BLKÖ:Verri, Alessandro Conte

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
<<<Vorheriger
Verona, Luigi
Nächster>>>
Verri, Pietro Conte
Band: 50 (1884), ab Seite: 136. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
in der Wikipedia
Alessandro Verri in Wikidata
GND-Eintrag: 11880426X, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Verri, Alessandro Conte|50|136|}}

Verri, Alessandro Conte (Dichter und Schriftsteller, geb. zu Mailand am 9. Juni 1741, gest. am 23. September 1816). Ein Sohn des Grafen Gabriel Verri (geb. zu Mailand 16. April 1696, gest. 1782) aus dessen Ehe mit Barbara geborenen Gräfin Dati della Somaglia. Der Vater, welcher Senator, Reggente des italienischen Staatsrathes in Wien, kaiserlicher geheimer Rath und Staatsrath war, galt für einen ausgezeichneten Rechtsgelehrten seiner Zeit und gab als solcher die Werke: „Constitutiones juris Mediolanensis“ (Mediolani 1747, Fol.) und „De ortu et progressu juris Mediolanensis“ (1747, Fol.) heraus. Aber er machte sich auch als eifriger Forscher in der Geschichte seines Vaterlandes bekannt, wie es nachfolgende Werke bezeugen: „Memorie istoriche politiche della Lombardia Austriaca per apparechio alla sua storia“, ein Folioband, voll interessanter, für die Mailänder Geschichte wichtiger Daten, den er dem damaligen (1761) Erzherzoge, späteren Kaiser Joseph II. vorlegte, und „Istoria della Lombardia Austriaca daIl’anno di Roma CLVII in fino al [137] 1761“, zwei starke (1033 Folioseiten zählende) Bände, welche er dem Grafen Firmian widmete. Sein Sohn Alexander erhielt eine sorgfältige Erziehung, zuerst bei den PP. Somaskern im Collegio Merate, dann in dem kaiserlichen, zu jener Zeit durch die PP. Barnabiten geleiteten Collegium zu Mailand. Von P. Giovenali Sacchi, dem Verfasser mehrerer Schriften über Musik, wurde er in der Redekunst unterrichtet; außerdem trieb er alle Cavalierskünste, wie Reiten, Fechten u. s. w., und zwar mit so großer Vorliebe und solchem Eifer, daß er die Pflege der Wissenschaften vernachlässigte und als er mit 20 Jahren ins elterliche Haus zurückkehrte, seine Lücken in der Kenntniß der lateinischen, ja selbst der italienischen Sprache und in den übrigen wissenschaftlichen Disciplinen nur zu sehr hervortraten, was er noch in den späteren Jahren oft bitter beklagte. In seinem um 13 Jahre älteren Bruder Peter, welcher sofort begriff, daß hier Nachhilfe noth thue, fand er einen wohlwollenden Leiter seiner Lecture, und bald umschloß Beide die innigste Freundschaft, welche nur der Tod trennte. Die Fortschritte, welche er unter der Obhut der brüderlichen Liebe machte, waren groß, und um dem Wunsche seines Vaters zu genügen, begann er mit Eifer das Studium der Jurisprudenz, in welcher wohlbewandert zu sein, es in den vornehmen Mailänder Familien zu jener Zeit als Ehrensache galt. Er wurde auch bald Mitglied des Collegiums der adeligen Rechtsgelehrten und erhielt noch das Ehrenamt eines Protectors der Gefangenen; und die zu Gunsten dieser letzteren von ihm geschriebenen Abhandlungen bezeugen einerseits, wie ernst er es mit diesem Ehrenamte nahm, und erwarben ihm anderseits die allgemeine Achtung und Anerkennung. Aber mehr als die Rechtswissenschaft zogen den lebhaften Jüngling die schöne Literatur, die Philosophie und vor Allem die Gesellschaft an, welche sein Bruder Peter bei sich zu versammeln liebte, und welche aus den geistvollsten Jünglingen des Mailänder Adels bestand. Dazu gehörten unter Anderen Alfonso Longo, Luigi Lamberthengi, Cesare Beccaria [Bd. I, S. 201][WS 1] und der Mathematiker Paul Frisi [Bd. IV, S. 367]. Als Beccaria 1762 seine Schrift: '„Del disordine e dei rimedii delle monete nello stato di Milano nell’anno 1762“ veröffentlichte, begriff ein großer Theil des Publicums nicht die von dem Autor darin ausgesprochenen und von den Lehren der Nationalökonomie unterstützten Ansichten; in Folge dessen ließ Verri die Schrift: „Riflessioni in punto di ragione sopra il libro intitolato: Del disordine e de’ rimedj delle monete dello stato di Milano“ (Milano, Galeazzi) erscheinen, in welcher er dem harthörigen Publicum mit Scharfsinn, Geist, Witz und feiner Ironie zu Leibe ging. Die oben erwähnte Gesellschaft mailändischer Jünglinge, welche sich zu versammeln liebte, um ganz ernste Dinge zu besprechen, faßte alsbald den Beschluß, ein Blatt herauszugeben, in welchem sie die Ergebnisse ihrer geselligen Besprechungen veröffentlichte. Dasselbe führte den Titel „Caffè“, denn in einem solchen fanden die Versammlungen statt. Der erste Jahrgang, welcher einen Quartband bildet, erschien zu Brescia 1764, im Wiederabdruck 1765; der zweite und letzte Jahrgang 1766. Beide Bände wurden später noch öfter gedruckt. Dreiundzwanzig dieser Gespräche kamen in deutscher Uebertragung bei Fueslin in Zürich 1760 heraus, und die zu Paris [138] im Louvre gedruckte „Gazette littéraire de l’Europe“ übersetzte daraus mehrere Artikel der Brüder Alexander und Peter Verri. Die verschiedenartigsten Gegenstände aus der Gesetzgebung, Nationalökonomie, Moral, Naturgeschichte, Medicin, Landwirthschaft und aus den schönen Wissenschaften wurden darin erörtert, frei von allem Cynismus, aber mit dem feinen Geiste eines Lucian und Swift, und die Blätter machten ebenso im großen Publicum, wie in Kreisen der Wissenschaft Aufsehen, freilich nicht ohne vielseitigen Widerspruch zu finden. Von Alexander Verri sind darin 30 Abhandlungen über das Privat- und öffentliche Recht, über Moralphilosophie und schöne Literatur enthalten und mit A bezeichnet. Aber mit einem Artikel, betitelt: „Rinunzia avanti notaio degli Autori del presente foglio periodico al vocabolario della Crusca“, stach er in das Wespennest der Gelehrtenzunft. Es gab großen Aufruhr in diesen Kreisen, besonders veranlaßt durch einen leidigen Druckfehler, da der Setzer das Wort Notaro zu Nodaro entstellt harte. Aber der Forderung der Lexikographen, daß jeder Schriftsteller ohneweiters sich in seinen Ansichten nach jenen des Wörterbuches wie auf einem Prokrustesbette strecken müsse, war denn doch durch Alexanders Artikel ein Hieb versetzt worden, der fest saß und auch seine guten Folgen hatte. Etwa um dieselbe Zeit fing Alexander seinen „Saggio di Storia d’Italia“ an, welchen er, mit Romulus beginnend, bis in seine Zeit fortführte. Seine nächste Absicht dabei war, den von Muratori in dessen 25 Bänden der „Scriptores rerum italicarum“ niedergelegten und so zu sagen noch ungehobenen Schatz im Hinblick auf Italiens Geschichte auszubeuten. Peter Verri, der an seines Bruders Arbeit großen Antheil nahm und sie mit Aufmerksamkeit verfolgte, förderte denselben mit allen Kräften, eiferte ihn zur Vollendung und Herausgabe an und erklärte freimüthig, daß er den Werth dieses Unternehmens nicht gering anschlage. Um jene Zeit schrieb auch Beccaria seinen berühmten Tractat über Verbrechen und Strafen, der inner- und außerhalb Italiens so großes und gerechtes Aufsehen erregte. Hier ist es am Platze, des Antheils zu gedenken, den die Brüder Verri, namentlich aber Alexander, an dieser Arbeit hatten. Durch sein Ehrenamt als Protector der Eingekerkerten war Letzterer mehr als ein Anderer in der Lage, die Mängel und Mißbräuche des damaligen Gefängnißwesens kennen zu lernen. Nun, ein so warmes Herz für das Recht Beccaria auch besaß, so würde er doch, im Ganzen eine höchst träge und indolente Natur, aus Widerwillen gegen jede anstrengende Arbeit sein Werk nie zu Ende geschrieben haben, wenn er nicht von den Brüdern Verri, namentlich aber von Alexander, fort und fort dazu gedrängt worden wäre. Daraus entsprang auch die Meinung, die lange im Schwange war, daß nicht Beccaria, sondern die Brüder Verri das so berühmt gewordene Werk „Dei Delitti e delle Pene“ verfaßt hätten. Ja, Beide sahen sich in Folge dieser Ansicht, die im Publicum immer fester Fuß faßte, sogar veranlaßt, in einem 1802 an Isidor Bianchi [Bd. I, S. 378] gerichteten Schreiben diese Annahme auf das entschiedenste abzulehnen und zu entkräften. Als Beccaria, von Seite der französischen Philosophen eingeladen, ihre Glückwünsche für die schöne That entgegenzunehmen, die Fahrt nach Paris nicht allein antreten wollte, gab ihm [139] Alexander am 2. October 1766 das Geleit nach der Seinestadt, wo auch sein Name durch die Artikel im Journal „Caffè“ nicht mehr ganz unbekannt war. Nach einer Reise von 16 Tagen, auf welcher er mit den Schrullen und Launen des ängstlichen Freundes, der immer wieder umkehren wollte, nicht wenig zu kämpfen hatte, langten die beiden Mailänder Jünglinge in Paris an, wo sie mit einem Triumphe ohne Gleichen empfangen wurden. D’Alembert, Diderot, Helvetius, Marmontel, Abbé Morellet, der Uebersetzer des Werkes von Beccaria, Baron Holbach, kurz die ganze Schaar der unter dem Namen „Encyklopädisten“ bekannten großen Geister der Seinestadt that sich zusammen, um der Reihe nach die beiden wälschen Denker zu feiern und zu bewirthen. Aber Alexander, so jung er war, sah die Dinge mit nüchternen Augen an und fühlte sich, wie wir aus Briefen seiner Hand erfahren, bald von diesem Getreide übersättigt. Nicht volle sieben Wochen verweilten Verri und Beccaria in Paris, als Letzterer, vom Heimweh ergriffen, erklärte, nicht länger bleiben zu wollen: Ersterer dagegen, in seinem Drange, Länder und Menschen kennen zu lernen, beschloß, auch England zu besuchen. So trennten sich die Freunde, und während Beccaria auf der Heimreise begriffen war, segelte Verri über den Canal. In London trat Alexander mit den Koryphäen jener Tage in Verkehr, lernte den nachmals so berühmt gewordenen Volksredner Fox kennen, studirte mit Eifer die Eigenthümlichkeiten des Insellandes und schrieb darüber ausführliche Briefe an seinen Bruder Peter nach Mailand. Derselbe wollte auch 1768 diese inhaltreichen Briefe drucken lassen, aber Alexander wehrte sich, auf die Menge von bereits erschienenen Reisebeschreibungen über England hinweisend, auf das entschiedenste dagegen. Von London trat Verri die Rückreise nach Italien an, ging aber nicht in geradem Wege heim, sondern besuchte Genua, Livorno, Toscana und zuletzt Rom, wo er 1767 ankam. Dort lernte er die Marchesa Margharita Sparapani di Camerino, welche mit Marchese Boccapadule Gentili vermält war, kennen, und bald fesselten ihn die innigsten Bande der Freundschaft, welche nur der Tod löste, an diese geistvolle Dame. Dieselbe war eine große Freundin der Wissenschaften, und namentlich zogen die Naturwissenschaften sie an, sie besaß auch in ihrem Palazzo ein naturhistorisches Cabinet. Mit ihr zugleich hörte er nun in Rom bei den PP. Jacquier und Le Seur, welche sich durch ihre Commentare der Schriften Newton’s bekannt gemacht, die Vorträge über Physik, welcher Gegenstand ihm bei seinen bisherigen Studien völlig fremd geblieben war. Der Salon der Marchese vereinigte Alles, was die ewige Stadt an ausgezeichneten Männern aufzuweisen hatte. Diplomaten, Künstler, Gelehrte, fremde wie heimische, fanden sich da ein, und Verri stand nun mitten in einem Leben, das ihn, wenn auch neu, doch durch die anregenden Elemente, die es enthielt, anheimelte. Zu dieser Zeit trug er sich mit dem Gedanken, seinen bereits erwähnten „Saggio di Storia d’Italia“ auch drucken zu lassen. Er schickte das Manuscript an die Druckerei Coltellini in Livorno. Aber da ihm der feurige Ton, den der Jüngling in dem Werke angeschlagen hatte, mit den herrschenden Ansichten der Gesellschaft, in welcher er sich jetzt bewegte, nicht zusammenzustimmen schien, da er besorgte, mißverstanden, [140] unrichtig beurtheilt zu werden, überhaupt Bedenken aller Art in ihm aufstiegen, so zog er das Manuscript zurück, von welchem schon einige Capitel gesetzt waren. Man ließ es nicht an allen möglichen Versuchen fehlen, ihn umzustimmen; der Bruder drang in ihn, der Drucker Masi, welcher nun die Druckerei Coltellini in Livorno übernommen, machte sich anheischig, auf eigene Kosten den Druck fortzusetzen, Madame Suard, Gemalin des französischen Akademikers, der Robertson’s „Geschichte von Amerika“ übersetzt hatte, wollte Verri’s Werk ins Französische übertragen; aber dieser verharrte bei seinem Vorhaben und das Manuscript blieb ungedruckt. Auf demselben fand später Verri’s Neffe und Erbe die Worte geschrieben: Non si stampa, se non lo corrego; aber Alexander hat es nicht mehr corrigirt. Indessen waren seine Familie und seine Freunde in Mailand nicht müßig geblieben, ihn zur Rückkehr zu bewegen, da man eine solche Kraft im Vaterlande nicht missen wollte. Noch vor seiner Abreise wurde er dem Gouverneur Grafen Firmian vorgestellt, welcher ihn bald näher kennen und schätzen lernte; sein Name gelangte, begleitet von Lob und Anerkennung, zu den Ohren des Fürsten Kaunitz, und Baron Sperges [Band XXXVI, S. 138] der zu jener Zeit das Referat der Lombardie führte, richtete schon sein Auge auf den tüchtigen Verri. „Man hatte“, wir citiren hier wörtlich eine italienische Quelle, „die Absicht, an Alexander die Lehrkanzel für öffentliches Recht zu übertragen, als nämlich 1767 die Kaiserin Maria Theresia, deren Andenken unserer Lombardei immer werth bleiben wird, daran ging, die Studien zu reformiren, welche durch die Vernachlässigung in den früheren Jahren in einen beklagenswerthen Verfall gerathen waren. Schon hatte man an den Lehranstalten des Landes Lehrkanzeln für Beccaria, Frist, Longo, Parini, Gelehrte, welche in der Geschichte Mailands glänzend dastehen, errichtet. Aber Alexander Verri war nicht zu bewegen, sein geliebtes Rom zu verlassen“. Daselbst blieb er nun nicht unthätig. Den Winter 1768 trieb er englische Studien, übersetzte Mehreres aus dem Englischen, darunter Shakespeare’sHamlet“ und später dessen „Othello“. Er dachte auch schon an die Herausgabe der Uebersetzung, als aber in Paris der ganze Shakespeare von Le Tourneur erschien, unterließ er den Druck, von der Ansicht geleitet, in Italien sei die französische Sprache so weit bekannt, daß Le Tourneur’s Uebertragung genüge, um die Italiener mit den Werken des großen Briten bekannt zu machen. Verri selbst war aber ganz von Bewunderung Shakespeare’s, „dieses wunderbaren Monstrums von Schönheiten und Fehlern“, erfüllt. Nach dem Englischen ging er an eine nicht minder ernste Aufgabe. Er hatte in England beobachtet, mit welchem Eifer man die griechische Sprache an den Universitäten Oxford und Cambridge trieb. Abbé Morellet, d’Alembert, mit denen er in Paris viel verkehrt, und Charles Fox, Alle verstanden vollkommen das Griechische, und nun ging er mit allem Ernst an das Studium desselben unter Anleitung eines Schioten, der als Custos bei den griechischen Handschriften in der Vaticanischen Bibliothek angestellt war. Bei seinem Eifer machte er erstaunliche Fortschritte, und bald las er die Werke des Aeschines und Xenophon, des Arrian und Lucian, des Kaisers Julian und Anderer im Urtexte, [141] mit besonderer Vorliebe aber den Demosthenes und den Homer. Er ging nun sogar an eine Uebersetzung des Letzteren, vollendete sie auch schon 1771, gab sie aber erst 17 Jahre später heraus. Unter dem Titel: „Iliade di Omero, tradotta in compendio ed in prosa illustrata con brevi annotazioni, lequali accennano i luoghi ommessi o abbreviati, espongono il preciso testo letterale, facilitano l’intelligenza dei poema“ (In Roma, apresso Gio. Desideri, 1789, 4°.) erschien sie in nur wenigen Exemplaren, so daß sie in Italien nahezu unbekannt blieb und deshalb auch im Verzeichniß der Ausgaben und Uebersetzungen des Homer, welches Cesarotti im ersten Bande seiner Uebertragung der „Ilias“ mittheilt, nicht vorkommt. Doch ist diese Arbeit Verri’s als die wenigst glückliche der von ihm ausgeführten zu bezeichnen. Auch erfreuen sich prosaische Uebersetzungen poetischer Werke in Italien nicht eben großer Beliebtheit. Nachdem er drei Jahre das Griechische mit besonderem Eifer betrieben hatte, kehrte er wieder zu den Naturwissenschaften zurück und verwendete bei diesem Studium und den damit verbundenen Versuchen große Summen. Dabei hatte er die Genugthuung, nach eigenen Versuchen und Erfahrungen verschiedenfarbige Achatsteine zu erzeugen, welche sich von den in der Natur gefundenen nicht unterschieden. Nebenbei betrieb er die Musik, für welche er erst jetzt, im vorgerückteren Alter, große Neigung zeigte. Und noch Eines beschäftigte ihn um diese Zeit, er machte dramaturgische Studien, zu denen ihm das Haustheater seiner Freundin, der Marchesa, die beste Gelegenheit bot. Der Harlekin und der Pulcinella der italienischen Volksposse reichten ihm aber dazu nicht mehr aus; die Stücke des Cinquecento waren auch ohne Kraft und tiefere Empfindung, und so kam er denn auf den Gedanken, sich selbst im Dramatischen zu versuchen. Selbständig und energisch, wie er war, schritt er vom Gedanken auch sofort zur That, schrieb die Tragödie „Pentea“, zu der ihm Xenophon’s „Cyropädie“ den Stoff lieh, und das Drama „Galeazzo Sforza ossìa Ja Congiura di Milano“, in welchem er Galeazzo Sforza’s Ermordung, die auf Cola Montano’s Rath von einigen mailändischen Jünglingen in der Basilica San Stefano verübt worden war, zum Vorwurfe nahm. Beide Stücke unterwarf er dem Urtheile seines Bruders und mehrerer Freunde, und nachdem er deren Billigung erlangt hatte, gab er diese Dramen im Druck heraus. Dieselben erschienen als „Tentativi drammatici del Cavalier Alessandro Verri“ (Livorno 1779, Gio. Vinc. Falorni, 8°.). Indessen gerieth er durch das Studium der Classiker auf einen anderen, nicht minder dankbaren Stoff, nämlich das Schicksal der Sappho, welches er poetisch behandelte. Dabei aber bediente er sich einer List, indem er seine Originalarbeit für die Uebersetzung eines erst vor Kurzem gefundenen griechischen Manuscriptes erklärte. So erschienen denn die „Avventure di Saffo poetessa di Mitilene“ (Padova [recte Roma co’torchi di Paolo Giunchi] 1780, Giov. Monfre, 8°.; 2. vom Autor verbesserte Auflage Roma 1806, Vinc. Poggioli) und fanden eine ungemein günstige Aufnahme. Um diese Zeit begann der aufgehende Stern Vittorio Alfieri’s zu leuchten. Verri fand sich bald zu diesem Dichter, den er als den Gründer der italienischen Tragödie (fondatore della tragedia italiana) bezeichnete, hingezogen, und Freundschaft umschloß [142] die zwei begeisterten Herzen. Nun ereignete sich ein in Rom nicht ungewöhnlicher Umstand, welchem wir aber, da er auf die Phantasie Verri’s nachhaltig einwirkte, eines der schönsten Werke desselben zu verdanken haben. Man fand nämlich im Jahre 1780 in der Nähe der ewigen Stadt, an der Via Appia, zwei Grabinschriften, deren eine dem Andenken des Sohnes des berühmten Scipio Africanus gewidmet war. So hatte man die bisher unbekannte Grabstätte dieses berühmten Geschlechtes entdeckt. Verri stieg nun, so mühsam es war, in die Gräbertiefe, und da entstand in ihm die Idee zu dem Werke: „Römische Nächte im Grabe der Scipionen“, welches denn auch unter dem Titel: „Notti Romane al sepolcro de’ Scipioni“ (Parte I. Roma 1792, Filippo Neri con fig.; Parte II, ebd. 1804, Vincenzo Poggioli con rami 4°.) erschien. Verri gab dasselbe anonym heraus, aber feinfühlige Kritiker, darunter vor Allen Vincenzo Monti, erriethen bald den Verfasser, der nun auch seinerseits keinen Anstand nahm, sich zur Autorschaft zu bekennen. Kleinere Arbeiten liefen daneben, so eine Vorrede zu dem Werke seines Bruders Peter: „Sulle leggi vincolanti principalmente il commercio de’ grani“, dann eine zweite zu den „Quattro libri di Senofonte dei memorabili di Socrate. Letztere Vorrede schrieb Verri auf Ersuchen des Duca di Lodi, Franz Melzi, welcher von den Erben des Mons. Angelo Giacomelli die handschriftliche Uebersetzung dieser vier Bücher erworben hatte und nun dieselbe auf seine Kosten in Druck zu legen beschloß. Sie wurde auch 1806 in Brescia bei Bettoni, und zwar durch Verri vollständig herausgegeben. Unseres Schriftstellers um diese Zeit vollendete Uebertragung der Rede Xenophon’s auf Agesilaus ist unter dem Titel: „Orazione di Senofonte in lodi di Agesilao rè di Sparta“ im vierten Bande der bei Vinc. Poggioli erschienenen Ausgabe der Werke Xenophon’s aufgenommen. Als dann Courier ein Exemplar seiner Prachtausgabe des in Rom verlegten „Frammento Laurenziano di Longo Sofista“ Demjenigen versprach, der eine italienische Uebersetzung, die sich dem Style Annibale Caro’s am meisten annähere, liefern würde, und zum Preisrichter die Arcadia bestimmte, unterzog sich Verri dieser Aufgabe und gewann den – Preis. Diese Uebersetzung findet sich im 7. Bande der „Opere di Annibale Caro“ (Milano 1812, Soc. tipogr. de’ Classici italiani, 12°.) abgedruckt. Verri’s Schwanengesang ist die „Vita di Erostrato“ (Roma 1815, de’ Romanis, 16°.), deutsch übersetzt von Ernestine Generalin von Ulmerstein (Nordhausen 1824, Landgraf, 8°.). Verri beschäftigte sich mit dieser Arbeit bereits im Jahre 1793, als er sich in eine Gegend Umbriens in die Einsamkeit zurückgezogen hatte. Als dann 1813 von der Accademia della Crusca für das beste in italienischer Sprache geschriebene Werk ein Preis ausgesetzt wurde, sandte er diese „Vita di Erostrato“ ein. Sie gewann nicht den Preis, was ihn aber nicht abhielt, sie drucken zu lassen. Einige Stellen im Vorworte und im letzten Capitel des Werkes erweckten den Gedanken: Verri habe mit dieser „Vita“ eine Satyre auf einen noch Lebenden geschrieben, der im maßlosen Ehrgeize zu einem ununterbrochenen Vernichtungswerke getrieben werde. Wie dem auch sei, das Werk erfuhr eine vernichtende Kritik, die um so wirksamer wurde, als sie in einem sehr geachteten Journal, der „Biblioteca [143] italiana“ [1816, Juli- und Augustheft] erschien. Diese ungerechte und maßlose Kritik trübte die letzten Lebenstage unseres Gelehrten und verlor auch nichts von ihrem Stachel, nachdem Karl Verri, der Bruder Alexanders, welcher inzwischen, ein 75jähriger Greis, gestorben war, im nämlichen Journal [Februar 1847] eine gemäßigte Erwiderung auf jenen rohen Angriff veröffentlicht hatte. Im Nachlasse Alexanders fand sich Manches, was ungedruckt geblieben ist, so einige zu den „Notti Romane“ gedichtete Fragmente, welche Verri bei Herausgabe dieses Werkes ausgeschieden hatte, dann „Lotta dell’Impero col Sacerdozio“ und das ganz vollendete Werk: „Vicende memorabili de’ suoi tempi, scritte da Rinaldo Servarse“, Anagramm seines Namens Alessandro Verri. Professor Levati beabsichtigte, dieses Werk unter dem Titel: „Istoria della Rivoluzione di Francia dal principio della medesima sino al Consolato di Napoleone Bonaparte herauszugeben, doch es kam nicht dazu, warum, ist nicht bekannt. In Alexander Verri stellt sich uns der Typus eines vornehmen Mailänders des vorigen Jahrhunderts in seiner ganzen Liebenswürdigkeit und Einfachheit dar, der uns die ganze Anmuth und Schönheit des öffentlichen Lebens enthüllt, welches die lombardische Hauptstadt vor allen anderen der italienischen Halbinsel, auch Florenz nicht ausgenommen, kennzeichnet. Es ist immer ein sogenanntes Otium operosum, welches nur in der Pflege der Kunst und Wissenschaft, in der Liebe zur Literatur und endlich im Selbstschaffen ein Genügen findet, im Gegensatze zu jenem Adel, der bei geschmückten Courtisanen, auf der Rennbahn und am Spieltische, im traulichen Verkehr mit der Hundemeute und bei wüsten Gelagen die kostbaren Stunden des Lebens vergeudet. Verri unterhielt auch einen lebhaften Briefwechsel mit den bevorzugten Geistern seiner Zeit, und in demselben finden wir Briefe von Alfieri, d’Alembert, Canova, Condorcet, Jacquier, Leseur, Monti, Morellet, Mme. de Staël, Stay u. A. Vornehmlich unterhielt er mit seinem geliebten Bruder Peter einen fleißigen Briefwechsel, wovon ein Theil erst in neuester Zeit aus dem Familienarchive ans Tageslicht gezogen wurde, als Dr. Karl Casati, die Briefe und nicht herausgegebenen Schriften der Grafen Peter und Alexander Verri für den Druck vorbereitete. Im Jahre 1880 erschien bei Galli in Mailand der dritte Band, welcher gleich den beiden ersten für Culturgeschichte des österreichischen Oberitalien im vorigen Jahrhundert interessante Materialien enthält. Verri wurde 1775 von dem Großherzoge von Toscana mit dem St. Stephansorden ausgezeichnet; die Arcadier in Rom nahmen ihn 1792 in ihren gelehrten Kreis auf, in welchem er den Namen Aristandro Bentelcio führte, und 1796 erwählte ihn die Accademia de’ Forti zu ihrem Mitgliede. Die Accademia Tiberina ehrte ihn aber, obgleich er nicht ihr Mitglied gewesen war, durch eine zum Gedächtniß seines Todes einberufene Festversammlung, was auch die Arcadier thaten, bei denen Fürst Chigi die Gedenkrede auf den Dahingeschiedenen hielt. Seine Büste wurde zunächst im benachbarten Panteon aufgestellt, dann aber auf Befehl des Papstes Pius VII. ins Capitol übertragen. Eine Auswahl seiner Werke erschien in der „Raccolta de’ Classici italiani del secolo XVIII.“, welche in Mailand von der typographischen [144] Gesellschaft der italienischen Classiker herausgegeben wurde. Die französische Literatur hat sich die Hauptwerke Alexander Verri’s durch Uebersetzungen – einzelne derselben sind mehrmals übersetzt – zu eigen gemacht.

Levati (Ambrogio). Elogio storico del conte A. Verri (Milano 1817, 8°.). – Maffei (Giuseppe). Storia della letteratura italiana dall’origine della lingua sino a’ nostri giorni (Milano 1834, Società tipogr. de’Classici italiani, 8°.) Vol. III, p. 283. – Maggi (Giovanni). Vita di Alessandro Verri (Milano 1822, 8°.)Quérard (J. M). La France littéraire ... (Paris 1839, Firm. Didot, 8°.) tome X, p. 126; Continuation par Felix Bourquelot (Paris 1857, Delaroque, 8°.) tome VI, p. 549. – Spettatore italiano (Milano, A. F. Stella e Comp.) tomo X, p. 223. – Tipaldo (Emilio de). Biografia degli Italiani illustri nelle scienze, lettere ed arti del secolo XVIII e de’ contemporanei ecc. (Venezia 1837, tipogr. di Alvisopoli, gr. 8°.) volume IV, p. 39–62.
Porträt. B. Bellerio del., Beceni sc. (Fol.).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: [Bd. I, S. 200].