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ADB:Halm, Karl Ritter von

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Artikel „Halm, Karl“ von Wilhelm von Christ, Georg Laubmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 723–731, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Halm,_Karl_Ritter_von&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 13:49 Uhr UTC)
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Halm: Karl Felix H., geboren am 5. April 1809 in München als Sohn eines Kunsthändlers, hatte eine harte Jugend; frühe verlor er seinen Vater, und der Stiefvater hielt den kleinen Stiefsohn knapper als es dessen höher strebender Geist verlangte. Nachdem er die deutsche Schule und zur allgemeinen Ausbildung die unteren Classen des Gymnasiums durchgemacht hatte, sollte er in ein Spezereigeschäft als Lehrling eintreten. Aber dagegen sträubte sich sein Geist, der schon Besseres genossen hatte, und durch inständiges Bitten wußte er den Vater zu bewegen, daß er auf dem Gymnasium seine Studien fortsetzen durfte. Dafür mußte er sich dazu verstehen, schon am Gymnasium durch Stundengeben einen Theil der Mittel sich zu erwerben. Aber so sehr ihn auch die Privatlectionen in seinen Studien beengten, so entwickelte er doch einen solchen Grad von Fleiß und Fähigkeit, daß er in dem allgemeinen Fortgang und in den einzelnen Fächern einen Preis nach dem andern gewann. Nachdem er im J. 1826 mit Auszeichnung das Gymnasium absolvirt hatte, machte ihm die Berufswahl nicht viel Kopfzerbrechen: der Beruf eines höheren Lehrers in der classischen Philologie stand ihm von Anfang an fest. Da von dem Besuch einer auswärtigen Universität keine Rede sein konnte, so war er auf seine Vaterstadt München angewiesen, nach der gerade damals die Universität von Landshut verpflanzt worden war. Unter den philologischen Lehrkräften ragte weit vor den andern Friedr. Thiersch hervor; an ihn schloß sich H. zumeist an und ihn hat er zeitlebens als seinen Lehrer verehrt, wiewol er von dessen speciellen Vorzügen, dem feinen Verständniß der antiken Kunst und der großzügigen Erfassung des hellenischen Geistes, wenig sich aneignete. Aber was doch die Hauptsache für jeden Philologen ist und bleibt, die vertiefte Kenntniß der antiken Classiker und die kritische Durcharbeitung der überlieferten Texte, hatte er von Thiersch gelernt und es bildete in der ganzen Folgezeit Ziel und Richtpunkt für seine Studien, wie für seine litterarischen Bestrebungen. – Nachdem er 1830 den philologischen Staatsconcurs mit der Note I bestanden hatte, faßte er, da höhere Ziele zu verfolgen die Beschränktheit seiner Mittel verbot, eine Verwendung an einem Gymnasium ins Auge. Bei seiner Tüchtigkeit gelang es ihm auch trotz der Ungunst der Zeiten, an dem in München neu errichteten Ludwigsgymnasium zuerst eine Verweserstelle und dann eine Professur zu erhalten, und als im J. 1839 das Ludwigsgymnasium dem Benedictinerorden übergeben worden war, nach Speyer ans Gymnasium und Lyceum als Professor berufen zu werden. Die neue Stellung gab H. nach mehreren Seiten Befriedigung: er fand bei kleinerer Stundenzahl größere Muße zur Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Forschungen, er bekam Gelegenheit, durch halbakademische Vorträge am Lyceum seine ausgebreiteten Kenntnisse in der Alterthumswissenschaft zu erweitern, und er erwarb sich bald durch die ungewöhnliche Gediegenheit seiner Leistungen allgemeine Anerkennung in den gebildeten Kreisen der pfälzischen [724] Hauptstadt. Aber seines Bleibens in dem schönen Speyer sollte doch nicht lange sein. Schon war sein Ruf als scharfsinniger Gelehrter und tüchtiger Lehrer über die Grenzen seiner bairischen Heimath gedrungen, und als die Regierung des Herzogthums Nassau in Hadamar ein neues Gymnasium zu gründen unternahm, dazu aber die nöthigen Lehrkräfte im eigenen Land nicht zur Verfügung hatte, berief sie 1846 H. als Professor an das neue Gymnasium. Baiern hatte wahrlich keinen Ueberfluß an tüchtigen Philologen, gleichwol ließ das Ministerium Abel den angesehenen Schulmann, wie bald darauf auch Leonhard Spengel, ins Ausland ziehen und begnügte sich mit rühmender Anerkennung des scheidenden Gelehrten. In Hadamar fand sich H. nur schwer in die engen Verhältnisse des kleinen Städtchens und die unfertigen Zustände der neugegründeten Anstalt, aber er selbst griff mit frischer Energie seine Aufgabe an, und tiefgehend war der Einfluß, den das markige Wesen und der auf selbständiger Forschung beruhende Unterricht Halm’s auf die Gymnasialjugend übte. Lebender Zeuge dessen ist der mitunterzeichnete damalige Schüler des Gymnasiums W. Christ, der später seinem Lehrer auch nach München folgte und ihn im weiteren Verlauf des Lebens Freund und Collegen nennen durfte. In seinen gelehrten Arbeiten fand H. an den Hadamarer Collegen wenig Anhalt, dafür pflegte er um so eifriger den wissenschaftlichen Verkehr mit dem im benachbarten Weilburg wirkenden Freund Alfr. Fleckeisen und trat durch diesen auch mit dem großen Philologen F. Ritschl an der Universität Bonn in Beziehung. – Nicht lange erfreute sich Nassau des trefflichen Schulmanns; im J. 1849, als in München ein neues (drittes) Gymnasium errichtet wurde, und Minister Ringelmann den Ehrgeiz hatte, das neue nach König Max benannte Gymnasium zu einer „Musteranstalt“ zu machen, erfolgte Halm’s Rückberufung nach Baiern als Rector des Maxgymnasiums, dem er sieben Jahre, von 1849–1856, mit nachhaltigem Erfolge vorstand. – Inzwischen hatte sich H., dem schon 1844 die Ehre eines Mitgliedes der bairischen Akademie zu Theil geworden war, durch seine litterarischen Arbeiten, namentlich seine Ausgaben von Cicero und Tacitus, einen solchen Ruf in der Gelehrtenwelt erworben, daß er hoffen durfte, die Laufbahn eines Universitätslehrers, die auf dem gewöhnlichen Weg des Privatdocententhums zu erstreben ihm die frühere Enge seiner finanziellen Lage nicht erlaubt hatte, nunmehr durch die Erfolge seiner wissenschaftlichen Thätigkeit sich erschließen zu können. Nachdem zwei Versuche in München und Würzburg nicht zum Ziel geführt hatten, erhielt er 1856 einen glänzenden Ruf an die Universität Wien. Dieses Mal ließ ihn das bairische Cultusministerium, das unter Königs Max II. Auspicien Minister Zwehl verwaltete, nicht ziehen, sondern ernannte ihn zum Professor der classischen Philologie an der Universität München, zugleich aber auch, da die schon anderweitig stark in Anspruch genommenen Mittel der Universität nicht ausreichten, zum Director der königl. Hof- und Staatsbibliothek. Die Doppelstellung erlaubte es begreiflicherweise H. nicht, so enorm auch seine Arbeitskraft war, die volle Thätigkeit eines Universitätsprofessors zu entfalten: er beschränkte sich wesentlich auf die Leitung von stilistischen und textkritischen Uebungen im Seminar und auf exegetische Vorlesungen über lateinische und griechische Classiker. Aber war auch die Ausdehnung seiner akademischen Thätigkeit nicht sehr groß, so hat er doch in erwünschtester Weise bestehende Lücken in dem philologischen Unterricht der Münchener Universität ausgefüllt und durch Ausbildung eines feineren Sprachgefühls, Anleitung zur geschmackvollen Behandlung der Schulautoren, Exactheit der kritischen Methode Ausgezeichnetes für Heranbildung eines tüchtigen Gymnasiallehrerstandes geleistet.

[725] Ausgedehnter war seine Thätigkeit an der Bibliothek, der er auch den weitaus größeren Theil seiner Arbeitszeit widmete. Ueber die größeren Werke, die er hier schuf, und seine Verdienste um die Staatsbibliothek im einzelnen wird weiter unten gehandelt werden; hier sei nur über seine Leistungen im allgemeinen der Ausspruch eines vorurtheilslosen Kenners angeführt, Conrad Bursian’s, der ihm, selbst schon todkrank, die Grabrede hielt: „Als Director der kgl. Hof- und Staatsbibliothek hat Halm die seiner Oberleitung unterstellte Anstalt … zu einer Musteranstalt erhoben. Zugleich hat er … durch Heranbildung tüchtiger jüngerer Kräfte zum bibliothekarischen Beruf eine Gewähr geschaffen, daß auch nach seinem Hinscheiden sein Geist in der Verwaltung der Anstalt, deren Wohl ihm vor allem am Herzen lag, fortleben wird“.

Durch seine doppelte Lebensstellung und seine vielfachen litterarischen Unternehmungen war H. so stark in Anspruch genommen, daß er für das gesellige Leben nur wenig Zeit übrig hatte und sich selbst Kunst- und Naturgenuß nur selten gönnte. Aber deshalb war er doch kein Einsiedler; vielmehr suchte er in hohem Grade den Gedankenaustausch mit Fachgenossen: er war ein fleißiger Besucher der Philologenversammlungen, in Augsburg führte er das Vicepräsidium, in Wien gab er durch einen feindurchdachten Vortrag die Anregung zu dem später von Wölfflin weitergeführten Thesaurus linguae latinae; mit gelehrten Freunden unterhielt er einen sehr regen, ausgedehnten Briefverkehr. Größen seiner Wissenschaft wie Ritschl, Mommsen, Madvig erwies er gerne freundschaftlich besondere Aufmerksamkeiten. Charakteristisch war aber auch die Weise, wie er, der so viel aus dem Schatze seines Wissens und den Reichthümern der Staatsbibliothek zu geben hatte und freigebig gab, seinerseits die Fachgenossen, junge und alte, zu seinen wissenschaftlichen Arbeiten heranzog. Insbesondere waren es Brunn, Wilmanns, Studemund, Wölfflin, Bursian, O. Ribbeck, Zangemeister, Reifferscheid, A. Laubmann, die ihm, zumal in Italien und Frankreich, zeitraubende Handschriften-Collationen anfertigten. Andere lasen seine Correcturbogen mit, so daß in Halm’s Ausgaben viele ausgezeichnete Conjecturen von Madvig, Mommsen, L. Spengel, Vahlen, Usener u. v. A. stehen. Unter seinen Schülern war es namentlich Christ, der zu Cicero’s philosophischen Schriften, Valerius Maximus, Quintilian und den Rhetores latini viele Beiträge spendete; aber auch von manchem andern sodalis seminarii philologici Monacensis finden sich hübsche Versuche in den Noten seiner Ausgaben erwähnt. Alles dies trug mit dazu bei, daß auf dem Gebiete der Textkritik lateinischer Prosaiker H. in Wahrheit einen Mittelpunkt der philologischen Studien Deutschlands bildete. Unermüdlich thätig blieb H. in der wissenschaftlichen Forschung wie in seinem Berufe bis zu seinem Tode; nur seine Universitätsvorlesungen gab er etwas früher auf, nachdem er schon Jahre lang viel an Kolik, Schlaflosigkeit und Schwerhörigkeit gelitten und in wiederholten Badereisen keine Heilung gefunden hatte. Er starb an Herzbeklemmung am 5. October 1882.

Was Halm’s philologische Thätigkeit betrifft, so kennt und preist man ihn vielfach nur als Latinisten und Ciceronianer. Das ist zu einseitig. Die ersten Arbeiten Halm’s, mit denen er sich die philologischen Sporen verdiente, betrafen ebensosehr griechische wie lateinische Autoren, ja es überwiegen sogar in den kleineren Anfangsschriften die griechischen Arbeiten, wie „Lectiones Lycurgeae“ (1829), „Aeschyleae“ (1835), „Stobenses“ (1841 und 1842), „Symbolae criticae in Plutarchi Moralia“ (1842). Aber von ungefähr 1842 an wandte er sich mit Vorliebe Cicero und den lateinischen Prosaikern zu, weniger indeß aus einer besonderen inneren Zuneigung, als weil er hier ein [726] lohnendes Arbeitsfeld für seine philologische Thätigkeit fand, welche aber von Anfang an hauptsächlich der Textkritik zugewandt war und in dieser wiederum zumeist der sogenannten recensio oder Herstellung eines auf Grund der handschriftlichen Ueberlieferung gesicherten Textes. Auf die Verbesserung des Textes durch Conjectur verzichtete er natürlich auch nicht, aber darin lag nicht seine Stärke, sein Hauptverdienst bestand in der Beschaffung eines kritischen Apparates, im Aussuchen und Abwägen der maßgebenden Handschriften. Echtheitsfragen berührte er nur insoweit als sie mit der Textkritik zusammenhingen und verhehlte dabei gelegentlich, z. B. bezüglich der von F. A. Wolf verworfenen vier Reden Cicero’s post reditum nicht sein Mißtrauen in diese ganze Art der Kritik (cfr. Cic. opera II, 1 p. IX); Fragen der Mythologie, Litteraturgeschichte, Archäologie, Sprachvergleichung ging er geflissentlich aus dem Weg. Auch Quellennachweisen und selbst der Worterklärung, die mit der Textkritik nicht zusammenhing, gestattete er in seinen Editionen, von den erklärenden Schulausgaben abgesehen, nur wenig Raum. Zu den Ausgaben ausgewählter Reden Cicero’s schrieb er auch sachliche, allgemein geschätzte Einleitungen, während er sonst in den Präfationen sich nur über die handschriftlichen Hülfsmittel und die Geschichte des Textes zu verbreiten liebte. Haben wir auf solche Weise bei der Darstellung der litterarischen Leistungen Halm’s vornehmlich mit Ausgaben, Handschriftenverzeichnissen, textkritischen Aufsätzen zu thun, so darf doch eine auf einem anderen Gebiet liegende Jugendarbeit Halm’s nicht übergangen werden, die nicht zu den strengwissenschaftlichen Arbeiten zählte, deren sich aber der Verfasser auch in späteren Jahren keineswegs schämte; ich meine das zuerst 1830 erschienene und dann in vielen Auflagen wiederholte „Griechische Elementarbuch“ in vier Theilen und das sich daran anschließende auch stofflich ungemein interessante „Griechische Lesebuch“. Die präcise Fassung der Regeln und die geschickte Auswahl der Beispiele haben ihren guten Dienst geleistet und viel zur Festigung des grammatischen Unterrichts im Griechischen beigetragen. – Unter den Ausgaben und kritischen Untersuchungen verdienen den ersten Platz die auf Cicero bezüglichen. Zusammen mit Baiter hat er in der 2. Auflage der Gesammtausgabe Cicero’s von Orelli für die Reden und die philosophischen Schriften die handschriftliche Grundlage geschaffen (Ciceronis opera ex recensione J. C. Orellii. Ed. altera emendatior. Opus morte Orellii interruptum continuaverunt J. G. Baiter et Car. Halm. Vol. II: orationes, 2 partes. Vol. IV: libri philosophici. Turici 1854–1862).

Während Orelli sich wesentlich mit Angabe der Lesarten der älteren Ausgaben begnügt hatte, erkannten es die neuen Herausgeber als eine ihrer ersten Aufgaben, auf die Handschriften zurückzugehen, den Ballast der älteren Ausgaben und schlechtbeglaubigten Varianten über Bord zu werfen und dafür sorgfältige Collationen der besten, maßgebenden Codices zu geben. Das war keine kleine Aufgabe, da die Wege der Ueberlieferung in den einzelnen Reden stark auseinandergehen und die neuen Herausgeber in ihrer Gewissenhaftigkeit sich nicht auf die Angaben älterer Vorgänger verlassen zu dürfen glaubten, sondern durchweg neue Collationen entweder selbst anfertigten oder durch Freunde besorgen ließen. Mit welchem minutiösen Fleiß, zugleich aber auch mit welchem Geschick und Erfolg dieses geschah, kann auch der Fernerstehende aus der lichtvollen Einleitung des ersten Bandes der Reden ersehen. Besondere Erwähnung möge es finden, daß bei der Suche nach Cicerohandschriften es auch gelang, eine alte Tegernseer Handschrift (jetzt cod. lat. Monac. 18787)) in Paris bei einem Antiquar aufzustöbern und der bairischen Staatsbibliothek wieder zuzuführen. In ähnlicher Weise wurde auch in den philosophischen Schriften [727] Cicero’s der Text auf Grund der besten Handschriften neu aufgebaut, wenn auch hier H., der in der philosophischen Litteratur wenig zu Hause war, nur einen kleinen Theil der Arbeit selbst ausführte. Außer der großen Gesammtausgabe der Reden besorgte er auch zwei Sonderausgaben ausgewählter Reden mit Commentar, eine in lateinischer Sprache (I, 1–3. II, 1. 2. Lips. 1845–48) und eine in der von Haupt und Sauppe begründeten Sammlung griechischer und lateinischer Schriftsteller mit deutschen Anmerkungen. Die letztere fand eine besonders günstige Aufnahme wegen der sachlich und historisch trefflich orientirenden Einleitungen und der präcisen, Gelehrsamkeit mit pädagogischem Tact verbindenden Noten. Die einzelnen Bändchen (7) erlebten alle zahlreiche Auflagen und werden nach dem Tode des Autors von seinem Schüler und Amtsnachfolger, dem mitunterzeichneten G. Laubmann auf der wissenschaftlichen Höhe erhalten. Natürlich gingen diesen großen Werken viele kleinere Abhandlungen und Aufsätze zur Seite, aber höher als die darin entwickelte Gelehrsamkeit ist die Kunst anzuschlagen, mit der H. sich in die Sprache seines geliebten und bewunderten Autors hineinzuleben verstand. Ohne gerade ciceronisch zu schreiben, hat er die Correctheit und Schönheit der lateinischen Sprache wie kein zweiter nachgebildet; an ihn wandte man sich von allen Seiten bei Abfassung lateinischer Adressen und Diplome, und seine lateinisch geschriebenen Vorreden zu lesen ist ein wahrer Kunstgenuß. – Von den anderen Ausgaben Halm’s sind die meisten in dem Teubner’schen Verlag erschienen, mit dessen Leitern er in vertrautem Verkehr stand und die in ihren großen Unternehmungen hauptsächlich auf seinen Rath hörten. In der Bibliotheca Teubneriana ließ er erscheinen den Tacitus (2 Bde. 1850, 4. Aufl. 1883), die Fabulae Aesopicae (1852), den Florus (1854), den Valerius Maximus (1865) und Velleius Paterculus (1876). Alle diese Ausgaben beruhen auf gründlichen handschriftlichen Studien und sind durch Correctheit des Druckes und Sorgfalt der beigegebenen Indices ausgezeichnet. In einem größeren Format, das zum Theil nur aus buchhändlerischen Rücksichten gewählt war, erschienen in dem gleichen Verlag „Cornelius Nepos apparatu critico adiecto“ (1871), „Quintiliani institutionis oratoriae libri duodecim“ (1868/9), „Rhetores latini minores“ (1863). Von diesen Ausgaben ist die subtilste die des Quintilian, in der die Fäden der handschriftlichen Ueberlieferung auf das glücklichste entwirrt sind und für jede weitere Untersuchung das Fundament gelegt ist. Die meiste, zum Theil aber mehr mühsame als fruchtbringende Arbeit steckt in der Ausgabe der kleinen rhetorischen Schriften, die lange vernachlässigt, zum größten Theil mit ganz neuen Hülfsmitteln lesbar gemacht werden mußten. Für einen andern wäre die Bearbeitung dieser 24 Schriften eine Lebensaufgabe gewesen, für Halm’s unermüdliche Arbeitskraft bildete sie nur eine Ergänzung anderer wichtigerer Studien auf dem Felde der römischen Beredsamkeit. – Mit den angeführten Ausgaben blieb H. in dem Bereich der classischen Philologie, so daß er nicht nur an den Resultaten seiner gelehrten Untersuchungen seine Freude hatte, sondern durch sie auch zu tieferem Eindringen in die Classiker und zum Genusse wiederholter Lectüre seiner Lieblinge gelangte. Mit der Zeit trat darin eine Aenderung ein, so daß in den späteren Ausgaben Halm’s das Interesse an den Schriften selbst zurücktrat und lediglich die Methode und die Routine philologischer Textbearbeitung zur Geltung kam. Anlaß dazu boten die großen philologischen Unternehmungen, die Herausgabe der lateinischen Kirchenväter durch die Wiener Akademie und die Ergänzung der Monumenta Germaniae historica durch Neubearbeitung der Auctores antiquissimi. H. war für die Zweckmäßigkeit jener Unternehmungen, wenn er auch keine innere Beziehung zu den herauszugebenden [728] Schriften hatte, eingenommen, und die Leiter der Unternehmungen auf der anderen Seite bewarben sich um die Ehre den berühmten Philologen, der bereits durch seine Herausgeberthätigkeit auf dem Gebiete der lateinischen Prosa ein ähnliches Ansehen wie Immanuel Bekker auf dem der griechischen Litteratur gewonnen hatte, unter den Mitarbeitern anführen zu können. So bearbeitete er in dem Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum den Sulpicius Severus (1866) und des Minucius Felix Octavius zusammen mit des Jul. Firmicus Maternus liber de errore profanarum religionum (1867), in den „Auctores antiquissimi“ den Salvianus (1877) und des Victor Vitensis historia persecutionis Africanae provinciae (1878). Die Thätigkeit des Herausgebers ist in allen diesen Ausgaben so sehr auf die allerdings mit Virtuosität gehandhabte Technik der philologischen Bearbeitung beschränkt, daß auch in den Einleitungen nur von den handschriftlichen Hülfsmitteln, nicht auch von dem Leben der Autoren und der Stellung der Schriften in der Geistesströmung ihrer Zeit gehandelt ist. Auch für litterarische Unternehmungen seines speciellen Heimathlandes stellte H. seine Kraft gern zur Verfügung und so hat er sich nicht bloß für den Plan einer Ausgabe der Gesammtwerke des großen bairischen Historikers Aventin lebhaft interessirt, sondern auch selbst die Herausgabe von dessen kleineren philologischen und historischen Schriften (1880) übernommen. Besonders aber um die Allgemeine Deutsche Biographie hat er sich die größten Verdienste erworben, nicht nur durch die Abfassung einer Reihe von Beiträgen, sondern vor allem durch seine bibliothekarische Unterstützung, die in Verständniß und Umfang von keiner anderen Verwaltung übertroffen werden konnte.

Als 1869 R. v. Liliencron von der Historischen Commission der Münchener Akademie mit der Leitung dieses jetzt bis zum 50. Band geführten Unternehmens betraut und zu diesem Ende nach München übergesiedelt war, galt es zunächst, einen Entwurf und ein vorläufiges Verzeichniß der in die Biographie aufzunehmenden Namen aufzustellen. Bei dieser Arbeit, welche nur unter Ausnutzung der umfassendsten litterarischen Hülfsmittel gemacht werden konnte und eine Zeit von drei Jahren beanspruchte, ehe an die weitere Ausarbeitung gegangen werden durfte, ermöglichte H. dem Herausgeber nicht nur, soweit es ihm amtlich gestattet war, die freieste Benutzung der Bücherschätze, sondern vermittelte ihm auch beim Ministerium manche wünschenswerth erscheinende weitere Freiheit der Bewegung in der Bibliothek. Er folgte diesen Vorarbeiten stets mit regem Interesse und unterstützte sie mit dem Schatz seiner Einsicht und Erfahrungen. Als es dann an die Ausführung der Biographien selbst ging, übernahm H. in Verbindung mit Bursian die Berathung des Leiters auf dem Specialgebiet der classischen Philologie, und beide Männer haben diese uneigennützig gewährte wichtige Hülfe dem nationalen Werke bis zu ihrem Tode treu geleistet, H. selbst schrieb dazu eine Reihe von 91 Biographien, von Bernh. Abeken bis zu Justus Lipsius reichend. Hier nahm ihm der Tod die unermüdliche Feder aus der Hand; den interessanten Artikel über N. M. Oppel hatte er schon früher fertiggestellt.

Als Director der kgl. Hof- und Staatsbibliothek ist H. trotz seiner Doppelstellung derjenige gewesen, welcher für die selbständige Entwicklung des bibliothekarischen Berufs in Baiern die später weiter verfolgten Bahnen vorgezeichnet hat. Mit zielbewußter Energie trat er am 1. September 1856 die neue Thätigkeit an und hat in seiner 26jährigen Wirksamkeit mit unermüdlicher Arbeitskraft so viel Bedeutendes angeregt und geschaffen, daß seine Direction in der Geschichte der Münchener Hof- und Staatsbibliothek immer eine wichtige Epoche bedeuten wird. Das Hauptverdienst seiner Amtsführung liegt in der großen, wahrhaft wissenschaftlichen Liberalität, die er zum Principe gegenüber [729] den Benutzern der Bibliothek erhob, in der Pflege der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bibliothekverwaltung, die in dem Handschriftenkatalog ihren klarsten Ausdruck gefunden hat, in der systematischen Umsicht, womit er vorhandene Lücken in den Bücherbeständen ausfüllte, und in der ungewöhnlichen Gewandtheit, womit er die geschäftlichen und technischen Aufgaben seiner Stellung bewältigte und auch Gelegenheiten zu bedeutenden Neuerwerbungen wahrzunehmen verstand.

Um die ihm anvertrauten Schätze für die Forschung zugänglich und nutzbar zu machen, brach er mit den bisher üblichen Beschränkungen im Leihverkehr am Orte und nach auswärts. Wenn er dabei, wie es die Einführung eines neuen Princips leicht mit sich bringt, manchmal zu weit ging und kein Bedenken trug, auch Cimelien aus dem Hause zu geben – sogar die Nibelungenhandschrift A hat er versendet, freilich an einen Gelehrten wie Fr. Zarncke –, so bleibt doch die Durchführung des Grundsatzes, daß die lebendige wissenschaftliche Verwerthung wichtiger ist als die todte Conservirung, ein Fortschritt gegen die geltenden Anschauungen, der nothwendig war, um dem jetzt allgemein systematisch ausgebauten Leihverkehr von Bibliothek zu Bibliothek die Bahn zu brechen. Ebenso wurde eine viel freiere und reichlichere Benützung der Bibliothek an Ort und Stelle freigegeben und dem Bedürfniß der einheimischen Forscher in entgegenkommendster Weise Rechnung getragen. Nicht nur durch neu erscheinende Litteratur hat H. die Bücherbestände vermehrt, sondern nach Maßgabe der vorhandenen Mittel die einzelnen Abtheilungen der Bibliothek der Reihe nach durch antiquarische Einkäufe ergänzt. Er beschränkte sich dabei nicht auf die ihm persönlich naheliegenden Gebiete, sondern mit gleichmäßiger Gewissenhaftigkeit und vielseitigem Verständniß dehnte er seine Sorgfalt und Fürsorge auf alle Fächer aus und bediente sich dabei vorurtheilslos des Beirathes von Fachmännern wie Döllinger, Marcus Joseph Müller (mit dessen Schwester er verheirathet war) u. A., die sich ihm bereitwillig zur Verfügung stellten. Außerdem aber mochte er sich nicht versagen, auch durch größere Erwerbungen der Bibliothek neuen Glanz zu verleihen, so durch den Ankauf der Kolmarer Liederhandschrift, der Thibaut’schen musikalischen Sammlung, der orientalischen Handschriften aus dem Nachlasse von Martin Haug (1876) und, nachdem sich der beabsichtigte Ankauf der Sprenger’schen Sammlung orientalischer Handschriften (1857) zerschlagen hatte, der großen Bibliothek des berühmten Orientalisten Stephan Quatremère (um 340 000 Francs, im Jahre 1858).

Eine so großzügige, weit ausgreifende Führung der Neuanschaffungen war aber nur möglich durch die Erschließung neuer Einnahmen für die Bibliothek, da die laufenden Mittel diesen Bedarf nicht entfernt zu decken vermochten. Hierin ist nun H. mit großer Geschäftsgewandtheit und erfolgreich verfahren, indem er z. B. im Auslande die vortheilhaftesten Commissionäre ausfindig machte und durch directen Bezug nach Möglichkeit die Kosten verringerte. Doch ist er auch vor Mißgriffen beim Beginn seiner bibliothekarischen Thätigkeit nicht bewahrt geblieben. Kein Sachverständiger wird die Art, in welcher H. durch den Verkauf der werthvollsten Doubletten oder solcher Werke, die ihm als Doubletten galten, in kurzer Zeit große Summen zu erlösen verstand, vollständig zu rechtfertigen versuchen, und die schweren Anklagen, die Anton Ruland deswegen im bairischen Landtag (1859) erhob, konnten durch Halm’s Vertheidigungsschrift nur abgeschwächt, nicht gänzlich widerlegt werden. Im „Serapeum“ vom Jahre 1859 sind die wichtigsten Thatsachen von den beiden großen Auctionen in Augsburg und Paris, die eine Reihe kostbarer Doubletten der Bibliothek unwiederbringlich ins Ausland brachten, mitgetheilt und die Streitschriften von H. und Ruland angezeigt. Jedenfalls steht aber die bona fides Halm’s dabei außer allem [730] Zweifel, und daß er nicht bloß kaufmännische Gesichtspunkte als maßgebend betrachtete, beweisen die großartigen Erwerbungen, die von dem über alle Erwartung hohen Ertrag der Versteigerungen gemacht wurden. Mit einem Deficit hatte H. die Direction angetreten; nun konnte er schon nach wenigen Jahren auf finanzielle Leistungen des ihm unterstellten Instituts hinweisen, die seine ehrlichen Bemühungen, möglichst Großes und Ersprießliches für die Bibliothek zu schaffen, als ungewöhnlich erfolgreich erwiesen. Besonderen Nachdruck legte H. dabei auf den Umstand, daß auch die Kosten für die Herstellung des gedruckten Handschriftenkatalogs aus den laufenden Mitteln zu bestreiten waren, und so ist dieses Monumentalwerk mit der wichtigste Beleg, wie bei allen Finanz- und Verwaltungsmaßnahmen Halm’s die großen wissenschaftlich bibliothekarischen Aufgaben von ihm zur Richtschnur genommen wurden. Die 15 Bände dieses „Catalogus codicum manuscriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis“ (1858–1881), welche mit Ausnahme der griechischen Handschriften – von diesen lag schon ein älterer gedruckter Katalog vor – und der Codices iconographici den ganzen Reichthum der Hof- und Staatsbibliothek der gelehrten Welt bekannt machten, sind das großartigste Denkmal von Halm’s Directionsführung. Wohl fußt diese Riesenarbeit auf den breiten und sicheren Grundlagen, die Schmeller gelegt hatte; aber die Ausführung mit verschiedenartigen, theilweise wechselnden Hülfskräften erforderte immer noch die ganze Energie einer weitsichtigen führenden Persönlichkeit, die mit eigener wissenschaftlicher Bedeutung auch die Fähigkeit verband, andere an die richtige Stelle zu setzen und den weitverzweigten Mechanismus der großen Bibliothek mit ihrem Geiste organisch zu durchdringen und zu leiten.

Eine besondere Neigung, die weit über den Charakter einer bloßen Liebhaberei hinausging, besaß H. für das Sammeln von Autographen. Die große Privatsammlung, die er sich anlegte und liebevoll ausbaute, barg eine Menge der kostbarsten Stücke und gewann einen solchen Umfang, daß dafür bei ihrer Versteigerung nach seinem Tode – den Katalog dafür hatte er noch selbst angefertigt – über 36 000 Mark erlöst wurden. Einige besonders interessante Mittheilungen daraus, einen Brief von Sebastian Brant, von Thomas Murner u. A., veröffentlichte H. im J. 1871 in den Sitzungsberichten der Münchener Akademie als „Beiträge zur Litteratur und Geschichte aus ungedruckten Briefen“. Ein anderes Mal, bei dem Philologentag in Innsbruck (1874), legte er eine erlesene Ausstellung von Humanisten-Autographen des 16. und 17. Jahrhunderts vor. Aber auch bei der ihm unterstellten Bibliothek begründete er eine bedeutende Autographensammlung, die nach einem von der Regierung genehmigten Aufruf (1858) durch zahlreiche Schenkungen rasch anwuchs. H. selbst hat ihr aus seinem Besitz viele Briefe zugewiesen und sie durch glückliche Ankäufe – leider auch durch Tauschhandel – zu vermehren gewußt. Von seinen Ankäufen waren zwei besonders bedeutungesvoll und von reichem Ertrag für die deutsche Litteraturgeschichte, die Erwerbung des handschriftlichen Nachlasses von Joh. Heinr. Voß (1867) und von Platen (1870). Die wissenschaftliche Ausbeutung der Vossiana hat H. selbst glänzend eingeleitet durch seine kritische Studie „über die Vossische Bearbeitung der Gedichte Hölty’s“ (1868) und seine beiden Ausgaben von Hölty’s Gedichten und Briefen (1869 und 1870), in denen der Dichter zum ersten Male ohne die zahlreichen willkürlichen Aenderungen seines Testamentsvollstreckers Voß zu Worte kam; Publicationen anderer Gelehrter über Friedrich Leopold von Stolberg, Martin Miller und andere Haingenossen haben den Werth des Vossischen Nachlasses als einer wahren Fundgrube zur deutschen Litteraturgeschichte noch weiter ins Licht gestellt. Daß aber auch die Plateniana, die H. selbst noch nicht allgemein [731] zugänglich machte, geeignet waren, der Forschung völlig neue Aufschlüsse zu bieten, das haben erst die daraus erfolgten bedeutsamen Publicationen des letzten Jahrzehnts bewiesen.

Es war natürlich, daß bei der hier gekennzeichneten Vorliebe Halm’s für Autographen und ihre wissenschaftliche Ausnutzung die Collectio Camerariana der Hof- und Staatsbibliothek ein Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit für ihn werden mußte. Diese große Collection, die nicht bloß die gelehrte und diplomatische Correspondenz der vier berühmten Camerarii, sondern auch eine von Ludwig Camerarius angelegte Sammlung von Autographen und Documenten einschließt, hat H. durch einen genauen Katalog (1874), der fast 200 S. stark einen Band für sich in dem großen Münchener Handschriftenkatalog bildet, beschrieben und damit diese ungeheuer reichen Quellen zur gelehrten und politischen Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts der Forschung eigentlich erst erschlossen. Auch über diese Arbeit, die Schicksale und den Bestand der Sammlung hat er in der Münchener Akademie (1873) berichtet. Ueber einen einzelnen Humanisten aus dem Kreise der Camerarii hat H. gehandelt in der litterarhistorischen Untersuchung „Ueber die Echtheit der dem Justus Lipsius zugeschriebenen Reden“ (1882); auch sie erschien in den Sitzungsberichten der Münchener Akademie als „das letzte Werk des verewigten Meisters“.

Grabrede des altkatholischen Pfarrers A. Gatzenmeier (Grab- und Gedächtnißreden. München 1890. S. 40–42). – Nekrologe von C. Bursian im Biographischen Jahrbuch für Alterthumskunde. 5. Jahrg. 1882. S. 1 bis 6; W. Christ in der Beilage zur Allg. Ztg. 1882, Nr. 305–306; Gedächtnißrede von Ed. Wölfflin in der öff. Sitzung der Münchener Akademie vom 28. März 1883.