Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)/Drittes Gebot II
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Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern dasselbige heilig halten, gerne hören und lernen.
Ich aber will in dein Haus gehen auf deine große Güte, und anbeten gegen deinem heiligen Tempel in deiner Furcht. Ps. 5, 8.
Wer nicht von jedem Sonntag höher auf die Warte, von der aus man in die Heimat sieht, gestellt wird, der muß, weil es hier kein neutrales Gebiet gibt, durch den Sonntag immer tiefer von Gott gelöst und immer weiter von seinem Worte gebracht werden. Ja, wie soll ich dann den Sonn- oder Feiertag heiligen? Ich höre dich rufen: behüte uns doch Gott vor dem „englischen Sonntag!“ Und ich antworte dir: aber noch weit mehr behüte uns Gott vor dem „ägyptischen Sonntag“! Der englische Sonntag, der etwas äußerlich Enges, Gesetzmäßiges hat, der Tag, an dem kein Vergnügungszug geht, kein Theater geöffnet ist, keine Konzerthalle die Menge von Besuchern in sich schließt, der Tag, an dem auch Hausmusik verboten ist und an dem der ernste Engländer früh zur Kirche geht, nachmittags wieder zur Kirche geht und abends noch der Vesper beiwohnt, – der Sonntag mag uns Lutheranern etwas Fremdartiges sein. Aber noch viel ärger ist der ägyptische Sonntag, über dessen Toren das Wort steht: Und Gott sprach zum Volke und das Volk hörte ihn nicht vor lauter Arbeit! Darum: wie sollen wir den Sonntag heiligen? Und ich gebe dir als erste Antwort, in der alles enthalten ist: heilige ihn familienhaft!
Das gilt nun zunächst denen der Anwesenden, die| Gott in das Glück und in den Ernst einer Familie geführt hat. Wenn der Vater die Woche über in Amt und Beruf festgehalten war, soll er sich am Sonntag antun und seinen Kindern leben und ihnen sein Herz zeigen mit den Gebeten der Woche und mit der Arbeit für das Wohl seines Hauses; die Kinder sollen das entwölkte und sorglose Antlitz des Vaters sehen, sollen sehen, wie er von Grund der Seele aufjauchzt, daß er heute ganz dem Sonntag gehören darf. Und wenn die Mutter frühzeitig ihre Kinder an den Sonntag und den Sonntagsgottesdienst gewöhnt, so ist das ein großes Ding.Und wenn am Sonntag der Geistliche am Altare betet und noch lieber die ganze Gemeinde singt: Wir loben Dich, wir benedeien Dich, wir beten Dich an! dann ist es, als ob eine unsichtbare Gemeinschaft herrsche zwischen uns armen Pilgern hier im Staube und der hl. Gemeinde derer, die ihre Kleider im Blute des Lammes gewaschen haben und nun rein und ohne Sünde und Sorge vor dem Throne ihres Erbarmers stehen. Dann hebt die Seele sich heimatwärts und himmelwärts: Wirf ab, Herz, was dich kränket!
Es ist diese Gemeinschaft ein Gottesdienst im oberen Heiligtum, den der Apostel Paulus Römer 12 einen „vernünftigen“ Gottesdienst nennt.
Und nun meine Lieben, die ihr vielleicht so gerne an der Liturgie vorübergeht und es so einzurichten wißt, daß ihr über die Kirchenschwelle tretet, wenn der Geistliche eben die Kanzel besteigt, hört, um welche Gnade und welchen Reichtum ihr euch selbst dadurch bringt! Um den großen Reichtum gemeinsamer Anbetung. So wenig unsere Kirche gewillt ist, einen Gottesdienst zu feiern, in dem sie die Gebende, Gott der Empfangende ist – wie die katholische Kirche es hält, in welcher das Opfer, das der Priester bringt, den Höhepunkt des Gottesdienstes bedeutet, wo Gott dann das Meßopfer freundlich entgegennimmt – so wenig ist unsere Kirche dem reformierten und kalvinistischen Gottesdienste hold, in dem die Gemeinde lediglich die Empfangende, harrend Aufnehmende ist, ohne zugleich die Gebende, Spendende zu sein. Unsere Kirche, die liebe und geliebte Kirche der rechten Mitte, ist gebend und empfangend;| sie gibt und nimmt, sie empfängt und schenkt, sie erhält und bedankt. Sie bedankt aber hauptsächlich in der Liturgie. Geht es dir nicht durch die Seele, wenn die Gemeinde mit dem Geistlichen betet: Er lasse uns sein Antlitz leuchten, daß wir auf Erden erkennen seine Wege! Das Größte, um was wir ihn bitten können, daß Er uns nicht dunkle Wege führe, sondern daß Er uns lichte, gnadenvolle, von Verheißung und Erbarmen gekrönte Wege führen möge? Ist es dir nicht ein Bedürfnis zu singen: Es segne uns Gott, unser Gott? Und wenn dann das Gloria patri erschallt: Ehre sei Gott dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geiste – und darüber die Zeit und ihre Sünde ins Meer versinkt, dann treten all die kleinen Sorgen vor der großen zurück: „Wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ O, daß auch mein Leben ein Gloria sein möchte, eine Ehrung des dreieinigen Gottes, und auch mein Dienst ein willkommenes Opfer sei! Und wenn wir uns dann demütigen vor dem Gott unserer Väter mit der Sünde der Woche, mit dem Elende des Lebens, mit Vergehung und Unterlassung, mit Untat und Untreue und nun einmütig beten: Herr erbarme Dich, Christe erbarme Dich! – und das gnadenreiche Wort hören: „Der allmächtige und barmherzige Gott hat sich unser erbarmt“ – sind das Formeln? Sind das leere Worte? Ist es nicht vielmehr der selige Familienton aus dem Vaterhaus und Vaterherzen zu uns gedrungen in das Land der Ferne und Fremde, der uns aller Sorge entledigt und uns der seligen Vergebung trostreich und glaubhaft versichert?Die Predigt nun ist der Mittelpunkt des lutherischen Gottesdienstes; auch in ihr preist die Gemeinde Gott, sie gibt und nimmt: ihm den Dank, sich die Kraft; bei ihrer Anhörung und in ihr erquickt sie sich, wie der Apostel schreibt.
Liebe Christen! Heutzutage wird die Predigt meist nach sehr äußerlichen Kennzeichen beurteilt: ob sie geistreich ist, ob sie viele Zitate bringt, ob sie den Leuten gefällt und vor allem ob sie nicht zu dogmatisch ist. Die meisten scheinen vom Prediger eine Art geistlicher Wochenübersicht zu erwarten; Leitartikel, die man die Tage vorher in der Presse las, wünscht man im geistlichen Gewande mit feinen Worten wohl am Sonntag von der Kanzel zu hören. Wenn ihr wüßtet, wie man sich sehnt, am Sonntag von dem Gerede der Woche, von den Gerüchten der Woche und von den Gerüchen der Woche verschont zu bleiben! Wenn ihr es wüßtet, wie man sich sehnt, an den lauteren Quellen des göttlichen Wortes zu trinken als ein Mühseliger und Beladener und nichts zu vernehmen, als: So spricht der Herr! Wir, die wir noch zur alten Schule gehören und wenn Gott Gnade gibt, auch zur alten Schule gehören wollen, bis sie| uns begraben, begehren von der Predigt nichts anderes, als daß der Diener Jesu das Wort zur Geltung kommen und an unsere Seele reden läßt. Das ist die beste Predigt, wo man den Prediger vergißt und nur noch den Diener hört, der seines Herrn Befehle ausrichtet. Das ist die beste Predigt, wo einer, gehorsam dem Worte seines Gottes, schlecht und recht darbietet, nicht, was Gott nach seiner Meinung gesagt haben wollte, auch nicht, wie es Gott besser gesagt haben müßte, sondern wie Gott zu uns spricht. Und diese Predigt sollt ihr nicht verachten! Je kunstloser sie ist, desto besser ist sie und je schlichter sie an euch kommt, desto treuer ist sie. Glaubt es, die Predigten, die eingetaucht sind in die Anbetung des Wortes und in den kindlichen Glauben an den, der uns das Wort gegönnt hat, müssen immer auf die Seele wirken. Und du hast einen fehllosen Erweis, ob eine Predigt für dich etwas nützte, wenn du aus ihr einen Willensentschluß heimträgst, der dich die ganze Woche hindurch verfolgt. Es ist ein schlechtes Ding, wenn man fragt: nun wie war die Predigt? und es erfolgt die stereotype Antwort: sie war sehr schön! Und was war der Inhalt der Predigt? Das weiß ich nicht. Du mußt aus der Predigt deinen Willen geheiligt sehen, dann war sie für dich ein Segen.Wie wäre es – ich wende mich an diejenigen unter den Anwesenden, die über freie Zeit verfügen – wenn nun manchmal ein Lied gelernt oder auch nur gelesen würde! Wie wäre es, wenn jemand sagte: ich will in meinem Gesangbuch heimisch werden; ich will mir Lieblingslieder suchen, die will ich beten; ich will spielen und singen dem Herrn in meinem Herzen! Wißt ihr jetzt, wie man Sonntag feiert?
Ich wiederhole: familienhaft, in Gemeinschaft, die sich so leicht gibt und so schwer vermißt wird, vor allem aber im Zusammenschluß mit der Gemeinde daheim. Da ist eine Witwe, die oft ihres Heimgegangenen Gatten gedenkt, da ist ein Mann, der der Gehilfin und Gefährtin seiner Jugend und der Stütze seines späteren Lebens beraubt ist, da sind Kinder, die ihren Eltern nachweinen. Wollt ihr nicht der Gemeinschaft pflegen mit der vollendeten Gemeinde im Gebete der Kirche? Das wäre ein rechter Sonn- und Feiertag! Und kommt fleißig zur Kirche und kommt pünktlich zur Kirche und kommt gesammelt zur Kirche!
O, wer betet denn, wenn der Geistliche hinauf zur Kanzel schreitet: Herr, rede Du, daß Dein Knecht rede in Deinem Namen! Wer betet, während seine Blicke dem zur Kanzel emporsteigenden Prediger folgen: heilige seine Lippen, reinige sein Herz, segne seine Worte, schenke mir durch Deinen Knecht, o Herr, einen Gruß aus der Heimat!
Seht, für solche Sonntagsbitten kommt an euch selbst der Gewinn. Und dann, wenn der Sonntag zu Ende geht,| muß es in eurem Herzen wie Lobsagung und Dank sein, bis einst ein Sonntag erscheine, der aller Not ein Ende macht. Laßt es an jedem Sonntag in eurer Seele klingen und singen: „Gottlob, ein Schritt zur Ewigkeit ist abermals vollendet!“ auf daß die müden Stimmen, auf die so leicht der Erde Staub sich legt, sich erheben weit über alle Niederungen des Lebens, bis ihr daheim seid beim Vater. Es wird euch und auch uns einmal erfreuen, wenn wir, diesem armen Leben entnommen, von den mit uns feiernden Gliedern im Gedächtnis und von der gottesdienstlichen Gemeinschaft derer, die mit uns lobten, getragen sind. Es wird eine Erquickung für uns sein, wenn unser Hosianna und Halleluja von denen auf Erden aufgenommen und weitergegeben wird.Darum laßt uns die Gemeinschaft pflegen am Sonntag und laßt uns Sonntagschristen werden! Dann wird der Alltag auch ein Festtag sein. Laßt uns – das wollen wir in der nächsten Zusammenkunft betrachten – sein Wort lieb haben, nicht seine Wörter, nicht einzelne Reden, sondern sein heiliges, teueres Wort!
Dieses Wortes Gnade und Gabe, dieses Wortes Sonne und Segen erhalte Er uns aus Gnaden! Denn wenn Er es nimmt, wie wird dann die Finsternis so groß sein! Und wenn Er es uns erhält, dann ist’s immer wieder Tag und immer wieder Licht. Denn Du bist die lebendige Quelle und in Deinem Lichte sehen wir das Licht!
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