ADB:Gneisenau, August Graf Neidhardt von

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Artikel „Gneisenau, August Wilhelm Antonius Neidhart von“ von Richard von Meerheimb in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 280–293, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gneisenau,_August_Graf_Neidhardt_von&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 23:40 Uhr UTC)
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Gneisenau: August Wilhelm Antonius Neidhart v. G., wurde am 27. October 1760 in Schilda bei Torgau geboren. Der Vater war Artillerie-Lieutenant bei einem der Contingente der Reichsarmee, die im September Hülsen gegenüber gestanden, dann Wittenberg blokirt und eingenommen, sich aber bei König Friedrich II. Annäherung Ende October auf Leipzig zurückgezogen hatte. Der Vater nannte sich von Neidhart, erst in den folgenden Jahren wurde der Beiname Gneisenau, von einem früheren Besitzthum der Familie in Oesterreich ob der Ens, hinzugefügt, – als der spätere Feldmarschall 1777 auf der Universität Erfurt immatriculirt wurde, wurde er im Register als Antonius Neidhardt aufgeführt; dagegen nannte ihn die Ansbach-Bayreuthische Rangliste von 1783 Neidhardt v. G., und diesen Doppelnamen brachte er in den preußischen Dienst hinüber. Gneisenau’s Mutter[WS 1] war die Tochter des fürstbischöflich-würzburgischen Oberstlieutenants Müller[WS 2], sie war dem Manne ins Feld gefolgt, mußte aber bei dessen Abmarsche nach Wittenberg und Leipzig in Schilda, wo ihre Niederkunft erfolgte, zurückbleiben; – als Friedrich II. nahte, floh sie mit einem Theil der Bagage des Reichheeres nach Oschatz, dann nach Chemnitz. Sie wurde mit anderen Kranken auf einen Bauerwagen gelegt, verlor die Besinnung und ließ das Kind, das sie im Arme gehalten, aus dem Wagen fallen. Ein Grenadier fand es bald, nahm es auf und brachte es am anderen Tage der wiedererwachten und verzweifelten Mutter, die den Gatten erreichte und mit ihm die Winterquartiere zwischen Hof und Saalfeld bezogen zu haben scheint. In Folge des Schrecks und der Anstrengungen der Reise starb die Mutter bald darauf; das Kind wurde einer Soldatenfrau übergeben und folgte dem Vater auf den Kriegszügen der letzten Jahre. Nach dem Frieden, vielleicht noch früher, heirathete der Vater zum zweiten Male, diesmal eine Person von geringem Stande, nahm als Hauptmann den Abschied und lebte als Geometer in Thüringen in dürftigen Umständen. Die Stiefmutter, die selbst mehrere Kinder hatte, behandelte den Knaben August schlecht; der Vater, schrieb G. später, sei auf Abenteuer in der Welt umhergeirrt, und er selbst habe als mutterloses, vom Vater nicht unterstütztes Kind barfuß in die Schule gehen müssen. – Die Großeltern in Würzburg hörten von der traurigen Lage des Enkels und nahmen ihn zu sich. Mit der Heirath der Tochter mit einem Protestanten waren sie als strenge Katholiken unzufrieden gewesen, erbarmten sich aber doch des mutterlosen Kindes. Der Großvater Müller hatte in Spanien, Italien, am Rhein und in Ungarn im Felde gestanden und war ein wissenschaftlich gebildeter Mann; die Großmutter, geborene Hegewalt, war sehr hübsch und sehr unterrichtet und galt für wohlhabend. Der protestantisch getaufte Knabe wurde von den Großeltern der katholischen Kirche zugeführt, er erhielt durch Jesuiten- und Franziskanermönche „einen geistig dürftigen und abergläubigen Unterricht“. Im Müller’schen Hause wohnte ein Professor Herwig[WS 3], der an dem aufgeweckten Knaben Gefallen fand und ihm Bücher, auch die Ilias und Odyssee in deutscher Uebersetzung borgte, die seine Liebe zu litterarischer Beschäftigung weckten. Leider starben die Großeltern bald, und der Knabe mußte, 12 oder 13 Jahr alt, zum Vater zurück, der damals als Bautechniker in Erfurt lebte und bei Fortifications- und Regierungsbauten beschäftigt wurde. G. besuchte die Kaufmannsschule, wurde vom Vater persönlich im Zeichnen unterrichtet, dann [281] ging er auf das Rathsgymnasium, wo ein Professor Siegling[WS 4], mit dessen Sohne[WS 5] er befreundet war, ihm Stunden in der Mathematik gab, für die er besonders befähigt war. Als der Vater nach Braunschweig zog, kehrte G. bald nach Erfurt zurück, lebte bei sehr geringen Mitteln von Unterstützungen, soll auch Kurrendesänger gewesen sein, bis ihn Siegling in sein Haus nahm und für die weitere Fortbildung des Knaben so gut sorgte, daß er, noch nicht 17 Jahre alt, die Universität Erfurt besuchen konnte. Damals scheint ihm das großväterliche Erbe ausgezahlt zu sein, er konnte sich ein Reitpferd halten und an allen Genüssen ungebundener Jugend theilnehmen. Mit der Schwester seines Freundes Siegling stand er in einem Liebesverhältniß, das die Eltern, wegen der Jugend der Liebenden, mißbilligten und G. aus ihrem Hause entfernten, ohne ihm ihre Liebe und Achtung zu entziehen. G. stürzte sich in allerlei wilde Zerstreuungen, verbrauchte sein von den Großeltern mütterlicher Seite ererbtes, nicht bedeutendes Vermögen, verließ Erfurt Ende 1778 und trat, wahrscheinlich als Cadett, im Husarenregiment Wurmser in österreichischen Dienst, den er im folgenden Jahre verließ, um in den markgräflich ansbach’schen Dienst zu treten, der ihm vielleicht Gelegenheit bot an dem Kriege in Amerika Theil zu nehmen. Aber erst 1782 ging er mit dem Ersatztransport für die ansbach’schen Truppen in Englands Solde nach Amerika ab und wurde kurz vor dem Ausmarsch zum Seconde-Lieutenant in einem Jäger-Bataillon ernannt. Als er nach langdauernder Fahrt von Bremer-Lehe in Halifax angekommen, ruhten die Waffen auf dem Kriegsschauplatze, im September wurde die Unabhängigkeit der Provinzen anerkannt und bald folgte der Friede von Versailles. Im Sommer 1783 kehrte das ansbach’sche Contingent nach Europa zurück, erreichte im Herbst die Heimath und stand in Ansbach in Garnison. G. hatte an keinem Gefechte theilgenommen, aber sein reger Geist konnte für die Erscheinungen des Unabhängigkeitskrieges nicht unempfänglich bleiben. Die geschulten Heere Englands und die deutschen Miethstruppen mit der Taktik jener Zeit hatten die schnell zusammengerafften Truppen der Colonien nicht zu unterdrücken vermocht; abgesehen von Frankreichs Hülfe und von den politischen Verhältnissen waren es besonders zwei Elemente, welche die ganze Kriegsführung umgestalten sollten, die im Norden Amerikas zuerst Geltung gefunden – die Volksbewaffnung und das zerstreute Gefecht der Infanterie. Der enge Friedensdienst in ansbach-bayreuth’scher Garnison konnte dem strebenden Geiste Gneisenau’s nicht genügen, und so schrieb er 1785 am 4. November aus Bayreuth, seiner damaligen Garnison, an König Friedrich II., und bat „um eine Stelle in Allerhöchst dero Suite“. In seinem Gesuch sagt er, daß er einige Kenntnisse in der militärischen Mathematik, der er seine Universitätsjahre gewidmet, erworben habe. Seine Reise nach Amerika und der enge Umfang seiner Glücksumstände hätten ihn verhindert den Eintritt in die preußische Armee nachzusuchen. Er ging selbst nach Potsdam und wurde dem König vorgestellt; der schöne junge Mann, seine vornehme und militärische Haltung, wie seine verständigen und bündigen Antworten gefielen dem Könige, und schon am 18. Februar 1786 konnte G. in einem „Neidhard von Gneisenau“ unterzeichneten Briefe für die gnädige Anstellung danken. Zuerst stand er à la suite der Armee in Potsdam und wurde im Sommer desselben Jahres als jüngster Premier-Lieutenant dem neuformirten Freiregiment von Chaumontet zugetheilt, das in Bunzlau bei Löwenberg in Garnison stand. Im folgenden Jahre wurden die Freiregimenter durch Friedrich Wilhelm II. in Füsilier-Bataillione umgeformt und G. 1790 zum Stabscapitän in seinem Bataillon in Löwenberg ernannt. Seine Hoffnung an dem Feldzuge gegen Frankreich 1792–95 Theil zu nehmen wurde getäuscht, – im Herbst 1793 erhielt das Bataillon Befehl nach Polen zu marschiren, nahm an der Einschließung von Czenstochau, dem Angriff des Lagers von Skala und [282] anderen Actionen Theil, ohne zu wirklich kriegerischer Thätigkeit zu kommen. In den schlechten Quartieren zwischen Czenstochau und Petrikau, welche das Bataillon Ende 1794 bezog, hatten die Truppen große Verluste durch Krankheiten und G. selbst erkrankte schwer, blieb aber bei seinem Bataillon. Am 17. Nov. 1795 wurde er zum wirklichen Capitän und Compagniechef beim Bataillon Nr. 13 (Rabenau) ernannt, das, von der Rhein-Campagne zurückgekehrt, in Jauer in Garnison stand. Damals war das Einkommen eines Compagniechefs bedeutend, G. verwendete das seine größtentheils zum Besten seiner Untergebenen, man rühmte ihm in Jauer nach „er war ein Vater seiner Soldaten, ein Wohlthäter ihrer Wittwen und Waisen“. Ebenso war er ein Gegner der harten und unwürdigen Behandlung der Soldaten, an Stelle des Stocks und der Latten suchte er, bei aller Strenge der Disciplin, moralische Hebel anzuwenden; schon damals verfocht er, wie in seinen Brochüren vom J. 1808, „die Freiheit der Rücken“. Durch seinen Aufenthalt in Amerika und seine Studien über den Unabhängigkeitskrieg genau mit dem leichten Dienst der Infanterie und mit den Aufgaben des zerstreuten Gefechts bekannt, wußte er seine Officiere und seine Compagnie trefflich auszubilden, sie galt für eine „Füsilier-Compagnie par excellence“. 1801 nahm das Füsilier-Bataillon Rabenau an den Manövern bei Berlin und Potsdam Theil. Es konnte seinem militärischen Scharfblick nicht entgehen, wie wenig die damals auf Exercirplätzen geübte Taktik den Anforderungen der napoleonischen Kriege entsprach. Wie früher von Löwenberg, so jetzt von Jauer aus hatte G. viele Bekanntschaften mit gebildeten Familien der Umgegend. Er liebte die heitere, durch geistige Anregungen erhöhte Geselligkeit, – sein lebendiges Gespräch, seine klangvolle Stimme, die vornehme Liebenswürdigkeit seines Wesens und seine männliche Schönheit machten ihn überall beliebt. G. lernte in dem benachbarten Wölmsdorf eine verwittwete Frau von Prittwitz-Gaffron kennen, die aus erster Ehe mit Baron v. Kottwitz auf Kauffungen eine Tochter Caroline Juliane[WS 6] hatte, mit der er sich verlobte. „Das schöne Fräulein von Kottwitz“, wie sie genannt wurde, war 24 Jahre alt, einfach und häuslich erzogen, hatte aber Sinn für die geistigen und künstlerischen Interessen ihres Gatten, so daß nach der Verheirathung ihr Haus bald ein Mittelpunkt der Geselligkeit wurde – ein musikalisches Kränzchen hat dort lange bestanden. Wol in Folge von Gneisenau’s Bemühungen hatte sein Vater, der in ärmlichen und untergeordneten Verhältnissen lebte, 1793 eine Anstellung als städtischer Bauinspector in Brieg gefunden, 1798 wurde er als königlicher Bauinspector nach Oppeln versetzt, wo er 1804 starb. In der glücklichen Ehe waren G. schon vier Kinder geboren, 1803 hatte er wegen gichtischer Beschwerden das Bad Landeck besucht, – dann kaufte er das Gut Mittel-Kauffungen, 3 Meilen von Jauer, das einst sein verstorbener Schwiegervater v. Kottwitz besessen, auf den Wunsch seiner Frau und mit deren geringem Vermögen, auch, wie er sagte, um die Mittel zu finden, die Zukunft seiner Familie sicher zu stellen. Für seinen Geist und seine Thätigkeit genügte die Compagnie nicht, er fand Freude an der Landwirthschaft und der Sinn für die Natur, den die Jugendjahre im schönen Würzburg in ihm geweckt, blieb ihm bis ins späte Alter. Seinem Freunde Siegling schrieb er damals: „Meine Frau hat ein ansehnliches Gut gekauft, das, wenn Gott gutes Wetter und tiefen Frieden schenkt, mich zum wohlhabenden Manne machen soll. Aber ich muß nun vom Ackerbaukatechismus bis zur neuesten Ackerbautheorie alles studiren“. Dann erbittet er sich den Rath des Freundes wegen einer neuen Malzdarre, da auf dem Gute eine große Brauerei sei. Allein die Resultate seines Strebens waren auf diesem Gebiete nicht günstig, ihm fehlte es an Kapital und Erfahrung, vielleicht griff er zuviel auf einmal an, konnte auch von Jauer aus nicht alles selbst beaufsichtigen. Aber wenn er Urlaub hatte, genoß er das Glück [283] des Landlebens, die Freude am selbständigen Schaffen, am eignen Besitz, die Unabhängigkeit des Lebens in vollen Zügen, und nie verließ ihn die Hoffnung hier seiner Familie eine Stätte gesicherter und glücklicher Existenz bereiten zu können. Neben seinem neu gewählten Berufe und seinem militärischen Dienstleben fand er Zeit zu wissenschaftlicher Beschäftigung. In den langen Friedensjahren von 1794–1806, in denen sein Avancement trotz aller Anerkennung und Empfehlung seiner Vorgesetzten stockte, schrieb er Aufsätze über das zerstreute Gefecht, recognoscirte das schlesische Gebirge und ganz Schlesien; seine Arbeit „Recognoscirung des schlesischen Gebirges von der Schneekoppe bis zum Schneeberg“ bezeugt sein seltenes Talent und seinen militärischen Scharfblick. Zugleich verfolgte er die Politik jener Jahre mit lebendigem Interesse, sah alle Gefahren der schwächlichen und unredlichen Neutralitätspolitik Preußens seit dem Frieden von Basel voraus, und glaubte an einen bevorstehenden unausweichlichen Kampf mit Napoleon[WS 7]. Wie wenig Preußen, mit seinen veralteten Formen, denen der Geist Friedrich des Großen entflohen, einem solchen Zusammenstoß gewachsen war, erkannte er deutlich, und eben weil er es früh erkannte, raubte ihm die Katastrophe des J. 1806 weder Muth, noch Hoffnung und Besonnenheit – er war einer der wenigen, die an die Möglichkeit einer Regeneration des fast zertrümmerten Staates, an dessen Wiederbefreiung zu allen Zeiten geglaubt haben, und er selbst wurde eins der kräftigsten und thätigsten Werkzeuge zur Erneuerung Preußens. Bei Saalfeld wurde er (noch immer Hauptmann) verwundet, führte aber das Bataillon in Ordnung aus dem Gefechte, bei Jena erlitt das Bataillon durch Cavallerie-Attaken schwere Verluste, er selbst entkam glücklich nach Königsberg, wo er Ende November eintraf, bald zum Major ernannt und mit der Organisation zweier Reserve-Bataillone beauftragt wurde. Auf Rüchel’s[WS 8] Rath, der ihn bei seinem Eintritt ins preußische Heer in Potsdam kennen gelernt, wurde G. an Loucadou’s[WS 9] Stelle zum Commandanten von Colberg ernannt. G. schrieb nach dem Befreiungskriege an Rüchel, daß er ihm mit der Ernennung zum Commandanten von Colberg, wo er die Grundlage seines späteren Rufes gelegt, sein ganzes Glück verdanke. Noch als Feldmarschall rühmte der bescheidene Mann sein Soldatenglück, das ihn nie verlassen habe. Bisher hatten manche Mißverhältnisse zwischen dem unentschlossenen Commandanten und der patriotischen Bürgerschaft bestanden; als G. Ende April 1807 in Colberg eintraf, kam, wie der alte Nettelbeck sagt, „ein neuer Geist und ein neues Leben wie vom Himmel herab in Alles, was um und mit uns vorging“. Seine ruhige Heiterkeit, sein herzgewinnendes Wesen, seine Willenskraft und geistige Ueberlegenheit sicherten ihm, wo er stand, den ersten Platz, – hier wußte er das offensive Element der Vertheidigung zu beleben, wies jedem die Stelle an, in welcher er am besten wirken konnte, übergab dem thätigen Nettelbeck die Leitung der Feuerlösch-Anstalten und vereinigte Bürgerschaft und Garnison in demselben Geiste der Standhaftigkeit und der Aufopferung. Als G. nach dem Frieden zu Tilsit und nach Aufhebung der Belagerung vom 9. August Colberg verlassen hatte, schrieb ihm die Bürgerschaft einen dankenden Brief, in dem es heißt „Wir haben ihm ja Alles – die Erhaltung unserer Ehre und unserer Habe, die Zufriedenheit unseres Landesherrn und die Achtung unserer ehemaligen Gegner zu danken. Das Andenken an ihn, der bei den Pflichten des Kriegers nie die Tugenden des Menschen vergaß, der vom ersten Moment seines Erscheinens ein Vater jedes Einzelnen wurde, und noch in der Minute des Scheidens blieb, wird nie in uns erlöschen“. G. wurde zum Oberstlieutenant ernannt und erhielt den Orden pour le mérite, zugleich wurde er mit Generalmajor v. Massenbach, Graf Lottum, Grolman, Graf Götzen und Boyen beauftragt, unter Scharnhorst’s Vorsitz Vorschläge über die Reorganisation der Armee zu entwerfen. Den Arbeiten dieser [284] Commission verdankt Preußen die Erneuerung seines Heeres, sie haben die gewaltigen Erfolge der letzten Jahre 1866 und 1870/71 vorbereitet. G. verfocht im Einklang mit Scharnhorst und Boyen die Ideen der Volksbewaffnung, so weit sie die damaligen Zustände forderten und zuließen, der Erziehung des Volkes durch das Heer, der menschlichen Behandlung des Soldaten und seiner Ausbildung zum zerstreuten Gefecht. Zugleich wurde er zum Chef des Ingenieur-Corps und zum Inspecteur der Festungen ernannt. Mit den obengenannten Männern und vielen anderen verfolgte er still, aber unermüdlich das Ziel der Vertreibung Napoleons und der Befreiung des Vaterlandes, – ein Mitglied des Tugendbundes ist er nie gewesen, er schrieb später seinem Freunde, dem hannöverschen Minister Grafen Münster: „Mein Bund ist ein anderer ohne Zeichen und Mysterien; Gleichgesinntheit mit Männern, die der Herrschaft des Fremdlings nicht unterworfen sein wollen.“ Seinem klaren Blick, seiner praktischen Natur widerstrebten solche Geheimbünde, deren unfruchtbare Thätigkeit nur die Augen der französischen Polizei herbeizog. Dennoch wurde er verdächtig, und mußte auf Napoleons Forderung aus dem Militärdienste scheiden; nominell blieb er als Staatsrath im Dienst und nahm an allen politischen Fragen, an den Verhandlungen über die Reorganisation des Staates wie der Armee berathenden Antheil. 1808 und 1809 wünschte er den Anschluß des preußischen Heeres an das österreichische und eine Erhebung des ganzen Volkes in Norddeutschland gegen Napoleon. In voller Uebereinstimmung mit Stein, dem Mittelpunkt aller Männer, die damals noch Rettung hofften, und im Einverständniß mit Scharnhorst und Grolman entwarf er eine Denkschrift, die Stein dem Könige vorlegte. G. rieth zu einer innigen Verbindung mit Oesterreich und mit England, das Geld und Waffen liefern sollte, zur Ablehnung des von Frankreich geforderten Beitritts zum Rheinbunde, – endlich für den Kriegsfall zu einer National-Bewaffnung und zur Anlage befestigter Läger zum Zweck der Vertheidigung. Der König entschloß sich dagegen, nicht ohne den Beitritt Rußlands zu handeln. Im Frühjahr 1809 waren in Folge irriger Auslegung des Edicts vom 9. October 1807 in einigen Gemeinden in Schlesien Unruhen ausgebrochen, welche die vom General Grawert abgeschickten Truppen in roher und ungeschickter Weise zu unterdrücken suchten. Der König sendete G. hin, um die Verhältnisse zu ordnen, was diesem schnell gelang. In Folge seines Berichts wurde er durch ein gnädiges Schreiben des Königs zum Obersten ernannt. Von Glatz aus schickte er dem König eine Denkschrift über die inneren Verhältnisse Preußens und die Nothwendigkeit einer Verfassung, welche allein die verschiedenen Provinzen des Staates zu einer Einheit zusammenfassen könne. Sie müsse vom Könige als Gnadengeschenk ausgehen, die Stände sollten aus den Provinzialwahlen, nicht aus Gesammtwahlen, sondern aus den verschiedenen Ständen der Nation hervorgehen und besonders den Grundbesitz vertreten, da durch allgemeine Wahlen meist Advokaten und unpraktische Gelehrte in die Kammern gelangten. Er sah in der Gewährung einer Verfassung einen Ausgleich der großen Last der allgemeinen Wehrpflicht, da die Bevölkerung zur Mitwirkung an den Beschlüssen über Krieg und Frieden herangezogen werde. Diesen Grundsätzen blieb er sein Leben lang treu, ihm schwebten im Allgemeinen englische Zustände als Muster vor, er wünschte freies selbständiges Entfalten von innen heraus, Selbstverwaltung der einzelnen Körperschaften, überall ständisches Wesen. Der moderne Liberalismus, dessen ihn seine Neider und Feinde damals und später anklagten, lag ihm, dem Freunde des Grafen Münster, ganz fern – er stand zu hoch und war zu praktisch, um in irgend einer Verfassungsform die Panacee für die Beglückung und geistige Erhebung der Völker zu sehen. Er hielt den Absolutismus und die bevormundende Büreaukratie, die unter Friedrich II. segensreich und nothwendig [285] gewesen, unter dessen Nachfolgern das Volk entnervt hatten, für verderblich, sprach sich auch nach den Freiheitskriegen gegen Metternich’s Politik und die Karlsbader Beschlüsse frei und offen aus, und erlitt in jener Zeit manche Kränkung, die er großdenkend kaum empfand, und manche Verdächtigung wurde von kleinen Seelen gegen ihn ausgesprochen. Der erste Grund der Verstimmung gegen ihn in den höchsten Kreisen scheint in seiner Haltung 1812 in England und am Hofe des Prinzregenten gelegen zu haben, doch sind diese weiter unten berührten Verhältnisse nicht ganz aufgeklärt. Vom August 1810 bis zum Anfang des nächsten Jahres lebte G. in seiner Heimath, seine Verhältnisse waren bedrängt, aber dennoch entsagte er, uneigennützig wie immer, der königlichen ihm verheißenen Schenkung – einer Domäne mit 1500 Thaler reinem Einkommen – oder 1500 Thaler jährlich – in Berücksichtigung der traurigen Lage des Staates. Im J. 1811 begannen die Unterhandlungen mit England, die wesentlich durch ihn geführt wurden. Anfang März erbat G. seine Entlassung von dem Posten als Staatsrath, aus dem Militärdienst war er schon, auf seine Bitte, 1809 getreten, um seine Privatangelegenheiten in Ordnung zu bringen. Der wahre Grund war das gegen ihn gerichtete Mißtrauen Napoleons und ein geheimer Auftrag, der ihm ertheilt worden. Der König genehmigte sein Gesuch in der anerkennendsten Weise, ließ ihn aber sein Gehalt fortbeziehen und autorisirte Hardenberg, „G. sein Gehalt in der Stille zukommen zu lassen, auch die Kosten anzuweisen, welche ein ihm zu ertheilender, Ihm bekannter geheimer Auftrag erfordern wird.“ Dieser Auftrag war nach Pertz der Versuch einer geistigen Verbindung aller Elemente, deren Kraft im Verein im rechten Moment die Rettung Europa’s herbeiführen könne. Er sollte die Höfe oder Läger Oesterreichs, Rußlands, Schwedens, Englands – Fürsten und Staatsmänner von Angesicht sehen und prüfen, welche Ansichten über die gemeinsame Gefahr und über die dagegen zu ergreifenden Maßregeln beständen, ob und unter welchen Bedingungen ein gemeinsames Handeln, die Landung eines beträchtlichen Heeres an der deutschen Küste und, von Preußen gestützt, der Aufstand der deutschen Bevölkerung im Rücken des französischen Heeres, das in Rußland vordringe, zu bewirken sei. G. solle dahin streben, dem erschöpften Preußen die ihm fehlenden Kriegsmittel an Geld und Waffen für eine große Landesbewaffnung und Kriegführung zu gewinnen, und als ersten Kern neuer Bewaffnungen die Bildung deutscher Legionen zu versuchen, an deren Spitze er selbst seine Stelle finden könne. – Vom März bis Juli reiste er über Kauffungen nach Wien, dann über Lemberg und Brody nach Wilna, wo Kaiser Alexander[WS 10] sich aufhielt, von da über Riga nach Stockholm, wo er bis Mitte August blieb. Dem Kaiser Alexander hatte er ein von ihm in den Grundzügen entworfenes, von Clausewitz ausgearbeitetes Memoire überreicht, welches die russische Armee schildert, die nöthigen Aenderungen, den Kriegsplan und die Vertheidigungs-Anstalten im Fall eines Krieges mit Frankreich, zu dem der Kaiser noch keineswegs entschlossen war, entwickelt. Seine Mission hatte bisher wenig positiven Erfolg, überall erhielt er ablehnende oder hinhaltende unbestimmte Antworten. In London gestaltete sich Alles günstiger, der ihm befreundete Graf Münster war dort, der Prinzregent wurde ihm persönlich geneigt, vor Allem war im Herbst die Lage des französischen Heeres in Rußland eine andere geworden. Bei seinem Eintreffen in London hatte G. dem Ministerium eine Denkschrift überreicht, die mit den Worten schließt „Keinen halben Erfolg. Die Waffen nicht eher niedergelegt, als bis dieser Usurpator ausgerottet ist, das ist das Ziel, welches uns die wahre Politik zeigt.“ Am 1. September konnte G. an Stein schreiben: „Ich bin hier gütig aufgenommen worden, der Regent war sehr gnädig gegen mich und geht mit dem größten Eifer auf unsere Pläne ein. Für Schweden ist eine ansehnliche Subsidie bewilligt, [286] an Waffen und Munition soll es nicht fehlen. Sobald die Expedition nach erreichten rein schwedischen Zwecken nach Deutschland segelt, schließt sich von England aus ein Corps von 12,000 Mann, mit viel Artillerie und Cavallerie an. Ist die Landung vollbracht, so soll ein Armee-Corps errichtet werden, dessen gänzliche Ausstattung und Besoldung von hier aus geschehen soll. Das brittische Ministerium will mehr für unsere Sache thun als wir erwarten durften.“ Ende September ging G. zur Stärkung seiner Gesundheit nach dem Seebade Buxton, wo er bis zum November blieb – inzwischen vollzog sich in Europa ein gewaltiger Umschwung, die große Armee Frankreichs war vernichtet und die ersten Fäden einer Alliance von Preußen und Oesterreich wurden angeknüpft. Theilweise glückte es G. die Verhandlungen mit der englischen Regierung in seinem Sinne abzuschließen, die Ausrüstung für 20,000 Mann in Pommern zu bildende Truppen wurden neben der Ausrüstung und Besoldung der deutschen Legion in Rußland bewilligt, die Einrichtung directer Verbindung mit Schweden, von Carlsham nach Memel zugesagt und General Hope[WS 11] nach Schweden gesandt, um den Kronprinzen zur Theilnahme am Kriege zu bestimmen. G schrieb damals seinem Freunde Major v. Horn: „Mein Plan war nach einem größeren Maßstabe zugeschnitten, aber die Umstände sind dem hier nicht günstig – man führt den Krieg nur stückweise.“ Im Februar kehrte er nach Deutschland zurück und erreichte am 25. glücklich die pommersche Küste. Während seiner Mission hatte er einen ausgebreiteten Briefwechsel mit bedeutenden Staatsmännern – Stein, Hardenberg, – von Oesterreich und Rußland aus mit Münster und dann mit Ompteda, ferner mit seinen Freunden Clausewitz, Boyen, Dörnberg, Clazot und mit zahllosen Agenten, wie mit seiner Familie geführt; der geheime Briefwechsel wurde durch die Vermittelung des Kaufmann Schröder in Colberg und des Engländer Gibsrone geführt, der abwechselnd sich in Riga oder Carlsham aufhielt. Da G. 1809 auf seinen Wunsch verabschiedet worden, so mußte er jetzt seinen Wiedereintritt in das Heer erbitten. Er wurde nach Breslau berufen, wo er am 10. März eintraf, der König empfing ihn, nach einigen Worten des Tadels über seinen Dienstaustritt, sehr gnädig, er stellte ihn als Generalmajor wieder an und übertrug ihm das Commando über das Truppencorps, das bestimmt war sich mit der alliirten Armee zu vereinigen – einstweilen sollte er bei dem Corps von Blücher Dienste leisten. G. war vor seiner Rückreise nach Preußen zum englischen Generalmajor ernannt worden, um ihn zu schützen, falls er bei seiner Ueberfahrt nach Deutschland in die Hände französischer Seeleute oder Truppen fallen sollte. Hardenberg hatte gewünscht ihn zur Fortsetzung der Verhandlungen über die Alliance wieder nach England zu schicken, aber G. lehnte es entschieden ab, er wollte nur im Heere dienen und schrieb Hardenberg am 11. März: „Ew. Excellenz sind mein Beschützer und mein edelmüthiger Freund, Sie werden die Angelegenheit auf so günstige Art zu wenden wissen, daß mich des Königs Unzufriedenheit nicht trifft, – diesen Auftrag kann ich, nachdem ich den Krieg gegen Frankreich 4 Jahre lang gepredigt, nicht annehmen, ich würde durch diesen Schritt ein Selbstmörder meiner Ehre. Kann und soll ich dem König, meinem Herrn, nicht in militärischer Eigenschaft dienen, so werde ich mir in meinem Alter einen neuen Herrn nicht wählen, aber ich rechne sicher darauf, daß der König mir eine untergeordnete Anstellung nicht verweigern werde.“ Am 18. März brach das Blücher’sche Corps von Breslau auf und erreichte am folgenden Tage Liegnitz – von dort aus schrieb G. an Eichhorn: „Welches Glück gelebt zu haben, bis diese weltgeschichtliche Zeit eintrat, nun mag ich gern sterben“, und dem Freunde Dörnberg schrieb er wenige Tage darauf vom Marschquartier Hainau: „Nie hat es einen glücklicheren Sterblichen gegeben! Ich befinde mich auf dem Marsche, um endlich gegen unsern Unterdrücker fechten zu dürfen.“ [287] Er war zunächst als zweiter General-Quartiermeister bei Blücher’s Corps angestellt, nach Scharnhorst’s Verwundung in der Schlacht bei Groß-Görschen wurde er erster General-Quartiermeister. Seine Geschichte in den folgenden drei Jahren ist so eng mit derjenigen der Befreiungskriege verflochten, daß eine Darstellung seiner Thätigkeit hier nur eine Wiederholung des in anderen Artikeln (Blücher, York) Enthaltenen sein würde, hier mag daher nur das angeführt werden, in dem seine geniale und energische Persönlichkeit am kräftigsten und wirksamsten hervortritt. Seine seltenen Talente als Chef des Generalstabes zeigte er schon auf dem Rückzuge von Groß-Görschen nach Bautzen und während der Schlacht bei Bautzen, wo er auf die Behauptung der Kreckwitzer Höhen drang und sich lebhaft gegen den Rückzug der Armee aussprach, den er dann, soweit es das Blücher’sche Corps betraf, meisterhaft leitete. Schon damals trat der Gegensatz seiner idealen, geistreichen Natur und seiner hochfliegenden Pläne zu dem engen, eitlen, aber im Technischen wohlerfahrenen Müffling hervor, der gleichfalls im Stabe Blücher’s angestellt war. G. tadelte und bekämpfte fruchtlos den weiteren Rückzug an die Oder und vor Allem den Abschluß des Waffenstillstandes. In seiner dem König überreichten Denkschrift über die Unnöthigkeit und Schädlichkeit des Waffenstillstandes erklärt er ihn für unnöthig, weil die preußische Armee durch eben eingetroffene Verstärkungen auf 35,000 Mann angewachsen sei und russische Verstärkungen von 27,000 Mann nahe seien, schädlich sei er in militärischer, politischer, finanzieller und psychologischer Hinsicht. Der große Mann hatte hierin, wie die Ereignisse gelehrt, unrecht, der Zustand der russischen Armee war Anfang Juni viel trauriger als G. voraussetzte, – die Alliirten verstärkten sich in den Wochen des Waffenstillstandes weit mehr als Napoleon, vor Allem konnte nur so der entscheidende Beitritt von Oesterreich gewonnen werden. Marmont[WS 12], St. Cyr[WS 13] und Thiers[WS 14] erklären den Abschluß des Waffenstillstandes für den größten Fehler den Napoleon begangen. G. fürchtete vor Allem, und die Gefahr war keineswegs entfernt, daß der Waffenstillstand zu einem halben und lahmen Frieden führen werde, den Frankreich bei der ersten günstigen Gelegenheit brechen und Preußen vernichten könne. Er hoffte auf den Sieg und glaubte an ihn, aber seiner Heldenseele entsprach es für den Fall der Niederlage zu denken „besser ein Ende mit Schrecken, als Schrecken ohne Ende.“ Der ihm befreundete und geistesverwandte Clausewitz, mit dem er gerade damals in lebhaftem Verkehr stand, schrieb einen Aufsatz über die Nothwendigkeit des Waffenstillstandes, um die Gemüther besorgter Patrioten zu beruhigen. Pertz’s Darstellung dieser Verhältnisse (Biographie Gneisenau’s III, 7 ff.) darf als unrichtig bezeichnet werden. G. wurde zum Generalgouverneur von Schlesien ernannt, bald darauf zum Befehlshaber aller Landwehr und Leiter aller Vertheidigungs-Anstalten der Provinz, wozu er bei seiner genauen topographischen Kenntniß von Schlesien und seinem seltenen Talent die Menschen zu beurtheilen und zu behandeln vorzüglich geeignet war. Der Civilcommissar Merkel, der Major v. Reiche und der Ingenieur-Oberst Braun waren seine treuen Gehülfen. 50,000 Mann Landwehr stellte die Provinz, Schweidnitz und Glatz wurden verstärkt, bei Neiße ein befestigtes Lager angelegt und in allen Kreisen der Bevölkerung der Geist des energischen Widerstandes belebt. G. wurde zum Hauptquartier des Königs nach Reichenbach entboten, alle seine Anträge in Betreff der Bewaffnung von Schlesien waren genehmigt worden, – in Peilau blieb er in der Nähe des Königs, Hardenberg’s und Stein’s, und an allen politischen und militärischen Verhandlungen und Beschlüssen jener Zeit hat er Theil genommen. Mit welcher Energie G. alle Kräfte zur Erhebung des Volkes und zur Wiedererringung der Unabhängigkeit entfesseln wollte, zeigt die Denkschrift über die Errichtung des Landsturmes, die er Anfang April mit Scharnhorst dem Staatskanzler [288] überreicht hatte. Die Errichtung des Landsturmes, die Bewaffnung des ganzen Landes sollte den Schlußstein der 1811 entworfenen und beschlossenen Erhebung bilden. G. wurde zum General-Quartiermeister der schlesischen Armee unter Blücher ernannt und hatte Clausewitz als seinen Gehülfen erbeten. Statt dessen wurde, auf des ehrenwerthen, aber eitlen und beschränkten Knesebeck Rath, Müffling gewählt, in dessen pedantischer und kleinlicher Natur man ein Gegengewicht gegen Gneisenau’s kühne und geniale Anschauungen zu finden hoffte. Man hat nicht unrichtig gesagt, im Hauptquartier der schlesischen Armee sei Blücher das treibende und handelnde Element gewesen, G. das beseelende und belebende, Müffling das rechnende. Manche Reibungen und Verstimmungen fanden zwischen beiden statt, G. war eine viel zu bedeutende Persönlichkeit, besaß auch Blücher’s Vertrauen zu sehr, als daß Müffling, dessen er oft lobend gedenkt, neben ihm hätte zur Geltung kommen können. G., zu groß und zu edel zum Neide oder zur Verbitterung, hat stets mit Anerkennung von Müffling’s Leistungen gesprochen, während dieser in seinen Schriften, namentlich in den nachgelassenen Memoiren, manchen Schatten auf G. zu werfen sucht. General Brandt sagt von G. und dessen Stellung im Hauptquartier der schlesischen Armee: „Er hat unbedingt eins der schönsten Probleme gelöst. Von zweiter Stelle aus eine aus mehreren Nationen zusammengesetzte Armee, an deren Spitze sehr renitente Generale standen, unter den schwierigsten Verhältnissen zur Einheit verbunden und zum Siege vereint gehalten zu haben, das setzt eine hohe Begabung, eine große Umsicht und soviel Menschenkenntniß als Tact voraus. Er war die Cheville ouvrière des Heeres, alle Welt wußte das, ohne daß Blücher’s Autorität darunter gelitten hätte. Der milde Ernst und die Würde Gneisenaus’s wirkten wie eine Macht auf alle, die in seine Nähe kamen; und trugen schließlich über das mehr als schwierige Benehmen Yorks, Sacken’s[WS 15] und Langerons[WS 16] den Sieg davon“. Die schroffe, gallige Natur York’s, dessen oft formlose Derbheit, blieben ihm immer unsympathisch und ein späterer Versuch, sie zu versöhnen, mißlang. An allen Thaten der schlesischen Armee nahm er den lebendigsten Antheil, die Leitung außerhalb des Gefechts ist ganz sein Werk gewesen und in einzelnen Momenten war es sein Rath, sein Entschluß, der die Truppen im Kampfe selbst zum Siege führte. Während der Schlacht an der Katzbach meldete Müffling an Blücher, es stände nicht ganz gut, das York’sche Corps, das er in seine Stellung geführt, habe eine halbe Batterie verloren und die National-Cavallerie sei geworfen – auf Blücher’s Befehl ritt G. zu dem sehr verdrießlichen York, der die Schlacht verloren glaubte, bestimmte ihn, die Infanterie vorzuführen, sammelte die Cavallerie und vereinigte die Artillerie zu einer großen Batterie gegen den rechten französischen Flügel. Diese Bewegungen entschieden den Sieg. Für seine Thätigkeit in der Schlacht an der Katzbach erhielt er das eiserne Kreuz erster Classe. Wie er im Verein mit Blücher das vorwärts treibende offensive Element im Feldzuge gewesen, so drängte er auch nach dem Siege bei Leipzig zur Verfolgung des Gegners und dann zum Uebergang über den Rhein. Die Vernichtung des feindlichen Heeres war seine militärische Forderung, seine politische die Verjagung Napoleon’s. Im großen Hauptquartier zu Frankfurt a/M. hatte er im November besonders den einflußreichen Knesebeck zu bekämpfen, denselben, der noch im September (19.) meinte, der Krieg müsse „durchaus zu einem Verpflegungs- und Munitions-Kriege“ gemacht werden. – Als der Feldzugsplan in Frankfurt entworfen wurde, reichte G. dem Kaiser Alexander eine Denkschrift ein, in welcher er vorschlug, daß die schlesische Armee am 15. November über den Rhein gehen, schnell in Brabant vordringen und General Bülow bis über die Yssel gehen sollte. Die Russen und Oesterreicher sollten über den Mittelrhein gegen Metz vordringen. Was später an Truppen verfügbar [289] würde, könne durch die Schweiz und über Belfort vorgehen. Statt die Festungen zu vermeiden, solle man gerade durch ihre Linien durchgehen. Dagegen hatte Knesebeck vorgeschlagen und mit ihm General Duka, die gesammte Macht durch die Schweiz ins südliche Frankreich dringen zu lassen, die schlesische Armee, welche bereits bei Düsseldorf stand, um dem Hauptheere den Rücken zu decken, an den Oberrhein zu rufen. Holland müsse in Paris erobert werden. Kaiser Alexander, Fürst Schwarzenberg und dessen Generalstabschef Radetzky theilten Gneisenau’s Ansichten, ebenso Stein und Hardenberg – erst nach manchem Widerstreben und manchen Zögerungen gingen die Heere über den Mittelrhein und drangen auf Paris vor, Holland war erobert worden. Am 8. December 1813 wurde G. durch eine sehr anerkennende Cabinetsordre zum Generallieutenant ernannt. Im J. 1814 war er Generalstabschef in Blücher’s Armee, hier wie immer drängte er zu kräftiger Offensive und wußte durch seine Energie, sein unerschütterliches Vertrauen, durch den Schwung seiner Seele, die Zagenden und Zweifelnden fortzureißen, die, nach den Unfällen im Februar, den Rückzug über den Rhein in Aussicht nahmen. Besonders bewährte sich seine Menschenkenntniß und feiner Takt, als Bülow, der ihm persönlich abgeneigt war, unter Blücher’s Befehl gestellt wurde; die, bei Bülow’s Charakter, schwierige Situation wurde dadurch erleichtert, daß dessen Generalstabschef Boyen G. persönlich befreundet war. Als Blücher nach der Schlacht bei Laon erkrankte, führte G. thatsächlich 14 Tage lang den Oberbefehl der Armee; wie im Jahre 1813, so sind in den Feldzügen in Frankreich alle Erfolge der schlesischen Armee, welcher der größte Antheil an dem errungenen Ruhm gebührt, unter seiner Leitung und wesentlich durch ihn mit erfochten worden. Ein Brief, den G. im October 1814 an Rüchel schrieb, gibt in großen Zügen eine Skizze des letzten Feldzuges, namentlich aber der Hindernisse und Schwierigkeiten, die im großen Hauptquartier der Monarchen zu überwinden gewesen waren und wesentlich in dem Einfluß einzelner willensschwacher, unklarer Persönlichkeiten und in politischen Intriguen lagen. Am Schluß des Feldzuges erhob der König G. in den Grafenstand und verlieh ihm die Domaine Sommerschenburg im Magdeburgischen; er begleitete die Monarchen nach dem Frieden nach England, ging nach Aachen, von da nach Schlesien und verlebte den Winter in Berlin, wenig zufrieden mit dem Gange des Wiener Congresses. Als Napoleon von Elba zurückgekehrt war und den Thron Frankreichs wieder bestiegen, erhielt G. den Befehl, die Armee in den Rheinlanden zu mobilisiren und bis zu Blücher’s Ankunft interimistisch den Oberbefehl zu übernehmen. Das Zusammenwirken dieser beiden Persönlichkeiten – Blüchers und Gneisenau’s – hatte sich in zwei Kriegsjahren glänzend bewährt und von Gneisenau’s Klugheit und Takt durfte erwartet werden, daß er alle Schwierigkeiten, die in der Besetzung der obersten Führerstellen lagen, überwinden werde. Der Aufruhr der sächsischen Truppen in Lüttich wurde energisch unterdrückt und General Borstell, der die Bestrafung der Meuterer in der ihm befohlenen Form verweigerte, seiner Stellung als Commandeur eines Armeecorps enthoben und auf Festung geschickt. Als Napoleon unerwartet schnell gegen Belgien vordrang, während die preußische und besonders die englische Armee noch nicht concentrirt waren, erhielt Bülow, der mit dem vierten Corps bei Hanut stand, den Befehl, auf Gembloux zu marschiren, in so höflicher Fassung, daß er sich berechtigt glaubte, ihn nach seinen Ansichten modificiren zu dürfen. G. hatte die bekannte Empfindlichkeit des sonst trefflichen Mannes und älteren Generals schonen wollen und daher geschrieben: „Ew. ersuche ich … spätestens morgenfrüh bei Tagesanbruch von Hanut aufzubrechen und mich von der Stunde Ihres Eintreffens zu benachrichtigen“. Außerdem wurde dem zufällig abwesenden [290] Bülow der an ihn gerichtete Brief vom 15. zu spät übergeben. So fehlte am 16. Juni das vierte Corps auf dem Gefechtsfelde von Ligny. – Als Blücher am Abend der verlorenen Schlacht in Folge seines Sturzes eine Zeit lang vermißt wurde, war es G., der den Befehl zum Rückzuge in der Richtung über Tilly auf Wavre gab. – Dieser Entschluß zeigt die Seelengröße und den strategischen Scharfblick des großen Mannes in vollstem Glanze. Der Gedanke, daß Wellington[WS 17] Blücher am 16. Juni nicht unterstützt hatte, übte nicht den geringsten Einfluß auf seine Entschlüsse; nur dadurch, daß er das geschlagene Heer dem Feinde entgegen und zur Unterstützung der alliirten Armee führte, machte er den Sieg möglich. Wäre er dem Rathe der Vorsichtigen gefolgt, welche die Armee rückwärts führen wollten, um sie erst zu sammeln, zu ordnen und die Verbindungen mit dem Rhein nicht aufzugeben, so siegte Napoleon bei Waterloo. Ebenso glänzend bewies er sich nach dem Siege am 18. Juni als Taktiker, er leitete die Verfolgung auf dem Schlachtfelde selbst, heftete sich zunächst mit einer Hand voll Leute an die Fersen des fliehenden Feindes, setzte „den letzten Hauch von Mann und Roß“ daran, vernichtete so das geschlagene Heer und drang unaufhaltsam, den zögernden Wellington mit fortreißend, bis vor Paris. Niemand wußte das hohe Verdienst des alten Blücher, dessen Name jeden Soldaten im Heere electrisirte, höher zu ehren als der bescheidene G., aber da beide im Grabe ruhen, darf man es sagen, daß 1815 G. der Feldherr und der Generalstabschef in derselben Person gewesen ist. Er wurde nach Beendigung des Feldzugs zum General der Infanterie ernannt und erhielt nach dem Frieden das Generalcommando am Rhein. Der König verlieh ihm den schwarzen Adlerorden und gab ihm als besondere Auszeichnung den Ordensstern, den Napoleon getragen, und der in dem Wagen desselben nach dem Siege bei Belle-Alliance gefunden worden war. Schon 1816 zog er sich nach Schlesien zurück, wo er das Gut Erdmannsdorf gegen Mittel-Kauffungen von einem Grafen Kalkreuth eintauschte und zwei Jahre lang sich fast nur der landwirthschaftlichen Thätigkeit widmete. Erdmannsdorf ging später durch Kauf in den Besitz des Königs über. 1818 wurde er Gouverneur von Berlin und Mitglied des Staatsraths, verzichtete aber 1820, da die finanzielle Lage des Staates bedrängt war, auf alle pecuniären Erträge, die ihm aus dieser Stelle erwuchsen und begnügte sich mit dem einfachen Generalsgehalt; 1825, am Jahrestage der Schlacht von Belle-Alliance wurde er zum Generalfeldmarschall ernannt; bei seinem lebhaften Interesse für den wissenschaftlichen Geist des Heeres hatte er die Stellung als Präses der Militär-Examinations-Commission angenommen. Endlich hatte er Sitz und Stimme im Staatsrath. Er war in politischen Angelegenheiten ein Gesinnungsgenosse von Humboldt, Boyen und Grolmann, ein Gegner der Richtung, die seit Anfang der 20er Jahre einflußreich und nach Hardenberg’s Tode herrschend geworden. So war er bei aller Anerkennung seiner hohen Verdienste am Hofe nicht persona grata und nach des Feldmarschalls unerwartetem Tode in Posen durfte sein Freund Clausewitz sagen: „In Berlin wird man sich bald über seinen Tod getröstet haben, die Rolle, welche er (1812) in England gespielt, ist ihm niemals verziehen worden“. Bei dem Ausbruch der polnischen Insurrection wurde G. im Januar 1831 zum Oberbefehlshaber der vier Armeecorps ernannt, die im Großherzogthum Posen zusammengezogen wurden. Es kam zu keiner kriegerischen Thätigkeit und am 24. August erlag der Feldmarschall, wie vor ihm Diebitsch[WS 18] und bald nach ihm sein Freund und damaliger Generalstabschef Clausewitz nach kurzer Krankheit der Cholera, tief betrauert von seiner Umgebung, seiner Familie, von der Armee und dem gesammten Vaterlande. Das Heer legte auf königlichen Befehl auf acht Tage Trauer an und später wurde dem entschlafenen Helden durch Rauch ein Broncedenkmal in Berlin gesetzt, das [291] seine geistige Bedeutung lebendig ausspricht. Die Leiche wurde in Sommerschenburg beigesetzt, wo die Officiere der Armee später ein Denkmal errichten ließen. In seinem Todesjahre lag die Möglichkeit eines Krieges nicht fern, in ihm hatten Volk und Heer mit unbedingtem Vertrauen den obersten Führer gesehen – nach seinem Tode erschien das Heer im Fall eines Krieges eine führerlose Schaar. Wenn der Feldmarschall auch an der Spitze der Observations-Armee in Posen seine Feldherrntalente nicht entfalten konnte, so sprach sich doch im Verkehr des großen Mannes mit seiner Umgebung seine Bedeutung, seine heitere Liebenswürdigkeit und Herzensgüte so deutlich aus, wie in keiner anderen Periode seines bewegten Lebens. Den Aufzeichnungen des General v. Brandt, damals im Stabe des Hauptquartiers, sind die folgenden, sehr lebendig geschriebenen Zeilen fast wörtlich entnommen: Das Leben im Hauptquartier war zwanglos, die Unterhaltung bei Tafel geistig belebt, der Feldmarschall, immer seiner selbst und seiner Ueberlegenheit bewußt, liebte ungebundene Heiterkeit und forderte zu ihr auf. Er sprach nur selten über Strategie und Taktik, nur ab und zu über Kriegsgeschichte und was sonst den Apparat unserer gelehrten Militärs bildet, er scheint nur wenig eingehende Studien darin gemacht zu haben. Er war aller Theorie und Ideologie abhold. In dem Exemplar der Geschichte der Revolutions- und napoleonischen Kriege von Jomini[WS 19], das er besaß, waren nur die Schlachten von Castiglione und Rivoli aufgeschnitten. Aber dem Studium der Charaktere großer Männer, der Geschichte der Entwickelung des Menschengeschlechts und einzelner Staaten hat er sehr sorgfältig obgelegen, immer war er hierbei bei einzelnen besonders wichtigen Erscheinungen stehen geblieben. Was die Gewandtheit des Geistes betraf, die Verhältnisse zu erkennen, die Gesinnung des Tages zu errathen, die Ereignisse von praktischer Seite zu erfassen und dann mit Energie zu behandeln, kann G. den hervorragendsten Geistern aller Zeiten verglichen werden. Mag auch, wie seine Gegner sagen, mitunter etwas leichter Sinn in seinen Anschauungen und Maßnahmen gelegen haben, er hat die große Aufgabe seines Lebens glänzend gelöst und sein Name lebt eng verbunden mit den Triumphen einer großen Zeit. – In hohem Grade besaß er, namentlich für alles historische, das, was die Franzosen éloquence anecdotique nennen, und Clausewitz meinte, daß er die verschiedenen Epochen der Geschichte gewissermaßen in Pointen inne gehabt und sich mittelst derselben zurechtgefunden und orientirt habe. Die Gegenwart und was ihr seit 30 Jahren vorangegangen, stand wie aus einem Gusse vor dem Feldmarschall. – Da war nichts, was er nicht klar gefaßt und verstanden und bis in die geringsten Details gekannt. Wenn die Seele den Körper baut, so hatte er eine edle Seele, denn er war ein stattlicher Herr, eine wahrhaft männliche Gestalt von imponirendem Aeußern und einem lebhaften schönen Auge. Die französischen Marschälle, wie Soult[WS 20], St. Cyr, Suchet[WS 21], Ney[WS 22], die Paskewitsch[WS 23] und Diebitsch überragte er in der äußeren Erscheinung alle – vielleicht hätten manche von diesen in einzelnen Disciplinen mehr geleistet – in seiner Totalität aufgefaßt, übertrifft er sie alle an Seelenadel und Größe des Geistes. – Brandt setzt an die Spitze des von G. handelnden Abschnitts die Worte, die Hamlet seinem Vater nachruft:

 „He was a man, take him for all in all
 I shall not look upon his like again“.

„Er war ein Mann, sagt alles nur in Allem,
Ich werde niemals seines Gleichen sehen.“

Zum Schluß mag hier das Bild wiederholt werden, das E. M. Arndt in kräftigen Worten von der äußeren und inneren Persönlichkeit des großen Mannes entwirft. „G. war ein Mann von 52 Jahren, als ich ihn im Winter 1812 zuerst sah, in Haltung, Schritt und Gebehrde einem Dreißiger ähnlich. Sein [292] Bau war stattlich und seine Glieder löwenartig, Schultern und Brust breit, von der Hüfte bis zur Fußsohle alles stark, rund und, wo es sein mußte, an Füßen und Gelenken alles zierlich und beweglich gebildet – er stand und schritt wie ein geborner Held. Diesen Leib kräftigsten Wuchses, etwas über Mittellänge, krönte ein kräftiger Kopf; eine offene, heitere, breite Stirn, volles dunkles Haupthaar, schönste große blaue Augen, die ebenso freundlich als trotzig blicken und blitzen konnten, eine grade Nase, voller Mund, rundes Kinn, Ausdruck von Männlichkeit und Schönheit in allen Zügen. Dieser schöne Mensch war von leidenschaftlicher und feuriger Natur, kühne Triebe und Gedanken flutheten unaufhörlich in ihm hin und her und ebenso war sein Angesicht immer von einer wallenden geistigen Fluth übergoßen, welche seine Gesichtszüge nie stille stehen ließ. Dadurch ist es geschehen, daß dieser schönste Männerkopf in seiner eigensten und sichersten Bedeutung sehr schwer zu faßen und festzuhalten war, so daß, wer ihn gekannt, durch kein Gemälde und keinen Kupferstich von ihm befriedigt worden ist. Diese Geistigkeit, die sich auf dem edlen Antlitz in den leichtesten beweglichsten Wechseln malte, drückte sich in allen Gefühlen und Stimmungen beider, der Liebe und des Zornes, der Freude und des Unmuthes auf das liebenswürdigste und gewaltigste aus. Dieser Kopf, der gewöhnlich rasche Kühnheit und fliegende Freudigkeit aussprach, hatte doch auch seine Augenblicke, wenn Entwürfe durch Feigheit oder Schlechtigkeit der Niedrigen und Dummen gehemmt oder vereitelt waren, wo er eben durch die Innigkeit und Gewalt der Gefühle beschattet und bewölkt war, so daß der Mann, der als ein Vierziger erschien, im plötzlichen Dunkel sich als gealterter Greis zeigte. Aber sobald der Sonnenschein der Lust und Hoffnung wieder schien, stand der kühne geistige Jüngling in voller männlicher Herrlichkeit wieder vor uns. Diese edle Gestalt, dieser geschwinde Muth und geflügelte Geist, einer von Plato’s Gefiederten, war auch durch innerste Schönheit der Seele geadelt, das Edle, Stolze, Hochherzige leuchtete wie Sonnenschein aus allen seinen Bewegungen und Zügen. Man konnte in solchem Augenblick wie in Freude und Verehrung vor dieser erhabenen Erscheinung still stehen und sich zurufen: „Sieh, hier ist einmal ein ganz wohlgeborner harmonischer Mensch“. – Bei gewaltigem Ungestüm und bei unendlicher Beweglichkeit, die seltenste Herrschaft über die Triebe, selbst im Unmuth und Zorn, worin er sich über fremde Niederträchtigkeit und Schleichereien wohl ergießen konnte, stand die Gebehrde des Mannes unter höherer Gewalt und die Sprache behielt den Klang des Helden. Solche adlige, ja sogar erhabene Art in Haltung, Bewegung, Gebehrde und Rede war freilich in ihrer Anlage durch Gott gegeben, aber sie war auch durch Kunst geübt und gebildet… In Rede und Schrift gleich gewandt, blitzend und funkelnd von Witz und Lust im Gespräch, war er in Gesellschaft doch der bescheidenste und liebenswürdigste Mann, von jedem Spott, Hohn und Uebermuth der freieste, der lieber hören als lehren, lieber unterrichtet werden als unterrichten wollte. Aber nicht nur das Geschwinde, Geistige und Kühne, nicht nur die Neigung und Achtung des Geistes, wo immer dieser ihm begegnen mochte, herrschten in ihm, sondern auch alle feineren und zarten Triebe, wodurch das Haus und die Geselligkeit geschmückt werden. Wer den Vater unter den Kindern, den Freund unter den Freunden gesehen, weiß, was diese glückliche Zuthat an ihm bedeutet hat. Arm und bedrängt war seine Jugend gewesen, nicht reich waren die Jahre seines Mannesalters. Nicht lange und es kamen die Noth und Bedrängniß der bösesten Zeit. In dieser hat er von dem Seinigen geopfert, von dem Staate und dem Könige das Wenigste erhalten und verlangt. Später hat der König dem in den Grafenstand Erhobenen eine bedeutende Schenkung gemacht. Er hat sich das Glück gefallen lassen, ist aber immer ein höherer Herr seines Herzens und Muthes geblieben, [293] als Herren, welche bloß das Glück machen kann; immer fern von jeder Hoffahrt und Habsucht, großmüthig, hülfreich und freigebig, wie die allbelebende Sonne und Luft. Wo er Unglücklichen und Würdigen irgend helfen konnte, hat er immer zart und geschwind Herz und Hand geöffnet. Nirgends aber erschien die Herrschaft über die gemeinen Bedürfnisse und Leidenschaften und über die Kümmerlichkeiten des gewöhnlichen Lebens in diesem Manne glänzender als in seiner Haushaltung – ich habe sie im mittelmäßigen Zustande in Berlin, im glänzenden Zustande in Coblenz und Berlin gesehen. Immer war Freigebigkeit und Anmuth, später Pracht und Glanz da. Er selbst, der leuchtende Mittelpunkt der Gesellschaft, voll Liebenswürdigkeit und Heiterkeit, indem er selbst alles durch Fülle und Herrlichkeit zu beleben suchte, zeigte sich auch als Held bei gewöhnlichen Genüssen. Einfach und mäßig in Speise und Trank, mit wenigen Gläsern zufrieden, munterte er seine Gäste zum reichsten und fröhlichsten Genuß auf und hatte es gern, wenn sie sich in voller, jubelnder Freiheit der Freude ergingen. … Wie er seinem preußischen, deutschen Vaterlande gedient hat und seinem Könige, das steht mit unauslöschlichen Zügen in den Herzen der Nachlebenden geschrieben und wird auch in den deutschen Jahrbüchern nicht ungeschrieben bleiben.“ Diesem farbenreichen Bilde mögen noch zwei Züge beigefügt werden, welche die kindliche Herzensgüte und die Einfachheit der Seele des großen Mannes zeigen. Auf dem Marsch durch Thüringen lag der Hauptmann G. auf einem Dorfe in Cantonnement bei einem Bauer, dessen Kinder ihm gefielen. Im nahen Dorfe war ein Fest, wo alle Bewohner des Cantonnements hingingen, nur der Bauer mußte bei seinen Kindern bleiben. G. schickte ihn fort und versprach selbst nach den Kindern zu sehen. Als 1803 das Bataillon Rabenau Erfurt besetzte, sah er seinen Jugendfreund Siegling dort als Professor wieder und blieb mit ihm bis 1831 in lebhafter, herzlicher und geistig angeregter Correspondenz. Nach den Freiheitskriegen, als der Ruhm seines Namens in ganz Europa verbreitet war, kam er wieder nach Erfurt, suchte seine Kindheits- und Jugendfreunde wieder auf und redete jeden mit dem traulichen Du an. Damals stimmte er froh, die akademischen Freuden erneuernd, in den Gesang des Gaudeamus igitur mit ein. Ein Jahr nach dem Tode des Feldmarschalls starb die Gemahlin. Von den 7 Kindern der Ehe überlebten 6 (3 Söhne und 3 Töchter) den Vater, der älteste Sohn Major a. D. und Besitzer von Sommerschenburg starb kinderlos und das Gut, noch heute im Besitz des Enkels, fiel an den zweiten Sohn. Von den Töchtern heirathete die älteste[WS 24] Scharnhorst’s Sohn (gestorben als preußischer General der Infanterie) noch bei Lebzeiten des Vaters. – Die hinterbliebenen Töchter wurden an die Grafen von Hohenthal[WS 25] und Brühl[WS 26] verheirathet.

Pertz, Gneisenau’s Leben. 3 Thle., unvollendet und ungenügend; enthält aber einen Theil der werthvollen Correspondenz Gneisenau’s mit seiner Frau, Blücher, Hardenberg, Stein, Münster, Ompteda, Dörnberg, Prinzeß Radziwill und anderen. Sehr gut ist der Anfang einer Biographie im Militär-Wochenblatt, Beiheft pro 1856, vom damaligen Major v. Fransecky. Einzelnes Interessante enthalten die Aufzeichnungen aus dem Leben des General v. Brandt (II) und Rhaden’s[WS 27] Wanderungen eines alten Soldaten (II). Sehr gründlich ist der Artikel Gneisenau in der allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften (Ersch u. Gruber), gut, aber weniger umfassend, der Artikel Gneisenau in Wagener’s Conversations-Lexicon.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Maria Eva Müller (†1761)
  2. Müller, Michael Anton (1688–1771), Festungsbaumeister.
  3. Herwig, Johann Justus, ein zum Katholizismus übergetrender protestantischer Pfarrer.
  4. Siegling, Johann Valentin
  5. Siegling, Johann Blasius, Professor für Mathematik in Erfurt
  6. Freiin von Kottwitz, Juliane Caroline Friederike (1772–1832), ∞ 1796.
  7. Französischer Kaiser; siehe Wikipedia: Napoleon Bonaparte (1769–1821)
  8. Rüschel, Ernst v. (1754–1823), preußischer General.
  9. Lucadou, Ludwig Moritz von (1741–1812), preußischer Generalmajor.
  10. Russischer Zar; siehe Wikipedia: Alexander I. (1777–1825)
  11. Englischer General; siehe Wikipedia: Hope, Sir John (1765–1822)
  12. Marschall von Frankreich; siehe Wikipedia: Marmont, Auguste Frédérich Louis Viesse de (1774–1852)
  13. Marshall von Frankreich; siehe Wikipedia: Louis Gouvion, Graf St. Cyr (1764–1830)
  14. Französischer Staatsmann und Historiker; siehe Wikipedia: Thiers, Louis Adolphe (1797–1877)
  15. Russischer Feldmarschall; siehe Wikipedia: Osten-Sacken, Fabian Gottlieb (1752–1837)
  16. Russischer General französischer Herkunft; siehe Wikipedia: Langeron, Alexandre Andrault de (1763–1831)
  17. Britischer Militärführer, Außen- und Premierminister; siehe Wikipedia: Arthur Wellesley (1769–1852)
  18. Russischer Feldmarschall deutscher Abstammung; siehe Wikipedia: Diebitsch, Hans Karl Friedrich Anton v. (1785–1831)
  19. Holländischer Militärschriftsteller der unter französischer und russischer Flagge diente; siehe Wikipedia: Jomini, Henri Baron v. (1779–1869)
  20. Marschall und Kriegsminister von Frankreich; siehe Wikipedia: Soult, Nic. Jean de Dieu (1769–1851)
  21. Pair von Frankreich; siehe Wikipedia: Suchet, Louis Gabriel (1772–1826)
  22. Marschall von Frankreich; siehe Wikipedia: Ney, Michel (1769–1815)
  23. Russischer Feldmarschall; siehe Wikipedia: Paskewitsch Iwan Feodorowitsch (1782–1856)
  24. Agnes Kunigunde v. Gneisenau (1800–1822)
  25. Emilie Albertine Loide Gneisenau (1806–1855) mit Hohenthal (Stauffenberg), Graf Karl von (1803–1852)
  26. Hedwig Marie Gneisenau (1805–1890) mit Brühl, Graf Friedrich von (1791–1859), preußischer Generalleutnant
  27. Rhaden, Wilhelm von (1793–1860), Militär und Schriftsteller.