ADB:Villers, Charles de
Mesmerismus oder s. g. thierischen Magnetismus, griechische und hebräische Sprache, Theorie und Praxis der Dichtkunst. Ein Roman: „Le magnétiseur amoureux“ (Genève 1787 – wirklich erschienen 1789, in 12°), eine nicht gedruckte Tragödie: „Ajax fils d’Oilée“ entstammen jenen Jahren. Die französische Revolution, die Villers’ Erwartungen durch den Gang der Ereignisse bald schmerzlich täuschte, begleitete er mit vier kritischen, theilweis satirischen Schriften: „Députés aux états généraux“ (Februar 1789); „Examen du serment civique“ (1790); „Regrets d’un aristocrate sur la destruction des moines“ (1791); „De la liberté“ (Metz et Paris 1791, 261 Seiten. Motto: Aliud est, aliud dicitur. Aulu Gelle.) Dadurch der herrschenden Partei verhaßt, begab er sich April 1792 zu des Königs Brüdern und kehrte nach deren Mißerfolge in seine Vaterstadt zurück, floh aber, da man auf ihn fahndete, von da nach Aachen. Hier wurde ihm seine ganze Baarschaft gestohlen; worauf eine seiner Schwestern, als Bäuerin verkleidet, beherzt zu Fuße von Bolchen nach Frankfurt wanderte und ihm von dort das mitgebrachte Geld übersandte. V. siedelte nun nach Lüttich über und wich vor den andringenden französischen Heeren schrittweise über Münster, Driburg, Holzminden (wo er mit dem späteren Kopenhagener Leibarzte Joachim Dietrich Brandis s. A. D. B. III, 247 – Freundschaft schloß), nach Göttingen. Hier 1796 als Student immatriculirt, trat er in regen Verkehr mit Eichhorn, Heyne, Kästner, Spittler und besonders mit Schlözer. Um seinem Leben eine festere Grundlage zu geben, beschloß V. seinem jüngeren Bruder Friedrich nach Petersburg zu folgen, wo dieser im russischen Dienste gesicherte Stellung gefunden hatte. Indeß kam er nur bis Lübeck. Das freundliche Entgegenkommen des Kaufmannes, späteren Senators und Bürgermeisters (von) Rodde und mehr noch dessen ihm aus Göttingen [709] bekannter Gattin, der gelehrten Dorothea Schlözer (notre docteur, mon petit docteur), fesselte ihn dort zu dauerndem Aufenthalte. Als litterarische Frucht des letzten Lustrums gab damals V. namenlos heraus: „Lettres Westphaliennes du Comte de R. M. à Madame de H. sur plusieurs sujets de philosophie, de littérature et d’histoire et contenant la déscription pittoresque d’une partie de Westphalie“ (Berlin 1797). Wohl nur vorschnelle Deutung der Initialen R. M. ließ Quérard entgegen wiederholten ausdrücklichen Zeugnissen seitens des wirklichen Verfassers in der France littéraire diese Briefe dem bekannten Emigrirten Germain Hyacinthe de Romance Marquis de Mesmon (1745–1831) zuschreiben. Während seines Lübecker Aufenthaltes trat V. in lebhaften persönlichen und brieflichen Verkehr mit fast allen geistig hervorragenden Männern und Frauen, die damals als Landesangehörige wie als Kriegsflüchtlinge im nordelbischen Deutschland, namentlich Hamburg, Altona, Eutin, Lübeck sich zusammenfanden. Er lebte sich ganz in die Denkweise des protestantischen Norddeutschlands ein und erfaßte es als Lebensaufgabe, seinen alten Landsleuten das Verständniß des deutschen Geistes zu erschließen und sie dadurch vom seichten Empirismus und Sensualismus der Encyklopädie zum reinen, sittlichen Idealismus, vom leichtfertigen Vergnügen an geschmackvollen Wort- und Gedankenspielen zu ernstem Wahrheitssinne zu erheben. Er wußte sich dabei getragen vom Beifalle angesehener Freunde, wie Klopstock, F. H. Jacobi, Voß, Graf F. L. v. Stolberg, Reimarus, Sieveking, Reinhard. Auch Goethe schätzte ihn (Brief an ihn 11. November 1806) und fand es „bedeutend, zu erfahren, wie V. seine chromatischen Arbeiten aufnähme“; er nennt ihn (Brief an Reinhard vom 22. Juli 1810) „eine wichtige Person durch seinen Standpunkt zwischen den Franzosen und Deutschen, – da er wie eine Art von Janus bifrons herüber und hinüber sieht“. In diesem Sinne arbeitete V. eifrigst mit an dem vom oben genannten Marquis Romance de Mesmon in Hamburg herausgegebenen Blatte „Spectateur du Nord“, das 1798 und 1799 allein 70 Beiträge aus seiner Feder brachte. Begeistert vertiefte er sich in die Philosophie Kant’s. Nachdem er sie in den Westfälischen Briefen und im Spectateur bereits öfter gestreift und abrißweise behandelt hatte, versuchte er – als erster in französischer Sprache – sie seinen Landsleuten im Zusammenhange zu erschließen durch das zweibändige Werk: „Philosophie de Kant ou principes fondamentaux de la philosophie transscendentale“ (Metz 1801), eine in allen Hauptsachen treue Wiedergabe der Grundgedanken Kant’s, durchflochten mit eingehender und scharfer Kritik der im Frankreich jener Zeit vorherrschenden sensualistischen Vulgärphilosophie. Seine persönliche Stellung zur Sache bezeichnet er am Schlusse der Vorrede so: „Aujourd’hui que, pendant les années de nos discordes civiles, cette doctrine a été cultivée, débattue, épurée, rendu plus méthodique et plus claire par quelques sages du nord de l’Europe, il est temps de la dévoiler et de la présenter comme un remède aux maux causés par des maximes contraires. C’est à son interprétation, que j’ai voué ma plume. Privé par les circonstances de l’avantage d’attacher mon nom aux grands évènemens qui ont opéré une si mémorable réforme politique dans ma patrie, il se trouvera du moins parmi les noms de ceux qui se seront efforcés d’y opérer une réforme intellectuelle de hâter le développement de la moralité et de la science“. Gleichzeitig erhielt V., dessen Name noch immer auf der Liste der Verbannten stand, Erlaubniß zu einem Besuche in Frankreich, den er, begleitet von Frau Rodde, zum Wiedersehen mit seinen jetzt in Saargemünd lebenden Eltern, zu kürzerem Aufenthalte in Metz und längerem in und um Paris benutzte. Die Reise brachte ihm manche interessante Bekanntschaft; aber im ganzen war er bereits zu deutsch gewöhnt, um in Paris sich behaglich zu fühlen. Heimkehrend schrieb er 7. December 1801 an Karl Schütz [710] in Jena: „Je reviens enfin du pays du charlatanisme et de la forfanterie – – – en remettant le pied sur la terre de la loyauté et de la véritable humanité“. Mittlerweile hatte sein dem Nationalinstitut gewidmeter Kant in Frankreich Eindruck gemacht. Für den Ersten Consul mußte er eiligst einen Auszug daraus auf vier Bogen herstellen, der als Flugschrift erschien. Auch Frau v. Staël und ihr Freund Benjamin Constant de Rebecque wurden durch das größere Werk ihm dauernd gewonnen. Ebenso der Schweizer Pädagog und Staatsmann Phil. Albert Stapfer (s. A. D. B. XXXV, 451), der zwischen Deutschland und Frankreich eine ganz ähnliche Stellung einnahm und später Villers’ Leben in der Biographie universelle beschrieb. Wie mit Kant, so machte V. bald darauf die französischen Leser näher bekannt mit Luther und seinem Werke. Das Nationalinstitut stellte für Juli 1803 die Preisfrage: Quelle a été l’influence de la réformation de Luther sur la situation politique des différens Etats de l’Europe et sur le progrès des lumières? V. gewann den Preis mit seinem „Essai sur l’Esprit et l’influence de la Réformation de Luther“ (Paris 1804). Der bekannte Göttinger Historiker Heeren hatte anfangs ebenfalls an der Lösung der Aufgabe gearbeitet, dann aber sein Vorhaben zu Villers’ Gunsten aufgegeben und, was er bereits fertig hatte, unter dem Titel „Entwicklung der politischen Folgen der Reformation für Europa“ besonders herausgegeben. Villers’ Essai hatte glänzenden Erfolg, erlebte vier Auflagen, drei deutsche, zwei englische und eine holländische Uebersetzung. Den späteren Auflagen hat er selbst Herder’s Entwurf zur Lösung beigefügt, über den der bereits kränkelnde große Mann nicht hinaus gelangt war. Man kann das warm und gefällig geschriebene Buch nicht als selbständiges, historisches Meisterwerk bezeichnen; dafür ist V. zu abhängig vom rationalistischen Geiste der Zeit, auch dringt er viel zu wenig in das eigentliche, geschichtlich bedingte Wesen der behandelten Erscheinungen. Immerhin zählt J. G. Rosenmüller im Vorworte zu einer der Uebersetzungen mit Recht sowohl die Aufgabe des Institutes wie die Villers’sche Lösung zu den merkwürdigsten Erscheinungen seines Zeitalters. V., bereits seit 1800 correspondirendes Mitglied der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften, trat nun in dasselbe Verhältniß zum Institut von Frankreich und verlebte – anfangs mit der Familie Rodde – etwa anderthalb Jahre (Herbst 1803 bis Frühjahr 1805) zu Paris im Verkehre mit französischen Gelehrten und Staatsmännern. Der mit Schütz und Stapfer damals verhandelte Plan einer neuen Zeitschrift für den geistigen Verkehr beider Völker – Bibliothèque Germanique – kam nicht zustande. „Ein böser Dämon grub den Abgrund zwischen Deutschen und Franzosen immer tiefer“, den V. auszufüllen wünschte. – Schmerzlich mußten V. die bald nach seiner Rückkehr ausbrechenden Kriege des kaiserlichen Frankreichs gegen Deutschland berühren, namentlich der des Jahres 1806 gegen Preußen, das V. noch eben als besonders ehrenwerthen Typus des norddeutschen protestantischen Geistes gefeiert hatte. Doch glaubten er und seine Freunde im stillen, neutralen Lübeck, soweit von der Hauptstraße des Krieges, außer unmittelbarer Gefahr zu sein, als plötzlich der General von Blücher auf seinem berühmten Rückzuge am 5. November 1806 die Stadt aller Proteste ungeachtet besetzte und dadurch am 6. November zum Gegenstande eines siegreichen Sturmes dreier feindlicher Corps machte, dem furchtbare Tage wüster Plünderung folgten. V., in seiner alten französischen Uniform, erwies sich als ritterlicher Freund seiner Nachbarn, der Familie Rodde, deren Haupt als Bürgermeister durch öffentliche Pflichten den Seinen meist entzogen war, und als unermüdlicher Vermittler zwischen neuen und alten Landsleuten, namentlich durch Fürsprache bei dem persönlich mildgesinnten, in Rodde’s Hause wohnenden Marschall Bernadotte. In zwei Flugschriften hat er bald darauf das Unglück Lübecks dargestellt: „Combat de Lubeck“ (Lübeck 1806) und der ursprünglich nicht für die Oeffentlichkeit bestimmten „Lettre à [711] Madame la Comtesse F(anny) de B(eauharnais), contenant un récit des évènemens qui se sont passés à Lubeck dans la journée du Jeudi 6. Novembre 1806 et les suivantes“ (Amsterdam 1807). Besonders eingehend und lebhaft ist die Schilderung der Greuel in diesem Briefe. Sein Verfasser tadelt zwar den preußischen General wegen des Bruches der Neutralität Lübecks hart, giebt aber dem preußischen Heere inbezug auf Tapferkeit und Mannszucht das beste Zeugniß, während er die wüste Unordnung und viehische Wildheit der französischen Soldateska nur mit dem Zusammentreffen dreier selbständiger Corps und der darin liegenden Erschwerniß straffer Disciplin in etwas zu entschuldigen weiß. Auch im Wege privater brieflicher Fürsprache war V. bemüht, der schwergeprüften Hansestadt Anspruch auf Schadenersatz kräftig zu vertreten. Ueberhaupt ward er seit jener Zeit der eifrigste Fürsprecher der drei nordischen Hansestädte und ihrer besonderen Freiheiten – freilich ohne Erfolg; wofür Bremen durch Vermittelung seines Freundes Johann Smidt im December 1809 ihm das Diplom des Ehrenbürgers übersandte. Niemals machte der äußere Erfolg der siegreichen französischen Waffen ihn irre in der festen Ueberzeugung von der Ueberlegenheit des deutschen Geistes. „L’esprit germain finira par vaincre l’esprit français. Je crois déjà apercevoir quelques symptômes de cette issue des choses. La Providence a ses voies!“ schrieb er Ausgang November 1806. – Wirksamer war des unermüdlichen Villers’ Eintreten für die deutschen Universitäten im jungen Königreiche Westfalen, deren Einziehung und Umwandlung nach französischem Muster die Regierung plante; besonders für Göttingen. Ermuntert durch seine Göttinger Freunde, namentlich Heeren (dem er noch eben zum Danke für den oben erwähnten Rücktritt seine Preisschrift über die Kreuzzüge ins Französische übersetzt hatte) und durch Johannes v. Müller, damals Generaldirector des öffentlichen Unterrichtes in Kassel, schrieb er: „Coup d’oeil sur les universités et le mode d’instruction publique de l’Allemagne protestante; en particulier du royaume de Westphalie“ (Kassel 1808), einen Band von 112 Seiten, den er am 1. Juni 1808 von Lübeck aus dem Könige Jérôme widmete. Sechs Universitäten (Göttingen, Halle, Helmstedt, Marburg, Paderborn, Rinteln) – das räumt er ein – sind für ein Königreich von knapp zwei Millionen Bewohnern zuviel. Aber die Art selbst muß erhalten werden, des Ruhmes und des Nutzens wegen. Halle und Göttingen als deutsche Hochschulen ersten Ranges eignen sich dazu am besten. Göttingen wird als typisches Beispiel sammt allen Nebenanstalten, der Bibliothek vor allen, eingehend geschildert. Ein sehr anerkennender Abriß des niederen und mittleren norddeutschen Schulwesens geht voran; das Ganze gipfelt in den Sätzen: „Les Universités de l’Allemagne protestante seraient peut être encore susceptibles de perfectionnement. Mais telles qu’elles sont, n’hésitons point à le dire, elles sont au-dessus de tot ce que l’Europe et le monde entier offrent d’instituts pour l’enseignement des hautes sciences en exceptant l’école parisienne pour les sciences mathématiques et physiques“. Göttingen (und Halle) blieben, wenn nicht allein durch dieses treffliche Wort zu seiner Zeit, so doch wesentlich mit seiner Hilfe erhalten, Villers’ Name ward gefeiert bei allen Verehrern deutscher Wissenschaft. Noch im J. 1808 ward er wirkliches Mitglied der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften. Dem ersten Coup d’oeil folgte ein Jahr später ein zweiter: „Coup d’oeil sur l’état actuel de la littérature ancienne et de l’histoire en Allemagne. Rapport fait à la troisième Classe de l’Institut de France“ (Amsterdam u. Paris 1809). V. gibt darin einen höchst lehrreichen Ueberblick über den dermaligen Stand der philologischen und historischen Studien in Deutschland. Die immer enger geknüpfte Verbindung mit Göttingen und der Druck der Zeit, dem Geschäft und Wohlstand seiner Freunde v. Rodde in Lübeck (1810) erlag, bewogen V. nach Göttingen überzusiedeln (Frühjahr 1810) und, dem Könige in Kassel vorgestellt (Juli 1810), um eine Professur daselbst anzuhalten (November), [712] die ihm Januar 1811 als Ordinarius in der philosophischen Facultät zu theil ward. Nur noch durch Krankheit in Lübeck, wo er den Winter 1810 auf 1811 zugebracht und seiner Freundin Dorothea v. Rodde als gewandter Rechtsrath geholfen hatte, wenigstens ihr persönliches Vermögen theilweise der Familie und den Kindern zu retten, zurückgehalten, ward er dort am 21. Januar 1811 auf Befehl des Marschalls Davoust, Gouverneurs des Ausgang 1810 Frankreich einverleibten Departements Weser und Elbe, verhaftet. Da man in seinen durchsuchten Papieren nichts Belastendes fand, mußte man ihn freilassen; allein er ward als angeblicher Verleumder des französischen Militärs aus den von Frankreichs Heeren besetzten deutschen Gebieten ausgewiesen. In Kassel und Göttingen war wirksamer Schutz dagegen nicht zu finden. Erst durch eine Reise nach Paris und dort namentlich dank seiner Jugendfreundschaft mit dem Minister des Innern Grafen v. Montalivet konnte V. Aufhebung jenes Befehles und Rehabilitation erlangen. Nun folgen des Mannes glücklichste Jahre, während deren er, wiederum in engster Gemeinschaft mit der von Lübeck in die Heimath der Frau übergesiedelten Familie Rodde in Göttingen wohnend, unbestrittenes Ansehen an der Universität, in der nahen Hauptstadt des Königreichs Westfalen und weit darüber hinaus, ganz besonders in den Kreisen genoß, die Pflege deutsches Geistes und deutsches Wesens auf ihre Fahne geschrieben hatten. Zu seinen Brieffreunden gehörten in jenen Jahren u. a. Jacob Grimm und Josef Görres. In Göttingen hing an ihm mit dankbarer Begeisterung ein Kreis junger Gelehrter, aus dem Männer wie Ch. K. J. Bunsen, der spätere Staatsmann, Chr. A. Brandis, Sohn Joachim Dietrich’s (s. o.), der Geschichtsschreiber der griechischen Philosophie, die Philologen Karl Lachmann und Ernst Schulze, Dichter der bezauberten Rose, der Theolog Friedrich Lücke, später Abt zu Bursfelde und Professor zu Göttingen, hervorleuchten. Daß V. auch mit dem französischen Element in Kassel freundliche Fühlung bewahrte, ist natürlich. Auch schrieb er ab und zu für den westfälischen Moniteur. Doch lehnte er ab, in den unmittelbaren westfälischen Staatsdienst als Leiter des amtlichen Blattes oder sonstwie zu treten, obwol es an glänzenden Anerbieten von dieser Seite her nicht fehlte. Nur die Ernennung zum beständigen Secretär der Societät der Wissenschaften ließ er sich gefallen. Besonders glücklich scheint V. im Verkehre mit dem französischen Gesandten Reinhard in Kassel und in Göttingen mit Benjamin Constant de Rebecque sich gefühlt zu haben, der – damals noch – in der Abneigung gegen Napoleon und zugleich in der begeisterten Werthschätzung deutscher Cultur mit ihm übereinkam. Unter den litterarischen Früchten jener Jahre sind zu nennen: Französische Uebersetzung des Lebens Luther’s von Melanchthon (1810); „Kleiner Volkskatechismus oder Lehren des Edlen und Guten für Kinder“ (1810); „Préface à la Confession d’Augsburg, Introduction à l’ouvrage de Mme. de Staël sur l’Allemagne“ (1813) und als eine der bedeutenderen Schriften von V.: „Constitutions des trois villes libres Anséatiques, Lubeck, Brémen et Hambourg. Avec un mémoire sur le rang que doivent occuper ces villes dans l’organisation commerciale de l’Europe“ (Leipsic 1814). Er hatte diese Denkschrift auf ausdrückliches Begehr seiner hanseatischen Freunde Sieveking, Perthes, Smidt, Gildemeister u. a. für den inzwischen zusammengetretenen Wiener Congreß verfaßt, und er hat durch sie mitgeholfen, den Hansestädten in der Neuordnung aller deutschen Verhältnisse ihren ehrenvollen Platz zu sichern. Während er an ihr schrieb, traf ihn ein neuer Blitzschlag aus heiterem Himmel: seine Entlassung aus der Göttinger Professur. Er hatte Napoleon’s Sturz und die Erhebung des deutschen Volkes freudig begrüßt, das künstlich zusammengeschweißte Königreich Westfalen ohne tieferes Bedauern zerbrechen gesehen. Hilfreich und thätig war er auch jetzt wieder für seinen Wohnort und dessen Universität bei dem alten Gönner Bernadotte eingetreten, der als Kronprinz von Schweden und [713] Feldherr der Nordarmee in Niedersachsen gebot. Aus des Kronprinzen Hand empfing er zur Anerkennung den schwedischen Nordsternorden. Da traf ihn am 27. März 1814 die niederschmetternde Kunde, daß die wieder aufgelebte kurhannoversche Regierung ihn, „den ehemaligen königlich französischen Kapitän v. V.“, unter Zubilligung eines im Auslande zu verzehrenden Ruhegehaltes von 3000 Francs seines Amtes enthoben hatte. Dieser Beschluß erregte ungeheures Aufsehen in weitesten Kreisen und ward von den Besten des deutschen Volkes bis zum Freiherrn v. Stein hinauf als Schimpf des deutschen Namens empfunden. V., tief erschüttert, erhob Gegenvorstellungen, die von Constant, Frau v. Staël, Freiherrn vom Stein und vielen anderen in der Presse, wie durch briefliche und mündliche Vorstellungen an den Grafen Münster, den Prinzregenten von Großbritannien-Hannover, den Kaiser von Rußland und den König von Preußen lebhaft unterstützt wurden. Dennoch wurde nur erreicht, daß man das Ruhegehalt auf 4000 Francs erhöhte und endlich wenigstens die Verbannung aufhob. Ins Amt ist V. nicht wieder eingesetzt worden. Er blieb in Göttingen und ging im Bewußtsein seiner guten Sache auf die Anerbieten von Halle und von Heidelberg, dort ein Lehramt zu übernehmen, nicht ein. Indes begann er an einer alten Kopfwunde zu kränkeln, und der Gram über erfahrenen Undank rieb ihn vollends auf. Gepflegt von jenem Kreise junger Verehrer und seiner treuen Freundin Dorothea v. Rodde-Schlözer, verschied er am 26. Februar 1815. Ob er bei längerem Leben, wie manche meinten, wieder eingesetzt worden wäre, ist nicht zu sagen. Ebensowenig ist es bis jetzt gelungen, den eigentlichen Beweggrund der gegen ihn geübten Härte klar zu ermitteln. Ch. A. Brandis, der unter seinen letzten Pflegern war, spricht vom „Neid einiger Kollegen oder auch ihrer Frauen, die ihn bei den Machthabern in Hannover des Franzosenthumes verdächtigt und selbst edle Männer gegen ihn einzunehmen gewußt“ haben. V. selbst vermuthete, daß seine freundliche Stellung zur westfälischen Regierung oder auch einige von Ch(arles) V(iennet) verfaßte und ihm irrig zugeschriebene Artikel gegen England, im Kasseler Moniteur 1812 erschienen, ihn mißliebig gemacht hätten. Beides leugnete man in Hannover entschieden. Als Gegner Villers’ galt wol mit Recht der damals in Hannovers inneren Angelegenheiten maßgebende berühmte Staatsmann A. W. Rehberg, den der Graf Münster brieflich eben nur gegen den Vorwurf vertheidigt, V. „persönlich feind“ zu sein. Rehberg selbst schreibt darüber ein Jahrzehnt später in seinem (anonymen) Buche: „Zur Geschichte des Königreichs Hannover in den ersten Jahren nach der Befreiung“ (Göttingen 1826), S. 51: „Herr v. V., dessen Bemühungen, die französische Nation mit unsrer Litteratur bekannt zu machen und die Deutschen in ihren Augen zu heben, mit Achtung und Dankbarkeit anerkannt worden, hatte unter der westfälischen Regierung einen Einfluß erlangt, der unter solchen Verhältnissen, aber auch nur unter ihnen wohlthätig sein konnte. Das seiner Nation eigenthümliche Talent, alles was sich in ihren Wirkungskreis ziehen lassen will, nach eignen Ansichten zu modeln, welches bei diesem ausgezeichneten Manne noch durch mannigfaltige Verbindungen unterstützt wurde, hätte in der Stelle, in die er eingetreten war, nicht leicht auf eigne litterarische Thätigkeit beschränkt werden können. Durch die Fortdauer des ihm von der westfälischen Regierung zugleich mit dem Lehramte verliehenen beständigen Secretariats der Societät der Wissenschaften wären die wohlgegründeten Ansprüche andrer sehr verdienter und berühmter Männer gekränkt. In diesen offen liegenden Verhältnissen sind hinreichende Veranlassungen der Maßregel, wodurch er zwar in dem vom Usurpator verliehenen Amte nicht bestätigt, ihm aber eine Einnahme beigelegt ist, welche die von der westfälischen Regierung auf hiesige Landeskassen angewiesene überstieg und mit keiner Verpflichtung irgend einer Art verbunden war. Es muß den auf mannichfaltige [714] Art damals gereizten Leidenschaften zugeschrieben werden, wenn man in Schriften, welche zu der Zeit selbst und noch später gedruckt sind, Andeutungen andrer persönlicher Bewegungsgründe findet“. Friedrich Lücke hielt am Grabe dem Lehrer namens der jungen Freunde eine begeisterte Standrede, die, durch die Zeitungen verbreitet, in weiten Kreisen Widerhall fand. V. wird von Zeitgenossen als schöner, stattlicher Mann mit freundlichem Auge, als warmer, enthusiastischer Freund, als Liebhaber des Familienverkehres und besonderer Gönner der Kinderwelt geschildert. Er war nicht verheirathet.
Villers: Charles François Dominique de V., französisch-deutscher Gelehrter und Schriftsteller des Napoleonischen Zeitalters, geboren am 4. November 1765, † am 26. Februar 1815. Villers’ Geburtsort ist das lothringische Städtchen Bolchen (Boulay), wo noch 1871 „la bourgeoisie parlait allemand, mais la société parlait français“. Lothringen stand zur Zeit seiner Geburt dem Namen nach unter Stanislaus Leszczynski, fiel jedoch drei Monate später durch dessen Tod (23. Februar 1766) ganz an Frankreich. Villers’ Eltern waren katholische Franzosen; der Vater receveur des finances, die Mutter, geborene de Lannaguet, dem Adel der Provinz Langued’oc entsprossen. Vom neunten bis fünfzehnten Lebensjahre ließen diese ihren Charles bei den Benedictinern zu St. Jaques in Metz erziehen; 1780 ward er Anwärter, 1781 Zögling der dortigen Artillerieschule, schon im selben Jahre Secondlieutenant in Toul, 1783 nach Metz, bald darauf nach Straßburg versetzt, wo er in den ersten Jahren der Revolution capitaine und aide de camp war. Der lebhafte junge Officier, theilweis angeregt durch den Marquis de Puységur, dessen Adjutant er war, studirte in Straßburg den damals blühendenEin vollständiges Verzeichniß seiner selbständig erschienenen Schriften und den Artikel im Spectateur du Nord mit kurzem Lebensabriß gibt Fr. Saalfeld in der „Geschichte der Universität Göttingen. 1788–1820“ (Göttingen 1820, Theil III des Pütter’schen Werkes, S. 124–128). Villers’ litterarischer Nachlaß (Sammlung seiner gedruckten Werke, Briefe gelehrter Männer und Frauen, jedoch mit Ausschluß des vertraulicheren Briefwechsels, handschriftliche Entwürfe, Handkalender etc., dazu Bildniß von Gröger) kam 1831 als Vermächtniß der Frau Dorothea v. Rodde an die Hamburger Stadtbibliothek. Der Nachlaß füllt 18 starke Papphülsen, das Verzeichniß 12 Folioseiten des Handschriftenkatalogs. – Von biographischen Arbeiten über V. zu erwähnen: Stapfer’s Aufsatz „V.“ in der Biographie universelle; „Zeitgenossen“, V. Heft, S. 54–78 (citirt von Saalfeld); Michel Berr (Paris 1815) und M. E. Begin (Metz 1840), Notice sur V. (citirt von Stapfer); Wurm, Beiträge zur Geschichte der Hansestädte in den Jahren 1806–1814. Aus den nachgelassenen Papieren von Carl v. V. (Hamburg 1845, Programm des Akadem. Gymnasiums); v. Bippen, „Charles v. V. und seine deutschen Bestrebungen“ (Preußische Jahrbücher 1871, XXVII, 288–307); derselbe, Briefe von Carl v. V. an Johann Smidt und andere Mittheilungen über Villers’ Beziehungen zu Bremen und zu den Hansestädten“ (Bremisches Jahrbuch 1877, IX, 60–78); Isler, Briefe von Constant – Görres – Goethe – Jac. Grimm – Guizot – F. H. Jacobi – Jean Paul – Klopstock – Schelling – Mad. de Staël – J. H. Voß u. v. a. – Auswahl aus dem handschriftlichen Nachlasse des Ch. de V. (Hamburg 1879). – Dichterisch behandelt Villers’ Verhältniß zu Dorothea v. Rodde der Roman „Auch ein Franzose“ von A. Evers (Breslau 1889, 2 Bde). – V. schrieb fast ausschließlich französisch. Doch war er, wie manche deutsch, in sogen. lateinischer Schrift abgefaßte Briefe beweisen, des Deutschen (schon im Beginne des Jahrhunderts) ausreichend mächtig, um – mit leichtem französischem Anfluge – darin sich wesentlich correct auszudrücken.