RE:Gorgippia

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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griechische Kolonie in skythischem Gebiet
Band VII,2 (1912) S. 16201629
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Gorgippia. Stephanos von Byzanz (s. Σύνδικος) behauptet, daß einige seiner Quellen G. gleichsetzen mit der griechischen Kolonie Σινδικὸς λιμήν, die im Lagunengebiet der skythischen Sindoi zwischen Kimmerischem Bosporus und Kubanmündung lag. Boeckh (CIG II 99) hat die Richtigkeit dieser Angabe bestritten. Zur Entscheidung ist es notwendig, die historisch-topographische Behandlung des ,Sindischen Hafens‘ (= S. im folgenden) schon an dieser Stelle vorwegzunehmen. S. gehört, wenn nicht zu den ältesten, so doch zu den älteren hellenischen Gründungen auf der Ostseite des Kimmerischen Bosporus, da sich nachweisen läßt, daß es als solche schon in dem Periplus aus dem Anfang des 5. Jhdts. genannt war, den Sieglin als Grundstock der Küstenbeschreibung des jüngeren Skylax erkannt hat. § 73 des Periplus setzt voraus, daß im vorhergehenden Abschnitt als letzte und östlichste griechische Stadt des sindischen Territoriums S. [1621] aufgeführt war; aber § 72 schließt die Liste der Kolonien mit Bata (im Text Πάτους), das östlich von S. lag. In dem Widerspruch dokumentiert sich auf das deutlichste die Überarbeitung der älteren Vorlage: Bata ist vom Bearbeiter Skylax an der richtigen Stelle des § 72 als offenbar neuere Gründung, von der er Kenntnis hatte, nachgetragen worden, aber der Anfang des folgenden Abschnitts wurde aus Unachtsamkeit der Veränderung nicht angepaßt. S. gehört also sicher dem älteren Periplus an und bestand schon um 500.

Die griechische Kolonie hieß nach dem skythischen Stamm, in dessen Territorium sie lag. Wir wissen bestimmt, daß die Sinder, die seit dem 4. Jhdt. dem bosporanischen Reiche der Spartokiden von Pantikapaion dauernd einverleibt blieben, im 5. Jhdt. noch unabhängig und frei waren; denn sie prägten damals eigene Münzen. Ihr politischer Mittelpunkt und Königsitz darf für diese frühere Periode natürlich nicht in dem autonomen griechischen Hafenort gesucht werden. Anderseits nötigt uns die Münzprägung, ihn als städtisch organisiertes und Handel treibendes Gemeinwesen zu denken. Es gab also notwendig damals getrennt von dem hellenischen Hafenplatz eine Barbarenstadt desselben Namens. Wir müßten ihre Existenz erschließen, auch wenn sie nicht ausdrücklich bezeugt wäre, zuerst von Mela I 110: Sindos in Sindonum ab ipsis terrarum cultoribus condita est, also ausdrücklich nicht griechische, sondern Barbarenstadt. Diese Notiz Melas ist bisher unbeachtet gelassen worden, und die sie bestätigende und stützende Unterscheidung zwischen S. und Sinda κώμη auf der Ptolemaioskarte – sie rechnet etwa 200 Stadien für den Abstand der beiden Orte voneinander – wird allgemein verworfen: mit welcher Berechtigung, wird der Fortgang dieser Untersuchung noch deutlicher aufweisen. Über die Gründungsgeschichte des griechischen Hafens erfahren wir durch Ephoros (in dem anonymen geographischen Gedicht 888f.), daß es von Kolonisten der benachbarten Städte, nicht unmittelbar vom ionischen Mutterlande besiedelt werden war. Ephoros fügt auch eine topographische Notiz hinzu, die für die Bestimmung der genauen Lage des Sindischen Hafens wichtig genug erscheint: wie Phanagoreia und Hermonassa lag er auf der sindischen ,νῆσος, die Sümpfe und Flußläufe und seichte, vom Asowschen und Schwarzen Meer eindringende Buchten unzugänglich machen‘. Diese Schilderung führt uns in das unmittelbare Lagunengebiet der Kubanmündung: wir haben die Stadt nach Westen von dieser im Umkreis des Limans Kisiltas zu suchen, und da sie in den Periplen der eigentlichen pontischen Küsten auftritt, an der Südseite des Kubanlimans. Nachdrücklich verlangt das immer wiederkehrende, mit dem Namen selber innig verwachsene Beiwort λιμήν der hellenischen Kolonie die Beachtung des Topographen; es fehlt niemals bei Skylax, Ephoros, Artemidor, Ptolemaios; Hesych notiert unter Sindoi: ἐστὶ δὲ πόλις ἐκεῖ Σινδικὸς λιμὴν λεγομένη. Folglich hat sich diese griechische Stadt auf der sindischen Halbinsel vor allen andern durch einen besonders trefflichen Hafen so sehr ausgezeichnet, daß diese Eigenschaft dauernd in ihrem Namen zum Ausdruck kam. Nun findet sich an dem ganzen Küstenstrich vom Eingang [1622] des Kubanlimans bis zur tiefen Zemesbucht überhaupt kein Einschnitt, der nur im entferntesten einem natürlichen Hafen gliche. Die Küste bildet bis zum Städtchen Anapa einen flachen, geradlinig verlaufenden Strand, dem nach Süden und Südosten ein kaum gegliederter Steilrand folgt (Strab. 495: τὸ πλέον ἀλίμενος καὶ ὀρεινή). Die Zemesbucht ist der ἱερὸς λιμήν des Altertums, an dem die griechische Kolonie Bata gegründet wurde, auf der Stelle des modernen Nowo-Rossisk, dem neue Ladeanlagen und die Eisenbahnverbindung mit dem mittleren Kubangebiet in den letzten Jahrzehnten zu immer steigender Blüte verhelfen. Das oben genannte, 1822 neben der ehemaligen türkischen Grenzfestung gegründete Anapa, wo man gewöhnlich S. sucht, hat zwar einen bescheidenen Seeverkehr, aber eine völlig ungeschützte, offene Rhede, von der niemals der Name S. seinen Ursprung hätte nehmen können. Außerdem ist Anapas Lage schon weit abseits nach Süden von der Kubanmündung und den Lagunen, gegen die sich flache, steppenartige Höhen erheben, durchaus unvereinbar mit der Beschreibung des Ephoros, die S. auf der νῆσος zwischen Bosporus und Kuban ansetzt. Aus der Beschaffenheit der sindischen Küste folgt mit Gewißheit, daß der berühmte Hafen nur innerhalb des Kisiltaš-Limans, das selbst schon einen prachtvollen Naturhafen größten Umfangs darstellt, gesucht werden darf. Das Liman wird gegen das Schwarze Meer durch eine niedrige, langgestreckte, 11/2–2 km breite Nehrung abgeschlossen, die sich gegen den Ausfluß nach Art einer Schere spaltet. Die Arme dieser Schere mögen die Molen des antiken Hafenbeckens gebildet haben, die griechische Stadt selber nahm den anschließenden

[1623] Teil der Nehrung ein, sodaß sie im Norden das Liman, im Süden das offene Meer berührte, von beiden Seiten erreichbar. Das war ein außerordentlicher Vorteil, und es ist klar, daß der Ort, der den Eingang zu dem für die griechische Seefahrt unvergleichlich wichtigen Liman beherrschte, eine besondere Bedeutung gewinnen mußte.

Diesen Wahrscheinlichkeitsbeweis der topographischen Betrachtung erheben glücklicherweise die ältesten uns erhaltenen Maße des Küstenperiplus zur völligen Gewißheit. Artemidor (bei Strab. 494 und 496 Ende) rechnet von dem Dorf Korokondame bis S. 180 Stadien, von hier bis Bata 400 Stadien. Aus einer jüngeren Quelle (wohl den Mithradatika des Theophanes) weiß Strabon (494 Ende), daß das zuerst genannte Dorf nur 10 Stadien nach Westen von der Einfahrt in das Kisiltaš-Liman entfernt ist, und ebenso setzt es der Anonymos (FHG V 182) hier an. Für Artemidor liegt es dagegen ausdrücklich unmittelbar am südlichen Ausgang des Bosporus, 70 Stadien von dem gegenüberliegenden ,europäischen‘ Ufer entfernt; und Ptolemaios ist jenem auf seiner Karte des Bosporus genau gefolgt. Dieser Punkt entspricht dem heutigen Vorgebirge Panagia; von hier müssen wir ausgehen, um den Endpunkt der Artemidorischen Messung zu finden, gleichviel ob der Geograph sich geirrt hatte, als er das Dorf Korokondame an den Bosporus rückte, oder ob es in seiner Zeit wirklich hier lag. Das Versehen erklärt sich wohl daraus, daß Artemidors Gewährsmann den Beginn der Meerenge von Kertsch nach dem nächsten Ort bestimmte, mochte immerhin dieser selbst noch ziemlich abliegen. 180 Stadien, von Panagia gemessen, führen uns ein wenig nach Osten über den Eingang des Limans hinaus, d. h. genau an die oben angenommene Stelle. Die 400 Stadien, die Artemidor von S. bis zum Dorf und Hafen Bata rechnet, erreichen die Zemesbucht nicht, es fehlen bis hierhin etwa 100 Stadien. Aber nach der Ptolemaioskarte stand das Dorf wirklich über 100 Stadien westlich vom Hafen, der unzweifelhaft der Zemesbucht entspricht, also an der flachen Bucht im Osten des Abrausees, in die sich der kurze Ozerieh ergießt. Artemidor hat offenbar irrtümlich Dorf und Hafen zusammengeschoben. Auch der Umstand, daß die Summe von 580 Stadien zwischen dem Ausgang des Bosporus und Bata annähernd der Entfernung von Kap Panagia bis zur Zemesbucht entspricht, macht es wahrscheinlich, daß die geringe Differenz durch einen etwas westlich der Bucht gelegenen Endpunkt der Artemidorischen Messung zu erklären ist. Jedenfalls bestand die griechische Kolonie und Stadt, die Skylax zuerst erwähnt und die zweifellos innerhalb der Bucht selbst gegründet worden war, zu Artemidors Zeit nicht mehr. Offenbar hatte die hellenische Gründung den Namen eines einheimischen Gaues (der Kerketai) angenommen, dessen kommunaler Mittelpunkt natürlich auch räumlich von der Niederlassung und Stadt der griechischen Kaufleute verschieden war und fortbestand, während diese schnell wieder verfiel. Dann mochte Artemidor leicht genug die ihm bekannte Entfernung von S. bis zum Barbarendorf Bata auch auf den verlassenen Hafen beziehen. Es ist ferner zu beachten, [1624] daß Plinius und Arrian die Zemesbucht als den ,Heiligen Hafen‘ aufführen und das Dorf Bata überhaupt nicht nennen; das scheint gleichfalls anzudeuten, daß dieses eben nicht an der Bucht selber gelegen war.

Den Periplus vom oppidum Hieron (so wohl ungenau anstatt portus Hieros!) bis Sindica civitas berechnet Plin. n. h. VI 17 auf 67,5 Meilen oder 540 Stadien, die auf das genaueste der Küstenlänge zwischen dem inneren Winkel der Zemesbucht und dem von uns angenommenen Punkt der Kisiltaš-Nehrung entsprechen. Wenn Plinius im selben Zusammenhang vom Secheriesflusse ad Bospori introitum 881/2 Meilen oder 708 Stadien zählt (die Summe der Artemidorischen Maße zwischen S. und nördlichem Bosporuseingang beträgt 400 Stadien), so stimmt auch diese Zahl mit der Wirklichkeit überein, vorausgesetzt, daß der introitus von der Maiotis her bezeichnet werden sollte. Der Secheries ist, wie Karl Müller trefflich gesehen hat, der in die Abraubucht mündende Küstenbach Ozerieh. Die Plinianischen Zahlenangaben scheinen einer älteren Quelle anzugehören, weil sie nicht mit der jüngeren, von Theophanes eingeführten Reihenfolge der pontischen Völkerschaften, sondern mit der Artemidorischen verbunden auftreten (s. u.). Es ist natürlich kein Zufall, daß die von Plinius überlieferte Entfernung zwischen dem Heiligen Hafen und S. und Artemidors Messung vom Bosporusausgang bis zum Sindischen Hafen denselben Punkt der Nehrung treffen. Die Stelle der alten Stadt wird dadurch auf das sicherste nahe am Ausfluß des Kubanlimans bestimmt, – wenigstens für die Zeit Artemidors und die ihm voraufgehenden Jahrhunderte.

Wir haben aber noch andere und deutlich neuere Zahlen für die Südküste der sindischen Halbinsel in dem von Arrian teilweise nach eigener Reiseerfahrung zusammengestellten Periplus des Schwarzen Meeres 29 (die Zahlen des Anonymos FHG V 183 § 26, stimmen mit denen Arrians bis auf je 10 Stadien überein, bestätigen also die Richtigkeit jener, aus denen sie abgeleitet sein mögen): ἱερὸς λιμήν–Sindike (nicht S.–λιμήν !) = 300 Stadien, Sindike-Pantikapaion = 540 Stadien. Die Summe von 840 Stadien kommt der wirklichen Distanz zwischen Kertsch und Zemesbucht ganz nahe, die Einzelzahlen sind also richtig und fixieren die Lage Sindikes bei Anapa. Daraus folgt, daß dieses Sindike und S. voneinander verschieden sind. Die von Arrian gegebene abweichende Namensform, der das dem Sindischen Hafen organisch verbundene Beiwort fehlt, ist nicht zufällig und willkürlich, sie ist authentisch. Die Femininendung Sindike bringt auch der Anonymos, aber er verwechselt den so benannten Ort mit S., dessen Kenntnis er aus älteren Quellen, besonders aus dem namenlosen geographischen Gedicht schöpft, und fügt dann hinzu: ἤτοι Σ. λ., in meiner Zeit Eudusia (zu verbessern nach Prokop in Eulysia). Ebenso nicht S., sondern Sindicae oder Sindece auf der Tab. Peut. und im Geogr. Rav. 77 und 368; und schon bei Plinius finden wir Sindica civitas, obwohl seine, einer älteren Quelle angehörigen Zahlen auf S. zielen. Mela nennt die sindische Barbarenstadt Sindos. Der Anonymos (FHG V 182 § 23. 25) [1625] ist der einzige antike Geograph, der eine klare Vorstellung der Konfiguration der dem Schwarzen Meer zugekehrten Seite der sindischen Halbinsel besitzt; er kennt und beschreibt genau die Lage des Kisiltaš-Limans, der Korokondamitis λίμνη. Den Periplus von Sindike zur Einfahrt und von dieser innerhalb des Limans bis Hermonassa am Ostufer bemißt er auf 440 Stadien: auch diese Zahl beweist, daß Sindike nicht die alte hellenische Kolonie S. auf der Kisiltaš-Nehrung ist. Wohl aber paßt die Entfernung sehr gut auf Anapa. Somit kommen wir auch auf diesem Wege zu der sicheren Erkenntnis, daß die Ptolemaioskarte richtig zwischen S. und der κώμη Sinda unterscheidet, die in den übrigen geographischen Quellen gewöhnlich Sindike heißt. Auch der von der Karte auf 200 Stadien bemessene Abstand zwischen beiden Orten nähert sich durchaus der Wirklichkeit. So verzerrt und falsch das Gesamtbild der sindischen Halbinsel in der kartographischen Wiedergabe des Ptolemaiosatlasses ausgefallen ist, die einzelnen Distanzen spiegeln doch das teilweise auch uns noch erreichbare Quellenmaterial zurück. Wir sahen, wie der Anonymos einen Periplus von 440 Stadien zwischen Sindike und Hermonassa rechnet; Marinos und Ptolemaios vermochten allerdings nicht zu erkennen, daß diese Zahl für die kartographische Zeichnung mindestens auf die Hälfte reduziert werden müßte, weil sie die Länge der Kisiltaš-Nehrung zweimal enthält, einmal an der Südseite gegen das offene Meer und das andere Mal an der entgegengesetzten inneren Küste gemessen, aber sie haben sie doch benützt und auf eine gerade Küstenstrecke bezogen, die sich in solcher Ausdehnung zwischen Sinda und Hermonassa hinziehen sollte. Das Dorf Korokondame ist auf der Ptolemaioskarte 250 Stadien von Hermonassa nach Westen entfernt; auch darin spiegelt sich die Wirklichkeit insofern, als dieses Maß dem Längendurchmesser des Kubanlimans zwischen der Einfahrt und dem Ostende, an dem Hermonassa lag, entspricht. Aber zugleich wird Korokondame unter dem Einfluß Artemidors an das südliche Ende der Kertscher Straße verlegt.

Knüpfen wir an dem Ausgangspunkt dieser Untersuchung wieder an, so kann nunmehr kein Zweifel obwalten, daß jenes in Anapa zu lokalisierende Dorf Sinda des Ptolemaios und Arrians Sindike eben der einheimischen sindischen civitas entsprechen, deren Vorhandensein wir auf Grund der Münzprägung schon für das 5. Jhdt. voraussetzen müssen. Diesem der geographischen Überlieferung abgewonnenen Bilde eine überraschende Kehrseite zu geben und eine verlorene Notiz jener zu bestätigen und gleichzeitig zu berichtigen, reden in Anapa die Steine. Das russische Städtchen hat uns intra terram und als Bausteine der türkischen Festungsmauer eine von Jahr zu Jahr sich mehrende Fülle griechischer Inschriften der Kaiserzeit geschenkt. Von 1894–1900 sind so mehrere Bruchstücke einer beschriebenen Marmortafel gefunden worden, deren eines den Stadtnamen Γοργι[π]πία enthält: folglich lag aller Wahrscheinlichkeit nach G. an der Stelle von Anapa und ist wirklich identisch mit der sindischen civitas, wie Stephanos in manchen seiner [1626] geographischen oder historischen Quellen angegeben fand, nur daß er unaufmerksam Sindike mit S. verwechselte. Die Inschrift ist in Latyschews Inscript. ant. orae sept. Pont. Euxin. IV 245f. publiziert. Über Anapa = Gorgippia vgl. Latyschews darauf bezüglichen Aufsatz, jetzt in seinen gesammelten, russisch geschriebenen Abhandlungen mit dem Titel Pontika (Petersburg 1909) 279. 283. Die Inschrift zeigt, daß die textliche Überlieferung bei Stephanos s. v. nicht mit Dindorf und Meineke in Gorgippeia korrigiert werden darf; die Münzen schreiben allerdings Γοργιππέων (Eckhel II 339 und Head HN 422). Wann hat aber die sindische Civitas den Namen G. geführt? Boeckh (CIG II 92. 99) trug kein Bedenken, den Schwiegervater des bosporanischen Königs Pairysades I., Gorgippos, den man aus Inschriften kennt, zum Oikisten von G. zu proklamieren. Wahrscheinlich meint diesen G. auch Deinarchos in seiner Rede gegen Demosthenes 43. Dagegen hat Boeckh mit Unrecht auch den von Polyaen (VIII 55) Genannten mit jenem zu einer Person verschmolzen. Dieser ist unbedingt älter und war ein Sohn Satyros I. (um 400), wenn auch nicht sein Nachfolger, wie Polyaen wohl irrtümlich berichtet, da G. in der durch Diodor erhaltenen Regentenliste der Spartokiden fehlt. Indessen vereitelt die Abwesenheit einer Kolonie G. in der revidierten kindischen Städteliste des Skylax sicher genug einen etwaigen Versuch, die Stadtgründung jenem älteren Gorgippos zuzuschreiben. Aber auch gegen Boeckhs Kandidaten spricht alles, was wir über G. feststellen können. Die Stadtmünzen sind nicht älter als das Ende des 1. Jhdts. v. Chr.; und für dieselbe Zeit nennt und kennt in der geographischen Literatur als erster und außer Stephanos einziger Strabon (495) Gorgipia: ἔστι δὲ καὶ Γ. ἐν [δὲ] τῇ Σινδικῇ, τὸ βασίλειον τῶν Σινδων πλησίον θαλάττης. Hier wird ausdrücklich nur die Lage der Stadt nahe am Meer hervorgehoben, G. hatte also keinen Hafen, sondern höchstens eine offene Rhede und ist darum unbedingt verschieden von S. λιμήν. Es ist außerdem der politische Mittelpunkt des sindischen Gemeinwesens und die Residenz eines einheimischen Königs. Solche haben die Spartokiden, wenn sie seit Leukon I. in ihrem offiziellen Titel auch König der Sinden, Maiten usw. heißen, offenbar nicht mehr unter sich geduldet; Strabons Notiz gilt also nicht für das 4. und 3. Jhdt. Anderseits kann G. im 5. Jhdt. wohl nicht bestanden haben, weil es dann in dem älteren Periplus aufgeführt gewesen oder von Skylax nachgetragen worden sein müßte. Quellenkritisch gibt sich die Notiz über G. ganz klar zu erkennen als Einschub in den Küstenperiplus Artemidors, den Strabon seiner Periegese als Leitfaden zugrunde legt. C. 496 Ende wird Artemidors Vermessung der sindischen Küste vom Ausgang des Bosporus an im Zusammenhang wiederaufgenommen; auf Korokondame folgt S. und dann Bata: also hatte der ephesische Geograph weder ein Sindike noch ein G. aufgeführt. Das erstere konnte neben S. leicht übergangen oder übersehen werden, G. schwerlich. Wir haben alles Recht zu glauben, daß im 2. Jhdt. Name und Seegeltung G.s noch nicht bestanden, [1627] sie sind jünger als Artemidor. Wir können außerdem nachweisen, aus welcher Quelle Strabon die Kenntnis G.s geschöpft hat, und wer den Namen zuerst erwähnte. In der ethnographischen Einteilung der pontischen Nordostküste lesen wir 495 Ende: μετὰ δὲ Σινδικὴν καὶ τὴν Γοργιπίαν (Karl Müller will hier umstellen τὴν καὶ: das würde dann ein zweites wertvolles Zeugnis für die Identität beider Orte sein und ein sehr wertvolles für die gesonderte sindische Civitas!) ἐπὶ τῇ θαλάττῃ ἡ τῶν Ἀχαιῶν καὶ Ζυγῶν καὶ Ἡνιόχων παραλία, τὸ πλέον ἀλίμενος καὶ ὀρεινή, τοῦ Καύκασου μέρος οὖσα. Diese Reihe, die auf die Sinder ostwärts die Achaier folgen läßt, weicht ab von der älteren, wie sie zuletzt Artemidor beschrieben hat: Sinder, Kerketai, Achaier, Heniochoi (Strab. 496 Ende). Außerdem endete für Artemidor das sindische Territorium bei Bata an der Zemesbucht, während die zweite Quelle Strabons das Küstenstück unmittelbar östlich von G. schon den Achaiern zuweist (so schreibt auch die Tab. Peut. genau über Sindicae Achei, und der Geogr. Rav. nennt zweimal (77. 368) neben Sindece Acheon!). Strabon hat die Differenz wohl erkannt und fügt hinzu, daß οἱ Μιθριδατικὰ συγγράψαντες οἷς μᾶλλον προσεκτέον nach den Sindern zuerst die Achaier, dann die Zygoi, dann die Heniochoi und dann die Kerketai aufzählon. Der Geschichtschreiber des Pompeius und Mithradates war Theophanes von Mytilene; Strabon schätzte ihn hoch und hat sein Werk, wie die pontische Völkerliste beweist, auch 495 zur Ergänzung der Artemidorischen Länderbeschreibung ausgenützt. Folglich stammt sein Wissen über G. aus Theophanes, dessen Geschichte vor 63 veröffentlicht wurde. Dieser ist es, der die Stadt zuerst erwähnt hat, sie ist wahrscheinlich zwischen Artemidor und Theophanes gegründet worden, oder besser, damals hat der Sindervorort Sinda den Namen G. angenommen, wohl nach einem König Gorgippos, der dem skythischen, längst hellenisierten Stamm nach der langdauernden unmittelbaren Zugehörigkeit zum bosporanischen Territorium wieder eine gewisse Selbständigkeit gewann. Unter Mithradates Eupator war das sehr wohl möglich; damals mag es zuerst wieder einheimische sindische Könige gegeben haben, die in der alten, immer mehr einer griechischen Stadt gleichenden Civitas bei Anapa residierten.

Uns ist freilich jeder genauere Einblick in die Geschichte dieser Könige versagt; wir wissen darum nicht, seit wann sich die Stadt der völligen Freiheit und Unabhängigkeit von der bosporanischen Herrschaft erfreute, in der wir sie Jahrzehnte später zur Zeit der pontischen Wirksamkeit Agrippas finden. Damals versucht der bosporanische König Polemon I. mit List und Gewalt G. zurückzuerobern, fällt aber in die Hand seiner Gegner und wird hingerichtet. Strabon, der das berichtet (495), nennt als Feinde Polemons und Herren G.s merkwürdigerweise nicht die Sinder, sondern die bei ihm zuerst auftretenden Aspurgianoi, μεταξὺ Φαναγορείας οἰκοῦντες καὶ Γ. ἐν πεντακοσίοις σταδίοις. Die Distanz gilt offenbar für einen Landweg, der, die beiden Städte verbindend, im Norden das Kubanliman umging; sie läßt sich mit der Ansetzung G.s in [1628] Anapa sehr wohl vereinigen. Wir sehen, diese Aspurgianoi hatten das gesamte sindische Territorium inne; waren sie vor kurzem erobernd hier eingedrungen? hatten sie die alten Bewohner unterworfen? Strabon führt beide als Stämme der Maioten auf, ohne sich um die geographische Schwierigkeit zu kümmern, wie zwei verschiedene Völkerschaften genau denselben Landstrich bewohnen können. Er bricht die längere, aus irgendwelcher Quelle exzerpierte Liste der maiotischen Stämme mit der Bemerkung ἄλλοι πλείους ab, um dann fortzufahren: τούτων (nämlich Stämmen) δ' εἰσὶ καί οἱ Ἀσπουργιανοί usw. Diese Anknüpfung zeigt, daß in der Aufzählung jener Quelle die Aspurgianoi noch nicht genannt waren. Erst Strabon trägt sie nach, wohl aus eigener Kenntnis der Tagesereignisse, die jene in den Gesichtskreis der römisch-griechischen Welt gebracht hatten. Über ihre Sitze orientierte er sich in einem offenbar zeitgenössischen geographischen Werke, wie die beigefügte, die Ausdehnung ihres Territoriums genau bestimmende Stadienzahl verrät; er fand sie dort stillschweigend an Stelle der Sinder eingesetzt. Als Quelle kommt wohl nur Agrippas Karte der Porticus Vipsania in Betracht; die Benutzung der Vermessung der Landstraße zwischen G. und Phanagoreia deutet direkt auf sie hin. Sie ist dann auch von Ptolemaios und dem Bearbeiter der Tab. Peut. benützt worden, die beide, wie Strabon, einen Volksstamm der Aspurgianoi verzeichnen. Ptolemaios setzt sie zwar an den Ostrand der Maiotis, aber zwischen die Städte Tyrambe und Gerusa, die in Wirklichkeit noch zur sindischen Halbinsel gehörten; mit ihnen also auch die Aspurgianoi. Läge in der ethnischen Bestimmung der Aspurgianoi ein Irrtum vor, so müßte er schon von der gemeinsamen Quelle, also von Agrippa, begangen worden sein. Da dieser persönlich am Bosporus tätig war, ist ein solcher Irrtum sehr unwahrscheinlich, und mit ihm fällt die neuerdings vertretene Hypothese (s. o. Bd. III S. 779), daß die Aspurgianoi kein Volksstamm, sondern die Parteigänger des Aspurgos seien, dessen Herrschaft über den Bosporus für die letzten Jahre des Augustus und unter Tiberius gesichert ist. Die Ableitung des Personennamens Aspurgos von dem Ethnikon ist im skythischen Gebiete zumindest nicht selten; vgl. Sauromates, Skythes. Auf den Inschriften nennt Aspurgos seinen Vater Asandrochos: diesen mit dem bosporanischen König Asander gleichzustellen, haben wir bei der Differenz der Namen das allergeringste Recht. Wenn dem Asandrochos der Königstitel beigelegt wird, so war er offenbar König der Aspurgianoi, nicht des Bosporus, und residierte in G. Wir dürfen in ihm gewiß jenen Herrscher erkennen, den Polemon I. unterwerfen wollte und dem er selber unterlag. Aspurgos wurde sein Nachfolger auf der sindischen Halbinsel und in G. und eroberte später von hier aus den ganzen Bosporus. Von wo die Aspurgianoi gekommen waren, scheint bei dem Mangel jeglichen Materials eine müßige Frage. Das Ethnikon gibt sich als nicht-skythische Bildung; in Germanien vergleichen sich die Nertereanoi (Ptolem. II 11, 11) der Endung nach, in der Stammsilbe die Visburgioi (Ptolem. II 11, 11), die nördlich vom Riesengebirge [1629] zu suchen sind, und die noch weiter nach Osten wohnenden Burgiones; das Riesengebirge heißt Askiburgion (Ptolem. II 11, 5) und ebenso ein Ort am Rhein; sollten die Aspurgianoi in Südrußland ein versprengter germanischer Stamm gewesen sein, wie die Bastarnen, – die ersten Vorläufer der Krimgoten?

Woher sie aber auch gekommen waren, jedenfalls erfreute sich unter den neuen Herren G.-Sindike einer unzweifelhaften Blüte. Die Bedeutung und Seegeltung der Stadt bezeugt auf den Münzen die prora, ihren hellenistischen Charakter dokumentieren die Inschriften. Plinius kennt sie als civitas Sindica und überträgt die für den Sindischen Hafen geltenden Zahlen des Küstenperiplus, die er in älteren Quellen fand, unbedenklich auf sie. Das scheint dafür zu sprechen, daß damals die griechische Kolonie S. nicht bloß nicht von G. überflügelt worden war, sondern überhaupt nicht mehr bestand und vielleicht schon seit längerer Zeit verfallen oder zerstört lag. Ganz sicher fand es weniger als ein halbes Jahrhundert später Arrian bei seinem Besuche der sindischen Küste nicht mehr. Er sah nur die Stadt Sindike und legte auf ihrer Rhede an. Wenn dagegen Marinos-Ptolemaios für annähernd denselben Zeitraum sowohl den Sindischen Hafen wie Sinda auf ihren Karten eintragen, so zeigt schon die Bezeichnung der letzteren als κώμη, daß jene, ohne Kenntnis der gegenwärtigen Zustände, längst veraltete Quellen verarbeitet haben. In einem Punkt kam ihnen ihre Unkenntnis freilich zustatten. Wir sahen, daß eigentlich nur Strabon aus gewissen geographischen und historischen Quellen von der Stadt G. wußte; sonst ist der neue Name der alten sindischen civitas so gut wie allen verborgen geblieben. Er hat sich ganz deutlich auf die Dauer nicht einbürgern können; Arrian hört ihn nicht mehr an Ort und Stelle, und wenn Mela nur von der Sinderstadt Sindos, Plinius nur von der Sindica civitas sprechen, so war der Name G. anscheinend schon damals verschwunden. Wahrscheinlich hatte neben ihm Sindike immer Geltung behalten und verdrängte den neuen Namen bald wieder völlig, so daß er kaum viel länger als ein Jahrhundert bestanden hat. Der späte Anonymos kennt und nennt noch Sindike, aber er fügt hinzu, daß es in seiner Zeit vielmehr Eulysia heiße. Es war im 6. Jhdt. noch immer in Blüte und Hauptstadt und Hauptrhede des hunnischen Königreichs Eulysia, das von der Tanaismündung bis zu den Kubanlagunen reichte. Ähnlich hatte Jahrhunderte früher Sindike zugleich das Territorium der Sinder und ihre Stadt bezeichnet. Dann lag die Stadt wüst, bis Ende des 18. Jhdts. die Türken eine Grenzfestung gegen die Russen hier erbauten und nach Vertreibung jener diese neben der Burg eine neue Stadt anlegten. Anapa, das nun ganz neuerdings einigen Aufschwung nehmend von ferne an die uralte Vergangenheit erinnert.