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ADB:Schraudolph, Johann von

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Artikel „Schraudolph, Johann v.“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 453–461, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schraudolph,_Johann_von&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 02:18 Uhr UTC)
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Schraudolph: Johann v. S., Historienmaler, gehört zu denjenigen Künstlern, welche in der Aera König Ludwig’s I. und durch die Huld dieses Maecen groß und berühmt und in der folgenden Epigonenzeit wie W. v. Kaulbach, Karl v. Piloty u. a. ebenso ungerecht beurtheilt, wie früher über ihren wahren Werth erhoben wurden. Unter den originalen Bahnbrechern steht S. wol nicht in erster Reihe, obwohl die Kraft und Ausdauer seiner Fähigkeiten höchst achtenswerthe Anerkennung verdient. Seinen Meister und Lehrer Heinrich v. Heß hat er niemals erreicht oder übertroffen, ebenso steht er an Feinheit und Frische der Erfindung unter seinen gleichzeitigen Genossen Joseph Anton Fischer und Joseph Scherer, welche, obgleich mehr begabte Naturen, nie in die gleiche Sonnenhöhe der königlichen Gnade gelangten. Dagegen gelang es ihm, eine Schule zu gründen, in welcher, nur mit geringer Ausnahme, die Scholaren in die breiten Fußtapfen des Meisters treten mußten. Johann S. wurde am 13. Juni 1808 zu [454] Oberstdorf im Allgäu geboren, welcher Landstrich überhaupt eine überraschende Zahl von Künstlern nach München lieferte; von seinem Vater lernte er das Tischlerhandwerk, gleichzeitig aber auch schon wacker Zeichnen und Oelmalen, da derselbe mit der, den Allgäuern überhaupt eigenen, vielseitigen Geschicklichkteit, einer von ihm gegründeten Feiertagsschule vorstand. So brachte unser Johannes, als er 1825 versuchsweise nach München zog, schon allerlei Kenntnisse mit. Eine wissenschaftliche Ausbildung wurde ihm indessen nicht; den Mangel derselben mußte er später durch das ganze Leben genug empfinden. Denn wenn man auch seinen eigenen Ausspruch: er habe nie etwas anderes, als die Bibel und die Legende der Heiligen gelesen, nicht wörtlich nehmen will, so steht doch so viel fest, daß er sich in das Studium der Kunsthistorie und der Geschichte nie absonderlich vertiefte, mit den Dichtern auf einem etwas gespannten Fuße blieb und von den übrigen Wissenschaften, selbst mit Einschluß der Theologie, sehr naive Anschauungen hegte. In den Mappen der Autographen-Sammler dürften Briefe von seiner Hand zu den größten Seltenheiten zählen, da eine Correspondenz zu erledigen ihm mehr Unbehagen und Mühe verursachte, als die Composition eines Bildes.

Völlig arm und mittellos, wie ehedem Pietro Vanucci nach Florenz, kam S. nach München; es schien unmöglich festen Fuß zu fassen. Schon gedachte er blutenden Herzens, in die Heimath zurückkehren zu müssen, als er dem guten Schlotthauer gerade noch rechtzeitig in die Hände fiel. Dieser echte Menschenfreund und immerdar hülfbereite Künstler nahm ihn an seinen Tisch und in sein Haus, sorgte für Arbeit, wies dem strebsamen Jüngling die Bahn, schuf ihm Gelegenheit zur Entfaltung und Verwerthung seiner rasch hervortretenden Fähigkeiten. S. arbeitete mit eisernem Fleiße, componirte und lithographirte einen Bildercyclus zu einer „Biblischen Geschichte für Kinder“ (München 1832 im Schulbücher-Verlag), welcher ohne den Namen des Zeichners erschien, längst vergriffen und vergessen wurde, aber doch beachtenswerth bleibt, weil darin das ganze Programm jener Münchener Kunstrichtung und der ganze S. mit allen seinen in der Folge großartig entwickelten Licht- und Schattenseiten deutlich ausgesprochen ist. Auch für die Reproduction des Holbein’schen „Todtentanzes“, welchen Schlotthauer durch Carl Högerl begonnen hatte, zeichnete S. ein Blatt, empfahl aber nach Högerl’s Ableben seinen jüngeren Bruder Claudius S. (geboren 1813) zur Vollendung des Unternehmens. Im brennendsten Eifer nach Ausbildung seiner Fähigkeiten modellirte S. sogar ein Relief, malte Bildchen aller Art und zeichnete einen Carton für das erste in den Regensburger Dom bestimmte Glasfenster. (Vgl. Stuttgarter Kunstblatt 1828, S. 156.) Dann kam S. als Schlotthauer’s Gehülfe in die Glyptothek und fand daselbst Gelegenheit, die technische Seite der Frescomalerei gründlich kennen zu lernen. Damit war der erste Schritt gethan in einer Kunstübung, worin S. später so große Erfolge errang. Seine Handfestigkeit und sein Farbensinn, dazu das leichtfließende Componirtalent empfahlen ihn an Heinrich Heß, als dieser jüngere Gehülfen für den großen Bildercyclus in der Allerheiligen-Hofkirche suchte. So war der junge Mann nicht allein alsbald geborgen, sondern auch schon im Stande, mit seinen Ersparnissen das väterliche Heim von drückenden Sorgen zu entlasten. Ebenso war es ein schöner, überaus anerkennenswerther Zug des treuen Herzens, daß S. baldmöglichst seine jüngeren Brüder, den trefflichen vorgenannten Claudius und den freilich minder begabten Matthias, nach München kommen ließ, ihre Ausbildung überwachte und sie zu tüchtigen Künstlern und Gehülfen an seinen Werken heranzog. Mit einer Begeisterung und einem Fleiße, der überhaupt durchs ganze Leben ihm zur Seite stand, schloß sich S., getragen von der freudigen Zuversicht des Gelingens, an Heinrich Heß. S. wäre vielleicht [455] mit gleichem Erfolge unter Cornelius, Peter Heß oder Rottmann vorwärts gegangen, hätte sogar als Verwaltungsbeamter oder Finanzmann eben so sicher sich ausgezeichnet, möglicherweise auch mit seiner metallreichen glockenreinen Stimme eine noch glänzendere Rolle als Heldentenor gespielt. Heinrich Heß erkannte diese gefüge Kraft und gewaltige Arbeitsfähigkeit und zog ihn (um 1832) zur Ausschmückung der Allerheiligen Hofkirche, wo S. bald selbständige Arbeiten unter den Augen des Meisters entwarf und zur Ausführung brachte; dazu gehören die Scenen aus der Geschichte des Moses: die Gesetzgebung am Sinai und der Mannaregen und das Schlagen des Wassers aus dem Felsen; auch die Gestalten des David und Saul, Samuel und Josua, die Evangelisten Marcus und Lucas sind von S., während zu den von Joh. Bapt. Müller gemalten „sieben Gaben des heiligen Geistes“ S. nur die Cartons zeichnete. Aber gerade diese Leistung reichte hin, ihm unter seinen Mitstrebenden, wie F. Binder, Max Seitz, C. Koch und Ludwig Moralt (geboren 1815 zu München, † am 24. Februar 1888 zu Reichenhall), einen entschiedenen Vorrang einzuräumen. (Vgl. Nr. 18 Stuttgarter Kunstblatt 1836, S. 75.)

Inzwischen war mit dem sanften und immer liebenswürdigen Claudius S. auch der geniale Joseph Anton Fischer (1814–1859) nach München gekommen. Beiden blühte das Glück alsbald Italien betreten und unter Ernst Förster’s Leitung nach alten Meistern in Padua, Florenz und Mailand zeichnen zu können. Nach Fischer’s Rückkehr wurden ihm, gemeinsam mit Johannes S., einige Cartons zu den Fensterbildern der Auerkirche übertragen – ein seltsames Experiment, zwei verschieden geartete Naturen an eine und dieselbe Aufgabe zu spannen. So entstanden gemeinsam die Bilder „Mariens Besuch bei Elisabeth“, der „Tod der Gottesmutter“ (mit dem von Fischer componirten „Grabzug der Madonna“) und die „Kreuzschleppung und Grablegung Christi“. Natürlich gab es alsbald mannichfachen Anstoß, wobei ihre Anschauungen und Gefühle weit auseinander gingen, zumal Fischer von einem größeren Schönheitssinn und einer ursprünglicheren Frische getragen und geleitet wurde; es kam zu scharf differirenden Erörterungen und S. behielt leider immerdar eine gewisse eifersüchtelnde Animosität gegen den geistig weit überlegenen jüngeren Collegen, dessen reine Seele kein Arg kannte. Man trennte also die Beiden und ihre Aufgaben. S. übernahm allein noch zwei Cartons („Christus als Knabe unter den Schriftgelehrten“ und „die Aufnahme Mariens in den Tempel“), um dann ganz zu den Arbeiten in der Basilika überzugehen, während Fischer neun weitere Fensterbilder (die übrigen hatten Röckel und Ruben übernommen) vollendete und dann die Compositionen zu den von König Ludwig in den Kölner Dom gestifteten Glasgemälden begann.

In der Basilika räumte Heinrich Heß seinem Schüler einen noch größeren Spielraum ein, indem er ihm nicht nur zwei kleinere Episoden und zwei Figuren von den die Apsis schmückenden Glaubensboten, sondern von dem großen, an den Wänden des Hauptschiffes hinlaufenden Freskencyclus aus dem Leben des Bonifacius fünf Bilder übertrug – eine auszeichnende Aufgabe, welche S. auch in glücklicher Weise löste. Hier schuf er (eine ausführliche Schilderung dieser Bilder findet sich in B. Stubenvoll: „Beschreibung der Basilika“, 1875, S. 61 ff.) wie Bonifacius den heidnischen Friesen predigt, die Bischofsweihe desselben, die Fällung der Donar-Eiche bei Geismar, die Salbung Pipin’s zum König der Franken und das Begräbniß des Bonifacius. S. stand mit diesen Arbeiten ebenbürtig neben seinem Meister und bewährte „stellenweise, z. B. in den Köpfen der Bischofsweihe oder bei dem Bilde des Begräbnisses, eine bis dahin in München noch nicht erreichte Höhe technischer Vollendung in Verbindung mit edler Charakteristik und feingefühlter Zeichnung“ (E. Förster, Gesch. der deutschen Kunst, 1860, V, 121). Es gereicht dem edlen Heinrich Heß zur Ehre, daß, nachdem er abgelehnt hatte [456] den Dom in Speyer auszumalen, er für diese Arbeit seinen zum anerkannten Meister durchgebildeten, geliebten und ausgezeichneten Schüler in Vorschlag brachte. Während S. später zu Speyer malte, kam Erzbischof Sibour und verlangte die Ausschmückung einer Pariser Kirche; ebenso bot ihm Bischof Räß von Straßburg seinen Münster an – S. lehnte jedesmal für sich ab, ohne einen Anderen zu nennen oder zu empfehlen. Schon 1831 hatte S. sein erstes Bild, eine Madonna, in den Kunstverein gebracht; 1839 erwarb Prinz Karl von Baiern ein religiöses Bild Schraudolph’s, dann kaufte König Ludwig 1840 die „heilige Jungfrau mit dem Jesuskinde“ (gestochen von J. M. Enzing-Müller als Kunstvereinsprämie für 1841) und 1843 die „heilige Agnes“ (gestochen von August Volckert), welche später der Neuen Pinakothek einverleibt wurden; sie erreichten eine unglaubliche Popularität, wurden unzählige Male copirt und in allen Arten der damaligen Technik reproducirt; 1853 mußte sogar der leider früh verstorbene Andreas Lochner, einer von Schraudolph’s besten Schülern, ein Gegenstück (der heilige Joseph mit dem Jesuskinde, gestochen von Fleischmann u. W. Baumann) malen, welches eine gleich volksthümliche Aufnahme erfuhr. Wir staunen heutzutage, daß dergleichen Sächelchen damals solches Aufsehen zu machen im Stande waren; da sich die Welt dreht, liegt eine Nutzanwendung für viele unserer neuesten, vielgepriesensten Erzeugnisse nahe. Im Kunstverein erschienen damals (1842) zwei sorgfältigst durchgeführte Skizzen, ob deren subtiler Ausführung bis ins kleinste Detail unsere heutigen Kunstjünger erstaunt erbeben würden; damals nannte man noch bescheiden eine „Skizze“, was nun ob der minutiösen Durchbildung als unerreichbare Vollendung bewundert würde. Es waren, je 35 Centimeter breit und 17 Centimeter hoch, die „Weihe des Bonifacius zum Bischof“ und die „Predigt desselben vor den Friesen“, beide, wie auch die spätere Folge, im Besitze des allmächtigen Kunstbeschützers Leo v. Klenze. Darauf folgte (1843) die in ein stark verwaschenes Gewand (oben erwähnte) costümirte „heilige Agnes“ und „Ruth und Nemi auf der Reise nach Bethlehem“ (im Besitze des Grafen Belvèse in Paris, lithographirt von P. Herwegen als Nietenblatt des Salzburger Kunstvereins für 1863). Das nächste Jahr brachte einige Engel, eine Madonna, einen Christus als Kinderfreund und ein Abendmahl, ziemlich große Zeichnungen, welche in der griechischen Kirche zu Serjefski im Auftrag des Herzogs von Leuchtenberg zur Ausführung kamen.

Als Vorbereitung auf die große Aufgabe in Speyer, womit König Ludwig ihn betraut hatte, unternahm S. im December 1844 eine achtmonatliche Studienfahrt nach Rom, wo ihn ein Empfehlungsschreiben des Heinrich v. Heß bei Overbeck einführte. Daß trotz der kindlichsten Pietät vor dem damals höchst gefeierten Meister das „anch’ io sono pittore“ in S. wiederklang, ist bei seiner auf Massenproduction angelegten Natur leicht erklärlich, ebenso aber auch daß selbe weder erweitert, noch vertieft werden konnte. Dann ging S. mit dem glücklichen Bewußtsein, völlig auf dem richtigen Wege zu sein, mit gesammelter Kraft an die Ausführung seines größten Werkes im Dom zu Speyer.

Die ersten Entwürfe dazu reiften schon während des römischen Aufenthalts. Abweichend von der Praxis vieler Zeitgenossen, welche ihren Gehülfen einen größeren Spielraum überließen, schuf S. die Compositionen zu sämmtlichen Bildern in der Kuppel und den drei Chören, ebenso entwarf er den größten Theil der Bilder im Langhause (Mittelschiff), nur einzelne übertrug er den unmittelbar unter seinen Augen und streng nach seinen Intentionen schaffenden Schülern. Die Cartons zu den wichtigsten Gemälden zeichnete er selbst. Auch behielt er nicht nur die Ausführung der schwierigsten Bilder für den eigenen Pinsel, sondern überwachte selbstverständlich alle Arbeiten seiner Gehülfen tagtäglich mit Rath und That.

[457] Nach den nöthigen Vorarbeiten begann S. am 8. Juni 1846 mit seinem Bruder Claudius S. und Joseph Mesl (dieser Künstler unrichtiger Weise auch „Mösl“ geschrieben, wurde zu Köstendorf bei Salzburg geboren, starb schon 1851 und blieb mit nicht ungewöhnlicher Einmüthigkeit von der ganzen neueren Kunstgeschichte völlig ignorirt) seine große Aufgabe. Eine Geschichte des ganzen Werkes ist hier eben so wenig unsere Aufgabe, wie eine Beschreibung des mächtigen, in seinem Zusammenhang so tiefsinnigen Bildercyclus, wozu der gelehrte, fromme und liebenswürdige Bischof Dr. Nikolaus v. Weis in geistreicher, historisch und dogmatisch richtiger Weise die bis ins einzelnste reichende Grundidee gab. (Vgl. außerdem auch E. Förster’s eingehenden Bericht in Nr. 15 Deut. Kunstblatt 1850.) Nur einige äußere Zwischenfälle zu erwähnen ist an dieser Stelle gestattet. Noch im Laufe des Sommers war des Malers Leben plötzlich gefährdet: unbedacht zurücktretend zum Beschauen seiner Arbeit gerieth S. auf ein nicht gehörig befestigtes Brett, es wich und der Künstler stürzte in die Tiefe, fing aber im Fallen, glücklicher Weise schnell besonnen, einen vorstehenden Balken des Gerüstes, an welchem er sich starken Armes wieder emporarbeitete. Der Lärm des Jahres 1848 drang nicht in die heiligen Hallen; daß König Ludwig dem Throne entsagte, änderte nichts an dieser künstlerischen Aufgabe, da König Maximilian II. mit gleichem Interesse dieselbe zu fördern beschloß. Schlimmer drohte das nächste Jahr: Der Brand von Ludwigshafen leuchtete herauf zum Kaiserdome, der Kanonendonner von Waghäusel und Ubstadt widerhallte an seinen Mauern; eines Tages brach gar ein buntes Freischarengewimmel in Blousen mit Sensen und Spießen in den Dom. Aber die wilden Gesellen wurden still, schauten fast andächtig zu den ruhigen Malern hinauf und zerstoben dann lautlos, wie von scheuer Ehrfurcht ergriffen! Dazwischen gab es auch Ausflüge in der Nachbarschaft, z. B. nach dem schönen Stifte Neuburg bei Heidelberg, wo Frau Rath Schlosser die bekannte Gastlichkeit ihres Gatten fortsetzte und für Künstler, Gelehrte und Dichter ihr stilles Heim offen hielt. – In Speier bot das Haus des leutseligen Bischofs Nikolaus Weis immer Gelegenheit zu neuen Bekanntschaften, hier gastete der feinfühlige edle E. v. Steinle, Overbeck, Ph. Veit, der damals als Dichter der „Amaranth“ so viel gefeierte, an toller Jugendlust überschäumende Oskar v. Redwitz, der Dramatiker G. W. Molitor u. s. w. – Im Winter wurden zu München regelmäßig die neuen Zeichnungen und Cartons gemacht und die Entwürfe dem Könige Ludwig vorgelegt, welcher bisweilen einen oder den anderen Wunsch aussprach, auch eine kleine Aenderung wünschte, immer aber in eigenen Handschreiben den Meister seiner vollsten Hochachtung versicherte. Die Familie bewahrt noch vierzehn solcher Briefe, in welchen der König immer mit vollstem Lobe seine Freude über das fortschreitende Gelingen des Werkes ausspricht und meistentheils mit Grüßen an den Bischof, einmal sogar an alle Gehülfen Schraudolph’s schließt. Merkwürdig ist auch die Vorsorge des Königs, daß S. inzwischen als Oelmaler ja nicht aus der Uebung komme. Jeden Sommer zog dann der Meister wieder nach Speier, meist mit anderen Gehülfen, bis er endlich am 10. September 1853 an dem großen Schlußbilde, welches er ganz im Sinne eines mittelalterlichen Meisters ex voto schuf, den letzten Strich that. – Mit freundlichstem Entgegenkommen hatte S. gleich zu Beginn seines Werkes seine früheren Collegen als Beiständer und Mithelfer eingeladen. Aber es gab manchen Korb und Stoß und Puff. Denn da der Meister drängte und trieb und selbst, mit dem besten Beispiele vorangehend, die gleiche aufreibende Thätigkeit von seinen Genossen verlangte und forderte, stand Mancher gelassen ab oder ging auf eigenen Pfaden weiter. In erster Reihe half ihm sein treuer Bruder Claudius S., welcher inzwischen auch im griechischen Königsschlosse zu Athen als tüchtiger Freskotier sich erprobt hatte; [458] dann der wackere Tiroler Franz Hellweger (1812–1880), der rastlose Franz Wurm (geboren 1816 zu Stiefenhofen im Allgäu), welcher gleichfalls in Athen einige Wandbilder geschaffen hatte, aber zu viel eigenen Geist und unruhige Wanderlust hegte, alsbald von S. weg nach Frankreich pilgerte, wo er als Glasmaler an der Kathedrale zu Nantes und bald darauf mit Fresken in England (in Stonyhorst bei Breston) sich glänzend bethätigte, bis dieser vielerfahrene Odysseus wandermüde am 11. Juli 1865 zu Gutenberg in der Heimath endete. Da war ferner der liebenswürdige Andreas Mayer aus Unter-Thingau (zum Unterschiede von Anderen seines Namens, ob seines blonden Bartes der „rothe Mayer“ benannt), der vorerwähnte Joseph Mesl, Johann Karl Koch aus Hamburg, der fleißige Alois Süßmayr (geboren am 15. Januar 1825 zu Landsberg am Lech, † als Zeichnenlehrer z. Eichstätt am 9. December 1885), der bildschöne Jacob Speth († 1855 zu Dietenheim in Württemberg), der hochbegabte Johann Kaspar (geboren am 20. Januar 1822 und † am 23. October 1885 zu Obergünzburg), der unermüdliche Max Bentele (geb. am 20. Juli 1825 zu Lindenberg), ferner Georg Mader (geboren am 9. September 1824 zu Steinach in Tirol, † am 31. Mai 1881 zu Gastein), welcher durch seine Fresken in der Kirche zu Brunecken (Pusterthal) einen bleibenden Namen errang, dazu noch der kleine, leider mißwachsene, aber reich begabte Adolf Baumann (geboren am 12. December 1829, † am 5. Februar 1865 zu München): Das waren die Männer, mit deren wechselnder Beihülfe S. das große Werk begann, durchführte und glücklich vollendete, wobei auch der biedere Decorationsmaler Josef Schwarzmann (1806–1890) nicht vergessen werden darf, welcher die schwere Verpflichtung, den Dom mit passender Ornamentik zu umkleiden, in wirklich künstlerischer Weise löste.

Natürlich erfuhr das Ganze die verschiedenartigste Beurtheilung. Die gelehrte Archäologie konnte den Schreck nicht verwinden, daß ein romanischer Bau mit Schöpfungen im modernen Stile „geschändet“ und nicht mit kauzend verzwickten Krüppelgestalten und gleichzeitigem ornamentalen Schnickschnack ausgemustert ward. Das archaistische Lamento wurde vom Fortissimo der unbedingten Bewunderer übertönt, welche die vom wissenschaftlichen Standpunkte leise auftauchenden Einwürfe als flagrante Ketzerei verdammten; sie brachten in Prosa und gebundener Rede ihre Gefühle zum Ausdruck. Dagegen fehlte es auch nicht an näselnden Kritikern, welche in verstockter Böswilligkeit des Herzens einzelne Bilder mit Lob erhoben, von denen sie zu wissen wähnten, daß dieselben nicht aus des Meisters eigenen Händen kamen! S. machte kein Hehl daraus, sondern gab Jedem die Ehre, wobei er freilich ganz im volksthümlichen Stile niemals beizufügen vergaß: die Sachen seien nur deshalb so gut geworden, weil er beständig dahinter war, sonst hätten, wie er sattsam zu verstehen gab, wohl arge Dinge passiren können. Als im J. 1850 eine Serie von 15 Zeichnungen im Münchener Kunstverein erschien, stand unter jedem Bilde auch der Name des betreffenden Künstlers, z. B. die Himmelfahrt Mariens von Claudius Schraudolph; Kaiser Konrad III. empfängt den hl. Bernhard, von Andreas Mayer; Abzug des hl. Bernhard aus Speier und wie derselbe einen lahmen Knaben heilt, von J. C. Koch; die Weihe des hl. Stephanus von J. Mesl; der hl. Stephan vor dem hohen Rathe, von Claudius Schraudolph; auf Gebot des Papstes Stephan stürzt ein Götterbild, von J. Mesl; Enthauptung des Papstes Stephan, von Andreas Mayer u. s. w. Bei einer zweiten Serie im J. 1851 gab S. nur Werke von seiner eigenen Hand. – Anerkennung und Ehren häuften sich. Zu Neujahr 1848 erhielt S. den Verdienstorden vom hl. Michael. Am 1. October 1849 wurde S. Professor an der Akademie, wozu ihn König Ludwig schon im März 1849 durch ein eigenes an Minister v. Ringelmann [459] gerichtetes Handschreiben dringend empfohlen hatte. Bei Gründung des Maximilian-Ordens für Kunst und Wissenschaft befand sich S. unter den Ersten, welche damit ausgezeichnet wurden. König Ludwig I. hielt den Maler immerdar in Ehren, besuchte häufig sein Atelier, wo er beinahe jedes Mal neue Gemälde vorbereitet fand, von denen der großmüthige Maecen manches für die Neue Pinakothek erwarb. Mit der daselbst befindlichen Reihe von Oelbildern bewies S., daß er, so viel es eben an ihm lag, den Wettkampf mit seinen jüngeren Zeitgenossen nicht scheute, daß er „in die Farbe ging“ und ohne dem auftauchenden Realismus zu verfallen, doch der Naturwahrheit huldigen könne. Wir nennen (vielleicht nicht ganz in der Zeitfolge ihrer Entstehung) die großen Bilder „Himmelfahrt des Herrn“, „Christus heilt die Kranken“, und die kleineren „Maria und Magdalena in Begleitung des Jünger Johannes auf Golgatha sehen Christum an das Kreuz schlagen“ (1863), eine ernste würdige Composition, welche mit dem wahren Ausdruck des Schmerzes erst recht zur Geltung gelangt, wenn man den Opernspektakel eines Paul Delaroche, welcher dasselbe Thema behandelte, sich in Erinnerung ruft. Eine „Madonna mit dem himmlischen Kinde und dem kleinen Johannes“ kaufte der König 1864, ebenso zwei kleine schwebende „Engel“ und 1865 den „reichen Fischzug“, dem man jedoch die Angst anmerkt, jede Erinnerung an seine großen Vorgänger vermeiden zu wollen. Im Auftrage Königs Max II. fertigte S. für die weltgeschichtliche Galerie im „Maximilianeum“ eine große „Geburt Christi und Anbetung der hl. drei Könige“ (photographirt von Hanfstängl), wobei der Künstler in wolthuender Weise einen kühnen Griff in die neueste Assyrologie wagte, welcher ihm aber bei einer „Esther vor König Ahasver“ (1867) in Alma-Tadema’s Manier weniger glückte. Sein aushaltender Fleiß wußte allen Ansprüchen zu genügen; er malte Engel für Fräulein Emilie Linder (im Museum zu Basel), zeichnete unzählige Cartons für englische, russische und deutsche Kirchenfenster, darunter auch etliche für die Landshuter Martinskirche. Weiter entstanden noch zahlreiche Fresken, z. B. „Jairi Töchterlein“ am südlichen Camposanto in München (gemalt von Adolf Baumann; ein Holzschnitt in Nr. 770 „Illustr. Ztg.“, S. 224, Lpz. 1858). Er arbeitete, insbesondere durch seinen Bruder Claudius S. unterstützt, rüstig weiter, freilich nicht mehr so wohlgemuth, da das Alter mit gichtischen Schmerzen fühlbar wurde. Immer seltener erklangen seine Lieder. Unser Maler gebot über eine prachtvolle, metallreiche Stimme, welche ihn auch auf der Bühne zu großartigen Erfolgen und einem Heldentenor ersten Ranges befähigt hätte. Es war eine Alle überraschende Lust ihn singen zu hören, wenn er, begleitet von seinem „Bruder Claudi“, den Xylographen Joseph Blanz (1816 bis 1881) und Franz Kreuzer (1817–1872) die echten Almenlieder seiner Heimath erklingen ließ und plötzlich ins Falset überschlagend, die bergfrischen Jodler mit einer Breite und Bravour und einem Metall jubelnd hinaussang, die jeden Zuhörer zu staunender Fröhlichkeit hinrissen. Bei solchen festlichen Abenden holte dann auch der Bruder Claudius seine Zither hervor und spielte in seelenvollen Klängen, daß selbst der unvergleichliche Petzmayer verwundert lauschte.

Wie sein Leben sich zu neigen begann, gab es mannigfach Trübes und Helles. Der Vater hatte der Mehrzahl seiner Kinder ins Grab zu schauen. Doch erblühte auch eine Reihe von Enkeln. Im J. 1866 und 1870 zogen zwei Söhne in den Krieg und hatten das Glück wieder in das väterliche Haus zurück zu kehren: Der älteste Johann S., vielfach ausgezeichnet, schied als Major 1883 wegen Krankheit aus dem Militärdienst; der andere, nach seinem Oheim benannte, jüngere Claudius S. wurde in Frankreich verwundet und vertauschte das Porteépée wieder mit der Palette. Da dieser frühzeitig seine eigenen Wege ging und der religiösen Kunst sich nicht zuwendete, so mag seine Stellung im elterlichen [460] Hause eine Zeitlang keine erfreuliche gewesen sein, bis der Vater, versöhnt durch die eminent coloristische Begabung und deren Erfolge, wieder die alte Liebe gewährte; er bekleidet seit Jahren die Stelle eines Directors an der Kunstschule zu Stuttgart. – Im J. 1875 starb seine Gattin, mit welcher S. seit 1833 in zweiundvierzigjähriger glücklicher Ehe gelebt hatte. Drei Jahre darauf verließ er die Akademie und den unterdessen doch verringerten Kreis der Schüler und trat in den erbetenen, wohlverdienten Ruhestand. Der folgende Winter brachte allerlei Leiden, die der immer noch rüstige Mann glücklich bestand, bis eine plötzliche Lungenentzündung am 31. Mai 1879 sein Leben abschloß.

S. war eine offene, echte und wahre Natur, ein ganzer Sohn seiner Berge; er blieb demüthig und bescheiden über sein eigenes Schaffen, aber stolz auf die heilige Kunst, welcher er diente. Das Wort des afrikanischen Kirchenvaters: „Euere Weisheit sei ohne Hochmuth, aber euere Demuth sei nicht ohne Weisheit“ schien unserem Maler ganz auf den Leib geschrieben. Ein böswilliger, neidischer Epigrammatiker warf ihm das geflügelte Wort nach, als habe er in seiner Kunst beides zu vereinen gewußt und in ihr nicht allein die hohe, himmlische Göttin, sondern auch die tüchtig mit Butter versorgende Kuh verehrt.

Seine Schüler, welche er gerade nicht verzog oder verhätschelte, hielten ihn hoch und werth und bewiesen dieses bei jeder Gelegenheit; sie inscenirten das Fest zur silbernen Hochzeit (1857) und überbrachten ihm als im October 1874 das erste säculare Viertel seiner akademischen Lehrthätigkeit abgerundet war, ihren Dank in Form einer pompösen Adresse und eines prachtvollen Albums. Sie gliedern sich in eine ältere und eine jüngere Generation. Zu den ersteren zählen außer den Vorgenannten: Julius Frank, Hugo Barthelme, Andreas Lochner, der auch bisweilen ins Genrehafte überspielende Max Zimmer und der arme Adam Huber, welcher ebenso wie Mintrop, vom Pflug und dem Soldatenstand zum Künstler sich durchschlug, über dem schweren Ringkampf um das Dasein aber erschöpft am 25. Februar 1863 erlag, gerade als das Leben mit schöneren Aufträgen eine günstige Wendung zu nehmen beliebte. Zu den jüngeren gehören Max Fürst, der auch als Sänger gerühmte Ludwig Glötzle, Joseph Zink und A. v. Felsburg. Auch der in der Specialität von Hochzeits- und Kindtaufbildern in Rokoko-Costümen excellirende K. Herpfer zählte ehedem zu Schraudolph’s Schülern, ebenso wie ursprünglich Matthias Schmid, welcher mit einer „Grablegung Christi“ (photographirt 1864 von Albert, Holzschnitt in Nr. 1137 der „Illustrirten Zeitung“, Lpz. 15. April 1865) und einer „Verleihung der Schlüsselgewalt an Petrus“ (1866 photographirt von Albert) seinem Meister das „Wie er sich räuspert und wie er spuckt“ wacker abgesehen hatte, bis er plötzlich zu Piloty überging, wunderbar schnell das Mysterium seiner Palette erfaßte und, freilich auf einem ganz anderen Wege, durch seine „Pfaffenbilder“ eines vielangefeindeten Namens sich erfreute. – Uebrigens hielt S. seine ächten Schüler in scharfer Unterwürfigkeit; jeder Versuch einer selbständigen Regung, der leiseste Hang nach Originalität wurde mit dem stereotypen „Das hab’ ich noch nirgends gesehen, das darf man nicht machen“, kategorisch beseitigt. Dieses Wort, ebenso der immer wiederkehrende Rath „Alles schön zusammen zu arbeiten“, war für S. sehr charakteristisch. Es ging ihm wie dem Peruginer Pietro Vanucci: Anfänglich durch die Innigkeit seiner Empfindung und das Streben nach fortschreitender Formgebung überraschend und alsbald seine Höhe erringend, hielt er sich lange Zeit auf der schnell erreichten Bahn, strebte in seiner Weise nach weiterer Vollendung, wiederholte sich aber in sichtbarer Ermüdung, ebenso ungemüthlich und unerfreulich wie W. v. Kaulbach. Auch er liebte den phraseologisch aufgeputzten „historischen“ Kothurn, dasselbe Einwickeln seiner Figuren in unmöglichen Drapirungen, welche seine Schüler bis zur Unerträglichkeit nachmachen [461] mußten. Das anfänglich etwas sentimentale Colorit wurde dann in der Folge „schön“ und die guten Apostel mit ihren glatten Modellköpfen gingen in ladenneuen, schneiderfrischen Gewändern und glattfrisirten Toiletten als himmlische Stutzer par excellence. Der Rückschlag blieb nicht aus; was unsere Impressionisten und Taglichtmaler im Straßen-Jargon des gemeinsten Lebens dagegen leisten, ist abermals eine nur ungleich widerwärtigere Versündigung an der objectiven Wahrheit und dem unerschütterlichen Kanon der ewigen Schönheit.

Ein dritter Bruder, Matthias S. (geb. 1817), widmete sich gleichfalls der religiösen Kunst, ohne seine Vorbilder zu erreichen. In tiefer Frömmigkeit einem mehr beschaulichen Leben zugethan, trat derselbe als demüthiger „Frater Lucas“ in das Benedictinerstift Metten bei Deggendorf, wo er in stiller Weltabgeschiedenheit für arme Landkirchen viele fromme Altarbilder malte, von welchen eine Anzahl auch durch G. J. Manz in Regensburg durch Stahlstich vervielfältigt wurden. Er starb zu Metten am 6. Februar 1863.

Vgl. Raczynski, II, 328–33 ff. – E. Förster, Geschichte der deutschen Kunst, 1860, V, 120 ff. – Beilage 163 „Allgemeine Zeitung“ vom 12. Juni 1879 und Max Fürst in Nr. 79 und 80 des Augsburger „Sammler“ vom 5. und 8. Juli 1879. – Regnet in Lützow’s Zeitschrift, 1879, XIV, 616 ff. – Fr. Pecht, Geschichte der Münchener Kunst, 1888, S. 120. – Carriere in Westermann’s Ill. Monatsheften, October 1888, S. 63.