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Geschichte der Pfarrei Sachsen bei Ansbach und der zugehörigen Orte/Die Reformation

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Geschichte der Pfarrei Sachsen bei Ansbach und der zugehörigen Orte
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B. Die neue Zeit 


| | I. Die Reformation

1. Die Zeitwende. Luther

 Als man sich der Zeit um 1500 näherte, spürte man es überall im deutschen Lande, daß eine neue Zeit im Werden begriffen war. Die Städte, wie Nürnberg, Augsburg, Nördlingen, Rothenburg und viele andere, waren mächtig emporgewachsen und hatten neben den Fürsten, den Herzögen und all den anderen Gewaltigen im Reich ein entscheidendes Wort mitzureden. Das Rittertum, das früher die Schlachten schlug und die Siege gewann, lag im Sterben, da die Erfindung des Schießpulvers eine ganz neue Art der Kriegsführung eingeleitet hatte. Amerika war entdeckt worden und brachte neue Reichtümer, neuen Handelsverkehr in die alte Welt. Die Erfindung der Buchdruckerkunst ermöglichte es, die Weisheit der Gelehrtenstuben auch unter das Volk zu bringen und neue Gedanken, neue Lehren rasch überallhin zu verbreiten. Es regte sich allenthalben ein neuer Geist und strebte die alten Formen zu zerschlagen oder zu neuem Leben umzubilden. Der zu allen Zeiten rege, aber bis dahin stark zurückgedrängte Freiheitswille des deutschen Volkes erhob sich aufs neue und suchte Geltung zu gewinnen. In den Reichsstädten erhoben sich die Bürger und die Handwerker in ihren Zünften und verlangten Teilnahme am Stadtregiment, das fast ganz in den Händen weniger vornehmer Familien, der Patrizier, lag. Ebenso suchten fürstliche und bischöfliche Städte größere Macht und Selbständigkeit zu gewinnen gegenüber der Allgewalt der regierenden Herren. Auch im Bauernvolke gärte es und man begehrte auch da mehr Recht und mehr Freiheit. Es war so, wie es ein Kirchenhistoriker (Preuß) ausspricht: „Das Jahrhundert vor der Reformation war eine Zeit voll Spannung.“

 Aber wie im politischen und wirtschaftlichen Leben, so hatte sich’s auch im religiösen und kirchlichen Wesen zu regen begonnen. Wir denken an die großen Kirchenversammlungen zu Pisa (1409), zu Konstanz (1414–1417) und zu Basel (1431), die alle zu dem Zweck einberufen worden waren, eine „Reform an Haupt und Gliedern“ in der Kirche herbeizuführen, ohne freilich in Wirklichkeit etwas zu erreichen. Wir denken an die frommen „Mystiker“ des Mittelalters mit ihrem Streben nach inniger Gottesgemeinschaft und nach reinem Leben. Wir erinnern uns der „Vorläufer der Reformation“: Petrus Waldus in Frankreich, Johann Wiclif in England, Johannes Hus in Böhmen, Hieronymus Savonarola in Italien. Ganz besonders aber ging durch das deutsche Volk um jene Zeit ein mächtiges Streben nach Frömmigkeit, ein Ringen um die Seligkeit. Man konnte sich nicht genug tun in guten Werken aller Art, in| Messen, Stiftungen, Kirchenbauten, Bruderschaften, Heiligenverehrung, Feiertagen, Rosenkränzen, Ablässen und all den anderen Frömmigkeitsübungen. So stiegen z. B. in der Stadt Köln täglich mehr als 1000 Messen zum Himmel empor. Wie es in der Pfarrei Sachsen stand, haben wir bereits gesehen. Freilich befriedigt fühlte sich dabei das Volk in Wahrheit nicht. Die Tiefe religiösen Empfindens, wie sie von Natur dem deutschen Volke eignet, konnte sich mit solch äußerem Tun nicht begnügen; sie strebte nach Besserem. Die deutsche Seele „dürstete nach Gott, dem lebendigen Gott“, wie es im 42. Psalm heißt; sie verlangte nach der „besseren Gerechtigkeit“, von der einst Christus geredet hat.

 So stand es um die Wende der Zeit, als der große Reformator kam, der seinen Deutschen das brachte, wonach sie sich in tiefster Seele sehnten. Luther erschien. Der 31. Oktober 1517 ist der Tag, an dem er in die Öffentlichkeit trat und mit dem Anschlag der 95 Streitsätze an die Schloßkirche zu Wittenberg das Werk der Reformation begann. Es kann hier nicht der Gang dieses Mannes und seines Werkes eingehend dargestellt werden; es muß genügen, hier auf seine vielen und großen reformatorischen Schriften hinzuweisen, auf seine Bibelübersetzung, auf seine Verantwortung vor Kaiser und Reich auf dem Reichstag zu Worms 1521, auf den Bau der evangelischen Kirche durch seine Predigten und Gottesdienstordnungen, durch Schaffung eines Gesangbuches, durch Herausgabe des Katechismus usw., dann auf die Verlesung der Augsburger Konfession auf dem Reichstag zu Augsburg 1530, auf die Mitarbeit seiner treuen Freunde, voran Philipp Melanchthons, auf die Mithilfe evangelisch gesinnter Fürsten usw. Betont muß nur immer das eine werden, daß Luther durchaus nichts Neues brachte, sondern daß er das deutsche Volk nur zu dem Urquell christlichen Glaubens zurückführen wollte, zu Gottes Offenbarung, wie sie durch Propheten und Apostel, vor allem aber durch den gottgesandten Erlöser geschah und wie sie in der Heiligen Schrift bezeugt ist. Alles, was darüber hinausging, alles was erst aus menschlichem Geiste herausgeboren und zu Gottes Wort hinzugetan worden war, lehnte er ab. Das alles mußte in der Kirche der Reformation abgetan werden. So mußten fallen Messe und Ablaß, Heiligendienst und Reliquienverehrung, Klostergelübde und Mönchswerk, Fegfeuer und Rosenkränze, die vielen Weihen und Opfer, die ganze Lehre von den guten Werken, von der Herrschaft des Papstes, von der Vielzahl der Sakramente und noch vieles andere. Der Weg zu Gott, wie er allein in Christo uns gegeben ist, wurde so wieder frei gemacht. Auf dem Grunde freien evangelischen Glaubens konnte sich nun im deutschen Volke wieder ein freies, allein in Gott und durch Gottes Wort gebundenes evangelisches, wahrhaft christliches Leben regen.


| 2. Die Reformation in Franken

 Als Luther seine Stimme im deutschen Land erhob, fand er ein lebhaftes Echo auch im Frankenlande. In Nürnberg trat sein Freund Wenzeslaus Link, der Prediger im dortigen Augustinerkloster, lebhaft für seine Lehre ein; ebenso der bekannte Stadtschreiber (erste Stadtbeamte) Lazarus Spengler, der nachmalige Dichter des Liedes Nr. 224 in unserem Gesangbuch. Hans Sachs, der vielgerühmte Dichter, stimmte sein Jubellied von der „Wittenbergischen Nachtigall“ an; der als Pfarrer an die Lorenzerkirche berufene Andreas Osiander, ein Schmiedssohn aus Gunzenhausen, predigte gewaltig und eindringlich von der neuen und doch in Wahrheit alten evangelischen Botschaft. Die ganze Stadt war bald für die Reformation gewonnen. Der „Rat der Stadt“ konnte zwar seine politischen Bedenken nicht zurückhalten und schwankte längere Zeit hin und her, aber schließlich mußte er dem Drängen der Bürger nachgeben. Ein von ihm im Rathaussaal veranstaltetes Religionsgespräch zwischen den lutherisch gesinnten Pfarrern der Stadt und den noch am Alten hangenden Klosterherren endete mit einem vollen Sieg des Evangeliums. Es war am 3. März 1525. Damit war die Reformation in Nürnberg entschieden.

 Im Markgrafentum Ansbach regierten damals die beiden Brüder Kasimir und Georg. Ersterer war durchaus Staatsmann, weltlich und politisch gerichtet, und hatte für den neuen Geist, der aus der reformatorischen Bewegung sprach, nicht viel übrig; doch verhielt er sich nicht ablehnend. Anders sein Bruder Georg, der später den Beinamen „der Fromme“ erhielt; er war innerlich aufgeschlossen für das Evangelium und wurde bald ein freudiger Anhänger Luthers. Ganz in seinem Sinne betätigte sich der markgräfliche Kanzler Georg Vogler. Die Bürgerschaft Ansbachs las sehr eifrig Luthers Schriften und auch der Adel des Landes stellte sich evangelisch ein. Der starken evangelischen Bewegung konnte sich auch der Markgraf Kasimir nicht länger entziehen, zumal nach den Erfahrungen des Bauernkrieges. Er berief darum seinen ganz evangelisch gesinnten Hofprediger Johannes Rurer zum Stadtpfarrer von Ansbach, entgegen dem Willen des Gumbertusstiftes, dessen Chorherren noch sehr am alten Kirchenwesen hingen. Am Palmsonntag (9. April) 1525 hielt Rurer den ersten evangelischen Gottesdienst in der Pfarrkirche (St. Johannis) und führte damit die Reformation in der Stadt ein. Aber auch für das übrige Land gestattete ein gemeinsamer Erlaß der beiden Markgrafen am 24. August 1525 die Annahme frommer, gelehrter, christlicher Prediger, denen ein „kurzer Unterricht“ an die Hand gegeben werden sollte, damit sie wüßten,| wie fernerhin „von rechtem wahren Glauben und rechter wahrer christlicher Freiheit des Geistes gepredigt werden solle“. Diese Anweisung erfolgte vor allem im Hinblick auf die Bauernunruhen, die zum guten Teil aus „ungeschickten und gottlosen Predigten entstanden seien“. Allerdings erließ Kasimir im Jahr darauf wieder einschränkende Bestimmungen, so daß Rurer sich veranlaßt sah, die Stadt zu verlassen. Aber 1527 starb Kasimir, und sein Bruder, der nun die Alleinherrschaft ausübte, ließ keinen Zweifel daran, daß er die reine evangelische Predigt wünsche, und gestattete die Abschaffung aller der Heiligen Schrift zuwiderlaufenden Gebräuche. Die Reformation kam daraufhin rasch zum Durchbruch in der ganzen Markgrafschaft. Das Jahr 1528 darf hier als das Reformationsjahr betrachtet werden.

 Im weiteren ging der Markgraf gemeinsam mit der Stadt Nürnberg vor. Man trat an die Ausarbeitung bestimmter Lehrartikel und an die Aufstellung einer evangelischen Kirchenordnung heran. Hier ist vor allem der Schwabacher Konvent zu nennen, wo hervorragende Geistliche aus den beiderseitigen Gebieten am 11. Juni 1528 zur Beratung zusammentraten. Zugleich wurden 23 Visitationsartikel und 30 Fragepunkte zusammengestellt als Grundlage für eine allgemeine Kirchenvisitation. Sie erstreckte sich nur auf die Geistlichen, die an bestimmten Orten zusammengerufen wurden, um über ihre Lehre befragt, bei mangelhaften Antworten zu weiterem Studium aufgefordert oder auch bei gänzlichem Versagen „abgeschafft“ zu werden. Die in Schwabach verfaßte Kirchenordnung wurde erst noch überarbeitet und dann 1533 herausgegeben. Sie wies in der Vorrede auf die Augsburger Konfession hin und brachte dann nähere Ausführungen über die evangelische Lehre, über die kirchlichen Handlungen, wie die Gottesdienstordnung, Taufe, Abendmahlsfeier usw. Im zweiten Teile enthielt sie Katechismuspredigten zum Gebrauch in Nebengottesdiensten und als Grundlage für den Unterricht der Jugend wie auch der Erwachsenen. Diese Kirchenordnung galt fortan im Ansbacher wie Nürnberger Gebiet nahe an 300 Jahre.

 Gegner der Reformation waren im allgemeinen nur die Klöster und Chorherrnstifte und weiter hinaus die Bischöfe von Würzburg und Eichstätt. Doch war z. B. der Abt Schopper vom Kloster Heilsbronn freundlich gesinnt, und selbst in Ansbach wünschten verschiedene Chorherren die Abschaffung „päpstischer Mißbräuche“, wobei sie freilich ihre Pfründe behalten und darauf heiraten wollten. Die Markgrafen hüteten sich, mit Gewaltmaßnahmen gegen die Klöster und Stifte vorzugehen; sie ließen die Insassen unbehelligt weiter darin leben und duldeten nur keine neuen Aufnahmen mehr, so daß die Stifte und Klöster nach und nach von selbst ausstarben. Das Chorherrnstift in Ansbach bestand noch bis 1563 fort, das Kloster| Heilsbronn sogar bis 1578. Auch dann wurden sie nicht einfach aufgehoben, sondern das vorhandene Vermögen wurde in weltliche Verwaltung genommen, wozu in Ansbach für das dortige Gumbertusstift ein eigenes „Stiftsamt“ eingerichtet wurde. Die Einkünfte aus den Stiften und Klöstern wurden für Schulen, wie die Heilsbronner Fürstenschule, verwendet, auch zur Linderung öffentlicher Notstände und zur Tilgung staatlicher Schulden, für Beamtengehälter u. a. Erst die preußische Regierung hat hernach i. J. 1797 alles für den Staat eingezogen („säkularisiert“).

 Eine nicht zu billigende Maßnahme des Markgrafen Georg war es, daß er 1529 alle Kirchenkleinodien (Kelche, Hostienteller, Monstranzen usw.), soweit sie nicht für den evangelischen Gottesdienst gebraucht wurden, einziehen und verkaufen ließ. Wenn er auch mit dem Erlös einen Teil der großen Staatsschulden tilgte, so war es doch eine Beraubung der unter seinem Schutze stehenden Kirchen.


3. Die Reformation in der Pfarrei Sachsen

 Wie schon früher ausgeführt wurde (S. 61), versahen damals in Sachsen nur „Vikare“ oder „Verweser“ den kirchlichen Dienst, während der eigentliche „Pfarrherr“ im Chorherrnstift zu Ansbach saß und dort die übrigen Einkünfte der Pfarrei neben seiner Chorherrnpfründe verzehrte. Da die Entlohnung der Vikare nur eine sehr geringe war, trachteten sie immer bald auf eine auskömmlichere Stelle zu kommen, weshalb gerade in den letzten Jahren vor der Reformation ein fast ununterbrochener Wechsel unter den Geistlichen stattfand. Eigentlicher Pfarrer war um jene Zeit der Chorherr Paulus Keller (Kellner). Im Jahre 1528 nun kam nach Sachsen der Verweser Jakob Hofmann. Er zog von Burgbernheim hierher im Tausch mit dem bisherigen Vikar von Sachsen, Matthias Deininger. Schon im Frühjahr 1528 muß er in Sachsen eingetroffen sein; denn in der Rechnung der Filialkirche Neukirchen vom genannten Jahre finden wir als Ausgabe für die sonst üblichen Wochenmessen nur noch 42 Pf verrechnet, während es weiter heißt, daß an Verweser Hofmann 9 Pfund (Heller) bezahlt worden seien dafür, „daß er das Jahr alle Wochen einmal das Wort Gottes hat verkündigt“. Offenbar hat Hofmann alsbald nach seinem Aufzug die Messen eingestellt und dafür Predigtgottesdienste in evangelischem Sinne eingerichtet. Was er aber in Neukirchen tat, hat er selbstverständlich auch in der Mutterkirche zu Sachsen getan. Er war ein junger Mann, der sichtlich voll Begeisterung sich für Luthers Lehre einsetzte und die| evangelische Bewegung in der Pfarrgemeinde rasch zum Durchbruch brachte. Von einer Gegnerschaft hören wir nirgends etwas. Wäre sie vorhanden gewesen, so hätte sie sich leicht geltend machen können, da ja der eigentliche „Pfarrherr“ Paulus Keller in Ansbach noch im alten Glauben befangen war und Beschwerden gegen den „Vikar“ gewiß gern entgegengenommen haben würde. Die Predigt des „Wortes Gottes“ ging in den folgenden Jahren ungestört fort, wie die Neukirchener Rechnungen ausweisen. Das Jahr 1528 darf darum auch in Sachsen als das Jahr der Einführung der Reformation gelten.

 Bei der großen Kirchenvisitation von 1528 hat Jakob Hofmann wohl bestanden; er erhielt die Benotung „bene“, d. h. „gut“, was besagen will, daß er als ein im evangelischen Glauben tüchtiger Geistlicher befunden wurde, im Gegensatz zu vielen anderen, die als „mäßig“ oder „schlecht“ bezeichnet werden mußten oder überhaupt nicht anerkannt werden konnten. Die Gemeinde hat es ihm jedenfalls gedankt, daß er sich so um sie annahm, denn er blieb bis an sein Lebensende (1561) in Sachsen, obwohl er die meiste Zeit noch „Vikar“ sein mußte. Doch ist anzunehmen, daß sein Pfarrer Paulus Keller veranlaßt wurde, ihn besser zu versorgen, als es für die früheren Vikare geschah. Leider ist uns aus seinem Leben nichts weiter bekannt, nicht einmal, ob er verheiratet war.

 Die Einführung der Reformation brachte naturgemäß im Kirchenwesen allerlei Änderungen. Das erste war die Abschaffung der Messe und ihre Ersetzung durch einen evangelischen Gottesdienst, wozu Luther selbst in seinem Büchlein von der „deutschen Messe“ Anregung und Anweisung gegeben hatte. Den Mittelpunkt des Gottesdienstes bildete nunmehr die Predigt des göttlichen Wortes, geschöpft aus der Heiligen Schrift, wie sie durch Luthers Übersetzung in die deutsche Sprache dem ganzen Volke zugänglich gemacht worden war. Wohl war auch früher oft gepredigt worden, aber die Predigt bildete dann neben der Messe nur einen unwichtigen Bestandteil des Gottesdienstes und ihr Inhalt bestand mehr aus Heiligengeschichten, Legenden und dergleichen als aus biblischen Wahrheiten. Da auch die Gemeinde sich am Gottesdienst nicht bloß hörend, sondern auch redend und singend beteiligen sollte, gab Luther schon 1523 das erste evangelische Gesangbuch heraus. Außer dem Hauptgottesdienst wurde regelmäßig an allen Sonn- und Feiertagen ein Nachmittagsgottesdienst gehalten, die „Vesper“ oder wie sie bald hieß, die „Christenlehre“; denn da sollte vor allem Luthers Katechismus „gelehrt“ werden, und zwar nicht nur für die Jugend, sondern ganz besonders auch für die Erwachsenen, für die „Christen“ insgemein. Bei der Kirchenvisitation i. J. 1561| bezeugte es Pfarrer Kißling ausdrücklich, daß er an den Sonntagen nachmittags den Katechismus Luthers vornehme; und die vorhandenen Visitationsprotokolle lassen klar erkennen, daß bei den Visitationen neben der Jugend stets auch die Erwachsenen in den christlichen Wahrheiten befragt und geprüft wurden. Daneben gab es noch Wochengottesdienste, in Sachsen jeden Dienstag und Freitag, anfangs auch in Neukirchen einmal wöchentlich.

 Das heilige Abendmahl wurde jetzt in beiderlei Gestalt gefeiert, d. h. nicht mehr nur mit der Spendung der Hostie, sondern auch mit der Darreichung des Kelches. Taufe und Abendmahl wurden allein noch als Sakramente beibehalten, während die übrigen fünf Sakramente der bisherigen Kirche teils fallen gelassen wurden, wie die Letzte Ölung, teils nur noch als heilige Handlungen beibehalten und in evangelischem Sinne umgestaltet wurden. Letzteres geschah vor allem mit der Ohrenbeichte, die fortan nur noch als Einzelbeichte oder auch als Privatbeichte fortbestand.

 Die Verehrung der Heiligen, ihre Anrufung um Fürbitte, die Opfer und Stiftungen für sie, die Feier ihrer Gedenktage kamen ebenfalls in Wegfall. Beibehalten wurden die eigentlich christlichen Feste, wie wir sie jetzt noch haben, dazu aber noch das Epiphaniasfest (6. Jan., der „Obersttag“ oder „Erscheinungstag Christi“). Der Neujahrstag galt als „Beschneidungstag Jesu“. Daneben blieben aber auch die Apostel- und Marientage bestehen: Mariae Reinigung (2. Febr., Lichtmeß), Mariae Verkündigung (25. März), Mariae Himmelfahrt (15. August, nicht in katholischem Sinne, sondern als Mariae „Heimgang“), die Tage der Apostel Matthias (24. Febr.), Philippus und Jakobus des Jüngeren (1. Mai), Petrus und Paulus (29. Juni), Jakobus des Älteren(25. Juli), Bartholomäus (24. Aug.), Matthäus (21. Sept.), Simon und Judas (28. Okt.), Andreas (30. Nov.) und Thomas (21. Dez.). Der Tag des Apostels Johannes (27. Dez.) galt wohl als miteingeschlossen in die beiden vorangehenden Weihnachtsfeiertage, wobei der zweite (26. Dez.) noch besonders dem Gedanken an den ersten Märtyrer Stephanus gewidmet sein sollte. Gefeiert wurde auch noch der Tag Johannis des Täufers (24. Juni). Am jeweils nächstliegenden Sonntag vor oder nach Michaelis (29. Sept.) wurde das Engel- oder Michaelisfest gefeiert; am Sonntag vor oder nach Martini sollte Luthers als des großen Reformators gedacht werden. Es waren noch reichlich viele Feiertage, die so aus der alten Zeit übernommen wurden; aber man glaubte sie doch beibehalten zu sollen, nicht zum letzten auch als besondere Ruhetage für das Volk.

 Daß die Fasttage verschwanden, ergab sich von selbst. Die sogenannte Fastenzeit vor Ostern wandelte sich von selbst in eine Passionszeit| um. Doch kamen eigentliche Passionspredigten erst später auf, wie auch die Feier des Karfreitags mit seinem besonderen evangelischen Gepräge eine Einrichtung späterer Zeit ist, etwa seit dem Jahre 1700. Abkommen mußten auch die üblichen Weihen von Wasser, Kerzen, Brot, Früchten und dergleichen, ebenso die alten Bittgänge, Flurumritte und anderes. Dagegen behielt man gern bei, was dem evangelischen Geiste nicht widersprach, wie das Brennen von Kerzen auf dem Altar oder die Bekleidung des Altars mit Gewändern in den althergebrachten kirchlichen Farben. Auch die Bekleidung der Geistlichen in den Gottesdiensten blieb zunächst unverändert. Das frühere Meßgewand wurde noch bei der Feier des heiligen Abendmahls verwendet, wie es Pfarrer Kißling i. J. 1561 ausdrücklich berichtet. Erst allmählich verschwand es, wohl weil man die nicht geringen Kosten für eine Neubeschaffung scheute. Dagegen wurde das sonst in den Gottesdiensten übliche „weiße Chorhemd“ noch bis 1798 allgemein getragen. Erst der preußischen Regierung war es vorbehalten, diese Hemden abzuschaffen, um, wie sie sagte, den Gotteshäusern „Wäscherlohn zu ersparen“.

 Dem maßvollen, allem Radikalismus abholden Sinn jener Zeit entsprach es auch, daß man die alten Altäre mit ihren Zieraten und Heiligenbildern in den Kirchen stehen ließ. Sachsen behielt seine fünf Altäre weiter. Dienten sie auch nicht mehr wie vordem der Heiligenverehrung, so konnten sie doch der Erbauung der Gläubigen und dem Schmuck der Kirche dienen. Leider ließ man in Sachsen die Altäre nach und nach verkommen, so daß schließlich einer nach dem andern beseitigt werden mußte. Doch waren bis 1804 immer noch der große Hauptaltar und ein Seitenaltar vorhanden, bis in diesem Jahre bei dem großen Kirchenumbau auch sie dem verständnislosen Rationalismus (Vernunftglauben) jener Zeit zum Opfer fielen. Auch die Kunigundenkapelle und die Leonhardskapelle ließ man so verfallen. Die Sebastiansbruderschaft, die nun zwecklos geworden war, löste sich 1529 auf. Am St. Veitstag (15. Juni) kamen die „Brüder“ zum letztenmal zusammen und beschlossen, das Geld, das man bisher für Messen ausgegeben, künftig „armen Leuten“ zuzuwenden. Hierüber, wie über das Schicksal der Sebastianskirche und der Krypta wird später berichtet werden.


4. Der Bauernkrieg

 Im Jahre 1525 brach der sogenannte Bauernkrieg in Süd- und Mittel–Deutschland aus, also wenige Jahre nach dem Beginn der Reformation. Dieses zeitliche Zusammentreffen hat den Gegnern| der Reformation oft schon Anlaß gegeben, Luther und seine Lehre für den Bauernaufstand und seine Kriegsfolgen verantwortlich zu machen. Gewiß gab es damals viele Leute, die Religiöses und Politisches mit einander vermengten, denen kommunistische Gedanken durch den Kopf flogen und die die Volksmenge aufzuhetzen suchten. Das waren die Schwärmer und Irrgeister, die Bilderstürmer und andere Unruhstifter, die da und dort sich breitmachen wollten. Aber gegen diese ist gerade Luther mit aller Schärfe aufgetreten und hat sie in ihre Schranken zurückgewiesen. Und wenn sein Wort von der „evangelischen Freiheit“, das doch allein auf Glauben und Gewissen ging, von gewissen Leuten falsch gedeutet wurde, so kann das wieder nicht Luthers Schuld sein, sondern allein die Schuld derer, die Geistliches nicht geistlich, sondern weltlich und politisch verstehen wollten.

 Der Bauernkrieg hatte ganz andere Ursachen, wie schon die Tatsache beweist, daß es längst vor der Reformation Bauernaufstände gab, wie 1476 in Niklashausen (Württemberg), 1491 bei Kempten, 1493 im Badischen (der sog. „Bundschuh“), 1502 im Elsaß, und sonst noch. In Wirklichkeit war es so, wie in dem Abschnitt von der Zeitwende gesagt wurde, daß damals eine allgemeine Unruhe durch das deutsche Volk ging, durch die Bürger in den Städten, durch den Adel auf seinen Burgen, und so auch durch die Bauern auf dem Lande. Es war eben eine neue Zeit im Werden begriffen, neue Anschauungen drangen in das Volk herein, der Wunsch nach größerer Freiheit und nach mehr Recht glühte überall. Ein gewisser revolutionärer Geist war mit dem allgemeinen Umschwung der Zeit und mit dem Aufkommen neuer Verhältnisse verbunden.

 Man hat gesagt, die Bauern seien damals fast erdrückt worden von der Unmenge ihrer Abgaben und Lasten, und man zählte nun die lange Reihe der Groß- und Kleinzehnten, der Getreidegülten und Geldzinsen, der Handlöhne und Frondienste usw. auf, daneben noch die öffentlichen Abgaben, wie Steuern, Gemeiner Pfennig, Umgeld usf. Aber man hat dabei nicht bedacht, daß nicht sämtliche aufgezählte Lasten ohne weiteres auf jedem Bauerngute lagen, sondern daß es immer nur einzelne Lasten für den einzelnen Hof waren, hier diese, dort jene Abgaben, und daß der einzelne Hof im Durchschnitt gar nicht übermäßig belastet war. Nicht wenige Bauerngüter waren sogar sehr gut daran, manche freilich waren im Verhältnis stärker mit Abgaben bedacht. Aber ein erträgliches Maß war es im Grunde überall, wie schon wiederholt durch genaue Nachprüfung festgestellt wurde. Das gilt ganz besonders auch von unserer Gegend. Man gewinnt bei näherer Einsicht in die Verhältnisse den gleichen Eindruck, wie ihn ein Geschichtskenner ausgesprochen hat in den| Worten: „Der große Bauernkrieg 1525 war nicht Explosion einer wirtschaftlichen Not; die Bauern hatten ihr Auskommen; was sie kränkte und immer wieder empörte, das war vielmehr ihre Rechtlosigkeit.“ Hier lag in der Tat ein wunder Punkt. Wenn die Fürsten Krieg führten, so war es zunächst immer der Bauer, der darunter leiden mußte, weil sein Hof geplündert und nicht selten niedergebrannt wurde. Wenn die Herren große Schulden machten, so mußte auch der Bauer die Schulden mit tilgen helfen. Vor allem aber hatte der Bauer zu klagen über den großen Schaden, den das sorgsam gehegte Wild des Jagdherrn anrichtete, wenn die Hirsche und Wildschweine in seine Felder einbrachen, die Saaten verwüsteten oder sonst übel hausten, ohne daß der Bauer die Möglichkeit hatte, sich dagegen zu wehren, das Wild zu verjagen oder sonst sich zu schützen, weil eben die Fürsten, die alleinigen Jagdherren, ein unbeschränktes Jagdrecht in Anspruch nahmen. Freilich so berechtigt hier die Beschwerden waren, sie allein hätten noch lange nicht zu einem Aufstand und Krieg geführt, wenn nicht die allgemeine Zeitstimmung und Zeiterregung vorhanden gewesen wäre. Gerade daß auch Städte mit den Bauern gingen, beweist die Allgemeinheit dieser Zeitunruhe.
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 Im März 1525 brach der Bauernkrieg im jetzigen nördlichen Württemberg aus und griff einerseits in die Rothenburger Gegend, anderseits in den Würzburger Gau hinüber. Auch im Bistum Eichstätt regte es sich, im oberen Altmühlgrund und bei Thalmässing; doch wurden die hier zusammengeströmten Haufen rasch zerstreut, hauptsächlich durch das Eingreifen des Markgrafen Kasimir. Dagegen ließen sich die im Taubertal und in Unterfranken versammelten Massen zu blutigen Grausamkeiten und Mordbrennereien hinreißen, so daß der Schwäbische Bund gegen sie vorgehen mußte; bei Würzburg erlitten sie eine entscheidende Niederlage durch die bündischen Soldaten. Gegen die Aufständischen in und um die Stadt Kitzingen schritt Markgraf Kasimir ein, der leider mit furchtbarer Grausamkeit wütete und 60 Kitzinger Bürgern zur Strafe die Augen ausstechen ließ. Auch im Aischgrund bei Neustadt und Windsheim bis her nach Burgbernheim war es unruhig, doch gab es keine schweren Kämpfe. Selbst die Bürger von Leutershausen und die Bauern der Umgegend glaubten ihre Zeit gekommen und zogen nach dem Kloster Sulz, das sie plünderten, und zum Schloß Dornberg hinter Schalkhausen, das sie niederbrannten. Dafür mußten sie schwer büßen: 4 Bürger von Leutershausen nebst dem Pfarrer von Sulz, der sich ebenfalls am Aufstand beteiligt hatte, wurden hingerichtet, 7 anderen wurden die Finger abgehauen, weil sie die mit der Hand beschworne Treue nicht gehalten hatten, die Stadttore wurden abgehauen| und auch Befehl zum Abbruch der Stadttürme gegeben, die Stadt selbst den markgräflichen Söldnern zur Plünderung preisgegeben.

 Um den Hesselberg hatte der Schmalzmüller Thomas die Führung der Aufständischen übernommen, Thomas, der selbst Freibauer war und darum am wenigsten über Lasten zu klagen hatte. Er sammelte aus den Orten Röckingen, Gerolfingen, Aufkirchen, Beyerberg, Lentersheim und anderen einen großen Haufen, zog damit vor Wassertrüdingen, das mit ihm gemeinsame Sache machte, nahm das Kloster Auhausen ein und wollte nun nach Heidenheim ziehen, um das dortige Kloster zu plündern. Aber da traten dem inzwischen auf 8–10000 Mann angewachsenen Haufen markgräfliche Truppen entgegen. Es entspann sich ein wilder Kampf, bei dem viele Bauern fielen, die meisten aber schließlich flohen. Die Überlebenden nahmen willig die unter bestimmten Bedingungen angebotene Gnade an. Selbst der Schmalzmüller kam mit Gefängnis und schwerer Vermögensstrafe davon.

 Aus der Pfarrei Sachsen hatte sich offensichtlich niemand an den Bauernunruhen beteiligt. Die nähere Umgebung von Ansbach und weiterhin das Nürnberger Gebiet war ruhig geblieben.

 So sehr uns die damals gegen die Bauern und noch mehr gegen die Städte verübten Grausamkeiten abstoßen, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß es sich um einen Aufruhr gegen Staat und Obrigkeit, also um Hochverrat handelte, und daß auch von seiten der Aufständischen teilweise größte Grausamkeiten verübt worden waren.


5. Fortgang der Reformation

 Die Bevölkerung innerhalb der Pfarrei Sachsen durfte sich nach der Durchführung der Reformation stets des ungestörten Besitzes der evangelischen Wahrheit erfreuen. Sie hielt sich von aller Schwarmgeisterei fern, sowohl in religiöser Hinsicht, indem sie nicht auf die Irrwege der Wiedertäufer und ähnlicher damals auftretender Richtungen geriet, als auch in politischer Beziehung, indem sie nicht teilnahm an den verhängnisvollen Bauernunruhen. Das verschaffte ihr einen sicheren Gang durch die sturmbewegte Zeit; sie blieb innerlich unangefochten. Sie blieb das aber auch äußerlich, da die weltlichen Herrschaften ihre schützende Hand über Glaubens- und Gewissensfreiheit hielten. Die Stadt Nürnberg sowohl wie die Markgrafen zu Ansbach traten jederzeit für die evangelische Sache ein. Es wurde ihnen das allerdings nicht leicht gemacht,| denn Kaiser Karl V. im Bunde mit dem Papst und den katholischen Fürsten machte alle Anstrengungen, das Feuer der „Ketzerei“, wie man es dort nannte, wieder auszulöschen. Es war nötig, immer wieder gegen die beabsichtigte Vergewaltigung zu „protestieren“, wie es besonders auf dem Reichstag zu Speier 1529 geschah; und es war nötig, stets tapfer für das evangelische „Bekenntnis“ einzutreten, wie es vor allem auf dem Reichstag zu Augsburg betätigt wurde. Markgraf Georg der Fromme hat im Sinne aller evangelischen Fürsten dort zu Augsburg gesprochen, als er vor dem Kaiser erklärte, daß er sich lieber „den Kopf abhauen lassen“ wolle, als daß er „von Gottes Wort abstünde“. Im übrigen sorgten die Türken dafür, daß der Kaiser gegen die Evangelischen nicht so vorgehen konnte, wie er es beabsichtigte; denn immer wieder brachen sie in jener Zeit durch Ungarn gegen die Erblande des Kaisers, gegen Österreich, vor und zwangen dadurch den Kaiser, sich gegen sie zur Abwehr zu stellen. Dazu aber brauchte er notwendig auch die Hilfe der evangelischen Fürsten und Städte, ihr Geld und ihre Soldaten, was sie beides zu gewähren nur willens waren, wenn er sie in der Glaubensfrage unangefochten ließ. Selbst der Schmalkaldische Krieg, den der Kaiser zuletzt i. J. 1546, kurz nach Luthers Tod, gegen die evangelischen Stände führte, und bei dem er zunächst siegreich blieb, konnte nicht sonderlich schaden; die evangelische Bewegung war schon viel zu weit vorgeschritten und viel zu tief im Herzen der Leute verwurzelt. Zwar bemühte sich der Kaiser, eine Wiedervereinigung der beiden Konfessionen herbeizuführen, indem er ein aus katholischen und evangelischen Bestandteilen gemischtes Glaubensbekenntnis, das sogenannte „Interim“, herausgab und dieses allen Reichsangehörigen aufnötigen wollte; aber sowohl von den katholischen Ständen wie von den evangelischen Kreisen wurde es mit aller Bestimmtheit abgelehnt; niemand war damit zufrieden, und es gab nur neue Streitigkeiten. Glaubenswahrheiten lassen sich eben nicht halbieren oder nach Belieben miteinander vermischen. Der Landtag zu Ansbach erklärte sich 1548 ganz entschieden dagegen, ebenso eine Synode von Geistlichen; man wollte höchstens in rein äußerlichen Zeremonien, die mit dem Glauben nichts zu tun haben, nachgeben. Die Regierung in Ansbach schob die Entscheidung immer wieder hinaus trotz des Drängens der Bischöfe von Würzburg und Eichstätt. Aber dann kam der Umschwung, indem der Herzog Moritz von Sachsen mit seinem Heere gegen den Kaiser zu Felde zog und ihn zur Flucht zwang. Es wurde darauf 1555 der Augsburger Religionsfriede geschlossen, der den Evangelischen volle Religionsfreiheit brachte. Dann herrschte Ruhe bis zum Dreißigjährigen Kriege.
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|  Über das kirchliche und religiöse Leben in der Gemeinde Sachsen sind uns aus den ersten Jahrzehnten nach der Reformation keine Nachrichten hinterlassen. Es wird auch hier so gewesen sein, daß man sich anfangs voll Eifer zu Predigt und evangelischem Gottesdienst hielt und in allem ein echt evangelisches Wesen und Leben an den Tag legen wollte. Aber mit der Zeit wird der Eifer nachgelassen haben. Das Wort von der „evangelischen Freiheit“ wird man auch hier gern so verstanden haben, daß man nicht nur von den alten Bräuchen und Ordnungen frei sein sollte, sondern überhaupt von aller festen Ordnung, daß man leben dürfte, wie es einem beliebte. Die Freiheit wurde vielfach zur Gleichgültigkeit und nicht selten zur Zügellosigkeit mißbraucht. So verstehen wir es, daß schon 1531 die markgräfliche Regierung ein allgemeines Dekret herausgeben mußte, worin geklagt wurde, daß ein großer Teil der Untertanen die heilsame christliche Lehre nicht zur Besserung des Lebens annehmen wolle; daß sie vielmehr noch die anderen, die einen gottseligen und ehrbaren Wandel führten, verspotteten und schmähten, die Gottesdienste schlecht besuchten, das hl. Abendmahl verachteten, lieber in den Wirtshäusern säßen und spielten, ja mitunter sogar in groben öffentlichen Sünden und Lastern sich erzeigten. Solche Beobachtungen dürfen uns nicht verwundern und es darf darum der Reformation keine Schuld aufgebürdet werden; denn es ist immer so in der Welt, daß jede, auch die beste Bewegung bald mißbraucht und von unlauteren Elementen herabgewürdigt wird.  Auch später gab es noch allerlei Klagen. Bei einer Kirchenvisitation i. J. 1561 beschwerte sich Pfarrer Kißling darüber, daß er, wenn er an den Sonntag-Nachmittagen den Katechismus Luthers behandle, nicht viel ausrichten könne, weil „das Pfarrvolk nicht fleißig in die Kirche komme“. Weiter behauptete er, daß die Pfarrgemeinde ein „grob Volk sei, das gar nichts verstehe“, eine offenbare Übertreibung, denn die Visitatoren, die hernach eine öffentliche Prüfung in der Kirche abhielten, und zwar nach damaligem Brauch auch mit den Erwachsenen, stellten fest, daß die Gemeinde „nach Gelegenheit der Sachen ziemlich bestanden habe“. – 1566 erging wieder ein markgräfliches Mandat gegen Gotteslästern, Schwören und Fluchen im Lande. Auch später noch folgten ähnliche Erlasse. – Von viel Unmäßigkeit hören wir öfters reden, besonders bei Taufschmäusen und Hochzeitsfesten. Dabei kam es gelegentlich sogar zu bösen Streitigkeiten und blutigen Händeln, wie 1611 bei der Hochzeit des Wirtes Hans Tefferlein in Sachsen, und 1625 bei der Taufe des Christoph Schem. – Ein langes Verzeichnis von Übelständen stellte Pfarrer Löscher am 8. März 1578 auf. Danach gingen die Leute „unfleißig in die Predigt“; die Eltern| schickten Kinder und Gesinde gar selten zur Behandlung des Katechismus (an den Sonntag-Nachmittagen); während des Altargottesdienstes (Liturgie) und während der Austeilung des hl. Abendmahls „stehet der meiste Teil auf dem Kirchhof und halten Schwatzmarkt“; die Feiertage (Apostel- und Marientage) würden nicht gehalten, sondern ohne Bedenken an ihnen Erntearbeiten verrichtet, mitunter sogar an Sonntagen; einzelne Leute, deren Namen genannt wurden, gingen nicht oder nur selten zum hl. Abendmahl, usw. Eine markgräfliche Anordnung sah sich 1583 veranlaßt, alle Tänze während des Vor- und Nachmittagsgottesdienstes, die Abend- und Nachttänze, das „nächtliche Gassieren und Fenstern“ zu verbieten. Ähnliche Erlasse ließ auch die nürnbergische Regierung für den Lichtenauer Bezirk ergehen. – Viel hört man aus jener Zeit von Streitigkeiten in den Dörfern, besonders da, wo Untertanen verschiedener Grundherrschaften vorhanden waren, Streitigkeiten, die öfters zu blutigen Schlägereien ausarteten.

 Das alles läßt uns erkennen, daß man das Erbe der Reformation nicht so treu bewahrte, wie es hätte geschehen sollen. Man ließ sich wohl den evangelischen „Glauben“ gerne gefallen, machte aber zu wenig Ernst mit dem aus solchem Glauben fließenden evangelischen „Leben“. Es fehlte weithin an der nötigen Glaubenszucht und an dem notwendigen Glaubensgehorsam. Erst als die Wetter des Dreißigjährigen Krieges heraufzogen, besann man sich eines Besseren. Der Sohn des vorhin genannten Pfarrers Löscher, der seinem Vater im Amte nachfolgte, berichtete i. J. 1627, er „wüßte von keinem ungehorsamen Pfarrkind“, es gehe „männiglich gern in die Kirche“, nur „zur Vesper (Nachmittagsgottesdienst) gehe es schlecht her“. Dieses günstige Urteil dürfte damals richtig gewesen sein, da die Leute unter dem Druck des nahenden Kriegs-Unheils standen; es ist aber nicht richtig für die vorhergehende Zeit. Das Gottesgericht des Dreißigjährigen Krieges brach nicht unverdient über die Gemeinden herein.

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