ADB:Xylander, Wilhelm
Xystus Betulejus (Sixt Birck oder Birken), der hochberühmt war und ist, auch als erster Herausgeber der Sibyllinen und erster Commentator – nicht erster kritischer Bearbeiter (wie Scherer A. D. B. II, 657 sagt) – des Lactanz, sowie als Erklärer philosophischer Schriften Cicero’s und nicht zum wenigsten als Verfasser von deutschen und lateinischen Schulkomödien. In der Naenia, die X. unmittelbar nach dem Tode des theuren Lehrers verfaßte und zwei Jahre später (1556) im Anhang seines Psellus drucken ließ (sie steht auch im Corp. Poet. Germ. T. VI) heißt es u. a.: Tu me susceptum primus puerilibus annis | Informas pietate, decoris moribus ornas, | Prima docesque elementa rudem, tu prima futuris | Fundamenta locas studiis, tu primus honestis | Artibus imbutum Latium linguaeque Pelasgae | Pulcrum idioma doces, tu primus deinde sacratas | Bellerophontaei fontis deducis ad undas. | Tu Mecoenates, qui nostra incoepta foverent | Concilias tutumque iter ad sublimia monstras. Als ’Mäcen‘ erwies sich zunächst der Burgermeister Wolfgang Rehlinger, der ihm Unterstützung von der Stadt vermittelte. So besuchte er zuerst die St. Ulrichsschule, wo der Abt nach einem Vertrag mit dem Rath acht Stipendiaten erhalten mußte, und nach Aufhebung derselben wurde er mit noch fünf anderen aus der St. Antonipfründe erhalten und in die St. Annaschule versetzt. Dieser (bisweilen mißverstandenen, ja gelegentlich – wol weil W. Rehlinger später nach Straßburg übergesiedelt war – nach Straßburg verlegten) Schulverhältnisse gedenkt X. in der Zueignung seines Stephanus Byz. an den Sohn Karl Wolfgang Rehlinger. Schon mit 16 Jahren [583] machte er recht gute Verse und übersetzte die ganze Ἰλίου ἅλωσις Tryphiodor’s in lateinische Hexameter: diese Jugendarbeit (de Troiae eversione) ließ dann Oporinus ohne sein Wissen drucken; deshalb revidirte er die Uebersetzung später und diese Umarbeitung erschien in der Baseler Diodorausgabe 1578 (auch Paris 1647) Fol.
Xylander: Wilhelm Holtzman – so steht der Name auf seinem deutschen Euklid, Andere schreiben auch Holtzmann oder Holzmann –, der sich schon in seiner Studentenzeit (Guilielmus) Xylander nannte, war geboren am 26. December 1532 zu Augsburg, der Stadt die auch er als liebende Mutter und Pflegerin gelehrter Söhne preist. Als Kind rechtschaffener, gänzlich unbemittelter Eltern sollte er ein Handwerk erlernen: allein das frühzeitig sich offenbarende Talent des Knaben erkannte und förderte der treffliche Augsburger Humanist, Rector und BibliothekarSo vorbereitet wurde er nach Tübingen geschickt und am 21. August 1549 (für 13 Kreuzer) von dem Rector Jo. Sichardus inscribirt. Auch über den Tübinger Aufenthalt spricht sich X. selbst aus in der Widmung seines Diophantus an den Herzog Ludwig von Württemberg. Außer Griechisch und Lateinisch, auch Hebräisch, studirte er besonders die Aristotelische Philosophie bei Jakob Schegk: und unter dem Decanat dieses bekannten Philosophen, Philologen und Arztes wurde er bereits am 12. März 1550 Baccalaureus. Auch Physik und Heilkunde trieb er und in der Mathematik bildete er sich besonders aus, aber ganz als Autodidact: aus Büchern konnte er sich rühmen eine gründliche Kenntniß der Geometrie und höheren Rechenkunst erworben zu haben. Dabei hatte er mit den bittersten Sorgen zu kämpfen, da er nur zeitweise geringe Unterstützungen aus Augsburg erhielt. Dorthin kehrte er nach beinahe fünfjährigem Studium zurück, gerade um die Zeit des Todes seines Lehrers Betulejus († am 19. Juni 1554). Eine Zeit lang nahm ihn der Augsburger Rathsherr Joh. Heinr. Herward bei sich auf und erwies ihm weitere Wohlthaten, hatte auch Einfluß auf seine Bildung; und in der Widmung seiner Uebersetzung des Dio Cassius an ihn heißt es: tu, patrone optime, cum me in familia tua aliquamdiu commode et liberaliter habitum auctoritate et hortatu, officiis insuper et beneficiis eo adduxeris, ut optimum Romanae historiae conditorem D. C. de Graeco Latinum facerem etc. Auch das gräflich Fugger’sche Haus bewährte an dem armen Mitbürger die gewohnte, großartige Munificenz, und vor allem war es der mit diesem eng verbundene größte und geschätzteste Gelehrte des damaligen Augsburg, Hieronymus Wolf, der ihm vertrauten, bildenden Umgang gewährte; durch ihn erfuhr er den nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch moralischen Einfluß der Philosophie. Als dieser, auch um die Erschließung der Byzantiner so verdiente Mann die Chronik des Zonaras aus der durch Anton Fugger erworbenen Handschrift zum ersten Mal griechisch und lateinisch bearbeitete, feierte X. beider Verdienst in einem griechischen und einem lateinischen Gedicht, die im Anhange des Psellus zwischen einem langen und langstieligen Carmen de Philosophia et eius partibus und jener Naenia gedruckt wurden. Dem Antheil solcher Freunde und der Philosophie schreibt er es zu, daß er trotz aller Dürftigkeit und Ungunst des Schicksals den Studien treu blieb, und in der Widmung des Psellus an den Grafen Ulrich Fugger schreibt er (Augsburg, November 1556) u. a.: quod tot incommodis, infortuniis, miseriis oppugnatus haec ipsa studia non deserui, quod perduravi et expugnatus non sum, quamvis mea me Ate affligat qualem Hercules ab ortu suo infestam habuisse tradit Homerus, partim fructibus quos ex Philosophia caepi, partim his qui me sibi defendendum fovendumque sumpserunt assigno. Schon 1555 hatte er die vier ersten Bücher Euklid’s aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzt und erläutert: das eigenhändige Manuscript übergab er dem Augsburger Magistrat, ’der auch solches günstiglich angenommen und in sonderen Gnaden gegen ihn erkannt habe‘, wie er 7 Jahre später in der Zuschrift an Stadtpfleger, Burgermeister und Rathsverwandte vor der verbesserten und erweiterten Ausgabe dieses Werkes schreibt: ’denn es ligt am tag, daas E. E. H. und W. mich in armut und allerlei unkhommer gebornen und aufferzognen, von jugennt auff, bis dahin daas ich mir selbst helffen und rhaten mögen, miltigklichen und ja mit väterlicher trew zum studiern dahaim, unnd dann auff [584] der Schulen hatt gehalten und verlegt: da ich sunst unvermögenlichait halben mich auff andre sachen hätte begeben muessen‘. Durch diese ‚Rathsverehrung‘ und sonstige Unterstützung wurde es X. ermöglicht nochmals ‚auff die Schule‘ und zwar auf die Universität Basel zu gehen. Am 20. Juli 1557 wurde er dort immatriculirt und am 9. Februar 1558 – wie zwei Jahrzehnte zuvor sein Lehrer Betulejus – zum Magister Philosophiae promovirt. Nach Basel hatte ihn aber vor allem auch die Beziehung zu dem gelehrten Buchhändler Oporinus getrieben. Für ihn hatte er schon 1556 zwei editiones principes byzantinischer Schriftsteller vollendet, unter dem deutlichen Einfluß von H. Wolf und bei dem zweiten auch von J. Schegk. So erschienen: „Georgii Cedreni chronicon ab orbe condito ad annum Christi 1057, graece et latine cum Guil. X. versione & notis“ (die Uebersetzung wiederholt a Carolo Annibale Fabrotto emendata in der mit Noten Jacobi Goari vermehrten Folioausgabe Paris 1647 und Venedig 1729) mit einer Widmung an die Grafen Marcus und Johann Fugger, die Söhne des ‚Heros‘ Anton, sowie – mit der erwähnten Widmung an Graf Ulrich und den oben angeführten Gedichten – „Pselli doctiss. viri perspicuus liber de quatuor Mathematicis scientijs, Arithmetica, Musica, Geometria & Astronomia Graece & Latine nunc primum editus Guil. X. Aug. interprete“. Die werthlose Compilation des Michael Psellus hielt X. für ‚werth auf Schulen‘ – natürlich hohen – Anfängern erklärt zu werden und er nimmt in seinen Anmerkungen wiederholt Bezug auf seine – erst sechs Jahre später gedruckte – deutsche Euklidübersetzung. Eine ganze Reihe von Erzeugnissen seines Fleißes trat aber 1558 ans Licht. Das bedeutendste war: „Dionis Cassii historiae Romanae libri XXVI cum fragmentis amissorum summa fide diligentiaque de Graecis Latini facti“ mit der Epitome des Xiphilinus in der, von X. revidirten, Uebersetzung, die Wilhelm le Blanc aus Albi 1550 dem Cardinal von Armagnac gewidmet hatte (bei Oporinus in Fol., auch Lugduni 1559 und ex eadem versione a Io. Leunclavio emendata cum ipsius notis Frankfurt a. M. 1592, ferner mit dem griechischen Text Paris 1591 und Hanau 1606 in Fol.). Den Dio hatte X. im J. 1557 in sieben Monaten übersetzt: und trotz dieser eiligen Arbeit finden sich in der Uebersetzung und in den Anmerkungen zu Dio und Xiphilin eine große Anzahl Emendationen, zum Theil von bleibendem Werth. Ferner betheiligte sich X. an der Veröffentlichung von Beiträgen Melanchthon’s zur classischen Philologie, indem er dessen lateinische Uebersetzung des Euripides aus sehr nachlässig geschriebenen Heften verbesserte und die damals nicht vorhandene Hecuba selbst übertrug (die Hecuba Philippea wurde in der Frankfurter Ausgabe 1561 nachgebracht): und diese Uebersetzung widmete er dem Augsburger Rathsherrn Joh. Bapt. Heinzell, der alles Mögliche für ihn gethan hatte multos iam per annos publice privatimque defendendo iuvando augendoque et ornando. Fast gleichzeitig gab er (bei Braubach in Frankfurt) für die studiosi graecae linguae atque poeseos adolescentes den Theokrit heraus mit griechischen Scholien des Zacharias Kalliergos zu den 18 ersten und eigenen adnotatiunculae zu den übrigen Idyllen. Endlich brachte dasselbe Jahr noch die auf Konrad Gesner’s Betrieb unternommene und bei ihm (Tiguri 1558, auch Lugduni 1559 in 12°, sowie in der Verbesserung des Mericus Casaubonus London 1645 u. öfter) erschienene Bearbeitung: „M. Antonini Imperatoris de se ipso & ad se ipsum libri XII. Graece et Latine ex versione Guil. X. cum eius notis“. Diese Ausgabe ist hervorzuheben als editio princeps des wichtigen Büchleins und als Vertreterin eines seitdem verschollenen Heidelberger Codex: sie hat aber erhebliche Mängel, auch durch den flüchtigen Druck, der zehn Jahre später X. selbst zu einer Revision veranlaßte.
[585] In der früher erwähnten epistola dedicatoria zum Dio spricht X. von seinen unermüdlichen, oft vergeblichen Mühen und Arbeiten, seinem flagrans amor zur Wissenschaft, der ihn adversissima quaeque et acerbissima habe ertragen lassen: und er fügt eine Elegie hinzu, in der er kundgibt, daß er im 18. Jahr studirte, um Muße zu erwerben, jetzt genöthigt sei sein Brot damit zu verdienen; dabei gedenkt er der adversi infelix comes imprudentia fati, seiner errata und seiner culpa als Ursachen seiner traurigen Lage und fährt fort: Vtcumque excidimus praeclaris protinus ausis: | Iam quaerant, quibus hoc fata dedere, decus. | Et mea cum Fortuna solo me afflixerit atque | Abiectum cogat serpere praeter humum | … Ergo divinis quantumvis aeger inhaerens | Artibus et studiis deditus ingenuis: | Vt tolerare queam victum et sustenter honeste, | Non aspernandi fruge laboris alor. | … Quin etiam a nobis aliquos Respublica fructus | Sperat et ipsa suo patria iure petit. | Non mihi nunc alios incumbit cura docendi: | Forsitan hoc aliquo tempore munus erit. Diese Anspielungen sind zum Theil für uns dunkel: sicher falsch ist die Angabe, daß X. in Basel schon zu dociren angefangen hätte und zweifelhaft die Annahme, daß er sich vergebens um eine Lehrstelle beworben habe: die Baseler Universitätsacten ergeben nur die beiden oben angeführten, gleichfalls verschiedene Angaben berichtigenden Daten. Wol aber erfolgte gerade damals eine Wendung seines Schicksals, und es erfüllte sich, was Oporinus prophezeit hatte in seiner Trostelegie unmittelbar nach jener Klage (März 1558), schon sei der Lohn für so viel Anstrengung dem bereits berühmt Gewordenen nach mancher Enttäuschung nahe: Et qui prae manibus tibi nunc Plutarchus habetur | Forte sui fructum nominis ille dabit.
Auf Ermunterung seiner Freunde, besonders des H. Wolf und Joh. Ludw. Carinus, hatte er angefangen den Lieblingsschriftsteller der damaligen Welt Plutarch zu übersetzen und hatte auch dem Kurfürsten von der Pfalz sein Vorhaben und seine bedrängte, fast verzweifelte Lage beweglich dargestellt. Nun war am 28. Januar 1558 Micyllus gestorben und damit die Professur der griechischen Sprache in Heidelberg erledigt, gerade in dem Jahr, dem vorletzten seiner so kurzen wie glänzenden Regierung, in dem Otto Heinrich durch Berufung berühmter Gelehrter, wie Petrus Lotichius, Thomas Erast, Caspar Agricola, die von ihm gründlich reformirte Universität zu heben suchte und wußte. Johannes Sturm empfahl angelegentlich seinen Freund Bernhard Bertrand: wenn aber weder dieser die Stelle erhielt, noch Johann Fabricius Boland, der sich selbst angeboten hatte und mit dem man eine Weile verhandelt hatte, wenn vielmehr der Kurfürst selbst darauf hinwies, daß man mit dem jungen X. einen Versuch machen könne, und dieser dann wirklich durch Entschließung vom 15. August 1558 ’zum Versuch auff- und angenommen‘ wurde, so hatte er das nicht allein dem Ruf seiner Begabung, Gelehrsamkeit und Arbeitsamkeit zu verdanken, sondern auch der persönlichen Fürsprache Erast’s, der ihn in Basel kennen und schätzen gelernt hatte, und des kurfürstlichen Rathes Eheim, der auch aus Augsburg stammte und früher in Tübingen als Rechtslehrer und Professor des Aristotelischen Organon gewesen war. Mit Erast, Eheim und Andern gehörte X. auch zu den Anhängern Zwingli’s in Heidelberg, die damals den strengen Lutheranern, wie den Philippisten gegenüberstanden. Dadurch wurde X. auch späterhin in die kirchlichen Streitigkeiten verwickelt und zeigte sich darin fest, obwol er mehr durch seine Freunde als durch eigene Vorliebe für diese Fragen dazu kam und die Folgen seiner Betheiligung für ihn um so empfindlicher waren, als er nicht, wie Erast, unverheirathet und unabhängig lebte, sondern bald nach Neigung und ohne Rücksicht auf Umstände eine glückliche Ehe einging und für seine Familie schwer zu sorgen und zu schaffen hatte. Als Besoldung [586] erhielt er zunächst nur 100 fl. und bezog die von Micyllus innegehabte Dienstwohnung. Nach den Annalen der Universität hielt er am 17. August schon seine erste Vorlesung und erhielt das Haus des Micyllus am 2. September: dem gegenüber sind noch mit ’Basel‘ die Vorreden zum Theokrit und Euripides mit dem 31. August und 1. September gezeichnet und am 22. October steht er als professor graecarum litterarum in der Matrikel, in der die Einträge freilich sehr unregelmäßig erfolgten. In den Senat wurde er auch erst am 22. Decbr. aufgenommen. Seine Vorlesungen über griechische und römische Schriftsteller, Dichtkunst und Beredsamkeit fanden lebhaften Beifall; daneben fuhr er in seinen Arbeiten eifrigst fort, kam aber aus der Noth nicht heraus. Den Nebenverdienst, den er sich durch Collegien und Schriften erwarb, berechnet er selbst auf jährlich etwa 100 fl.; solche Einkünfte reichten trotz der damaligen Billigkeit um so weniger aus, als er ohne Besitz an Büchern und Hausrath ankam, wol manche Schulden zu decken hatte und dabei großmüthig, freigebig, liebreich und gesellig war. Am 20. Juni 1560 bat er um die 50 fl., die Micyllus mehr als er bezogen hatte, als ’Oel auf seine Lampe‘ und auf Erast’s Fürsprache erhielt er wenigstens 30 fl. Zulage und dankte dem Kurfürsten Friedrich III. dafür in der Zueignung seiner lateinischen Uebersetzung von Plutarch’s Viten. Damals war der berühmte französische Plutarch von J. Amyot erschienen: und da X. des Französischen nicht mächtig war, half ihm der Jurist Franz Balduin aus, und X. gewahrte mit Vergnügen, daß er oft unabhängig in Verbesserungen mit Amyot übereinstimmte. Die Vorrede zeigt seine Begeisterung für die Sache, aber auch die, manche Mängel erklärende Nothwendigkeit fami non famae zu schreiben, wie er selbst sagt und Thuanus aus ihm und nicht aus eigenem Witz (wie Huetius, de claris interpretibus II p. 278 angibt): und obwol die Uebersetzung der Viten von Herm. Cruserius vorgezogen wurde, hat doch W. nicht geringes für den Text geleistet und die gerechte Anerkennung noch von Wyttenbach u. A. gefunden. Die „Parallela“ erschienen zuerst mit Noten (ohne das Griechische) in Heidelberg 1561, Fol. (später Basel 1592 und Frankfurt 1592 in 8° u. ö.). Von den „Moralia“ erschienen zuerst die Abhandlungen „de audiendis poetis et de Homeri poesi“ griechisch und lateinisch mit Anmerkungen Basel 1566 in 8°, dann die Gesammtübersetzung mit Anmerkungen, Basel 1570 Fol. (später griechisch-lateinisch, Frankfurt 1599 u. öfter), und zwar mit Widmungen an die Söhne Friedrich’s III., die Einzelausgabe an Prinz Christoph, der gerade 1566, vierzehnjährig, Rector magnificentissimus wurde, das Hauptwerk an den Prinzen Ludwig, den er unverblümt um Unterstützung angeht mit dem Zusatz: Credo non defuturos, quibus haec nostrae praefationis coronis putida et sordida videbitur. Sed meae res sic sunt, sic est animi candor. Et Tuae, princeps, humanitatis certus sum haec acceptiora fore, quam per adulandum et ambages quaesitam (ut hodie vulgo fit) liberalitatis tuae solicitationem etc.. Noch vor dem Erscheinen der Moralia hatte X. 1568 in Basel (wiederholt Straßburg 1590) den M. Antoninus zum zweiten Mal herausgegeben und dabei durch Hinzufügung der kleinen Schriften, die er zuerst aus dem berühmten Heidelberger Paradoxographencodex Pal. Gr. 398 veröffentlichte (griechisch und lateinisch mit Anmerkungen) einen stattlichen Octavband erzielt, nämlich: „Antonii Liberlis metamorphoses, Phlegon de mirabilibus, longaevis et Olympiis, Apollonii historiae mirabiles & Antigoni mirabilium narrationum congeries“. Und im selben Jahre 1568 erschien in Basel sein „Stephanus Byzantinus de urbibus“ Fol. griechisch mit vielen Verbesserungen, während die lateinische Uebersetzung, die er dazu versprochen, wol begonnen, aber nicht fertig gebracht wurde. Endlich erschienen gleich nach den Moralia noch „Strabonis Geographiae libri XVII Latine ex versione Guil. X. cum eiusdem notis et [587] castigationibus“ (Basel 1571 Fol.), auch mit einigen schlechten Landkarten (die Uebersetzung ist mit dem griechischen Text und Isaac Casaubonus’ animadversiones wiederholt Genf 1587 und auch in der nach dessen Tode von Morelli besorgten Ausgabe Paris 1620 sind zwar seine Anmerkungen erweitert, aber die Uebersetzung nicht, wie der Titel sagt, ab Is. Casaubono recognita, sondern einfach neugedruckt). Trotz der Eilfertigkeit und Flüchtigkeit, welche Casaubonus dieser Arbeit zum Vorwurf machte, haben sich auch hier nicht wenige Emendationen des X. bewährt und gehalten.
Die zwölf Jahre, welche diese und andere Arbeiten des unermüdlichen Mannes zeitigten, waren auch reich an sonstigen Ereignissen und Erlebnissen in seinem öffentlichen Wirken. Im J. 1560 war X. mit dem Mediciner Curio ad procurationem rei vinariae et frumentariae berufen worden bei der damals üblichen Verwaltung der Güter und Gefälle durch die Professoren, die vielfach, und auch bei X., nicht in die rechten geschäftskundigen Hände kam. Im selben Jahre wurde er an Stelle des Decans mit Anderen deputirt zu der von Friedrich III. veranlaßten Reorganisation des Pädagogiums, und im Laufe der Verhandlungen wurde er dann mit dem Decan und dem Physiker S. Melanchthon (dem Neffen Philipp’s) für die Abhaltung der Prüfung und Abfassung des Katalogs mit den Lehrern bestimmt. An der Universität zeigten sich gerade damals sowol bei der 1546 hergestellten Gesammtburse als bei der einen der beiden von der Vereinigung ausgenommenen Bursen, dem Collegium Dionysianum (der Armenburse), mancherlei Uebelstände. Für die Bildung einer Commission zur Abstellung bezeichnete Franz Balduin X. nebst Agricola und Cißner als homines non solum doctos et litteratos, sed et in eo genere vitae educatos et totam horum sive instituendorum sive regendorum studiorum rationem bene intelligentes neque iam aliis negotiis impeditos, qui pro sua in rempublicam nostram benevolentia facile et velint et possint hanc curam suscipere. Ueber den damaligen Verlauf der Sache ist nichts Näheres bekannt: wol aber war X. dann am 3. Mai 1562 als Stellvertreter des abwesenden Decans bei der Visitation betheiligt, welche infolge der Klagen über das Dionysianum und seinen Vorsteher stattfand. Im J. 1561 war er ferner als Bibliothekar an der kurfürstlichen Bibliothek angestellt worden mit einer Besoldung von 20 fl.: und in demselben Jahr übernahm er auch vorübergehend die Mathematik. Daß er für dieses Fach, obwol Autodidact, durchaus geeignet war, erkannte kein Geringerer an als Petrus Ramus, der bei seiner Aufforderung an die deutschen Fürsten, Lehrstühle für Mathematik an ihren Universitäten einzurichten, für Heidelberg ausdrücklich X. als den rechten Mann empfahl (prooemium mathem. in tres partes distributum, 1567 u. ö.). Mit dieser Uebernahme mag es zusammenhängen, daß X. jetzt seine Arbeit am Euklid aufnahm und vollendete: „Die sechs Erste Bücher Euklidis vom Anfang oder Grund der Geometrj. In welchen der rechte Grund nit allain der Geometrj (versteh alles kunstlichen, gewisen und vortailigen Gebrauchs des Zirckels Linials oder Richtscheittes und andrer Werkzeuge, so zu allerlaj abmessen dienstlich) sonder auch der fürnemsten stück und vortail der Rechenkhunst, furgeschriben und dargethon ist. Auß griechischer sprach in die Teutsch gebracht, aigentlich erklärt, Auch mit verstentlichen Exempeln, gründlichen Figuren, und allerley den nuz für augen stellenden Anhängen geziert, dermassen vormals in Teutscher sprach nie gesehn worden. Alles zu lieb und gebrauch den Kunstliebenden Teutschen, so sych der Geometrj und Rechenkunst anmassen, mit vilfältiger Mühe und arbait zum treulichsten erarnet und in Truckh gegeben durch Wilhelm Holtzman genant Xylander von Augspurg Griechischer Professor des Churf. Studiums in Heydelberg (Vollendet durch Jacob Kundig zu Basel in Joanns Oporini kosten im jar 1562 auff den dreyßigsten [588] tag des Winmonats)“ in kl. Fol. Diese erste Bearbeitung des Euklid in einer Volkssprache (die dann Jan Pietersz zu seiner Uebersetzung ins Holländische, Amsterdam 1602, benutzte, aus der Seb. Curtius Amsterdam 1618 und 1634 sie wieder deutsch machte) ist in Absicht auf die deutsche Sprache gewürdigt von A. G. Kästner in Gottsched’s Beyträgen zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit VII, Leipzig 1741. Bestimmt war sie nicht für Gelehrte, sondern für Künstler, für dieselben Kreise, für die Albrecht Dürer geschrieben hatte, Maler, Goldarbeiter, Baumeister: und unter solchen war sie auch wirksam für die Verbreitung von Kenntnissen. Höheren Werth hat sie nicht; die Beweise werden als schwer begreiflich für den einfachen deutschen Liebhaber dieser Künste öfter weggelassen oder durch Zahlenbeispiele ersetzt, wirkliche Schwierigkeiten werden übergangen. Während aber X. die Mathematik nur kurze Zeit neben dem Griechischen vertrat (noch am 1. August 1562 zeigt die Facultät seine Bereitwilligkeit zu mathematischen Vorlesungen an), wurde er Anfang des Jahres 1563 zu einem wirklichen Wechsel der Professur veranlaßt. Hermann Witekind hatte die Vertretung der Logik sehr ungern übernommen und glaubte sich besser mit der griechischen Professur abfinden zu können. So tauschte X. auf den dringenden Wunsch des Senates mit ihm und übernahm die besonders angesehene Stelle als publicus Organi Aristotelij interpres, die er bis zu seinem Tode behielt: und zwar war er der erste öffentliche Professor der Logik in Heidelberg, die vorher privatim in den Contubernien gelesen worden war (vgl. Wundt, de ord. phil. II p. 28). In Beziehung zu dieser neuen Thätigkeit stand seine Schrift: „Institutiones aphoristicae Logices Aristotelis ita scriptae ut adolescentibus proponi commode eorumque ad Aristotelea percipienda acuere ingenium & memoriam iuvare possint et rerum Mathematicarum ea brevitate eoque ordine conscriptae, ut utiliter adolescentibus explanari ab iisque edisci queant“ (gedruckt Heidelberg 1577 in 4°). Ueber seinen Erfolg hatte X. Veranlassung zu berichten, als am 30. August 1569 der Kurfürst in ganz ungewöhnlicher Weise eine Umfrage bei den Docenten anstellte. Der, auch im Vergleich mit den Antworten seiner Collegen, charakteristische und charaktervolle Bescheid von X. lautet: M. Guil. X. iussu universitatis organum quod vocant Aristotelis id es veram et philosophicam disserendi rationem pro sua tenuitate et habita discipulorum ratione publice docet atque tradit hora matutina sexta. Auditorum numerum numquam subduxit neque hoc e dignitate publici professoris admodum existimat: a quo frequentia discipulorum neque iactari debet (est enim hoc minutiosum et instabile) neque praestari paucitas: et non quarere aut ambire discipulos, sed qui auditum veniunt eos recte ac bona cum conscientia docere. Interim ut res sunt et tempora, non habeo, ut me mei poeniteat auditorii. Im Jahr der Uebernahme des neuen Amtes 1563 war X. erwählter Decan der Artistenfacultät; als solcher hatte er am 9. Februar Witekind als Lehrer am Pädagogium eingeführt und den Schülern empfohlen: als dieser nun schon am 31. März seine neue Stellung mit einer Vorlesung über Homer eröffnete, wurde an seiner Statt am Pädagogium Pithopoeus von X. eingeführt (der dann auch 1565 als Professor des Lateinischen an die Universität überging). Am 10. August war dann Witekind der erste unter denen, die X. zum Doctor promovirte. In seinem Decanatsjahr wüthete aber auch wieder einmal die Pest in Heidelberg; deshalb wurde am 10. September X. mit Agricola nach Oppenheim entsandt und erwirkte vom dortigen Stadtrath die Erlaubniß zur Uebersiedlung der Schüler des Dionysianum mit sieben Professoren, die dann am 21. September erfolgte. Nach Ablauf des Decanats in dieser improvisirten Classe der Akademie wurde X. gebeten das Amt bis zur Herstellung geordneter Zustände fortzuführen. Am 12. März 1564 [589] erfolgte die Rückkehr nach Heidelberg, wo inzwischen die Pest nachgelassen hatte, während sie in Oppenheim immer stärker auftrat: und am 26. April wurde X. una totius senatus voce schon im 6. Jahre seiner Thätigkeit und im 32. seines Lebens zum Rector gewählt und gab nun das Decanat ab. Im selben Monat April fand ja das Colloquium in Maulbronn über die Abendmahlsfeier statt, zu dem Friedrich III. mit Christoph von Württemberg zusammenkam: und dazu begleitete X. seinen Kurfürsten ebenso als Secretär, wie Lucas Osiander den Herzog von Württemberg, und er stand natürlich, wie Erast, als Zwinglianer (nicht Calvinist) auf Seiten der Pfälzer. Im J. 1565 war dann X. wieder von der Universität ausersehen mit dem Rector und mit Witekind und Pithopoeus in Gemeinschaft mit dem Kirchenrath über die Einrichtung des Pädagogiums Rath zu pflegen: er aber wies diesen Auftrag zurück, weil er die Universität beeinträchtigt glaubte: quod viros academicos vocari existimaret rebus iam confectis nullo loco nostris consiliis relicto. Ebenso verhielt er sich durchaus ablehnend bei der Visitation des Pädagogiums im J. 1572 und er setzte seine Gründe in zwei ausführlichen Eingaben dem Senat der Artistenfacultät und dem akademischen Senat auseinander, indem er heftig gegen die Theilnahme des Kirchenrathes an den Angelegenheiten des Pädagogiums eiferte; er erklärte geradezu, es werde doch nichts herauskommen, da alles nur verkehrt getrieben würde, und er wiederholt in beiden Schreiben seine vetus cantilena ’per me vel pedibus trahantur ista‘. Mit dem Freimuth und der Entschiedenheit des Protestes offenbart er hier ein berechtigtes Gefühl sowol des eigenen Werthes als der Würde der Facultät und Universität ohne Verletzung der Rücksicht und Verpflichtung gegen seinen Fürsten, wie gegen die anders gesinnten Collegen. Solche Charaktereigenschaften zu bewähren hatte inzwischen X. noch mehrfach unter erschwerenden Umständen Gelegenheit gehabt. Im J. 1567 hatte ihm Friedrich III. aus besonderer Achtung und Gnade in freier Entschließung noch 50 fl. zu seinem Gehalte zugelegt. Das hätte allenfalls genügt, wenn nicht Schulden vorhanden gewesen wären: insonderheit hatte im Lauf der Jahre bei jener ihm übertragenen Verwaltung von Frucht und Wein sich ein Rückstand von 280 fl. ergeben, und für solche Rückstände waren die Professoren haftbar. So legte X., besonders in der Sorge um Frau und Kinder für den Fall seines Todes, in einer rührenden Bittschrift vom 22. Novbr. 1568 dem Kurfürsten seine traurige Lage dar, und diese wurde dem Senat zum Bericht überwiesen. Nun aber machte sich der bittere und langwierige Streit über die Genfer Kirchendisciplin geltend, in der X. die vom Hofe begünstigte Partei mit bekämpfte: mit großer Mühe erhielt er einen Erlaß von 100 fl., der Ueberrest seiner Schuld wurde ihm von seinem jährlichen Solde abgezogen. Aber schwerer noch als die Noth drückte ihn der Gram um die Verfolgung seiner Freunde, mit denen er trotz seiner Abneigung gegen theologische Streitigkeiten für die christliche Freiheit eintrat. Bei den Zusammenkünften in Ladenburg und Feudenheim spielte er keine hervorragende Rolle und trug auch kaum zur Ausbreitung der arianischen Lehre bei: aber von Erast und den übrigen Gegnern der Kirchenzucht sich zu trennen vermochte er nicht und er zeigte sogar mehr Muth als mancher Andere. Denn als 1570 der Superintendent zu Ladenburg Sylvan ins Gefängniß kam, in dem er bis zu seiner Hinrichtung am 23. December 1573 blieb, da legte X. alsbald eine erfolgreiche Bittschrift für ihn ein, durch die er ihm mit Bewilligung des Kurfürsten die Bibel und andere Bücher verschaffte (Kirchenrathsprotokoll vom 20. September 1570). Auch an weiteren Anfechtungen scheint es X. nicht gefehlt zu haben; wenigstens sah sich die Universität veranlaßt am 19. April 1570 einen Studenten auf fünf Jahre zu relegiren, weil er, propter libellum famosum et valde mordacem in Xylandrum zu Carcer verurtheilt, sich trotz seines [590] gegebenen Wortes nicht zur Abbüßung stellte, sondern die Flucht ergriff. Obwol aber X. zu der Partei hielt, die dem Hof und den bei Hofe Einflußreichen verhaßt war, so übte er doch, wie zu Maulbronn, so auch bei dem Colloquium in Frankenthal mit den Wiedertäufern im Juni 1571 die Function eines Secretärs neben M. Neander und Jo. Casp. Faus unter dem Präsidium des Kirchenrathsdirector Wenzeslaus Zuleger, während Peter Dathen, der Hofprediger, das Wort führte. Zuleger und Dathen hatten auch zu den Gönnern des P. Ramus gehört, dem gegenüber X. wieder in anderer Weise seine energische Parteinahme für die Universität zur Geltung gebracht hatte. Als dieser auf der Flucht aus Paris 1569 nach Heidelberg gekommen war, wollte ihm Friedrich III. die durch Victorin Strigel’s Tod eben freigewordene Lehrstelle der Ethik ’seiner lehr und geschicklichkeit halben eine zeitlang extraordinarie‘ übertragen. Allein die Facultät sträubte sich nicht nur gegen den Antiaristoteliker, sondern ernannte auch ungeachtet der Aufforderung des Kurfürsten und der Berufung des Ramus auf sein Mandat am 12. November den X. zu der Stelle und setzte dem Senat die Gründe auseinander, warum Ramus nicht angenommen werden könne. Dieser vermochte denn auch nur wenige Wochen unter Widerspruch und Störungen zu lesen; aber auch X. gab schon im folgenden Jahre die Professur der Ethik an den aus Antwerpen berufenen Lanoius ab. Er wurde aber für 1571 zum zweiten Mal zum Decan gewählt: und im October dieses Jahres konnte er eine Reise nach Wittenberg und Leipzig machen und fand an beiden Orten bei den Collegen die beste Aufnahme.
Besonders folgenreich war diese Reise für die Kenntniß des Arithmetikers Diophant, auf den X. schon aufmerksam geworden war durch Suidas und durch die Nachricht von vaticanischen Handschriften, die Regiomontanus gesehen haben sollte. In Wittenberg zeigte man ihm nun einige Blätter einer Handschrift, die Andreas Duditius Sbardellatus, Gesandter des Römischen Kaisers am polnischen Hofe, vollständig – d. h. die 6 einzig erhaltenen von den ursprünglich 18 Büchern – besaß. Von Leipzig aus schrieb X. und mit ihm sein Gastfreund, der Philosoph und Arzt Simon Simonius aus Lucca an den Besitzer, und einige Monate später hatte X. den Codex in Händen mit der dringenden Mahnung Dudit’s, die Uebersetzung bald zu liefern. Sofort erkannte X., daß was er und Andere bisher nach Cardanus und Anderen von diesen Dingen zu wissen geglaubt hatten, dem neuen Licht gegenüber dasselbe sei quod umbrae Homericae in Necyia ad animam Tiresiae: und so konnte er denn im August 1574 in Erinnerung an die Tübinger Zeit und das, was er dort auch in der Mathematik sich angeeignet hatte, dem Herzog Ludwig von Württemberg widmen das im folgenden Jahre in Basel in Folio erscheinende Werk: „Diophanti Alexandrini rerum Arithmeticarum libri sex, quorum primi duo adiecta habent scholia Maximi (ut coniectura est) Planudis, item liber de numeris polygonis seu multangulis. Opus incomparabile verae Logisticae perfectionem continens paucis adhuc visum a Guil. X. Aug. incredibili labore latine redditum et commentariis explanatum inque lucem editum.“ Nachdem früher X. das Grundbuch der Geometrie weiteren Kreisen zuerst erschlossen, konnte er nun also das griechische Werk, das in der Algebra eine ähnliche Bedeutung hat, zuerst den Gelehrten erschließen und durch seine Arbeit damals viel Nutzen schaffen. Und wenn auch die folgenden Herausgeber des Diophant vielfach abschätzig dieser editio oder vielmehr versio princeps gedacht haben, so hat doch ein einsichtiger und gerechter Beurtheiler wie M. Cantor anerkannt, daß mit seiner einzigen und sehr mangelhaften Handschrift – nach dem neuesten Bearbeiter Tannery dem jetzigen Wolffenbüttelanus – X. auch hier mit seiner an Dio, Plutarch, Strabo und Stephanus gewonnenen Kritik eine große und keineswegs vergebliche [591] Arbeit gethan hatte. Vom Herzog Ludwig erhielt er, wie Melchior Adam nach Crusius bezeugt, dafür 50 Thaler – leider nicht 500, wie Heilbronner, Historia matheseos universa, Leipzig 1742, Zedler u. A. angeben, wogegen schon Kästner und Cantor begründete Zweifel erhoben. Noch vor dem Diophant war, gleichfalls zu Basel in Fol. von X. der erste deutsche Polybius erschienen, gewidmet dem Pfalzgraven bey Rhein und Hertzogen in Baiern Johann Casimir: „Polybius, Römische Historien des weisiste warhafftigsten und hochberhümpten Geschichtschreibers Polybij in Siebentzehen Büchern begriffen, soviel deren noch vorhanden sind, in welchen beschrieben werden die erschröckliche und langwirige Krieg, so die Römer und Carthaginenser über die vier und zwientzig jar zu Wasser und landt von wegen denen Inseln Sicilien, Sardinien und der Landtschaft Hispanien schröcklicher weiß gegen einander geführt haben. Auch Wie der streitbare und küne Heldt Annibal der Carthaginenser Oberster mit einem mächtigen Kriegßheer über die hohe Alpgebürg mit grosser und schwerer mühe sey in Italien gefallen; und was er für herrliche Sieg in freien Feldtschlachten wider die Römer erobert hab. Deßgleichen die krieg und mißspaltungen so sich mit den Etoliern Lacedemoniern, gegen den Messeniern Achaischen Bundtsgenossen und andern Griechen verloffen haben. Alles auß Griechischer Sprach in das Teutsche mit sonderm Fleiß und grosser arbeit Teutscher Nation zu gutem gebracht und jetzt erstemals in Truck außgangen durch Guil. X.“. Dann wurde im Jahr 1575 außer dem Diophant auch noch der Horatius cum argumentis notis & indice fertiggestellt und dem jungen Herrn von Knipphausen dedicirt (Heidelberg in 8°, wiederholt 1590). In demselben Jahr sah sich X. genöthigt, die Akademie am 18. October um ein Darlehen von 50 fl. zu bitten mit dem Erbieten, dagegen sein Silbergeschirr zu verpfänden: das letztere wurde abgelehnt und er erhielt die Summe gegen bloße Verschreibung – wenige Monate vor seinem Tode. Auch sonst waren die letzten Jahre noch getrübt. Nach der Hinrichtung Sylvan’s gab es neue Kämpfe um die Freiheit und Gerechtsame der Hochschule; und als der Italiener Pigavetta aus Aerger darüber, daß die Universität ihm keinen medicinischen Lehrstuhl hatte einräumen wollen, gegen Erast den Vorwurf der Ketzerei erhob, verwickelte er auch X. in diese Beschuldigung. Bei diesem kam es nicht einmal zu einer gerichtlichen Untersuchung – wie bei dem alsbald sich rechtfertigenden Erast –, weil man von seiner Unschuld überzeugt war: allein in seiner Bedrängniß empfand er doch die Sache schwer. Er starb am 10. Februar 1576 im kaum begonnenen 44. Lebensjahr (nicht 1575 im vollendeten 45., wie Thuanus schrieb), nach dem Zeugniß Witekind’s, der ihm als damaliger Decan in den Facultätsacten ein warmes Epitaphium widmete: decessit confectus morbo primum colico, deinde catarrho; aber die tiefere Ursache des frühen Todes bezeichnet er in den Versen: At nobis iusta est data luctus causa, decore | Et tanti orbatis utilitate viri, | Cui labor intempestivus nimiusque videtur | Praepoperum fati constituisse diem. | Cui nostra inveniet trunca hoc Adacemia membro | Non facile ingenio, non facile arte parem. Die wiederholte Angabe, daß X. durch Unmäßigkeit im Trunke sein Ende beschleunigt habe, geht auf den Ausspruch in den Scaligerana II p. 155 zurück: Xylander Augustanus doctus erat et bene legerat: sed quoties erat ebrius. Damit verbindet man die Wendung in dem, übrigens so ehrenvollen Elogium des ehrwürdigen Thuanus, der von seiner mors immatura, intemperantia vitae accelerata spricht. Ich zweifle nicht, daß Scaliger etwas von jener Schuld des X. aus der res vinaria et frumentaria zu Ohren gekommen war und dies von ihm mißverständlich zu jenem scharfen, boshaften Wort geprägt wurde. Weder in den Zeugnissen wirklich ihm nahe stehender Männer, noch in den akademischen Annalen, noch in den Kirchenrathsprotokollen findet [592] sich die leiseste Andeutung von etwas derartigem, was doch gewiß in den heftigen Streitigkeiten ausgebeutet worden wäre, so gut wie es neuere Eiferer, z. B. Sudhoff, „Olevianus und Ursinus“ (1857), aufgegriffen haben. Und in seinen häufigen Vorstellungen an den Kurfürsten und den Senat beruft sich X. selbst zu allen Zeiten auf sein notorisch tadelfreies und nützliches Leben, und in der hochmoralischen Widmung seines Polybius an Johann Casimir (1574) schilt er heftig auf solche, die fressen, sauffen, raßlen … unter das spiel und ergetzlichkeit rechnen u. s. w. Ich denke auch wir haben den trefflichen Mann aus Worten, Werken und Wesen besser kennen gelernt. Eine ganz ungewöhnliche Arbeitskraft und Arbeitszeit erforderten schon die Schriften, die in seinem kurzen, so vielfach und vielseitig in Anspruch genommenen und gehemmten Dasein zu Tage traten. Sehr erheblich war aber auch noch sein litterarischer Nachlaß. So hatte er sich zuletzt mit Pausanias beschäftigt und Anmerkungen zu der Uebersetzung des Amasäus gemacht: Friedr. Sylburg revidirte und vollendete diese Arbeit seines Freundes, dem er an tüchtiger Kenntniß des Griechischen und glücklicher Divinationsgabe ähnlich, an Sorgfalt, Genauigkeit und Feinheit noch überlegen war. Zu dieser, Frankfurt 1583 (und Hanau 1613) in Fol. erschienenen Ausgabe lieferte vor der Sylburg’schen Vorrede der älteste Sohn von Xylander, Onesimus, eine Widmung an den Grafen Ulrich Fugger, der sich der hinterlassenen Familie großmüthig annahm, wie auch von dem Kurfürsten selbst der – bereits am 19. März 1572 iniuratus propter aetatem immatriculirte – Onesimus die Kosten für sein Studium erhalten hatte. Schon vor dem Pausanias war (Basel 1578) die lateinische Uebersetzung des Diodorus Siculus erschienen, die bald durch die des L. Rhodomanus in Schatten gestellt wurde. Für Plutarch hatte X. noch eine Fragmentsammlung und Ausführungen und Verbesserungen zu vielen einzelnen Stellen verheißen, und er hatte angefangen, die Viten auch noch zu verdeutschen: wenigstens diese Arbeit wurde benutzt und in Frankfurt 1580 in Fol. gedruckt: „Plutarchus der fürtrefflichste Griechisch Historjschreiber von den herrlichsten löbrichsten manhafftsten Historien Leben Handlungen und Ritterlichen thaten u. s. w. Zu Nutz und gutem gemeinem Vatterlandt Teutscher Nation jetzt erstmals auß Griechischer Sprach (darinn das Werck beschriben) in die Hochteutsche Zungen, mit grossem Fleiß und ungläublicher Mühe tranßferiert u. s. w. durch den hochgelehrten Herrn Guil. Xylandrum von Augspurg angefangen und nach seinem tödlichen Abgang durch den auch wolgelehrten Jonas Löchinger vollendet.“ Außerdem hatte X. eine eigenhändige Uebersetzung des Plutarchischen Schriftchens über die Ehe Johann Casimir zu seiner Hochzeit (5. Mai 1570) gewidmet: und diese ist noch im Besitz der Heidelberger Universitätsbibliothek (verzeichnet bei Wilken S. 543 , bei Bartsch S. 180). Aber auch die Bücher des Neuen Testamentes hatte X. in sein geliebtes Deutsch übertragen und mit Anmerkungen begleitet. Aus seiner Anmerkung zu Horaz Oden I, 7 sehen wir, daß er ferner ein geographisches Onomasticum unternommen hatte, zu dem ja seine Bearbeitungen des Strabo, Stephanus und Pausanias ihn bestens vorbereitet hatten: und in der Vorbemerkung zum Horaz kündigt er noch für den Winter 1575 ’nisi deo aliter videbitur‘ einen umfassenden Commentar zur Ars poetica und dazu einen umfangreichen Index zu dem Dichter an, von dem er sagt ’molesto et fere incredibili labore congessi ac digessi‘. Außer variarum lectionum libri, Commentaria in Homerum, Poemata fanden sich weiter in seinen Papieren: Tabulae Graecae grammaticae absolutissimae, sowie Mathematisches (Algebra, Euclidea, Geometrica) und Astronomisches, wovon sein Schediasma de astronomico horologio Argentoratensi noch 1675 zu Straßburg in 4° erschien. Und noch auf einem neuen Gebiete finden wir ihn in einem Commentar zu Sleidanus libri tres de [593] quatuor summis imperiis den mit Anderem Elias Putschius, Hanau 1608 in 8° herausgab.
Aus dem Allen heraus werden wir die Anrede an seine Gattin verstehen und nachfühlen, die sein Grab in dem sogenannten Sacellum academicum der Capella beatae Mariae, einer Seitencapelle der St. Peterskirche, schmückte (abgedruckt bei Adami Apogr. Monument. Haidelberg. 1612 p. 49 und noch vorhanden): Quo saxum struis, o nobis fidissima coniunx, | Quo mea defuncti versibus ossa notas? | Aeterna ipsa mihi vivus monumenta paravi | Praeveniens fati fila secunda mei. | Sed tua te (video) pietas non ficta fidesque | Extruere hoc nobis certa coegit opus. | En quo progreditur, superat mala tempora fati. | Scilicet et verus funera nescit amor.
- Eine auch nur einigermaßen vollständige Behandlung des Lebens und Wirkens von X. gibt es nicht. Hauptquellen sind außer den Universitätsacten (aus denen ich einige ungedruckte Mittheilungen den Herren Proff. Drr. Crusius in Tübingen, Wackernagel in Basel und Thorbecke hier verdanke) seine eigenen Vorreden und Widmungen. Werthlos sind die Artikel von Pantaleon, Prosopographia III p. 555 (nach Oporinus), P. Freher, Theatrum virorum doctorum p. 1471, Teissier, eloges III p. 83 u. A. Das oben Zusammengestellte findet sich großentheils zerstreut und oft mit Ungenauigkeiten und Irrthümern in folgenden Werken: M. Adami, Vitae Germanorum philosophicis et humanioribus literis clarorum I, 1615, p. 289 ff. (besonders nach J. A. Thuanus historiarum I. 35, 48, 61) – Bibl. Univ. Conr. Gesneri (ed. Jo. Simler 1574, Jac. Frisius 1583) S. 315. – Niceron, Nachr. von den Begebenh. und Schr. ber. Gelehrter hrsgg. von Baumgarten XV, 1757, S. 280 ff. – Brucker, Ehrentempel der deutschen Gelehrs., 1747, S. 216 ff. (mit Bildniß). – Bayle, Diction. nebst den Remarques crit. sur le Dict. de Bayle p. 797 f. – Zedler’s Gr. Univ. Lex. LX, 1749, S. 798 ff. – Wundt, Magazin f. d. Kirchen- und Gelehrtengesch. der Pfalz I, 1789, S. 164 ff. – A. G. Kästner, Gesch. der Mathem. I, 1796, S. 184 f., 279 ff., 348 ff. – Hautz, Lycei Heidelb. orig. et progr., 1846, sowie Gesch. des Pädag. zu Heidelb. unter Friedr. III., 1855, und Gesch. der Univ. Heidelb., 1864 (auch Töpke, Matrikel der Univ. Heidelb. II, 1886) an verschiedenen Stellen. – L. Kayser, in der Festschr. zur 24. Vers. Deutscher Philol. und Schulm., 1865, S. 139 ff. – Bursian, Gesch. d. cl. Philol. in Deutschl., S. 228 f. – M. Cantor. Vorl. über Gesch. d. Mathem. II, 1892, S. 507 ff.