Ueber Frauenbestimmung

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Autor: Karl Biedermann
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Titel: Ueber Frauenbestimmung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10; 14; 17; 37; 50, S. 136–137; 182–183; 222–223; 488–490; 666–667
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[136]

Ueber Frauenbestimmung.

Von Professor Biedermann.[1]
1. Der allgemeine Charakterunterschied beider Geschlechter.

Ein natürlicher Gegensatz der beiden Geschlechter, erkennbar in ihrer verschiedenartigen körperlichen wie geistigen Organisation, weist jedem derselben eine andere Bestimmung im Leben, eine andere Stelle in dem großen Ganzen menschlicher Kulturentwickelung an. Wenn das Geistesleben des Menschen überhaupt in zwei Grundrichtungen sich äußert, einer Erregbarkeit oder Empfänglichkeit für äußere Eindrücke, und einer inneren Selbstthätigkeit, welche die empfangenen Eindrücke verarbeitet, so erscheinen diese zwei Richtungen dergestalt an die beiden Geschlechter vertheilt, daß dem Manne ein größeres Maß von Selbstthätigkeit, der Frau eine stärkere Erregbarkeit oder Reizbarkeit eigenthümlich zu sein pflegt. Die Physiologie hat es unternommen, die körperlichen Ursachen dieser Verschiedenartigkeit nachzuweisen in dem größern Umfange des männlichen Gehirns im Vergleich zu dem weiblichen, in der mehr feinen als muskulösen, mehr weichen und biegsamen als harten und festen Organisation des ganzen weiblichen Körpers. Die Psychologie findet diesen Gegensatz auf dem Gebiete des Seelenlebens bethätigt in den mancherlei Abweichungen des Temperaments der Empfindungsweise, der ganzen Art zu sein und zu handeln, wie sie bei dem Weibe und bei dem Manne sich darstellt. Bei dem Letzteren herrscht meist das cholerische, willensstarke Temperament vor, etwa mit einem Beisatze phlegmatischer Bedächtigkeit oder melancholischer Nachdenklichkeit, bei der Frau, mit seltenen Ausnahmen, das sanguinische, reizbare oder empfindsame. Frauen pflegen einem äußern Eindrucke, selbst einem flüchtigern, nachzugeben, während es bei dem Manne schon einer stärkeren und anhaltenderen Erregung bedarf, um sein Gefühl zu ergreifen oder seine Thatkraft in Bewegung zu setzen. Dagegen springen Jene bisweilen mit einer für Männer unbegreiflichen Schnelligkeit von einer Empfindung zur andern und von einem Gegenstande ihrer Beschäftigung zum andern über, während die Thätigkeit und das Interesse des Mannes in der Regel länger in der einmal angenommenen Richtung beharrt. Diese größere Beweglichkeit ihres Geistes macht die Frauen gewöhnlich geschickter für Erfassung und Behandlung der alltäglichen, persönlichen Begegnisse; dagegen es den Männern eigenthümlich ist, einen weiteren Kreis von Lebensverhältnissen zu überschauen, zu beherrschen und nach ihren Ideen zu gestalten.

Die Frau lebt, handelt und empfindet mehr in der Gegenwart und für diese; das Leben und Streben des Mannes greift weit über die Gegenwart hinaus und richtet sich auf eine oft sehr ferne und ungewisse Zukunft. Die Frau wirkt, was sie wirkt, fast immer durch die Macht ihrer Persönlichkeit, durch die raschen, gewissermaßen instinktartigen Eingebungen ihres Verstandes oder ihres Herzens; der Mann erringt seine höchsten Erfolge durch die Kraft seines voraussehenden Denkens, durch die systematische Verknüpfung seiner Ideen, Beobachtungen und Erfahrungen. Die Frau setzt gern und unverdrossen ihre ganze Thätigkeit an ein Einzelnes – und wäre es die kunstmäßige Vollendung eines Stückes Putz oder einer wirthschaftlichen Vorrichtung; – ihr ganzes Dasein besteht mehr oder weniger aus einem bunten Wechsel einzelner Beschäftigungen, Empfindungen und Begegnisse; dem Manne gestaltet sich auch das Einzelnste sogleich zum Theile eines größeren Ganzen, und nur als solches hat es für ihn einen Werth; sein Leben ist meist eine festgegliederte Kette von Bestrebungen, Entwürfen, von gelungenen oder mißlungenen Anläufen nach einem bestimmten Ziele hin. Daher erscheint wohl das Frauenleben fertiger, abgerundeter, befriedigter in seinen einzelnen Momenten, das des Mannes dagegen bedeutender und inhaltvoller in seiner Gesammtheit. An der Frau tritt das am Meisten in den Vordergrund, was sie gerade in dem Augenblicke ist, thut, empfindet – mit einem Worte, ihre Persönlichkeit, beim Manne das, was er gethan, geleistet, errungen hat, oder was er noch zu thun, zu leisten, zu erringen befähigt und gewillt scheint. Die Mehrzahl der Frauen vermag für ein Allgemeines nur dann das rechte Verständniß und Interesse zu gewinnen, wenn sich dasselbe unter irgend welcher persönlichen Form in irgend welcher unmittelbaren Beziehung zu der eignen oder zu einer ihr nahestehenden Persönlichkeit darstellt; sie begeistern sich leicht für einen politischen Charakter, für eine politische Idee, ausgenommen, insofern sie solche in Jenem verkörpert erblicken, wobei aber immer das Persönliche so vorwiegend bleibt, daß sie, falls ihr Held seine Fahne wechselt, eher diese, als ihn aufgeben. Einer rückhaltlosen, consequenten, alles Persönliche bei Seite setzenden Hingebung an eine bloße allgemeine Idee ist der Regel nach nur der Mann fähig, der überhaupt allen, auch den mehr persönlichen Begegnissen im Leben eine nähere oder entferntere Beziehung auf etwas Allgemeines – sei dies der Beruf, der Stand, das Vaterland oder die Menschheit zu geben pflegt.

So geht ein tiefgreifender Gegensatz durch das ganze Leben der beiden Geschlechter. Derselbe mag hier schärfer, dort weniger scharf ausgesprägt, bisweilen beinahe ausgeglichen erscheinen – es giebt Frauen von fast männlichem Geist und Charakter, und Männer, [137] die in ihrem Handeln und Empfinden nicht blos etwas Weibliches, sondern etwas Weibisches haben. Erziehung, Lebensgewöhnung, vor Allem das Wechselverhältniß der beiden Geschlechter selbst pflegen manche Ausgleichung und Annäherung der entgegenstehenden Charaktere herbeizuführen – gewöhnlich zu beiderseitigem Gewinnste und ein allzu einseitiges Hervortreten der einen oder andern jener Richtungen, der Abhängigkeit von äußern Eindrücken, ohne eine entsprechende Selbstständigkeit und Beharrlichkeit des innern Gefühls oder der Abgeschlossenheit in sich mit gänzlicher Stumpfheit und Ungeschicktheit für’s äußere Leben, gilt mit Recht für einen Mangel wahrer Bildung nicht nur vom allgemeinmenschlichen Standpunkte aus, sondern auch innerhalb der Sphäre desjenigen Geschlechts, wo eine derartige Erscheinung auftritt. Aber trotz jener Ausnahmen von der Regel und mit Hinwegsehen von diesen einseitigen Extremen bleibt doch immer noch ein gewisser, angeborner und niemals ganz zu verwischender Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern übrig, welcher hinreicht, um uns den Fingerzeig der Natur in Bezug auf die Lebensbestimmung eines jeden derselben, des Mannes wie der Frau, deutlich erkennen zu lassen.



[182]
II.
Die Frau im Hause, in der Gesellschaft, im praktischen Lebensverkehr.

Von allen Berufsarten der Frauen ist keine so entschieden durch die Natur ihrer Anlagen und ihres ganzen Wesens ihr vorgezeichnet, als der Beruf für’s Haus, für die Wirthschaft. Der den Frauen angeborne Trieb, mit dem Nächsten und Einzelnsten sich zu beschäftigen, ihre Gewandtheit und Beweglichkeit im persönlichen Verkehr, ihre Unermüdlichkeit und Elasticität im raschen Durchlaufen eines Kreises kleiner, scheinbar oft sogar kleinlicher, und doch nothwendiger Verrichtungen, macht sie vorzugsweise geschickt für die Uebernahme eines Berufs, auf welchen ohnehin ihre ganze Lebensstellung sie hinweist. Was den Mann ermüden, ja aufreiben würde, dieser stete Wechsel einzelner, kaum im Zusammenhange mit einander stehender Beschäftigungen, diese stete Unruhe des Anfangens, Abbrechens und Wiederanfangens an zehnerlei verschiedenen Punkten, diese Nothwendigkeit des raschen Abspringens von Einem auf’s Andere, der Mangel an stetiger, in einer Richtung ruhig fortschreitender Arbeit und die ewige Unruhe eines bunten Durcheinander – das ergötzt, fesselt, befriedigt die Frau, regt sie an zu immer frischer und immer am rechten Orte einschlagender Thätigkeit, versetzt ihr ganzes Wesen in jene für sie selbst angenehme, für ihre Umgebungen wohlthuende und dem Zwecke förderliche Erregung und Bewegung. Durch ihr sicheres persönliches Auftreten (ich spreche hier natürlich nur von der Frau, wie sie sein soll, der glücklich begabten und recht gebildeten) prägt sie der scheinbaren Regellosigkeit verschiedenartiger und wechselnder Vorkommnisse des Hauswesens eine feste Regel auf, bringt Ordnung und Plan hinein, ohne doch die Anmuth freien Behabens dem steifen Zwange eines pedantischen, ein für alle Male aufgestellten Systems aufzuopfern. Durch ihren feinen Sinn für Anordnung und Ausschmückung des Einzelnen, durch ihren Geschmack, durch ihr Gefallen an reizvoller Abwechselung weiß sie – die ächte Frau – auch im engsten Kreise und mit bescheidenen Mitteln überall jenes Behagen zu verbreiten, welches die erste Quelle [183] wahren häuslichen Wohlbefindens und wahrer Zufriedenheit zwischen den Genüssen eines Familienkreises ist und welches auf diesen ganzen Kreis, namentlich aber auf das Haupt desselben, den Mann, so angenehm, anregend und zugleich beruhigend, ja, man kann sagen, bildend und veredelnd einwirkt. Wenn alle Frauen den ganzen Umfang des wohlthätigen und weitreichenden Einflusses, den sie auf diesem Wege zu üben vermögen, recht begriffen, so würde es keiner Frau je einfallen, sich dieser nächsten Pflichten wegen ihrer scheinbaren äußern Geringfügigkeit zu schämen, nach einem andern Wirkungskreis oder einer andern Lebensstellung zu trachten oder auf irgend etwas stolzer zu sein, als auf den Ruf und die Würde einer ächten Hausfrau. Und wenn in allen Männern das rechte lebendige Gefühl für jenes häusliche Behagen, jene Ordnung und Anmuth der täglichen Umgebungen von früh an geweckt und immerfort wach erhalten worden wäre (was eben hauptsächlich Sache der Frauen ist) – so würde es ungleich mehr Zufriedenheit und Glück in den Familien, ungleich mehr wahre Zufriedenheit und Glück in den Familien, ungleich mehr wahre Achtung und zarte Erkenntlichkeit gegen die Frauen auf Seiten der Männer, ungleich mehr Sinn für Häuslichkeit im Allgemeinen und in Folge dessen manches Uebel in unserer Gesellschaft weniger geben, welches aus dem Mangel solcher Gesinnung entspringt.

In der Gesellschaft ist die Frau die natürliche Vertreterin und Hüterin jener leichten und doch gemessenen Formen geselligen Verkehrs, deren Werth man mit Unrecht bisweilen unterschätzt. Sie hat darüber zu wachen, daß in Bezug auf diese äußern Formen immerfort die rechte Mitte gehalten werde zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig, zwischen einem läppischen Spiel mit gedanken- und bedeutungslosen Redensarten und Ceremonien (in welcher eine frühere Periode unserer Geselligkeit sich all zu sehr gefiel) und einer geflissentlichen Verachtung und Vernachlässigung aller Höflichkeitsrücksichten, besonders gegen das andere Geschlecht (wodurch jetzt bisweilen ein Theil der Männerwelt sich auszuzeichnen sucht), zwischen überzierlicher Kleinmeisterei und ungelenkem Pedantismus, zwischen zu großer Freiheit und zu ängstlicher Beschränkung im geselligen Umgange. Wenn heutzutage oft darüber geklagt wird, daß der eine Theil der Männer in einseitiger Abgeschlossenheit sich von dem schönen Geschlecht in der Gesellschaft zurückziehe und absondere, ein anderer aber durch süßliches, geistloses Wesen die Frauen und Mädchen, mit denen er verkehre, verderbe, für eine ernstere, gehaltvollere Unterhaltung unempfänglich mache, so liegt die Hauptschuld in beiden Fällen am Ende doch an den Frauen selbst. Die Frau hat von der Natur den Beruf und die Fähigkeit, das Scepter der Herrschaft im geselligen Umgange der beiden Geschlechter zu führen; ihr eigenes Verschulden oder die Folge mangelhafter Bildung ist es daher, wenn sie dieses Scepter sich entwinden läßt, oder es nicht auf die rechte Weise gebraucht. Das ächte Weib (gleichviel, ob Frau oder Mädchen) übt im geselligen Verkehr einen so großen Zauber über den Mann, daß ihr gegenüber, auch der Ernsteste und Verschlossenste mittheilsamer, auch der Schüchternste muthiger, auch der Keckste und Eingebildetste bescheidener wird.

Die Frauen sind daher von jeher (wenigstens in der modernen Welt) die Bildnerinnen der Männer auf diesem Gebiete und die Tonangeberinnen geselliger Sitte gewesen. Zu der geselligen Unterhaltung bringt die Frau gerade dasjenige Element mit, welches hier recht eigentlich am Platze ist, das Talent geistiger Beweglichkeit, leichten Uebergehens von einem Stoffe zum andern, und dabei auch lebendiger Hingebung an jeden einzelnen, auch den unbedeutendsten, dadurch giebt sie dem Gespräche jene Mannigfaltigkeit, Leichtigkeit und Erregtheit, welche den Zweck, den alle Geselligkeit hat – dem Geiste durch Unterbrechung des gewohnten Gedankenganges und durch Ablenkung in eine leichtere und anregendere Beschäftigung Erholung zu gewähren, so wesentlich fördert. Die Frau mit ihrem regen Sinne und ihrem sichern Tacte für das Einzelne, Naheliegende, lockt den Mann gleichsam aus den Fernen und Tiefen seines Speculirens und Denkens herauf und heran an die unmittelbare Gegenwart, zwingt ihn, die reichen, aber oft schwerfälligen Schätze seines Wirkens und seiner Erfahrungen in die leichte gangbare Münze allgemeinverständlicher Umgangssprache zu verwandeln und hilft ihm so, Manches erst sich selbst recht klar zu machen, was ihm vorher und in allgemeinen unbestimmten Umrissen vor der Seele schwebte, Manches in seiner Anwendbarkeit für’s Leben zu erproben, was er bis dahin nur als ein erhabenes Ideal in seiner Phantasie hegte. Der bloße Umgang von Männern unter einander kann diesen anregenden und bildenden Einfluß der Frauen auf die Entwickelung und die Thätigkeit des männlichen Geistes niemals ganz ersetzen. Der Mann, dem Manne gegenüber, spricht und verhandelt fast immer nur als Vertreter irgend eines allgemeinen Standpunktes – des Berufs, des Standes einer politischen Partei oder einer wissenschaftlichen Richtung – selten giebt er sich rein als Mensch, nach seinem eigensten, innersten, individuellsten Wesen. Erst der Frau, ihr, deren Natur es mit sich bringt, in ihrem eigenen Sein wie in der Auffassung eines Fremden immer das persönliche Moment hervorzukehren, mag es wohl gelingen, auch an dem Manne jenes innerste, so zu sagen, menschlichste Gemüthsleben zu erschließen und in Thätigkeit zu versetzen, welches derselbe im Umgang mit seines Gleichen und im gewöhnlichen Lebensverkehr oft lange Zeit hindurch gänzlich unentwickelt und verschlossen in sich herumträgt. Ohne dieses ergänzende Element der Frauen würde daher der gesellige Verkehr eines wesentlichen Förderungsmittels entbehren und an einer Einseitigkeit leiden, welche selber auf die ernsteren Beschäftigungen der Männer nachtheilig zurückwirken müßte. Es ist kein geringer Vorzug, den die französischen und englischen Gelehrten, Dichter und Schriftsteller vor den Deutschen voraus haben, daß dort mehr als bei uns im Durchschnitt, eine entwickelte und besonders eine von den Frauen belebte Geselligkeit besteht, welche ihnen nicht nur Gelegenheit, Stoff und Anregung zu vielseitigerer Beobachtung des Lebens und der Charaktere bietet, sondern sie auch in der Abklärung und Durchbildung ihrer für die Oeffentlichkeit bestimmten Ideen wesentlich unterstützt.

Im praktischen Lebensverkehr, im Handel und Wandel, giebt es allerlei Geschäfte, wofür die Frauen, sei es wegen ihres leichtern Sichzurechtfindens in einem bunten und wechselnden Detail, sei es wegen ihres Talents persönlicher Verhandlung, sei es wegen der Feinheit ihres Geschmacks und der Geschicklichkeit ihrer Hände, vorzugsweise geeignet erscheinen. Manche dieser Geschäfte sind ihnen bereits durch Sitte und Herkommen eingeräumt; manche andere könnten ihnen vielleicht ebenso gut noch überlassen werden; man würde dadurch männliche Kräfte sparen, welche anderwärts besser zu verwenden wären, und man würde dem schwächeren Geschlechte Gelegenheiten zu nützlicher Beschäftigung und zu selbstständigem Lebenserwerbe eröffnen, welche besonders für die alleinstehenden Mitglieder desselben großen Werth hätten. So z. B. dürften für Beschäftigungen wie die der Barbiere, Friseurs, Conditoren, Kaffeewirthe, für die Fertigung von Kleidern und Putz aller Art für das weibliche Geschlecht, für Posamentirerei, Papparbeiten und selbst die meisten Theile der Buchbinderei, ferner für alle Zweige des Detailhandels Frauen recht wohl, ja besser, als die Männer sich eignen, und zwar nicht blos als Arbeiterinnen, sondern auch als selbstständige Geschäftsunternehmerinnen. Leider steht unsere bürgerliche und gewerbliche Gesetzgebung großentheils einer solchen Einrichtung hindernd oder doch erschwerend entgegen. In Frankreich, der Schweiz und andern Ländern ist man darin weiter als bei uns. Nicht nur finden sich dort weit häufiger Frauen als Arbeiterinnen, Geschäftsführerinnen oder Unternehmerinnen in allerhand Zweigen des Kleinhandels und der Gewerbe (in Paris wird ein großer Theil des Kleinhandels lediglich von Frauen besorgt, in der freien Schweiz findet man weibliche Barbiere u. s. w.), sondern sogar in manchen öffentlichen Stellungen hat man sie, und wie es scheint, mit gutem Erfolge verwendet. In den vereinigten Staaten von Nordamerika gab es im Jahre 1853 über hundert Postmeisterinnen, und in Frankreich befindet sich ebenfalls ein Theil dieser Geschäfte in weiblichen Händen.

[222]
III.
Die Frauen in der Kunst, der Literatur und der Wissenschaft.


Auf dem Gebiete der Kunst findet weibliches Talent seine erfolgreiche Anwendung überall da, wo es das Auffassen und Wiedergeben einzelner, vorzugsweise sinnlich lebendiger Empfindungen, äußerer Eindrücke, wechselnder Situationen gilt. Daher ist im Allgemeinen die ausübende oder nachbildende Kunst mehr im Bereiche weiblichen Kunsttriebes gelegen, als die frei schaffende, namentlich als die Hervorbringung größerer, zusammenhängender Gestalten. Selbst in der Musik, diesem eigentlichsten Reich der lebendigen und wechselnden Empfindungen, haben sich die Frauen zwar wohl als ausübende Künstlerinnen mehrfach ausgezeichnet, als selbstständig gestaltende, als Componisten, wenigstens im großen Style, noch niemals. In der Malerei und den sogenannten bildenden Künsten überhaupt scheint selbst die Beherrschung der äußeren Technik, das Nachbilden von Kunstwerken, für die Frauen mit größeren Schwierigkeiten verbunden; selbstschöpferisch aufzutreten, ist hier nur wenigen, von der Natur besonders hochbegabten vergönnt gewesen; und, wenn die Bildhauerarbeiten einer Marie von Würtemberg Bewunderung erregten (hauptsächlich doch auch nur als die Werke eines von Frauenhand und von fürstlicher Frauenhand geführten Meißels), so hat das, wenn schon nicht unbedeutende Talent einer Angelica Kaufmann, selbst unter der Aegide Goethe’scher Gunst oder Fürsprache, doch einen eigentlich hervorragenden Platz unter den Meistern der Malerei nicht einzunehmen vermocht. Das Portrait dürfte diejenige Kunstform sein, welche der weiblichen Kunst noch am Ersten Aussicht auf Erfolg verspricht, weil hier am Meisten das Individuelle, Persönliche vorwaltet. Und doch steht zu bezweifeln, ob es jemals einem weiblichen Pinsel gelingen werde, jenen tiefen Ausdruck eines ganzen, gleichsam bis in’s Innerste aufgeschlossenen Geisteslebens, einer ganzen in sich vollendeten Persönlichkeit in die Umrisse eines Kopfes zu legen, wie wir sie an den Portraits eines Van Dyk, Rembrandt, Cranach, Vogel von Vogelstein, Delaroche, eines Thorwaldsen, Dannecker und Rauch bewundern.

In der Dichtkunst scheinen Lyrik und Roman, die Darstellung von Gefühlen und die Darstellung von Situationen diejenigen Gattungen zu sein, welche der Eigenthümlichkeit des weiblichen Geistes am Meisten entsprechen. Aber auch auf dem Gebiete der Lyrik haben sich nur wenige Frauen mit Glück versucht; Bleibendes hat, wenn wir etwa jene ältesten Gedichte der griechischen Sappho abrechnen, keine einzige geleistet. Es fehlt den Frauen hier im Allgemeinen jene Naivetät des Gefühls, welche sich über die einzelne Empfindung erhebt und einen ganzen weiten Kreis von Erregungen des Seelenlebens gleichsam frei darüber schwebend beherrscht. Gerade das zu leichte Sichversenken in die einzelne Empfindung und dabei wieder das rasche Abspringen zu anderen Empfindungen, mit einem Worte, das Beherrschtwerden von dem äußeren Eindruck und der Mangel an innerer Kraft, ihn zu bewältigen, ihn einer größeren Gefühlsreihe einzuordnen, das ist es, was die Frauen immer hindern wird, bedeutende Erfolge auf dem Felde der Lyrik zu erreichen.

Besser ist ihnen dies mit dem Roman gelungen, obschon auch hier nur innerhalb einer gewissen Grenze, welche nur einzelne bevorzugte weibliche Genien, wie etwa in der neuesten Zeit eine Madame Georges Sand, eine Currer Bell, eine Lady Blessington u. A., zu überschreiten vermocht haben.

Solche ganz vereinzelte Ausnahmen abgerechnet, fehlt den Frauenromanen meist die rechte Kraft und Tiefe in der Zeichnung und Entwicklung der Charaktere, so wie die Fähigkeit, einen großen weit angelegten Stoff richtig zu vertheilen und zur künstlerischen Einheit zusammen zu fassen. Wo es dagegen mehr auf die Schilderung einzelner Situationen – des häuslichen oder geselligen Lebens – (besonders der vornehmern Kreise), auf die Hervorhebung bestimmter Seiten des menschlichen Charakters, namentlich der mehr empfindsamen, oder auf die Darstellung gewisser Aeußerlichkeiten, Gesellschaftsformen u. dgl. ankommt, da sind die Frauen als Schriftstellerinnen ganz an ihrem Platze, da trägt ihr freies Beobachtungstalent und ihre leichte Hand nicht selten den Sieg über die schwerfällige Gründlichkeit der Männer davon.

Auf diesem Gebiete bewegen sich jene vielgelesenen Romane einer Henriette Gonder, Friederike Bremer, Flygare Carlén – im höhern Style eine Frau v. Paalzow u. A. Aber auch in diesen engern Grenzen sind selber die begabteren unter den schriftstellenden Frauen selten ganz frei geblieben von einer gewissen Einseitigkeit und Manier, indem sie bald mit zu großer Vorliebe bei der Ausmalung von Aeußerlichkeiten verweilen, (ein Fehler, an welchem z. B. der größere Theil der, im Uebrigen nicht selten eine mehr als weibliche Feder verrathenden historischen Romane der Caroline Pichler leidet), bald in der Schilderung von Charakteren in Uebertreibungen verfallen oder ebenfalls zu viel Werth auf Aeußerliches und Unwesentliches legen (wie die affectirt aristokratischen Romane der Gräfin Ida Hahn-Hahn), bald endlich einer allzu empfindsamen, zu geflissentlich auf Erregung des moralischen und religiösen Gefühls berechneten Stimmung sich hingeben – ein Vorwurf, den man, von ästhetischem Standpunkte aus, den meisten der jetzt so rasch emporschießenden und so viel Aufsehen erregenden Erzeugnisse der nordamerikanischen Frauenromanliteratur machen muß, selbst den Uncle Tom nicht ganz ausgenommen. Freilich sind dies Fehler und Mängel, welche auch nicht wenige männliche Romanschriftsteller mit jenen weiblichen theilen.

Epos und höheres Drama scheint den Frauen versagt zu sein. Wenigstens ist bis jetzt noch kein bedeutenderes Produkt dieser Gattung von ihnen ausgegangen, wogegen das sogenannte bürgerliche Schauspiel und insbesondere das Conversationsstück wohl im Bereiche weiblichen Talents liegen möchte, wie denn mindestens große Gewandtheit, neben außerordentlicher Fruchtbarkeit, der Hauptvertreterin dieses Genre in der heutigen weiblichen Schriftstellerwelt, der Madame Birch-Pfeiffer, nicht abzusprechen ist.

Wenn so im Allgemeinen im Fache der dramatischen Kunst die Frauen selbstschöpferisch nur eine untergeordnete Rolle spielen, so haben sie dagegen als Darstellerinnen, die Gedanken der Dichtung nachschaffend und in das Bereich lebendiger Anschauung erhebend, Ausgezeichnetes geleistet und sich den Männern vollkommen ebenbürtig zur Seite gestellt, nicht blos im geselligen Schauspiel, sondern auch auf dem erhabenen Kothurn des großen weltgeschichtlichen Drama’s und der Oper höhern Styls. Die Namen einer Schröder, Neumann, Schröder-Devrient, Rettich, Mars, Rachel u. A. werden neben denen eines Talma, L. Devrient und ähnlichen immerfort ihren Glanz behaupten.

Jene zwanglosere Behandlung von Gegenständen der Beobachtung, [223] wie sie, in der Form der Reisebeschreibung oder der Darstellung gesellschaftlicher Zustände und Charaktere, für die Erscheinungen der äußeren Welt, in der Form der moralischen Abhandlung, der Selbstbetrachtung, der brieflichen Mittheilung oder dgl., für das Reich der inneren Empfindungen, eine nicht unwichtige Stelle in der Literatur einnimmt und noch mehr in einer früheren Zeit einnahm, hat unter den Frauen manche vortreffliche Bearbeiterin gefunden, zumal in Frankreich und England, wo die Frauen jene Eigenschaften, welche zu dieser Art von Schriftstellern vorzugsweise nöthig sind, Schärfe der Beobachtung, Klarheit und Leichtigkeit des Ausdrucks, unter dem anregenden Einflusse eines entwickelten geselligen und nationalen Lebens vielseitiger auszubilden Gelegenheit hatten. Besonders bekannt sind in dieser Beziehung die Briefe einer Madame von Sévigné, die Belehrungen einer Madame Genlis, die Betrachtungen einer Madame von Staël über Gegenstände der Kunst, des gesellschaftlichen Lebens, der Literatur, die Reisebeschreibungen und Länderschilderungen einer Lady Montogue, Miß Martineau, Miß Trollop u. A.

Unter unsern deutschen Frauen haben leider gerade die begabtesten von denen, welche einen ähnlichen selbständigen Weg schöpferischen Gestaltens ihrer Lebenserfahrungen und Empfindungen einschlugen, jener fördernden Nachhülfe äußerer Verhältnisse, namentlich jener strengen Schule einer allgemein verbreiteten Geschmackskultur entbehren müssen, welche ihren Strebensgenossinnen in England und Frankreich von so großem Vortheil waren. Von keinem kräftig entwickelten, durch starke Gegensätze anregenden, durch festgestellte Formen bindenden und bildenden Gesellschaftsleben getragen, schlossen sich diese höherstrebenden Frauengeister entweder in tiefsinnigen, aber für das große Publikum fast unverständlichen und nur einem kleinen Kreise Eingeweihter zugänglichen Enthüllungen ihrer innersten Herzens- und Geistesregungen ab, wie die geniale Rahel, oder sie ergingen sich in wunderlichen, oft geistvollen, bisweilen aber auch barocken und ungenießbaren Ergießungen, wie Bettina von Bettina von Arnim, oder sie verkamen in krankhafter Ueberreizung und Schwärmerei, wie die unglückliche Charlotte Stieglitz.

Fast wichtiger als das, was sie selbst geschaffen, sind die Dienste, welche begabte Frauen mittelbar der Literatur geleistet haben durch die persönlichen Anregungen, mittels deren sie häufig den männlichen Genius in die Bahnen schöpferischer Thätigkeit lenkten und auf diesen ermunternd und anfeuernd, leitend und regelnd, einwirkten. Art und Form dieses Einflusses sind wesentlich verschiedene gewesen bei uns und bei unsern westlichen Nachbarn jenseits des Rheins. In Frankreich ist es hauptsächlich die geistreiche Frau und die Frau von bedeutender gesellschaftlicher Stellung, welche den jungen Dichter oder Künstler in ihre Kreise zieht, zum Schaffen anfeuert und in seinen äußern Erfolgen durch ihre Gönnerschaft und durch die Anerkennung, welche sie ihm in weitern Kreisen zu verschaffen weiß, unterstützt.

Dagegen war es in Deutschland von jeher mehr das sinnige, zugleich geist- und gemüthvolle Weib, welches, selten als Gönnerin, gewöhnlich nur als seelenverwandte Freundin bisweilen als wirkliche Lebensgefährtin, den Dichter, nicht nur als Dichter, sondern zugleich als Mensch seiner ganzen Persönlichkeit nach mit dem poetischen Zauber ihrer Liebe und Verehrung umgab, in sein Schaffen und Empfinden einging, an seinem Ruhme – oft nur in bescheidener Entfernung – sich erfreute, seine Kränkungen mit empfand und nicht selten noch das Andenken des Gefeierten mit einem duftenden Kranze aus den Blüthen des eigenen Geistes schmückte[2].

Beinahe einem jeden unserer größeren Dichter steht ein solcher befreundeter weiblicher Genius zur Seite. Die Geschichte nennt im innigsten Bunde mit Klopstock seine Meta, mit Wieland Sophie Delaroche, mit Schiller Frau von Wolzogen und Frau von Kalb, mit Herder seine Gattin Caroline, mit Goethe Frau von Stein und andere Freundinnen, mit Tiedge Elisa von der Recke. Zuweilen wohl war solcher weiblicher Einfluß der Literatur minder günstig, Verhätschelungen, Verhöhnungen und Vereinseitigungen vielversprechender dichterischer und künstlerischer Talente durch Frauen sind mehrfach zu beklagen gewesen.

Allein überwiegend ist doch die wohlthätige Macht, welche das Gemüth und den Geist begabter und gebildeter Frauen auf die Weckung, Beschwingung und Veredlung des dichterischen Genius allezeit geübt haben, und die Literatur und die Menschheit bleiben ihnen dafür ewig verschuldet.

Ungleich ferner, als das Reich der künstlerisch schaffenden Phantasie liegt den Frauen, ihrer Naturanlage und Bestimmung nach, das Reich des sichtenden und forschenden Verstandes. Schon da, wo beide Gebiete sich berühren, im Fache literarischer Kritik, sind die Erfolge und Verdienste weiblicher Leistungen nur höchst unsichere. Selbst das berühmte, aber auch viel angefochtene Buch der Madame von Staël über deutsche Literatur und Wissenschaft, was wäre es gewesen ohne ihren gelehrten und kritischen Freund August Wilhelm von Schlegel? Für die eigentliche Wissenschaft, so weit es sich dabei nicht blos um ein Auffassen und Gruppiren von Einzelnheiten, sondern um das beharrliche Verfolgen einer bestimmten Idee oder einer Reihe von Ideen handelt, fehlt den Frauen das Organ eben dieser Vertiefung in eine Idee, dieser Beherrschung eines vielartigen Stoffs durch große, allgemeine Gesichtspunkte; es fehlt ihnen, mit einem Worte, dasjenige, was man das logische Denken nennt. Daher haben die Frauen weder in der Philosophie, noch in der Geschichte, noch in den exacten Wissenschaften jemals etwas Hervorragendes, Bahnbrechendes geschaffen. Kein philosophisches System, keine neue Erfindung im Reiche der Technik, keine neue Entdeckung in den Naturwissenschaften, kaum ein bedeutenderes geschichtliches Werk hat den Namen einer Frau verewigt. Sogenannte gelehrte Frauen hat es wohl ab und zu gegeben.

Dorothea Schlözer, des berühmten Publicisten Tochter erwarb in bester Form die Würde eines Magisters der freien Künste an der Universität Göttingen. Basedow’s Tochter glänzte als halberwachsenes Mädchen unter den Schülern ihres Vaters in der lateinischen Prüfung. Des großen Philologen Reiske gelehrte Frau half ihrem Mann bei seinen Ausgaben der griechischen Classiker, so wie Madame Dacier dem ihrigen bei seinen Uebersetzungen aus dem Griechischen und Lateinischen. Allein das waren theils bloße Spielereien, ohne eigentlichen bestimmten Zweck, theils zwar ganz verdienstliche, aber doch immer in beschränktem Kreise sich bewegende Bestrebungen.

In einer gewissen Art geschichtlicher und philosophischer Darstellungen haben einzelne ausgezeichnete Frauen nicht Unbedeutendes geleistet. Der Madame de Staël Betrachtungen über die französische Revolution haben ebenso wie ihre philosophischen Gedanken über den Einfluß der Leidenschaften auf die Einzelnen und die Nationen, eine ehrenvolle Stelle unter den gleichartigen Arbeiten der Männer eingenommen. Die Memoiren der Herzogin von Abrantes gehören zu dem Besten dieser Gattung. Miß Martineau hat sich in würdiger Weise den großen Geschichtsschreibern ihres Vaterlandes angereiht. Zahlreiche und fruchtbare Keime einer aus dem Leben und der Betrachtung des eigenen Innern geschöpften Philosophie finden sich in vielen der schon erwähnten Werke einer Sévigné, Genlis, Georges Sand, Blessington, Martineau, Rahel und in noch manchen andern Aufzeichnungen von Frauenhand.

Diese Art von Lebensphilosophie, die Beobachtung der menschlichen Seelenzustände in den nächsten Verhältnissen des häuslichen, bürgerlichen, geselligen Lebens, die Auffindung der natürlichen Regeln und Bedingungen für das richtige Handeln und das daraus entspringende Wohlbefinden der Menschen und die Darstellung der so gewonnenen Resultate in einer leichten, gewinnenden und überzeugenden Form, das scheint ein Feld wissenschaftlicher und literarischer Beschäftigung zu sein, welches sich für Frauen von Geist und Gemüth ganz besonders zur Anbauung eignet. Ihr sicheres moralisches Gefühl, ihre feine Beobachtungsgabe und ihr Instinkt für das Passende, Schickliche und Nothwendige sind hier ganz an ihrem Platze. Es wäre daher zu wünschen, daß Schriften, wie die unlängst erschienene „Little things“ („Kleinigkeiten“)[3] – von einer unbekannten Verfasserin – unter den zum Schriftstellern geneigten Frauen Nachahmung fänden.



[488]
IV.
Die Frauen in der Politik.
[4]


Am Häufigsten haben sich die Frauen versucht, und den verhängnißvollsten Einfluß haben sie geübt auf einem Gebiete, welchem sie für immer hätten fern bleiben sollen, auf dem Gebiete der Politik. Die Erklärung dafür ist leicht zu finden. Die Politik war die längste Zeit hindurch ausschließlich in den Händen der Machthaber und ihrer Umgebungen. Die Kunst, auf die Menschen und durch sie auf die Verhältnisse einzuwirken, die Gewandtheit persönlicher Leitung und Ueberredung, auch die Intrigue in ihren mannigfachsten Wendungen war dabei ganz am Platze.

Für diese Art persönlicher Wirksamkeit aber haben die Frauen ganz besondere Neigung und ein ganz besonderes Talent, und sie haben dieses, bisweilen zum Guten, öfter jedoch leider zum Schlimmen, vielfach benutzt. Die ältere und neuere Geschichte, selbst die neueste kaum ausgenommen, weiß von weiblichen Einflüssen, von weiblichen Intriguen in großen und kleinen Staatsangelegenheiten, auf dem Felde der äußern wie der innern Politik, Allerlei zu erzählen. Um nur einige der hervorragendsten Beispiele zu nennen, wo Frauen in die Geschicke ganzer Völker eingriffen, erinnere ich an jene Katharina von Medici, die Mutter Karl’s IX. von Frankreich, die Hauptanstifterin der gräßlichen Ermordung der Protestanten (der sogenannten pariser Bluthochzeit oder Bartholomäusnacht) im Jahre 1572; an jene Henriette von Frankreich, deren leichtfertiges Wesen nicht wenig zu dem unglücklichen Schicksale ihres Gemahls, Karl’s II. von England, beitrug; an jene Marie Antoinette, Ludwig’s XVI. Gemahlin, welcher die Geschichte eine ähnliche Schuld bei dem großen Drama der französischen Revolution, wohl nicht ganz mit Unrecht, beimißt; ich erinnere ferner an die bekannten Geliebten Ludwig’s XIV. und XV., Madame Maintenon, deren bigotte Frömmigkeit (eine verspätete und schlechte Buße für ihr früheres sehr unfrommes Leben), den, gegen Weibereinfluß nur zu schwachen König zu harten Maßregeln wider seine protestantischen Unterthanen verleitete, welche Frankreich vieler Tausende seiner gewerbfleißigsten Bürger beraubten und französische Industrie, französische Bildung, aber auch ein gut Theil französischer Leichtfertigkeit nach Deutschland herüber verpflanzten; Madame Pompadour, die, um sich an Friedrich II. von Preußen wegen eines Witzwortes, das er über sie gesprochen, zu rächen, den Beitritt Frankreichs zu dem Bündniß gegen diesen König durchsetzte, aus welchem der siebenjährige Krieg hervorging.

[489] Nirgends so sehr, als in Frankreich, ist weiblicher Einfluß in der Politik thätig und mächtig gewesen, weil nirgends die Politik von jeher einen so persönlichen Charakter gehabt hat, und so wie dort, mehr von den Launen und Leidenschaften der Herrscher, als von den Interessen des Volkes bestimmt worden ist. Doch haben auch anderwärts nicht selten Frauenhände bedeutsam in das Rad der Geschichte eingegriffen. Jenes „Glas Wasser“, welches einen hochberühmten Feldherrn (Marlborough) und seine kriegerisch gesinnte Partei am Hofe von England in Ungnade stürzte, dadurch England von der Allianz gegen Ludwig XIV. losreißen half, und also unmittelbar wenigstens dazu beitrug, die ganze Gestalt der europäischen Verhältnisse zu ändern, ist mehr als eine bloße dramatische Erfindung; ebenso jenes „Mädchen von Marienburg“, Katharina, Peter’s des Großen Gattin, die durch ihre Geistesgegenwart, ihre Unterhandlungsgabe und die Aufopferung ihrer Kostbarkeiten ihren Gemahl aus der gefährlichen Lage, in welche er im Türkenkrieg gerathen war, befreit, und ein schweres Verhängniß von ihm und seinem jungen Reiche abwandte.

In Deutschland gab es leider auch eine Zeit, wo, wie alles Französische nachgeahmt ward, so auch weiblicher Einfluß, noch dazu der unberechtigsten und niedrigsten Art, an den meisten deutschen Höfen herrschte. Beinahe nirgends trieb man’s darin so schamlos, als in Würtemberg, wo zu Anfang des vorigen Jahrhunderts ein Fräulein von Grävenitz, die Geliebte des Herzogs Eberhard Ludwig, förmlich im Geheimen Rathe den Vorsitz führte, Stellen und Gnadenbezeigungen austheilte und die ersten Aemter mit ihren Verwandten und Günstlingen besetzte. Auch unter Karl Eugen von Würtemberg, bei jenen Scenen des Despotismus, in denen fürstliche Geistesbeschränktheit den aufstrebenden Genius eines der größten Dichter, Schiller’s, zu unterdrücken, fürstliche Rachgier das freimüthige Erkühnen eines andern Dichters, Schubart, grausam zu strafen sich unterfing, spielte ein Weib, die unter dem Namen Francisca bekannte und u. A. in den „Karlsschülern“ auf die Bühne gebrachte Geliebte des Herzogs, keine unbedeutende Rolle. Auch in Sachsen, besonders unter August dem Starken, in Preußen unter dem ersten König Friedrich und dann wieder unter Friedrich Wilhelm II., in Baiern unter Karl Theodor, ja selber an den Höfen geistlicher Fürsten übten Frauen lange Zeit eine Macht, die sich, wenn nicht weiter, doch wenistens fast immer auf einen unverantwortlichen Mißbrauch der Landeseinnahmen, eine Bedrückung der Unterthanen und eine Zurücksetzung des wahren Verdienstes durch ein System der Gunstbuhlerei oder der Bestechung erstreckte. Wie diese fürstlichen Maitressen in einem Glanze schwelgten, zu welchem oft das Elend der Länder, die sie aussaugen halfen, einen tiefschmerzlichen Kontrast bildete, wie sie sich mit Perlen und Juwelen schmückten, an denen der Schweiß und das Blut des armen Volkes klebte, das hat unser Schiller in seiner „Lady Milford“ (in „Kabale und Liebe“) mit furchtbarer Wahrheit geschildert – nur daß die Geschichte von keiner fürstlichen Geliebten weiß, die, gleich jener Lady, aus eigener besserer Herzensregung ihre schmach- und fluchbeladene Lebensstellung aufgegeben hätte.

Wo solches Weiberregiment herrscht, da müssen wohl die Männer selber weibisch sein, oder weibisch werden. Ein ächter, ein männlicher Charakter bleibt gegen solche Verführungen kalt. – Darum scheiterten auch an einem Karl XII. von Schweden alle Reize der schönen Aurora von Königsmark, welche August der Starke diesem, als den besten Unterhändler, wie er meinte, entgegengesandt hatte. Die schöne Gräfin, die einen August, bei der ersten Begegnung zu ihren Füßen gesehen hatte, mußte die Beschämung erleben, daß der rauhe schwedische Kriegsheld auf die ungalanteste Weise mit ihr von nichts als von der Vortrefflichkeit seiner großen Stiefel sprach, und sie mit ihrer diplomatischen[WS 1] Mission unverrichteter Sache wieder abziehen ließ.

Um die Unwürdigkeiten, welche ein Menschenalter hindurch mehr oder weniger fast alle deutsche Völkerschaften durch die schnödeste Maitressenherrschaft erduldet haben, zu vergessen und zu verschmerzen, wenden wir gern unsere Blicke nach einer anderen, wohlthuenderen Seite unserer vaterländischen Geschichte, wo wir, wie durch eine eigenthümliche Schickung (als sollte das Andenken an jenen verderblichen Fraueneinfluß auch wieder durch eine Frauenwirksamkeit der edelsten Art ausgelöscht und gesühnt werden), in mehreren deutschen Ländern gerade Fürstinnen eine segensreiche, kraftvolle und umsichtige Thätigkeit entfalten sehen. Nur zu nennen brauche ich die edle und geistvolle Amalie von Weimar, die feinsinnige Freundin Wieland’s, die Bildnerin des ihrer würdigen Sohnes, und mit ihm die Begründerin von „Weimars Musenhof“, dieser unvergänglichen Zierde jenes kleinen Ländchens und des ganzen Deutschlands.[5] Weniger allgemein bekannt, aber gleichfalls unvergessen in der Geschichte der Länder, denen zum Segen sie wirkten, sind die Fürstin Pauline zu Lippe, welche achtzehn Jahre lang (1802–20) als Vormünderin ihres Sohnes das kleine Ländchen musterhaft regierte, und selber Napoleon so viel Achtung abgewann, daß er ihr Gebiet verschonte,[6] und jene Landgräfin Karoline von Darmstadt, von welcher Wieland wünschte, daß sie über Europa herrschen möchte. Und wie könnte ich aus der neuesten Zeit die edle Königin Louise von Preußen unerwähnt lassen, deren entschlossene Begeisterung für die Wiedererhebung des niedergeworfenen Vaterlandes die Unentschlossenheit manches männlichen Geistes beschämte und überwand?

Auch in noch weit größeren Verhältnissen, als Selbstherrscherinnen auf den mächtigsten Thronen, haben sich Frauen ihrer hohen Aufgabe gewachsen gezeigt, und in der Geschichte einen ebenbürtigen Platz neben den Männern, ja vor vielen dieser, behauptet. Die Regierungen einer Elisabeth von England und einer Katharina II. von Rußland ließen männliche Kraft, Umsicht und Entschlossenheit nicht vermissen, und gehören in vielen Beziehungen zu den glänzendsten Blättern in den Annalen jener Länder. Dennoch verleugnete sich die Schwäche des weiblichen Naturells in keiner jener beiden Fürstinnen – und freilich rechnet auch die Geschichte mit Frauen strenger, als mit Männern, mit den gekrönten so gut wie mit den ungekrönten. Ungern mag sie schon die Liebesintriguen, denen sich auf das Rücksichtsloseste die russische Selbstherrscherin, mit etwas mehr Zurückhaltung die jungfräuliche Königin von England hingab, sowie die Grausamkeit übersehen, womit Beide ihre ungetreuen oder lästig gewordenen Liebhaber behandelten (obgleich Männer auf Thronen sich vielfach noch Schlimmeres gestattet haben); auf häßlichere Flecken in dem Bilde jener beiden fürstlichen Frauen sind der von der einen unter den mißbrauchten Formen des Rechts an einer Nebenbuhlerin (Maria Stuart) verübte Mord, und die von der anderen durch Intriguen der unwürdigsten Art herbeigeführte Zerrüttung des Nachbarreichs Polen.

Die[WS 2] Dritte in der Zahl der berühmten großen Selbstherrscherinnen, Maria Theresia, hat sich weder durch so glänzende Eigenschaften, wie Elisabeth und Katharina, ausgezeichnet, noch mit ähnlichen Verirrungen und Verbrechen, wie jene, befleckt. Den Anfang ihrer Regentenlaufbahn bezeichnete sie durch eine ächt weibliche Heldenthat, indem sie, die junge, kaum auf den Thron gelangte Herrscherin, ringsum von Feinden bedrängt, welche ihr das Erbe ihrer Väter und ihrem kleinen Sohn den Thron, für den sie ihn geboren, rauben oder doch schmälern wollten, sich in die Mitte ihrer getreuen Ungarn begab und diese durch ihren Anblick, durch die entschlossenen Worte, die sie zu ihnen sprach, und durch die Hinweisung auf das Kind, das sie auf ihren Armen trug, zu allgemeiner Begeisterung für ihre Sache entflammte. In der Regierung ihrer Staaten zeigte sie zwar nicht die geniale Schöpferkraft einer Elisabeth oder Katharina, aber mit sorglicher Umsicht und gestützt auf den Rath wohlgewählter Minister, suchte sie wenigstens die materiellen Kräfte ihrer Länder möglichst zu entwickeln, die Gesetzgebung zu ordnen, Wohlstand und Zufriedenheit zu verbreiten. Leider vereitelte die Erfüllung dieser wohlmeinenden Absichten zum großen Theil der schädliche Einfluß ihrer bigotten geistlichen Rathgeber, der Jesuiten, gegen die sie eine Schwäche bewies, welche wir als einen Ausfluß ihres weiblichen Naturells bezeichnen würden, wenn nicht auch männliche Throninhaber sich einer gleichen Schwäche vielfach schuldig gemacht hätten. Eher möchte als weiblicher Eigensinn an ihr zu tadeln sein, daß sie ihrem großen Sohn Joseph, dessen aufgeklärte Ideen freilich mit den ihrigen nicht sehr im Einklange standen, bis in sein reifstes Alter hinauf, und selbst noch dann, als er schon längst die Kaiserkrone des deutschen Reichs trug, [490] von der Theilnahme an der Regierung seiner Erbstaaten eifersüchtig und herrisch ausschloß. Als Frau und Gattin steht Maria Theresia tadellos und um so glänzender da, als der Geist ihrer Zeit und das Beispiel ihrer gekrönten Genossinnen, namentlich der gleichzeitigen Katharina, auch ein minder strenges sittliches Verhalten an ihr entschuldbar würden erscheinen lassen. Wir haben darüber ein unverwerfliches Zeugniß in den Aufzeichnungen der bekannten Romanschriftstellerin Caroline Pichler, deren Mutter Kammerdame der Kaiserin war und welche selbst als Kind sich viel in der Umgebung jener hohen Frau befand. Dieselbe versichert in ihren „Denkwürdigkeiten“ (im 1. Band), daß Maria Theresia, obschon eine der schönsten Frauen ihrer Zeit, doch von Eitelkeit, Gefallsucht und Galanterie gegen andere Männer als ihren Gemahl durchaus fern gewesen sei. Sie hatte diesen, einen Prinzen aus einem weder reichen noch mächtigen Hause, rein aus Neigung gewählt und blieb ihm unwandelbar treu, obgleich er diese Liebe und Treue nicht durch die gleiche Beharrlichkeit lohnte, sondern durch mehrfache Galanterien ihr Kränkungen bereitete, die sie eben so würdig als sanft ertrug[7].

Leider hat, neben jenen durch Geist und Charakter ausgezeichneten Herrscherinnen, die, wenn schon von Fehlern nicht frei, doch auch durch große Eigenschaften ihre Throne zierten und den glänzenden Beweis lieferten, daß, bei günstiger Naturanlage und kräftigem Willen, Frauen mit den Männern selbst in der Erfüllung der schwersten Regentenpflichten und der Ausführung der größten Thaten wetteifern können, die Geschichte auch von solchen zu erzählen, welche auf den Thron, den das Schicksal ihnen bestimmte, weit mehr die Schwächen, als die Tugenden, des weiblichen Charakters mitbrachten und selber die bedeutenden Kräfte ihres Geistes oder Willens entweder ungenutzt für ihre Völker vergeudeten oder zu falschen und verbrecherischen Absichten verwendeten. Dahin gehört z. B. jene Christine von Schweden, Gustav Adolph’s Tochter, die das herrliche Erbe, welches ihr großer Vater ihr in einem zu Ruhm und Macht erhobenen Reiche und einem Glauben, den er mit seinem Blute besiegelt hatte, hinterließ, mit kindischem Trotze und Leichtsinn verzettelte und von sich warf, ihre Krone aufgab, um unbeschränkter ihren Launen leben zu können, und ihren väterlichen Glauben abschwor, um in dem Prunke und der Ueppigkeit römischen Wesens zu schwelgen. Die häßlichsten Seiten weiblichen Charakters, die verblendete Leidenschaftlichkeit der Eifersucht, die kleinliche Rachgier und die eigensinnige Verschmähung jedes besseren Rathes – zeigte sie bei dem grausamen Morde ihres ehemaligen Günstlings Monaldeschi, dessen blutiges Schicksal Geschichte und Poesie aufbewahrt haben[8], ihr zur unvergänglichen Schande. Was half es, daß sie gelehrte Studien trieb und sich mit Gelehrten umgab, wenn die Bildung des Geistes nicht einmal an ihrem Frauenherzen den veredelnden Einfluß zu entfalten vermochte, den sie, nach dem Ausspruche des alten Dichters, selber bei Männern bewähren muß: „Die Sitten zu mildern und die Grausamkeit zu verbannen?“

Die allerneueste Zeit hat uns von Fraueneinfluß auf oder neben dem Throne sehr widersprechende Beispiele kennen gelehrt. Wir haben durch weibliche Leidenschaften und Schwächen ein von Natur vielfach begünstigtes Land in Verwirrung gestürzt und an den Rand eines blutigen Bürgerkrieges gebracht gesehen; wir sehen aber auch auf dem Throne des glücklichen britischen Inselreiches eine Königin, mit allen Tugenden einer solchen und allen Liebenswürdigkeiten einer Frau geschmückt, nicht so hervorragend vielleicht in den künftigen Annalen der Geschichte, als ihre große Vorgängerin Elisabeth, weil die Zeit und die Verfassung ihres Landes ihr ein ähnliches persönliches Eingreifen in den Gang der Ereignisse nicht nahelegt, ja nicht einmal gestattet, allein in anderer Weise ein ebenso merkwürdiges, in gewisser Hinsicht noch seltneres Beispiel weiblicher Größe gebend, indem sie[WS 3] das, was dem Weibe in so ausgezeichneter Stellung wohl noch schwerer fällt, als die Entwickelung männlicher Entschlossenheit und Selbstständigkeit, die Verleugnung jedes Eigenwillens, der gegen die Gesetze und die Wohlfahrt ihres Landes verstoßen würde, mit bewundernswürdiger Entsagung und Selbstbeherrschung leistet, dabei ein Muster für ihr Volk in Einfachheit der Sitten, treuester Gattenliebe und sorglichster Erfüllung ihrer Mutterpflichten.

[666]
V.
Der Erziehungsberuf der Frauen.

Kehren wir aus diesen weiteren Kreisen der Wissenschaft und des Lebens, wo die Frau gleichsam nur wie ein Gast vereinzelt bisweilen einspricht, zurück zu jener engsten und eigentlichsten Sphäre weiblicher Beruftsthätigkeit, in die stillen Räume des Hauses, so finden wir hier noch ein Feld der Wirksamkeit für die Frauen erschlossen, dessen liebevolle, sorgsame und dann gewiß auch erfolgreiche Bebauung das ächte Weib für die Entbehrung aller weitergreifenden Lebensrichtungen vollkommen entschädigt, ja, in den meisten Fällen gar nicht an solche denken lassen wird. Es ist dies der Beruf der Erziehung, der körperlichen, geistigen und sittlichen Ausbildung des nachwachsenden Geschlechts. Die Wirksamkeit der Frauen auf diesem Felde kann schon in ihrer jetzigen Ausdehnung eine unendlich fruchtbare und lohnende sein, wenn sie die ihr gesteckte Aufgabe ganz erfüllt; sie ist aber auch noch mannigfacher Erweiterung und Entwickelung fähig. Wie viel, wie unberechenbar viel vermag schon eine wohlgeleitete körperliche Pflege des Kindes von seinen ersten Lebensstunden an bis dahin, wo dasselbe der Fürsorge des Aelternhauses entwachsen ist, für dessen ganzes künftiges Lebensglück, für sein körperliches Wohlsein, für sein gemüthliches Behagen, für die kräftige Ausbildung seiner Geistesanlagen und somit für seine einstige Stellung und Wirksamkeit in der Welt auszurichten! Und diese Pflege ist, der Natur der Sache nach, vorzugsweise, ja beinahe ausschließlich den Händen der Frauen anvertraut, ihrer verständigen Sorgfalt überantwortet. Was die geistige Bildung der Kinder anbetrifft, so kann die Frau, wenn sie guten Willen, Eifer und eigene Vorbildung genug dazu mitbringt, einen wichtigen und weitreichenden Antheil daran haben. Ihr fällt naturgemäß der ganze erste Unterricht des Kindes zu, der mehr zufällig als planmäßig, mehr anregend als festhaltend, mehr in die Breite als in die Tiefe gehend sich verhält. Hier ist die leichte Beweglichkeit des Frauengeistes, ihre feine und sinnige Beobachtungsgabe für das Nächste und Unmittelbarste, ihr praktischer Sinn und ihre Ordnungsliebe recht am Platze. Im fortwährenden Umgange mit dem Kinde, welches sich in diesem früheren Alter vorzugsweise gern und mit Vertrauen an die Mutter oder ein anderes weibliches Wesen anschließt, kann die gebildete Frau beiläufig, mitten unter anderen Geschäften, dem kindlichen Geiste eine Menge für ihn passender und fruchtbarer Vorstellungen beibringen, kann ihn zum eignen Denken und Beobachten anleiten. Sie braucht dazu kaum etwas Anderes, als die von Natur rege Wißbegier des Kindes recht zu befriedigen und zu leiten, auf seine nie ermüdenden Fragen ebenso unermüdlich, aber auf die rechte Weise, zu antworten, nicht zu viel und nicht zu wenig, vor Allem so, daß das Kind ganz verstehe, was ihm gesagt wird, und daß ihm nichts gesagt werde, was es durch eignes Nachdenken und Sichbesinnen herausbringen kann.

Auch für die Anfänge eines planmäßigen wissenschaftlichen Unterrichts dürften die Frauen, bei genügender eigner Vorbildung, wohl geschickt sein, und gewiß wäre es als ein wichtiger Fortschritt zu begrüßen, wenn ein Theil dieses Unterrichts auf solche Weise aus der öffentlichen Schule in das Haus, dem er jetzt allzu sehr entfremdet ist, zurück verlegt werden könnte. In Nordamerika sollen die Mütter den Unterricht, nicht blos der Töchter, sondern auch der Söhne, und zwar selbst in manchen streng wissenschaftlichen Fächern, in Mathematik und Naturkunde, bis zu einem gewissen Punkte mit glücklichem Erfolge übernehmen. Bei uns hat man wenigstens angefangen, den Frauen einen Theil von dem, was ihnen gebührt, zurückzugeben und die Uebertragung des Unterrichts der weiblichen Jugend an weibliche Lehrerinnen in größerem Umfange als bisher anzubahnen. In England ist dies bereits in umfänglicherem Maße geschehen, und eine wohlthätige Folge davon scheint die vertraute Bekanntschaft mit den Erscheinungen und Vorkommnissen des täglichen praktischen Lebens zu sein, welche dort die Jugend beiderlei Geschlechts besitzt.

Unendlich wichtig ist der Einfluß, den das weibliche Gemüth auf die Entwickelung des Charakters und des ganzen Seelenlebens der ihr anvertrauten oder nahestehenden Jugend ausüben kann. Von den Mädchen versteht sich von selbst, daß ihre Gemüths- und Charakterbildung zum allergrößten Theile das Werk mütterlichen oder jedes sonstigen weiblichen Einflusses ist. Aber auch auf die männliche Jugend kann dieser Einfluß sich sehr weitreichend äußern. Wenn es wahr ist, daß die ersten Eindrücke auf das kindliche Gemüth die stärksten und bleibensten sind (und die Erfahrung spricht allerdings dafür), so begreift sich leicht, daß der Same, der in dieser Zeit von Frauenhänden, den natürlichen Pflegerinnen der ersten Kindheit, ausgestreut wird, unaustilgbar für das ganze Leben fortwuchert – zum Guten oder Bösen – je nachdem er beschaffen war.

[667] Mit Recht hat man gesagt, daß die Frauen, ihrer Natur nach, den Kindern näher stehen. Frauen gewinnen daher auch in der Regel das Vertrauen, die Liebe und Anhänglichkeit der Kinder leichter als Männer. Frauen verstehen besser, als Männer, die Aeußerungen des kindlichen Wesens und wissen weit geschickter und tactvoller die richtigen zu unterstützen, die fehlgehenden mit leiser und weicher Hand in die rechte Bahn zurückzubeugen. Was für den sich erschließenden Kelch der Pflanze Luft und Licht sind, das ist für das kindliche und jugendliche Gemüth der warme Sonnenschein der Mutterliebe, jener höchsten, geweihtesten, segensvollsten Kraft im ganzen Menschenleben. Sie ist für den kräftigen jungen Geist das mildernde und sänftigende, für den weichen und zaghaften das stärkende und befeuernde, für den noch unklar in sich ringenden das klärende und läuternde Element, für Alle der heilige Genius, welcher sie durch das ganze Leben hindurch – nah oder fern, sichtbar oder dem irdischen Auge entzogen, wie ein heiliger Talisman schützend und segnend geleitet. Wäre uns die Jugend aller derer bekannt, welche sich später im Leben verlieren und verloren gehen, wir würden finden, daß den meisten davon jene Weihe sorgender und schützender Mutterliebe in den Jahren ihrer größten sittlichen Empfänglichkeit gefehlt hat, wie andererseits unter denen, welche sich im Leben als charakterfest und sittlich edel bewähren, wohl nur Wenige sein möchten, welche nicht diesen Vorzug hauptsächlich mütterlichem Einflusse verdankten.

Es ist vielfach und mit Recht die Bemerkung gemacht worden, daß große Männer sich in der Regel durch eine tiefe kindliche Verehrung und Liebe für ihre Mutter auszeichneten, so wie daß, wenigstens in vielen Fällen, ihr Bildungsgang einen überwiegenden Einfluß mütterlichen Geistes auf die Entwickelung ihrer Fähigkeiten oder ihres Charakters aufzeigte. Von den erstern Thatsachen bietet schon das Alterthum ein hervorragendes Beispiel dar in der kindlichen Ergebenheit jenes römischen Feldherrn Coriolan gegen seine Mutter, der zu Liebe er seinen Rachezug gegen Rom, welches ihn tief gekränkt hatte, rückgängig machte und dadurch sich selbst der Rache seiner neuen Verbündeten aussetzte. In der neuesten Geschichte ist vielleicht das hervorragendste Beispiel einer solchen kindlichen Ehrerbietung der große Kaiser Joseph II., der selbst in seinem kräftigsten Mannesalter, und als er bereits das kaiserliche Scepter über Deutschland führte, dennoch in den Angelegenheiten seiner österreichischen Erblande dem Willen seiner Mutter sich widerspruchlos unterwarf, obschon dieser Wille in den wichtigsten Punkten seinen Ansichten entgegen stand und nicht selten auf eine für ihn demüthigende Weise sich geltend machte. Was den Antheil mütterlichen Einflusses an der Bildung großer Männer betrifft, so ist hier vor Allem an Goethe zu erinnern und an die Frau Rath Goethe, deren mächtige Eigenthümlichkeit in ihrer Verwandtschaft mit dem Genie ihres großen Sohnes und in ihrem bedeutenden Einfluß auf diesen Bettina in ihren Gesprächen mit der Frau Rath Goethe[9] so bezeichnend geschildert hat.

Im Hinblick auf diese weitreichende Macht, welche die Frauen und namentlich die Mütter, auf die Geistes- und Charakterbildung des nachwachsenden Geschlechtes, und somit auf die ganze Zukunft der Menschheit bis in die fernste Zukunft hinaus zu äußern vermögen, kann man auf sie mit Recht jenes Wort anwenden, welches Schiller von den Künstlern gesagt:

„Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben,
Bewahret sie!
Sie sinkt mit Euch, mit Euch wird sie sich heben.“


  1. Artikel 2 und folgende werden enthalten: Die Frau im Hause, in der Gesellschaft und im praktischen Lebensverkehr. – Die Frauen in der Literatur und Kunst. – Die Frauen auf dem Gebiete der Wissenschaft und Religion. – Der Erziehungsberuf der Frauen.
  2. Wir denken hierbei namentlich an die trefflichen Biographien Schiller’s von Caroline von Wolzogen und Herder’s von seiner Gattin.
  3. Die einzelnen Abschnitte des kleinen Büchleins besprechen – unter den Aufschriften: „kleine Pflichten“, „kleine Sorgen“ u. s. w. – alle wesentlichen Vorkommnisse des täglichen menschlichen Lebens und knüpfen an dieselben philosophische Gedanken und Rathschläge.
  4. S. die Nummer 10, 14 und 17 d. J.
  5. Ich mache hierbei auf die interessante kleine Schrift von Wachsmuth, „Weimars Musenhof von 1772–1807“ aufmerksam.
  6. Sie legte ihre Ansichten über weiblichen und fürstlichen Beruf auch schriftlich nieder in der „Theestunde einer deutschen Fürstin“ in der Zeitschrift „Iduna“ (1805).
  7. Nach dem Tode ihres Gemahl sagte sie zu der letzten Geliebten desselben, einer Fürstin Auersperg: „Liebe Fürstin, wir haben viel verloren.“
  8. Letzteres z. B. in dem Trauerspiel gleichen Namens von Laube. In unbefangener und heiterer Gestalt hat den Eigenwillen und die leichte Entzündbarkeit des Herzens der jungen schwedischen Monarchin das Lustspiel: „Die Königin von sechzehn Jahren,“ zur Anschauung gebracht.
  9. In der schon oben angeführten Schrift: „Dies Buch gehört dem König.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: diplomalischen
  2. Vorlage: Der
  3. Vorlage: sei