworden, daß der Vater des Historikers Marcus (Nr. 14) hieß, und habe nun Atticus nochmals befragt, worauf er dann wohl die richtige Antwort erhalten haben dürfte, daß der einzige C. Fannius eben nicht C. f., sondern M. f. gewesen sei. Nicht ganz unbedenklich ist hier die Auffassung der Briefstelle aus dem J. 709 = 45 (vgl. auch Schmidt a. O.), und darum behält der Zweifel Hirschfelds (Wiener Studien VI 128) an der Identität des Historikers mit dem Politiker noch immer eine gewisse Berechtigung trotz der Gegenbemerkungen Kornemanns (Zur Gesch. der Gracchenzeit [Beitr. zur alten Gesch. Beiheft I] 22). Irgend eine Überlieferung muß doch Cicero zu der Annahme bewogen haben, daß zwei gleichaltrige C. Fannii damals lebten, und mindestens für das J. 608 = 146 ist dies noch jetzt nachweisbar. Denn nach Plut. Ti. Gracch. 4, 2 erstieg in diesem Frühjahr die Mauern Karthagos als erster Ti. Gracchus, ὥς φησι Φάνιος λέγων καὶ αὐτὸς τῷ Τιβερίῳ συνεπιβῆναι καὶ συμμετασχεῖν τῆς ἀριστείας. Dagegen schickte nach Polyb. XXXVIII 10, 1–11, 9 in demselben Frühjahr Q. Metellus aus Makedonien an die achaeische Bundesversammlung nach Korinth πρεσβευτὰς Γναῖον Παπείριον καὶ τὸν νεώτερον Ποπίλιον Λαινᾶτον, σὺν δὲ τούτοις Αὖλον Γαβίνιον καὶ Γάιον Φάννιον; da der Führer dieser Mission (vgl. ebd. 11, 4) und die beiden anderen Mitglieder unbekannte Leute sind, kann der an letzter Stelle genannte F. nicht der durch Rang, Alter und diplomatische Erfahrung hervorragende Consular Nr. 20 sein, sondern nur ein jüngerer im Makedonischen Kriege dienender Mann. Dieser ist aber von dem Historiker jedenfalls zu unterscheiden, und somit ist das letzte Wort in der ganzen Frage der zwei C. Fannii noch nicht gesprochen. Allerdings ist eine andere Schwierigkeit, die sich dabei erhob, jetzt als beseitigt anzusehen. Nach Cic. Brut. 100; ad Att. XVI 13 c, 2 (s. o.) führte F. das Volkstribunat unter dem Einflusse des Scipio Aemilianus und unter dessen Censur, d. h. 612 = 142; nach Appian. Ib. 67. erwarb sich im Viriathischen Kriege unter Q. Fabius Maximus Servilianus großen Ruhm φάνιος ὁ Λαιλίου κηδεστής. Solange man glaubte, daß Fabius in seinem Consulat 612 = 142 in Spanien gekämpft habe, mußte man, um beide Notizen über F. vereinigen zu können, sein Volkstribunat vermutungsweise in das zweite Jahr der Censur Scipios setzen (Mommsen a. O. Peter Hist. Rom. rell. I p. CCIV); seitdem aber die Liviusepitome aus Oxyrhynchus ergeben hat, daß Fabius erst als Proconsul 613 = 141 in der Provinz weilte (s. o. Fabius Nr. 115), lassen sich die beiden Angaben ungezwungener in der Weise verbinden, daß F. zuerst 612 = 142 in Rom das Volkstribunat bekleidete und darauf Anfang 613 = 141 mit dem neugebildeten Heere des Fabius (vgl. Appian) auf den spanischen Kriegsschauplatz abging. Wenn er damals bereits mit der jüngeren Tochter des C. Laelius verheiratet war, so sind die Beziehungen zwischen ihm und Scipio in dieser Zeit leicht verständlich. Die nächste Nachricht über sein Leben ist die bei Joseph. ant. Iud. XIII 260-266, daß * Φάννιος Μάρκου υἱὸς στρατηγός den Senat
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berief und dessen Verhandlungen leitete, als eine von Hyrkanos I. nach Rom geschickte jüdische Gesandtschaft um ein Bündnis bat. Die verschiedenen Versuche, die Zeit dieser Senatsverhandlung zu bestimmen, haben sich, soweit sie nicht ganz andere Wege einschlagen, auf die J. 621 = 133 bis 623 = 131 geeinigt (vgl. Kornemann a. O. 27–29. 54–56); bedenkt man, daß der Praetor in der Regel nur in Abwesenheit beider Consuln den Senat berief, und daß unseres Wissens in dem ersten jener drei Jahre P. Mucius Scaevola und im letzten L. Valerius Flaccus die ganze Zeit über in Rom das Consulat führten, so erscheint das J. 622 = 132 als das geeignetste für die Ansetzung der Praetur des F. Im Widerspruch damit, wie mit seiner schon um zehn Jahre zurückliegenden Bekleidung des Tribunats steht es, wenn Cic. rep. Ι 18 (herausgegeben 703 = 51) im J. 625 = 129 zusammen mit Laelius auftreten läßt C. Fannium et Q. Scaevolam, generos Laelii, doctos adulescentes, iam aetate quaestorios (F. sonst nur noch angeredet frg. inc. 5 aus Serv. Aen. VI 877); bei der Abfassung von de rep. war Cicero noch weniger über F. unterrichtet als später bei der des ,Brutus‘ und unterschied ja noch in dieser Schrift den Schwiegersohn des Laelius von dem Tribunen und Consul; seine Erfindung ist also wertlos. Der historische F. gelangte im J. 632 = 122 zum Consulat (Weihinschrift s. o. Cic. Brut. 99. Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Cassiod. = Liv. LXI frg. Obseq. 32. Plin. n. h. II 99), und zwar auf die Empfehlung des Tribunen C. Gracchus, der so für diesmal die Wahl des L. Opimius vereitelte und der selbst zum zweitenmal das Tribunat erhielt (Plut. C. Gracch. 8, 2, vgl. 11, 2). Dem Amtsgenossen des F., Cn. Domitius Ahenobarbus, wurde die Führung des Krieges in Südgallien übertragen (vgl. o. Bd. V S. 1322ff.), und so hatte F. allein die Geschäfte in Rom zu führen. Diese einfache Sachlage erklärt zur Genüge sein Hervortreten in der inneren Geschichte dieses Jahres, nicht etwa, wie Kornemann a. O. 23f. wollte, der Einfluß seiner Geschichtsdarstellung auf die Überlieferung. F. sah sich in ähnlicher Lage wie Marius in seinem sechsten Consulat dem Saturninus gegenüber: in beiden Fällen mußte der höchste Vertreter der gesetzlichen Ordnung wohl oder übel mit der Regierung und gegen seinen ehemaligen Genossen, der jene Ordnung bedrohte, gehen (Plut. 8, 3) und in beiden Fällen büßte er dafür durch ruhmloses Verschwinden von der politischen Bühne. Als C. Gracchus in diesem Jahre auf der Höhe seiner Macht die Bundesgenossenfrage in Angriff nahm, trat ihm F. auf Geheiß des Senates entgegen, indem er vor der Abstimmung über das betreffende Gesetz alle Italiker, die dazu nach Rom zusammengeströmt waren, aus der Stadt auswies (Plut. 12, 1f.) und dem Volke in einer bedeutsamen Rede die Annahme der Anträge widerriet. Über diese Rede de sociis et nomine Latino, die ihm seinen Platz in der Geschichte der römischen Beredsamkeit verschaffte (nach Cic. Vell. I 17, 3. II 9, 1), bemerkt Cic. Brut. 99f., daß sie nach einer Ansicht vielmehr von C. Persius abgefaßt worden, nach der andern durch die gemeinsame Arbeit vieler Vornehmen entstanden sei; er lehnt aber
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diese Gerüchte ab, weil die Rede einen ganz einheitlichen Charakter trage, weil C. Gracchus in seiner Erwiderung von ihnen keine Notiz nehme, und weil F. nicht ohne Beredsamkeit war. Als Grund für die Entstehung jener Ansichten erscheint ihm nur die besondere Vorzüglichkeit dieser Rede des sonst mäßig begabten F. (vgl. 118); vielleicht war ein weiterer Grund der, daß F. hier nicht seine eigenste Meinung und Überzeugung, sondern nur den Willen der Senatsmehrheit dem Volke kundgetan hat. Den Anfang der Rede führt Cic. de or. III 183 als Beispiel des rednerischen Rhythmus an; ein zweites Fragment (bei Iul. Vict. p. 224 Orelli = 402 Halm) zeigt Ähnliches (vgl. Norden Antike Kunstprosa I 172). Von dem späteren Leben des F. ist nichts mehr bekannt. In die frühere Zeit hinauf reichen wohl die beiden von Cic. Brut. 101 bezeugten Tatsachen, daß er bei der Bewerbung um eine Stelle im Augurencollegium seinem Schwager Q. Scaevola unterlag, der, jünger als er selbst, doch mit der älteren Laelia vermählt war, und daß er – gleich anderen Mitgliedern, des Scipionenkreises – den Panaitios gehört hatte.
Cicero a. O. fährt fort: eius omnis in dicendo facultas historia ipsius non ineleganter scripta perspici potest, quae neque nimis est infans neque perfecte diserta, und de leg. I 6 zählt er F. unter den Historikern hinter Piso auf. Der Titel des Geschichtswerkes (Bruchstücke bei Peter Hist. Rom. rell. I 138–140; Hist. Rom. frg. 87–89) war nicht Historia (so noch Cic. Brut. 299), sondern Annales (so genauer Cic. de or. II 270; Brut. 81 und die Grammatiker = frg. 1. 2. 3. 5. 7), aber dennoch war der Inhalt vielleicht nur eine Geschichte der selbsterlebten Zeit. Sall. hist. I 4 Maur. spendet dem Cato das Lob der Kürze, dem F. das der Wahrheitsliebe, zwei Eigenschaften, die er selbst zu vereinigen strebte (Cat. 4, 3); er führt in dem Vorwort seiner ersten Monographie (Cat. 3, 3ff.) einen Gedanken weiter aus, der als einziges längeres Bruchstück aus dem des F. überliefert ist (frg. 1 aus Priscian). Zwei Grammatikerzitate führen B. VIII der Annalen des F. an (frg. 2. 3); nach dem einen war darin öfters Drepana erwähnt, das unseres Wissens nur im ersten Punischen Kriege eine Rolle spielte (vgl. o. Bd. V S. 1698), und deshalb vermutete Hirschfeld a. O. 127, daß dieser Krieg den Inhalt dieses Buches bildete; ansprechender ist vielleicht die von dem andern Bruchstück ausgehende Hypothese, daß sich beide auf den ersten sizilischen Sklavenkrieg beziehen (so Rathke De Romanorum bellis servilibus [Diss. Berlin 1904] 19f.). Denn alle inhaltlich klaren Bruchstücke, frg. 4 aus Plut. Ti. Gracch. 4, 2 (s. o.) und frg. 5–7 aus Cicero, gehen auf die Geschichte der selbsterlebten Zeit und zeigen, daß diese auf Grund der persönlichen Bekanntschaft des Verfassers mit den führenden Männern (Scipio Aemilianus und Ti. Gracchus) und auf Grund der Teilnahme an wichtigen Verhandlungen (Anhören von Reden des Metellus Macedonicus) ausführlich dargestellt und sehr wertvoll gewesen sein muß. Brutus machte sogar daraus einen Auszug (Cic. ad Att. XII 5, 3, s. o.) wie aus den Werken des Coelius Antipater (ebd. XIII 8) und des Polybios
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(Plut. Brut. 4, 3), freilich wohl nur für sich und seine Freunde zum Privatgebrauch; wenn der Verfasser wirklich der Consul F. war und seine Einleitung so aufzufassen war, wie die Sallusts, so könnte er gleich diesem nach dem Scheitern seiner politischen Laufbahn sich mit Glück der Abfassung einer historischen Monographie gewidmet haben. Daß diese für die Späteren eine Quelle ersten Ranges für die gracchische Bewegung gewesen sein muß, ist anzunehmen, doch der Versuch Kornemanns (a. O. 20ff.), das im einzelnen für die uns vorliegende Tradition zu erweisen, konnte bei dem so spärlichen Material keine gesicherten Ergebnisse erzielen (vgl. ein Bedenken dagegen oben, andere bei F. Cauer Berl. philol. Wochenschr. 1905, 599ff., bes. 606. Liebenam Jahresber. f. Geschichtswissensch. XXVII 1, 122).