BLKÖ:Müller, Sophie

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 19 (1868), ab Seite: 402. (Quelle)
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60. Müller, Sophie (k. k. Hofschauspielerin, geb. zu Mannheim 19. Jänner 1803[WS 1], gest. zu Hietzing nächst Wien 20. Juni 1830). Ihr Vater, nach Anderen als Pflegevater bezeichnet, Karl M., der zu Wien im hohen Alter gestorben, war großherzoglich badischer Hofschauspieler; die Mutter eine geborne Baudet, deren Vater erster Tänzer und Balletmeister am churpfälzisch bayerischen Hofe war. Sophie zeigte als Kind Freude und Talent zur Schauspielkunst, und wurde, kaum sechs Jahre alt, bereits in kleinen Rollen verwendet, in welchen sie großes Geschick bekundete. Im Jahre 1818, damals 14 Jahre alt, gab Sophie mit ihrem Vater einige Gastrollen auf dem Karlsruher Theater, so z. B. den Savoyarden Joseph in „Die beiden Savoyarden“, den Pagen Paul in Kotzebue’s „Pagenstreiche“, den Guido (Schutzgeist) in Kotzebue’s „Adelheid von Italien“ und den Otto in Müllner’s „Schuld“. Unter des Vaters, eines gediegenen Künstlers, unmittelbarer Leitung bildete sich Sophie für ihren Beruf, und dieser sorgfältige Unterricht, verbunden mit einem ungewöhnlichen Talente, führte sie jener Vollendung zu, welche die Erinnerung an ihren Namen bis zur Gegenwart ungeschwächt erhalten hat. Im Alter von 15 Jahren, am 15. Mai 1820, wurde sie mit Contract engagirtes Mitglied des großherz. Baden’schen Hoftheaters in Mannheim. Ihre [403] ersten Rollen waren Amalie in Schiller’s „Räubern“, Nina in „Welche ist die Braut?“, Cordelia in „König Lear“, Thekla in Schiller’s „Wallenstein“, die Titelrolle in „Donna Diana“, Elsbeth im „Turnier zu Kronstein“, Bertha in Grillparzer’s „Ahnfrau“, die Eboli in Schiller’s „Don Carlos“. Dieser Kreis ihres Rollen-Repertoirs zeigt deutlich, welch bedeutendes, ja großartiges Talent dem 15jährigen Mädchen beschieden war. Im April 1821 unternahm sie mit ihrem Vater eine Kunstreise nach München und von dort nach Wien, wo sie auf dem Hofburg-Theater einen Cyklus von fünfzehn Gastrollen gab, darunter über den bereits erwähnten Chatinka im „Mädchen von Marienburg“, Margaretha in den „Hagestolzen“, Sophie in Schröder’s „Fähnrich“, Gräfin Rutland im „Essex“ und die Titelrolle in der „Jungfrau von Orleans“. Der Erfolg war ein entschiedener. Sie kehrte nun nach Mannheim zurück, an dessen Bühne sie contractlich bis Juli 1822 gebunden war, und nun folgte sie dem Rufe an die Wiener Hofbühne, welche sie als neuengagirtes Mitglied am 5. August 1822 zum ersten Male in der Rolle der Gräfin Rutland in „Essex“ betrat. Sie blieb nun durch acht Jahre, bis an ihren in der vollsten Blüthe ihres Lebens, im 25. Jahre erfolgten Tod, Mitglied dieser Hofbühne. Sie war ebenso die Zierde derselben, als der Liebling des Publicums. Vom 5. August 1822, dem Tage ihres ersten Auftretens, bis 11. April 1829, an welchem sie als Aurora im Lustspiele: „Die Stimme des Blutes“ zum letzten Male auftrat, also innerhalb acht Jahren, hatte sie, die häufigen Gastspiele an fremden Bühnen ungerechnet, auf dem Burgtheater im Ganzen 715 Mal und darunter zum ersten Mal in 63 neuen Stücken gespielt. Unter ihre schönsten Schöpfungen gehörten: Julie in „Romeo und Julie“, die Hedwig in Körner’s „Hedwig“, die Rosaura in Calderon’s „Leben ein Traum“, die Zaire in Voltaire’s „Zaire“, die Bertha in Grillparzer’s „Ahnfrau“, die Beatrice in der „Braut von Messina“, die Comtesse Elise im Lustspiele: „Die Zufälle“, die Kunigunde von Masovien in Grillparzer’s „König Ottocar’s Glück und Ende“, die Donna Perside in Zedlitz’s „Liebe findet ihre Wege“, die Preciosa im gleichnamigen Stücke, die Ophelia in „Hamlet“, die Amenaide in Goethe’s „Tancred“, die Sophie van der Daalen im gleichnamigen Stücke, die Semirami’s in Raupach’s „Tochter der Lust“, die Irene in „Belisar“, die Porzia im „Kaufmann von Venedig“, die Lady Milfort in „Kabale und Liebe“, die Czarewna Sophia in Raupach’s „Fürsten Chawansky“, die Chrimhilde in Raupach’s „Nibelungen-Hort“. Ueber Sophie Müller und die Ursache ihres so frühen Todes berichtet eine Zeitgenossin, Chelmina von Chezy, die zu jener Zeit in Wien lebte, in ihren unter dem Titel: „Unvergessenes“ erschienenen Denkwürdigkeiten, wie folgt: „Sophie Müller war die liebenswürdigste und begabteste der Töchter Thaliens und Melpomene’s. Zu dem Reiz und der Anmuth ihrer Erscheinung, zum gediegensten Talente gesellte sich die Würde ihres Wesens, die Unsträflichkeit ihres Wandels, um ihr die Liebe und Achtung ihrer Zeitgenossen in hohem Grade und für alle Zukunft hin zu sichern. Sie war von hoher unbekannter Abkunft. Purpur und Diadem schmückten nicht ihre letzte Lagerstätte, sie umschwebten sie [404] unsichtbar. Im Sommer 1828 kam sie von einer Kunstreise zurück aus der herrlichen Steiermark. ... Sie wurde mit unbeschreiblicher Ungeduld erwartet. Sie mußte an dem Hochgebirge, dem Grimming, vorüber und reiste Nachts, um schneller nach Wien zu gelangen. Es war in der Mitte des Hochsommers, wo erdrückende Hitze herrschte, als sie, von ihrem wackeren Pflegevater begleitet, nicht winterlich verhüllt, sondern der Jahreszeit gemäß angekleidet, mit Extrapost auf der Straße nach Wien fuhr; da, wo eine Biegung des Berges dem schärfsten Nordwinde Spielraum läßt, wurde sie durchschauert von seiner Wuth; halb erstarrt kam sie auf der nächsten Station an. Ihre Ungeduld beseitigte alle Rücksichten. Sie gelangte nach Wien im bedenklichsten Zustande. Sie erklärte gleich bei ihrer Ankunft, nicht auftreten zu können und bat um Aufschub. Die Direction, die nach der Art so vieler glaubte, daß alles geschehen müsse, weil und wie sie es wünschte, nahm keine Notiz von dem Zustande der jungen Künstlerin, hielt ihre Weigerung für eine Grille und schickte ihr den Theaterarzt, der entscheiden sollte, ob sie auftreten könne oder nicht. Sophie Müller, die für ihren Beruf glühte, die zu hoch stand, um kleinliche Rücksichten geltend zu machen, ja zu spielen brannte, wenn es ihr möglich gewesen wäre, aufzutreten, sie erhielt Befehl, nächstfolgenden Tages aufzutreten, weil der Theaterarzt erklärt hatte, sie würde es im Stande sein. „Was bedarf es eines Befehls“, rief sie in edler Entrüstung, „ich werde auftreten, und sollte ich todt auf das Theater hinfallen.“ Sie trat auf, riß hin und mußte im Zustande einer Leiche von der mit Kränzen bedeckten Bühne fortgetragen werden, um nie wieder auf der Bühne zu erscheinen. Gleich anderen Tags fuhr ich zu ihr hin. Ich fand sie bedenklich krank – sie fühlte den nahen Tod. „O“, rief sie, „ich bin hungrig und darf nur künstlich durch die Haut genährt werden, ich verdurste und darf nicht trinken, ich verschmachte und darf keinen Athemzug frische Luft schöpfen; so jung muß ich sterben.“ Die Aerzte gaben ihr endlich eine Amme, die mit ihr nach Hietzing fuhr. Nicht lange konnte sie ihr das Leben fristen. Sie erlosch wie ein Licht, sanft, ergeben und schweigend. Nie war Trauer allgemeiner und rührender, als um Sophie Müller. Von ihr konnte man sagen: „Sie starb und hatte gelebt wie Rosen leben, eine Morgenstunde“. So schreibt Chelmina von Chezy, ihre Zeitgenossin, über Sophie; Chelmina hatte gerade jene Zeit (1823–1829), in welcher Sophie wie ein herrliches Meteor am theatralischen Himmel erschien (1822–1830), in Wien verlebt. Anders wird über ihr Ableben von anderer Seite berichtet. Ein Unwohlsein, heißt es, aus Ueberanstrengung, oder, wie ein sehr unverbürgtes Gerücht sagte, aus tieferer Herzensbewegung, führte eine anderthalbjährige Krankheit herbei, über deren Ausgang sie selbst entschieden, klar und abgeschlossen war. Einem Freunde, der sie als die Aerzte große Hoffnung gegeben, fragte, in welcher Rolle sie nach ihrer Genesung auftreten werde, antwortete sie: in „Vater und Tochter“, dieses Raupach’sche Stück fängt bekanntlich mit der Zeitungsnachricht an: „Miß Miller ist todt!“ – Sophie sorgte noch auf dem Todtenbette, ihrem hochbejahrten Vater bei der Kaiserin, deren Vorleserin sie war, eine dauernde Unterstützung auszuwirken. Als sie starb, flossen ihr, wie selten einer Schauspielerin, so viel Thränen innigster Theilnahme nach. Ihre Lebensweise [405] schildert ein mit ihren häuslichen Verhältnissen Vertrauter mit folgenden Worten: „Blieb ihr außer ihrem Berufe noch irgend eine Zeit übrig, so setzte sie sich an ihren Flügel oder nahm die Guitarre zur Hand, um so den Geist etwas zu erquicken. Selbst schöne häusliche Arbeiten finden sich in ihrem Meublement vor, es sind die feinsten Tapisserien, von ihrer Hand zart und sinnig gearbeitet. Ebenso mußte sie ja wohl auch einige Zeit der Lectüre widmen. Sie las englische, französische und italienische Originalwerke, und zwar mehr belehrende als erheiternde, wovon mir ihre Bibliothek Beweise lieferte. Es fanden sich nach ihrem Tode höchst interessante Tagebücher – welche sie „für meinen Schreibkasten“ überschrieb – vor, welche nebst anderem tiefdurchdachte Auseinandersetzungen mancher Rollen, welche sie studirte, enthielt. Diese Bücher – jüngst erst wurde ein solcher von ihr mit Tagebuchbemerkungen beschriebener Kalender von der kaiserlichen Hofbibliothek um ziemlich hohen Preis (20 fl.) erstanden – zeigen recht deutlich, daß ein echtes Künstlergemüth höhere Forderungen an sich stellt, als Memoriren und Koketterie der Toilette.“ Was nun ihr Spiel anbelangt, so entzückte der Adel ihres Spiels, die Fülle aus dem Innern ausströmender Begeisterung, so daß die Schauspieler selbst sich auf die leeren Bänke des Parterres setzten und – aller Neid, alle Künstlerrücksichten schwanden – durch lauten Beifall die ihnen mitgetheilte Begeisterung kundgaben. Sophie war zur Tragikerin geboren und hatte nichts versäumt, durch Studium das auszubilden, wozu sie die Natur berief. Sie erreichte nicht jene Höhe, die mit den Empfindungen und Leidenschaften, während sie dieselben darstellt, spielt;! sie war mitten darin, der Schmerz, die Wehmuth waren in ihr lebendig. Geboren, gestaltet in ihr, traten sie heraus, die sonore Sprache schwelgte, der Blick war trunken, Auge und Lippen jauchzten in der Wollust des Schmerzes. Aber nie wurde das Maß überschritten. Der höchste Adel verließ sie nie auf dem höchsten Gipfel der Leidenschaft. Ob dieses Feuer der Empfindung ausgedauert hätte, ist zweifelhaft, nicht zweifelhaft aber, daß ihr jene unbewußte Heiterkeit des Gemüthes abging, die unerläßlich für andere Rollen, wohlthätig auch für die wird, in denen sie geglänzt. Jedes Nachtstück wirkt nur durch einen Lichtschein, von woher er auch komme. Der höchste Schmerz in der höchsten Tragödie ist aber dann am ergreifendsten, wenn die Natur ursprünglich gesund war und der tröstende Lichtstrahl aus dem Wesen selbst, aus der leidenden Brust aufsteigt. So vertragen sich, so bedingen sich, ja so sind in der höchsten Tragödie unerläßlich verbunden Schmerz und Heiterkeit. Eben darum vollendete vielleicht der Tod ihre Kunst, ehe die höchst gesteigerten Anforderungen ihr Manier und Einseitigkeit vorwerfen konnten. Ihre Kunst hat einen Abschluß erreicht. Sie war die melancholische Tragikerin im edelsten Sinne des Wortes. Edel war Alles an ihr, die Schule in Wien hatte in ihr den gemessenen Anstand gefördert, ihre sittliche Tiefe war sorgsam gepflegte Gabe. Sogar ihr Tod hatte etwas melancholisch Edles. Braucht noch hinzugefügt zu werden, daß sie von den edelsten Dichtern Tieck, Grillparzer, Zedlitz, Aug. Wilh. Schlegel, Holtei, Ritter v. Lettner u. A. wie Cosmar, Theodor Hell besungen wurde? Es ist des Mimen traurigstes Los, daß, wie groß, wie bedeutend er gewesen, und wie klein, wie alltäglich der Nachwuchs ist, von ihm der Spruch gilt: „Die Lebenden [406] behalten Recht“. „Andere kommen und gefallen, ihres Schattens Schatten kaum“, singt Holtei an ihrem Grabe; aber er singt auch von ihr: Kunst, Gefühl, Verstand und Tugend hatten dich als Kind gehegt: hatten grüne Lorbeerbäume dich zu schmücken gern entlaubt; sandten dir die Wunderträume in das schöpferische Haupt, gaben dir des Wortes Walten, gaben dir der Stimme Klang, Zauber deinen Hochgestalten, jedem Athemzug – Gesang. Daß ihr Andenken in Kunstkreisen noch heute mächtig fortlebt, beweist der folgende Umstand. Um ihr verlassenes verfallenes Grab auf dem kleinen Friedhofe in Hietzing hatte man sich lange nicht gekümmert, Graf Wickenburg – dieser Mäcen der Kunst und Vertreter einer Aristokratie, wie sie sein soll und einst gewesen – hatte die Hoftheater-Intendanz in neuester Zeit (1867) auf das verwahrloste Grab aufmerksam gemacht und diese wieder die Anzeige an das Obersthofmeisteramt erstattet. Letzteres hat dann an die Schloßhauptmannschaft von Schönbrunn die Weisung erlassen, das Grab wieder in seinen ursprünglichen Stand zu setzen und künftig für die Pflege desselben zu sorgen. [Fremdenblatt 1867, Nr. 270.]

Blätter der Erinnerung an die für die Kunst zu früh verblichene k. k. Hof-Schauspielerin Sophie Müller; einige Blicke auf deren Leben und künstlerisches Wirken, als biographische Skizze aus den sichersten und achtbarsten Quellen gesammelt und herausgegeben von Franz Wallishausser (Wien 1830, Ant. Strauß’s sel. Witwe. 4°.). – Mailáth (Joh. Nep. v.), Leben der Sophie Müller, weiland k. k. Hofschauspielerin u. s. w. (Wien 1832, 8°.). – Berliner Figaro (Unterhaltungsblatt, 4°.) 1832, Nr. 99–104 u. 110: „Sophie Müller“. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1859, Nr. 17: „Etwas vom alten Wien“. – Wiener allgemeine Theater-Zeitung, herausg. von Ad. Bäuerle (Wien, 4°.) XXIII. Jahrg. (1830), Nr. 81; Nekrolog der Sophie Müller von Charlotte Birch-Pfeiffer. – Oesterreichischer Zuschauer, herausg von J. S. Ebersberg (Wien, 8°.) Jahrg. 1838, Bd. I, S. 88. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. III, S. 729 [nach dieser geb. am 19. Jänner 1803, gest. am 20. April 1829]. – Realis, Curiositäten- und Memorabilien-Lexikon von Wien, Bd. II, S. 196. – BrockhausConversations-Lexikon, 10. Auflage, Bd. X, S. 721. – Conversations-Lexikon der neuesten Zeit und Literatur. In vier Bänden (Leipzig 1832 u. f., K. A. Brockhaus, gr. 8°.) Bd. III, S. 188. – Iris (Gratzer Moden- und Musterblatt, schm. 4°.) 1860, Nr. vom 1. Februar. „Sophie Müller und das Alphorn“. – Porträte. 1) Nach Krüger lith. von Stein (Berlin, Gebrüder Rocca Fol.); – 2) Lithographie von Kriehuber (Wien, Fol.); – 3) auch befindet sich ein Porträt von ihr vor der von Mailáth herausgegebenen „Biographie“; – 4) Unterschrift: Sophie Müller, k. k. Hofschauspielerin in Wien, Joh. Ender del., Fr. Stöber sc. Vien. (Stahlst., 8° u. 4°.), sehr selten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1805. Bezugnehmende Altersangaben.