RE:Idomeneus 1
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Kretischer König | |||
Band IX,1 (1914) S. 906–909 | |||
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Idomeneus (Ἰδομενεύς, –έως, ep. –ῆως). Eine sichere Etymologie des Namens fehlt. Fick Personennamen² 393 leitet es von *εἰδο = schwellen ab, Kretschmer Die griech.Vaseninschriften 238, 173 denkt an Ida = der Mann vom Idagebirge, Gruppe Griech. Mythol. = Handb. d. klass. Alt.-Wiss. V 2, 884, 2 an Δαμναμενεύς; zur Wortform und der Schreibart des Namens in den griechischen Dialekten vgl. Serv. Aen. III 122 und Ahrens De Graecae linguae dialectis II 237, 6. Träger dieses Namens sind:
1) Der kretische König I., ein Abkömmling des Zeus, Enkel des Minos und Sohn des Deukalion. Seinen Stammbaum nennt er dem Deiphobos Il. XIII 449ff., vgl. dazu Od. XIX 178ff. und Il. XII 117. XIII 307. XVII 608 (Δευκαλίδης), ferner Lycophr. Alex. 431. Apollodor. bibl. III 3, 1. Schol. Od. XIII 259. Eustath. zu Il. II 649 p. 314, 24. Tzetz. Lycophr. Alex. 431. Dyctis I 1. Mütterlicherseits stammt er durch Pasiphae von Helios ab, daher wird ihm später als Wappen der Hahn gegeben, Paus. V 25, 5. Bei Homer ist er der Herrscher von ganz Kreta, der Gebieter von hundert Städten (Κρητῶν βουληφόρος Il. XIII 219. 255; Κρητῶν ἀγός Il. ΧΙΙΙ 221. 259. 274), von denen Il. II 645 besonders Knosos, Gortys, Lyktos, Milet, Lykastos, Phaistos und Rhytios genannt werden. Mit 80 Schiffen (Il. II 651, nach Apollod. ep. 3, 13 und Hygin. fab. 97 waren es nur 40 Schiffe) hat er an dem Zug gegen Troia sich beteiligt. Darum ist er besonders geehrt von Agamemnon, der dies IV 256ff. ausdrücklich hervorhebt; bereits vor dem Kriege stand er mit den Atriden in enger Beziehung, bei der Mauerschau erkennt ihn Helena als alten Gastfreund des Menelaos, III 230. Er ist bereits ein älterer Mann, μεσαιπόλιος heißt er XIII 361; auf sein Alter wird öfters angespielt, so bedauert er dem Aeneas gegenüber, daß ihm die Jugendfrische fehlt, um entsprechend Widerstand leisten zu können, XIII 485. 512; sein Alter entschuldigt XVII 620 seinen Rückzug vor Hektor, und bei der Leichenfeier für Patroklos beschimpft ihn Aias als senilen, halb blinden Schwätzer, XXIII 474ff. Auch bei Quintus Smyrnaeus erscheint er als älterer Held, der durch sein Alter allen Ehrfurcht einflößt: IV 288. Seinen Sohn Orsilochos nennt Odysseus Od. XIII 260, seine Frau Meda sowie seine weiteren Kinder Kleisithera, Iphiklos und Leukos werden von Späteren erwähnt: Lykophr. Alex. 1221ff. Apollod. ep. 6, 9. Tzetz. Lykophr. 384. 1218. Als sein treuer Freund, Waffengefährte und Mitfeldherr wird besonders Meriones hervorgehoben: Il. II 651. IV 254. VII 165. XIII 249. 345. XXIII 528. 860. Apollod. Bibl. III 3, 1 Hyg. fab. 97. Seine Kraft und Tapferkeit wird wiederholt in der Ilias hervorgehoben; wie ein Gott überragt er seine Gefährten III 230, er und Meriones gleichen dem Ares und Phobos, wie sie zum Kampfe dahinstürmen, XIII 298f., vgl XI 501. Mit Rücksicht auf sein Alter erhält I. den Vergleich [907] mit einem Eber, der tapfer und mit schwerfälliger, aber ungelenker Wucht den Gegner anfällt, XIII 470. IV 253; weiter gleicht er dem Blitze aus der Hand des Kronos, XIII 242ff. 330. Ob seiner Schönheit wird er später unter die Freier der Helena gerechnet: Hyg. fab. 81. 270; auch seine geistigen Gaben werden gerühmt und durch die Epitheta δαίφρων (IV 252), ἀγουός (XII 117), Κρητῶν βουληφόρος (XIII 255) hervorgehoben, sowie durch die ehrenden Worte Agamemnons, IV 257ff. (diese Stelle bei Athen. I 13 f. Lucian. paras. 44 erwähnt, um I. als Parasiten hinzustellen). Seine Aristie ist XIII 361–454 geschildert; eingeleitet ist dieselbe durch eine Aufforderung Poseidons (206ff.) und eine lange Unterredung mit Meriones. Beide kämpfen auf der linken Seite der Griechen; der Kampf schließt damit, daß er vier Feinde, Asios (383ff., vgl. XII 116). Othryoneus (363ff.), Alkathoos (427ff.) und Oinomaos (506f.) erschlägt, aber vor Deiphobos und Aeneas zurückweicht. Weiter erlegt er den Phaistos (V 43) und Erymas (XVI 345); nach Hyg. fab. 114 hat er im ganzen 18 Feinde getötet, er selbst rühmt XIII 260, daß er zahlreiche (21) Speere und außerdem Schilde, Helme und Panzer in seinem Zelte hat, die er von erschlagenen Troern erbeutet hat. Besonders hervorgehoben wird sein Kampf mit Deiphobos (XIII 402ff. 445ff.), Aeneas (XIII 477ff.) und mit Hektor (XVII 605ff.), und er gehört zu den neun Helden, die um den Kampf mit Hektor das Los werfen (VII 165). Obwohl er Roß und Wagen besitzt, nimmt er meist zu Fuß am Kampfe teil, seine furchtbare Waffe, die den Feind zerschmettert, ist der kretische Speer, daher das Beiwort δουρύκλυτος; (II 645. V 45. XIII 210. 467. 476); wie Meriones, so versteht es auch I., im Sprunge denselben aus dem Leichnam wieder an sich zu reißen (XIII 509. 531. 574). Bei Quintus von Smyrna spielt er ob seiner Tapferkeit auch eine hervorragende Rolle, er tötet die Bremusa (I 247), kommt im kritischen Moment zur Hilfe (VI 539), erschlägt den Mimas (XIII 212), besteigt mit dem anderen Helden das hölzerne Pferd (XII 320) und siegt bei den Leichenspielen des Achill im Faustkampfe (IV 284ff.). Hier ist er auch als Schiedsrichter in dem Streite zwischen Aias und Odysseus um die Waffen des Achill genannt V 134ff.; hervorgehoben wird V 350 der Wein, den die Schiffer des I. von Kreta herbeigebracht haben. Bei Diktys tötet er den Thrakerkönig Acamas (III 4), die Priamossöhne Bias und Corythos (IV 7), von seiner Verwundung wird III 14 gesprochen. Mit Nestor ist er der Schiedsrichter bei der Beuteverteilung (II 19), ferner gehört er zu den zehn Friedensunterhändlern, die nach Troia gehen (V 10), ihm wird in Aulis vorübergehend der Oberbefehl übertragen mit drei anderen Edlen (I 19) und der dritte Preis zugesprochen bei der Leichenfeier für Patroklos (III 19). Während seines Aufenthaltes in Korinth wird ihm Orest anvertraut (VI 2), auch später noch weiß er ihn vor den Nachstellungen des Menelaos zu bewahren (VI 4).
Bei Homer kehrt er mit sämtlichen Genossen, die ihm der Krieg gelassen hatte, nach Kreta zurück, auch nicht einen entriß das Meer ihm, heißt es Od. III 191. Im Einklang damit steht der Bericht des Diktys, daß er dort zu der Zeit der [908] Heimkehr des Odyseeus starb (VI 6), und Diodor überliefert, daß er in Kreta begraben wurde und göttliche Ehren erhielt. Sein Grab in Knosos sowie eine Grabinschrift erwähnt er ausdrücklich V 74, 4. Er fügt noch hinzu, daß er und Meriones von den Kretern als Heroen verehrt wurden, Opfer erhielten und in Kriegsgefahr als Helfer angerufen wurden. Darauf wird auch in der Grabschrift des Thrasymachos von Knossos angespielt: Doublet Bull. hell. 1889, 59ff. nr. 5 v. 9–10. Drexler in Roschers Mythol. Lex. II 1, 108, 44.
Eine Reihe von Berichten zweigen von dieser homerischen Schilderung ab. Sein Charakter wird entsprechend dem Sprichwort Κρῆτες ἀεὶ ψεῦσται gefärbt und die Veranlassung des Sprichworts ihm selbst zugeschrieben. Bei Zenob. Cent. IV 62 und im Scholion zu Callimach. hymn. I 8f. wird dasselbe davon abgeleitet, daß I. als Schiedsrichter in einem Streite um die Verteilung der Beute dieses Amt mißbraucht und statt den Fürsten sich selbst das Beste zugesprochen habe. Dagegen leitete Athenodor von Eretria nach Ptolem. Heph. nov. hist. V p. 27 Bekker das Sprichwort aus seinem Schiedsspruche her, den er bei einer Schönheitskonkurrenz zwischen Thetis und Medea gefällt habe. Danach habe I. der Thetis den Sieg zuerkannt, Medea habe zornerfüllt das später geflügelte Wort von der Lügenhaftigkeit der Kreter ausgesprochen: καὶ ἐπαράσασθαι αὐτῷ μηδέποτε ἀλήθειαν εἰπεῖν, ὥσπερ ἐπὶ τῆς κρίσεως ἐποίησε. Auch bei Philostrat. kommt I. in einer in der Literatur isoliert stehenden Erzählung schlecht weg. Er läßt Her. VIII p. 705 den Protesilaos von I. berichten, daß er nach Aulis, wo die Griechen zur Abfahrt nach Troia standen, eine Gesandtschaft geschickt und seine Bundesgenossenschaft zugesagt habe, falls er mit Agamemnon das Kommando führen werde. Der Gesandte habe prahlerisch in der Versammlung betont, I. biete 100 Städte zum Kriege auf, sodaß Troia spielend genommen werden könne. Durch Aias bekommt er aber die sarkastisch gefärbte Abweisung: τοιοῦτοι γὰρ ἐσμὲν τὰς ἀρετάς οἷοι Τροίαν μὲν ἐσπουδακότες λαβεῖν, Κρήτην δὲ παίζοντες.
Der Umstand, daß in der Ilias I. der Herr von 100, in der Odyssee aber von 90 Städten genannt wird, hat den Anlaß zu den nachhomerischen Sagen gegeben, daß er nach seiner Heimkehr vertrieben und 10 Städte in Kreta von seinen Feinden zerstört wurden. Man brachte dies mit der Naupliossage in Zusammenhang und erzählte, daß dieser den Leukos zum Ehebruche mit Meda, der Frau des I., verleitet habe. Diese wurde mit ihrer Tochter Kleisithera in dem Tempel, in den sie vor ihm geflohen waren, erschlagen. Weiter zerstörte er 10 Städte, tötete die beiden Söhne des I. und herrschte über Kreta. Den heimkehrenden König vertrieb er entweder sofort bei der Landung oder nach anderen aus der Stadt Blanda: Lykophr. Alex. 1216. Apollod. ep. 6, 9. Strabo X 479 und 480. Verg. Aen. III 121. V 264. Schol. Odyss. XIX 174. Eustath. zu dieser Stelle p. 1860, 57. Tzetz. Lykophr. 384. 431 (hier wird statt Leukos Amykos genannt). 1093. 1218. 1222. Andere brachten das Jephthamotiv in diesen Sagenkreis [909] und ließen den I. bei einem Sturme dem Poseidon als Opfer geloben, was ihm bei der Landung zuerst begegnen werde. Das war sein Sohn; das Opfer wurde vollzogen, und darum wurde er wegen seiner Grausamkeit vertrieben; nach anderen brach er das Gelübde, der Gott schickte die Pest, und I. wurde wegen seiner Gottlosigkeit verjagt: Serv. Aen. XI 264. III 121.
Seine Flucht wurde mit religionsgeschichtlichen Faktoren und historischen Vorgängen in Zusammenhang gebracht; vgl. Höck Kreta II 390. Klausen Aeneas und die Penaten I 433ff. O. Müller Die Dorier I² 216ff. Weizsäcker Rosch. Myth. Lex. II 1, 107. Gruppe Hdb. d. kl. Aw. V 2, 270. 360. 641ff. So wurde erzählt, daß er nach Italien gekommen sei und sich in dem Gebiete der Sallentiner mit seinen Leuten niedergelassen habe, Verg. Aen. III 400. Hier soll er nach dem Interpreten des Serv. zu Verg. Aen. III 531 den Tempel Castrum Minervae, nach Probus zu Verg. Ecl. VI 31, 14 Keil mehrere Städte, darunter Uria und Castrum Minervae gegründet haben. Nach dem Interpreten des Servius a. O. verließ er später dieses Gebiet und siedelte sich in Kleinasien, nach anderen am Heiligtume des klarischen Apollon an; auch der Scholiast zu Od. XIII 259 berichtet dies, fügt aber hinzu, daß er: γενομένου τοῦ κατ’ Εὔβοιαν χειμῶνος ὑπὸ τῆς Ἀθηνᾶς ὤκειλε μετὰ τοῦ Κάλχαντος καὶ Σθενέλου εἰς Κολοφῶντα καὶ ἐνταῦθα τὸν βίον κατέστρεψε. Daß dieser Bericht auf einer irrtümlichen Interpretation beruht, die der Scholiast den Versen von Lykophrons Alex. 424–433 angedeihen ließ, hat v. Holzinger in seinem Kommentar zu v. 431 p. 235 dargetan. Nach Lykophr. Alex. 424ff. waren in den Talschluchten des Kerkaphos nahe bei dem Hales die Gräber des Kalchas, I. und Sthenelos. Die Sage enthält wohl eine Reminiszenz an die Verbreitung kretischer Kultur und Religion nach Osten; vgl. O. Müller a. O. I 216ff. Weizsäcker a. O. 107. Gruppe a. O. 641f.
Berühmt war die Statue, welche Onatas von ihm im 5. Jhdt. in Olympia aufgestellt hatte. Das Motiv dazu scheint er der Szene Il. VII 161 entnommen zu haben; vgl. Paus. V 25, 5. Furtwängler Arch. Ztg. XXXVII 44, 3. Curtius-Adler Olympia, Textb. II 146. Ferner war er auf Tabula Iliaca mit Meriones dargestellt in dem Moment, da er den Othryoneus erlegt hat, v. Jahn Gr. Bilderchron. Taf. I. Weizsäcker a. O. 107.