Analyse der Schönheit. Zwei Blätter
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In der Biographie Hogarth’s ist über die Veranlassung dieser Schrift, und über die Aufnahme, die dieselbe beim Publikum fand, zur Genüge geredet worden. Hier verbleibt uns also allein die Erklärung derjenigen Blätter, die der Künstler zur Erläuterung seines Systems hinzufügte, wobei wir dem Gange desselben folgen.
Hogarth klagt zuerst über den Geschmack seiner Zeitgenossen, welche Vorurtheile hegten, nach denen die wahre Schönheit in geraden Linien gesucht wurde, wo dieselben sich niemals finden sollten. Ein mittelmäßiger Kenner halte kein Profil für schön, worin sich nicht eine sehr gerade Nase befinde; wenn die Stirne eine gerade Linie mit derselben bilde, werde das Gesicht für erhaben ausgegeben; (man sieht, Hogarth [940] denkt an das antik griechische Profil[1]. So wurden elende Kritzeleien mit der Feder zu hohen Preisen verkauft, wenn sie Aehnlichkeit mit dem Kopfe zwischen Figur 22 und 105 zeigten, mit einem Profil, welches man mit geschlossenen Augen zeichnen könnte. In derselben Art halte man im Leben die vollkommen gerade Haltung für schön. Sähe ein Tanzmeister seinen Schüler in der zierlichen Stellung des Antinous, so würde er Zeter schreien, und demselben sagen, er sehe so gekrümmt, wie ein Bockshorn, aus, und solle den Kopf wie er selbst halten. Figur 6 und 7. (Der Tanzmeister soll übrigens das Porträt eines damaligen Ballettänzers Essex sein.)
Die Wellenlinie, als Princip der Schönheit, soll Michel Angelo an einem antiken Torso (Figur 54) entdeckt haben; in diesem Principe mag die Ursache liegen, daß seine Werke an Erhabenheit und Zierde den besten Antiken gleichkommen. (Der hier dargestellte Torso des Hercules wird bekanntlich mit dem Namen des Michel Angelo bezeichnet. Auf der hiesigen Copie steht auch die Inschrift, welche sich unter demselben befindet, und den Meister anzeigt: Άπολλώνιος Νέστορος έποίετ.)
Die Wellenlinie, auch als Zierrath angebracht, macht stets eine gute Wirkung. Bei fast allen antiken Gottheiten bildet sie ein solches, als Füllhorn, Schlange u. s. w. Die zwei kleinen Isis-Köpfe, 27 und 28, dienen als Beweis, der eine mit einer Kugel zwischen zwei Hörnern, der andere mit einer Lilie. Die Blätter der Lilie sind überhaupt wegen der geschlungenen Wendung sehr graciös, Figur 43, eben so die Cyclamen autumneum, Figur 47.
Hogarth weiß vorher, daß sein Werk von den sogenannten Kunstkennern der britischen Nation nicht gewürdigt werden wird, welche bereits durch fashionable Führer in das Heiligthum eingeführt sind. Ein solches Exemplar auf Reisen wird Figur 1 gezeigt. Diese Figur eines kunstliebenden Milor in einer Gemälde-Gallerie des Auslandes an der Hand seines Mentors war eine damalige von dem Italiener Ghezzi gezeichnete Carrikatur.
[941] Auch erwartet Hogarth keinen Beifall von denjenigen Kunstkennern, die durch gelehrte Kenntniß der Manieren den scharfen Blick hinsichtlich der Naturschönheit verlieren. Dergleichen seien zu seiner Zeit gewöhnlich, und brächten Gemälde ohne großen Werth in die Gallerieen, z. B. Venus und Cupido unter Figur 49, welche sich im Hauptzimmer eines englischen Palastes befinden.
Das beste Urtheil wird praktisch durch Zeichnen erworben, wobei man sich gewöhnen muß, die Oberflächen der Körper als aus Linien zusammengesetzt zu betrachten. Eine mechanische Art, sich hieran bei dem Menschenkörper zu gewöhnen, indem man sich zugleich die Linien vorstellt, die auf der entgegengesetzten Seite sich finden, ist Figur 2 geboten. Das Wachsmodell eines Rumpfes wird mit Drähten durchstoßen, deren Punkte die verschiedenen Linien auf beiden Seiten angeben.
Die erste Bedingung der Schönheit ist Zweckmäßigkeit (Fitness). Gewundene Säulen sind zierlich, aber unschön, so bald sie eine größere Masse halten. Wie schön auch der Leib eines Rennpferdes dargestellt sein möchte, so würde dennoch das Bild des Thieres häßlich werden, wenn man den schönsten Kopf eines Kriegsrosses daraufsetzte. Der englische Sprachgebrauch der Matrosen, welche ein schnell und gut segelndes Schiff eine Schönheit nennen (a beauty), ist durchaus richtig. Bei dem Farnesischen Hercules (Figur 3) sind alle Theile sehr schön für den Zweck der äußersten Kraft gebildet, welche der Bau der Menschenform offenbaren kann. Rücken, Brust, Schultern haben große Knochen und Muskeln, welche der vorausgesetzten Kraft der obern Theile entsprechen; da jedoch geringere Kraft bei den unteren Theilen erfordert wird, so hat der verständige Bildhauer, anstatt nach der modernen Regel jeden Theil im Verhältniß zu vergrößern, die Größe der Muskeln bis zu den Füßen hinab allmählig vermindert; aus demselben Grunde hat er den Hals größer im Umfange gemacht, als irgend einen Theil des Kopfes; fast würde die Figur durch unnützes Gewicht des letzteren beschwert worden sein. Hiedurch hatte die Stärke und somit auch die charakteristische Schönheit abgenommen.
Diese scheinbaren Fehler, welche die überlegene anatomische Kenntniß, [942] wie auch das richtige Urtheil der Alten bezeugen, finden sich nicht in den schwerfälligen Nachahmungen, die bei Hyde-parkstehen (Figur 4). Die bleiernen Köpfe der Nachahmer bildeten sich ein, sie müßten jene Mißverhältnisse verbessern.
Die zweite Bedingung der Schönheit ist geordnete Mannigfaltigkeit (composed variety) z. B. bei Farben, bei allmähliger Veränderung derselben Gestalt (z. B. bei der Pyramide), auch durch Perspective, nach welcher dasselbe Ding in verschiedenen Formen scheinbar verändert dargestellt werden kann. Zur Erläuterung des letzteren dient das kleine Schiff zwischen Figur 47 und 88. Fährt es am Ufer mit dem Auge in gerader Linie, so kann man dessen Boden und Spitze durch zwei Linien in gleichen Entfernungen begränzen (A), fährt es in die hohe See, so scheinen diese Linien an der Spitze und am Boden sich zu verändern, und sich allmählig zu begegnen, wie B im Punkte C, welches den Horizont bildet, wo Himmel und Wasser sich dem Auge vereinigen.
Regelmäßigkeit und Symmetrie bilden durchaus noch keine Grundbedingung der Schönheit. Die Folge derselben ist Einförmigkeit. Um dieselben zu vermeiden, pflegt der Maler, wenn er ein Haus mit seinen rechten Winkeln und Parallelogrammen dargestellt hat, an der Front Bäume, oder Wolkenschatten, oder Gitter (siehe das Haus im Hintergrunde des Blattes) zu malen, und perspectivisch hiedurch die Wand gleichsam zu durchbrechen. Wäre die bloße Regelmäßigkeit angenehm, so brauchte sich der Künstler keine Mühe zu geben, um die verschiedenen Glieder einer Statue mannigfach zu stellen und in Contrast zu setzen; alsdann wäre der Antinous häßlicher, als der Tanzmeister (Figur 6 und 7); die Außenlinien der Muskeln, wie sie nach dem aufgeschlagenen Buche Albrecht Dürer’s über die Verhältnisse gezeichnet sind, wären in aller Steifheit schöner, als der Torso des Michel Angelo (Figur 55 und 54).
Einfachheit ohne Mannigfaltigkeit ist geschmacklos; sie gefällt, wenn Mannigfaltigkeit hinzugefügt wird; deßhalb ist die Pyramide, welche sich von der Grundlage bis zum Gipfel fortwährend verändert, die schönste einfache Form, und dem Kegel vorzuziehen. Die pyramidale Stellung ist deßhalb die beste. In der Gruppe des Loacoon, welche die schönste [943] Gruppe von Figuren der Sculptur aus alter und neuerer Zeit bietet, hat der Künstler deßhalb den Mißgriff vorgezogen, die Söhne halb so groß, als den Vater, darzustellen, obgleich sie sonst in jeder andern Hinsicht die Gestalten von Männern bieten. Er that dies offenbar allein deßhalb, um die Form der Pyramide hervorzubringen (Figur 9). Man sieht dies aus den über der Gruppe angebrachten Stanzen.
Aus demselben Grunde ist das Oval schöner, als der Zirkel. Kommt zum Oval noch etwas mehr vom Kegel hinzu, wie das Ei zeigt, so wird dasselbe eine Zusammensetzung von zwei sehr einfachen aber auch zugleich variirten Figuren. Dies ist die Form des Fichtenapfels, welchen die Natur hauptsächlich durch Zierrathen geschmückt hat, welche aus contrastirten Schlangenlinien bestehen (Figur 10). Dies ist auch bei manchen Kernen der Fall, die durch zwei Höhlungen und durch eine runde Erhöhung noch mannigfacher werden (Figur 11). Der Fichtenapfel wird deßhalb auch mit Recht öfters als Zierrath der Architectur gebraucht, wie auf den Spitzen der beiden Seiten in der Front der Sanct Paulskirche in London. Auch der Künstler hat denselben bei den Pfosten seines Gitters auf dem ersten Blatte angebracht.
Ein thätiger Geist kann niemals ruhen; Bewegung an sich selbst und bei Anderen ist für ihn nothwendig, um ihm Vergnügen zu gewähren. Dies findet sich beim Anschauen der Formen. Nur darf die Bewegung nicht der Art sein, daß ihr das Auge nicht folgen kann. Man denke sich eine Wirbelwinde; das Auge mit seinen Radien folgt einem bestimmten Punkte, der als A bezeichnet wird (Figur 14). Durch die zu schnelle Windung wird der Kopf schwindelig, weil man den Punkt nicht mehr fixiren kann. Dagegen ist der Stab, um den sich der Strick bei dieser Maschine windet, dem Auge stets angenehm, mag er ruhen oder sich bewegen, weßhalb man denselben auch als architectonische Zierrath häufig anbringt. Figur 15. In derselben Art gefällt durch die Windungen der Bewegung der englische Nationaltanz; auch die im Winde bewegten Locken machen deßhalb einen angenehmen Eindruck; dieser hört aber sogleich auf, so bald das Haar verwirrt wird. – Auf diesem Umstande [944] ist die Windung der Gegenstände in einander (Intricacy), eine andere Hauptbedingung der Schönheit, begründet.
Auch das Massenhafte in der Quantität macht angenehmen Eindruck; Felsen, Colosse, Elephanten u. s. w. Deßhalb sind die (britischen) Staatskleider weit und voll, weil sie den Anschein der Größe geben, die sich für die höchsten Aemter eignet. Das Gewand der Richter (auf der King’s bench) gibt denselben Ehrfurcht gebietende Würde, und wenn die Schleppe gehalten wird, erstreckt sich eine edle und schöne Wellenlinie von den Schultern des Richters bis zu den Händen des Schleppenträgers. Dieselben angenehmen Wellenlinien zeigt der Faltenwurf, so bald die Schleppe bei Seite gelegt ist. Auch zeigt die Allongen-Perrücke, der Löwenmähne gleichend, etwas Edeles, und ertheilt dem Gesicht nicht allein den Ausdruck der Würde, sondern auch des Scharfsinnes.
Zur Erläuterung dieses Gedankens hat Hogarth das Bild eines Richters, Figur 16, hinzugefügt, allein hier hat er sich in seiner Laune zugleich gehen lassen. Auf dem Haupte steht ein Haarbüschel der Perrücke wie eine Flamme empor. Der Richter, mit einem Leichenstein hinter seinem Haupte, unterschreibt ein Todesurtheil; der Schleppenträger ist ein Knabe, wie ein Engel, der sich mit der Schleppe die Augen trocknet, und zugleich ein Winkelmaas, oder vielmehr einen Galgen en miniature in der Hand hält. Ein anderer Engelskopf ist weinend am Postamente dargestellt.
Wenn jedoch das Massenhafte unpassend ist, oder einen zu starken Gegensatz bietet, so wird es lächerlich. Z. B. Figur 17 stellt ein fettes männliches Gesicht dar, mit einer Kindermütze, an dessen Kinn ohnedem der übrige Theil einer ausgestopften Kinderkleidung so geschickt befestigt ist, daß letztere in einem Kinderleib zu bestehen scheint. Dies ist eine bei Jahrmärkten zur Belustigung des Volkes gewöhnliche Schnurre, welche stets ein lautes Gelächter beim Publikum zu erwecken pflegt. Von derselben Art ist Figur 18, ein Kind mit der Perrücke und der Kopfbedeckung eines Mannes. In beiden Figuren werden die Eigenthümlichkeiten des Kindes- und Mannesalters in Formen ohne Eleganz und Schönheit zusammengeworfen.
[945] So auch ist ein römischer General, Figur 19, durch einen modernen Schneider und Perrückenmacher zur Tragödie geschmückt, im höchsten Grade lächerlich. Die Kleidungen verschiedener Zeiten sind gemischt, und die Linien, welche dieselben zusammensetzen, sind rund oder gerade.
Tanzmeister, welche Gottheiten in Bühnenballeten darstellen, sind nicht weniger lächerlich. Man betrachte nur den Jupiter, Figur 20.
Was den Schauspieler betrifft, der freilich nur von hinten zu sehen ist, so soll dies der bekannte Quin sein, und zwar in der Rolle des Julius Cäsar. Wie bei Gelegenheit Garrick’s schon erwähnt wurde, war die Kleidung der Schauspieler in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts dem Gebrauche des Théatre franςais bei Racine’s Helden und Heldinnen nachgebildet. Schauspieler trugen die Allongenperrücke; Schauspielerinnen schmückten sich mit Reifröcken. – Um das Lächerliche durch den Contrast zu erläutern, hat Hogarth eine römische Statue Cäsar’s dicht vor Quin angebracht. Sie wird auf das Postament emporgewunden, und trägt somit einen Strick um den Hals, als sollte ihr Heldenthum durch die neuere Schauspielkunst erdrosselt werden. Ueber ihr befindet sich ebenfalls eine Winde, und zwar in der Form der schönen Pyramide, wie über Laocoon. Ueber dem Haupte des Schauspielers wird man jedoch in gleicher Art keine Pyramide bilden können. Die erste Winde ragt über dem Haupte des schon erwähnten Richters empor, und offenbart für den Stand die bezeichnende Form eines Galgens, eben so, wie der weinende Schleppenträger einen Galgen in der Hand hält.
Eben so lächerlich ist eine unelegante Form, mit Unzweckmäßigkeit gepaart, z. B. wenn in einem Lustspiel ein Müllersack über die Bühne springt; geschähe dies von einem schön geformten Gefäß, so würde der Eindruck des Lächerlichen nicht gemacht werden. Wird aber Eleganz mit Unzweckmäßigkeit gepaart, so ist der Eindruck anderer Art; z. B. nichts ist abgeschmackter, als Köpfe von zweijährigen Kindern mit Entenflügeln unter dem Kinn, die umherfliegend und Psalmen singend gedacht werden, Figur 22. Dennoch ist die Form so elegant, daß man mit der Unzweckmäßigkeit leicht ausgesöhnt wird.
Dieselben Grundsätze der Zweckmäßigkeit, Mannigfaltigkeit, des [946] Massenhaften und der Windung gelten für Kleider. Was letztere betrifft, so sind geschlungene Formen vor Allem graziös, wie man aus den antiken Zipfeln erläutern kann, welche die Kopfbedeckung der Sphinx bilden, Fig. 21.
Wie erwähnt, mag sich der Künstler oder Liebhaber der Kunst daran gewöhnen, alle Gegenstände in ihren Oberflächen als von Linien zusammengesetzt zu betrachten. Somit wären die Oberflächen zusammengesetzt erstens aus geraden Linien, wie der Cubus, aus Cirkellinien, wie die Kugel, aus beiden, wie Cylinder, Kegel u. s. w., Figur 23; zweitens aus componirten geraden und Cirkellinien, und aus Linien, die zum Theil cirkelförmig, zum Theil gerade sind, wie Säulen, Capitale, Vasen u. s. w., Figur 24; drittens aus den genannten dreien nebst der Wellenlinie, welche die Schönheit mehr als irgend eine andere hervorbringt, und deßhalb die Schönheitslinie genannt werden mag, Figur 25; viertens aus allen genannten mit der Schlangenlinie, welche Grazie zur Schönheit hinzufügt. Figur 26. – Gerade Linien sind nur in der Länge verschieden, und schmücken deßhalb am wenigsten; Kreislinien fangen an, zum Schmuck zu dienen; Kreislinien und gerade können schon angenehme Formen hervorbringen; Wellenlinien, die aus zwei entgegengesetzten Kreislinien bestehen, sind um so schöner, da Bewegung und Windung in ihnen statt findet.
Die Hervorbringung von schönen Formen beruht auf der Zusammensetzung der Linien, indem man diese in der Mannigfaltigkeit ihrer Formen und Dimensionen wählt, ihre Lagen gegen einander abwechselt, und den von diesen Linien eingeschlossenen Raum ebenfalls mannigfaltig macht, wobei man das Zweckmäßige so viel wie möglich im Auge behält. Die Kunst, gut zu componiren, ist die Kunst, eine gute Mannigfaltigkeit hervorzubringen; z. B. Figur 29 gibt eine Glocke, eine einfache und angenehme Form. Diese Schaale, wenn man den Ausdruck gebrauchen darf, ist aus Wellenlinien zusammengesetzt, wobei die Abwechslung des Raumes mit punktirten Linien angegeben ist; hier sieht man, daß die Mannigfaltigkeit des Raumes jener Mannigfaltigkeit der Schönheit in der äußeren Form gleich ist. Wenn der innere Raum noch mannigfaltiger wäre, so würde die äußere Form eine noch größere Schönheit zeigen.
[947] Als fernerer Beweis diene eine Zusammensetzung von mehr Theilen, und eine Verfahrungsart, wonach diese Theile durch eine gewisse Methode zusammengesetzt werden können, indem die eine Hälfte des Sockels vom Leuchter A variirt werden kann, wie die andere Hälfte B Figur 30. Man gebe dem Leuchter eine passende Höhe, Figur 31, bezeichne alsdann die nothwendige Höhe des Sockels bei A Figur 32; man lasse hierauf, um eine bessere Form zu ertheilen, jede Distanz oder Länge der Abtheilungen von der Länge des Sockels verschieden sein, und eben so die Distanzen unter sich abwechseln, wie man aus den punktirten Linien unter dem Sockel A sehen kann, d. h. man lasse zwei Punkte, welche die Distanz bezeichnen, von zwei nahen Punkten entfernt aufstellen, wobei man wahrnehmen muß, daß eine Distanz oder ein Theil größer ist, als alle übrigen zusammen. Alsdann wird man bald bemerken, daß die Mannigfaltigkeit ohne jenes Verfahren nicht so vollständig sein würde. – Auf gleiche Weise lasse man die horizontalen Entfernungen auch in den Lagen abwechseln, wie an der entgegengesetzten Seite derselben (Figur 6); hierauf vereinige man die verschiedenen Distanzen in eine vollständige Schaale, indem man mehrere Theile von Kreislinien und geraden ansetzt; man mache sie mannigfaltig durch verschiedene Größe, wie in C, man bringe sie alsdann sämmtlich in D an derselben Figur an, und man erhält den Leuchter, Figur 33, mit noch mehr Abwechslung an der anderen Seite. Theilt man den Leuchter in noch mehr Theile, so wird er überladen. Figur 34. Er entbehrt Deutlichkeit der Form bei näherer Ansicht, und verliert, in der Entfernung gesehen, die Wirkung der Mannigfaltigkeit.
Will man einen Gegenstand mit großer Mannigfaltigkeit der Theile componiren, so müssen sich mehrere dieser Theile durch auffallenden Unterschied von den nächsten unterscheiden, so daß ein jeder als eine wohlgeformte Abtheilung erscheint, Figur 35. (Die punktirten Linien sollen die einzelnen Theile angeben.) Alsdann wird nicht allein jeder Theil, sondern auch das Ganze vom Auge besser aufgefaßt werden. Verwirrung wird dadurch vermieden, wenn das Auge in der Nähe ist; auch in der Entfernung würden die Formen mannigfach erscheinen, wenn gleich geringer [948] an Zahl. Figur 36 ist nämlich dieselbe Figur, wie die vorhergehende, allein so weit entfernt, daß die kleineren Glieder vom Auge nicht mehr erkannt werden können.
Gleicherweise ist das Petersilienblatt, welches zu einem schönen Schmuck benutzt wurde, in drei verschiedene Abtheilungen geschieden, Figur 37; diese sind wieder in mannigfache Unterabtheilungen getrennt. Auch wird man dies bei den Blättern fast aller Pflanzen erkennen. Die Natur also hat diese Regel bei der Schöpfung ihrer Formen gebraucht. Dasselbe wird man an der Figur bemerken, die sich zwischen Figur 67 und 98 befindet. Sie ist ein Naturspiel, ein Auswuchs an einer Esche, jedoch in jeder Art so schön dargestellt, daß kaum ein Künstler ähnliche Wirkungen mit derselben Vollkommenheit hervorbringen könnte. Man hat in derselben Art auch die Auswüchse der Spargel, die im Herbste den Saamen zu erzeugen pflegen, nicht unzweckmäßig als Zierrathen angebracht.
Bleibt der Haupttheil eines Gegenstandes groß genug, so läßt er sich durch Zierrathen kleinerer Art bereichern, doch diese müssen alsdann so klein sein, daß sie die allgemeine Masse nicht verwirren. Figur 38 ist eine Zierrath, die an den Seiten altmodischer Kamingitter angebracht ist; die Theile sind gut angeordnet; dicht daneben steht eine andere Zierrath derselben Art, Figur 39, mit derselben Anzahl von Theilen; da aber die Formen derselben nicht genug mannigfach sind, sondern da eine Form vollkommene Aehnlichkeit mit der andern zeigt, so ist die Figur unangenehm und geschmacklos; aus demselben Grunde ist der Leuchter, Figur 40, noch schlimmer, da noch weniger Mannigfaltigkeit an demselben statt findet. Es wäre besser, einen ganz geraden und kahlen Leuchter, wie Figur 41, zu verfertigen, als solch elenden Versuch von Zierrathen anzubringen.
Indem hieraus erhellt, daß die Kunst, gut zu componiren, in der Geschicklichkeit besteht, eine passende Mannigfaltigkeit zu bewirken, ergibt sich zugleich, daß alle Abweichungen das Gegentheil zur Folge haben. Deßhalb ist der Cactus, Figur 42, eben so häßlich, wie der Leuchter, Figur 40. Auch bestehen die Schönheiten der Lilie und der calcidonischen [949] Iris, Figur 43 und 44, in der Mannigfaltigkeit ihrer Theile; der Mangel an Mannigfaltigkeit in den Nachahmungen dieser Blumen, Figur 45 und 46, bewirken eine schlechte Form, obgleich dieselben noch genug Aehnlichkeit mit jenen besitzen, um dieselben Benennungen erhalten zu können.
Das bisher angegebene Verfahren mit geraden und Cirkellinien läßt sich hauptsächlich bei der Baukunst in Anwendung bringen, wo ein weiter Spielraum zur Verzierung bleibt, sobald einmal das Haupterforderniß, die Zweckmäßigkeit, befriedigt ist. Die Verzierungen derselben können bei weitem noch ausgedehnter werden, als es gegenwärtig der Fall ist; auch außer den Säulenordnungen der antiken und den Schnörkeln der gothischen Baukunst läßt sich mannigfacher Schmuck wählen. Die Natur bietet hier dem Architekten ein weites Feld. Sogar ein Capital, welches aus den tölpischen und beschränkten Formen der Perrücken und Hüte bestände, würde durch eine geschickte Hand einige Schönheit erlangen, Figur 48.
So sonderbar die angeführte Bemerkung Hogarth’s lautet, eben so sonderbar klingt die folgende: Wie wenig Erfindungen auch in neuesten Zeiten hinsichtlich der Architektur gemacht wurden, so ist dagegen Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Nettigkeit der Arbeit zu einem hohen Grade der Vollkommenheit gebracht worden, besonders in England, wo der gesunde Menschenverstand die nothwendigeren Theile der Schönheit, welche jedermann verstehen kann, dem reichen Geschmack vorgezogen hat. Als Erläuterung sollen die Gebäude dienen, welche man auf dem ersten Blatte erblickt.
Was die Wellenlinien betrifft, so sind zwar alle als Schmuck gebraucht worden, allein eine derselben ist die schönste, und kann deßhalb die Linie der Schönheit genannt werden. Verschiedene Wellenlinien sind Figur 49 angegeben; die Linie der Schönheit ist Nr. 4, Nr 6 und 7 werden plump, indem sie sich zu sehr bei der Krümmung beugen; Nr. 3, 2 und 1 sehen dagegen ärmlich aus, weil sie zu gerade sind. Man wird dies aus Figur 50 noch besser erkennen, wo die Linien in den Stuhlfüßen wiedergegeben sind.
[950] Eine noch vollständigere Vorstellung über Wellenlinien, deren Wirkungen und Abweichungen, kann man aus der Reihe von Corsetten, Figur 53, am unteren Theile des Blattes erkennen; Nr. 4 zeigt die Schönheitslinie, und ist deßhalb das beste Corsett. Jedes Fischbein eines guten Corsetts muß sich in dieser Weise biegen, denn das ganze Corsett ist nur die Schaale eines gut variirten Inhalts, und seine Oberfläche deßhalb eine schöne Form, so daß eine vollkommene Wellenlinie sich ergeben müßte, wenn man einen Draht von oben nach unten daran befestigte, oder daß die Schlangenlinie in Figur 26 entstünde, wenn man von oben nach unten und von hinten nach vorn eine Linie zöge. Nr. 5, 6, 7 und 3, 2, 1 sind Abweichungen in Steifheit und Aermlichkeit.
Zwar wird Nr. 2 einem wohlgebildeten Manne besser passen, als Nr. 4, die sich für ein schönes Weib eignet; allein dies beweist noch mehr die Wahrheit des Grundsatzes, denn der weibliche Körper ist schöner, als der männliche.
Aus der Anwendung der Wellenlinie und aus der Vergleichung mit den übrigen läßt sich sehr leicht durch Linien erkennen, weßhalb die Kröte, das Schwein und die Spinne häßliche Thiere sind.
Was die Schlangenlinie, eine weitere Durchführung der Wellenlinie, betrifft, so betrachte man zuerst Figur 56 B 2[2]; es wird ein gerades Horn darin dargestellt; man wird bemerken, einige Zierlichkeit werde ihm allein durch die Figur des Kegels mitgetheilt. An Figur 57 B 2 wird der Grad der Schönheit an dem Horne durch die Biegung nach zwei verschiedenen Richtungen hin erhöht. Die Grazie, Eleganz und Schönheit wird aber an demselben Horn Figur 58 B 2 bedeutend vermehrt, indem es umgebogen erscheint, so daß die Schlangenlinie zum Vorschein kommt. In der ersten Figur zeigt die punktirte Linie die [951] geraden, woraus es besteht; eine solche Linie würde ohne die gekrümmten kaum offenbaren können, daß jenes Horn ein Inneres besitzt; bei dem zweiten Horn wird die gerade Linie zur Wellenlinie, bei dem dritten zur Schlangenlinie. Letztere gibt nicht allein durch die Beugung, wodurch einige Theile der Oberfläche dem Blicke entschwinden, der Phantasie Spielraum, und entzückt deßhalb das Auge, sondern belehrt uns auch über die Mannigfaltigkeit und die Formen des Inneren. Wie man die Wellenlinie mit dem Namen der Schönheitslinie bezeichnen mag, so kann man die Schlangenlinie als die der Schönheit und Grazie definiren. Zwar läßt sich auch diese Linie bis zum Uebermaß anbringen, so daß der dargestellte Gegenstand an Schönheit verliert; allein selbst in dieser Ueberladung wird sie an Gegenständen nicht ungern erblickt, wo Schönheit und Grazie nicht in höchster Ausbildung ausgedrückt werden sollen.
Doch müssen alle diese Linien zusammen angewandt werden, will man eine schöne Composition hervorbringen; so wird man an dem noch mehr ausgeschmückten Horn, Figur 59 B 2, die einzelnen Linien wieder erkennen. Durchschneidet man dieses Horn in zwei gleiche Theile, so bieten dieselben auf gleiche Weise die Schönheitslinie; wo ferner die Schlangenlinie zurücktritt und dem Auge entschwindet, bietet sie sich sogleich in der Höhlung wieder dar. Diese Bemerkungen sind anwendbar auf die menschliche Körperform; alle Muskeln und Knochen offenbaren mehr oder weniger die genannte Windung. Es gibt keinen einzigen Knochen, welcher durchaus eine gerade Form bietet; die Muskeln sind in Windungen sämmtlich darauf befestigt, wie verschieden ihr Zweck sonst auch sein mag. Man braucht blos den Schenkelknochen und diejenigen an den Hüften zu betrachten.
Der Schenkelknochen, Figur 62 B 2, zeigt die gewundene Schlingung des Horns, Figur 58; die weiter unten zu sehenden schönen Knochen ossa innominata, Figur 60 B 2, haben mit größerer Mannigfaltigkeit dieselben Windungen des Horns, wenn es zerschnitten ist. Wie sehr diese Knochen zur Zierrath dienen können, wenn das Vorurtheil, sie seien der Theil eines Skeletts, durch ein wenig Laub entfernt worden ist, erhellt aus Figur 61 B 2. Man beraube jedoch diese Zierrathen [952] ihrer Schlangenlinien und Windungen, so verlieren dieselben sogleich alle Grazie, und bilden die ärmlichen Ausschmückungen, die vor einem Jahrhundert Mode waren, Figur 63 B 2.
Figur 64 B 2 bezeichnet die Art, womit die meisten Muskeln um die Knochen geschlungen sind, und der Länge und Form von Letzteren gemäß sich an dieselben anlegen. Da ihre Fibern mit Fäden von Anatomen verglichen werden, kann man jeden Muskelcomplex als ein Gewebe von Schlangenlinien betrachten.
Die Muskelcomplexe, die sich wieder mit einander verschlingen, bilden ebenfalls gewundene Formen. Dies erkennt man aus Figur 65 B 1, der Copie eines Wachsmodells von Schenkeln, nachdem die Haut abgezogen ist; durch die Windung und durch die Mannigfaltigkeit der Lagen wird diese Form im höchsten Grade elegant, obgleich das Gefühl ihrer Schönheit durch die Einbildungskraft unterdrückt wird, indem man sich denkt, dieses Glied sei geschunden worden. Der menschliche Körper hat überhaupt mehr Schlangenlinien, als irgend ein anderer, und ist deßhalb auch durch Schönheit vor allen hervorragend; sogar wenn die Muskeln dick emporschwellen, wie im Farnesischen Hercules, Figur 3 B 1, machen sie einen angenehmen Eindruck. Sobald sie aber an ihrer Windung verlieren, verschwindet die Eleganz.
Figur 66 B 1 ist ebenfalls nach der Natur gezeichnet, allein in einer trockeneren und steiferen Manier behandelt, (bei den Malern die hölzerne genannt,) als derjenigen, worin das Fleisch wirklich erscheint, bevor seine Nässe vertrocknet ist. Man muß zugestehen, daß die Theile dieser Figur, welche auch dieselbe Lage, wie Figur 65, bietet, dieselben richtigen Dimensionen und dieselbe richtige Lage zeigten; sie entbehren nur der Schlingung, wodurch ihnen Eleganz mitgetheilt werden könnte.
Dies wird durch Figur 67 B 1 in ein noch stärkeres Licht gesetzt. Dies Bein zeigt durch die einförmige Gestalt und Lage der Muskeln ohne alle Wellenlinien eine so hölzerne Form, daß ein Handwerker, welcher ein Stuhlbein verfertigen kann, dasselbe mit derselben Fertigkeit wird darzustellen vermögen, wie der größte Bildhauer. In derselben Art wird jeder Steinmetz die schönste Statue richtig copiren können, [953] wenn er die Wellenlinien weglassen darf. Ein Drechsler würde den Hals der Venus noch schöner verfertigen, wie Praxiteles, wenn die Schönheit derselben in der Rundung und nicht in der Wellenlinie bestände. Aus demselben Grunde lassen sich Beine, die durch Krankheit angeschwollen sind, mit derselben Leichtigkeit copiren, wie bloße Pfosten, Figur 68 B 2.
Auch noch in weiterer Art, wie in Knochenbildung und Muskelverbindung, wird von der Natur die Wellenlinie am menschlichen Körper angebracht, um die Schönheit desselben zu bewirken. Da wo der Uebergang der Muskeln in einander zu hart und plötzlich ist, wo ihre Schwellungen zu stark, ihre Höhlungen zu tief sind, um Schönheit der Außenlinien hervorzubringen, hat die Natur diese Härten gemildert, die Höhlungen mit einer genügenden Masse Fett gefüllt, und das Ganze mit der sanften Haut bedeckt, welche sich an die äußere Form der inneren Theile straff anlegt, und dem Auge die Außenlinien des Inneren mit der größten Feinheit der Form und Grazie darstellt. Daß Wellenlinien so hervorgebracht werden, kann man sehr leicht erkennen, wenn man einen Draht an diese äußere Form anschmiegt, so daß sich derselbe biegt und dann die Biegung beibehält.
Durch die geringere oder größere Anwendung der Wellenlinie bei der äußeren Körperform wird somit der Meister erkannt. Dadurch entsteht jene Eigenthümlichkeit, woran man die Hand des Meisters erblickt, und welche selten in den besten Copieen wiedergegeben wird. Um dies zu erläutern, wird ein Körpertheil gewählt, welcher nur vier Muskeln enthält.
Figur 76 B 2 stellt einen Theil der linken Seite unter dem Arme mit einem kleinen Theile der Brust dar, und enthält einen besondern Muskel, welcher wegen der Aehnlichkeit seiner Enden mit den Zähnen einer Säge, an sich selbst betrachtet, ohne Schönheit ist. Diese Figur ist zur Erläuterung um so geeigneter, da die regelmäßige Form um so mehr die Hand des Künstlers erheischt, welcher ihr mehr Mannigfaltigkeit ertheilen muß, als sie ursprünglich besitzt.
Betrachtet man die Darstellung dieses Theiles nach einer anatomischen [954] Figur, Figur 77 B 2, so sieht man die Gleichmäßigkeit der sägenähnlichen Enden des Muskels und die Regelmäßigkeit der Fibern, welche fast in paralleler Richtung mit den von ihm bedeckten Rippen laufen.
An Figur 78 B 2, der natürlichen Form eines Körpertheils, wenn er mit der Haut bedeckt ist, läßt sich sehr leicht erkennen, die harte und steife Form sei verschwunden, jedoch noch genug zurückgeblieben, um durch Regelmäßigkeit und Einförmigkeit einen unangenehmen Eindruck zu bewirken. Es muß also eine Veränderung bewirkt werden, die jedoch nur so unbeträchtlich sein darf, daß sie in Betreff der Lage und der Form nicht auffallend ist.
Man verändere die mit 1, 2, 3, 4 bezeichneten Theile, die sich in Figur 77 vollkommen gleichen, und in Figur 78 nicht sehr von einander verschieden sind, zuerst in ihrer Größe, jedoch nicht allmählig von oben nach unten, wie in Figur 79 B 2, noch auch so, daß die eine lang, die andere kurz erscheint, wie in Figur 80 B 2, denn die Einförmigkeit würde hiebei bleiben, sondern man verändere nur die Lage um ein wenig, so daß sie unregelmäßig in einander schlüpfen, wie in Figur 81 dargestellt ist; dann wird die ganze äußere Form jene Mannigfaltigkeit und die überlegene Schönheit erlangen, welche Figur 76 im Vergleich mit 77 und 78 offenbarte. Würde man aber über jenen Theil einen Draht biegen, so erhielte man die Wellenlinie, in welcher Richtung man auch denselben anlegen möchte. Man wird überhaupt bemerken, daß ungeschickte Künstler in Darstellung dieses Körpertheils sich bei weitem mehr der Figur 78 als 76 nahen, wovon letztere aus dem Torso des Michel Angelo, Figur 54 B 1, genommen ist.
Jene Windungen und Wellenlinien wird man an jedem Gliede bemerken, mag dasselbe auch noch so klein und die Linie auch noch so kurz sein. Man wird hier dieselbe Grazie erkennen können, wie an den verlängerten Muskeln des Rumpfes und der Beine. Man nehme z. B. die Finger, wo die Gelenke kurz und die Sehnen straff sind. Alsdann wird man in diesem Gliede, welches den geringsten Spielraum für die Darstellung der Schönheit bietet, in den Runzeln, Grübchen und Gelenkknoten die gewundenen Linien sehr leicht wiedererkennen. Der Finger, [955] Figur 82 B 2, zeigt gar keinen Geschmack des Verfertigers, denn seine Linien sind ganz gerade. Figur 89 B 2 ist dagegen schöner, obgleich nur flüchtig gezeichnet. Im gewöhnlichen Leben wird man dieses noch mehr erkennen, wenn man den gerade gestreckten Finger eines Arbeiters mit dem nachläßig gehaltenen einer Dame vergleicht.
Bei dem weiblichen Körper findet sich überhaupt eine elegante Fülle, welche denselben hinsichtlich der Schönheit höher stellt, als sogar den eines schön gebildeten Mannes. Die in Grübchen hervorgebrachten Wellenlinien, so wie überhaupt die sanfteren Formen der Muskulatur unter der Haut, bieten dem Auge eine größere Mannigfaltigkeit der angenehm und einfach verbundenen Theile, so daß der weibliche Leib, in der Venus dargestellt, Figur 13 B 1, dem Apoll in jeder Hinsicht vorzuziehen ist, Figur 12 B 4. Hogarth hat dort am Block, welcher die Venus hält, eine gewundene Schlange zur weitern Erläuterung seiner Idee angebracht. Die Tauben sind nur ein mythologisches Attribut, und haben mit der Erläuterung des Systemes nichts zu thun.
Was die Verhältnisse in Darstellung des menschlichen Körpers wie aller Gegenstände betrifft, so ist das Princip derselben die Zweckmäßigkeit. Ein Hebel ist nach Verhältnissen richtig, wenn er stark genug ist, eine Last zu heben, ein Fisch, wenn er geschickt schwimmen kann u. s. w. Der menschliche Körper zeigt richtige Verhältnisse, wenn er den Zwecken entspricht, die eine einzelne Figur darstellen soll. Mathematisch durch Linien lassen sich dieselben nie bestimmen. Albrecht Dürer und Lamozzo, Figur 55 B 1, haben Fehler begangen, indem sie dieselben in ihren Darstellungen der Verhältnisse, die aus ihren Büchern auf dem Blatte entnommen sind, durch mathematische Abtheilungen bestimmen wollten. Ihr Buch mag für Anfänger in der Kunst von Nutzen sein; allein das dort angegebene Verfahren ist unzureichend für höhere Anforderungen. Man könnte höchstens Carrikaturen und groteske Gestalten nach Linien zeichnen, z. B. auf dem Kreuz, Figur 69 B 2, einen dicken Menschen, auf Figur 70 B 2 das Gegentheil, einen dünnen, auf dem daneben stehenden verschobenen Kreuze einen verdrehten Körper. Man mag dergleichen Linien zeichnen, wie man will, so bald man zeichnet, kommt [956] ein Mißverhältniß heraus. Bei Charakterbildern tritt es um so mehr hervor, daß die Verhältnisse sich nicht mathematisch bestimmen lassen, z. B. Ruderer haben immer verhältnißmäßig dünnere Schenkel, als Arme und Schultern, Lastträger dickere Beine. Hogarth sagt, er würde z. B. den Charon mit breiten Schultern und Spindelbeinen malen. Wie es sich mit den Verhältnissen, die sich nach der Zweckmäßigkeit der Gliederform richten, wirklich beschaffen ist, kann man aus der Statue des Apollo von Belvedere erkennen. Figur 12 B 1.
Antinous, Figur 6 B 1, bei welchem die Verhältnisse durchaus von der Art sind, daß sich dieselben vom gewöhnlichen Leben nicht entfernen, erfüllt den Beschauer nur mit Bewunderung, während der Apoll von Belvedere, wie alle Reisende gestehen, etwas mehr als Menschliches offenbart. Dies aber beruht auf einem Mißverhältniß, oder wenigstens auf einer Abweichung von den gewöhnlichen Verhältnissen, wie man sie an Antinous studiren kann.
Die Größe der Form, wie schon bei dem Massenhaften früher erwähnt wurde, bewirkt den Eindruck des Adels; dies läßt sich auch auf die Verhältnisse übertragen. Würde jedoch die Hand im Verhältniß zu den übrigen Körpertheilen größer gemacht, so ergäbe sich eine Plumpheit und ein Mangel an Zierlichkeit; würden die Arme länger dargestellt, so müßten sie als schlotternd und tölpisch erscheinen. Würde die Länge und Breite des Mittelkörpers vermehrt, so ergäbe sich eine gewisse Schwerfälligkeit. Geschähe dies bei dem Kopfe, so käme ein Eindruck wie in Figur 17 B 1 heraus. Es bleibt also nur der Hals und die Beine, wobei man die Vergrößerung anwenden kann. Durch die Größe des Halses würden weitere und schwanengleiche Wendungen des Kopfes möglich. Durch die größere Länge der Schenkel wird eine größere Behendigkeit in der Bewegung des oberen Körpers und eine übermenschliche Geschwindigkeit angedeutet. Die Eigenschaften, welche bei einem Sonnengotte vorausgesetzt werden müssen, werden also durch jenes Mißverhältniß angegeben, ein weiterer Blick nach allen Seiten hin und eine größere Schnelligkeit, wie sie die Menschen haben. – Dasselbe Verfahren kann man an den Bildern Parmegiano’s beobachten. Viele [957] Kunstkenner nennen diese zwar uncorrekt, gestehen jedoch ein, daß sie einen nicht mit Worten anzugebenden Adel der Gestalten offenbaren.
Auch an den Nebendingen dieser Statue kann man mehrere der früher gemachten Bemerkungen in Anwendung bringen. Die Drapperie, welche von den Schultern hängt und sich über den Arm windet, erfüllt einen dreifachen Zweck. Zuerst bewirkt sie, daß die ganze Figur sich in den Gränzen der Pyramide hält; alsdann füllt sie den leeren Winkel unter dem Arme aus, und verhindert dadurch die gerade Linie, welche der Arm in jener Bewegung mit dem Körper machen müßte; drittens bewirkt sie durch die angenehmen Wellenlinien des Faltenwurfs einen für das Auge lieblichen Ausdruck, und gefällt viertens durch die Vergrößerung der ganzen Composition.
Was Licht, Schatten und Farben betrifft, so sind die Farben entweder als Gegensätze zu einander hingestellt, als Haupt-Tinten (prime tints), oder dieselben wechseln stufenweise als zurückweichende Schatten (Retiring shades). Letzterer Name ist deßhalb gewählt, weil jene Schatten eben so wie convergirende Linien (Figur unter 47 1) die allmählige Zurückweichung der Gegenstände vom Auge angeben. Ohne diese Schatten würde eine horizontale Ebene als aufrecht stehend wie eine Mauer erscheinen; wenn ferner das Licht so angeordnet wäre, daß die allmählige Abstufung der Schatten nicht zum Vorschein käme, so werden gerundete Dinge als flach und umgekehrt erscheinen. Diese Eigenschaft des Schattens läßt sich zwar nicht in bestimmter Form erkennen, man wird aber die Verschiedenheit im Einzelnen an einem bestimmten Gegenstand, z. B., einer Kugel, sogleich erblicken. So zeigt auch der zurückweichende Schatten auf dem Fußboden B 2 von den Füßen des Hundes an bis zu denen der Tänzer, daß Letzterem hiedurch die Gestalt der Fläche ertheilt wird. Die Außenlinie einer Kugel ist ferner auf dem Papier ein bloßer Cirkel; wird jener Schatten, wenn auch nur durch Linien, angegeben, so kommt die volle Gestalt, Figur 90 B 2, zum Vorschein. Dasselbe ist bei Cylindern, Figur 84 B 2, bei den Höhlungen und Erhabenheiten, Figur 85 B 2, der Fall.
[958] Die zurückweichenden Schatten lassen sich in folgender Weise anbringen:
- 1, 2, 3, 4, 5.
- 5, 4, 3, 2, 1, 2, 3, 4, 5.
- 5, 4, 3, 2, 1, 2, 3, 4, 5, 4, 3, 2, 1, 2, 4, 4, 5.
In der ersten Art geht die Stufenfolge nur in einer Richtung in einander, aber diese eignet sich am wenigsten zur Zierrath, und entspricht der geraden Linie. Die zweite Art, welche in entgegengesetzter Richtung abwechselt, ist noch einmal so angenehm, und entspricht der gekrümmten Linie. Die dritte, welche doppelt in zwei entgegengesetzten Richtungen variirt wird, bringt durch die größere Abwechslung eine noch größere Schönheit hervor. Sie entspricht der Wellenlinie. Die vierte Art, welche der Schlangenlinie entspricht, läßt sich ohne bestimmte Form nicht vorstellen. Man denke sich das Horn, Figur 57 B 2 concav eingedrückt, so würde der Schatten schon angenehm werden, in Figur 58 würde er durch die Mannigfaltigkeit noch schöner, womit er sich in der Abwechslung der concaven und convexen Theile schlingen müßte.
Noch mehr wird dies durch die Darstellung jener Schatten an einem Menschengesichte deutlich werden, Figur 97 und 99 B 1. Die punktirte Linie, welche an der Nase beginnt, und sich von dort an der Ecke des Auges über die Wange hinabwindet, zeigt auf derselben den gewundenen Schatten, wie das Horn. Man mag ihn bei einem lebendigen Gesicht oder bei einer Marmorbüste ebenfalls beobachten. – Da das Gesicht größtentheils rund ist, so kann es auch das reflectirte Licht auf der schattigen Seite empfangen, wodurch noch eine neue Abstufung bewirkt wird, und wodurch man zugleich die Rundung der Wangen, die Senkungen und Erhöhungen einzelner Gesichtstheile andeutet, weil Höhlungen nicht wie convexe Formen den Reflex des Lichtes zulassen.
Indem das Auge einen von Gegenständen ausgefüllten Raum erblickt, und dieselben sondert, dient ihm Licht und Schatten als das hauptsächlichste Hilfsmittel. Beide werden somit die Grundtypen des Unterschieds, worin die Haupt-Tinten (Prime tints) zuerst in die Augen [959] fallen. Hierunter werden die fixierten Farben der Gegenstände verstanden (z. B. das Grün der Bäume), die einander entgegenstehen, und die verschiedenen Dinge von einander trennen, Figur 86 B 2. Die zurückweichenden Schatten setzen dieselben nur in Verbindung. Auch ist es nicht genügend, daß es Gegenstände von verschiedenen Farben und Schatten sind, um die Entfernungen dem Auge zu zeigen, wenn der eine nicht theilweise über dem anderen liegt. Figur 86. Wären Figur 90 B 2 zwei gleiche Kugeln, die eine weiß und die andere schwarz, auf verschiedene Mauern, die von gleicher Höhe sich hintereinander befinden, gelegt, so würde es scheinen, sie lägen nur auf einer, verbirgt aber ein Theil der einen Kugel einen Theil der andern, so vermuthen wir, daß beide sich auf verschiedenen Mauern befinden. Will der Maler dies bei irgend einem Gegenstande andeuten, so muß er also das letztere Verfahren beobachten.
Diejenigen Gegenstände, welche hauptsächlich in’s Auge fallen sollen, müssen in Licht und Schatten große und starke Gegensätze bilden, wie in Figur 89 B 2. Alles, was in größerer Entfernung aufgestellt werden soll, muß immer schwächer und schwächer werden, wie Figur 86, 92 und 93, die gleichsam eine Abstufung der Gegensätze bilden. Hiezu hat die Natur die Luftperspective hinzugefügt, d. h. jene Dazwischenschiebung der Luft, welche eine sanfte zurückweichende Tinte über die ganze Aussicht verbreitet. Das Extrem der letzteren ist ein aufsteigender Nebel. Durch den Sonnenschein hat die Natur noch eine größere Deutlichkeit und einen größeren Grad von Mannigfaltigkeit bewirkt. Breite Lichter und breite Schatten bieten dem Maler Gelegenheit, durch Anordnung derselben eine schöne Composition zu bilden.
Breite des Schattens läßt einen Gegensatz mehr in das Auge fallen. Deßhalb macht Figur 87 B 1 in der Malerei mehr Eindruck, als Figur 88 B 1, welches viele aber nur sehr enge Schatten in den Falten zeigt, mag auch die letztere Drapperie in der Skulptur angenehmer erscheinen. Durch die Zerstreuung der Lichter und der Schatten auf kleinen Räumen wird überhaupt das Auge verwirrt und die Seele unangenehm afficirt.
[960] Einfachheit der Composition in dem Colorit wird dadurch hervorgebracht, daß man dasselbe nach den verschiedenen Theilen einer solchen (Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund) abwechseln, in den einzelnen jedoch einen bestimmten Charakter statt finden läßt.
Werden diese Regeln umgekehrt oder vernachläßigt, so erscheint Licht und Schatten so unangenehm, wie in Figur 91 B 2. Wäre dies auch nur eine Composition von Licht und Schatten, welche gehörig angeordnet, wenn auch nicht an besondern Figuren vertheilt wäre, so hätte dasselbe den angenehmen Effect eines Gemäldes.
Unter Schönheit des Colorits wird die Anordnung der Farben an einem Gegenstande verstanden, so daß dieselben bestimmt variirt und kunstvoll vereinigt werden. An der Haupttinte des Fleisches läßt sich dies am besten erkennen, denn deren Composition begreift Alles, was über Colorit im Allgemeinen gesagt werden kann. Dies ließe sich an Figur 95 B 2 darstellen, mit den rosigten Tinten der Wangen, den bläulichen an der Schläfe u. s. w. Man denke sich hiebei die schwarzen Striche im Abdruck seien die weißen des Zellgewebes der Haut, so daß an den dichtesten Strichen und an dem schwärzesten Theile das Fleisch am weißesten sein würde; der lichtere Theil würde das Roth andeuten, welches in jeder Art abwechseln müßte. Alsdann wird man die Tinten erlangen, welche die Natur erschafft; um zu erkennen, wie man dasselbe durch die Kunst bewirkt, mache man den Versuch, eine Marmorbüste, Figur 96 B 2, zu coloriren.
Es gibt nur drei ursprüngliche Farben beim Malen, außer Weiß und Schwarz, nämlich Roth, Gelb und Blau. Grün und Purpur sind zusammengesetzt, ersteres aus Blau und Gelb, letzteres aus Roth und Blau; man kann jedoch diese Zusammensetzungen auch als ursprüngliche Tinten betrachten, weil sie von den anfänglichen Farben zu bestimmt verschieden sind. Figur 94 B 2 zeigt auf einer Malerpallette die Abstufungen dieser fünf Originalfarben, welche in sieben Classen eingetheilt sind (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7); 4 ist die mittlere und am meisten glänzende Classe, ein entschiedenes Roth, während 5, 6, 7 in das Weiße abweichen, und 1, 2, 3 in das Schwarze fallen würden, entweder durch Zwielicht, [961] oder durch eine mäßige Entfernung des Auges. Da nun das Weiße dem Licht am nächsten steht, so ist es an Werth Nr. 4 am meisten gleich, wo nicht sogar überlegen; deßhalb sind 5, 6, 7 der 4 an Schönheit beinahe gleich, weil sie den Verlust des Glänzenden und Dauernden durch das Weiße oder das Licht ersetzen. 3, 2 und 1 verlieren dagegen an Schönheit, je näher sie dem Schwarz, dem Repräsentanten des Dunkels, kommen.
Man kann jene Vier die Blüten-Tinten oder die jungfräulichen nennen; man bedenke ferner, daß die früher angegebenen Principien der Mannigfaltigkeit, Deutlichkeit, Windung, Quantität auch bei Farben anwendbar sind, und daß dieselben sich somit auch auf das erwähnte Colorit der Marmorbüste anbringen lassen, Figur 96 B 2, wobei man denken muß, daß jeder Tropfen einer Farbe auf dieselbe Weise in den weißen Stein hineinsinkt, wie die Schreibtinte in Löschpapier.
Will man den Hals der Büste in einer sehr blühenden, lebhaften Tinte färben, so muß man den Pinsel in 4 tunken; will man eine weniger blühende Färbung hervorbringen, so muß man 5 wählen; will man die schönste Färbung, so muß man von 6 an beginnen, bis der Marmor gar nicht mehr gefärbt ist. Man nehme deßhalb 6, beginne in Roth bei r, in Gelb bei y, im Blauen bei b, und im Purpur bei p. Sind diese vier Tinten aufgetragen, so fahre man fort, den ganzen Hals und die Brust zu bedecken, wechsle jedoch die Lagen der Tinten untereinander, und lasse ihre Größen und Formen so viel wie möglich von einander verschieden sein. Das Roth muß am häufigsten wiederholt werden, alsdann das Gelbe, alsdann der Purpur, am wenigsten das Blau, mit Ausnahme einzelner Theile, wie der Schläfen und der Handrücken, wo die größeren Venen ihre Verzweigungen zeigen.
Jetzt denke man sich dies ganze Verfahren mit den genannten Tinten ausgeführt in Roth, Gelb, Blau, Grün, Purpur, unter einander, so wird die allgemeine Farbe eine gleichmäßige Haupttinte (Prime tint) zu sein scheinen. Dies würde sogar in einer nur geringen Entfernung der Fall sein, und das Colorit würde so eine sehr schöne Hautfarbe, ohne die [962] Einförmigkeit des Schnees, Elfenbeins, Wachses zu offenbaren, womit Dichter ihre Geliebten preisen, die aber in Wirklichkeit bei dem lebendigen Fleisch eher häßlich als schön sein müßte.
Wie der stufenweise Uebergang einer Farbe in die andere durch die gelbliche Farbe der Oberhaut zarter, gemildert und vereint scheint, so sollen auch die Farben, von denen wir vorausgesetzt haben, daß sie auf den Marmor gelegt werden, durch das Oel, worin man sie gerieben hat, sanfter werden. Das Oel erhält nämlich nach einiger Zeit eine gelbliche Tinte. In Wahrheit bringt dieser Umstand jedoch mehr Schaden, als Nutzen, weßhalb man sich auch das hellste Oel stets erwählen muß. Diese Gelegenheit benutzt Hogarth, um sich gegen die Meinung auszusprechen, durch Alter werde das Colorit besser, ein Vorurtheil, welches er in dem schon erklärten Blatte: die Zeit beräuchert ein Gemälde, in seiner Weise verspottete. Nachträglich mögen die Worte Hogarth’s zur ferneren Erläuterung jenes Blattes hier angeführt werden. Er sagt: „Ungeachtet der tief gewurzelten Meinung, welche sogar die meisten Maler hegen, die Zeit sei ein Verbesserer guter Bilder, will ich es unternehmen darzuthun, daß keine Behauptung absurder ist. Nachdem ich schon den ganzen Effekt des Oels dargethan habe, will ich untersuchen, in welcher Art die Zeit mit den Farben selbst umgeht, um vielleicht die Entdeckung zu machen, ob irgend eine Veränderung derselben einem Gemälde mehr Einheit und Harmonie ertheilen kann, als ein geschickter Meister dies vermöchte. Wenn Farben sich ändern, so muß die eine dunkler, die andere heller, die andere in der Tinte durchaus verschieden werden; man weiß dies aus Erfahrung bei allen, die sämmtlich veränderlich sind, mit Ausnahme des Ultramarins. Da ein Bild aus verschiedenen Farben zusammengesetzt ist, so können diese durch Zufall unmöglich mit der Absicht des Künstlers zusammentreffen und eine größere Harmonie des Stückes bewirken, denn dies ist offenbar gegen ihre Natur. Auch sehen wir in den meisten Sammlungen, daß die Zeit die feineren Farbentöne entfernt, die Harmonie aufhebt und das Ganze schwärzt. Wenn aber auch die Farben gleichmäßig sich veränderten, was nicht der Fall ist, so müßte ein Bild dadurch nur schlechter werden. Man denke sich eine [963] gemalte Blume. Auch die größte Kunst und die besten Farben erreichen nie den Glanz und die Frische der Natur; sollen wir sie bewundern, wenn sie noch schwärzer, schmutziger und niedriger durch die Zeit geworden ist? Anstatt des Weichen und Sanften erscheint ein gelbliches und schmutziges Roth. Soll an Landschaften das Wasser durchsichtiger, der Sonnenschein durch räucheriges Dunkel heller werden? Diese Thorheit hat sogar Maler verleitet, in ihrem ursprünglichen Colorit die Tinten alter Gemälde nachzuahmen u. s. w.“
Die Schönheit des Colorits wird somit durch Mannigfaltigkeit bewirkt, sowie durch eine passende Vereinigung derselben. Die seltene Erkenntniß der Verschmelzung des Colorits, welche die Natur bietet, hat aus dem Colorit eine Art Geheimniß gemacht; kaum sind zwölf Maler hierin sehr glücklich gewesen. Correggio, der in einem Dorfe lebte, und nur nach der Natur studiren konnte, steht beinahe durch seinen Vorzug in diesem Punkte ganz allein; Guido, Poussin sind im Colorit unbedeutend; Rubens behandelte meisterhaft die Blütentinten, doch alle seine Werke sind auf größere Stücke und auf größere Entfernung der Beschauer berechnet, so daß die feineren Uebergänge wegfallen. Die Hauptschwierigkeit scheint darin zu liegen, daß man die dritte Originalfarbe, das Blau, im Fleische anbringt. Wer dies versteht, wird in dem Colorit stets als Meister auftreten[3].
Will man eine Gesichtsform auf schöne Weise componiren, so muß man die früher angegebene Theorie der Linien auf’s Neue berücksichtigen. Um die Schlangenlinien im Gesichte an einem Beispiele zu zeigen, hat Hogarth zuerst zwei Köpfe von anerkannter Schönheit der Form gewählt, Figur 97 B 1 und Figur 98 B 1. Der eine ist der Kopf einer Antike, und wird hinsichtlich des Kunstwerthes für ein Werk ersten Ranges gehalten; deßhalb hat ihn auch Raphael von Urbino und andere große Maler und Bildhauer in Darstellung ihrer Gestalten nachgeahmt; der zweite war ein Modell in Lehm von Fiamingo, zum Gebrauch für [964] Andrea Sacchi gebildet, welcher nach diesem Modell alle seine Köpfe in dem berühmten Bilde, der Traum S. Romoaldo’s, malte, welches für eines der besten Gemälde in der Welt gehalten wird. Man lege nur einen Draht an Kopf 97 in der angegebenen punktirten Linie, und man wird nichts als Schlangenwindungen erhalten. Bart und Haar sind Theile, welche von der Natur in unbestimmten Linien gebildet wurden, und welche deßhalb um so mehr dem Gutdünken des Künstlers überlassen bleiben. In Figur 98 wird man an diesen Theilen ein Spiel mit Schlangenlinien bemerken, welche sich schlangenartig ineinander winden. Man vergleiche, um den Gegensatz der geraden Linie am Barte zu erkennen, den Kopf, Figur 106 B 1.
Noch deutlicher wird die Theorie durch die Darstellung des Gegentheils in verschiedenen Graden. Figur 99 ist der erste Grad der Abweichung von Figur 97; die Linien sind gerader, und in dem Umfang vermindert; in Figur 100 ist dies noch mehr der Fall; dann Figur 101, 102, 103, 104 entbehrt[WS 1] aller Eleganz, und ist nur ein Perrückenkopf; Figur 105 besteht nur aus geraden Linien, welche Kinder anzuwenden pflegen, wenn sie ein Gesicht zeichnen wollen.
Was die Darstellung des Charakters im Gesicht betrifft, so ist die Meinung bei uns eingewurzelt, daß die Züge den Charakter andeuten, und dies ist auch theilweise wahr. Dummheit oder Albernheit wird man auch stets darin entdecken können, allein der Heuchler kann seine Gesichtsmuskeln so sehr in der Gewalt haben, daß seine Züge das Böse seiner Seele durchaus verheimlichen. Es ist deßhalb auch für Künstler rein unmöglich, einen solchen Charakter darzustellen, wenn sie denselben nicht durch andere Nebenumstände andeuten. Figur 98 ist ein Heiliger, der Kopf könnte ebenso gut einem Heuchler ertheilt werden. Zugleich aber erklärt Hogarth, er habe zur Genüge beobachtet, daß die verschiedensten Ursachen dieselben Bewegungen der Gesichtsmuskeln bewirken, und somit bleibe der alte Ausdruck: fronti nulla fides, im Ganzen wahr, wie sehr auch Künstler, wie er selbst, Leidenschaften und Charaktere mit Wahrheit darzustellen vermöchten. – Einzelne Züge vermöchten übrigens stets die eine oder andere Leidenschaft mit Deutlichkeit auszudrücken; das kleine chinesische [965] Auge eigne sich für den Ausdruck der Liebe und des Lachens, ein großes und breites Auge für den des Trotzes und des Staunens; rund sich hebende Muskeln offenbaren einen Grad der Heiterkeit sogar im Kummer; die Muskeln überhaupt können den Charakter in so weit andeuten, daß sie durch häufige Zusammenziehung oder Erweiterung bei einem vorherrschenden Affecte, wenn kein Zwang statt gefunden hat, gegen die Zeit des vierzigsten Jahres eine bestimmte Form annehmen, welche den Charakter auf den ersten Blick offenbaren kann.
Die Alten besonders haben in Anwendung der Linien bei hohen und niederen Charakteren eine außerordentliche Kunst offenbart; bei Letzteren haben sie die Schönheitslinie nur in so weit verändert, wie der Charakter oder die Handlung es in einzelnen Theilen erforderten. Ein tanzender Faun ist hinsichtlich der Linien eben so sorgfältig durchgeführt, wie ein Apoll. Man kann dies erkennen, wenn man den Körper des Silens, Figur 107 B 1, betrachtet; Wellenlinien fehlen dort eben so wenig, wie die Linie Figur 49 B 1, Nr. 7, welche Letztere in dem geschwollenen Gesichte und in andern Körpertheilen den Charakter des thierischen Schlemmers hervorbringt.
Auch in der Natur wird man bemerken, daß die Wellenlinie bei jeder Körperform bewirkt werden kann, wie sehr dieselbe auch mit andern abwechselt. Gerade Linien, welche mehr den unbelebten Körpern als eigenthümlich angehören, ertheilen einem Gesicht den Ausdruck des Lächerlichen und der Dummheit.
Besonderer Ausdruck des Gesichts mit Bewegung der Muskeln, welcher dem Einen zur Zierde gereicht, kann bei einem Andern unangenehm werden, je nachdem ein solcher Ausdruck mit den Linien der Schönheit oder mit dem Gegentheile zusammenfällt. Die Linien, welche ein angenehmes Lächeln an den Mundwinkeln bilden, wie in Figur 108 B 2, verlieren ihre Schönheit im vollen Lachen, Figur 109 B 2, da Letzteres dem Gesicht ein dummes und unangenehmes Aussehn ertheilt, indem es regelmäßige gerade Linien am Munde bildet, die einer Parenthese gleichen, und ebenfalls beim Weinen zum Vorschein kommen. (Vergleiche den Engelskopf unter Figur 16 B 2.) Ueberhaupt fällt der [966] letztere Ausdruck mit dem des Lachens oft zusammen, wie man bei Bettlern sehen kann, die absichtslos am Munde oft ein wohlgefälliges Lächeln zeigen, während die anderen Züge darauf berechnet sind, Mitleid zu erwecken.
Es ist sonderbar, daß die Natur uns mannigfaltige Formen verliehen hat, um die Mängel der Seele anzudeuten, während kein Zug die Vollkommenheiten derselben anzuzeigen vermag, die über den gesunden Menschenverstand und Gefälligkeit hinausgehen. Auch sind Ernst und feierliche Blicke nicht immer die Zeichen der Weisheit; ein Mensch, der sich nur mit Kleinigkeiten abgibt, kann eben so viel Scharfsinn und Würde im Gesicht zeigen, als ein anderer, der mit Angelegenheiten der höchsten Wichtigkeit beschäftigt ist. Die Aufmerksamkeit des Seiltänzers auf den Balancirpunkt wird seinem Gesichte einen ähnlichen Ausdruck verleihen, wie das Nachsinnen über algebraische Rechnungen dem Mathematiker. So ist es auch den antiken Bildhauern nie gelungen, im Gesichte etwas Uebermenschliches darzustellen. Wie erwähnt, liegt das Göttliche in Figur 12 B 2 in ganz anderen Verhältnissen.
Hinsichtlich der Gesichtslinien ist noch zu bemerken, in welcher Art sich dieselben von der Kindheit an verändern. Hiebei ist besondere auf Einfachheit Rücksicht zu nehmen, da nach diesem Grundsatze die Form der Linien wechselt.
Von Kindheit an ändert sich das Gesicht mit seinem Inhalt, bis es eine gewisse Mittelstufe erreicht, Figur 113 B 2, von welcher herab die Mannigfaltigkeit der Linien wiederum abnimmt, und sich in Gleichförmigkeit zuletzt verwandelt, so daß alle Theile des Gesichts sich mit Cirkeln umschreiben lassen, wie man Figur 116 B 2 bemerken kann. – Es gibt jedoch ein Merkmal, welches vielleicht bis jetzt (bis auf Hogarth) niemals berücksichtigt worden ist, wodurch man ein Alter von dem andern, außer den Zügen im Allgemeinen, hauptsächlich unterscheiden kann. Das Auge behält nämlich stets seine Größe, d. h. die Pupille mit der Iris, so daß wir dasselbe als ein feststehendes Maas betrachten können, um das Wachsen der andern Gesichtstheile im Verhältniß des Alters zu bestimmen. Jenen Theil des Auges wird man bei Kindern und Erwachsenen [967] von denselben Umfange bemerken. Man vergleiche nur Figur 110 B 2 und Figur 114 B 2 oder Figur 115 B 1. Letzteres stellt drei Augäpfel dar, von denen der kleinste nach dem Gesicht eines 105jährigen Greises, der dickste nach dem eines 20jährigen jungen Mannes und der dritte nach dem eines Kindes copirt ist. Eben weil das Auge unverändert bleibt, fallen die Veränderungen des Alters bei den Augenwinkeln und überhaupt bei den umliegenden Gesichtstheilen um so mehr in die Augen, so daß dadurch um so mehr ein Merkmal der Unterscheidung bewirkt wird.
In der Darstellung der übrigen Alter mag man die allmählige Abänderung der Gesichtslinien in Figur 110 bis 118 B 2 erkennen. Im Alter von zwanzig bis dreißig kommt nur eine geringe Veränderung zum Vorschein, sowohl in den Farben, wie in den Linien. Obgleich die Blütentinten ein wenig verschwinden mögen, so erlangen die Züge dagegen eine Art von Festigkeit und den Ausdruck der Klugheit, welcher den Verlust wieder ausgleicht. Nach dieser Zeit bemerken wir, daß die angenehme Einfachheit der runderen Gesichtstheile in zackige Formen mit plötzlichen Windungen übergeht, welche durch die wiederholte Bewegung und durch die Theilung der weiteren Theile bewirkt worden sind, wodurch die weiten Windungen der Schlangenlinie verschwinden. Auch die Schattirungen der Schönheit verlieren von ihrer Milde. Dies ist Figur 117 und 118 B 2 dargestellt, welche das Alter von dreißig und fünfzig bedeuten. Die ferneren Veränderungen nach dieser Zeit sind zu sehr in die Augen fallend, so daß sie keiner Beschreibung bedürfen; die Züge, welche einst schön waren, behalten jedoch selbst im höchsten Alter noch eine gewisse gewundene Richtung.
Diejenigen Anordnungen des Körpers und der Glieder, die in der Ruhe graziös erscheinen, haben zur Grundlage gewundene und von der Schlangenlinie größern Theils abhängige Contraste; bei Attituden, welche Stolz und Würde andeuten, sind dieselben mehr als gewöhnlich ausgedehnt und ausgebreitet, Figur 12 B 1; bei denen der Grazie und Gemächlichkeit sind sie im Umfang ein wenig vermindert, Figur 6 B 1; in Stellungen, welche Stolz und Unverschämtheit, so wie auch körperlichen [968] Schmerz bezeichnen sollen, sind sie in parallele Linien zusammengezogen, Figur 9 B 1. In letzterem Fall kann man die Handlung mit wenigen Linien oft bezeichnen, z. B. St. Andreas am Kreuz ließe sich hinsichtlich seiner Stellung mit einem X angegeben.
Dasselbe wird man auch auf dem englischen Tanz des zweiten Blattes bemerken, wo verschiedene groteske Gruppen von Tanzenden dargestellt sind. Die Linien, welche durch die verschiedenen Figuren gezogen werden können, sind der Reihe nach in Figur 71 B 2 verzeichnet.
Im Vordergrunde tanzt ein schönes Paar, durch deren Gestalten man die Wellenlinie ziehen kann. Der Mann soll ein Porträt des Prinzen Friedrich von Wales sein, und eine männliche Schönheit Hogarth’s vorstellen. Horace Walpole bricht jedoch über dieselbe den Stab, und definirt sie allein als einen Stutzer von Bath.
Die zwei Kreislinien in Figur 71 sind für die Figuren des alten Weibes und ihres Tänzers am fernsten Ende des Zimmers bestimmt. Die Kreislinie mit den zwei geraden Linien im rechten Winkel bezeichnet des fetten Mannes ausgestreckte Gestalt. Alsdann (sagt Hogarth) beschloß ich eine Figur in den Gränzen des Cirkels zu halten, welcher den obern Theil der fetten Frau zwischen dem fetten Manne und dem Tölpischen in der Beutelperrücke hervorbringt, für welchen letztern ich eine Art X gemacht habe. Die gezierte Dame, seine Tänzerin, im Reitkleide, hält die Ellenbogen in solcher Art, daß sie ein erträgliches D mit der geraden Linie darunter hervorbringt, welche die Steifheit ihres Kleides bezeichnen mag. Ein Z steht dort für die winklige Stellung, die der Leib und die Schenkel des affektirten Herrn in der Knotenperrücke hervorbringt. Der obere Theil des plumpen Tänzers ist in einem O eingeschlossen, und dies verwandelt sich in ein P, um die geraden Linien hinten anzudeuten. Das einförmige Carreau-Aß ist durch den Flug der Rockzipfel an der kleinen Capriolen schneidenden Figur mit der Spencerperrücke vorgestellt, während ein Doppel-L dazu dient, die parallele Haltung der Hände und Arme bei seiner tappenden Tänzerin nachzuweisen. Die zwei Wellenlinien sind gezogen, um die [969] zierlichere Bewegung des Paares am andern Ende des Blattes anzugeben.
Auch das Zimmer ist mit Statuen und Gemälden ausgeschmückt, welche zur ferneren Erläuterung dienen mögen. Heinrich VIII., Fig. 72, bildet ein vollkommenes X mit Beinen und Armen; die Stellung Carl’s I., Figur 51, besteht aus weniger mannigfachen Linien, wie die Statue Eduard’s VI., Figur 73, und die Medaille über dessen Haupte zeigt dieselbe Richtung der Linien; diejenige aber der Königin Elisabeth (über dem tanzenden X) bietet eben so, wie deren Figur das Gegentheil dar; ebenfalls die beiden hölzernen Figuren am Ende. Ferner ist die comische Stellung des Erstaunens, welche durch die Richtung einer einfachen Kreislinie angegeben wird (die punktirte Linie an dem Bilde Sancho’s, als Don Quixote den Puppenkasten zertrümmert, Fig. 75), ein guter Contrast zu dem Effekt der Wellenlinie in der schönen Haltung der Samariterin, (Fig. 74), welche aus einem der schönsten Bilder des Annibale Caracci hergenommen ist.
Uebrigens ist die Darstellung des elegantesten Tanzes immer ein wenig lächerlich, weil sie eine Attitude in einer unterbrochenen Handlung wiedergibt; dasselbe wäre der Fall, wenn man eine tanzende Gruppe mit dem einen Beine in der Luft plötzlich wie in einem Gemälde fixiren könnte, wodurch der Tanz selbst, dessen Reiz in der Bewegung beruht, plötzlich aufgehalten würde.
Hogarth hat noch Einiges hinzugefügt, was er selbst nicht erklärt. Auf der Gallerie bemerkt man zwei Musikanten, deren Gesichter durch die Ausübung ihrer Kunst grotesk werden. Man mag sich die Figuren in 71 heraussuchen, die für ihre Züge passen. Unter der Bildsäule Heinrich’s VIII. steht ein Mann mit einer Frau und weist auf den König. Die Frau wendet sich verschämt hinweg, und läßt also den Gegenstand errathen, von welchem der Mann sich mit ihr unterhält. Im Vordergrunde der entgegengesetzten Ecke läßt sich ein müder Tänzer von seinem Kammerdiener die Kammaschen zuknöpfen. Er zeigt seiner Frau die Uhr, welche auf Mitternacht weist, und will also mit ihr nach Hause; die Dame scheint dies ungern zu bemerken, und steckt ihrem [970] hinter ihr stehenden Liebhaber ein Briefchen in die Hand. – Ein Hund ist durch die Tänzer aufgescheucht, und springt bellend auf die Gruppen derselben zu. Er ist schöner, als jene Paare, denn sein Körper zeigt eine vollkommene Wellenlinie. – Auf dem Boden liegt ein Kissen, darauf und daneben eine Anzahl Hüte. Das seidene Kissen war in damaligen Zeiten ein nothwendiges Zubehör eines Balles, wegen des sogenannten Kissentanzes (cushion dance), einer Art von Cotillon. Was die Hüte betrifft, so gehören dieselben natürlich den Tänzern. Hogarth soll geäußert haben: ein scharfsichtiger Beschauer des Blattes werde im Stande sein, einer jeden Figur den ihr gehörigen Hut herauszulesen. Wie es scheint, war jedoch nur die Aeußerung ein Scherz. – Endlich ist noch ein Bild von Van Dyk an der Wand zu bemerken, Figur 72. Es ist ein Porträt, und wird von Hogarth wegen des Mangels der Wellen- und Schlangenlinie sehr getadelt. Hogarth sagt in der Vorrede über diesen Meister: „Sonderbar ist es, daß Van Dyk, einer der besten Porträtmaler, in mancher Hinsicht durchaus keine Ahnung von der Schönheitslinie gehabt zu haben scheint. Die Grazie, die bei ihm zum Vorschein kommt, ist nichts weiteres, als diejenige, welche ihm das Leben darbot. Es gibt ein Gemälde der Herzogin von Warton, welches von seiner Hand herrührt, Fig. 52 B 2, und aller Eleganz entbehrt. Hätte er den Grundsatz gekannt, so würde er alle Theile des Bildes nicht so durchaus ihm entgegen gemalt haben.
Die früher gemachten Bemerkungen über Vertheilung des Lichtes und der Schatten wird man in diesem Blatte ausgeführt erkennen.
Den Schluß von Hogarth’s Analyse der Schönheit bilden Bemerkungen über die Anwendung der oben angeführten Grundsätze auf Bewegung oder Handlung (action), die freilich mitunter sonderbar lauten, allein schon der Vollständigkeit wegen hier anzuführen sind, wenn man auch die Worte einer mit Hogarth gleichzeitigen Bewundererin dieses Künstlers nicht gelten lassen will: Hogarth’s Schrift werde nicht allein Malern und Bildhauern, sondern auch Erziehern, Schauspielern und Tänzern von Nutzen sein.
Zu der Mannigfaltigkeit der Formen und Außenlinien überhaupt [971] kommt noch die der Bewegung (action) hinzu, welche den Werth der Compositionen noch bei Weitem erhöht. Man wird dieselben Grundsätze, die in den früheren Abschnitten nachgewiesen wurden, auch hierauf anwenden können, ob man gleich die Grazie und Schönheit derselben nicht in einzelnen Regeln, wie bei der Grammatik, erlernen kann, sondern sich dieselben durch Nachahmung und Angewöhnung größtentheils aneignen muß, wobei eine Sicherheit und ein Selbstvertrauen des Geistes erfordert wird, wenn die Bewegung sich als zierlich und graziös erweisen soll.
Es ist bekannt, daß Körper in Bewegung stets eine Linie in der Luft beschreiben, z. B. der schnell umgedrehte Feuerbrand bildet für jedes Auge einen Cirkel, der Wasserfall eine Curve, das Schiff auf den Wogen eine Wellenlinie u. s. w. So auch der organische Körper, wenn er sich ganz oder nur an einem Gliede bewegt. Man betrachte z. B. ein freies und schönes Pferd, welches sich ohne Reiter bewegt, und man wird eine lange Wellenlinie in der Art, wie es die Luft durchschneidet, bemerken, ebenso wie die Schlangenlinie in seiner Mähne und an seinem Schweife. Auch bei dem menschlichen Körper wird dies um so mehr in die Augen fallen, wenn man dessen Bewegungen mit den geradlinigen der Puppen vergleicht, Figur zwischen 122 und 123 B 2, welche dadurch lächerlich werden, daß sie mit den Formen des menschlichen Körpers unverträglich sind. Selbst die am meisten grotesken Gestalten unter den Tanzenden auf B 2 kommen denselben noch lange nicht gleich. Die Schlangenlinien werden jedoch nur gelegentlich angewandt; sie gereichen ausschließlich zur Zierde, und alle Geschäfte des Lebens können ohne sie ausgeführt werden; bei ihnen ist die Gewöhnung hauptsächlich erforderlich. Um diese zu erlangen, wird von Hogarth eine Methode vorgeschlagen, die er selbst eine sonderbare nennt.
Sobald Jemand die Linie, Figur 119 B 2, auf einer Fläche zieht, wird er Hand und Arm in schöner Richtung bewegen; eine noch schönere Richtung werden beide annehmen, wenn man die punktirte Linie auf Figur 120 B 2, also auf einem Gewölbesimse, zieht; durch letztere Bewegung würde Adel zur Grazie hinzugefügt werden. Hat man dergleichen [972] Bewegung oft wiederholt, so wird man sich einen Anstand angewöhnen, der in allen Handlungen des Körpers zum Vorschein kommen wird. Der angenehme Effekt dieser Bewegung läßt sich erkennen, wenn man einer Dame einen Fächer oder eine Tabacksdose reicht. Doch muß man darauf achten, daß die Bewegung mit Figur 49 3 B 1 übereinstimmt und nicht mit Nr. 7. Letzteres Uebermaß würde affectirt und lächerlich werden.
Was die Haltung des Hauptes betrifft, so ist die gerade Linie bei derselben eben so unangenehm, wie bei andern Gliedern. Kinder pflegen aus Blödigkeit den Kopf auf die Brust zu senken. Aeltern und Lehrer befolgen eine unpassende Methode, indem sie ihnen befehlen, den Kopf gerade oder vielmehr steif zu halten. Noch schlimmer ist es, jene Haltung durch Corsette mit Stahlfedern entfernen zu wollen. Hogarth bringt bei dieser Gelegenheit eine Methode in Vorschlag, die eben so sonderbar lautet, wie die so eben angeführte. Er meint: Um sowohl die Senkung des Kopfes auf die Brust, wie die steife Haltung, zu verhindern, solle man durch Angewöhnung eine zierliche Haltung hervorbringen, indem man nach Figur 121 B 2 ein Band an eine Haarflechte und an das Kleid am Halse befestige; dieses müsse eine solche Länge haben, daß die Neigung des Kopfes auf die Brust hin verhindert werde, daß sich jedoch der Kopf frei bewegen könne. Alsdann würden die Wellenlinien durch den Antrieb der Natur beobachtet und angewöhnt werden.
Die aufrechte Haltung des Kopfes auf die Dauer ist steif; die wahre Eleganz besteht in der leichten Bewegung desselben von einer Seite zur andern. So wird auch im Verbeugen Zierlichkeit gezeigt, wenn man in der Form der Wellenlinie den Kopf senkt und wieder erhebt. Die gerade Verbeugung ist tölpelhaft.
Was den Tanz betrifft, so läßt sich das Menuett als den Gipfelpunkt der Kunst hinstellen, denn kein anderer Tanz zeigt solche Mannigfaltigkeit der Composition hinsichtlich der Schlangenlinie sowohl in der Windung, als auch in der Bewegung. Die gewöhnliche wellenförmige Bewegung des Körpers wird durch den Menuettschritt in eine größere [973] Mannigfaltigkeit verwandelt, weil der Körper allmählig sich über seine gewöhnliche Höhe erhebt, und alsdann darunter hinabsinkt. Auch die Figur des Menuettschritts besteht aus Wellenlinien auf dem Fußboden, Figur 120 B 2.
Andere Tänze unterhalten nur wegen der Mannigfaltigkeit der Schlingungen; je weniger sie die Wellenlinie zeigen, desto weniger Grazie ist ihnen eigen; sie machen alsdann den Eindruck des Comischen. Man betrachte den Ballettanz der Italiener und Franzosen. Harlekin’s Attituden bestehen in schnellen Bewegungen des Kopfes, der Hände und Füße, oft in geraden Linien oder in Cirkelform. Scaramuz in dem Charakter des absurden Ernstes macht Bewegungen und unnatürlich lange Linien. Pierrot’s Bewegungen und Attituden sind hauptsächlich in perpendiculären und parallelen Linien, eben so Figur und Kleidung. Pulicinello wird drollig, weil er das Gegentheil aller Eleganz darbietet; das Schöne der Mannigfaltigkeit ist gänzlich von diesem Charakter ausgeschlossen; seine Glieder senken und heben sich, als wären seine Gelenke nur die Angeln einer Thüre. Derselbe Fall ist bei dem sogenannten Tanz mit hölzernen Schuhen zu beobachten, wo die Figuren sich marionettenartig bewegen.
Der englische Nationaltanz (country dance) wird durch die Verschlingungen der Wellenlinien angenehm, indem die einzelnen Touren einem S gleichen, und sich in einander winden. Verzeichnete man dieselben auf dem Fußboden, so würde Figur 123 B 2 herauskommen.
Auch der Schauspieler wird die Theorie der Linien für seine Kunst benutzen können, die Mannigfaltigkeit der Wellenlinie bei Einfachheit in seinen Bewegungen, so bald er in ernsten Rollen auftritt, in Lustspielen jene comischen Formen, welche, als durch gerade Linien und Curven bewirkt, bereits bei verschiedenen Gelegenheiten angeführt wurden.
- ↑ Der Erklärer glaubt, bemerken zu müssen, daß er die Ideen Hogarth’s ausschließlich bei diesem Commentare wiedergibt, ohne sich in Critiken genauer einzulassen.
- ↑ Bisher hat der Erklärer die Angabe des Blattes unterlassen, weil die Figuren, worauf er sich beruft, nur auf dem ersten sich befanden. Da die Erklärung des zweiten Blattes von nun an beginnt, und die Figuren auf dem ersten und zweiten Blatte zur Erläuterung des Textes benutzt werden, wird die Angabe derselben hinzugefügt durch B 1 und B 2.
- ↑ Man muß hiebei bedenken, daß Wagen in dem schon oft angeführten Werke das Colorit der Bilder von Hogarth rühmt.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: entbehet