Vom „echten“ Dialekt in der Dichtung

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Autor: Johannes Proelß
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Titel: Vom „echten“ Dialekt in der Dichtung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 512–515
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Vom „echten“ Dialekt in der Dichtung.

Glossen zu einer alten Streitfrage.
Von Johannes Proelß.

Die Freude an der Darstellung des wirklichen Lebens in ungeschminkter Frische und in dem vollen Farbenreiz der Natur hat in der modernen Dichtung dem Dialekt zu einer Rolle verholfen, welche die Litteratur früherer Epochen niemals gekannt hat. Kaum wird heutzutage noch eine Dorfgeschichte geschrieben, in welcher nicht die Mundart einer besonderen Landschaft zur Darstellung gelangte, ja selbst der Gassendialekt unserer Großstädte ist längst „litteraturfähig“ geworden und zählt für die meisten Romanschriftsteller der Gegenwart zu den berechtigten Mitteln poetischer Charakteristik.

Aber so allgemeiner Beliebtheit die Dialektdichtung und der Dialekt im Roman sich gegenwärtig erfreuen, so selten findet irgend eine Schöpfung dieser Art auch allgemeine Anerkennung in Bezug auf die Echtheit des darin angewandten Dialektes. Eine jede stößt auf hochnotpeinliche Kritiker, die mit unbarmherziger Schärfe oder höhnischem Spott die „Unechtheit“ desselben nachweisen. Und das ist keine neue Erscheinung. Bereits den ersten hervorragenden Versuchen, den deutschen Mundarten das alte Heimatrecht in der poetischen Litteratur zurückzuerobern, ist es so ergangen. Fast alle berühmten Dialektdichter dieses Jahrhunderts, deren Werke in den festen Besitzstand unserer Nationallitteratur übergingen, die großen Bahnbrecher Hebel und Reuter nicht ausgenommen, hatten darunter zu leiden. Schon daraus läßt sich schließen, daß die Veranlassung dazu im Wesen des Dialektes selbst liegen muß.

Und in der That! Schon die Bezeichnung „Mundart“ weist darauf hin. Im Unterschied zur Schriftsprache haben die landschaftlichen Dialekte jahrhundertelang im Munde der Leute volle Freiheit genossen, ohne sich den Fesseln schriftlicher Aufzeichnung fügen zu müssen. Das hat ihnen ihre Ursprünglichkeit, Bildlichkeit und Frische bewahrt, sie aber auch mit jenen eigenartigen Lautgebilden durchsetzt, die sich einer genauen Wiedergabe durch die Schriftzeichen unseres Alphabetes zumeist entziehen. Fast jeder deutsche Volksdialekt hat gequetschte Vokale, verschliffene Doppelkonsonanten, unklare Diphthonge, die sich mit unseren Schriftzeichen nur andeuten lassen. Je mehr man sich aber bemüht, durch zusammengesetzte Vokale, Dehnungszeichen oder gar neuerfundene Buchstaben dem Klange eines besonderen Dialektes gerecht zu werden, um so schwieriger wird die Lektüre auch für den, welcher durchs Gehör mit dem Dialekte vertraut ist.

Darum ist die volle Echtheit irgend einer Mundart in schriftlicher Aufzeichnung von vornherein ein Ding der Unmöglichkeit. Auch derjenige Dichter, dessen künstlerischer Zweck mit der Absicht zusammenfällt, einen besonderen Dialekt recht genau wiederzugeben, wird sich darin Beschränkungen auferlegen müssen. Wie aber, wenn der Dichter für seinen Zweck gar nicht diese Genauigkeit braucht? Wenn er die Mundart z. B. nur anwendet, um in einer hochdeutschen Erzählung bestimmte Personen als Kinder einer besonderen Volksart zu charakterisieren und damit den unmittelbaren Eindruck der Lebenswahrheit des Erzählten zu erhöhen? Wenn er dabei vor allem verstanden sein will von recht vielen – auch solchen, die außerhalb der Grenzpfähle des angewandten Dialektes wohnen? In den Zwiespalt versetzt, wie Rosegger sagt, zwischen der Absicht, die Mundart genau wiederzugeben, und dem Bestreben, sie für weitere Kreise leserlich und verständlich zu machen, wird er die Rücksicht auf die Leichtverständlichkeit sich zur Richtschnur nehmen. Und er wird damit unbewußt dem Rate folgen, den schon Goethe erteilte, als ihm Hebels „Alemannische Gedichte“ als etwas Neues entgegentraten. Er spendete Hebel in der „Jenaer Litteraturzeitung“ hohes Lob wegen der reizvollen Frische und poetischen Anschaulichkeit dieser Lebensbilder aus der anmutigen Gegend, durch welche die liebliche Feldbergtochter, die Wiese, dem Rheine entgegeneilt. Rückhaltslos gab der Dichter von „Hermann und Dorothea“ auch zu, daß die „behagliche naive Sprache“, deren sich Hebel bedient habe, für dessen Zwecke „vor unserer Büchersprache“ unbedingte Vorzüge habe. Aber am Schlusse bedauert er doch, daß die für das mittlere und nördliche Deutschland seltsame Sprache und Schreibart ein Hindernis sei, um die ganze Nation an dem Genuß teilnehmen zu lassen. Und so sprach er den Wunsch aus, daß dies Hindernis einigermaßen gehoben werde durch Annäherung des Dialektes an die gewohnte Schreib- und Sprechweise.

Hebel benutzte den Wink und unterwarf die Alemannischen Gedichte einer Ueberarbeitung, die auf den erweiterten Leserkreis durch manche „Annäherung“ an das Schriftdeutsche Rücksicht nahm, und der Erfolg dieser neuen Auflage gab ihm und dem Altmeister recht. Aber damit war auch das Signal für die Entfesselung des Streites gegeben, der sich seitdem stets wieder erneut hat, sobald es einem deutschen Dialektdichter gelang, jenseit der Grenzen seiner Mundart für seine Dichtungen reges Interesse zu finden. Die alten Freunde der Gedichte in Hebels engerer Heimat zeigten sich mit den Aenderungen durchaus nicht einverstanden, und man forderte von ihm die Wiederherstellung der Lesarten der ersten Auflage, weil sie viel „echter“ gewesen seien. Hebel beharrte auf seinem Standpunkt. Er empfand, daß es leichter und lohnender sei, dem großen, Schriftdeutsch redenden Publikum entgegenzukommen als alle Ansprüche der alemannisch redenden Landsleute zufriedenzustellen. Hat doch der alemannische Dialekt in jedem Schwarzwaldthal seine besonderen Eigentümlichkeiten, die schon im Nachbarthal als fremdartig berühren, und so war es unvermeidlich, daß die besondere alemannische Sprechweise, die im Thal der Wiese daheim ist, kritisch gespitzten Ohren, die eine andere Abart des Dialektes für den einzig richtigen hielten, Anlaß zu allerhand Einwand bot. Berthold Auerbach, der [514] Dichter der „Schwarzwälder Dorfgeschichten“, ging von vornherein dieser Gefahr aus dem Wege. Wie er in der Charakteristik seiner Personen keineswegs nur die besondere Art der Bewohner seines Heimatortes Nordstetten, sondern das für den Schwarzwaldbauern Allgemeintypische schildern wollte, so „behielt er die Eigentümlichkeiten des Dialektes und der Redeweise“ nur insoweit bei, als das wesentliche Gepräge derselben damit dargethan wird. Seine „Dorfgeschichten“ sollten nicht nur Darstellungen aus dem Volksleben, sondern auch „bildende Vorschriften“ sein. Er stellte den Satz auf, daß der Mann aus dem Volke, der in Büchern Bildung sucht, sich gern in der Sprache angeredet sieht, die nun einmal die des gebildeten Lebens ist. Das hat man ihm im Lager der Dialektfreunde sehr übelgenommen, und A. Holder in seiner „Geschichte der schwäbischen Dialektdichtung“, durch die man einen reichen Einblick in die vielen Unterarten der schwäbische Mundart gewinnt, hat den Wert der „Dorfgeschichten“ als Dokumente der Volkskunde ziemlich gering taxiert.

Zog es Auerbach um der bildenden Wirkung seiner Schriften vor, den Dialekt nur im Dialog seiner Bauern und da auch nur andeutend zu verwenden, so hat Herman Schmid, der treue Mitarbeite der „Gartenlaube“ in früheren Jahrzehnten, welche dem Leben im deutschen Hochgebirge die Stoffe zu seinen fesselnden Romanen entnahm, nur um der Gemeinverständlichkeit willen die gleiche Zurückhaltung geübt. Ihre Nachfolger in der Kunst der Schilderung landschaftlicher Besonderheit sind dagegen auch in Anwendung der Mundart meist realistischer verfahren, und daraus ergab sich für sie ein neuer Uebelstand: das Publikum erhielt aus demselben Landschaftsgebiet Erzählungen mit ganz verschieden gefärbtem Dialekt und es erhob sich nun die Frage, welche Schreibweise ist die rechte? Die Wenigsten ahnen ja, welche Mannigfaltigkeit an Unterarten ein jeder Dialekt besitzt. Der Pusterthaler spricht anders wie die Leute im Isarwinkel, die Bürger von Meran und Bozen haben eine andere Aussprache und viele andere Ausdrücke wie die In- und Umwohner von Innsbruck. Der Dialekt, in welchem der Meraner Karl Wolf seine Bergler Bauern reden läßt, weicht daher auch ab von demjenigen, in dem sich die Unterinnthaler von Greinz unterhalten, wie von dem Oberbayrisch, das die Leute in Ganghofers so farbenechten Berchtesgadener Romanen sprechen. Anzengruber schrieb einen anderen Dialekt als Rosegger, obgleich beide uns oberösterreichische Gebirgsbewohner vorführen. Doch beide haben sich dabei ganz wie die vorher Genannten im Sinne von Goethes Wunsch „dem Schriftdeutschen“ genähert. Anzengruber in höherem Grade als Rosegger. Der Dichter des „Pfarrers von Kirchfeld“, der wohl von allen Dialektdichtern die tiefsten poetischen Wirkungen ausgeübt hat, sagte von sich, wie uns sein Biograph Anton Bettelheim bezeugt hat, daß er „nur ein halber Dialektdichter“ sei, denn schon als Dramatiker habe er darauf Bedacht zu nehmen, der Mehrheit der Menge verständlich zu bleiben. „Weil ich aber inmitten des Schilderns und Schaffens die Dialekte selber anklingen höre, so gebe ich diese Anklänge voll oder schwach, wie sie sich just bemerkbar machen“. Anzengruber war ein geborener Wiener, doch sein Vater stammte aus Oberösterreich; er hatte also seine Mundart aus zweiter Hand. Machte man ihm Vorhaltungen über Inkorrektheiten, so erwiderte er. „Das is mir alles ans, i schreib amal so und net anders!“ Rosegger, der sich in den Vorreden zu seinen „Schriften in steirischer Mundart“ über diese Fragen recht eingehend ausgesprochen hat, bekennt dort, daß er sich gleich anfangs von der Absicht habe leiten lassen, seinen Lesern das Lesen und Verstehen recht leicht zu machen. Später habe er sich etwas strenger in den einzelnen Ausdrücken und im Satzbau an die Mundart seiner besonderen Heimat gehalten. Dennoch, so sagt er im Geleitwort zur zweiten Auflage seiner Gedichte „Zither und Hackbrett“, werde der Leser auch in letzterer scheinbar sich widersprechende Abweichungen finden, die wie Inkonsequenz aussehen. Dazu bemerke er, daß schier in jedem Thale seines Berglandes die Mundart der Bewohner ihre Eigentümlichkeit habe. „Die Dichtungen sind nicht bloß an verschiedenen Orten, sondern auch zu sehr verschiedenen Zeiten entstanden, die einen beziehen sich auf ein jüngeres, die anderen auf ein älteres Geschlecht, die einen waren ursprünglich für einen engeren, die anderen für einen weiteren Kreis berechnet. Das sind die Gründe der abweichenden Schreibweise. Jede der Schreibweisen ist in ihrer Art richtig.“

Wenn aber schon ein verhältnismäßig enger Bezirk, wie das weltabgelegene Waldgebirge der Steiermark, so viel verschiedene Schattierungen des einen steirischen Dialektes aufweist, um wieviel mehr muß dies der Fall sein, wenn es sich um ein so großes, breites Sprachgebiet handelt wie das der plattdeutschen Sprache, die von Haus aus eine ebenbürtige Schwester des Hochdeutschen war und welche mehr als hundert Dialekte umfaßt. Gehört doch diesem Sprachgebiete, in welchem seit dem Siege der Lutherschen Bibelsprache die Gebildeten freilich meist hochdeutsch reden, eine ganze Reihe großer Handelsstädte mit tausendjährigem Weltverkehr an und ist doch auch die ländliche Bevölkerung, soweit sie am Meeresstrande wohnt, vielfältiger Berührung mit fremdem Schiffer- und Fischervolke ausgesetzt! Kein Dialekt aber bleibt von solchem Verkehr unberührt. Das Plattdeutsch, in dem ein Vierländer Gemüsebauer mit den Hamburger Köchinnen feilscht, ist gar verschieden von dem, welches der einsame Bienenzüchter in der Lüneburger Heide mit den Seinen redet. Die Ausdrucksweise eines friesische Fischers weicht erheblich von den wiederum untereinander sehr verschiedenen Mundarten ab, die in den Gesindestuben der Bauerngüter von Holstein, Mecklenburg, Pommern, Ost- und Westpreußen heimisch sind. Und welche Abstufungen erlebt nun gar jede Volksmundart in den Städten durch die verschiedenartigste Mischung derselben mit dem Hochdeutschen je nach Herkunft, Bildung, Altansässigkeit oder Zugewandertheit der Bewohner!

So war es daher nur natürlich, daß der holsteiner Lyriker Klaus Groth in seinem „Quickborn“ ein ganz anderes Platt schrieb als der mecklenburger Humorist Fritz Reuter, und ferner, daß der erstere, der für seine Lyrik eine einheitliche und rein gestimmte Mundart brauchte, mit seinem heimatlichen Dialekt anders verfuhr als Reuter in seinen Erzählungen, in welchen fast immer Vertreter der verschiedensten Bildungsschichten nebeneinander auftreten. Heute sieht dies jeder Billigdenkende ein. Als Reuters „Läuschen und Rimels“ erstmals erschienen waren, fand jedoch sein Platt in anderen Gegenden des niederdeutschen Bodens lebhafte Beanstandung. Er erschien in Westfalen, in Holstein vielen als „unecht“, und Klaus Groth brachte diese Kritik in scharfer Weise zum Ausdruck. Reuter, schwer gereizt, antwortete darauf in einer noch schärferen Streitschrift und legte ferner seinen Standpunkt, der für die „Ollen Kamellen“ maßgebend wurde, in der Vorrede zur vierten Auflage der „Läuschen und Rimels“ dem größeren Publikum dar. Er bedauerte die buntscheckige Verschiedenheit der plattdeutschen Idiome, die es mit sich bringe, daß jedes plattdeutsche Buch sogar in vielen Gegenden Niederdeutschlands fremdartig berühre. Er wies aber energisch das Ansinnen zurück, daß irgend einer dieser Dialekte verlangen dürfe, in Zukunft für alle plattdeutschen Dichter als maßgebendes Vorbild zu wirken. Er wies auf die Zeiten zurück, in welchen noch jene gemeingültige plattdeutsche Schriftsprache geherrscht habe, auf die alle heutigen plattdeutschen Dialekte zurückweisen. Was jede von diesen mit der alte Schriftsprache gemeinsam habe, das solle nunmehr jeder plattdeutsche Schriftsteller als das Charakteristische herausarbeiten. „Wir müssen das Unwesentliche über Bord werfen und das Zufällige der Aussprache dem Leser überlassen.“ Mit der neue Ausgabe seiner kleineren Dichtungen habe er den Anfang gemacht. Er wisse, daß man ihm mit Recht viele Inkonsequenzen vorwerfen könne, aber das schade nicht. Er fühle, daß er auf gutem Wege sei, denn er liebe seine Sprache mehr als seinen Dialekt. Er hätte hinzufügen können, ihm sei die poetische Treue in der Charakteristik wichtiger als philologische Accuratesse – und wir wissen, daß, weil dies so war, er alle anderen plattdeutschen Erzähler hinter sich gelassen hat in seiner Wirkung auf die ganze Nation.

Die Leser der „Gartenlaube“ werden bei der Erörterung diese Frage gewiß gern auch erfahren, welche Stellung zu ihnen derjenige Dichter einnimmt, dem unser Blatt in den letzten Jahren die so lebensechten Hochlandsromane „Der Klosterjäger“, „Der laufende Berg“ usw. zu danken gehabt hat. Auch Ludwig Ganghofer sind nicht Beanstandungen der Echtheit seiner mundartlichen Schreibweise erspart geblieben. Erst kürzlich hatte ich Gelegenheit, mit ihm eingehend über diese Lebensfrage seines Dichtens zu sprechen.

„Ich habe“, so führte er aus, „in meinem ersten Werke [515] im Herrgottschnitzen, den Dialekt möglichst getreu zu schreiben versucht, doch bin ich im Laufe der Jahre immer mehr davon abgekommen, einmal, weil ich erkannte, daß es ohne Aufwand eines großen Apparates von Schriftzeichen überhaupt unmöglich ist, den Dialekt richtig zu schreiben, und dann, weil ich die Erfahrung machte, daß durch strenge Dialektschreibung die Wirkung eher gestört als gefördert wird. Hauptsache ist, daß die der Volkssprache eigentümliche Wort- und Satzstellung gewahrt wird. Ist dann der Dialekt auch nur leise angedeutet, so wird ihn der Kenner trotzdem richtig lesen – und für jenen Leser, dem der Dialekt nicht geläufig ist, wird er gerade dadurch vollkommen verständlich sein und dabei noch immer genügend Farbe und eigenartigen Reiz haben. Es genügt für Kenner und Nichtkenner in gleicher Weise, wenn das folgende Schnaderhüpfl geschrieben wird:

„Jetzt hab i noch sechs Kreuzer,
Die g’hören mein und dein,
Drah di, Weiberl, drah di,
Versuffen müssen’s sein!“

Sollte dieser Vierzeiler ganz treu im Dialekt geschrieben werden, so ist folgende Anleitung vorauszuschicken:

ê bedeutet einen Laut zwischen e und a
à einen Mittelton zwischen a und o,
é einen Laut zwischen e und ö,
á lautet wie aah, ganz offen,
o~, ei~, e~ haben bei verschlucktem ch oder n einen nasalen Klang.

Und dann wäre zu schreiben:

Jêtzt hàb i no~ séx kreuzê,
dé ghör’n mei~ und dei~,
drá di, Wáwél, drá di,
vêrsuffe~ müêssn s’ sei~!

Ein ganzes Buch in solcher Schreibart lesen zu müssen, wäre für den Leser eine nutzlose Marter, und dabei ginge jede dichterische Wirkung gründlich verloren. Es ist eine absolute Notwendigkeit, Kompromisse zwischen Dialekt und Schriftdeutsch zu schließen, und es muß dem Dialektschriftsteller frei überlassen bleiben, wie weit er mit Rücksicht auf die zu erzielende Wirkung bei diesem Kompromisse gehen will.

Aus seinem Verkehr mit dem zu früh gestorbenen oberbayrischen Lyriker Karl Stieler machte mir Ganghofer weiter sehr bezeichnende Mitteilungen. Er knüpfte dabei an den Unterschied an, der zwischen der lyrischen Dichtung und der Erzählung dem Dialekt gegenüber besteht. Er sagte: „In der Prosa kommt jeder Dialektschriftsteller nach jahrelangem Probieren und Wählen schließlich zu einem System der Dialektschreibung, an dem er festhält, weil es ihm für alle Fälle genügt. Schwieriger gestaltet sich aber die Sache in der poetischen Form, wo die Pointierung des Reimes einen strengeren Dialekt verlangt, der aber dann wieder wie eine eiserne Kette die freie Beweglichkeit des Ausdruckes einschränkt. Karl Stieler klagte mir gegenüber häufig und ärgerlich über den endlosen Kampf, den er bei seinen oberbayrischen Gedichten mit der Schreibart des Dialektes führe; er wolle und müsse so echt sein wie möglich, die Rücksicht auf das allgemeine Verständnis zwänge ihn aber doch zu Milderungen, und öfter, als ihm lieb wäre, müsse er bewußte Inkonsequenzen begehen, wenn er nicht ein gutes Wort oder einen glücklichen Einfall opfern, oder bei irgend einer Situation in gequälte Darstellung verfallen wolle. Derartigen Inkonsequenzen begegnet man in der That fast bei jedem seiner so köstlichen Gedichte. So schreibt er z. B. die Dialektform des Schriftwortes ’hinein’ in dreifacher Weise, sogar in einem und demselben Gedichte auf doppelte Art. In dem Gedichtchen „Wo der Haber so theuer is“ heißt es:

’Sieb’n Guld’n die paar Stund da ’nein?
So dumm wird do’ wohl Niemand sein?’

Und drei Zeilen später heißt es:

’Jetzt geh’ i halt schön langsam eina,
Auf oanmal radelt’s hinter meina …,’

Und in dem Gedichte ‚Der Floßknecht’ heißt es:

’So hock ma drinna unser neuni,
Drei Stund san no’ auf Lenggries eini!’

Die erste Form ist Münchner Dialekt, die dritte ist echter Gebirgsdialekt, und im zweiten Falle hat Stieler, dem Reime zuliebe, sogar einen sprachlichen Schnitzer gewagt, denn ,eina’ bedeutet streng genommen nicht ’hinein’, sondern ’herein’. Aber keine dieser Inkonsequenzen hat die Wirkung seiner prächtigen Gedichte geschmälert – durch die Freiheit, mit welcher er den Dialekt im großen ganzen behandelte, verstand er diese Wirkung immer zu steigern.

Und warm geworden, schloß Ganghofer mit dem folgenden echt dichterischen Bekenntnis: „Es kommt nur darauf an, daß poetischer Wert in der Sache steckt, daß man die künstlerische Wahrheit achtet und bei der Darstellung einer Volksfigur mit keinem Wort die Grenzen ihres Gefühlslebens und Gedankenkreises überschreitet – ob man sie dann ,hoam’ oder ,heim’ ,nein’ oder ,eini’ sagen läßt, das ist Nebensache! Und fände einer auch eine Methode, jeden Dialekt völlig getreu und mühelos lesbar zu schreiben – wenn er dabei nicht auch als Dichter zu wirken versteht, so ist sein ganzer, echter Dialekt keinen Federstrich wert!

Ist es dennoch das Schicksal auch der größten und besten unter den eigentlichen Dialektdichtern gewesen, daß man an ihrem Dialekt allerlei auszusetzen gehabt hat, so können natürlich dem Vorwurf der „Unechtheit“ erst recht nicht jene hochdeutschen Autoren entgehen, die aus poetischen Gründen in ihren Romanen die eine und die andere Person einen bestimmten Dialekt reden lassen. Da läßt z. B. ein Wiener Autor einen Berliner auftreten und nach Mustern, die er beobachtet hat markiert er das Berlinertum in dessen Sprache. Sofort melden sich in der Reichshauptstadt die „Merker“ und kreiden ihm hurtig allerhand Verstöße gegen das „echte Berlinisch“ an. „Da hat wieder einmal ein Oesterreicher Berlinisch schreiben wollen und hat keine Ahnung davon!“ Wie vernichtend das klingt! Wer aber spricht denn eigentlich in Berlin das „echte“ Berlinisch? Die Zeiten der allgemeinen Schulpflicht, der Freizügigkeit, der Verkehrsfreiheit sind der Reinkultur des Volksdialekts in den Städten gar wenig günstig. Wie viele Leute giebt es noch in Berlin, welche naiv und unberührt vom Einfluß des Schriftdeutschen jenes „echte Berlinisch“ reden, das über die Lippen der humoristischen Volkstypen eines Glaßbrenner, eines Kalisch und Dohm so fröhlichfrech dahernäselte? Gar viele heutige Berliner sind nicht mit Spreewasser getauft und haben als Kinder eine ganz andere Mundart dem Mutter- oder Ammenmunde abgelernt. Was man im großen Leben Berlinisch nennt, ist ein unregelmäßiges Gemengsel von Schriftdeutsch und der Berliner Volksredeweise, dem noch allerlei aus anderen Dialekten beigemischt ist. Eine scharfe Dialektgrenze zwischen Gebildeten und Ungebildeten existiert längst nicht mehr. Es giebt Hochgebildete, zu deren Eigenheiten die Freude an kräftigen mundartlichen Redewendungen und der Gebrauch von solchen gehört, und Mindergebildete, deren Bildungstrieb sich nicht genugthun kann in dem Streben, ein reines Hochdeutsch zu sprechen. So giebt es anderseits Wiener und Wienerinnen, welche daheim im Verkehr mit ihresgleichen allen Dialekt vermeiden, unter Norddeutschen aber, die das gemütliche „Weanerisch“ besonders gern hören, diesen bereitwilligst den Gefallen zu thun, im Dialekt der Donaustadt zu „plauschen“. Ja, manche, denen das besonders leicht fällt und die der Humor dazu antreibt, ergehen sich dabei in drastischen Redewendungen, die in „ihren Kreisen“ daheim verpönt wären. Der Grad der „Echtheit“ ist aber immer individuell. Ein Beispiel solch einer Oesterreicherin hat neuerdings W. Heimburg im Roman „Trotzige Herzen“ geschaffen, wo die liebenswürdige Sängerin Hochleitner ein „Wienerisch“ spricht, das durch längeren Aufenthalt in der Fremde ja auch an „Echtheit“ eingebüßt hatte.

Im Plattdeutschen nennt man solche Mischung von Schriftdeutsch und Volkssprache, wie sie auch Reuters „Bräsig“ spricht „Missingsch“ Das Wort ist von Messing abgeleitet und stellt diese sprachliche Mischung in Vergleich mit der Kupfer-Zink-Legierung, welche wir Messing bezeichnen. Das Kupfer und das Zink können in sehr verschobenem Verhältnis gemischt werden – „echtes Messing“ giebt die Mischung doch! So können Schriftdeutsch und Dialekt sich im verschiedenartigsten Verhältnis vermengen, ohne daß dieses „Missingsch“ unecht wäre! Und will man jede echte ursprüngliche Mundart mit purem Golde vergleichen, so läßt sich dieser Vergleich auch auf die Ummünzung des Dialekts für den öffentlichen Verkehr ausdehnen. Wie das reine Gold erst mit Kupfer legiert werden muß, um zur Prägung in Münzen tauglich zu sein so muß auch die Mundart sich eine Legierung mit Schriftdeutsch gefallen lassen, damit sie in litterarischer Gestaltung die Runde durchs ganze Vaterland mache!