ADB:Ringwaldt, Bartholomäus
Goedeke behauptet: „geboren den 28. November 1532“, so hat er eine Bemerkung Ringwaldt’s am Schlusse der „Evangelia“: „So reimet er Bartel Ringewaldt, da er war neunundviertzig alt“, im Auge, legt dieselbe aber allzu wörtlich aus, indem er einfach vom Datum der Vorrede, 28. November 1581, 49 Jahre zurückrechnet. Zwischen der Niederschrift der Schlußworte und der Drucklegung konnten sehr wohl 1–2 Jahre verstreichen, und deshalb werden wir an dem Geburtsjahre 1530 (oder 1531) festzuhalten haben, obwohl auch Seidel angibt, daß R. 1599 67jährig gestorben sei. Zwölf- oder dreizehnjährig ward er im Sommer 1543 als Bartholomaeus Ringenwaldt Francofordiensis puer in das Universitätsalbum seiner Vaterstadt eingetragen und lernte später, wie er in der „Lauteren Warheit“ erzählt, Hieronymus Schurf kennen, welcher hier 1547–54 eine juristische Professur bekleidete. In Wittenberg, wohin sein Landsmann Chr. Stymmel (s. d.) ging, hat er, nach Ausweis der Matrikel, nicht studiert, trotz Wippel’s gegentheiliger Behauptung. Nachdem er zunächst wohl in den Schuldienst eingetreten und 1556 ins Pfarramt aufgerückt war, berief ihn 1566 der Herrenmeister des Johanniterordens zu Sonnenburg, Franz von Naumann, dessen Nachfolger Graf Martin von Honstein ward, zum Prediger in dem zur Komthurei Lagow gehörigen Dorfe Langenfeld bei Zielenzig. Hier blieb er bis zu seinem Tode, welcher, wie Seidel berichtet, am 9. Mai 1599 erfolgte. Noch im 62. Jahre hatte er sich, da er die Bitterkeit des Wittwerstandes schmerzlich empfand, zum zweiten Male verheirathet, und zwar mit einer jungen Crossenerin, Dorothea Krüger. Mit dem jüngsten Bruder des Dichters Franz Hildesheim (s. A. D. B. XII, 410), dem Züllichauer Syndicus Constantin Hildesheim (nach 1555 geboren, † 1612), welcher mütterlicherseits ein Enkel Franz v. Naumann’s war, war R. verschwägert. Von seinen Söhnen wurde der eine, Johann, Conrector und Archidiakonus in Seehausen, der andere, Christian, gab, als Bürger und Kaufmann zu Rauen in Lithauen, 1644–46 mehrere Schriften seines Vaters neu heraus und starb am 30. Januar 1658, in seinem Neudrucke der „Lauteren Warheit“ (Königsberg 1644), zu welchem Simon Dach ein Gedicht: „Muß denn nur Boßheit siegen“, beisteuerte, soll sich auch ein Porträt Ringwaldt’s befinden; doch fehlt dasselbe in dem Exemplare der Leipziger Stadtbibliothek.
Ringwaldt: Bartholomäus R., lutherischer Dichter zu Ende des 16. Jahrhunderts. Ueber sein Leben ist fast nur das Wenige bekannt, was sich aus gelegentlichen Andeutungen in seinen Schriften ergiebt. Da er in der am 12. Januar 1597 unterzeichneten Komödie Plagium von sich sagt: „der ich jtzt von 66 Jahren, vnd vber 40 Jar im heiligen Ministerio gewesen“, so ergibt sich, daß er 1530 (oder Anfang 1531) zu Frankfurt a. O. das Licht der Welt erblickte. Wenn dagegenRingwaldt’s schriftstellerische Thätigkeit begann erst im höheren Alter. Die Regel, die er 1581 den jungen und frühklugen Theologis gibt, vor dem 40. Jahre nichts drucken zu lassen, hat er selber treulich befolgt: seine erste Veröffentlichung, einige geistliche Lieder, datirt von 1577. Er wollte damit dem Vorurtheile wehren, als ob „die Dorff-Pfarhern nichts studiren, sondern nur des Kruges vnd des Ackerbawes warten“. Der wachsende Beifall veranlaßte eine vermehrte Thätigkeit. Sein einflußreichstes, in mehr als 40 Auflagen, auch in niederdeutscher Uebertragung verbreitetes Werk gehört der seit dem frühen Mittelalter angebauten Visionslitteratur an. Die erste Gestalt desselben führt den Titel: „Newe zeittung, so Hanns Fromman mit sich auß den Hellen vnnd dem Himel bracht hat, Amberg 1582, 4°“, und enthält etwa 1350 Verse. In der 1588 zu Frankfurt a. O. erschienenen Umarbeitung, welche auf 6000 Verse vermehrt ist, benennt R. seinen [641] Helden nach dem aus der Volkssage (Agricola, Sprichw. 667) bekannten treuen Wächter am Venusberg, der schon 1534 als Kalenderfigur und ähnlich 1538 in einem Fastnachtsspiele Wickram’s als Warner aller Stände auftritt: „Christliche Warnung des Trewen Eckarts.“ Dieser berichtet, wie er in einer Verzückung, während ihn seine Freunde als todt in den Sarg legten, von einem Engel durch den Himmel und die Hölle geführt worden sei. Seine Beschreibung der unsinnlichen Himmelsfreuden in der zweiten Bearbeitung fällt freilich etwas hausbacken aus; naiv schildert er die schönen Stühle und Bänke daselbst, und läßt die Seligen einen zwölftausendstimmigen Choral „mit eitel Fusen in B-moll“ singen. Er erkennt auch einzelne Selige: die Reformatoren Luther und Melanchthon neben Daniel, Paulus, Augustin, Bernhard, den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen neben David, Constantin, Theodosius, seine Gemahlin Sibylla von Cleve neben Eva, Sara, Maria. Aber es bleibt bei der bloßen Aufzählung. Lebendiger wirkt die Darstellung der Hölle, wenn sich R. auch nicht zu dem Schwunge eines Meyfart (s. A. D. B. XXI, 646) oder gar der schöpferischen Phantasie eines Dante zu erheben vermag. Er sieht nicht bloß die Plagen der Verdammten, wie Kain’s, Nero’s, Julian’s und des Antichristen, sondern berichtet auch ihre Klagen, Lästerungen und Verwünschungen: ein lutherischer Maulchrist erzählt sein Leben, ein Wucherer warnt vor dem Mammonsdienst, ein wüster, tyrannischer Junker fleht seinen Gärtner, Marx Heidekorn, der von ihm erschlagen und in den Himmel gelangt ist, um einen Tropfen Wassers an, eine eitle Putzdame beklagt ihr auf Nichtigkeiten gerichtetes Leben, ein schmeichlerischer Rath, ein Hofprediger, ein böser Jurist, ein Bauer lassen Selbstanklagen hören. Die Ewigkeit der Höllenstrafen zu veranschaulichen, entlehnt R. dem Mystiker Suso die Parabel von dem Berge, von welchem ein Vöglein alle tausend Jahre ein Sandkorn wegträgt. Der halbdramatische Charakter des Werkes bewog den Dresdner Kanzleisecretär Andreas Hartmann (s. A. D. B. X, 680), es 1600 zu einem Schauspiele zurechtzuschneiden, doch machte er sich die Sache sehr leicht und ging nur darauf aus, durch Parallelscenen die groben Effecte noch zu steigern. Auch Dionysius Klein’s mit großen Kupferstichen gezierte Tragicomedia von einer hochnothwendigen Wallfahrt beedes in die Höll und in Himmel (Tübingen 1622) scheint von R. beeinflußt zu sein. – Höher steht sein andres großes Lehrgedicht, „Die lauter Warheit“, welches seit 1585 19 Mal gedruckt wurde, nach Hoffmann’s Ausdruck ein wahrer Zeit- und Sittenspiegel Deutschlands. Er geht aus von dem im Reformationszeitalter häufig benutzten paulinischen Bilde der geistlichen Waffenrüstung, aber er schildert nicht wie die französische Moralität ‚Mundus, Caro, Daemonia‘ oder der niederländische Dramatiker Laurimanus oder die Deutschen Huberinus, Bresnicer und Dedekind den Kampf des christlichen Ritters mit den höllischen Mächten, sondern er führt den Vergleich zwischen einem weltlichen Kriegsmanne und einem Christen an 24 Eigenschaften des ersteren und ebensoviel „Applicationen“ auf den letzteren durch, und hofft damit „den Teuffel zuentrüsten, vnd etlichen hartneckichen vnd hochtrabenden Sündern eine Klette oder frische Leimspille in den Bart zu werffen, das ist jnen ins Gewissen zureden vnd auffs wenigste Gedancken, wolt Gott bußfertige, zumachen.“ Mag man auch mit Gervinus die Einkleidung schleppend und langweilig finden, so muß man doch die frischen, naturgetreuen Charakterbilder bewundern, welche er hier wie im „Treuen Eckart“ von den verschiedenen Ständen entwirft, um daran Mahnung und Belehrung anzuknüpfen. Treffend zeichnet er den Wucherer, den Spieler, den Aufschneider, „Junker von Mentiris“, den Säufer, die verschiedenen Arten der Trunkenheit, z. B.:
Ein ander denn in voller weis
Andechtig zu erseufftzen weis,
[642] Red viel von Gott, vnd thut darnebn
Die Hende gegen Himmel hebn,
Als wer er voller Heiligkeit,
Vnd ist Bier vnd Barmherzigkeit.
Desgleichen redt er ohne List,
Sagt alles raus, was in jhm ist,
Vnd alle Ding so hertzlich meint,
Das er darüber Threnen weint.
Er geißelt die Laster des Kleiderprunkes, des Banketierens, der Raufsucht, die Habsucht des Adels, welcher die Kirchengüter an sich reißt, er verspottet die Alchymisterei, aber hat auch ein Auge für die schönen Seiten des Lebens und preist wie Fischart mit herzlicher Wärme die Ehe und das einträchtige Familienleben. Er schildert einen Schulmeister, wie er sein soll, und vermahnt die Mütter zu rechter Kinderzucht; dem bösen Richter und Juristen stellt er einen guten gegenüber, und hält ebenso den Söhnen und Töchtern, den Knechten und Mägden das Beispiel eines wohlgerathenen und eines bösen Genossen vor; die anschauliche Beschreibung der frommen Magd („Eine fromme Magd von gutem Stand“) ist durch C. M. v. Weber’s hübsche Composition bekannt. Freimüthig wendet er sich auch an seine Amtsgenossen und schilt sie, daß sie öfter im Kruge sitzen und Kegel schieben, daß sie im Hochmuth sich weiser als Paulus dünken, einander calvinistisch heißen und über das Concordienbuch unnütz hadern, spintisiren und scrupuliren: „Ihr werdet doch mit ewrem schreibn Im Wort wol arme Schüler bleibn, Vnd nimmermehr das quare, qui, Et quomodo ergründen hie.“ Den Pfarrfrauen schärft er Gastfreiheit ein. Besonders betrübt ihn die Zerrissenheit des Reiches; in patriotischem Eifer mahnt er die Fürsten, vorab die evangelischen, mit beweglichen Worten zur Einigkeit, damit man den Türken und dem Papste kräftig entgegentreten könne: „O edler Fried, du höchstes Gut, Wol dem, der bey dir wohnen thut, Vnd fröhlich vnter deinem Zelt Sich mit den seinen auffenthelt.“ Und das Alles geschieht in praktischer, anschaulicher Weise, ohne dogmatische Weitläufigkeit, in kräftigem Ausdruck und ungesuchter Bilderfülle; für den Tod am Galgen braucht er z. B. die Wendungen: am grünen Baum im Hanf ersaufen, oder: die Sterne durchs hänfen Fenster beschauen, oder: mit einem Spieß, da man die Küh anbindt, erschossen werden; ferner: mit dem Henker auf einem dürren Eichenstamm zusammenkommen, der hinderm Nacken Knoten schürzt, den Körper längt, den Atem kürzt; oder: „dem Henker in die Dohnen fallen, da ihm die hochgeseßnen Raben die harten Ohren werden schaben, mit welchen er nicht kunnte hören, wenn man ihn wollt was Gutes lehren“. R. tritt durch dies große Sittengemälde, welches auch im 17. Jahrhundert noch viel gelesen wurde, als ein würdiger Nachfolger an die Seite Seb. Brant’s. Fünfzig Jahre später stellte ein anderer Satiriker, Moscherosch, in seinen Gesichten Philander’s II, 6 aus einzelnen Stellen der „Lauteren Warheit“ einen ausführlichen „Lehr-Brieff der Soldaten“ (664 Verse) zusammen.
Auf dem Gebiete der Lyrik sind Ringwaldt’s Verdienste von den Hymnologen bisweilen überschätzt worden. Seine geistlichen Lieder, die theils als Anhang zu seinen größeren Dichtungen, theils selbständig erschienen, schlagen keine neuen Töne an, sondern folgen der einfältig-volksmäßigen Richtung des Nic. Hermann (s. A. D. B. XI, 247), welche Gervinus gut charakterisirt hat; nur darf man bei R. nicht von einer affectirten Naivetät reden. Ph. Wackernagel hat eine sehr große Zahl zusammengebracht, ohne auf Ringwaldt’s eigenthümliche Gewohnheit, überall, auch im Lehrgedicht und dramatischen Dialoge, vierzeilige, strophenähnliche Abschnitte zu machen, genügende Rücksicht zu nehmen; viele dieser Gedichte lassen sich kaum unter den Begriff des Kirchenliedes oder überhaupt des Liedes unterordnen. In einfachen Formen, gewöhnlich in der vier- oder siebenzeiligen Strophe [643] (zweimal in der sapphischen: „im Ton Integer vitae“; einmal in Halbversen) behandelt R. meist Psalmen oder andere biblische Texte; das alte Dies irae gibt er „gebessert“ im Anschluß an eine frühere Verdeutschung. Unter den freien Dichtungen sind neben dem kindlich schlichten Abendsegen: „Ich dank dir, Gott, von Herzen“ die zeitgemäßen, in Luther’s und Alber’s Stile gehaltenen Kriegslieder wider den Erbfeind und das Kinderlied gegen den römischen Antichrist bezeichnend. Mit den Türken beschäftigt sich R. überhaupt viel; wie er 1595 erwähnt, hat er von einem früheren Schüler, der neun Jahre in türkischer Gefangenschaft gelebt hatte, über ihr Leben und ihre Grausamkeit Kunde erhalten, und so weiß er in der „Lauteren Warheit“ von ihrer Kinderzucht, ihrem Maßlackessen vor der Schlacht u. A. zu erzählen. Das Todtentanzmotiv erscheint in einem Zwiegespräch des reichen Mannes mit dem Tode, ein Todtenkopf predigt von der Vergänglichkeit des Menschen, das jüngste Gericht wird geschildert, aber auch die Lebensfreudigkeit erhält in dem Frühlingsliede: „Gottlob, es ist vorhanden die frölich Sommerzeit“ ihr Recht, und das weltliche Volkslied übt öfter seinen Einfluß. Als jovialer Gesellschafter zeigt sich der Dichter in vier Epithalamien (1588, 92, 93, 95), die freilich stellenweise zu unbedeutender Gelegenheitsreimerei herabsinken. Wir wenden uns endlich mit Uebergehung der gereimten Sonntagsevangelien (1581) und zweier prosaischer Gebetsammlungen (1595) seinen beiden Schauspielen zu.
Das erste derselben, Speculum Mundi betitelt (Frankfurt a. O. 1590), bietet ein fesselndes, an Handlung reiches Bild aus der Zeitgeschichte voll satirischer und polemischer Tendenz, zu welchem er in seinen Lehrgedichten ja reichlich Vorstudien gemacht hatte. Der erste Theil (Act 1–2), scheint durch Joh. Stricker’s (s. d.) sechs Jahre zuvor gedruckte Moralität „De düdesche Schlömer“ und wohl auch durch die Lebensschicksale dieses Dichters angeregt zu sein und malt in womöglich noch grelleren Farben die Völlerei des Adels aus. Ein Junker Hypokratz (Hippokras = Gewürzwein) zu Malvitz in Schlesien (etwa Mallwitz bei Sorau oder Mollwitz bei Brieg) geht Sonntags früh, um seinen Rausch auszuschlafen, in die Kirche und stellt dann mit seinen Freunden ein neues Zechgelage an; er läßt den Pfarrer holen, weil er in der Kirche sein Laster gerügt hat, und gebietet ihm, sofort mit Weib und Kind ins Elend zu ziehen. Doch wie sein Uebermuth aufs höchste gestiegen ist, ereilt ihn ein jäher Tod, und die Teufel schleppen ihn fort. Im zweiten Theile werden die Bestrebungen der Gegenreformation vorgeführt. Der vertriebene Pfarrer findet bei einem protestantischen Freiherrn Aufnahme, nachdem er sich zur Augsburgischen Confession bekannt und einen Empfehlungsbrief Melanchthon’s überreicht hat. Aber sein Beschützer stirbt; der benachbarte Bischof überfällt im Einverständniß mit dem Bürgermeister während des Begräbnisses das Städtlein, läßt die Leiche auf den Schindanger bringen und den Pastor, dem er schon vorher nachgestellt hat, binden, um ihn als Ketzer zu verbrennen. Da rotten sich die Bürger zusammen, verjagen die Katholischen, befreien ihren Pastor und wählen den evangelischen Grafen von Schwartzenstein zu ihrem Herrn. Auf diese, von wahrhaft frischem und kräftigen Leben erfüllten Volksscenen folgt ein komisches Teufelspiel: der Teufel Malus erhält, weil er nichts wider die Evangelischen ausgerichtet hat, von seinen Genossen Pejor und Pessimus ungeheure Prügel. Den ernsthaften Epilog spricht ein Engel, welcher den Bischof bestraft hat. Ringwaldt’s Schwager, Caspar Irmisch, der als Rector zu Züllichau (1590–1612) die Schulcomödie pflegte, führte um 1610 zur Fastnacht diese „Comödie vom Hypokras“ mit seinen Zöglingen auf, wie sich einer derselben, der Chronist Georg Bruchman, noch 55 Jahre später mit Vergnügen erinnert. Joh. Dehn, Arithmeticus zu Chemnitz, stellte in seinem Drama Speculum Mundi, 1627 ebenfalls die Vertreibung eines evangelischen Predigers durch [644] einen, von seinen Räthen mißleiteten Grafen, dar, doch bekehrt sich der letztere infolge eines Traumes seiner Gemahlin; Ringwaldt’s Schauspiel hat nur durch die Schilderung des mit Weib und Kind hinwegziehenden Geistlichen (II, 2. IV, 3) auf dies dürftige Machwerk Einfluß ausgeübt. – Ringwaldt’s letzte Arbeit ist eine Uebertragung der 1593 erschienen lateinischen Komödie Daniel Cramer’s (s. A. D. B. IV, 546) vom sächsischen Prinzenraube: Plagium, o. O. 1597, zu der ihn sein Schwager Irmisch aufgefordert hatte. Er meidet darin die gelehrten Anspielungen und führt die komischen Scenen der groben und oft unflätigen Köhler mit Behagen weiter aus.
R. ist ein achtungswerther Charakter und eine durchaus erfreuliche litterarische Erscheinung. Obwol ein entschiedener Lutheraner, ist er dem theologischen Gezänke abhold und dringt auf das praktische Christenthum, auf die nächstliegenden Aufgaben der Zeit. Er besitzt die Gabe scharfer Beobachtung und anschaulicher und einfacher Darstellung und somit die vorzüglichsten Erfordernisse eines Sittenschilderers. Freimüthig und furchtlos nennt er die Laster aller Stände beim rechten Namen und scheut sich nicht, sie bis ins kleinste Detail auszumalen. Die Rohheiten der Köhler im Plagium, das ekelhafte Saufgelage der Junker im Speculum Mundi, der Katzenjammer des Hypokratz, welcher sich auf der Bühne wäscht und, auf der Erde liegend, vom Knechte den Rücken treten läßt, wobei er erstaunliche Naturlaute von sich gibt, führt er mit weitgehender Naturtreue vor, aber in der unbefangenen Absicht, das Leben zu schildern, wie es ist, sodaß Jeder, auch der gewöhnliche Bauer, ihn versteht und die Nutzanwendung auf sich machen kann. In den drastischen Schilderungen der Lehrgedichte und in den burlesken Teufelsscenen zeigt sich ein gesunder, derber Witz. Von weltverachtendem Trübsinn ist er weit entfernt; „Ich muß bißweilen schertzen“, sagt er selber. In dem Streben, lebendig, anschaulich, concret zu sein, verschmäht er die mittelalterliche Allegorie, streicht z. B. die Rolle der Fama im Plagium, gibt den Personen und Localitäten besondere Namen; nur in der „Lauteren Warheit“ führt er Frau Wahrheit klagend ein. Ebenso meidet er classische Gelehrsamkeit, obschon er bisweilen einen lateinischen Sinnspruch in die volksthümliche Rede einschaltet. Seinem Vorbilde Stricker gegenüber wahrt er seine Selbständigkeit. Allerdings tritt bei dem Gewicht, das R. auf das Detail legt, die Gefahr, darüber das Ganze, die Uebersichtlichkeit der Composition aus den Augen zu verlieren, nahe. Und so hat er sich in der „Lauteren Warheit“ öfter wiederholt oder das Zusammengehörige nicht nahe genug zusammengerückt; im Speculum Mundi tritt die Person des Pfarrers, welche die beiden Theile verknüpft, etwas zurück gegen die übrige Handlung. Die Anschaulichkeit und Ausführlichkeit kann auch zur Verwässerung und Plattheit führen; und dieser Gefahr ist R. in seinen kleineren Dichtungen nicht immer entgangen; man vergleiche z. B. das Lied: „Wach auff vom Sündenschlafe.“ Immer aber zeichnet er sich durch klaren Ausdruck und gewandte Behandlung des Verses aus.
- Vgl. Goedeke’s Grundriß² II, 512–517. – Ferner: G. Bruchman, Annales der Stadt Züllich, 1665, S. 119, 167 (Bruchman’s Ringwaldus redivivus ist verloren gegangen). – M. F. Seidel im Berliner Mscr. boruss. fol. 191, Bl. 147; 194, Bl. 71. – Küster, Altes und neues Berlin IV, 469. – Frankfurter Martrikel, hrsg. von E. Friedländer, 1887 I, 88. – Wackernagel, Kirchenlied I, 800–812; IV, 345, 906–1065, 1137–1139. – H. Beck, Die Erbauungslitteratur der evangelischen Kirche I, 234–238 (1883). – Weller, Annalen I, 362. – v. Maltzahn, Bücherschatz 1875, S. 20–22. – Eine nd. Uebersetzung des Treuen Eckart im Wolfenbütteler Mscr. Nov. 976. – Ueber ein fälschlich R. zugeschriebenes Lied vom Ursprunge der Schweizer vgl. Tobler, Schweizerische Volkslieder 1, XIV f. – S. Dach’s Gedichte, hrsg. von Oesterley, 1876, S. 992.