Sand

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Autor: Max Ring
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Titel: Sand
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6–9, S. 73–76, 89–92, 105–108, 117–123
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[73]

Sand.

Historische Novelle von Max Ring.




I.
Die Freunde.

Ein frischer Herbstwind wehte über die Höhen des Thüringerwaldes, welcher noch in tiefe Nebel gehüllt war. Die ganze Landschaft glich einem wogenden Meere, aus dem nach und nach einzelne Punkte wie grüne Inseln emportauchten, wenn der Wind die wallenden Schleier hier und da zerriß. – Allmählich stieg auch die Morgensonne im Osten empor und ihre hellen Strahlen fuhren wie Schwerter in das Getümmel einer Schlacht. Wo sie hinfielen, zertheilte sich das dunkle, brodelnde Gewölk und öffnete eine freie Aussicht auf die freundliche Gegend. Die Spitzen der Berge traten immer klarer hervor und leuchteten in wunderbarer Pracht; der dichte Wald im Schmucke des Spätherbstes gewährte ein köstlich buntes Farbenspiel: vom fahlen Gelb bis zum leuchtenden Golde, vom sanften Rosa bis zum brennenden Purpur waren alle Tinten und Schattirungen vertreten, als hätte ein Maler seine riesige Palette über die Erde ausgeschüttet. –

Dieses entzückende Schauspiel genossen zwei junge Männer, welche vor dem Gasthofe zur „hohen Sonne“ standen, wo sie zufällig sich gefunden hatten. Ihrer Tracht nach waren es Studenten, die nach demselben Ziele wanderten. Bald waren sie mit einander bekannt geworden, wie dies auf Reisen so leicht geschieht, besonders unter Mitgliedern der heiteren Burschenwelt. Beide waren am vorhergehenden Abend ermüdet von dem weiten Wege in das Wirthshaus eingekehrt und hatten sich sogleich zur Ruhe gelegt, ohne sich gesehen zu haben. Erst beim Morgenimbiß, wo sie an einem Tische saßen, rückten sie sich näher und fanden, je länger sie mitsammen sprachen und ihre Gedanken austauschten, desto mehr Wohlgefallen aneinander, ungeachtet der großen Verschiedenheit, die sich in ihrem ganzen Wesen kund gab.

Der Aeltere, welcher sich Karl Ludwig Sand nannte, war von mittlerer Größe und schlank gewachsen; sein Gesicht, von Pockennarben vielfach verunstaltet, hatte trotzdem einen interessanten Ausdruck sanfter Melancholie. Ein Zug sinnigen Ernstes umschwebte seine jugendliche Gestalt und die puritanische Strenge seines zur Schwärmerei geneigten Charakters verrieth sich selbst in seinem Aeußeren. Seine Kleidung bestand in einem altdeutschen Rocke von schwarzem Sammet. Trotz der rauhen Jahreszeit, welche in den Bergen doppelt empfindlich war, trug er den Hals ganz bloß, ohne ein schützendes Tuch, nur von einem weißen Hemdekragen umgeben. Weite Beinkleider von grauer ungebleichter Leinwand, wie sie die damals auftauchenden Turner liebten, und dunkle Schnürstiefel vollendeten seinen Anzug. Diese Tracht, welche im Widerspruch mit der herrschenden französischen Mode stand, sollte auch äußerlich Sand als einen echten Deutschen kennzeichnen, als einen abgesagten Feind und Verächter aller fränkischen Unnatur, die er vom Grunde seiner Seele verabscheute,

Einen entschiedenen Gegensatz zu ihm bildete sein Reisegefährte, der Friedrich Hagen hieß und der Sohn eines höhern preußischen Beamten war. Frische Lebenslust sprach aus dem rosigen Gesicht, umgeben von einer Fülle blonder, langer Locken. Trotz einer vorherrschenden Heiterkeit konnte auch er zuweilen einen tüchtigen Ernst zeigen, und seine blauen, klaren Augen nahmen einen eigenthümlichen Glanz an, wenn das Gespräch die Stichwörter des Tages: „Freiheit“ und „Vaterland“ berührte.

Es war aber damals im Jahre 1817 eine seltsam bewegte Zeit, die besonders in der akademischen Jugend ihren Wiederhall fand. –

Die eben beendeten Freiheitskriege hatten zum ersten Male nach langer Zeit das deutsche Volk aus seinem Schlummer aufgerüttelt und das Gefühl seiner weltgeschichtlichen Bedeutung in ihm geweckt. Es hatte die größten Opfer gebracht, unsterbliche Thaten vollführt und seine Größe erkannt, sobald es einig war. Im Feuer der Schlachten verschwanden die Unterschiede und kleinlichen Eifersüchteleien der getrennten und oft gewaltsam auseinander gerissenen Stämme, die sich jetzt dem Feinde gegenüber als Brüder und Söhne der einen großen Mutter fühlten. Aus den Flammen der allgemeinen Begeisterung stieg der Gedanke an Deutschlands Einheit und der Wunsch nach einer besseren und freieren Gestaltung der verrotteten Verhältnisse wie der Phönix aus seiner Asche empor. Diese Ideen lebten in den Herzen aller Besseren auf, vorzugsweise aber in der Jugend. Sie hatte im Augenblicke der Gefahr nicht gezögert, ihr Leben für das Vaterland einzusetzen, sie war freiwillig in die Reihen der Krieger eingetreten und hatte auf den Schlachtfeldern mit Freudigkeit ihr Blut vergossen. – Das Alles gab ihr ein stolzes Bewußtsein ihren Werthes, und als der Friede geschlossen war und die Sieger heimkehrten, glaubte sie sich besonders berufen, das Palladium der neu errungenen Freiheit zu bewachen.

Dieser Geist offenbarte sich zumeist auf den deutschen Universitäten, wo sich bald ein bisher unbekanntes Leben entfaltete. Früher war die Studentenwelt nur ein getreues Abbild der allgemeinen Zerrissenheit, in Landsmannschaften und ähnlichen Verbindungen zersplittert, welche sich meist feindlich gegenüberstanden und im rohen [74] Betragen miteinander wetteiferten. Unmäßiges Trinken, Schlägereien und Wüstheit aller Art standen auf der Tagesordnung, und in solch’ nichtigem Treiben vergeudete die deutsche Jugend ihre beste Kraft, um später als abgestumpfter Philister in das bürgerliche Leben zurückzukehren. Hier und da verfolgte zwar der Einzelne eine höhere Idee, aber die Mehrheit stand den Weltbegebenheiten und den großen Tagesfragen fern, in hochmüthiger und pedantischer Abgeschlossenheit verharrend.

Das sollte jetzt anders werden. Die Jünglinge, welche dem Feinde gegenübergestanden und deren Brust oft mit den höchsten Ehrenzeichen der Tapferkeit geschmückt war, konnten keine Freude mehr an dem kindisch rohen Treiben finden, welches früher noch auf den Universitäten vorherrschte; sie hatten Höheres kennen gelernt und ein edleres Streben mitgebracht. An die Stelle der früheren Landsmannschaften trat eine neue, allgemeinere Verbindung, welche unter dem Namen der Burschenschaft immer mehr Theilnehmer an sich zog, weil sie es sich zur Aufgabe gestellt hatte, Sittlichkeit, wahre Ehre und die Liebe zu dem gemeinschaftlichen Vaterlande in den Herzen der Studirenden, zu erwecken. So wurde nach und nach der Bund edler Jünglinge geschlossen, zu dem auch unsere beiden Wanderer gehörten.

Sobald sie sich als Theilnehmer derselben Verbindung erst erkannt hatten, was schnell geschah, wurden sie noch weit inniger befreundet, als hätten sie schon jahrelangen Umgang gepflogen. Der sonst so scheue Sand, der überhaupt etwas Zurückhaltendes in seinem Wesen hatte, war jetzt wie umgewandelt.

„Fort mit dem steifen „Sie“!“ rief er freudig aus. „Wir müssen miteinander Brüderschaft trinken.“

„Das nehme ich von Herzen gern an,“ entgegnete der Andere.

„Es soll aber in aller Form und nach altem, schönem Brauch geschehen.“

„Das versteht sich von selbst.“

„Es wird wohl eine Flasche Wein hier aufzutreiben sein.“

„Aber nur echter Rheinwein; von dem französischen Gebräu vermag ich keinen Tropfen herunterzukriegen.“

„Ich ziehe auch ein deutsches Traubenblut jedem fremden vor. Also, Herr Wirth, eine Flasche guten Rüdesheimer oder Liebfrauenmilch!“

Bald stand der gewünschte Trunk und zwei grün blinkende Römer vor ihnen, welche Hagen bis zum Rande vollschenkte.

„Schmollis, Herr Bruder!“ sagte er, sein Glas erhebend.

„Fiducit!“ lautete Sand’s Gruß.

Beide stießen zuerst mit den klingenden Römern an; dann tranken sie mit ineinander verschränkten Armen nach alter Studentensitte den Wein bis zum letzten Tropfen aus.

Eine herzliche Umarmung und ein inniger Kuß besiegelte den Bruderbund.

„Freunde für das ganze Leben!“ rief der Jüngere tief bewegt.

„Bis in den Tod und über das Grab noch hinaus!“ setzte Sand mit feierlich dumpfer Stimme hinzu, die wie eine schauerliche Mahnung klang.

Dabei stellte er das Glas mit solcher Gewalt auf den Tisch, daß es klirrend zerbrach.

„Sollte das ein Omen sein?“ fragte mit gezwungenem Scherze Hagen.

„Ich nehme es als ein solches an. Wie dieses Glas in meiner Hand zerbrochen ist, so sollen einst die alten Formen und Ketten brechen, welche noch den Geist der Freiheit gefangen halten. Ich selbst bin gern bereit, für diese heilige Idee mein Herzblut zu vergießen, wie hier den duftigen Wein. Das schwör’ ich Dir, so wahr ich ein Christ und Deutscher bin.“

Beide waren zu bewegt, um noch mehr zu sprechen. Schweigend leerten sie den Rest der Flasche, worauf Sand seinen Gefährten zum Aufbruch mahnte. Sie bezahlten ihre Rechnung und nahmen ihr leichtes Gepäck auf die Schultern, worauf sie den Weg nach Eisenach einschlugen, wo sie noch zur guten Zeit einzutreffen hofften, um an dem von der Jenaer Burschenschaft ausgeschriebenen Feste auf der Wartburg Theil zu nehmen.

„Es ist ein herrlicher Gedanke,“ sagte Sand im Gehen zu seinem neuen Freunde, „die dritte Säcularfeier der Reformation mit dem Jahrestage der Völkerschlacht bei Leipzig zu verschmelzen und dieses erhebende Doppelfest auf der alten Wartburg zu begehen, die so recht eigentlich die Zionsburg der Deutschen ist. In ihren hohen Hallen rauschte einst das deutsche Lied der edelsten Sänger, welche um den Preis mit ihrem vollen Leben rangen; denn, wie die Sage uns berichtet, stand hinter ihnen der Scharfrichter, Meister Hämmerlin von Eisenach, um den Besiegten mit dem blanken Schwerte das Haupt abzuschlagen.“

„Wunderliche Sitte!“ bemerkte Hagen.

„Mir gefällt sie,“ setzte Sand seine Rede fort, „als ein Zeichen, mit welchem hohen Ernste unsere Vorväter Alles vollführt und getrieben haben; selbst das Spiel war ihnen wichtig genug, ihr Leben daran zu setzen. So müßten wir auch denken, aber die Schlaffheit der Zeit, fälschlich und undeutsch Humanität genannt, hat dies ganze Geschlecht der Gegenwart entnervt. Unsere Dichter schreien schon laut, wenn sie nur leise getadelt werden. Man sollte auch ihnen den Scharfrichter an die Seite stellen, um sie abzuhalten, ihre Gaben zu mißbrauchen und die heilige Dichtkunst im Dienste der Hölle zu einweihen.“

„Wenn Dein Vorschlag angenommen würde, so möchte es wohl bald still sein im deutschen Dichterhaine.“

„Das wäre kein Unglück, wenn das unheilige Gekrächz verstummte und dafür wieder Lieder ertönten, wie sie der fromme Wolfram von Eschenbach, der sinnige Walther von der Vogelweide gesungen, voll treuer Liebe und gläubiger Frömmigkeit, von denen einst die Wartburg wiedeerhallte. – Ihr Kampf war schön, aber was will er bedeuten gegen jenen Riesenkampf, den der größte Deutsche von hier aus gegen Rom und seine Jahrtausende alte Macht geführt! Droben in seinem luftigen Erkerstübchen schmiedete der Gottesmann Luther aus der deutschen Sprache eine Waffe, mit der er die Geister von ihren Fesseln und Ketten befreite. Hier auf der Wartburg übersetzte er die Bibel und gab sie als die heilige Fahne der freien Forschung in die Hand des Volkes. Von jener Höhe ging das Licht aus, welches vergeblich die Kutten und Finsterlinge zu verhüllen trachteten; der Geist einer neuen Zeit, der sich nicht mehr unterdrücken läßt. Darum liebe ich diese Wartburg, welche das Herz des schönen Thüringerlandes, wie dieses das Herz von Deutschland ist.“

Unter solchen Gesprächen stiegen die Beiden von der „hohen Sonne“ in das „Annathal“ hinab, das sich nach und nach zu der romantischen „Drachenschlucht“ verengte. Der schmale und doch nicht gerade gefährliche Fußsteig führte sie an den schönsten Punkten vorüber; bald eröffnete sich den Wanderern eine herrliche Aussicht in die duftige Ferne; bald rückten die Felsen wieder so nahe zusammen, als wenn sie ihnen den Weg versperren wollten; zu Riesenmauern aufgethürmt, die von Geisterhänden erbaut schienen und über die der überall hervorwuchernde Epheu seine grünen, schwankenden Brücken schlug. – Dazu goß die milde Herbstsonne ihr klares, freundliches Licht über die ganze Gegend aus, und verscheuchte vollends den dampfenden Frühnebel, der sich in leicht dahinschwebende Wölkchen aufgelöst hatte. Die zwar kühle, aber überaus stärkende Bergluft überströmte die Jünglinge mit einem Gefühle frischer Kraft, so daß sie in heiterster Stimmung ihren Weg fortsetzten. Selbst Sand, der zu den mehr verschlossenen und in sich gekehrten Charakteren gehörte, thaute in dieser Natur auf, welche ihn an sein heimathliches Fichtelgebirge mahnte. Aus voller Brust stimmte er ein bekanntes Burschenlied an, in das Hagen mit seinem wohlklingenden Tenor einfiel. Je länger sie neben einander hergingen, desto vertrauter und inniger wurden sie, wie Brüder, die sich nach längerer Trennung zufällig wieder gefunden. Die Herzen gingen ihnen auf und eine Mitteilung drängte im raschen Fluge die andere, wie es in der Jugend wohl zu geschehen pflegt, wo das Vertrauen noch nicht getäuscht, der Glaube noch nicht betrogen ist, und wo die Seele der Seele leicht entgegenfliegt, weil ihre Schwingen noch nicht von dem Bleigewicht der Erfahrung belastet oder gar gebrochen sind.

Der ältere Sand hatte natürlich ein reicheres Leben hinter sich, das er dem jüngeren Freunde nicht vorenthielt. Unter einer alten Eiche gelagert, um von der anstrengenden Fußpartie ein wenig auszuruhen, erzählte er von seiner Vergangenheit.

„Ich bin,“ nahm er das Wort, „in Wunsiedel am Fuße des Fichtelgebirges geboren, wo mein Vater als preußischer Justizamtmann angestellt war, und noch mit meiner guten Mutter und den Geschwistern lebt.“

„In der Heimath des herrlichen Jean Paul,“ unterbrach ihn Hagen, „der mein Lieblingsdichter ist.“

„Ganz recht!“ entgegnete Sand mit befremdender Gleichgültigkeit. „Ich erinnere mich, ihn zuweilen auf der Straße gesehen zu haben.“

[75] „Du Glücklicher!“ rief der Jüngere, der, wie der größere Theil der damaligen Jugend, für den genialen Verfasser des „Titan“ schwärmte. „Wie beneide ich Dich, daß Du mit dem Genius dieselbe Luft geathmet hast!“

„Leider muß ich Dir zu meiner Beschämung gestehen, daß ich mich in der Heimath nicht zu viel mit meinem berühmten Landsmann, Jean Paul, beschäftigt habe. Andere Gedanken erfüllten meine Seele; zunächst der Schmerz über die Unterdrückung des Vaterlandes, und der glühendste Haß gegen Napoleon beherrschten mich so ausschließlich, daß ich mich damals um Poesie und Poeten nur wenig gekümmert habe. Was ich bin, bin ich einmal ganz und mit voller Seele. Nenne es Einseitigkeit oder gar Beschränktheit, aber ich kann nicht, wie so Viele, zu gleicher Zeit die verschiedensten Empfindungen in meiner Brust beherbergen. Ein Gedanke, sei es Liebe oder Haß, beschäftigt mich so ausschließlich, daß ich in jedem Augenblicke bereit bin, für denselben mein Leben aufzuopfern. Das hab’ ich gezeigt, als ich ohne Wissen und gegen den Willen meiner Eltern an dem Kampfe gegen den Unterdrücker Deutschlands als angehender Student Theil nahm.“

„Ich, beneide Dich um die Gelegenheit, durch die That Deine Liebe zum Vaterlande zu bekunden.“

„Leider,“ fuhr Sand fort, „war ich nicht so glücklich, an dem Kampfe unserer Brüder Theil zu nehmen. Ich kam mit meinem Regiment auf dem Felde von Belle-Alliance an, nachdem die blutige Schlacht bereits geschlagen war. Wir wurden nach dem schnell geschlossenen Frieden wieder in die Heimath entlassen, ohne einem Feinde begegnet zu sein. Das schmerzte mich tief; denn ich sehnte mich nach kühnen Thaten. Noch mehr aber kränkte es mich, daß die Federn der Diplomaten wieder verdarben, was die Schwerter der Helden für Deutschland errungen hatten. Unsere Hoffnungen wurden getäuscht, und der Erbfeind wußte die Großmuth der Sieger schlau zu benutzen; er blieb im ungeschmälerten Besitze seines unrechtmäßigen Raubes. Das übermüthige Frankreich verlor auch nicht ein einziges Dorf und der schöne Elsaß, der zu uns gehört, wie diese Hand zu meinem Körper, wurde ihm nach wie vor gelassen. Unmuthig und enttäuscht kehrte ich zu meinen theologischen Studien zurück.“

„Du bist also Theolog?“

„Und das mit Leib und Seele. Welch einen schöneren Beruf kann es wohl auf Erden geben, als dem Volke das Wort Gottes zu verkünden und den heiligen Samen des Evangeliums auszustreuen! Nur das Treiben auf der Hochschule widerte mich an; denn die Landsmannschaften mit ihrem unlauteren Wesen hatten damals noch die Oberhand. Man verspottete mich und meine Gesinnungen, die ich offen zur Schau trug. Als ich zum ersten Mal in meiner altdeutschen Tracht erschien, um auch äußerlich meine Verachtung des fränkischen Modetandes auszudrücken, verhöhnten mich die Buben, und ich hatte manchen harten Strauß mit ihnen zu bestehen. Ich mußte mehr wie einmal zu dem blanken Schläger greifen, um mir Achtung zu verschaffen. Aber Gott war mit mir und meinem Thun; ich fand nach und nach einige edle Jünglinge von demselben Geist wie ich beseelt. Wir schlossen einen heiligen Bund und schwuren Treue dem Vaterlande auf einem Berge, den wir den „Rütli“ tauften. Dort gelobten wir gleich jenen tapfern Schweizern, Walther Fürst, Arnold Melchthal und Stauffacher, den letzten Blutstropfen für die gute Sache hinzugeben. Das war eine schöne, unvergeßliche Zeit in meinem Leben.“

Einen Augenblick hielt hier Sand inne, von diesen Jugenderinnerungen tief ergriffen. Seine Augen nahmen einen eigenthümlichen Glanz an, und ein sonst nur seltenes Lächeln der Befriedigung schwebte um den strengen Mund. Bald aber nahmen seine Züge wieder jenen düster melancholischen Ausdruck an, der den eigentlichen Grundton seines Wesens bildete.

„Dieses Glück,“ begann er wieder nach einer Pause, „wurde durch einen schweren Verlust getrübt, der mich traf. Ich hatte einen Freund gefunden, Namens Dittmar aus Ansbach, einen echten Deutschen mit einer Seele, rein, wie sie nur die Engel des Himmels zu bewahren wissen, fromm und heiter wie ein Kind und dabei stark wie ein Mann. Wir wohnten in demselben Hause, Thür an Thür; wir liebten uns, halfen uns gegenseitig in allen Nöthen und theilten Leid und Freud’ mit einander, wie wahre Brüder.

„Eines Abends, wo wir mitsammen gearbeitet und unsere Gedanken ausgetauscht hatten, gingen wir in die vorbeifließende Rednitz baden, um uns von der Hitze des Tages und der gehabten Anstrengung zu erholen. Als wir in das Freie traten, erhob sich plötzlich ein wilder Sturm; ich machte den Vorschlag, zurückzukehren, aber Dittmar spottete meiner Furcht. Wir verfolgten unsern Weg, die Sonne ging in wunderbarer Pracht zur Ruhe. Ich sehe sie noch, umgeben von dem dunklen Gewölk, dessen Ränder in Gold getaucht erschienen; denn ich erinnere mich jeder Kleinigkeit an diesem verhängnißvollen Abend. Wir kamen an den Fluß; Dittmar stieg zuerst hinein, weil er schwimmen konnte und mir, der ich diese Kunst nie geübt, zeigen wollte, wie tief ich gehen durfte. Das Wasser reichte mir bis an die Brust, während er, immer voranschreitend, bis zum Halse darin war. Mit einem Male schien es mir, als ob er den Grund verloren hätte; er merkte es ebenfalls und begann zu schwimmen. Kaum zehn Schritt von mir entfernt, an einer Stelle, wo der Strom sich in zwei Arme theilt, stieß er einen Schrei aus und verschwand unter dem Wasser. Da ich nicht schwimmen konnte, hielt ich es für das Beste, sogleich an das Ufer zu eilen, weil ich ihn so am ehesten noch zu retten hoffte. Ich rief um Hülfe, aber Niemand hörte mich; ich suchte nach einem Kahn oder Seil, um es ihm zuzuwerfen, doch kein derartiger Gegenstand war in der Nähe zu finden. In diesem Augenblicke erschien Dittmar wieder an der Oberfläche und griff mit einer ungeheueren Anstrengung nach einem Weidenzweige, der über dem Wasser hing. Aber der Ast war zu schwach und der arme Freund sank zum zweiten Mal vor meinen Augen rettungslos in die Tiefe zurück. Du kannst Dir meinen Zustand denken. Weinend, mit gerungenen Händen lief ich an dem Ufer auf und nieder, wie ein Wahnsinniger.“

„Armer Freund!“ bedauerte Hagen, tief bewegt von dem Schmerz, den die bloße Erinnerung in Sand erweckte. „Du regst Dich nur auf.“

„Laß mich,“ entgegnete dieser. „Es thut mir wohl, vor Dir des Dahingeschiedenen zu gedenken. Ich bin mit meiner Erzählung noch nicht zu Ende. Mein Geschrei und Wehklagen hatte nach und nach eine große Menschenmenge herbeigelockt. Einer der Ersten, der herbeieilte, war ein Mitglied einer Landsmannschaft; ich wußte, daß er schwimmen konnte, und forderte ihn auf, sich in den Fluß zu stürzen und zu sehen, ob noch Hülfe möglich sei. Der Elende weigerte sich mit den Worten: „Gott Lob, daß ein Burschenschafter weniger ist.“ Nur der Schmerz und die Betäubung hielten mich ab, mich auf den erbärmlichen Kerl zu stürzen und ihn mit meinen Händen zu erdrosseln.“

„Ich hätte es Dir nicht verdacht.“

„Nach zweistündigem Suchen gelang es endlich, die Leiche Dittmar’s aufzufinden. Bei diesem Anblick brach mein Herz und düstere Schwermuth füllte meine Seele, die mich seit dem Unglückstag nicht wieder verlassen hat. Unsere Verbindung beschloß, den todten Bruder durch ein feierliches Leichenbegängniß zu ehren, und forderte trotz aller Vorgänge die Landsmannschaften auf, sich daran zu betheiligen. Diese lehnten es in ihrer Verblendung nicht nur ab, sondern dachten noch auf rohe Weise unser Vorhaben zu stören, so daß uns nichts übrig blieb, als mit gezogenen Schwertern unsern Bruder zu bestatten, gerüstet, jeden Ueberfall der Feinde mit den Waffen in der Hand zurückzuweisen. Damals entbrannte mein Herz in wildem Zorn und ich beschloß jenen Elenden zu strafen, der dem armen Dittmar die nöthige Hülfe zu leisten sich geweigert hatte. Ich ließ ihn fordern, aber er stellte sich nicht. Zwei Stunden wartete ich auf dem zum Zweikampf bestimmten Platze, und als er nicht erschien, überließ ich den Feigling seinem Gewissen und der Strafe Gottes. Noch heute aber beweine ich den todten Freund, mit dem mein Jugendmuth dahin geschwunden ist.“

„Traure nicht länger,“ rief Hagen in tiefer Rührung aus.

„Du hast in mir einen Freund gefunden, der den Verstorbenen Dir zu ersetzen suchen wird. Das schwör’ ich Dir unter dieser deutschen Eiche.“

Beide umarmten sich und gelobten sich nochmals ewige Liebe und Treue; dann brachen sie auf und setzten ihren Weg fort, zu bewegt, um ein lautes Wort zu sprechen.


II.
Das Wartburgfest.

Noch zur frühen Stunde gelangten sie ohne weitere Abenteuer nach Eisenach. Je näher sie der Stadt kamen, desto mehr belebte [76] sich die Landstraße von Wanderern, die gleich ihnen zu dem morgenden Feste zogen. Von allen Ecken und Enden des Vaterlandes strömte die studirende Jugend herbei, um der Aufforderung Folge zu leisten, welche von der Jenaer Burschenschaft ursprünglich ausgegangen war. Die sonst so ruhigen Straßen boten ein bewegtes buntes Bild, Bürger und Studenten drängten sich im lustigen Getümmel nach dem Markt, wo das provisorische Festcomité seine Sitzung hielt. Jeden Augenblick kam ein neuer Trupp fröhlicher Studenten mit lautem Liederschall und wehenden Fahnen, deren Farben, Schwarz, Roth und Gold, jubelnd empfangen wurden. Die wackeren Burschen von Erlangen, Gießen, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Jena und Marburg hatten sich bereits eingefunden; nur die Abgesandten einiger ferner liegenden Universitäten wurden noch erwartet, bevor man zu der Wahl des engeren Ausschusses und zur Entwerfung des Festprogramms schreiten wollte. Auch diese trafen nach und nach ein; gegen Abend erschienen noch als die Letzten dreißig Kieler Studenten, die von Kiel nach Eisenach zusammen gewandert waren und jetzt ihren Einzug hielten, wobei sie das herrliche Lied „Eine feste Burg ist unser Gott“ feierlich anstimmten. Das war ein Leben und Treiben auf dem Markt, wie es schon lange nicht hier gesehen worden war. Die Blüthe Deutschlands hatte sich zusammengefunden, die herrlichsten Jünglingsgestalten aus allen Gauen des Vaterlandes, kräftige Westphalen, deren hohe Gestalten und treue Augen an die Cherusker mahnten, welche einst Varus und seine Legionen im Teutoburger Walde vernichtet hatten, leichtblütige Pfälzer und heitere Rheinländer, die wie der junge Most ihrer Rebenhügel schäumten, starkgliedrige Friesen mit blauen Augen und langen, blonden Haaren, feine Sachsen und treue Hessen, gemüthliche Schlesier und gewandte Berliner; trotz dieser nationalen Verschiedenheiten von einem Gefühl beseelt, von einem Bruderband umschlungen.

Die Einwohner von Eisenach halten sich bereits mit ihren Gästen befreundet und erboten sich freiwillig zu ihrer Aufnahme. Bürger und Studenten gingen Hand in Hand; die Scheidewand war gefallen, welche sonst den auf seine Vorrechte eifersüchtigen Burschen von dem Philister trennt; das einseitige und beschränkte Vorurtheil mußte einer bessern Einsicht weichen und Beide fühlten nur noch, daß sie Deutsche waren. Auch die Frauen und holden Mädchen sahen natürlich mit Wohlgefallen auf die schmucken Ankömmlinge; an jedem Fenster erblickte man reizende Lockenköpfe und schelmische Gesichter, welche halb neugierig, halb bewundernd auf das interessante Schauspiel niedersahen. Trotz der bekannten Sittenstrenge der Burschenschafter waren dieselben doch für die berühmte Schönheit der Eisenacher Jungfrauen keineswegs unempfindlich, und manches Herz schlug bei diesem verführerischen Anblick lauter unter dem schwarz-roth-goldenen Bande.

Die großherzoglich weimarische Regierung hatte nicht nur der bevorstehenden Wartburgfeier kein Hinderniß in den Weg gelegt, sondern dieselbe auf jede mögliche Weise unterstützt. Es wurde sogar von ihr eine namhafte Summe zur abendlichen Erleuchtung und das nöthige Holz zum Siegesfeuer angewiesen. Karl August liebte seine Studenten und hörte nicht auf die Einflüsterungen und Verleumdungen, an denen es eine gewisse Partei schon damals nicht fehlen ließ.

Nur mit Mühe konnte sich Sand mit seinem Begleiter einen Weg durch dieses Menschengetümmel bahnen. Er wollte nach dem Gasthofe „zum Rautenkranz“, um seinen Namen in die dort ausliegende Liste einzuzeichnen und den Quartierzettel, der ebenfalls daselbst ausgetheilt wurde, für sich und seinen neuen Freund in Empfang zu nehmen. Bei jedem Schritte wurden Beide von Fremden und Bekannten angehalten und begrüßt. Dabei machte Hagen die Erfahrung, daß sein Reisegefährte eine in der Burschenschaft hoch angesehene und geachtete Persönlichkeit war. Sobald er auf Befragen seinen Namen nannte, wurde er von dem Festcomité und den anwesenden Burschenschaftern auf das Ehrenvollste empfangen und bei der noch an demselben Abende stattfindenden Wahl zum Mitgliede des Ausschusses sämmtlicher Hochschulen gewählt und außerdem mit dem Ehrenamte eines Fahnenträgers der großen Burschenfahne betraut. Das freudige Roth, welches diese Auszeichnung aus Sand’s sonst so blassen Wangen hervorrief, bezeugte, daß der strenge Puritaner nicht gänzlich jeder Eitelkeit abgestorben war und daß sein stilles, scheues Wesen einen nicht unbedeutenden Ehrgeiz verbarg.

Da Sand durch sein neues Amt noch zurückgehalten wurde, so schlug Friedrich allein den Weg nach der ihm bezeichneten Wohnung ein, welche in der Nähe des Thores lag. Es dämmerte bereits und das Gewühl hatte sich einigermaßen zerstreut, indem die meisten Gäste, welche einen weiten Weg zurückgelegt, sich entweder in ihr Quartier zur Ruhe legten oder Stärkung in den überall geöffneten Gasthäusern suchten. Da auch er seit jenem Morgenimbiß nichts genossen, empfand er plötzlich das Bedürfniß nach Speise und Trank und trat zu diesem Zwecke in die nächste Bierstube, aus der ihm schon von Weitem lauter Jubel und Gesang entgegenschallte.

Kaum hatte er sich an den Tisch gesetzt, wo die Zunächstsitzenden zusammenrückten, um ihm Platz zu machen, als er unerwartet seinen Namen nennen hörte. Zugleich sah er sich von zwei langen, mageren Armen umschlungen, die ihn mit ihrem knöchernen Druck zu ersticken drohten. Diese Beweise einer außerordentlichen Zärtlichkeit schienen indeß Hagen keineswegs angenehm zu sein, denn er erwiderte sie ziemlich kalt und mit einem kaum merklichen Gruße. Davon ließ sich jedoch der Andere, der sich Berthold Zeisig nannte, keineswegs zurückschrecken, da er zu jener Menschenclasse zu gehören schien, die nicht so leicht aus einer gewissen angenommenen Ruhe kommt und auch nicht an übertriebener Empfindlichkeit leidet. Berthold war ein praktischer Philosoph, der sich in alle Verhältnisse zu schicken wußte, weil er nicht anders konnte. Er war ebenfalls der Sohn eines preußischen Beamten, aber weit niedriger von Rang, als Hagen’s Vater. Von Jugend auf beneidete er daher seinen Spielgefährten, mit dem er ungefähr in einem Alter stand und der ihn in jeder Beziehung überragte. Friedrich trug nicht nur einen feineren Rock und hatte mehr Taschengeld, sondern zeigte auch größere Anlagen und weit mehr Talent. Auch äußerlich war Freund Berthold von der Natur keineswegs allzugütig bedacht worden. Das lange Gesicht voll Sommersprossen, die grünlichen und fortwährend zwinkernden Augen, das struppige, Kamm und Bürste spottende Haar machten ihn nicht angenehmer, und ein lauernder Zug um den breiten Mund, der allerdings dafür ein Gebiß der schärfsten weißen Zähne aufzuweisen hatte, flößten beim ersten Anblick mehr Furcht als Vertrauen ein. Dazu kam eine Gestalt von einer erschreckenden Magerkeit, als hätte sich ihr Eigenthümer noch nie im Leben recht satt gegessen. Besonders waren die Arme von einer unverhältnißmäßigen Länge, so daß Berthold niemals wußte, wo er sie lassen sollte. Die ganze Figur erinnerte unwillkürlich an gewisse kriechende Würmer oder Schlingpflanzen, die sich überall anklammern und aus fremden Körpern ihre Nahrung saugen.

Diesem Aeußeren entsprach eine Schmiegsamkeit und Biegsamkeit des Geistes, welche ihm von Jugend auf zur zweiten Natur geworden war. Frühzeitig lernte er seine wahren Gesinnungen verleugnen, sich in die Launen Anderer und Höherstehender fügen und durch Nachgiebigkeit und Unterwürfigkeit sich überall Freunde machen, so daß es ihm gelang, auch schärfer blickende Beobachter zu täuschen und mit seinem widerlichen Aeußeren auszusöhnen. Diesen Eigenschaften hatte er es auch zu verdanken, daß er in Hagen’s elterlichem Hause freundlich aufgenommen wurde und manche Unterstützung daselbst genoß. Auch Friedrich, dem er sich wie eine Klette anhing, verkehrte viel mit ihm und nahm ihn gegen alle Welt in Schutz.

[89] Erst in der letzteren Zeit war eine gewisse Erkaltung zwischen Berthold Zeisig und Friedrich Hagen eingetreten, weil mit den zunehmenden Jahren die Verschiedenheit ihres Wesens und ihrer Gesinnungen immer schroffer hervortrat. Dieser Zwiespalt wurde noch dadurch verstärkt, daß Beide sich um die Gunst einer jungen Dame bewarben, die sich jedoch, wie zu erwarten stand, für Hagen erklärt hatte und so gut wie seine Verlobte war, obgleich er vor Beendigung seiner Studien noch nicht daran denken durfte, öffentlich um ihre Hand anzuhalten. Die Liebenden hatten sich vorläufig heimlich Treue geschworen und sahen mit Vertrauen der Zukunft entgegen, da es Friedrich bei seinem anerkannten Talent und der Stellung seines Vaters nicht fehlen konnte, bald ein passendes Amt zu erlangen.

Bei dieser Gelegenheit hatte Berthold seinen wahren Charakter mehrmals verrathen und den Freund, der ihm das größte Vertrauen schenkte, mit seiner Geliebten durch geschickt angebrachte Verleumdungen zu entzweien gesucht. Deshalb erwiderte Hagen auch jetzt den Gruß desselben mit ablehnender Kälte, aber Berthold ließ sich dadurch keineswegs zurückschrecken; er rechnete dabei, eben so sehr auf den offenen, leicht versöhnlichen Charakter seines Jugendgenossen, wie auf die gehobene Stimmung des Augenblickes. In der That täuschte er sich nicht in seinen Voraussetzungen.

„Wo aber bist Du hergekommen?“ fragte Hagen im Laufe des Gespräches. „Ich wußte nicht, daß Du Dich für die Bestrebungen der Burschenschaft so lebhaft interessirst. Offen gestanden glaubte ich, daß Du Dich weit eher zu den entgegengesetzten Ansichten hinneigst und nur Deine baldige Versorgung im Staatsdienste mit allen Kräften verfolgst.“

„Du siehst daraus, wie Unrecht Du mir thust. Von jeher habe ich für die Freiheit und das Vaterland geglüht; aber ich gehöre nicht zu den Leuten, die mit ihren Empfindungen Staat machen. Mein Bestes gebe ich der Welt nicht Preis; deshalb werde ich leider selbst von meinen Freunden verkannt. Als ich von der erhabenen Feier auf der Wartburg hörte, ließ es mir keine Ruhe in Berlin, und obgleich ich, wie Du am besten weißt, nur ein armer Kerl bin, der nicht einen Groschen übrig hat, machte ich mich doch auf den Weg, um bei dieser schönen Gelegenheit nicht zu fehlen. Dafür bin ich jetzt belohnt genug, da ich Dich hier gefunden und Deine Verzeihung erlangt habe. Deine Hand her! Alles, was auch zwischen uns früher vorgefallen sein mag, ist heute vergeben und vergessen?“

„Ich habe Dir schon einmal gesagt, daß ich an die abgethane Geschichte nicht mehr denken will.“

„Ich danke Dir. Hoffentlich wird die Gelegenheit nicht ausbleiben, wo ich zeigen kann, wie sehr ich Dich von ganzem Herzen liebe.“

„Reden wir nicht mehr davon!“

„Gut! Wir wollen lieber trinken. Auf das Wohl Deiner Braut!“

Die Bierstube hatte sich allmählich bis auf den letzten Platz gefüllt; die langen Tafeln waren mit Studenten aus allen Ländern besetzt, denen nach Burschenart das Herz beim Glase aufging. Der edle „Stoff“, wie in der Studentensprache das Bier genannt wurde, floß in Strömen, und der Wirth hatte alle Hände voll zu thun, um die durstigen Kehlen zu befriedigen. Es wurde aber nicht blos getrunken; überhaupt war dafür gesorgt, daß sich kein gewöhnlicher „Commers“ heute entwickelte, da die meisten Anwesenden für das leere Formelwesen nicht den nöthigen Sinn oder vielmehr Unsinn mitbrachten, weil ihre Seele von ernsteren und heiligeren Gedanken erfüllt war. Dafür wurde bald von einem oder dem Anderen ein feierliches Lied angestimmt, in das der Chor mit brausender Begeisterung einfiel. Ab und zu ergriff wohl auch einer der Anwesenden das Wort und sprach in sinniger Weise von der Bedeutung des morgen stattfindenden Festes. Dann wurde wieder die Unterhaltung eine allgemeinere, aber stets drehte sie sich um die höchsten Güter der Menschheit, um das Vaterland, um die Freiheit, um die Aufgabe der deutschen Jugend und ihre Stellung zum Staate. Hier mahnte ein jugendlicher Redner zur Einigkeit und beschwor die Zunächstsitzenden, alle kleinlichen Zwistigkeiten und Eifersüchteleien fahren zu lassen, dort kämpften zwei ebenbürtige Gegner um den Vorzug des Fichte’schen Systems vor der Naturphilosophie Schelling’s und übertrafen sich in tiefen Gedanken und scharfsinnigen Bemerkungen, die allerdings in einer Sprache vorgebracht wurden, die aus dem „Philosophischen“ erst in’s „Deutsche“ übersetzt werden mußte, wenn sie der Uneingeweihte verstehen sollte. An jenem Tischende wurde die hohe Bedeutung Luther’s für das deutsche Volk von einem Theologen auseinandergesetzt, während an der entgegengesetzten Ecke ein Jurist, der mit dem eisernen Kreuze geschmückt war, die Nothwendigkeit einer neuen Gesetzgebung nachwies und die Schwurgerichte als eine urdeutsche Einrichtung dringend anempfahl.

So rauschte und brauste der Redestrom beim Glase Bier und spärlicher Beleuchtung; an einfachen Holztischen und in dem mit [90] Tabaksqualm erfüllten niederen Zimmer wurde manches bedeutende Wort gesprochen, mancher göttliche Gedanke zu Tage gefördert, wenn auch manche unreife Idee dazwischen lief und es nicht an tollen Behauptungen und Paradoxen fehlte, die man der Jugend nicht zum Vorwurf machen darf. Das deutsche Studentenleben blühte hier in seiner schönsten Pracht, noch nicht getroffen von dem Mehlthau der späteren Verfolgungen und von dem Wurme der Reaction benagt.

Es war der Frühling der jungen Burschenschaft, welche erst später durch die Gewalt der Verhältnisse in eine verderbliche Bahn getrieben wurde, wo sie nicht durch eigene, sondern durch fremde Schuld ihre ursprüngliche Reinheit einbüßte und in dunkle Verschwörung und gefährliche Umtriebe ausartete.

Nachdem Hagen noch einige Zeit in diesem Kreise verweilt, von dem er sich nur schwer trennen konnte, brach er endlich auf, weil er Sand nicht länger warten lassen wollte. Der zudringliche Berthold ließ es sich nicht nehmen, ihm bis zu seinem Hause das Geleit zu geben, wo er einen überaus zärtlichen Abschied von dem wieder versöhnten Freunde nahm.

„Auf Wiedersehn!“ rief er ihm zu. „Du hast doch keinen Groll mehr gegen mich?“

„Nicht eine Spur,“ entgegnete Friedrich und reichte ihm zur Bekräftigung die Hand.

„So schlafe wohl und träume von Deiner Julie!“

Es lag ein eigenthümlich boshafter Ausdruck in den letzten Worten des Scheidenden, aber Hagen war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um darauf zu achten. Er zweifelte keinen Augenblick an der Aufrichtigkeit des Anderen. – Als er in das ihm angewiesene Quartier trat, fand er Sand bereits hier, der ihn erwartete. Trotzdem Beide ermüdet waren und von den vielfachen Eindrücken des Tages sich angegriffen fühlten, konnten sie nicht sogleich zur Ruhe kommen. Ihr Herz war zu voll und sie saßen noch bis gegen Mitternacht im eifrigen Gespräch. Sand war ganz erfüllt von den herrlichen und bedeutenden Jünglingen, die er in der Sitzung des Ausschusses kennen gelernt hatte.

„Du wirst sie morgen,“ sagte er, „bei der Feier sehen und hören, um Dir selbst ein Urtheil über sie zu bilden. Die edelsten Söhne hat das Vaterland geschickt, wo solche Geister blühen und solche treue Herzen schlagen, verzweifle ich nicht. So viel steht jetzt fest bei mir: es kann für das liebe deutsche Vaterland kein Heil kommen, es sei denn durch eine allgemeine freie Burschenschaft, in der Deutschlands edelste Jugend verbrüdert lebt.“[1]

„Ich bin darin mit Dir vollkommen einverstanden.“

„Aber wir müssen auch dazu thun und deshalb habe ich für den morgenden Tag einen Vorschlag drucken lassen, den ich zu vertheilen gedenke, da mir die Gabe der Rede nicht in solchem Maße zu Gebote steht, wie anderen Brüdern. Jeder muß nach besten Kräften dazu thun, unsere hohe Sache zu fördern. Ich will Dir meinen Aufsatz vorlesen, wenn Du nicht zu müde bist.“

Dies geschah, da Hagen mit Freuden einwilligte, und Sand entwickelte in einer längeren gedruckten Ansprache mit der Ueberschrift: „Zum achtzehnten des Herbstmonats im Jahr nach Christo achtzehnhundert und siebzehn auf der Wartburg“, seine Ansichten und Meinungen in einem zwar dunklen Style, dem es aber nicht an Schwung und Wärme fehlte. Vor Allem aber wies er darin auf die Nothwendigkeit einer allgemeinen Burschenschaft hin, in welche die vereinzelten Verbindungen zusammenschmelzen sollten. War auch die Sprache unbeholfen und der Sinn zuweilen verborgen, so entschädigte dafür die Gluth und Begeisterung, womit er seinen Gegenstand auffaßte und behandelte. Man fühlte unwillkürlich, daß es ihm ein heiliger Ernst war und daß er bereit schien, jedes Wort mit seinem Leben zu vertheidigen. Aus jeder Zeile leuchtete ein fester Wille und ein unbeugsamer Muth.

Der Morgen des achtzehnten Octobers brach in wunderbarer Klarheit an und versprach einen schönen, heitern Tag für das Fest. Feierliches Geläute der Glocken erschallte von den Thürmen der Stadt und unter den frommen Klängen versammelten sich die Studenten, meist in schwarzer altdeutscher Tracht, auf dem Markte, wo sich der Zug allmählich ordnete. Es war ein wunderbarer und erhebender Anblick. – Fünfhundert blühende Jünglinge aus allen Gauen des deutschen Vaterlandes waren hier versammelt, um ein wahres Nationalereigniß in würdiger Weise zu begehen; jeder unter ihnen wurde mehr oder minder von heiliger Begeisterung durchglüht. Zwei und zwei setzten sie sich in Bewegung, die Mützen und Hüte mit dem Laube der heimischen Eiche umkränzt; voran der erwählte Burgvoigt mit dem entblößten Schwerte der Jenaer Burschenschaft, gefolgt von den Burgmännern, in deren Mitte der Fahnenträger mit der schwarz-roth-goldenen Fahne schritt, die im frischen Herbstwinde stolz und lustig flatterte. Ihm zur Seite ging Sand als Fahnenbegleiter, die blanke Burschenwaffe in der Hand, mit gerötheten Wangen und überirdisch glänzenden Blicken.

Es war der schönste Tag seines Lebens und eine sonst nie gekannte Freude verklärte sein ernstes, blasses Gesicht.

„Jetzt möchte ich sterben,“ betete er, von einer unerklärlichen Ahnung erfaßt. „Herr, laß Deinen Diener in Frieden dahinscheiden, nachdem er solche Herrlichkeit geschaut!“

Die schmetternden Töne der Musik weckten ihn aus seinen Träumen; er fuhr empor und erblickte die alte Wartburg, welche im Morgenlichte mit ihren Erkern und Fenstern golden herniederglänzte. Bei diesem Anblicke ertönte ein einstimmiger Jubelruf von den Lippen der fünfhundert Studenten. Immer klarer und deutlicher zeichneten sich die alten Mauern in der durchsichtigen Luft ab; der Geist der Vergangenheit schien aus den geweihten Hallen die frische Jugend begrüßen zu wollen. Die Burg hatte ihren Festschmuck angelegt und mit grünen Tannenreisern sich geziert, was ganz wunderbar von dem grauen Gemäuer abstach. In musterhafter Ordnung betrat jetzt der Zug den zu diesem Zwecke geöffneten Rittersaal, an den sich jene mächtigen Erinnerungen an die Zeit der Minnesänger und der Reformation knüpften. Hier hatten sich bereits die Eisenacher Behörden, die dortige Geistlichkeit und vier von Jena angekommene Professoren, Schweizer, Kieser, der geniale Oken, und der freisinnige Fries eingefunden, um an der schönen Feier des Tages Theil zu nehmen.

Mit einem Male erschallte der hundertstimmige Chor: „Eine feste Burg ist unser Gott“ so mächtig und brausend, daß die gewölbten Hallen erzitterten; das Kampflied der neuen Zeit, welches Luther im erhabenen Gottvertrauen einst angestimmt und das jetzt seinem Andenken zu Ehren an der Stätte triumphirend klang, wo er selbst gewirkt, gelebt und gestritten hatte.

Welche Erinnerung!

Nachdem die feierlichen Töne verhallt waren, bestieg der Festredner Riemann, Ritter des eisernen Kreuzes, die aufgestellte Rednerbühne und begrüßte im Namen der Jenenser Burschenschaft Alle, die herbeigekommen „zur gemeinschaftlichen Feier des Wiedergeburtsfestes des freien Gedankens und des Errettungsfestes des Vaterlandes aus schmählichem Sclavenjoche.“

Von Neuem ertönte der Gesang: „Nun danket alle Gott.“

Thränen der Rührung und Begeisterung netzten die Wangen der Studenten und aller Anwesenden, die aus der Nähe und Ferne herbeigeströmt waren.

Da betrat Hofrath Fries, von allen Seiten dazu aufgefordert, die Rednerbühne. Lautlose Stille herrschte in dem Saale und die Blicke der Jünglinge hingen an den Lippen des allgemein, geliebten Lehrers, der, von der Gewalt des Augenblickes ergriffen, folgendermaßen sprach:

„Ihr deutschen Burschen![2]

„Aufgefordert von Euch, zu sprechen, gebe ich keine Rede, keine Lehre, nur ein Wort des Gefühls, ein Wort, ein treues Wort im Namen Eurer freien Lehrer auszusprechen!

„Sei uns gegrüßt, Du helles Morgenroth eines schönen Tages, der über unser schönes Vaterland heraufkommt; sei uns gegrüßt, du geisteswarmer, jünglingsfrischer Lebensathem, von dem ich durchhaucht fühle mein Volk!

„Ihr deutschen Burschen!

„Lasset Euch den Freundschaftsbund Eurer Jugend, den Jugendbundesstaat, ein Bild werden des vaterländischen Staates, dessen Dienst Ihr bald Euer ganzes Leben weihen wollt. Haltet fromm bei Tapferkeit, Ehre und Gerechtigkeit!

„Ihr deutschen Burschen!

„Lasset aus dem Freundschaftsbund Eurer Jugend den Geist kommen in das Leben unseres Volkes, denn jünglingsfrisch soll uns erwachsen deutscher Gemeingeist für Vaterland, Freiheit und Gerechtigkeit!

„So bleibe Euch und uns der Wahlspruch:

Ein Gott, ein deutsches Schwert, ein deutscher Geist für Ehre und Gerechtigkeit![3]

[91] Diesen Worten, welche vom Herzen kamen und zum Herzen gingen, folgte der Segen, den ein Student noch über die Versammlung sprach. Unvergeßlich war der Eindruck, den diese Feier überall zurückließ.


III.
Das Autodafé.

Ein fröhliches Mittagsmahl vereinte die sämmtlichen Teilnehmer des Festes in dem berühmten Minnessängersaal der Wartburg. Dort wurde manches heitere Lied gesungen, mancher Toast „auf den Mann Gottes Doctor Martin Luther“ und „auf die Sieger bei Leipzig“ ausgebracht. Auch der Todten vergaß man nicht und die Namen „Schill, Scharnhorst und Körner“ klangen von den begeisterten Lippen, ihr Andenken ehrend.

So kam der Abend heran; ein großartiger Fackelzug sollte den Schluß des schönen Tages bilden. Bald strahlte der Markt im hellen Flammenglanz und purpurner Gluth. Von hier aus setzte sich der Zug in Bewegung nach dem der Wartburg gegenüberliegenden Wartenberge, wo der Eisenacher Landsturm mächtige Holzstöße, achtzehn an der Zahl, zuvor angezündet hatte zur Feier der Gegenwart und Mahnung an die Vergangenheit. Prächtig stieg die feurige Lohe zum nächtlichen Sternenhimmel auf, an dem der helle Mond erglänzte. Berg und Thal glühten von dem Wiederschein, und die alte Wartburg stand in wunderbarer Beleuchtung wie eine mittelalterliche Schildwacht, vom Lagerbrand beschienen. Der Wind blies schneidend kalt in die Scheiterhaufen und in das Fackelmeer, daß die hellen Funken um die Locken ihrer Träger stäubten. Die Lust war nur um so größer und der jugendliche Uebermuth, der bisher vor der Bedeutung des Tages zurückgetreten war, begann sich jetzt zu regen.

Während noch einige Redner das Wort ergriffen, sah man eine geschäftige Gruppe mehrere dunkle Ballen herbeischaffen. Aus dem Kreise der Studirenden trat Einer, Namens Maßmann, hervor mit einem Korbe voll Bücher und einer großen Heugabel in der Hand. Niemand außer seinen nächsten Freunden, die er in sein Vertrauen gezogen hatte, wußte, was er vorhatte; am wenigsten hatte der Festvorstand eine Ahnung von seinem Thun. – Er näherte sich dem Feuer und erinnerte an die Verbrennung der päpstlichen Bannbulle durch Luthers Hand.

„Das that Luther,“ sagte er, „mit dem Feinde der Glaubensfreiheit! So wollen auch wir durch die Flammen verzehren lassen das Andenken Derer, so das Vaterland geschändet haben durch Rath und That, und die Freiheit geknechtet und die Wahrheit und die Tugend verleugnet haben in ihrem Leben und in ihren Schriften. – Es ist wohl der rechte Augenblick gekommen in dieser heiligen Stunde, zu zeigen aller Welt, weß Geistes Kinder wir sind, welchen Geist wir meinen, daß blühen und gedeihen müsse im Vaterlande, welche Hehrgedanken das Leben erhalten und gestalten sollen, und wie der mildthätigen Liebe wir paaren sollen den tiefen, grimmigen Haß wider das Böse und Verkehrte und darum wider alle Bösen und Tauben im Vaterlande. Das soll unser Volk erfahren, das ist der treibende Gedanke zu diesem ernsten Schritte, der Manchem ein Gericht sein wird seiner Thaten, Gedanken und Schriften. Wahrlich, wir hätten des Zeugs überlang zu brennen und zu brandmarken, auch anderer Völker Schriften, so die ganze Welt verdorben haben, wenn wir allen schlechten und bösen Machwerken ihr Recht und Gericht geschehen ließen. Aber diese Feuerbrände hier mögen als die Vertreter und Reigenführer der ganzen Sippschaft büßen. – So tretet denn heran zu dem zehrenden Fegefeuer und schaut, wie Gericht gehalten wird über die Schandschriften des Vaterlandes. Möge das höllische Feuer sie alle verzehren und vernichten, wie arge Tücke oder die Jämmerlichkeit und Erbärmlichkeit sie eingab!“

Hierauf las der Redner eine Reihe von Schriften ab, welche durch ihren unsittlichen oder freiheitswidrigen Inhalt das Mißfallen der studirenden Jugend auf sich geladen hatten, und jetzt zum Scheiterhaufen verdammt werden sollten. Zugleich erschien der Titel des so genannten Buches mit großer Fracturschrift auf einen besondern Bogen geschrieben. Bei jedem dieser Bücher stellte Maßmann an die Eingeweihten zunächst die Frage, ob es den Flammen übergeben werden sollte.

„In’s Feuer, in’s Feuer!“ lautete die Antwort.

Dann wurde ein Haufen Maculalur mit der Heugabel unter lautem Jauchzen und Jubeln in das Feuer geschlendert, gewöhnlich von einer Erklärung begleitet, die ein solches Verdammungsurtheil zu rechtfertigen suchte. So wanderten die Werke von Ancillon, des berüchtigten Haller, der allgemeine Codex der Gensd’armerie von dem preußischen Minister von Kamptz, die Schriften des Geheimraths Schmalz, Werner’s Weihe der Kraft und Kotzebue’s Geschichte des deutschen Reichs in die lodernden Flammen. Zuletzt wurde noch ein Schnürleib, ein Patentzopf und ein großmächtiger Corporalstock als die Repräsentanten des Gamaschendienstes und als Schmach des ernsten heiligen Wehrstandes mit verbrannt. Darum sang der Chor lustiger Burschen den Vers:

„Zuletzt nun rufet Pereat
Den schuft’gen Schmalzgesellen
Und dreimal Pere – Pereat!
So fahren sie zur Höllen!
Auf, auf, mein theures Vaterland
Ihr Brüder, reichet Euch die Hand
Und schwört: so woll’n wir’s halten.“

Die um den Scheiterhaufen Zunächststehenden gaben sich die Hände und tanzten im tollen Reigen, beleuchtet von den zuckenden Flammen um die lodernde Gluth, welche die hineingeworfenen Bücher rasch verzehrte. – Die meisten der Anwesenden waren mit diesem Strafgericht vollkommen einverstanden, besonders Sand, der am lautesten rief: „In’s Feuer!“ – Keiner von den anwesenden Jünglingen hatte jedoch eine Ahnung von den möglichen Folgen eines derartigen Autodafé’s, das mitunter die angesehensten Schriftsteller und die einflußreichsten Staatsmänner traf, deren Eitelkeit auf die empfindlichste Weise beleidigt worden war. Mit einem gewissen Mißton schloß das schöne Fest, und die feiner organisirten Naturen fühlten sich einigermaßen dadurch verletzt, daß ein mit Liebe und Eintracht begonnener Tag in einen Act des Hasses und der Verdammung endete. – Zu diesen Verstimmten gehörte auch Hagen, und seine Verdrießlichkeit wurde nicht dadurch gemildert, daß sich bei dem Rückweg der schleichende Berthold zu ihm gesellte.

„Nun,“ redete ihn dieser lauernd an. „Das wird in Berlin und ganz Deutschland Aufsehen machen, wenn es bekannt wird, wie man hier zu Gericht gesessen. Der Herr Geheimrath Schmalz wird, wie ich glaube, nicht allzu erfreut über die Auszeichnung sein, die man ihm erwiesen hat. Und gar der Herr Minister Kamptz, dessen Codex der Gensd’armerie mit verbrannt worden ist, wird nicht wenig wüthen.“

„Mir ist die ganze Geschichte nicht angenehm,“ entgegnete Hagen kurz, bemüht, dem Gespräche eine andere Wendung zu geben.

„Das kann ich mir wohl denken, da Dein Vater unter dem Minister steht.“

„Deshalb nicht; denn mein Vater billigt keineswegs den Geist der Reaction, der in Preußen immer mehr zum Vorschein kommt, und verleugnet seine Gesinnung nicht. Er ist Mitglied des Tugendbundes und gehört zu jenen Männern, welche, wie Stein und Hardenberg, das Heil des Vaterlandes nur in einem zweckmäßigen Fortschritte sehen.“

„Ich weiß, daß Deine ganze Familie freisinnig ist und darum mit dem gegenwärtigen Regiment nicht zufrieden sein kann. Der Wind weht jetzt freilich von einer andern Seite her; man will jetzt nichts vom Volke wissen. Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen. Große Herren haben ein kurzes Gedächtniß und vergessen leicht, was sie in der Noth versprochen haben. Aber es kann wieder einmal eine Zeit kommen, wo sie das Volk brauchen werden.“

Die ganze Rede Berthold’s schien darauf angelegt zu sein, Hagen zu veranlassen, seine innern Gesinnungen Preis zu geben; sie verfehlte jedoch diesmal ihren Zweck, weil dieser eine gewisse Zurückhaltung beobachtete, ohne sich eines bestimmten Grundes bewußt zu werden. Desto mehr sprach der Andere von der Nothwendigkeit, die eben erst errungene Freiheit zu bewahren und der in Preußen auftauchenden Rückschrittspartei entgegen zu arbeiten. Mitten in seinen pathetischen Auseinandersetzungen, welche meist in nichtssagenden Phrasen bestanden, wurde er durch Sand’s Dazwischenkunft unterbrochen.

Da Hagen am nächsten Tage zu seinen Eltern nach Berlin zurückkehren wollte, so bot sich ihm Berthold sogleich zum Reisegefährten an, was er füglich ihm nicht abschlagen konnte. Ueberaus zärtlich war der Abschied, den er am Morgen von seinem neuen Freunde nahm. Sand, der zurückblieb, da er in Jena seine Studien fortsetzen wollte, begleitete Hagen und Berthold bis zum nächsten [92] Dorfe, wo der Abschiedstrunk feierlich getrunken wurde. Beide umarmten sich und gelobten sich von Neuem ewige, unerschütterliche Freundschaft.

„Was auch geschehen mag, wir bleiben Brüder in alle Ewigkeit!“ rief Hagen.

„Und ich besuche Dich in Berlin, so bald ich nur von Jena abkommen kann.“

„Es versteht sich von selbst, daß Du dann bei meinen Eltern wohnst. Du sollst sie und meine Schwester kennen lernen.“

„Ich freue mich auf Deine Familie, die durch Dich nur nicht mehr fremd ist. Tausend Grüße für die Deinigen und für den biedern Turner Jahn, der, wie Du mir gesagt hast, ein Freund Deines würdigen Vaters ist. Theile ihm mit, wie ich ihn als meinen Meister und als den Erwecker vaterländischer Gefühle und Gesinnungen auf das Innigste verehre. Und nun lebe wohl!“

„Lebe wohl und halte Wort! Ich werde Dich mit Ungeduld erwarten.“

Mit einem Gruß für Berthold ging Sand wieder nach Eisenach zurück, während jene den entgegengesetzten Weg nach Berlin einschlugen.

Die Nachricht von dem Wartburgfeste und den dabei stattgefundenen Vorfällen hatte sich indeß mit Blitzesschnelligkeit durch ganz Deutschland verbreitet, so daß Hagen bei seiner Rückkehr die Seinigen bereits unterrichtet fand. Der Vater, ein Mann von anerkannt freisinnigen Grundsätzen, aus einer polnischen Schule hervorgegangen, der Preußen die wohlthätigsten Reformen zu verdanken hat, war weit entfernt, ein Ereigniß zu verdammen, das er von seinem Standpunkte aus als ein freudiges Zeugniß des wiedererwachten Nationalgeistes anerkennen mußte, obgleich auch er den hier und da hervorbrechenden jugendlichen Uebermuth nicht billigen konnte.

„Die Geschichte mit den verbrannten Büchern,“ sagte er dem Sohne, „hat ein ungemeines Aufsehen gemacht. Geheimrath Schmalz und Consorten setzen Himmel und Hölle in Bewegung, als ob der Staat selbst von Euch angegriffen worden wäre. Ich will Dir nicht verschweigen, daß Deine Betheiligung bei dem Feste Dir möglicher Weise in Deiner Carriere jetzt schaden kann. Indeß wird das Geschrei vorübergehen und hoffentlich weiter keine bösen Folgen haben. Mir persönlich ist es natürlich unangenehm, daß auch der Minister Kamptz, dem ich untergeben bin, dabei mit betheiligt ist; er will mir ohnehin nicht wohl.“

„Es thut mir leid, daß Du meinetwegen vielleicht in Ungelegenheit kommst. Ich kann Dir aber die Versicherung geben, daß Niemand eine Ahnung hatte, daß die Bücher verbrannt werden sollten. Von einer bedachten That kann daher nicht die Rede sein.“

„Ich glaube es Dir und bin auch überzeugt, daß sonst nichts Unerlaubtes und Ungehöriges auf der Wartburg vorgekommen ist. Du kennst mich und meine Ansichten und weißt auch, daß ich weit entfernt bin, der Jugend ein gewisses Maß von Freiheit zu mißgönnen. Nur möchte ich Dich im Voraus vor allen Uebertreibungen und vor einer Ueberschwänglichkeit warnen, die seit den Freiheitskriegen sich hier und da hervordrängt. Ich unterscheide zwischen wahrer Begeisterung, ohne die nichts Großes geschaffen wird, und jener blinden Schwärmerei, welche über das gesteckte Ziel hinausschießt. Es zeigt sich gegenwärtig in Deutschland ein mehr als bedenklicher Geist, der nothwendiger Weise zu Verirrungen von der einen Seite und zu Uebergriffen von der andern führen muß. Vor allen Dingen warne ich Dich, Dich in irgend eine geheime Verbindung einzulassen. Gib mir Dein Versprechen, Dich nie an einer wirklichen Verschwörung gegen den Staat zu betheiligen.“

Hagen that dies ohne Weigern, da die damalige Burschenschaft durchaus noch nicht die Oeffentlichkeit scheute und ihre Wünsche und Bestrebungen keineswegs verheimlichte, wie dies erst später unter dem Drucke der über sie verhängten Verfolgungen geschah. – Nach dieser freundschaftlichen Unterredung mit seinem Vater begrüßte Friedrich seine Mutter und die Schwester, mit der ihn eine innige Sympathie verband. Emma war eine durchaus ideale Erscheinung, von einer Tiefe und Reinheit, wie sie nur das Weib in seiner Abgeschlossenheit sich zu bewahren im Stande ist. Nur ein Jahr jünger als ihr Bruder, hatte sie an allen seinen Richtungen und Empfindungen, in denen sich eine bedeutende Zeit wieder spiegelte, den lebhaftesten Antheil genommen; sie war seine Vertraute, seine beste Freundin, das treue Echo seiner Wünsche und Träume, welche in ihrer Seele mild verklärt erschienen. Zart und mild fehlte es ihr darum nicht an der nöthigen Charakterstärke und an einer Festigkeit, womit sie an dem festhielt, was sie einmal für gut und edel anerkannt. Schlank und hoch emporgeschossen, erinnerte sie mit ihrem blonden Haar und dem weißen, durchsichtigen Teint an die keusche Lilie, deren Kelch den süßesten Duft umschließt. Die Zerbrechlichkeit ihrer hohen Gestalt und die Blässe ihrer Wangen verliehen ihr ein ätherisches Ansehn, sie deuteten auf eine andere Heimath als die schwere Erde, der ihr kaum den Boden berührender Gang zu entschweben schien.

Mit leuchtenden Blicken hörte sie seiner Schilderung des Wartburgfestes zu, aus dessen Hintergrund Sand’s Bild in klaren Zügen für sie hervortrat. Mit der Ueberschwänglichkeit der Jugend malte Hagen seinen neuen Freund und erweckte in der Schwester die Sehnsucht, den so Gepriesenen näher zu kennen. „Er hat mir,“ sagte er, „das Versprechen gegeben, uns in Kurzem zu besuchen, und einige Tage bei uns zuzubringen. Du wirst gewiß meine Vorliebe für ihn theilen und seine Freundin werden, wie ich sein Freund geworden bin.“

„Das bin ich schon,“ entgegnete Emma mit tiefem Erröthen, „wenn er nur einigermaßen Deinem Bilde gleicht.“

Das Gespräch der Geschwister wurde hier durch den Besuch einer jungen Dame unterbrochen, bei deren Eintritt Hagen mit einem lauten Freudenschrei aufsprang, um sie zu begrüßen. Es war seine Braut, Julie Wiggern die im Vorübergehn ihre Freundin Emma sehn wollte, mit der versteckten Absicht, sich nach dem Bruder zu erkundigen. Die nachsichtige Mutter und die zärtliche Schwester waren in das Geheimniß der Liebenden eingeweiht, so daß dieselben in ihrer Gegenwart den Zwang fallen ließen, den sie sich noch vor Fremden auferlegen mußten. Juliens Vater war Geheimrath und gehörte zu jenen Beamten, welche alles Heil in der Bevormundung des Volkes sehn. Er war ein abgesagter Feind jeder freieren Richtung und schloß sich immer enger der Partei an, welche gegenwärtig am Hofe die herrschende war. Mit strenger Consequenz trat er jeder Neuerung entgegen; die alten Zustände fanden an ihm einen hartnäckigen Vertheidiger; weshalb er auch nur ungern den vertrauten Umgang seiner Tochter mit dem durch seine freisinnigen Grundsätze bekannten Hause seines Collegen Hagen sah.

Schon nach kurzem Verweilen mußte Friedrich in Juliens Zügen und in ihrem ganzen Betragen eine Betrübniß bemerken, die sie ihm auch nicht langer vorenthielt.

„Mein Vater,“ sagte sie, „ist im höchsten Grade aufgebracht wegen des Wartburgfestes und hat sich in einer Weise darüber ausgesprochen, die mich das Schlimmste fürchten läßt. Noch scheint er nicht zu wissen, daß Du Dich daran betheiligt hast. In meiner Angst bin ich hierhergeeilt, um Dich vor den möglichen Folgen zu warnen.“

„Ich danke Dir,“ entgegnete Hagen, „für Deine Liebe, die Du mir von Neuem bewiesen hast, aber Deine Angst kann ich nicht theilen, da ich mir keiner Schuld bewußt bin.“

„Ich glaube Dir, aber in der Stadt gehen die schrecklichsten Gerüchte von einer gefährlichen Verschwörung um. Der Geheimrath Schmalz, der ein Freund meines Vaters ist, hat bereits eine Schrift verfaßt, worin er auf die Gefahren hinweist, welche durch die Burschenschaft dem Staate drohe. Der Minister Kamptz soll außer sich sein und für die ihm angethane Beschimpfung Satisfaction verlangen und auf Bestrafung der Urheber und Rädelsführer angetragen haben.“

„Du kannst darüber ganz ruhig sein, da ich dem Autodafé dieser Bücher, die nach meiner Meinung meist kein besseres Schicksal verdient haben, zwar mit beigewohnt, aber es keineswegs veranlaßt habe. Ich und viele meiner Bekannten waren durchaus nicht damit einverstanden, weil wir nicht die schöne und erhebende Feier des Tages durch ein derartiges Strafgericht entweiht sehen wollten. Aber ich begreife nicht, wie man den Muthwillen der aufgeregten Jugend gleich zu einem Verbrechen stempeln kann. Darum hoffe ich auch, daß dies Geschrei der Betroffenen bald wieder verhallen und daß weder für mich, noch für meine Brüder eine größere Unannehmlichkeit daraus erwachsen wird.“

„Gott gebe es!“ seufzte das liebenswürdige Mädchen, den kleinen Lockenkopf bedenklich schüttelnd. „Ich wünschte nur, daß Du nicht auf der Wartburg dabei gewesen wärst.“

[105] „Ich wünschte, daß Du und Emma an der herrlichen Feier auf der Wartburg Euch hättet betheiligen können,“ fuhr Hagen fort. „So lange ich lebe, werde ich den tiefen, gewaltigen Eindruck nicht vergessen. Es war das heilige Pfingstfest des deutschen Geistes, der über die Jugend dort vom Himmel ausgegossen wurde.“

Mit diesen Worten gelang es ihm, die Besorgnisse des lieben Mädchens zu beschwichtigen, das mit ganzer Seele an ihm hing und in seiner Nähe alle Befürchtungen und den Zwiespalt vergaß, der durch dieses Verhältniß in ihr stilles Leben gekommen war, da sie zwischen dem Vater und dem Geliebten fortwährend schwankte und weder den Einen noch den Anderen aufgeben konnte und wollte. Im Gegensatze zu ihrer schwärmerischen Freundin Emma war Julie eine mehr positive, lebensfrohe und praktische Natur, der es jedoch im entscheidenden Augenblicke an einer bei dem weiblichen Geschlechte seltenen Energie und Charakterstärke nicht fehlte. – Nachdem sie noch einige Zeit in dem befreundeten Hause verweilt, nahm sie Abschied, um zu ihrem Vater zurückzukehren, dessen Hauswesen sie vorstand, da er schon seit mehreren Jahren Wittwer war. Friedrich bot sich ihr natürlich zur Begleitung an, was sie nur nach einigem Widerstreben und unter der Bedingung annahm, daß er sie nur bis an die nächste Straßenecke bringen sollte, weil sie jedes Aufsehen zu vermeiden wünschte.

Beide gingen im eifrigen Gespräche über ihre Zukunft, die sie sich, wie dies Liebende meist zu thun pflegen, in den rosigsten Farben auszumalen nicht müde wurden. In der Dämmerung bemerkten sie nicht, daß ein dunkler Schalten ihnen leise nachfolgte und sie mit lauernden Blicken beobachtete. Als Hagen sich indeß zufällig umwendete, glaubte er, die lange dünne Figur Berthold’s zu erkennen; er rief ihn an.

„Mein Gott!“ mahnte die ängstliche Julie, „was thust Du?“

„Ich rufe Berthold, damit er sieht, wie glücklich ich bin,“ entgegnete Friedrich mit jugendlichem Uebermuth.

„Welche Thorheit, da Du doch weißt, daß er mir früher ernstlich den Hof gemacht hat!“

„Eben deshalb soll er Zeuge sein, daß Du mir den Vorzug gibst.“

„So seid Ihr Männer voll Eitelkeit, die Ihr uns armen Frauen zum Vorwurfe macht. Um einen Nebenbuhler zu kränken, vergißt Du, daß unsere Liebe noch ein Geheimniß bleiben muß.“

„Du hast von Berthold nichts mehr zu fürchten, da er sich mit mir während des Festes vollkommen ausgesöhnt hat. Ich glaube, daß wir uns in seinem Charakter geirrt haben; er scheint mir das beste Herz von der Welt zu haben und gehört mit Leib und Seele der Burschenschaft an, so daß ich an seiner Aufrichtigkeit nicht mehr zweifeln kann.“

„Und ich kann mich,“ erwiderte Julie, mit echt weiblichem Instinct begabt, „eines leisen Schauders nicht erwehren, so oft ich ihn sehe. Mir ist es in seiner Nähe stets zu Muthe, als drohte unserer Liebe von seiner Seite ein schweres Mißgeschick.“

Ehe Friedrich ihr antworten und, wie er beabsichtigte, ihr vermeintliches Vorurtheil widerlegen konnte, war der Gerufene bereits näher getreten und grüßte mit erheuchelter Freundlichkeit. Mit seltener Verstellungskunst wußte er seinen Worten und seinem ganzen Benehmen einen Zutrauen erregenden Anstrich zu geben, so daß sich auch das besorgte Mädchen täuschen ließ und von ihrem Mißtrauen nach und nach zurückkam; um so mehr, da sie, wie die meisten Frauen, im Grunde ihrer Seele ein gewisses Mitleid mit dem verschmähten Liebhaber empfand.

Nachdem er sich mit einer tiefen Verbeugung empfohlen hatte, blieb er noch einen Augenblick stehen und sah dem glücklichen Paare mit seltsamen Blicken nach.

„Noch seid Ihr nicht so weit!“ rief er ihnen grollend nach. „Wenn mein Plan glückt, so wird die stolze Julie nicht Frau Hagen, sondern Zeisig heißen.“

Dieser Gedanke erregte dermaßen seine Heiterkeit, daß er darüber ein kurzes, heiseres Gelächter ausstieß. Dann schaute er sich vorsichtig um und trat in das Haus, wo der Geheimrath Schmalz wohnte. Nachdem er daselbst einige Zeit verweilt, verließ er es mit triumphirendem Gesicht.



IV.
Der Turnvater Jahn.

Einige Monate nach diesen Vorgängen erhielt Hagen einen Brief, worin Sand ihm seine nahe bevorstehende Ankunft in Berlin anzeigte. Da er vor seiner Schwester kein Geheimniß hatte, so ließ er sie das Schreiben des Freundes lesen, wie er dies früher mit allen übrigen Briefen Sand’s schon gethan hatte, so daß sie mit dem Charakter des jungen Mannes, für den sie sich, ohne ihn zu kennen, bereits lebhaft interessirte, hinlänglich bekannt war. Es liegt ein eigenthümlicher Reiz in solch’ einer geheimen Theilnahme an Personen, in deren Ansichten und Grundsätze man früher eingeweiht wird, bevor man ihnen näher tritt. Die Phantasie [106] wird angeregt und hat einen großen Spielraum, den sie mit ihren Bildern und Träumen ausfüllt. Fast mit unerklärlicher Sehnsucht sah daher Emma dem Eintreffen des ihr persönlich fremden und wiederum geistig so nahe stehenden Gastes entgegen. Gerade ihre ideelle Natur mußte sich zu einem Manne hingezogen fühlen, dessen ganzes Streben nach dem Höchsten gerichtet war. – Endlich traf der von den Geschwistern sehnlichst Erwartete ein; seine äußere Erscheinung zerstörte diesmal nicht, wie es häufig zu geschehen pflegt, das von ihm im Voraus entworfene Bild. Sein zurückhaltendes Wesen stimmte zu ihrem sinnigen und tieferen Charakter, sein ernstes, würdiges Benehmen, das nicht ganz zu seiner Jugend zu passen schien, schadete ihm nicht in ihren Augen. Minder günstig war der Eindruck, den Sand auf den schärfer beobachtenden Vater seines Freundes machte. Dem klaren, praktischen Manne war weder die Einseitigkeit des Gastes, noch eine schwärmerische Ueberschwänglichkeit entgangen, die er jedoch auf Rechnung der Jugend zu schreiben geneigt war; obgleich er Friedrich seine offene Meinung und die daran sich knüpfenden Befürchtungen nicht verhehlte, als dieser ihn fragte, wie ihm Sand gefiel.

„Ich will es Dir nicht verschweigen,“ sagte er bei dieser Gelegenheit, „daß Dein neuer Freund mir mancherlei Besorgnisse einflößt, obwohl auch ich seiner ehrenhaften Gesinnung und der Festigkeit seines Charakters die vollste Anerkennung zollen muß. Dagegen glaube ich, an ihm eine geistige Beschränktheit und Einseitigkeit zu bemerken.“

„Ich glaube doch,“ entgegnete der Sohn, „daß es ihm nicht an Talent fehlt.“

„Das meine ich auch nicht damit, obgleich ich eine außerordentliche Begabung nicht an ihm herausfinden kann. Die Reden, welche er vorzubringen weiß, dürfen Dich nicht verblenden, da sie nicht ursprünglich in ihm entstanden sind, sondern mehr in der Luft zu liegen scheinen. Dafür besitzt Dein Freund, wenn ich nicht irre, eine Willenskraft, welche, mit Einsicht, Klarheit und Genie gepaart, das Größte leisten würde. Leider aber fehlen ihm diese Gaben, und es tritt daher ein Mißverhältniß zwischen seiner Energie und seinen übrigen Seelenkräften ein. Auch spreche ich ihn nicht ganz von einem gewissen Ehrgeize und geistigen Hochmuthe frei, der gerade solchen beschränkteren Naturen inne wohnt; wenn ich ihm auch dies Streben nach Auszeichnung nicht als Fehler anrechnen will.“

Hagen bemühte sich, dieses scharfe Urtheil des Vaters zu widerlegen und den Freund zu vertheidigen, obgleich er in seinem Herzen ihm nicht ganz Unrecht zu geben vermochte. Indeß schwächte diese Erkenntniß in keiner Weise die Zuneigung und bald verschwand auch der letzte Rest seiner Bedenken vor dem persönlichen Eindrucke, der seine alte Kraft behauptete. Weit mehr bekümmerte ihn, daß er an dem Freunde eine Zunahme seines früher angedeuteten Trübsinnes zu bemerken glaubte; die ihm eigene melancholische Stimmung trat weit schärfer noch hervor und verleugnete sich selbst in der Gesellschaft Emma’s nicht, in der sich Sand weit mehr zu gefallen schien, als sonst seine Weiberscheu zuließ. Friedrich hielt es für seine Pflicht, eines Tages den Freund um die Ursache seiner Mißstimmung zu befragen.

„Dich scheint,“ sagte er, Sand’s Hand erfassend, „ein geheimer Kummer zu bedrücken. Ich glaube, als Freund auch ein Recht auf Deine Sorgen zu haben.“

„Ich habe,“ antwortete Sand, „durchaus keinen Grund, über mein Schicksal zu klagen. Du weißt, daß meine guten Eltern zwar nicht reich sind, aber sich in guten Verhältnissen befinden, so daß keine materielle Roth mich anficht. Auch lieben sie mich mit einer Innigkeit und Zärtlichkeit, die ich kaum verdiene. Eben so bin ich vollkommen mit meinem einmal erwählten Berufe zufrieden. Ich genieße die Achtung meiner Lehrer und die Liebe meiner Commilitonen in Jena, die mich sogar für das nächste Jahr zum Sprecher und in den Vorstand gewählt haben. Mitten in meinem Glücke aber überschleicht mich ein Gefühl, das ich Dir nicht mit Worten beschreiben kann. Es ist mir zu Muthe, als wäre ich ganz unnütz auf der Welt und müßte eine große That vollführen, um mein Dasein gleichsam zu entschuldigen.“

„Sollte das nicht Hochmuth sein?“ fragte der Freund, durch die Unterhaltung mit seinem Vater aufmerksam gemacht.

„Du thust mir Unrecht, da Niemand seinen Unwerth lebhafter fühlen kann, als ich, zumal seitdem ich in Jena lebe und innerhalb der Burschenschaft solche Männer, wie den herrlichen Follen, den edlen, tief poetischen Binzer[WS 1] und noch viele Andere kennen gelernt habe, denen ich nicht Werth bin, die Schuhriemen aufzulösen. Sie übertreffen mich an Geist und Talent hundertfach, und in ihrer Nähe komme ich mir nur wie ein unwürdiger Knecht vor, dem nur das einzige Verdienst bleibt, daß er aus Opferfähigkeit Keinem und selbst nicht dem Bedeutendsten und Größten unter diesen Männern weicht.“

Bei diesen Worten, welche aus der Tiefe seiner Seele kamen, leuchteten Sand’s Augen in wunderbarem Glanz.

Ein leises Geräusch ließ sich jetzt vernehmen und Emma trat in das Zimmer, um die Freunde zu mahnen, daß es Zeit sei, den Turnvater Jahn zu besuchen, dessen nähere Bekanntschaft zu machen Sand sich längst gewünscht hatte. In Gesellschaft Juliens, die sich ebenfalls eingefunden hatte, traten die Geschwister mit ihrem Gaste ihre Wanderung nach der vor dem Hallischen Thore gelegenen Hasenhaide an, wo sie sicher waren, den alten Freund der Familie mitten unter seinen Zöglingen zu finden. Schon auf dem Wege dahin sahen sie eine Menge von Knaben und Jünglingen in leichten Turnerjacken von ungebleichter Leinwand, welche wie sie nach der Hasenhaide strömten. Dort zwischen Kiefern und Fichten auf einem freien Platze hatte Jahn seine bekannte Turnanstalt errichtet, um die Jugend der Residenz durch körperliche Uebungen aller Art zu einem mannhaften Geschlechte heranzubilden. Aber auch geistig suchte der wackere Lehrer ihre vaterländische Gesinnung zu verbreiten und vor Allem das Selbstgefühl der Nation zu erwecken. Seine Abneigung gegen alles Fremdländische und besonders gegen das Franzosenthum äußerte sich selbst in seiner Sprechweise, die im Streben nach Reinheit und Ausmerzung aller undeutschen Elemente sich in allerlei seltsamen Wortbildungen gefiel. Die Freunde begrüßten ihn und Sand unterließ nicht, sich ihm als einen Gesinnungsgenossen und eifrigen Turner vorzustellen, wodurch er sogleich sein Herz gewann, Jahn mit seinem langen Barte, den großen blauen Augen, den markirten Gesichtszügen war eine durchaus originelle und auffallende Erscheinung. Sein ganzes Wesen war ein wunderliches Gemisch von Derbheit und Schalkhaftigkeit, von Kindlichkeit und Enthusiasmus. Neben den tollsten Einfällen und Behauptungen entfielen seinem Munde in der Unterhaltung oft wahre Goldkörner von Gedanken voll Tiefe und Begeisterung. Bald war er jetzt mit dem ihm in manchen Beziehungen verwandten Sand im eifrigen Gespräche über seine Lieblingsideen, das Turnen und die deutsche Einheit.

„Ich würde mich,“ sagte er in seinem Eifer, „mit tausend Freuden selbst rädern lassen, wenn ich dadurch Deutschland einig machen könnte. Das ist aber nur möglich, wenn erst die ganze „Volkskleinerei“ beseitigt wird. Auch müssen Deutschlands Grenzen wahre Scheiden sein, sonst ist es der ewige Wahlplatz, das ewige Blutfeld aller Weltkriege, das Rüst- und Zeug-, Werbe- und Drillhaus der Welteroberer, ihr Speicher und ihre Kriegsesse, Welthammer und Weltambos für jeden Riesengriff einer Geißel Gottes. Zumal zwischen uns und Frankreich muß als Grenzscheide eine „Hamme“ liegen.“[4]

„Was heißt das?“ fragte Sand, dem das Wort unbekannt war.

„Unter „Hamme“ verstehe ich eine Wildniß. In Altdeutschland ist ein Stamm und Ort um so berühmter gewesen, je größer und undurchdringlicher der Wald sein Gebiet ummarkt hat und die freien Dithmarsen haben ihre Unabhängigkeit gegen die Dänen mit einer kurzen „Hamme“ lange Zeit bewahrt. Peter der Große hat für Rußland ebenfalls eine solche „Hamme“ anlegen wollen, ist aber darüber gestorben. Wenn man durch Kunstfleiß der Natur nachhelfen und die Erde verschönern kann, so läßt sich auch eben so gut eine undurchdringliche Menschenwüste künstlich hervorrufen. Warum nicht zum Wohle des Vaterlandes Marschen vermorasten, Auen einsumpfen, Höhen „verfurten“, Niederungen verbuchen und gewässerte Thäler durch Wall und Mauern zu Seen stauen? – Statt aller Thiergärten im Kleinen wird dann ein großer Erdstrich eine Versammlung des gesammten Thierreichs abgeben. Erst muß man grasfressende Thiere hineintreiben und verwildern lassen; dann Roth- und Schwarzwild, Elennthiere und Auerochsen, zuletzt Raubthiere aller Art. Natürlich dürfen im Bezirk der „Hamme“ keine Gebäude, nur Trümmer bleiben. Wenn die Wildniß wenigstens einen Grad breit ist und gegen das Vaterland hin noch mit einer Doppelreihe von Verwallungen und Dornhecken eingezäunt [107] wird, dann stehe ich dafür, daß kein leichtfüßiger Franzmann mehr die deutsche Grenze überschreiten wird.“

Mit solchen fast komischen Vorschlägen wechselten wieder die klarsten Gedanken und herrlichsten Lehren. Besonders zeigten seine Ansichten über das „Turnen“ von einem reiflichen Nachdenken und seinem gesunden Sinn, womit er diese von ihm hauptsächlich angeregten Leibesübungen betrachtete; obgleich er auch hier das Wahre mit dem Falschen, das Lächerliche mit dem Heiligen und Ernsten in seiner wunderlichen Weise vermischte. Trotzdem war seine durchaus wahre, treue und kernhafte Natur ganz geeignet, ihm die Herzen seiner Hörer zu gewinnen, und selbst die Frauen mochten den ehrlichen Turnvater, ungeachtet seiner derben Scherze, leiden und liebten ihn von ganzem Herzen.

Nachdem sich Jahn mit den Freunden eine kurze Zeit unterhalten, gab er das Zeichen zum Beginn des Turnens, welches eine Menge von Zuschauern nach der Hasenhaide gelockt hatte. Es war in Berlin Mode geworden, den Kampfspielen der rüstigen Jugend vor dem Halleschen Thore beizuwohnen, und besonders schwärmte die Damenwelt der Residenz für diese körperlichen Uebungen. Ueberall herrschte ein heiteres Leben und Treiben; es war ein herrliches und zugleich fröhliches Schauspiel, diese Menge jugendlicher Turner in ihren kleidsam knappen Trachten zu sehen, wie sie im Spiele ihre Kräfte übten, ihre Muskeln stählten und sich zum Kampfe, wenn ein Feind von Neuem dem Vaterlande drohte, vorbereiteten. Das Bewußtsein dessen, was die Turner in den Befreiungskriegen bereits geleistet, und der Gedanke, daß unter dem Spiele ein tieferer Ernst schlummerte, gab ihnen aber ein stolzes Gefühl, das sich zuweilen bis zu einem gewissen rücksichtslosen Trotze steigerte. Auch war nach und nach ein politisches Streben, ein erhöhtes Freiheitsgefühl und die lebendigste Theilnahme an den Tagesfragen unwillkürlich in den Turnern erwacht, welches sich in mannichfacher Weise äußerte und den furchtsamen oder zum Rückschritt geneigten Staatsmännern bereits bedenklich erschien.

Vorläufig aber blühte noch die edle Turnkunst in Berlin und Jahn selbst stand bei dem Staatskanzler Hardenberg in hohem Ansehen, obgleich er durch manche unvorsichtige Aeußerung sich schon viele und einflußreiche Feinde gemacht hatte. Sein kindliches Vertrauen verführte ihn oft dazu, selbst vor unreifen Gymnasiasten sich gehen zu lassen, oder gar Unwürdigen seine geheimsten Gedanken preiszugeben und dadurch sich selbst, so wie seiner guten Sache wesentlich zu schaden. – In diesem Augenblicke aber war Jahn noch an der Spitze seiner Turner, von denen er wie ein Vater verehrt wurde. In seiner Jugendlichkeit, die er sich bis in das späteste Alter bewahrte, stand er der Jugend um so näher, die er zu allen Spielen und Uebungen anführte. Er selbst wetteiferte mit ihnen im Springen, Laufen und Ringen; es war eine Freude, den wackeren Mann mitten in dem Kreise der blühenden Gestalten zu sehen, die er durch Wort und Beispiel anfeuerte. Bald munterte er die Ungeschickteren auf und zeigte ihnen, wie sie es besser machen sollten; bald zügelte er die Uebermüthigen und hielt die Ordnung aufrecht, ohne die wahre Fröhlichkeit zu verscheuchen. Brach ein Streit aus, so wurde er zum Schiedsrichter aufgerufen und seinem Ausspruche fügte sich Jeder willig. War auch die Hasenhaide kein olympisches Gefilde und die Berliner Jugend keine griechische, so erinnerte doch unwillkürlich das ganze Schauspiel an jene schöne Vergangenheit, wo im muthigen Ringen nur in Kampfspielen um den höchsten Preis gestritten wurde.

Auch Sand wurde von dem Anblicke tief ergriffen und er konnte es sich nicht versagen, in das fröhliche Gewühl zu stürzen und selbst daran Theil zu nehmen. Er war ein muthiger und gewandter Turner; jetzt zeigte er seine Geschicklichkeit in gewagten Sprüngen und Sätzen. Mit der großen Stange in der Hand schwang er sich im behenden Lauf über Gräben und Hecken; dann ergriff er das Seil und kletterte bis zur höchsten Spitze des Mastbaumes, der in der Mitte des Platzes stand; auch am Barren und Reck zeigte er seine Gewandtheit und Körperkraft, worin er es Allen und selbst den Vorturnern zuvorthat.

„Das nenn’ ich,“ rief Jahn, „einen echten deutschen Turner, frisch, fromm, frei und fröhlich, wie unser schöner Denkspruch lautet.“

In der That erregte auch Sand durch seinen Muth und seine Geschicklichkeit die Bewunderung aller Zuschauer, welche mehr als einmal ihn, ihren lauten Beifall zujauchzten. Besonders aber gefiel sein männliches und bescheidenes Wesen den Frauen; sie rühmten seine Gestalt, die sich bei solchen Leibesübungen auch am vortheilhaftesten darstellte. – Nur Emma konnte sich eines leisen Aufschrei’s nicht erwehren, als er allzukühn von der schwindelnden Höhe herab die Freunde mit geschwungener Mütze grüßte. Unwillkürlich mußte sie die Augen schließen, weil sie fürchtete, daß er herabstürzen konnte; ihre Phantasie sah ihn bereits mit zerschmetterten Gliedern zu ihren Füßen liegen. Das laute Schlagen ihres Herzens, die Bangigkeit ihres ganzen Wesens verrieth ihr selbst zum ersten Male, daß sie für Sand lebhafter fühlte, als sie sich eingestehen wollte. Julien war ihre Bewegung und der leise Schrei nicht entgangen; weshalb diese auch die Freundin neckte, welche lieblich bis zu dem weißen Hals erröthete. Auch Jahn, dessen Pathenkind sie war, und der sie von Jugend auf kannte, scherzte in seiner derben Weise über die Besorgnisse des Mädchens.

„Töchterchen,“ sagte er lächelnd, „Du brauchst um den schmucken Turner keine Angst zu haben; er wird den Hals nicht brechen. Wenn er fällt, so fällt er höchstens noch einmal in Deine Arme und ich wette darauf, daß Du ihn recht festhalten und nicht mehr loslassen wirst.“

Mit schallendem Gelächter weidete er sich an ihrer Verlegenheit, während Emma abwechselnd bald roth wie eine zart angehauchte Frühlingsrose, bald wieder bleich wie die weiße Lilie wurde, der sie in jeder Hinsicht glich. Nur ein Mensch hatte keine Ahnung von dieser aufblühenden Liebe in dem Herzen der Jungfrau, und dies war Sand selbst. Ein einziger Gedanke erfüllte seine Seele so vollständig und ausschließlich, daß kein zweiter darin Raum finden konnte. Das Wesen der Liebe sollte ihm für immer fremd bleiben. Es war dies eine eigenthümliche Erscheinung seiner Natur, die ihm diese zarte Empfindung für das weibliche Geschlecht versagt zu haben schien; nie hatte Sand ein Mädchen geliebt, so sehr er auch für Freundschaft empfänglich war. In dieser wie in mancher andern Beziehung zeigte sein Charakter einen antiken Anstrich, und erinnerte an die Heldengestalten des Alterthums, denen auch der Sinn für die Liebe abzugehen scheint, je stärker das Gefühl für Freundschaft in ihrem Busen lebt.

In Emma sah Sand nur einzig und allein die Schwester des Freundes, der er sich deshalb mehr näherte, als irgend einem anderen Weibe. Auch fühlte er sich zu ihr hingezogen, da sie mit ihm in seiner Begeisterung für das Vaterland und in seiner Liebe zur Freiheit übereinstimmte. Wie so häufig die Schwestern von Studenten, nahm auch sie den lebendigsten Antheil an dem akademischen Treiben und den jugendlichen Schwärmereien der Burschenwelt. Sie war die Vertraute ihres Bruders; er hatte sie in alle seine Geheimnisse eingeweiht, so daß Sand oft über ihre genaue Kenntniß aller dieser Verhältnisse erstaunte, und deshalb seine gewehrte Zurückhaltung vergaß. Trotz ihrer zarten Weiblichkeit, welche sie in keinem Augenblicke verleugnete, gab es Stunden, wo Sand in ihr nur einen liebenswürdigen Studenten, einen jüngeren Bruder zu erblicken glaubte und demgemäß mit ihr verkehrte.

Diese keimende Neigung erhielt fortwährende Nahrung durch die Lobsprüche, welche ihr Bruder und der von ihr verehrte Jahn ihrem jungen Freunde ertheilten. Sand war bald Jahn’s erklärter Liebling geworden, und der wackere Mann zeichnete ihn bei jeder Gelegenheit aus. Bei der nahen Beziehung, in welcher der Turnvater zu der Familie Hagen und besonders zu Emma stand, mochte ihm vielleicht der Eindruck nicht entgangen sein, den Sand auf das Herz des lieblichen Mädchens hervorgebracht. Die Begeisterung, mit der sie von ihm sprach, ihr Erröthen, wenn Jahn seine scherzhaften Anspielungen und Neckereien vorbrachte, bestärkten ihn nur noch in seiner vorgefaßten Meinung; obgleich Emma mit jungfräulicher Scheu sorgsam ihr Geheimniß vor aller Welt verbarg. Das jugendliche Paar, für das er die lebhafteste Neigung empfand, schien ihm für einander geschaffen, und er beschloß im Stillen, diese Liebe in seinen Schutz zu nehmen.

Zu diesem Behufe hatte er sich schon längst vorgenommen, mit Sand, zu dem er nach und nach in ein vertrautes und inniges Verhältniß getreten war, einmal Rücksprache zunehmen. Bei einem Spaziergange mit dem Freunde wußte er geschickt das Gespräch auf die Liebe und die Frauen im Allgemeinen zu lenken.

„Ein treues Weib,“ äußerte er im Laufe der Unterhaltung, „und eigener Heerd sind Goldes werth; das weiß ich aus eigner Erfahrung. Nur die tüchtige Hausfrau wird eine wackere Gattin werden, des Mannes vertrauteste Freundin, und die immer neugeliebte Geheimnißbewahrerin seiner Leiden und Freuden. Die Brave wird des Hauses Allseele sein, jedes Geschäftes Triebfeder. Sie [108] wird nicht viel Redens von sich machen; ihr wird nicht Weihrauchsopfer der Bewunderung den schlichten, deutschen Frauensinn benebeln; sie wird sich nicht zur Gesellschaftsvorsitzerin hinaufdrängen; nicht als oberste Balltummlerin schwärmen; Anbetungsgeschmeiß kann nicht den Boden vor ihren Knieen besudeln; aber ihr Lohn wird unaussprechlich groß sein, nirgends glücklicher als bei ihr wird sich ihr treuer Gemahl fühlen. Solche Gattinnen werden das höchste irdische Glück genießen – Menschenmütter zu sein. Ihnen wird sich die Liebe erneuen, verjüngen, vermehren; sie werden leben, weil sie lieben. In ihren Armen wird der Mann alles Leid vergessen, an ihrem Busen selbst dem Tode zulächeln: denn sie werden dem Manne den Wonnebecher des Lebes reichen, Liebe wird er trinken, und Thatlust in der Liebe und in der Thatlust Unsterblichkeit.“[5]

„Wohl weiß ich,“ entgegnete Sand, „durch meine würdige Mutter, deren Bild mir vor Augen schwebt, welch ein Schatz in dem Frauenherzen verborgen ruht, aber ich darf jetzt nicht an ein solches Glück denken, so lange meine Aufgabe noch nicht gelöst ist. Meine Liebe gehört dem Vaterlande, alle meine Gedanken ihm allein, so daß keine andere Neigung daneben aufkommen kann. Ich fühle, daß ich ihm mein ganzes Leben und Sein schuldig bin; wie kann ich da, ohne eine doppelte Untreue zu begehen, einem Weibe angehören? Eine Frau oder Geliebte würde mich nur hindern, wenn ich früher oder später eine That vollbringen wollte zu Ehren und zu Nutzen des deutschen Volkes. Würden mich nicht die Rücksichten auf sie und meine Familie schwach machen, wo ich meiner ganzen Stärke bedarf? Müßte ich nicht an sie denken, wenn ich mein Leben zum Opfer für die gute Sache bringen wollte?“

„Ein treues Weib wird dem Manne selbst das Schwert in die Hand drücken, wo es gilt, das Vaterland zu vertheidigen.“

„Aber nicht den Dolch, der den Verräther durchbohren soll,“ rief Sand mit schwärmerischem Eifer. „Zeigt mir erst das Weib, das den Mann nicht zurückhalten wird, wenn er das heilige Rächeramt an den Feinden unserer guten Sache übernimmt, die nicht zurückschrecken wird vor dem Anblick des Blutgerüstes, vor dem schimpflichen Tod des Gatten, wenn er zum Verbrecher in den Augen der irdischen Gerechtigkeit“ geworden ist, weil er einem höheren und sittlicheren Gesetze folgen mußte; zeigt mir ein solches Heldenweib in unserer entnervten Zeit, und ich will vor ihr niederknieen und mich von ihr durch einen keuschen Kuß weihen lassen zu der großen That, die ich früher oder später thun muß, wenn der große Augenblick mich fordert.“

Es lag in diesen Worten eine dämonische Kraft, unter deren Einfluß Jahn das angefangene Gespräch wieder fallen ließ. Sein gesunder Geist mochte wohl zu der Erkenntniß gekommen sein, daß eine solch gährende Natur noch nicht geschaffen sei, ein Mädchen glücklich zu machen, bevor sie sich nicht abgeklärt. Die dunkle Rede wurde indeß von ihm weit weniger beachtet, als sie es verdiente, weil in jener Zeit derartige unbestimmte Drohungen trotz ihrer oft düstern und gefährlichen Färbung zu häufig von allen Seiten sich kund gaben, um gerade in dem Munde eines schwärmerischen Jünglings aufzufallen. Jahn selbst hatte mehr als einmal ähnliche Aeußerungen fallen lassen, die ihm freilich später zum Verbrechen angerechnet wurden. Was der ältere und besonnenere Mann gethan, konnte im Munde des jüngeren und aufgeregten Sand um so weniger befremden.

Unterdeß kämpfte in Emma’s Seele fortwährend die Hoffnung mit der Furcht; bald glaubte sie sich von Sand geliebt, wenn er so offen freundlich wie ein Bruder mit ihr sprach, bald aber fühlte sie mit weiblichem Instinct, daß eine unübersteigliche Schranke zwischen ihm und ihr gezogen sei. Zuweilen fürchtete sie, daß sein Herz nicht mehr frei und von einer Nebenbuhlerin bereits eingenommen wäre, aber Sand’s eigene Worte und sein ganzes Wesen beruhigten sie immer von Neuem, indem er jede derartige Anspielung, welche meist von dem Bruder oder Julien ausging, mit Entrüstung zurückwies. Dann überließ sie sich einer stillen Freude; ihre Wangen rötheten sich; ihre Augen glänzten und das reizbare Herz schlug ruhiger. Sie träumte von einer schönen Zukunft, von glücklichen Tagen. – Armes Kind!

V.
Herzog Tus der Achte.

Auf dem Marktplatz in Jena herrschte heute eine ungewöhnliche Bewegung; Gruppen von Studenten in den Farben der Burschenschaft standen oder gingen in lebhafter Aufregung, in ihren Zügen gab sich ein hoher Grad von Entrüstung kund, und ihr Zorn machte sich in lauten Drohungen Luft. Dieser allgemeine Unwille galt dem Theaterdichter Kotzebue, welcher ohnehin durch seine zwar wirksamen, aber meist frivolen Komödien, noch mehr aber durch seinen zweideutigen Charakter sich den Haß der akademischen Jugend zugezogen hatte. Die gegenwärtige feindliche Stimmung gegen ihn galt jedoch weit mehr dem politischen Schriftsteller. – Kotzebue war russischer Staatsrath und ein erklärter Russenfreund; nur zu oft hatte er seine Vorliebe für eine fremde Nation auf Kosten des deutschen Volkes öffentlich bewiesen, und sich über die Begeisterung der Jugend und ihre Vaterlandsliebe in einer Weise lustig gemacht, die ihren Haß hervorrufen mußte. Seine große Eitelkeit war auf das Empfindlichste verletzt worden durch das Strafgericht, von dem eines seiner Bücher bei Gelegenheit des Wartburgfestes ebenfalls betroffen wurde. Seitdem steigerte sich seine Abneigung gegen die deutschen Universitäten und besonders gegen die Burschenschaft, von der jene Beleidigung nach seiner Meinung ausgegangen war, zum wüthenden Hasse. Er ließ es von nun an nicht an beißenden und meist ungerechten Ausfällen gegen die Jugend fehlen, deren reizbares Herz er verwundete und gegen sich empörte. Weit schlimmer jedoch war der Ruf, in dem Kotzebue stand, daß er als geheimer Correspondent und Berichterstatter der russischen Regierung dieser Deutschland verrathe, jede Freiheit athmende Aeußerung dem Cabinete von St. Petersburg zutrage, die unschuldigsten Worte als hochverräterische Umtriebe mißdeute, und so auf indirectem Wege zu Verfolgungen und Unterdrückung des neu erwachten Geistes herausfordere. Dieser Ruf war jetzt zur Gewißheit geworden; durch einen Zufall gerieth eines dieser Bulletins in die Hände des Dr. Lindner, der in der Eile einen Auszug machte und durch die öffentlichen Blätter zur allgemeinen Kenntniß brachte.

Dieses Blatt, voll Angriffe gegen Deutschland und besonders gegen die Burschenschaft und ihre Bestrebungen, wurde heut auf dem Markt in Jena laut vorgelesen. Der Inhalt, worin Kotzebue auf die drohende Gefahr hindeutete und die russische Regierung aufforderte, dagegen einzuschreiten und die deutsche Geistesbildung mit der Knute zu unterdrücken, hatte nothwendiger Weise die größte Entrüstung hervorgerufen.

„Der Spion! Der Verräther!“ schallte es ergrimmt von allen Seiten.

„Man müßte ihm eine Tracht Prügel zukommen lassen,“ rief ein eifriger Burschenschafter, „und die Entgegnung auf diese Schmähschrift mit blauen Schriftzügen auf seinen Rücken schreiben.“

„Wäre es nicht besser,“ fragte ein Anderer, „in corpore ihm einen Besuch abzustatten und ihm eine ausgesuchte Katzenmusik zu bringen?“

Noch mancher ähnliche Vorschlag wurde von den Anwesenden vorgebracht, ohne jedoch zur Ausführung zu kommen, da Kotzebue nicht mehr wie bisher in dem nahen Weimar wohnte, sondern seinen Wohnsitz nach dem entfernten Mannheim verlegt hatte, wo ihn die Rache seiner Feinde nicht so leicht erreichen konnte. Man trennte sich daher, ohne einen bestimmten Entschluß gefaßt zu haben, und bald war die ganze Angelegenheit von der leicht bewegten und leicht besänftigten Jugend wieder vergessen.

Nur Einer unter den auf dem Markte anwesenden Studenten war mit diesem Ausgange nicht zufrieden, weil ihm das rasche Blut und der leichte Sinn der Menge fehlte. Sand, der in Hagen’s Begleitung erst seit Kurzem in Jena eingetroffen und die Vorlesung des berüchtigten Blattes mit angehört, war nicht so schnell wieder beruhigt. Seine ernste und tiefere Natur wurde den empfangenen Eindruck nicht so bald wieder los, der unbestimmte Thatendrang glaubte ein erreichbares Ziel gefunden zu haben. Durch die chaotische Nacht seiner unklaren Vorstellungen zuckte es wie helle Blitze. Sinnend war er neben dem Freund, der mit Erlaubniß des Vaters jetzt in Jena studirte, in Stillschweigen versenkt, einige Zeit gegangen, als er plötzlich aus seinen Träumen auffuhr und wie mit sich selber redete.

[117] „Es sollte doch Einer muthig über sich nehmen, dem Kotzebue oder sonst einem solchen Landesverräther das Schwert in’s Gekröse zu stoßen,“ fuhr Sand auf.

„Wo denkst Du hin?“ entgegnete Hagen erschrocken. „Du vertheidigst einen Mord.“

„Unter gewissen Verhältnissen läßt sich selbst der Mord rechtfertigen. Haben nicht Harmodius und Aristogeiton ihr mit Rosen umwundenes Schwert dem Tyrannen und Unterdrücker ihres Vaterlandes in die Brust gestoßen und wird nicht ihre That als eine unsterbliche in den Liedern der Sänger gepriesen?“

„Das war zu einer anderen Zeit und unter anderen Verhältnissen. Das Christenthum mit seiner milden Lehre verdammt den Mord und will nicht, daß der Sünder sterbe, sondern Buße thue.“

Sand antwortete nicht; er war wieder in Gedanken versunken. Vor seiner Seele stand ein Bild, das er sich mit immer lebhafteren Farben ausmalte. Vor einem gothischen Thorgewölbe kniete ein Jüngling, der seine eigenen Züge trug, mit einem Dolche in der Brust, mit einem andern ein Papier an das Thor heftend. Das Alles sah er deutlich vor seinen Augen stehen; er erkannte die Jesuiterkirche in Mannheim, die er einmal bei einem Besuche der Stadt flüchtig gesehen hatte.

Was wollte jetzt diese Erinnerung von ihm, die ihn nicht mehr verließ und ihn in seinen Träumen verfolgte? Eine unerklärliche Ahnung erfüllte seine Brust; sie gewann immer festere Gestalt, bis sie mit dämonischer Gewalt als eine ungeheuere That hervorbrach.

Hagen hatte die ihm peinliche Unterredung bald wieder vergessen, auch gab ihm das fernere Betragen des Freundes keine Veranlassung, darauf zurückzukommen. Dieser lebte zurückgezogen und anscheinend eifriger, als je, mit seinen Studien beschäftigt; seine Stimmung war heiterer, als gewöhnlich, obgleich er zuweilen sich den plötzlichen Ausbrüchen einer wunderlichen Laune überließ, die ihm von seinen Bekannten den Studentennamen „Spukmeier“ zuzog.

Trotz des ernsten Strebens, welches in der Burschenschaft vorherrschte, fehlte es doch der heiteren Jugend nicht an frischer Lebenslust und dem lustigen Studentengeist, der sich mit dem Ringen nach dem Höchsten wohl verträgt. So hatte die Verbindung zum Ergötzen ihrer Mitglieder ein eigenes „Bierreich“ in dem weitbekannten Dorfe Lichtenhain gegründet. Dort versammelte zu bestimmten Zeiten der erwählte Herzog, welcher den Namen „Tus“ führte, seinen ganzen Hofstaat in der sogenannten Hofburg, einer dortigen Bierwirthschaft. Einen solchen „Hoftag“ hatte der damals regierende Herzog Tus VIII. ausgeschrieben, und alle Unterthanen seines Reiches leisteten willig seinem Aufgebote Folge. Unter den Getreuen befanden sich auch Hagen und Sand, der sich von dem Freunde zu dieser Wanderung nach dem nahe gelegenen Dorfe bereden ließ. Bei ihrem Eintritte fanden sie bereits den Bierstaat in seinem vollsten Glanze. Auf einem alten Großvaterstuhle, der ihm zum Throne diente und zum Schmucke mit weiß und brauner Leinwand behängen war, saß der regierende Fürst, ein alter Bursche mit stattlichem Barte und vollen rothen Wangen, in einem mit Goldpapier besetzten Flauschrock. Statt des Scepters hielt er einen gewichtigen Ziegenhainer in der Hand, und die Stelle der Krone vertrat ein alter Hut mit einer langen Hahnenfeder. Um die halb zerbrochene Tafel, in welcher über tausend Namen eingeschnitten waren, hatten sich die apanagirten Prinzen und die Würdenträger niedergelassen. Da gab es einen Reichsverweser, einen Erzkanzler, Truchseß, Schatzmeister, Ritter und Mannen, darunter der Hofpoet und der Zeitungsschreiber bis herab zu dem Scharfrichter, welcher bezeichnend der „Bluthund von Galgenbach“ genannt wurde. Sämmtliche Chargen waren in der ihrem Charakter angemessenen Kleidung erschienen, der sie natürlich einen komischen Anstrich zu geben suchten. So trug der Hofpoet einen zerrissenen Rock und einen Lorbeerkranz in den langen Locken, in seiner Hand hielt er die siebensaitige Leyer von vergoldeter Pappe; der Scharfrichter zeigte sich in blutrothem Mantel, wozu eine alte Fenstergardine von dieser Farbe dienen mußte; ein schartiges Vorlegemesser galt als Richtschwert und sein grauenvoll gefärbtes und mit einem falschen Barte ausstaffirtes Gesicht gab ihm ein zugleich schreckliches und lächerliches Aussehen.

Auf einen Wink des Herrschers gab ein Herold mit einer verborgenen Trompete ein lautes Zeichen, und alsbald herrschte die tiefste Stille. Hierauf erhob sich der Herzog Tus VIII. und trank feierlich auf das Wohl seines durstigen Landes eine volle Kanne, „Stübchen“ genannt, kredenzt von der alten, runzligen Hofdame, der Mutter des Bierwirthes, der zum Burgvogt erhoben worden war.

„Es beginne das Kampfspiel!“ rief darauf der würdige Fürst mit gnädigem Lächeln.

„Die Schranken sind geöffnet!“ verkündigte der Herold laut und Allen vernehmlich.

Vor jedem Ritter stand eine „Lanze“, ein kleines ausgepichtes, mit Reifen umlegtes Trinkgefäß von Lindenholz in Form eines [118] niedrigen, abgestumpften Kegels. Jeder wählte sich nun einen Gegner und Beide kürten einen „Kampfrichter“ und einen „Kriegswärtel“, welche dafür sorgten, daß die Lanzen zuerst gefüllt und gleichgemacht wurden, was mit dem größten Ernste und der strengsten Unparteilichkeit geschah. Sobald die Waffen vollkommen gleich gefunden waren, ertönte der Commandoruf des Wärtels:

„Ergreifet die Waffen!“

Dies geschah, wobei die Kämpfer sich mit stolzen Blicken maßen.

„Legt Euch aus!“

Die edlen Ritter setzten die Trinkgefäße an den Mund; rings umher herrschte lautlose Stille und die höchste Spannung.

„Stoßt aus!“

In einem Nu war das Bier, auch „Stoff“ geheißen, in den Schlund hinabgestürzt und augenblicklich die Lanze auf den Tisch gestampft, daß dieser dumpf erdröhnte. Wer nur eine Secunde zu spät kam, war „in den Sand gestreckt“, wer einen Tropfen verschüttete, hatte „geblutet“ und wurde für besiegt erklärt und zuweilen noch dafür gestraft, indem er auf Befehl des Herzogs mehrere Kannen leeren mußte. War der Ausgang zweifelhaft oder fügte sich der Betreffende nicht dem Richterspruche, so wurde ein „Biergericht“ zusammengerufen, der Verbrecher angeklagt und von einem ihm beigegebenen Vertheidiger vertheidigt. Es entwickelte sich dann ein oft höchst wichtiger und ernsthafter Streit über die Auslegung und Anwendung des „Biercomments“, wie das ehrwürdige Gesetzbuch dieses Bierstaates hieß. Von beiden Seiten wurden dann die scharfsinnigsten Gründe, die witzigsten Bedenken vorgebracht und so lange hin- und hergestritten, bis der Angeklagte entweder freigesprochen oder „verdonnert“ wurde; worauf er sich mit so und so vielen Maß Bier „herauspauken“ mußte, um wieder „bierhonorig“ zu werden. Mit diesem Biertournier wechselten heitere und ernste Lieder, Rundgesänge und Vorträge des Hofpoeten, der ein allseitig fertiger Gelegenheitsdichter sein mußte.

Der muntere und jüngere Hagen fand an diesem lustigen Treiben viel Gefallen und hatte schon manchen harten Strauß mit der Bierkanne so ehrenhaft bestanden, daß Herzog Tus VIII. auf seine Verdienste aufmerksam geworden war.

„Tritt näher!“ rief er ihm mit gnädiger Miene zu.

Friedrich gehorchte und verneigte sich vor dem zum Throne erhobenen Großvaterstuhle.

„Kniee nieder!“ befahl der erhabene Fürst, „und empfange aus unseren eigenen durchlauchtigen Händen den Bierorden erster Classe mit Eichenlaub am gelben Bande.“

Mit diesen Worten hing ihm der Herzog den besagten Orden um, der in einer kupfernen, mit komischen Emblemen verzierten Medaille bestand. – Nach beendeter Ceremonie drängte Sand, der weit weniger Antheil an dem fröhlichen Schauspiele nahm, den Freund zum Fortgehen.

„Ich fürchte,“ sagte er auf dem Rückwege, „daß Du ein zu großes Wohlgefallen an derartigen Spielereien findest. Es geht Dir, wie vielen unserer Brüder, welche die Schale für den Kern nehmen.“

Hagen vertheidigte sich nicht, da er bereits die düstere Lebensanschauung seines Begleiters kannte und diese seiner melancholischen Gemüthsart zuschrieb. Auch befand er sich in Folge des reichlich genossenen Bieres in einem rauschähnlichen Zustande, der sich jedoch bei ihm in der liebenswürdigsten Weise äußerte. Er gedachte seiner Angehörigen in Berlin und besonders seiner Schwester mit rührender Zärtlichkeit. Nach und nach wurde auch Sand wieder weicher und mittheilsamer; er erzählte viel von seinen Eltern und Geschwistern, die er überaus zu lieben schien. Plötzlich aber brach er dies Gespräch, das ihn schmerzhaft berühren mußte, in schroffer Weise ab und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, als wollte er dem Freunde seine hervorbrechenden Thränen verbergen.

„Was fehlt Dir?“ fragte dieser teilnehmend.

„Nichts! Was geschehen muß, muß geschehen.“

Sie waren bereits bis in die Nähe der Stadt gekommen, als ihnen aus einer benachbarten Schenke einige Studenten begegneten. Bei dem hellen Mondscheine erkannten sie an den bunten Abzeichen, daß es einige angetrunkene Landsmannschafter waren. Auch sie wurden bemerkt und bei der bestehenden Feindschaft der Verbindungen sogleich verhöhnt und „angerannt“.

„Halt Kameel!“ rief ein großer, wüster Bursche Hagen zu, indem er ihn unsanft anstieß.

„Was soll das heißen?“ fragte dieser im gereizten Tone.

„Daß so ein lumpiger Burschenschafter einem anständigen Landsmannschafter, wo er ihm begegnet, ausweichen muß.“

„Das werde ich nicht thun. – Ich finde dies Benehmen „sonderbar“.“

„Sonderbar!“ entgegnete der Händelsucher. „Das ist „Tusch“ und Sie werden wissen, daß Sie mir Satisfaction schuldig sind.“

„Das weiß ich. Mein Name ist Hagen.“

„Und der meinige von Bärenfeld. Ich werde Ihnen, morgen meinen Secundanten schicken.“

Nach bestehender Studentensitte war ein Duell die natürliche Folge dieser nächtlichen Begegnung, da seltsamer Weise das unschuldige Wörtchen: sonderbar unter Burschen für eine der größten Beleidigungen gehalten wird. Pünktlich stellte sich auch am nächsten Morgen der Secundant seines Gegners ein, um Hagen in aller Form zum Zweikampfe auf die in Jena beliebten Stoßdegen zu fordern, welche unter dem Namen „Pariser“ eine dort bekannte Waffe sind. Sand hatte sich von freien Stücken dazu erboten, der Secundant seines Freundes zu sein. Nachdem die nöthigen Verabredungen getroffen, Zeit und Ort festgesetzt waren, erschienen die beiden Duellanten zur bestimmten Stunde in dem Wirthshause eines benachbarten Dorfes, wo dergleichen „Scandäle“ ausgefochten wurden, in Begleitung ihrer Zeugen und des dazu berufenen Paukarztes, der sich bereits eine bedeutende Praxis in seinem Fache erworben hatte. Hier wurden die beiden „Paukanten“ von ihren Freunden erst mit dem sogenannten „Paukwichs“ bekleidet, der in einem vollständigen Apparate zum Schutze der gefährlichsten, bloßliegenden Körpertheile bestand. Um den Leib mußten sie eine breite, dick gepolsterte Binde legen, welche zum Theil noch die Brust bedeckte. Der Hals wurde durch eine ähnliche Vorrichtung geschützt und die Arme aus Fürsorge an den Stellen, wo die Pulsadern an der Oberfläche liegen, mit seidenen Taschentüchern umwunden, über die noch undurchdringliche hirschlederne Handschuhe kamen, die fast bis zum Ellenbogengelenke reichten. Den Kopf bedeckte nur eine leichte Mütze ohne Schirm; das Gesicht und der obere Theil der Brust war somit den Stößen des Gegners freigegeben. So ausgerüstet, standen sich die „Paukanten“ mit den Waffen in der Hand gegenüber, sich mit feindlichen Blicken messend; ihnen zur Seite waren die Secundanten aufgestellt, um die falschen Hiebe mit ihren Rappieren aufzufangen und, wenn es nöthig sein sollte, sogleich einzuspringen und die Kämpfenden zu trennen. In einer Ecke des Saales machte sich der Arzt mit seinen Binden und Instrumenten zu thun, die er behaglich und, an derartige Scenen bereits gewöhnt, theilnahmlos untersuchte und auf dem Tische ausbreitete.

Es herrschte die tiefste Stille.

Da erschallte der Commandoruf des Unparteiischen und der Kampf begann. Im hellen Sonnenlichte funkelten die Waffen und kreuzten sich, wie zwei gleißende Schlangen, die aufeinander losschießen. Beide Gegner waren sich an Kraft und Gewandtheit gleich, nur hatte der Landsmannschafter den Vortheil für sich, daß er besser, als Hagen, mit der Stoßwaffe umzugehen wußte, da dieser bis jetzt meistentheils nur mit dem „Hieber“ gefochten hatte. Diesen Mangel ersetzte er jedoch hinlänglich durch seinen kalten Muth, während der Andere durch sein hitziges Vordringen sich manche Blöße gab. Stoß auf Stoß folgte mit blitzähnlicher Schnelligkeit und ein kleiner Blutfleck bezeichnete die getroffene Stelle. Die Umstehenden verfolgten das Schauspiel mit der größten Spannung, da hier zwei ebenbürtige Gegner einander gegenüberstanden und der Ausgang des Kampfes sich nicht so leicht absehen ließ. Mehrere „Gänge“ waren bereits abgemacht, ohne ein erhebliches Resultat herbeigeführt zu haben, als Hagen, dessen Kraft zu erlahmen anfing, seine ganze Stärke zu einem gewaltigen Stoße zusammennahm, um dem Streite ein Ende zu machen. Diesen Augenblick benutzte sein Gegner und fuhr mit der scharfen Spitze seiner Waffe zwischen Brust und Armgelenk mit solcher Gewalt, daß ein Blutstrom sogleich hervorsprang und der Getroffene ohnmächtig in die Arme seines Freundes sank. – Der herbeigerufene Arzt machte ein bedenkliches Gesicht und erklärte die Wunde für gefährlich. Vorsichtig wurde der Verwundete nach Jena zurückgebracht, wo sich bald ein heftiges Fieber entwickelte. – Sand ließ es nicht an der sorgfältigsten Pflege fehlen, Tag und Nacht brachte er an seinem Lager zu. Als die Gefahr auf das Höchste gestiegen war, hielt er es für seine Pflicht, die Eltern des unglücklichen Freundes von dem Vorfalle in Kenntniß zu setzen. Schon nach einigen Tagen traf die besorgte Mutter in [119] Begleitung Emma’s ein, um sich selbst von dem Zustande des Sohnes zu überzeugen und seine Pflege zu übernehmen.

Hier am Krankenbette des Bruders zeigte Emma all’ die herrlichen Eigenschaften ihrer reichen Seele. Wie ein Engel des Himmels erschien sie Sand in ihrer aufopfernden Hingebung, in ihrer liebevollen Selbstverleugnung. Ihre schwache Kraft schien sich zu verdoppeln; sie ertrug Alles mit einer sich stets gleich bleibenden Heiterkeit, mit einem rührenden Gottvertrauen. Wie lieblich war sie nicht, als sie ihm mit sanftem Erröthen für die Treue dankte, die er dem liebenden Bruder bisher erwiesen!

Nach und nach erholte sich Hagen unter dieser sorgfältigen Pflege so weit, daß ihn der Arzt außer Gefahr erklären konnte. Mit strahlenden Augen und holdem Lächeln theilte ihm Emma dieses Glück mit. Diese tagtäglichen Berührungen am Krankenbette, die innige Theilnahme für einen Beiden gleich theueren Gegenstand, die gemeinschaftliche Furcht und Hoffnung waren wohl geeignet, ein inniges Band zu knüpfen und die Brust des liebenswürdigen Mädchens von Neuem mit süßen Träumen zu erfüllen. Sie gab sich um so leichter einer solchen Täuschung hin, da auch Sand in manchen Augenblicken sein strenges Wesen schwinden ließ und, eine wehmüthige Weichheit zeigte, die mit seiner sonstigen Zurückhaltung wunderbar contrastirte und durch den überraschenden Gegensatz um so ergreifender war. Mit dieser Hingebung wechselte freilich oft genug jene düstere Stimmung; mitten im Gespräch verstummte er plötzlich, wie von einem tiefen Schmerz ergriffen; dann sprang er auf und eilte in das Freie, wo er oft bis nach Mitternacht auf einsamen Wegen seinen Plänen nachhing. Ein furchtbarer Entschluß hatte sich allmählich in seiner Seele gebildet und eine solche Gewalt erlangt, daß seine bessere Ueberzeugung vergebens dagegen ankämpfte. Nur in Emma’s milder und besänftigender Nähe verließen ihn jene finstern Mächte, die seinen Geist immer mehr verdunkelten; so lange er in ihr den Himmel wiederspiegelndes Auge blickte, ihre zu Herzen dringende Stimme hörte, wich der Dämon, dem er bereits verfallen war.

Es war auch jetzt nicht Liebe, was er für die Schwester seines Freundes empfand, aber ein nahe daran grenzendes Gefühl von Verehrung, die sich seiner schwärmerischen Natur gemäß zur Begeisterung steigerte. Zuweilen war es ihm, als müßte er ihr Alles sagen und das gefährliche Geheimniß anvertrauen, seine innersten Gedanken vor ihr erschließen, aber wenn er den Mund ihr gegenüber aufthun wollte, da überkam ihn jene wilde Hast, die ihn aus ihrer beruhigenden Nähe forttrieb.

Vielleicht fürchtete er, daß ihr Einfluß stark genug sein könnte, ihn von seinem Entschlusse abzubringen; vielleicht schwankte er noch und kämpfte mit sich selber, vor der ungeheueren That zurückschaudernd. – Gewaltsam riß er sich von der holden Erscheinung los. Eines Tages war Sand aus Jena verschwunden; er war gegangen, ohne von Emma und dem noch immer leidenden Freunde Abschied zu nehmen.


VI.
Der Mord.

An einem trüben Märztage kam ein Reisender nach Mannheim und kehrte daselbst in den Gasthof zum „Weinberg“ ein; sein ganzes Gepäck bestand in einem leichten Tornister, worin einige Leibwäsche und mehrere Bücher lagen, darunter das Neue Testament und Körner’s „Leyer und Schwert“. Weder in seinem Aeußeren, noch in seinem Benehmen zeigte sich irgend etwas Auffallendes. Er ließ sich einen Schoppen Wein geben, den er in aller Ruhe trank, wobei er sich mit dem Wirthe unterhielt. Nachdem er den vor ihm stehenden Schoppen ausgeleert, forderte er einen Lohnbedienten, der ihn nach der Wohnung des Herrn von Kotzebue führen sollte. Zuvor brachte er seine von der weiten Reise bestäubte Toilette noch in Ordnung; er ließ sich die Kleider abbürsten und band ein seidenes Tuch um den Hals, den er gewöhnlich offen trug.

Nachdem der Lohnbediente dem Fremden die verlangte Wohnung gezeigt, gab dieser ihm ein Trinkgeld, winkte ihm, sich zu entfernen, und klingelte an der Hausthür. An der Schwelle schien ihn ein leiser Schauder zu erfassen, seine von der rauhen Märzluft gerötheten Wangen verfärbten sich, unwillkürlich trat er einen Schritt zurück; bald hatte er dies unter seinen Verhältnissen natürliche Gefühl überwunden. Vorsichtig fühlte er nach seinem linken Rockärmel, als wollte sich von dem Vorhandensein eines darin verborgenen Gegenstandes überzeugen. Eine Magd öffnete die Thür und fragte nach seinem Namen und seinem Begehr. Er nannte sich Heinrichs aus Mitau und verlangte den Herrn Staatsrath Kotzebue zu sprechen. Dieser war nicht zu Hause und die Magd bestellte den Besuch zwischen fünf und sechs Uhr wieder.

Hierauf eilte der Fremde dem Lohnbedienten nach, von dem er sich nach der Jesuiterkirche führen ließ. Dieselbe war jedoch verschlossen; er betrachtete dieselbe von außen und blieb einige Augenblicke unter dem gewölbten Portale des schönen Gotteshauses wie in tiefer Betrachtung versunken stehen. Da auch das Naturaliencabinet, das er zu sehen begehrte, nicht geöffnet war, so ging er in Begleitung des Lohnbedienten nach dem herrlichen Schloßgarten, wo er einige Zeit unter den Bäumen auf- und abwandelte; dann ließ er sich den Rhein zeigen, auf dessen Wellen er träumerisch niederblickte. Um ein Uhr kehrte er von seinem Spaziergange in den Gasthof zurück, wo er table d’hôte speiste und sich mit zwei Geistlichen aus der Umgegend angelegentlich über Luther und die Reformation unterhielt. Alles, was er sagte, war besonnen und durchdacht; keine Spur von Zerstreuung und Mißstimmung ließ sich an ihm wahrnehmen.

„Haben Sie den Herrn von Kotzebue getroffen?“ fragte ihn bei Tische der Wirth.

„Nein!“ entgegnete der Fremde trocken.

Das Fremdenbuch wurde ihm nach dem Essen vorgelegt, er schrieb ohne Zögern den Namen Heinrichs ein und gab als seinen Wohnort Mitau an, wie er dies bereits bei seiner Ankunft gethan. Seine Zeche bezahlte er sogleich; gegen fünf Uhr entfernte er sich, ohne Abschied zu nehmen, und schlug den Weg nach der ihm jetzt bekannten Wohnung Kotzebue’s ein. In ruhig festem Schritte näherte er sich dem Hause, welches an der Ecke der Straße und in der Nähe des Platzes lag, wo das Mannheimer Theater steht. – Der bekannte Schauspieldichter lebte hier seit kurzer Zeit, nachdem er von Weimar fortgezogen war. Er genoß eine jährliche Pension von 15,000 Rubeln, welche ihm die russische Regierung für seine Berichte über deutsche Zustände und anderweitige Dienste zahlen ließ. Ein geborner Deutscher, war er nach Rußland gekommen und der Kaiserin Katharina empfohlen worden. Bald gelangte er daselbst zu Ansehen und Vermögen, demungeachtet forderte er seine Entlassung und kehrte nach Deutschland zurück. Wo er durch seine berüchtigte Schmähschrift „Doctor Bahrdt mit der eisernen Stirn“, die er noch dazu unter Knigge’s Namen erscheinen ließ, die Achtung verlor, welche er sich durch sein leichtes, gefälliges Talent nicht mit Unrecht erworben hatte. Da er zwei Söhne im Cadettenhause zu Petersburg gelassen hatte, so kehrte er nach Rußland zurück. Ohne bestimmten Grund wurde er hier an der Grenze verhaftet und auf Befehl des Kaisers Paul nach Sibirien gebracht. Ein glücklicher Zufall rettete ihn, indem dem Kaiser die russische Uebersetzung eines kleinen Drama’s, „Der Leibkutscher Peter des Großen“, in die Hände fiel, worin der Dichter den großen Herrscher verherrlichte. In Folge dieses günstigen Ereignisses wurde Kotzebue begnadigt, durch Schenkung eines Krongutes entschädigt und wieder in russischem Dienste als Collegienrath angestellt. Während der Regierung Alexanders zeichnete er sich durch seinen Haß gegen Napoleon aus, den er von der Bühne und in öffentlichen Blättern mit allen ihm zu Gebote stehenden Waffen bekämpfte.

Nach der Besiegung des Usurpators nach Deutschland geschickt, um die dortigen Zustände zu überwachen, trat er jetzt mit demselben Fanatismus als ein Gegner der auftauchenden liberalen Ideen und als offenkundiger Russenfreund auf, indem er mit seinem beißenden und oft frivolen Spotte das Verlangen der Völker nach ständischer Verfassung, Preßfreiheit und vor Allem den Gedanken an ein einiges Deutschland mit seiner satirischen Laune geißelte. Grund genug, daß er den Haß der Freisinnigen auf sich zog und besonders den Unwillen der feurigen Jugend erregte. Kotzebue war damals nicht der Einzige, der im russischen Sinne den Absolutismus vertheidigte und die sich immer mehr ausbreitende Reaction begünstigte. Zu allen Zeiten aber sucht der Fanatismus der Menge nach einem Opfer und ist nur zu geneigt, die Uebelstände, welche in der Zeit und in den Verhältnissen liegen, einer hervorragenden Persönlichkeit zuzuschreiben und auf diese ihren ganzen Haß zu übertragen. Zu dieser nicht beneidenswerthen Stellung war Kotzebue weniger durch seine Bedeutsamkeit und große Schädlichkeit, als vielmehr durch seine maßlose Eitelkeit und die Verachtung gelangt, die er sich durch seine fortwährenden literarischen Händel zugezogen hatte. Es bedurfte [120] daher nur der geringsten Veranlassung, um diesen Unwillen zum Ausbruch zu bringen und dem dumpfen Zorngefühle eine bestimmte Richtung zu geben. Auch daran fehlte es nicht, indem die Veröffentlichung seiner russenfreundlichen Berichte und seine Vertheidigung einer Schrift des russischen Staatsrathes Stourdza, worin dieser die deutschen Hochschulen auf das Schmählichste angriff, die allgemeine Gährung zur bedenklichsten Höhe steigerte, wovon das Autodafé auf der Wartburg bereits ein warnendes Vorzeichen war. – In einer ohnehin politisch aufgeregten Zeit, wo die Gemüther noch von Liebe zum Vaterlande und von Haß gegen seine Unterdrücker glühten, wo die gespannte Thatenlust noch nicht zur vollen Ruhe gekommen, die höchste Opferfreudigkeit noch nicht erloschen war, konnte leicht bei einem jener schwärmerischen Jünglinge dieser Haß zum wildesten Fanatismus werden und selbst vor einem Verbrechen nicht zurückschaudern, wo es sich um einen vermeintlichen oder wirklichen Verräther handelte.

Von ähnlichen Gedanken war der Fremde beseelt, der um fünf Uhr wieder vor Kotzebue’s Thür stand. Der Bediente, welcher ihm diesmal öffnete, führte ihn, ohne erst nochmals nach seinem Namen zu fragen, die Treppe hinauf und meldete ihn. Drei Damen, welche Frau von Kotzebue besuchen wollten, gingen an ihm vorüber; er grüßte sie höflich. Der Bediente lud ihn ein, in das Wohnzimmer der Familie zu treten. Kotzebue, ein hoher Fünfziger mit verschwommenen Zügen, die mehr auf einen schwachen, eiteln, als auf einen gefährlichen Charakter schließen ließen, trat ihm mit freundlichem Lächeln entgegen. Bei seinem Anblicke zuckte der Fremde zusammen, doch beherrschte er sich so weit, um ihn zu begrüßen und sich ihm als einen Reisenden vorzustellen, der die Bekanntschaft des berühmten Theaterdichters zu machen wünschte, worin durchaus nichts Auffälliges liegen konnte.

„Sie sind aus Mitau?“ fragte Kotzebue arglos.

„Ich rühme mich,“ entgegnete der Fremde, der ihm ganz nahe getreten war, „Ihrer gar nicht – Hier, Du Verräther des Vaterlandes!“

In demselben Augenblicke zog er den verborgenen Dolch rasch hervor und stürzte auf den Erschrockenen, der vor Entsetzen sprachlos stand. Ehe dieser noch um Hülfe schreien konnte, fiel er am Eingange des Zimmers von mehreren Stichen durchbohrt auf die Erde. Keine Reue schien den Mörder zu beschleichen, selbst da nicht, als er in das brechende Auge seines Opfers starrte.

Aus diesem dumpfen Brüten wurde der Fremde durch die Erscheinung eines Kindes geweckt, dessen Anwesenheit er bisher nicht bemerkt hatte.

„Du hast wohl mit Vater Krieg gespielt?“ fragte ihn der vierjährige Knabe Kotzebue’s, der den Ermordeten vergebens zu erwecken suchte. Als das Kind aber das Blut des Vaters aus der Wunde hervorströmen sah, stieß es einen lauten Schrei aus. Dieser Schrei klang dem Verbrecher wie die Stimme des Gerichts und mahnte ihn an seine furchtbare That; jetzt erst erfaßte ihn die Reue und er kehrte den noch blutigen Dolch gegen seine eigene Brust. Der Stoß ging jedoch nicht tief und hatte nur einen erschöpfenden Blutverlust zur Folge, so daß auch er zusammenbrach. Das laute Geräusch, welches sein Fall verursacht haben mochte, führte den Bedienten und Kotzebue’s Tochter Emmy herbei. Als Beide eintraten, fanden sie ihren Herrn und Vater als einen Sterbenden, sie hoben ihn vom Boden auf und führten ihn, da er noch so viel Kraft besaß, in das nächste Zimmer. Dort gab er noch einige unarticulirte Töne von sich, dann sank er einige Schritte von der Thür zusammen und starb in dem Schooße seiner Tochter, noch ehe ärztliche Hülfe herbeigerufen werden konnte.

Der Mörder war allein, da bei der allgemeinen Verwirrung Niemand an ihn gedacht hatte; er stürzte durch die geöffnete Thür an zwei Dienstmädchen vorüber, die, entsetzt vor seinem Aussehen und dem blutigen Dolche, den er noch immer in der Hand hielt, ihn nicht aufzuhalten wagten. Sie schrieen nach Hülfe; zugleich riefen die Damen aus dem geöffneten Fenster: „Haltet den Mörder fest!“

Schon sammelten sich Leute auf der Straße; der Fremde sah wohl ein, daß er nicht mehr entfliehen konnte; er zog aus seiner Brusttasche ein Papier, das er dem Bedienten, welcher nach der Wache eilte, mit den Worten überreichte: „Da nimm es!“

Das Papier trug die Aufschrift: „Todesstoß für August von Kotzebue“ und enthielt eine Rechtfertigung seiner That vom politischen Standpunkte aus. Die ursprüngliche Absicht des Thäters war es, diese Schrift wie ein Urtheil der geheimen Vehme an Kotzebue’s Thür zu befestigen. Durch die Umstände war er jedoch daran gehindert worden.

„Haltet den Mörder!“ tönte es wieder aus dem geöffneten Fenster des Trauerhauses.

„Ich bin kein Mörder,“ entgegnete stolz der junge Mann den hülferufenden Damen. „Hoch lebe mein deutsches Vaterland!“

Dann ließ er sich vor der versammelten Menge, die bestürzt in dumpfer Betäubung ihn umstand, auf ein Knie nieder, während sein bleiches Gesicht von fanatischer Begeisterung erglühte.

„Ich danke Dir, Gott,“ murmelte er, „daß Du mir die Kraft verliehen.“

Ehe ihn Jemand hinderte, setzte er den Dolch auf die eigene linke Brust und stieß ihn langsam und mit fester Hand hinein, bis er festsaß. – Jetzt erst schien die Menge zu erwachen; man sprang hinzu. Ein Schuhmachergeselle zog ihm den Dolch aus der Brust, eine Frau wusch den Ohnmächtigen mit schnell herbeigeholtem Essig, worauf er die Augen wieder öffnete und Zeichen gab, daß er noch am Leben sei. Jetzt kam auch die indeß herbeigeholte Wache, welche den Schwerverwundeten auf eine Tragbahre hob und ihn in das Hospital brachte.

Niemand kannte ihn, aber man ahnte, daß der Mörder kein gewöhnlicher Mensch sei und seine That nicht mit dem gewöhnlichen Maßstäbe gemessen werden könnte.

Bis zum Abend blieb er bewußtlos; sein Gesicht war todtenblaß, sein Puls kaum fühlbar. Erst nach einigen Stunden erholte er sich so weit, daß ein Verhör mit ihm angestellt werden konnte, nachdem er zu seiner Stärkung einige Tropfen Wein genossen hatte. Auf die Frage, ob er Kotzebue ermordet habe, richtete er den Kopf in die Höhe und nickte einige Mal kräftig und rasch. Da ihn seine Wunde am Sprechen hinderte, verlangte er Papier und schrieb seinen Namen, den man ihm abforderte.

Er hieß: Karl Ludwig Sand aus Wunsiedel, Student.

Darunter setzte er die Worte: „August von Kotzebue ist der Verführer unserer Jugend, der Schänder unserer Volksgeschichte und der russische Spion unseres Vaterlandes.“

Bei dieser Aussage verharrte er auch im ferneren Verlaufe der mit ihm angestellten Untersuchung; er behauptete, keinen Mitwisser seiner That gehabt zu haben, und wies alle derartigen Fragen mit Entschiedenheit zurück. Seine Angaben wurden durch die peinlichsten und genauesten Nachforschungen der Gerichte bestätigt.

Sand hatte keine Mitschuldigen, seine That gehörte ihm allein; keiner seiner Freunde wußte darum.

Ehe er von Jena abreiste, hatte er in einem Schreiben an die Burschenschaft dieser seinen Austritt aus der Verbindung angezeigt; einen ähnlichen Brief richtete er an seine Freunde und an seine Eltern, worin er diese um Verzeihung bat und seine That als den Ausfluß seines eigenen Entschlusses entschuldigte. Diese Briefe wurden in seinem Schreibtische vorgefunden und lieferten den Beweis, daß sein Vorhaben, Kotzebue zu tödten, nach schweren inneren Kämpfen nur in seiner Brust entstanden war. Nichts sprach für die Wissenschaft und Theilnahme seiner Freunde oder der damaligen Burschenschaft, der er zufällig angehörte. Am wenigsten war die Annahme gerechtfertigt, daß Sand den Mord im Auftrage einer politischen Partei begangen, obgleich es nicht an ähnlichen Beschuldigungen fehlte.

Ungeheuer war das Aufsehen, welches seine That erregte. Durch ganz Deutschland flog die Kunde wie ein Blitz und erfüllte die Gemüther mit Furcht und Entsetzen. Die Freunde der Freiheit trauerten, ihre Gegner ergriffen die willkommene Gelegenheit, ihrem langverhaltenen Hasse Luft zu machen. Die Schuld eines Einzelnen sollte dazu dienen, die ganze Jugend Deutschlands zu unterdrücken, die Freiheit der Universitäten zu beschränken, dem Geiste Fesseln anzulegen. Die Reaction triumphirte und beutete den Mord Kotzebue’s in ihrem eigenen Interesse aus. Eine an sich verwerfliche Handlung, welche zu allen Zeiten geschehen konnte, wurde zu einem Verbrechen gestempelt, dessen Strafe nicht nur den eigentlichen Urheber, sondern unzählige Unschuldige treffen sollte. Nicht Sand allein, die ganze deutsche Studentenwelt wurde dafür verantwortlich gemacht. Der Bundestag in Frankfurt am Main bot seine Hand zu einem Inquisitionsverfahren, das von den traurigsten Folgen begleitet war; an verschiedenen Ort wurden Untersuchungscommissionen eingesetzt, besondere Gerichtshöfe bestellt, Maßregeln getroffen, welche die Axt an die Universitäten, diese Bildungsstätten [121] der Nation, legten und für Lehrer und Schüler gleich verderblich wurden. Schon im August desselben Jahres traten unter Metternich’s Vorsitz eine Anzahl deutscher Minister in Karlsbad zu einem Congresse zusammen, um die angeblich revolutionären Tendenzen der Jugend in ihrem Keime zu ersticken. Dort wurden jene bekannten Beschlüsse gefaßt, welche die Lehrfreiheit auf den Universitäten aufhoben, die Presse gänzlich knebelten und jede freie Aeußerung unnachsichtlich der Verfolgung preisgaben.

Ohne Untersuchung, Schuld und Urtheil wurde die deutsche Burschenschaft geächtet; die Mitglieder derselben für unfähig erklärt, ein Staatsamt zu bekleiden.

Es war am 26. November Abends acht Uhr, als sich die Jenaer Burschenschaft im Rosensaal zum letzten Male versammelte, da die sonst so nachsichtige weimar’sche Regierung, durch den Bundesbeschluß gezwungen, ihre Auflösung anbefohlen hatte. Es war ein ernster, feierlicher Augenblick!

Tiefe Trauer drückte sich in der ganzen Versammlung aus; die anwesenden Jünglinge waren von tiefem Schmerz bewegt, die große Idee, deren Verwirklichung sie anstrebten, so verkannt und verdächtigt zu sehen. Sie waren sich bewußt, keine Veranlassung zu einem solch harten Verfahren gegeben zu haben; sie hatten keine Schuld, kein strafwürdiges Verbrechen begangen, indem sie kein anderes Ziel im Auge hatten, als den Geist sittlicher Freiheit und Gleichheit, den Geist der Gerechtigkeit und Liebe zum Vaterlande nach ihren besten Kräften zu fordern. Kein Vorwurf konnte sie damals treffen, da sie offen und vor aller Welt ihre Grundsätze bekannten, fern von jeder Heimlichkeit und Verschwörung, zu der erst später Einzelne unter ihnen durch den Zwang und die Verfolgung gedrängt wurden.

Darum gelobten sie auch jetzt voll Begeisterung mit Hand und Mund, treu zu bleiben dem Geist der Burschenschaft, wenn auch die Form durch die Gewalt der Umstände vernichtet war. In diesem Sinne stimmten sie jenes herrliche Lied an, das der edle Binzer[WS 2] gedichtet hatte, um dem Ausdrucke des allgemeinen Gefühls Worte zu leihen. Es lautete:

Wir hatten gebauet
Ein stattliches Haus,
Und drin auf Gott vertrauet
Trotz Wetter, Sturm und Graus.
- - - - - - - - -
- - - - - - - - -
Das Band ist zerschnitten,
War schwarz, roth und gold,
Und Gott hat es gelitten,
Wer weiß, was er gewollt.
Das Haus mag zerfallen –
Was hat’s denn für Noth?
Der Geist lebt in uns allen,
Und unsre Burg ist Gott!

Das Schwanenlied der alten Burschenschaft war verklungen; die Anwesenden umarmten sich noch einmal und gaben sich den Bruderkuß. In manchem Auge glänzten helle Thränen. Der Sprecher erklärte die Versammlung für aufgelöst; still und tief bewegt fügten sich die Mitglieder in ihr Geschick, aber die meisten bewahrten in ihrem Herzen jene edlen Grundsätze und Gesinnungen wie ein Heiligthum für ihr ganzes Leben.

Unter diesen befand sich auch Hagen, den seine Wunde in Jena zurückgehalten hatte, trotz des Verbots, das die preußische Regierung bald nach der Ermordung Kotzebue’s an alle Angehörige erlassen hatte, die dortige Universität länger zu besuchen. Da Friedrich damals noch auf dem Krankenbette lag, konnte er dem Befehl nicht sogleich Folge leisten; er blieb noch einige Zeit, nachdem Mutter und Schwester ihn verlassen hatte, da die größte Gefahr vorüber war. – Die Nachricht von Sand’s That hatte er aus Emma’s eigenem Munde erfahren, als sie ihm die nöthige Kraft zutraute, die Schreckensbotschaft anzuhören. Sie selbst schien in unerklärlicher Weise ruhig und gefaßt, so daß sie den erschrockenen und auf das Schmerzlichste ergriffenen Bruder tröstete. Nur war sie noch bleicher, der Glanz ihrer Augen noch überirdischer geworden. Ihre zarte Gesundheit schien zu leiden und sie verfiel seitdem sichtlich, so daß die Mutter ihre Abreise nach Berlin beschleunigte, um mit dem befreundeten Hausarzt der Familie Rücksprache zu nehmen.

Erst nach Auflösung der Burschenschaft kehrte Hagen nach Berlin und in das elterliche Haus zurück; er zögerte noch so lange, weil er es sich nicht versagen konnte, dieser schmerzlichen Feier beizuwohnen. Ein trauriger Empfang erwartete ihn in der Heimath. Mit Thränen in den Augen begrüßte ihn Julie, die nur heimlich ihn sehen durfte, da ihr Vater ihr auf das Strengste anbefohlen hatte, jede Verbindung mit dem „Demagogen“, wie er Friedrich bezeichnete, für immer abzubrechen. Auch sein Vater, der zwar vorurtheilsfrei genug war, seinen Sohn nicht für das Verbrechen eines Freundes verantwortlich zu machen, trat ihm mit trübem Ernst entgegen.

„Ich habe mich,“ sagte er, „leider in dem Charakter Sand’s nicht geirrt. Eine ursprünglich edle Natur ist hier an der Unklarheit der Begriffe und an einer maßlosen Schwärmerei zu Grunde gegangen, indem sich der Unglückliche zu einem Verbrechen hinreißen ließ, das unter keiner Bedingung sich entschuldigen oder gar rechtfertigen läßt. Dieser Mord aber ist um so verwerflicher, da durch ein unglückliches Zusammentreffen der verschiedensten Verhältnisse die Folgen desselben für uns Alle unübersehbar sind. Volk und Regierungen werden in gleicher Weise darunter leiden. Der Geist des Mißtrauens wird das kaum geknüpfte Band gewaltsam zerreißen und Haß, Zwietracht und Feindschaft säen. Ich fürchte eine traurige Zeit der Verfolgung, die auch Dich nicht verschonen wird. Diese That hemmt auf lange Jahre die Entwicklung einer gesetzmäßigen Freiheit und stellt auf’s Neue Alles in Frage, was wir seither errungen haben.“

Leider fanden die Worte des Vaters bald in den nachfolgenden Ereignissen ihre Bestätigung. Es begann jene Zeit der Verfolgungen und Demagogenriecherei, die sich wie eine epidemische Krankheit über ganz Deutschland verbreitete, und in Preußen am stärksten wütheten. Die Gefängnisse reichten nicht mehr hin, alle die Angeklagten zu fassen. Unter ihnen befand sich auch der wackere Turnvater Jahn, der auf die Aussagen eines überspannten Gymnasiasten, welche dieser in seinem Tagebuche niedergeschrieben, plötzlich verhaftet und nach der Festung Colberg geschleppt wurde, wo er mehrere Jahre schmachtete, ehe er entlassen wurde, um seinen gezwungenen Aufenthalt in Freiburg an der Unstrut zu nehmen. – Auch Hagen wurde von einem ähnlichen Geschick bedroht, dem er nur dadurch entging, daß er mit seiner kranken Schwester auf den Rath ihrer Aerzte zuvor eine Reise nach dem Süden angetreten hatte. Emma’s Gesundheit war mit jedem Tage schlechter geworden; ein unheilbares Brustleiden schien sich zu entwickeln, für das sie unter dem milden Himmel Italiens jetzt Hülfe suchen sollte. Auf dem Wege dahin sprach sie mit dem Bruder voll Ergebung in ihr Geschick.

„Ich glaube,“ sagte sie mit einem traurigen Lächeln, „daß ich nicht wieder genesen werde, und betrachte mich wie eine Sterbende. Willst Du meinen letzten Wunsch erfüllen?“

„Rede nicht so, liebe Emma! Du betrübst mich durch Deine Hoffnungslosigkeit; aber gern werde ich thun, was in meinen Kräften steht.“

„So versprich mir, mit mir nach Mannheim zu gehen. Der Umweg ist nicht groß.“

„Wo denkst Du hin? Die Aerzte haben Dir streng jede Gemüthsbewegung verboten.“

„O, ich bin weit stärker, als Du glaubst. Ich muß den Unglücklichen noch einmal vor meinem und vor seinem Ende sehen. Ich fühle, daß ich einer heiligen Pflicht zu genügen, eine große Aufgabe damit zu erfüllen habe. Auch Du wirst von ihm Abschied nehmen und ihn noch einmal umarmen wollen.“

Emma bat so dringend und inständig, daß ihr der Bruder nicht zu widerstehen vermochte. Auch er sehnte sich, den armen Freund noch einmal zu sehen, von dem er wußte, daß er zum Tode verurtheilt war. Weit lieber hätte er ihn aus seinem Kerker befreit, selbst auf die Gefahr hin, sein hartes Loos zu theilen.


VII.
Die Sühne.

Sand saß in seinem Gefängnisse zu Mannheim; ruhig und gefaßt hatte er sein Todesurtheil mit angehört. Sein Aussehen hatte sich durch das Leiden, welches seine noch nicht geheilte Wunde verursachte, und durch die Kerkerluft bedeutend verändert. Seine Wangen waren eingefallen, der Glanz seiner Augen erloschen, seine ganze Gestalt gebrochen; aber sein Muth hielt ihn aufrecht. Eine milde, sanfte Stimmung war über ihn gekommen, vor der sein düsterer Fanatismus weichen mußte. Er hatte soeben den Abschiedsbrief [122] an seine Eltern beendet, die ihre Liebe für den Verirrten nur noch verdoppelten. Auf dem Tische stand ein frischer Blumenstrauß, den ihm der freundliche Gefangenwärter gebracht.

„Sie blühen und verwelken,“ sagte Sand mit melancholischem Lächeln. „Alles Schöne in der Natur muß so vergehen, wenn es zeitigen und zur Reife kommen will.“[6]

Er nahm eine weiße Monatsrose, die er sinnend betrachtete; in ihrer blassen Schönheit erinnerte sie ihn an das Bild einer eben erst entbundenen Mutter. Als er sie genauer ansah, bemerkte er einen weißen Streifen, der vom Bisse eines Wurmes herrührte. Mit einem leisen Seufzer legte er die kranke Rose aus der Hand.

Der Gefangenwärter trat jetzt ein, und meldete ihm den Besuch eines Herrn und einer Dame, die ihn zu sprechen wünschten. Seit Verkündigung des Urtheils hatte das Gericht ihm Erlaubniß ertheilt, Fremde in seinem Kerker zu empfangen. Ueberhaupt wurde ihm während seiner Haft die schonendste Behandlung zu Theil, so weit dies möglich war.

Bei Nennung des theuern Freundesnamens unterdrückte Sand einen leisen Ruf, um seine innere Bewegung nicht zu verrathen. Unwillkürlich griff er nach der kranken Brust, wo er in der Gegend des Herzens einen lebhaften Schmerz empfand.

Hagen führte seine bleiche Schwester am Arme, die bei Sand’s Anblick fast zusammen brach, aber bald sich wieder emporrichtete. Welch ein Wiedersehen!

Die Nähe des Gefangenwärters legte den Freunden einigen Zwang auf; erst als sich dieser auf einige Augenblicke zurückzog, überließen sie sich dem Ausdruck ihrer schmerzlichen Empfindungen. Emma reichte ihm die zarte Hand, die er lange Zeit in der seinigen hielt. Als sie dieselbe zurückzog, war sie feucht von seinen Thränen. Sand hatte sich zuerst gefaßt und behauptete eine seltene Ruhe, während Friedrich seine tiefe Trauer, die an Verzweiflung grenzte, nicht in eben dem Maße zu bemeistern wußte.

„Ihr habt mir,“ sagte der Unglückliche, „eine unerwartete Freude durch Eure Gegenwart bereitet. Wie oft habe ich an Euch gedacht! Ist es mir doch in diesem Augenblicke, wo ich Emma’s theure Züge sehe, als umschwebte mich das Bild der fernen Mutter, als brächte mir mein Schutzengel Trost und Segen vom Himmel selbst herunter.“

„O, wenn ich Dich retten könnte!“ rief Hagen voll Verzweiflung über seine Ohnmacht.

„Ich sterbe gern und freudig; in der Kraft Gottes will ich mich fassen. Unter allen Leiden des menschlichen Lebens halte ich es für das schwerste, zu leben, ohne dem Vaterlande und den höchsten Zwecken der Menschheit dienen zu können. Was ist das Dasein, wenn ich nicht in meiner Liebe wirken kann für die Idee, wenn ich nicht frei sein darf! – Ich nähre die Hoffnung, durch meinen Tod denjenigen zu genügen, die ich und die mich hassen, und wiederum die zu befriedigen, deren Gesinnungen ich theile und deren Liebe mit meiner Erdenseligkeit eins ist. Willkommen ist mir der Tod, da ich noch die nöthige Kraft in mir fühle, um mit Gottes Kraft so zu sterben, wie ich soll.“[7]

„Diese Resignation,“ entgegnete der Freund, „mag erhaben sein, aber ich begreife sie nicht. Hat das Leben keinen Reiz für Dich? Du darfst nicht sterben, nicht auf dem Blutgerüste enden.“

„Wie willst Du es hindern?“ fragte Sand, in dessen erloschenen Augen ein Hoffnungsschimmer blitzte.

„Du hast Freunde,“ flüsterte Hagen leiser, „die für Dich das Aeußerste wagen würden. Sage, daß Du nicht sterben willst, und es wird uns nicht an Mitteln fehlen, Dich zu retten. Die Grenze ist nahe, und wenn es Noth thut, tragen wir Dich auf unsern Schultern fort, wenn Deine Wunden Dich am Gehen hindern sollten.“

„Nein!“ entgegnete Sand mit Festigkeit. „Ich habe bereits Unheil genug über meine theuern Brüder gebracht. Rufe nicht die eitle Hoffnung wieder wach, rüttle nicht an meiner Fassung, die ich mühsam mir erworben habe. Ich muß und will sterben, wäre es auch nur, um das vergossene Blut zu sühnen.“

„Er hat Recht,“ entschied Emma mit sanfter, aber kräftiger Stimme. „Wie gern wollte ich den Tod für ihn erleiden, und doch sehe ich ein, daß er nicht anders kann und darf. Nicht die irdische Gerechtigkeit, sondern der Himmel muß versöhnt werden. Ja, Sand, ich begreife Sie und fühle wie Sie, daß Ihr Bleiben nicht auf dieser Erde ist. Gott wird Ihnen ein milder Richter sein und Sie in der schweren Stunde nicht verlassen.“

„Das ist die Stimme meiner Mutter!“ rief er tief bewegt.

„Segne mich, wie sie mich segnen würde in diesem Augenblick.“

Eine tiefe Stille herrschte in dem Kerker; Emma betete für den zum Tode Verurtheilten.

Als sie geendet, hauchte sie einen leisen Kuß auf seinen Mund, rein wie ein Engel Gottes, der eine verirrte Seele in die Heimath führt. Kein Wort wurde mehr gesprochen; so schieden sie.

Sand blieb allein in Gedanken versunken. Zum ersten Mal in seinem kurzen Leben hatte er ein Gefühl, das der Liebe glich.

„Zu spät!“ murmelte er mit bleichen Lippen. „Als ein Sterbender erfahre ich erst, daß das Weib die Krone der Schöpfung ist. Alles Heil ruht im Schooße der Familie; sie muß uns eben so heilig sein, wie das Vaterland. Ach! warum hab ich diese Wahrheit erst am Rande des Grabes kennen gelernt?“

Dieses schmerzliche Bedauern war jedoch mit einer wunderbaren Freudigkeit gemischt, als hätte der Segen Emma’s jedes Leid von ihm gebannt.

Seine Betrachtungen wurden durch den Eintritt eines Mannes unterbrochen, den Sand selbst dringend zu sprechen gewünscht hatte.

Der fremde Gast, welcher sich ihm jetzt näherte, verrieth in seinem wohlwollenden Gesichte eine tiefe Theilnahme, die wunderbar mit seiner gewohnten Beschäftigung contrastirte.

Es war der Scharfrichter Widmann aus Heidelberg, der Sand am morgenden Tage hinrichten sollte.

Als der Zuchthausverwalter diesen Namen nannte, erheiterte sich das Gesicht des Verurtheilten; er richtete sich von dem Lager auf, ließ den Scharfrichter neben sich setzen und faßte seine Hand, die er während der ganzen Unterhaltung mit ihm nicht wieder log ließ. – Widmann war dagegen so niedergeschlagen und konnte so wenig seine Bewegung unterdrücken, daß er der Delinquent zu sein schien. Sand mußte ihn ermuthigen.

„Bleiben Sie standhaft,“ sagte er freundlich; „an mir soll es nicht fehlen. Ich werde nicht zucken. Und wenn auch zwei oder drei Hiebe erforderliche sind, so dürfen Sie darum die Fassung nicht verlieren.“[8]

Darauf bat er ihn, sich Zeit zu nehmen, und fragte, wie er sich zu verhalten habe; worauf er ihm im Voraus für seine Mühe dankte.

„Denn nachher,“ fügte er mit einem ihm sonst nicht eigenen Humor hinzu, „werde ich Ihnen nicht mehr danken können.“

Als der Scharfrichter sichtlich erschüttert gegangen war, legte sich Sand zu Bett und schlief wie zu jeder andern Zeit so fest, daß er um vier Uhr Morgens geweckt werden mußte. Es wurde ihm angekündigt, daß seine Hinrichtung schon um fünf statt um elf Uhr Vormittags stattfinden würde, wie anfänglich bestimmt war, vorausgesetzt, daß er hinlänglich vorbereitet sei.

„Das bin ich in diesem Augenblick!“ erwiderte Sand.

Er hatte die Begleitung der Geistlichen zur Richstätte zwar abgelehnt, aber er betete mit ihnen voll tiefer Andacht. Nachdem dies geschehen, sprach er die Worte Körners, seines Lieblingsdichters: „Alles Ird’sche ist vollendet und das Himmlische geht auf.“

Auf einer Wiese vor dem Heidelberger Thore, welche seitdem im Munde des Volkes „Sand’s Himmelfahrts-Wiese“ hieß, wurde das Schaffot fünf bis sechs Fuß hoch aufgeschlagen. Unzählige Fremde strömten von den benachbarten Städten und Dörfern herbei. Besonders fürchteten die Behörden die Gegenwart der Studenten aus dem nahen Heidelberg und möglicherweise von ihnen ausgehende Unruhen; weshalb die Hinrichtungsstunde so sehr beeilt wurde. Es waren alle nöthigen Vorsichtsmaßregeln getroffen; das Militair, aus zwölfhundert Mann Infanterie bestehend, umgab im Quarré das Schaffot. Dreihundert Reiter wurden zur Begleitung des Gefangenen verwandt, und außerdem stand die ganze Artillerie in Bereitschaft, um mit brennender Lunte jeden Versuch zur Befreiung Sand’s zu unterdrücken. Alle Straßen wimmelten von Neugierigen und Wachen, obgleich die gebildeteren Einwohner Mannheims in ihren Häusern blieben, und viele selbst schon vorher die Stadt verlassen hatten, um nicht Zeugen des blutigen Schauspiels zu sein.

Es war ein regnerischer Morgen, als Sand in einer offenen, niedrigen Chaise die Thore seines Kerkers zum letzten Male verließ. [123] Er grüßte noch vorher seine Mitgefangenen, die an den Fenstern lagen und hinter den eisernen Gittern ihm weinend nachschauten. Als das Hofthor aufging und die versammelte Menge den Verurtheilten erblickte, hörte man ein allgemeines Schluchzen. Langsam bewegte sich der Zug nach dem kaum 800 Schritte entfernten Richtplatz. Zur Seite des Wagens gingen zwei Zuchtmeister mit Trauerfloren. Sand saß, da die lange Krankheit ihn abgezehrt, zurückgelehnt im Arme des Oberzuchtmeisters, den er ersucht hatte, wenn er etwas Schwächliches an ihm bemerken sollte, ihm seinen Namen zuzurufen. Sein Gesicht war leidend, die Stirn aber offen frei; die Züge interessant, ohne schön zu sein. Alles Jugendliche war daraus geschwunden. Er trug nicht seine altdeutsche Kleidung, sondern einen schlichten, grünen Oberrock, weißleinene Beinkleider und Schnürstiefeln. Der Kopf war unbedeckt. Auf dem Schaffot erwartete ihn der Scharfrichter mit seinen Helfern, alle schwarz gekleidet. Das Gesicht des Nachrichters war noch bleicher, als das des Verurtheilten. Von zwei Begleitern unterstützt, betrat Sand das Blutgerüst; er blickte noch einmal nach Mannheim und auf das versammelte Volk zurück, dann schweifte sein Auge über die Natur im Frühlingskleide, ein Schauspiel, das er seit vierzehn Monaten schmerzlich entbehrt hatte. Es war im Monat Mai, der Sonnabend vor Pfingsten, wo Alles lebt, blüht und duftet.

Vielleicht war ihm der Abschied nicht so leicht, als er geglaubt; oder hoffte er im Geheimen, wie das Volk, noch immer auf Befreiung? zürnte er, daß diese sich nicht sehen ließ, daß seine Brüder sich nicht zeigten, um ihn dem Henker zu entreißen, ihn nach dem Kahne zu führen und an das rettende Ufer zu tragen?

Denn nachdem er sich so im Kreise umgeschaut, warf er sein Taschentuch kräftig zu Boden; dann hob er die rechte Hand in die Höhe, als ob er einen Eid schwöre, richtete seine Augen zum Himmel und öffnete seine Lippen, um das Volk noch einmal anzureden. Der anwesende Beamte mahnte ihn jedoch an sein Versprechen, daß er jede derartige Ansprache unterlassen wollte.

„Gott gibt mir,“ flüsterten nur noch leise seine Lippen, „viel Freudigkeit – es ist vollbracht – ich sterbe in der Gnade meines Gottes.“

Darauf ließ er sich ruhig, nachdem der Actuar nochmals mit lauter Stimme ihm das Todesurtheil vorgelesen, die Hände binden. Nur die Binde um die Augen bat er fortschieben zu dürfen, um noch einmal das goldene Licht des Tages zu schauen. Als er die kalte Scheere im Nacken fühlte, womit die langen Locken ihm abgeschnitten wurden, flehte er, ihm diesen Schmuck doch zu lassen.

„Sie sind für Ihre Mutter bestimmt,“ sagte der mildherzige Scharfrichter.

Sand nickte dazu und gab ihm leise den Auftrag, eine Locke für Emma Hagen aufzubewahren, was Widmann ihm versprach.

Seine Mutter und Emma waren sein letzter Gedanke.

Der Scharfrichter trat einige Schritte zurück, und schwang das blitzende Schwert mit einem unbeschreiblichen Gefühl von Schmerz und Trauer.

Feierlicher Ernst und tiefes Schweigen herrschte rings umher.

Ein kräftiger Hieb und der Unglückliche hatte geendet.

Ein Schauer durchzuckte die Versammlung bei dem Todesstreich. Die Umstehenden tauchten ihre Tücher in das strömende Blut. Nach und nach verlief sich die Menge, nur der Scharfrichter blieb wie vernichtet zurück und weinte, als hätte er sein eigenes Kind gerichtet.

Einige Monate nach seinem Tode starb Emma in Italien; auf ihrem Herzen ruhte die Locke Sand’s, welche Widmann ihr seinem Versprechen getreu nachgeschickt hatte. – Ihr Bruder durfte nicht nach Berlin zurückkehren; er wurde dort steckbrieflich verfolgt. Berthold Zeisig war sein Angeber und bewarb sich von Neuem um Juliens Hand, die ihm von ihrem Vater auch zugesagt wurde. Schon war der Verlobungstag festgesetzt, als das treue Mädchen heimlich Berlin verließ, um nach der Schweiz zu gehen, wo Hagen eine Zuflucht gefunden hatte. Mit Juliens Hülfe gründete er ein Erziehungsinstitut, das einen bedeutenden Aufschwung nahm und mehr als hinreichte, um ihn mit seiner Frau zu ernähren. Er wurde in contumaciam zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurtheilt, die er natürlich nicht antrat; tief schmerzte es ihn, daß er deshalb das Vaterland nicht betreten durfte.

Erst im Jahre 1848 kehrte er nach mehr als zwanzigjähriger Abwesenheit nach Deutschland zurück, um an dem Frankfurter Vorparlamente Theil zu nehmen. Ueberall blickten ihm die alten Farben seiner Verbindung entgegen, an Fahnen, Hüten und Mützen begrüßte ihn das theure Schwarz-roth-gold. Die früheren Burschenschafter durften wieder offen ihre Gesinnungen zeigen, die der bessere Theil des deutschen Volkes jetzt laut bekannte und zu den seinigen gemacht hatte. Hagen fand in Frankfurt viele seiner Brüder wieder, unter diesen den alten Turnvater Jahn, der als Greis sich die Frische der Jugend bewahrt hatte.

Es waren schöne Tage, denen leider nur zu bald die Enttäuschung folgte.

Hagen konnte es sich nicht versagen, mit seiner Frau nach dem nahen Mannheim zu gehen. Dort ließ er sich auf den protestantischen Kirchhof führen. An der niedern Kirchhofsmauer hatte Sand ein Grab gefunden; keine Inschrift, nicht einmal ein gewöhnlicher Rasenhügel bezeichnete den Platz, wo der Unglückliche begraben war. Wein rankte sich an der Mauer auf; ewiger Klee und Vergißmeinnicht waren rings umher gesäet. Mit Wehmuth gedachte Hagen an dieser Stätte des Freundes, der das Opfer eines düstern Wahns geworden war, während Julie einen zu diesem Zwecke mitgebrachten Kranz auf das Grab niederlegte.

„Armer Sand,“ sagte sie weich. „So zu sterben! Wäre sein Fanatismus nicht gewesen, so hätte er mit uns die schöne Zeit der wiedergebornen Freiheit schauen dürfen.“

„Sein Tod,“ sagte der zum Manne gereifte Friedrich, „soll uns Allen eine Mahnung sein, in der Begeisterung selbst noch Maß zu halten. Nur zu sehr ist die Jugend geneigt, die Freiheit im Reiche der Träume zu suchen und darüber die Wirklichkeit in ihrer gesetzmäßigen Entwicklung zu vergessen. Nicht blinde Schwärmerei, sondern Klarheit und Besonnenheit führen uns zum Ziele. Die That unseres unglücklichen Freundes war der Blitzstrahl, welcher die in der Atmosphäre angesammelten ungesunden Dünste zertheilt und verscheucht hat. Wir sahen den Abgrund, der zu unsern Füßen lag. Ein Opfer mußte erst fallen, um die Götter der Unterwelt zu versöhnen. Wohl uns, wenn es nicht umsonst geblutet hat, wenn das deutsche Volk sich nicht von Neuem in phantastischer Schwärmerei um die Früchte seines Sieges selbst betrügt! Ich fürchte nur zu sehr, daß der augenblickliche Rausch ähnliche Ereignisse hervorrufen wird. Möge Sand’s blutiger Schatten uns dann eine Warnung sein, daß nicht das Verbrechen, sondern das Gesetz die wahre Freiheit begründet und befestigt.“

„Und mit dem Gesetz muß die Liebe sich verbinden; der Unglückliche hat sie nicht gekannt.“

„Sage lieber, daß sie ihm zu spät erschienen ist, um ihn mit dem Leben auszusöhnen.“

„Emma!“ flüsterte Julie mit Thränen in den Augen, die dem Andenken der dahingeschiedenen Schwester und Freundin flössen.

„Gott schenke Beiden seinen Frieden!“ rief Hagen tief bewegt.

Einen Strauß von Vergißmeinnicht pflückten noch die Gatten zur Erinnerung an den unglücklichen Sand; dann schieden sie in ernster Stimmung von dem Grabe, an dem Hagen Treue dem Vaterlande still gelobte, dem er von nun an wieder angehören durfte. –



  1. Sand’s eigene Worte.
  2. Wörtlich.
  3. Ebenfalls wörtlich.
  4. Wörtlich.
  5. Jahns eigene Worte.
  6. Sand’s eigene Worte.
  7. Sand’s eigene Worte.
  8. Historisch.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bieger, s. Berichtigung (Die Gartenlaube 1859/11)
  2. Vorlage: Bieger; s. Berichtigung in Heft 11