ADB:Morhof, Daniel Georg
Tscherning und Lauremberg gefördert, mit Röling befreundet. Als Tscherning 1660 starb, erhielt in Folge eines scherzhaften lateinischen Gedichtes der 21jährige M. seine Professur der Poesie. Kurz zuvor erst hatte er zugleich mit Röling den Magistergrad erworben; Röling folgte noch im gleichen Jahre in Königsberg dem Simon Dach in der Professur der Poesie. M. machte inzwischen vor dem Antritt seiner Professur eine einjährige Reise durch die Niederlande und England, erwarb auch am 26. Sept. 1661 zu Franeker den juristischen Doctorgrad. 1665 bei der Gründung der Kieler Universität ward er dorthin als Professor der Eloquenz und der Poesie berufen. Schon 1669 bekleidete er das Rectorat (wie später 1677, 1685. 1690). Im Sommer 1670 trat er eine zweite wissenschaftliche Reise nach den Niederlanden und England an, auf der er mit Grävius, Kerckring, Swammerdamm, Gronov, Franz Junius, Gude, Rob. Boyle, Isaac Voß und vielen andern hervorragenden Gelehrten Freundschaft schloß. 1671 zurückgekehrt, heirathete er Margaretha, die Tochter des Lübecker Senators (späteren Bürgermeisters) von Degingk; sie starb schon 1687, nachdem sie ihm vier Söhne geschenkt hatte, von denen zwei früh starben, zwei – Kaspar Daniel und Georg Marquard – den Vater überlebten. 1673 erhielt er neben seinen beiden Professuren auch die der Geschichte; 1674 ward ihm dazu die Abfassung der academischen Programme, 1680 auch die Leitung der Universitätsbibliothek übertragen. Allen diesen Aemtern widmete er die gewissenhafteste Pflichterfüllung, bei nicht einmal fester Gesundheit; ein Mann von trefflichem Charakter, fromm, bescheiden, heiter im Umgang mit den Freunden, allgemein verehrt von Hohen und Niederen. Es ist in der That nicht zu verwundern, daß so übermäßige geistige Anstrengungen seine Kräfte früh verzehrten. Seit 1687 begann er, tief gebeugt durch den Verlust der Gattin, ernstlicher zu erkranken. Eine Badereise nach Pyrmont brachte keine Heilung; auf der Rückreise starb er im Hause seines Schwiegervaters in Lübeck. Der Ruf und die Bewunderung seiner Schriften war über das ganze gelehrte Europa verbreitet.
Morhof: Daniel Georg M., Litterärhistoriker und Dichter, geb. zu Wismar am 6. Februar 1639 als Sohn des Joachim M., eines Notars und Stadtsecretärs; † zu Lübeck am 30. Juli 1691. Zuerst vom Vater vortrefflich unterrichtet, dann auf der Wismarschen Schule, seit 1655 auf dem Stettiner Gymnasium, bezog er 1657 die Rostocker Universität um Jura zu studiren. Schon hier aber widmete er sich universalen Studien und zugleich der Dichtkunst mit deutschen und lateinischen Gedichten, vonSeine Dichtungen und Schriften sind bei Moller (Cimbr. litt. III, 471 ff.), dem auch die obige Biographie folgt, verzeichnet; bis 1671 liegt eine Autobiographie Morhof’s zu Grunde. Einzelne lateinische Gedichte von ihm wurden schon in seinem 18. Jahr (1657) gedruckt; eine „Epigrammatum et jocorum centuria“, 1659 [237] u. s. w.; eine Gesammtausgabe erschien später „Opera poëtica latina omnia“, 1697. Auch deutsche Gedichte wurden einzeln gedruckt; diese sammelte er selbst in 3 Bücher und gab sie mit seinem „Unterricht von der Deutschen Sprache“ (1682) heraus. Er bewundert unter den deutschen Dichtern vor Allen Flemming; nähert sich selbst aber am meisten der Art Christian Weise’s, doch übertrifft er ihn an Geschmack. Besonders glücklich ist er in heiteren Dichtungen, wie er denn auch Lauremberg, dessen Einfluß er ja in Rostock erfuhr, besonders liebte. Was seine wissenschaftlichen Schriften betrifft, so übergehen wir hier die erstaunliche Masse der kleineren Arbeiten. Viele von ihnen erschienen nach seinem Tode in Gesammtausgaben: „Collegium epistolicum“, 1693 (nach einem Collegienheft nachlässig edirt; besser von Joh. Burchard May unter dem Titel: „De ratione conscribendarum epistolarum“, 1694); „Quaestiones chymicae“, 1694; „Orationes et programmata“, 1698; „Dissertationes academicae atque epistolicae“, 1699; „Liber de dilatatione et amplificatione oratoria“, 1701.
Weitaus am meisten aber trugen zu seinem Ruhm seine beiden größten Werke bei, der „Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie, deren Ursprung, Fortgang und Lehrsätze“, 1682, (2. Ausg. 1700, 3. 1718) und der „Polyhistor“. Das erste Werk, von dem Treitschke in dem unten anzuführenden Aufsatz eine eingehendere Analyse gibt, handelt im ersten Theil von Abstammung und Wesen der deutschen Sprache, im zweiten von der Geschichte der deutschen Poesie, der als Einleitung eine Uebersicht der Poesie der anderen modernen Völker vorangeschickt wird, eine für ihre Zeit an Kenntnissen und Urtheil gleich bewundernswerthe Arbeit. Im dritten Theile folgt sodann als die Hauptsache die Poetik.
Noch größeres Aufsehen als dieses Werk machte gleich beim ersten Erscheinen der „Polyhistor“. Entstanden ist er aus academischen Vorlesungen, bei denen der Verfasser ohne schriftliche Aufzeichnungen nur an der Hand der besprochenen Bücher den Stoff dictirte. Auf Grundlage eines solchen Collegienheftes arbeitete er zunächst den ersten der drei Theile des Werkes aus. Die zwei ersten Bücher erschienen 1688, das dritte gleich nach seinem Tode 1692. Diese drei ersten Bücher gab dann Muhlius 1695 nochmals heraus. M. hatte sterbend dem Verleger die Fortsetzung des Druckes gestattet, nur verboten, daß dabei Zusätze von fremder Hand gemacht würden. Unter Friedr. Ben. Carpzov’s[WS 1] Aufsicht übernahm für die weiteren 4 Bücher des ersten Theils Joh. Frick (Bd. VII, S. 379[WS 2]) diese Arbeit, allerdings nicht, ohne sich gleichwol allerlei Zusätze zu erlauben. Joh. Moller (s. o. S. 127) revidirte die tüchtige Arbeit, stellte selbst unter Zuziehung anderer Morhof’scher Schriften aus dem erwähnten Collegienheft den 2. und 3. Theil für den Druck her und so erschien mit Moller’s Prolegomena das Werk in seiner Ganzheit zum ersten Mal 1707; in 2. Ausg. 1714, in 3. mit Beigaben von Joh. Alb. Fabricius (Bd. VI, S. 518) 1632, in 4., von Schwabe besorgt, 1744.
Es ist von Wert, Ziel und Plan des zu seiner Zeit mit Recht hochbewunderten und vielbenutzten Werkes etwas näher zu betrachten. Die Einleitung läßt deutlich erkennen, daß dasselbe aus einer Reaction gegen einreißende Vernachlässigung der allgemeinen Studien zu Gunsten des Fachstudiums hervorgegangen ist. Die mittelalterlich scholastische Periode faßte das allgemeine Bildungsziel dahin, daß es die Aufgabe des wissenschaftlich Gebildeten sei, die Gesammtheit des menschlichen Wissens zu erfassen, welches sich in einer einheitlich zusammengeschlossenen Summe von Kenntnissen darstellt. Werke wie die Specula des Vincenz von Beauvais stellten diese Summe für die Zwecke des gelehrten Studiums in ihrem Zusammenhange dar. Kleinere Werke ähnlichen Geistes suchten sie sogar in populärer Form bis über die Kreise der wissenschaftlich Gebildeten hinaus zu verbreiten. Erst nach Erlangung einer solchen allgemeinen [238] Bildung mochte sich dann der Einzelne den Specialfächern der Theologie, Jurisprudenz, Medicin, Mathematik, Astronomie u. s. w. je nach seinen Bedürfnissen und Lebenszwecken zuwenden. Dies System ward zuerst durch die Humanisten unterbrochen, welche nicht nur auf einen großen Theil jenes scholastischen Unterrichtsstoffes mit Verachtung blickten, sondern auch das Bildungsergebniß dieser Studien mit Recht als ein völlig ungenügendes erkannten, deswegen also eine neue Methode mit neuen Lehrgegenständen aufbrachten. Durch die Reformation entstanden auch sonst innerhalb des Unterrichtswesens neue Gegensätze gegen das scholastische System. Zudem erforderte der herangewachsene Umfang der einzelnen Fachstudien ein anders geordnetes Verhältniß zu den allgemeinen Studien. Aus Morhof’s Einleitung können wir nun aber schließen, daß unter dieser neuen Richtung der Wissenschaftlichkeit des Studiums eine neue Gefahr zu drohen schien. Keine einzelne Wissenschaft, so argumentirt M., lasse sich allein betreiben, denn sie alle seien nur unselbständige Zweige des Wissens überhaupt, die von diesem ihrem Baume ihr Leben erhielten. Es gilt ihm auch jetzt noch nicht nur etwa für besonders begabte Köpfe, sondern für jeden wissenschaftlich Arbeitenden möglich und nothwendig, in propädeutischer Weise die Gesammtheit des menschlichen Wissens zu erfassen. Und zwar bestehe dies nicht nur darin, daß man mit dem Gedächtniß eine Masse von Kenntnissen aufnehme, sondern man müsse auch jeden einzelnen Theil des Ganzen mit selbständigem Urtheil durchdringen. Durch das Studium selbst schärfe sich die Kritik genug, um dieser scheinbar übermäßigen Aufgabe dennoch gewachsen zu sein. Jenes äußerliche Einlernen in einer encyclopädischen Uebersicht trockne dagegen den Geist nur aus und noch viel verderblicher sei das, was auf den Universitäten hie und da unter dem gleißenden Namen der „Pansophie“ getrieben werde, indem den Studenten (unter Ausschluß von den mathematischen Wissenschaften, der Rhetorik, Poetik, der Geschichte und der Naturwissenschaften) ein cursorischer Ueberblick über drei oder vier practische Disciplinen vorgetragen werde. Was M. diesem Abweg als das richtige Studienziel gegenüberstellt, bezeichnet er mit dem Namen der Polymathie, deren Frucht also der wahrhaft wissenschaftliche Polyhistor ist. Analog, so fährt er fort, sei ihr die Litterärgeschichte; diese aber von noch viel immenserem Umfange. Denn während die Polymathie nur das Resultat der Geschichte des menschlichen Wissens enthalte, habe die Litterärgeschichte auch dessen Anfänge, Fortschritte und Abwege darzustellen. Zu einem solchen Unternehmen sei wol der Gedanke gefaßt und z. B. von Baco v. Verulam ein Plan skizzirt, aber an die Ausführung habe sich noch Niemand gewagt; auch Lambeck habe es bei dem Prodromus bewenden lassen. Baco’s – für den damaligen Standpunkt der Wissenschaft allerdings sehr geistvoller Entwurf, den M. hierbei mittheilt, ließe sich eher als Entwurf einer Geschichte des menschlichen Geistes bezeichnen. Baco macht dabei den Vergleich, die bisherige Art, die Geschichte der Menschheit zu schreiben, komme ihm vor wie ein Polyphem, dem das Auge ausgestochen; die Geschichte der geistigen Entwickelung der Menschheit müsse das fehlende Organ des Lichtes darin bilden. M. dagegen hat vielmehr eine Arbeit im Auge, wie etwa später Eichhorn sie in seiner Geschichte der Litteratur geleistet hat. Darum erscheint ihm auch der von Lambeck aufgestellte Entwurf für die Ordnung einer Bibliotheca philosophica als das beste vorhandene, wenn auch noch lückenhafte Schema für eine Litterärgeschichte, wie er sie im Sinne hat. Es ist übrigens für die Unvollkommenheit des damaligen Begriffes der Geschichte sehr bezeichnend, in wie naiver Weise M. hierbei ausführt, daß nicht nur das heutige Wissen, wie es sich in der Polymathie darstellen soll, Werth habe, sondern daß auch solche (litterärgeschichtliche) Betrachtung seiner Anfänge und seines Werdens manchen Nutzen bringen könne. Man erkennt aber zugleich [239] hierbei, daß M. sich auch für seine Polymathie das Schema als dasjenige einer idealen Bibliothek denkt.
„Vor M.“, sagt Fabricius in der Vorrede der 3. Ausgabe, „waren die Gelehrten auf vier Arten verfallen, die Litterärgeschichte oder Theile derselben zu geben und etwas ausführlicher zu behandeln: eine, die man die chronologische nennen möchte, dann die lexicalisch-alphabetische … drittens die nach Sachen und Fächern geordnete, … viertens die geographische nach den verschiedenen Sprachen und Völkern. M. betrat zuerst einen fünften Weg, den kritischen, indem er es unternahm, die nach Fächern und Disciplinen geordneten Schriftsteller einem Examen zu unterwerfen und auf solche Weise die Studirenden in ihre allgemeine Kenntniß einzuführen.“
Dem entspricht es denn auch, daß er, indem das ganze Werk in drei Haupttheile, den polyhistor litterarius, philosophicus und practicus zerlegt wird, im ersten Buch des ersten Theiles, dem liber bibliothecarius nun die Bibliothekwissenschaft selbst an die Spitze stellt, anhebend mit Betrachtungen über die gelehrten und geheimen Gesellschaften, den Verkehr der Gelehrten (de conversatione eruditorum), die Schriften zur Litterärgeschichte und die damals neue Erscheinung der gelehrten Zeitschriften (in London die Schriften der Societas regia, in Paris seit 1666 das Journal des savans, in Leipzig seit 1682 unter Otto Mencke’s Leitung die Acta eruditorum). Es werden dann die bibliothekarischen Schriftsteller (daneben die vitarum autores), die Kataloge, das Fachwerk (loci communes) und die encyklopädischen Schriftsteller (voran Vincenz von Beauvais), endlich – als für die Gelehrtengeschichte wichtig – die Epistolographen abgehandelt.
Das zweite Buch (l. methodicus) wendet sich dem Unterrichtswesen zu, wobei Erasmus, Melanchthon und Joh. Sturm als die Gründer des neuen Schulwesens gepriesen, der reformatorische Einfluß der Humanisten überhaupt betont wird. Die Erörterung des Studienplans wird mit Kapiteln über die Geisteskräfte, das Urtheil, Gedächtniß etc. eingeleitet. Beachtenswerth ist, was hierbei über die ars Lulliana, die Mnemonik, über die Systeme Joh. Joach. Becher’s und des Amos Comenius, über Methode des Sprachunterrichts gesagt wird. Für die niedere Schule (das Gymnasium), welche den Knaben vom fünften oder sechsten Jahr bis zum 14. oder 15. an die Schwelle der Akademie führen solle, scheint dem Verfasser noch jetzt der Sturm’sche Schulplan mit neun einjährigen Schulklassen, den er daher ausführlich mittheilt, der beste. Derselbe ist ganz ausschließlich dem Lateinischen und Griechischen unter Heranbildung einer starken Gedächtnißkraft gewidmet; alles sonstige Stoffliche wird also an die Lectüre der Autoren geknüpft. Mathematik und Geschichte sind der Universität vorbehalten.
Diese aber, so wird nun weiter ausgeführt, soll mit den allgemeinen Studien beginnen: Eloquenz, Logik, Analytik, Hermeneutik, Arithmetik und Geometrie, und Historie: erst auf dieser Grundlage das Fachstudium sich aufbauen. Ein eigenes Kapitel wird der Erziehung der Fürsten (paedagogia regia) gewidmet, woran sich endlich sehr ausführliche Anweisungen zu Uebungen in Rede und Dichtung schließen.
Das dritte Buch (l. paraskeuasticus) beschäftigt sich weitläufig mit der nach damaliger Studienweise wichtigen Methode des Excerpirens für die verschiedenen Fächer des Wissens, mit den Beispielsammlungen in Prosa und Poesie, wobei der Verfasser als Muster ein kleines Lexicon poeticum mit Index gibt. – Buch IV (l. grammaticus) handelt darauf von der Sprache und Schrift. Bei Erörterung der Frage nach dem Ursprung der Sprache meint M.: wenn schon die Heiden die Sprache für ein Geschenk der Gottheit gehalten hätten, so stimme wol das Christenthum dem um so geneigter bei, weil auch der Mosaische Bericht [240] damit übereinzustimmen scheine. Doch habe schon unter den Kirchenvätern Gregor v. Nyssa gemeint, es sei nicht wohlgethan Gott gewissermaßen zum Grammatiker zu machen, vielmehr sei der Mensch selbst Urheber seiner Sprache, indem er aus thierartig unarticulirten Lauten mittelst wechselseitigen Consenses Bezeichnungen der Dinge gebildet habe, über die er sich mit Anderen verständigen wollte. Dies geradezu als das Richtige zu bezeichnen vermeidet M. offenbar aus Vorsicht gegenüber der Kirche oder um sonst Anstoß zu vermeiden; ein rücksichtsvolles Verfahren, wie es ihm überhaupt eigen ist. Ueber die Natur der einzelnen Laute als der Elemente der Sprache sei noch wenig geschrieben, doch sei man dadurch schon zu einer Methode geführt, die Taubstummen sprechen zu lehren. Nach Anführung der mancherlei Ansichten und wunderlichen Träumereien über den Ursprung der Schrift meint M., man könne wol nur so viel mit Sicherheit aussprechen, daß die Erfindung der Schrift bis nahe an den Ursprung der Menschheit hinaufreiche. Bei Erörterung der verschiedenen Alphabete, der tironischen Noten, Geheim- und Schnellschriften kommt er dann auch auf den Einfall einer auf alle Sprachen anwendbaren Universalschrift zu reden, d. h. einer Schrift, welche ein jeder in seiner Sprache lesen könnte, womit sich dann weiter der Gedanke einer philosophisch construirten Universalsprache verbinde. Es haben sich damit neuestens namentlich Joh. Joach. Becher und Athan. Kircher befaßt, unter denen doch wol im Streit um die Priorität dem ersteren das Recht zur Seite stehe, wenn auch Kircher der Sache eine veränderte Gestalt gegeben habe. M. selbst hält aber nichts davon. Im Streit zwischen Deutschland und den Niederlanden über die Erfindung des Buchdrucks hätten ohne Zweifel die Deutschen Recht, was auch die Franzosen anerkennten. Weder Coster noch Mentelin, sondern der „Straßburger“ Guttenberg sei der Erfinder. Nachdem sodann die verschiedenen Ansichten über eine Ursprache – ob Hebräisch, Chinesisch, Schwedisch (d. h. altnordisch, nämlich die Sprache der Runen), Scytisch, Keltisch, Cimbrisch, Römisch, Griechisch – abweisend vorgetragen sind, werden die europäischen Volkssprachen abgehandelt (das Deutsche mit dem Altdeutschen, Französische, Italienische, Spanische, Englische), d. h. es werden die Schriften und Lehrbücher, die Grammatiken und Glossarien dieser Sprachen genannt und beurtheilt; dann die orientalischen (Hebräisch, Arabisch, Koptisch, Punisch, Persisch, dessen Verwandschaft mit dem Deutschen Just. Lipsius und Andere bemerkten), darauf das Griechische und Lateinische, die beiden letzten natürlich in größerer Ausführlichkeit. Beim Lateinischen werden zugleich die Hauptschriftsteller in den vier Perioden des goldenen, silbernen, ehernen und eisernen Zeitalters aufgeführt und besprochen.
Das fünfte Buch (l. criticus) handelt in nur zwei Kapiteln von den Philologen und Antiquaren (de scriptoribus criticis et antiquariis). Das sechste (l. oratorius) in vier Kapiteln von den Rednern, insbesondere den griechischen, modernen und den Kanzelrednern. Das siebente (l. poëticus) in drei Kapiteln von der Poetik und den Dichtern, insbesondere den griechischen (die lateinischen wurden schon im vierten Buch besprochen) und von den modernen, wol zu merken aber nur von den neulateinischen. – Dies der erste Haupttheil, der polyhistor litterarius. Der nun folgende polyistor philosophicus handelt im ersten Buch in 15 Kapiteln von den Schriftstellern zur Geschichte der Philosophie im Allgemeinen und insbesondere über die Pythagoräer, Sokratiker, Stoiker, Epicuräer, Skeptiker, Platoniker, Aristoteles und die Peripatetiker, über die griechischen, arabischen und lateinischen Erklärer des Aristoteles und seine Gegner; von den Scholastikern im Allgemeinen und insbesondere den Nominalisten und den Realisten; endlich von den Neuerern (de novatoribus) in der Philosophie, wie Cardanus, Cartesius, Hobbes, Paracelsus, Comenius. Von Spinoza wird nur gelegentlich [241] bemerkt, er habe die Principien seines Atheismus, den er ganz offen zur Schau trage, von Hobbes entlehnt. Im zweiten Kapitel werden dann die Schriften über die Principien oder allgemeinen Begriffe (die loci communes) der verschiedenen philosophischen Systeme abgehandelt, zuerst im Allgemeinen, dann die physischen Principien der Mosaischen Lehre, der Aegypter, Chinesen, Pythagoräer u. s. f. bis auf die neueren herab. Ein zweiter Theil dieses Buches handelt sodann weiter von dem Wesen der Materie, ihren inneren und äußeren Ursachen, den Qualitäten der Theilbarkeit etc.; vom Ort und dem Leeren, von der Zeit, der Bewegung und anderen Qualitäten der Materie, unter denen die verborgenen, d. h. die von der Wissenschaft noch nicht ergründeten oder ihr überhaupt nicht ergründbaren, deren es ohne Zweifel gebe, die Grundlage der Magie bilden. Die Magie völlig leugnen könne nur, wer Alles in der Natur für erforscht und bekannt halte. Freilich vor Aberglauben und frivolen Experimenten, vor den Phantasieen Campanella’s, der Kabbalisten, der Chymiker müsse man sich hüten. Dieser Abschnitt über die Materie schließt mit einem Kapitel von den mechanischen Kräften. Ihm folgt eine kurze Lehre vom Weltgebäude (von der Welt, vom Himmel und den Sternen), welche gleich bezeichnend für den damaligen Stand der Wissenschaft wie für Morhof’s eigenen wissenschaftlichen Charakter ist. Ueberall zeigt er sich eben so frei wie vorsichtig bescheiden in Urtheilen; ruhig bereit, die Ergebnisse der Forschung auch da, wo sie wider die orthodox-kirchliche Anschauung zu verstoßen scheinen, anzunehmen, aber rücksichtsvoll in der Art, sie auszusprechen. Die Richtigkeit des Copernicanischen Systems steht ihm fest; die Pluralität der Weltkörper und die untergeordnete Stellung der Erde im Sternensystem sind ihm Thatsachen. Er will zwar die theologischen Bedenken dagegen nicht verkennen, erwartet aber deren Aufhebung durch fortschreitendes richtigeres Verständniß der Offenbarung. In Betreff der in dieser Hinsicht im Vordergrund stehenden Frage nach dem Erlösungswerk Christi erwähnt er die verschiedenen Ausgleichungsversuche: entweder das Versöhnungsopfer auf der Erde sei allgemein gültig für alle bewohnten Weltkörper; oder aber Christus sei successive überall geboren und gestorben; oder endlich nur die Erdenbewohner seien in Sünde gefallen. Die Entscheidung überläßt er Anderen. Jedenfalls habe Giordano Bruno seine Uebereinstimmung mit Copernicus ungerechter Weise mit dem Leben gebüßt, denn Atheismus lasse sich daraus nicht nachweisen. An einer anderen Stelle erklärt M. die Vorstellung vom Empyreum für eine Erdichtung: Gott bedürfe keines begrenzten Ortes für die Seligen, denn wo immer Gott sei, da sei auch der Himmel in diesem Sinne des Sitzes der Seligen; alles Weitere liege über unsere Sinne und unsere Speculation hinaus. Zuletzt erörtert M. hier die Frage der Astrologie: was sich unter diesem Namen gewöhnlich breit mache, sei ein Haufe von Phantasterei und Aberglauben. Leugnen aber lasse sich ein Einfluß der Gestirne, z. B. des Mondes auf die Erde und die Zustände der Menschen nicht; es sei also immerhin die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß ein solcher Einfluß sich auch in der physischen Entwickelung des Menschen geltend mache. Ihm scheine, daß den Menschen die Principien der Astrologie durch eine Art von Offenbarung kund geworden seien. Alles kurzweg zu leugnen sei eine wohlfeile Weisheit; es gelte vielmehr durch sorgfältige Beobachtung der Thatsachen das Wahre vom Betrug und Irrthum zu sondern. – In der nun folgenden Lehre von den Elementen erscheint dem M. Alles im Zweifel zu liegen: wer den Atomen nachgehe, wolle die Natur an einem Punkte belauschen, wo sie sich unserer Sinneswahrnehmung entziehe. Aber auch die Theorie von den vier Elementen und ihren vier obersten Qualitäten sei völlig unhaltbar; auch ein neues brauchbareres Princip sieht er in dieser Frage noch nirgends entdeckt. [242] Helmont, der die alte Theorie vom Wasser als dem einfachen und Urelement wieder aufnehme, täusche sich selbst durch falschgedeutete Experimente. Es folgen die Kapitel vom Licht, von den Farben (nur hier wird Newton kurz erwähnt, aber schon mit dem Bemerken, daß seine in den Acten der Soc. regia veröffentlichten Untersuchungen über die Farben der höchsten Beachtung werth seien), vom Feuer, der Kälte, der Luft, dem Wasser, der Erde; dann von der Bewegung der Elemente, den Meteoren und Lufterscheinungen, dem Erdbeben, Wettererscheinungen (de meteoris aqueis), der Veränderung, Erzeugung und Zerstörung der Körper; dann weiter von den Mineralien und Erden, Magneten, Edelsteinen, Salzen; sodann von den Pflanzen und endlich von den Thieren. Als Anhang dieser Naturlehre folgt sodann noch als drittes Buch ein Kapitel „De artibus divinatoriis et magia“. Es kommt dem Verfasser natürlich hauptsächlich auf die Vorführung der großen Litteratur über diese Gegenstände an. Auch hier zeigt er die gleiche Besonnenheit und Freiheit des Urtheils. Nur in Betreff der Dämonen (teuflischen Geister), des Hexen- und Zauberwesens finden wir ihn noch völlig in den Banden der alten Anschauungen; er tadelt sogar die Leugner dieser Dinge mit scharfen Worten. – Im vierten Buche folgen darauf die mathematischen Wissenschaften, im fünften Logik und Metaphysik, alles nur in kurzen Nachweisungen.
Der dritte Theil des Werkes endlich, der polyhistor practicus, umfaßt die vier Hauptdisciplinen für das praktische Leben, den vier Facultäten der Universitäten entsprechend: die Philosophie (von der aber hier nur als ihr praktischer Theil die Ethik, Politik (prudentia civilis), Oekonomik und im Anschluß die Geschichte abgehandelt werden), Theologie, Jurisprudenz und Medicin, auch dies wiederum nur in schematischer Kürze unter Angabe und Charakterisirung der Hauptschriftsteller, welche für das Einzelne zu benutzen seien. Das ist in kurzen Zügen der Inhalt und die Art des merkwürdigen Werkes, dessen Verfasser sich unleugbar darin selbst als leuchtendes Muster dessen, was er Anderen als Ziel aufstellt, bewährt, als ein Mann, der die Gesammtheit des Wissens seiner Zeit in sich aufgenommen hat und sie mit dem Geiste selbständigen Urtheils beherrscht.
- Morhof’s Autobiogr. bis 1671 (mit der Fortsetzung eines Anonymus, wol Mich. Schumann’s, gedruckt im Appendix zu Morhof’s Dissertationes acad. atque epist., 1699). Molleri Prolegomena zum Polyhistor und Cimbria litt. I. 560, III. 458–88. Ratjen in den Jahrbüchern f. d. Landeskunde der Herz. Schleswig, Holstein u. Lauenburg, 1858, I. S. 18 ff. Raumer, Gesch. d. germ. Philologie, S. 155 ff.; Rich. Treitschke in Prutz’ litterarhist. Taschenbuch VI (1848), S. 439 ff. Fr. Paulsen, Gesch. des gel. Unterrichts (1885), S. 411.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ lebte (1649-1699), Sohn von Johann Benedict Carpzov.
- ↑ Vorlage: Bd. VII, S. 397