BLKÖ:Vogler, Georg Joseph

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Voglsanger, Joseph
Band: 51 (1885), ab Seite: 211. (Quelle)
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Vogler, Georg Joseph (Abbé und Tonsetzer, geb. zu Würzburg am 15. Juni 1749, gest. zu Darmstadt am 6. Mai 1814). Der Sohn eines Geigenbauers, welcher in Künstlerkreisen eine gern gesehene Persönlichkeit war, wurde er frühzeitig in der Musik, für die er großes Talent zeigte, unterrichtet. Doch sollte er nicht unmittelbar in die Künstlerlaufbahn eingeführt werden, da [212] er erst das Studium der Philosophie und des kanonischen Rechtes – denn er war für den geistlichen Stand bestimmt – vollenden mußte. Im Seminar zu Mannheim, wo er den theologischen Studien oblag, bildete er sich auch in der Musik aus und schrieb um diese Zeit, 1771, ein Ballet, durch welches er die Gunst des Kurfürsten von der Pfalz, des kunstsinnigen Karl Theodor, gewann, der ihm nun die weiteren Pfade ebnete. Denn um den Contrapunkt zu studiren und den Kirchengesang in seiner wahren Vollendung und Würde kennen zu lernen, wurde er von seinem fürstlichen Gönner nach Italien geschickt. Zunächst ging er nach Bologna, wo der berühmte Pater Martini, ein Meister des Contrapunkts und in musikhistorischen und theoretischen Streitfragen zu jener Zeit eine nicht blos in Italien, sondern auch auswärts anerkannte Autorität, den jungen Priester in sein System einführen sollte. Aber Vogler war bereits viel zu sehr selbstständiger Denker, um sich ein System, mit dem er nicht übereinstimmte, aufdringen zu lassen. Nach sechs Wochen schon trennten sich Schüler und Meister, und Ersterer pilgerte nach Padua, wo, wie Martini in Bologna, Pater Valotti einen Kreis strebsamer Jünger um sich sammelte, um dieselben in die Geheimnisse seiner Kunst, in welcher er namentlich als Kirchencompositeur Großes leistete, einzuführen. In Padua soll Vogler auch in den Orden der Jesuiten eingetreten sein, nach Anderen hätte er diesen Schritt bereits während seiner Studien in Mannheim gethan, und wieder nach Anderen wäre er nie Jesuit gewesen. Unter Valotti’s Leitung widmete er sich nun ein halbes Jahr der Compositionskunst, nebenbei mit seinen Berufsstudien sich beschäftigend. Von Padua begab er sich nach Rom, wo er nach Beendigung der letzteren die Priesterweihe erlangte und unter Mysliveczek [Bd. XVIII, S. 362] seine Musikstudien fortsetzte. Durch sein höfisches Wesen, durch seine unbestreitbar nicht gewöhnlichen Geistesgaben, insbesondere aber durch sein musicalisches Talent gewann er bald viele Freunde, deren großem Einfluß er mannigfache Ehren verdankte. So wurde er von der Gesellschaft der Arcadier zu ihrem Mitgliede erwählt und vom heiligen Vater zum Ritter vom goldenen Sporn, zum Protonotar und päpstlichen Kämmerer ernannt, Alles Würden, die an und für sich von geringem Belange, doch später dem jungen Abbé überallhin den Zutritt theils ermöglichten, theils erleichterten, da er es verstand, die ihm gewordenen Auszeichnungen in blendendster Weise zur Geltung zu bringen. 1777, im Alter von 28 Jahren, kehrte er nach Mannheim zurück und wurde daselbst Hofcaplan; dann aber, nachdem er eine Musikschule errichtet hatte, nach übereinstimmenden Aussagen aller Quellen, welche über ihn berichten, durch Benützung der Einflüsse von Jesuiten und Maitressen, neben Holzbauer zweiter Capellmeister der Hofcapelle. In dieser Stellung übersiedelte er mit dem Hofe nach München. Schon in diesen ersten Jahren seines Wirkens traten, nach der Mittheilung eines seiner Biographen, der es sich besonders angelegen sein läßt, zwischen dem Lebenslaufe Franz Liszt’s und jenem Vogler’s einen auffallenden Parallelismus nachzuweisen, die vornehmsten Züge seines Wesens unverkennbar hervor. Begabt bei angenehmem Aeußeren mit einer Sprache von unwiderstehlichem Klange, welche auf die Favoritin des Kurfürsten, Frau von Coudenhove, [213] einen unauslöschlichen Eindruck gemacht, war er als Zögling der Jesuiten – wie jener Biograph schreibt – geschult, bei jeder Gelegenheit die Seite seines Geistes hervorzuwenden, von welcher er sich die meiste Wirkung versprach, und erschien, durch die im Orden strenge Disciplinirung vollkommen Herr über sich geworden, in seinen Aussprüchen stets gewichtig, in seinem Auftreten imposant und zugleich leutselig; oft in seinen Gewohnheiten mit Absicht bizarr, um, ohne Staunen zu erregen, jede Lebensform annehmen zu können. Nehmen wir hierzu, daß er es sehr gut verstand, bei sonstiger entschieden großer Lehrgabe die Dunkelheiten seines Ausdruckes für mystische Tiefe auszugeben und Denen gegenüber, die ihn hörten, den Schein zu wahren, als könne er ihnen immer nur erst einen geringen Theil des ihm Geoffenbarten mittheilen, wer mochte da sich wundern, wenn auf seinen vielen Reisen das Publicum sich sehr bald in zwei einander schroff entgegenstehende Parteien theilte, von denen die eine, die der alten Schule, ihn verketzerte und bekämpfte, während die andere, die jungen Gemüther, die er nicht nur im höchsten Grade zu fesseln, sondern auch zu beherrschen verstand, ihn als einen Propheten ansah, mit dem eine neue Aera für die Tonkunst anbreche. In München schrieb er 1780 die Musik zu dem Drama „Albert III.“, welche aber nicht gefiel. Aus unbekannten Gründen, vielleicht weit ihn die jesuitischen Umtriebe, denen er sein erstes Emporkommen zu verdanken haben soll, nichts weniger als angenehm anmutheten, legte er seine Stelle als Hofcaplan und zweiter Capellmeister nieder und trat 1781 seine erste Reise an, und von dieser Zeit datirt sein europäischer Ruf. Aber von seinen Reisen brachte er auch aus seinen Forschungen über die Musik der alten Griechen und über Nationalmelodien der verschiedenen Völker einige kostbare Ergebnisse mit, die er später in fortgesetzten Studien und vervollständigten Sammlungen zu verwerthen trachtete. Die erste Reise, bei deren Antritt er bereits in allen Beziehungen, in denen er sich geltend zu machen wünschte, bis zu einem hohen Grade von Vollendung ausgebildet und sein Ruf in musicalischen Kreisen nach verschiedenen Richtungen ein bedeutender, ja glänzender zu nennen war, führte ihn nach Paris, wo 1783 seine komische Oper „La Kermesse“ aufgeführt wurde, aber durchfiel. Nun besuchte er Holland, Schweden, Dänemark, England, Italien, Spanien, ja selbst Griechenland und Nordafrika, und diese Reisen waren alle mehr oder weniger musicalische Triumphzüge. Seine meisterhaften Orgelconcerte mußten seinen Vorträgen über sein Musiksystem die Bahn brechen; zwar nahmen seine Gegner bei diesem Orgelspiel an seiner angekündigten Musikmalerei Anstoß, indem er, ihrer Ansicht nach, nicht blos in dem Streben nach dem Charakteristischen zu weit ging, sondern den Anschein eines musicalischen Marktschreiers gewann, wenn er auf der Orgel ein Gewitter, oder gar eine Seeschlacht, ja den Einsturz der Mauern von Jericho, sowie das Reisstampfen der Africaner ankündigte; jedoch seine Anhänger und die große Menge war hingerissen, und Vogler blieb der Gegenstand des ehrfurchtsvollsten Staunens und der lautesten Bewunderung. So wurde er, wie einer seiner Biographen schreibt, ein etwas charlatanmäßig umherreisender Apostel seiner Evangelien, überall meteorartig unerwartet auftauchend, aber auch schnell verschwindend, von der Geistlichkeit überall gestützt, dagegen [214] von den gewöhnlichen Musikern von Fach, den abgesagten Feinden alles Neueren, planmäßig angefeindet. Im Jahre 1786 folgte er einem ehrenvollen Rufe des Königs Gustav III. von Schweden, um in Stockholm als Chef de la musique du roi die musicalische Oberleitung am Hofe zu übernehmen. Dreizehn Jahre, freilich in der Zwischenzeit immer längere oder kürzere Reisen ausführend, wirkte er in dieser Stelle segensreich für die Musikwissenschaft, für die Verbreitung gediegenen Orgelspiels, sowie für die Vereinfachung des Orgelbaues nach seiner sogenannten Simplificationstheorie, mit welcher er eine natürlichere Pfeifenstellung, weniger getheilten Wind und einen bequemeren Anschlag für den Spielenden bezweckte. Nach seiner Behauptung sollten kleinere und einfachere Orgeln nach diesem System die Stärke gewöhnlicher großer erhalten. Auch besuchte er während dieser Zeit, 1790, London mit seinem Orchestrion, einer Art Orgel, welches aus vier Clavieren bestand, jedes von 63 Tasten, an Stärke einer 16fugigen Orgel gleich. Die besondere Construction dieses Instruments, welchem er den Namen Orchestrion gab, weil es durch Nachahmung der Instrumente sich einem vollständigen Orchester näherte, beruhte im Wesentlichen darin, daß durch Vermehrung oder Verminderung der Luft jeder Ton in eigenthümlicher Weise bestimmt wurde und der Schall sich durch eine Oeffnung an der Mauer gegen eine an seidenen Schnüren hängende kupferne Wanne in Form einer halben Pauke warf. Außer London besuchte er in dieser Zwischenzeit 1791 den Rhein und Schwaben, in Mannheim brachte er in diesem Jahre seine Oper „Kastor und Pollux“ mit beifälligem Erfolge zur Aufführung; dann reiste er über Hamburg nach Stockholm zurück, wo er wenige Tage vor der Ermordung Gustavs III. seine Oper „Gustav Adolf“ in Scene setzte. Die nächsten zwei Jahre 1795 und 1796 hielt er musicalische Vorlesungen und blieb noch bis 1799 in der nordischen Hauptstadt, aus welcher er dann mit einer Pension von 500 schwedischen Thalern schied. Noch besuchte er Dänemark und schrieb in Kopenhagen die Musik zum Drama „Hermann von Unna“, darauf ging er über Altona nach Berlin, wo er sein Choralsystem herausgab und überhaupt eine ganz bevorzugte Aufnahme fand und von dem Könige den Auftrag erhielt, nach seinem Simplificationssystem in Neu-Ruppin eine Orgel zu bauen. Auch veranstaltete er in allen größeren Städten, die er auf seiner Reise berührte, Concerte, welche stark besucht wurden und seinen Anhang vermehrten. Im Mai 1801 begab er sich nach Prag, wo er eine Aufnahme fand, wie sie hier wenige Künstler erlebt haben. Er wurde in den meisten Privathäusern und in den adeligen Familien zu Gast geladen und machte sich vornehmlich durch Improvisiren auf dem Piano bekannt. Im herzoglich kurländischen Palais gab ihm die erlauchte Besitzerin desselben freies Quartier und räumte ihm sogar den Saal für eine öffentliche Akademie ein, zu welcher die Billets nur durch Subscription vertheilt wurden. Bei der Landesstelle suchte er um die Erlaubniß an, öffentliche Vorlesungen über die Musik auf der Universität unentgeltlich halten zu dürfen, und erbat sich zur Aufstellung seines Orchestrions, welches er aus Schweden kommen ließ, einen Saal im ehemaligen Altstädter Jesuitencollegium. Beides wurde ihm bewilligt und ihm der Saal auf zehn Jahre überlassen. [215] Zum Behuf seiner Vorlesungen schrieb er sein Handbuch der Harmonielehre. Zur Antrittsrede fand sich das Publicum sehr zahlreich ein, es schmolz aber schon bei der nächsten und noch mehr bei den folgenden Vorlesungen so zusammen, daß er mit dem ersten Wintercurse dieselben endigte, ohne sie später wieder aufzunehmen. Indessen hatte er sein Orchestrion kommen und durch den nachmals berühmt gewordenen Orgelspieler Knecht aus Biberach aufstellen lassen. Von den 1500 Pfeifen, die in diesem kleinen, 9 Kubikschuh messenden Raume sich befanden, cassirte er 600 und erklärte, daß er mit den übrig gebliebenen 900 die nämliche Stärke hervorbringen werde, welche Simplification sein System bestätigen sollte. Während die Aufstellung des Instrumentes vor sich ging, gab er in dem ihm eingeräumten Saale eine musicalische Akademie, in welcher er die Ouverture, Marsch und Gesänge aus „Hermann von Unna“, den „Aufgang der Sonne“, ein Terzett, „Das Lob der Musik“, von Meißner nach Rousseau’s Trichordion instrumentirt, und Variationen fürs Pianoforte, Alles seine eigenen Compositionen, zur Aufführung brachte. Der Erfolg des Concertes war auch nach pecuniärer Seite ein so günstiger, daß eine Wiederholung desselben stattfand. Auf den zweiten Osterfeiertag 1802 kündete er endlich sein erstes Concert an, in welchem er sich blos auf dem vielbesprochenen Orchestrion hören lassen wollte. Ein ungemein zahlreiches Publicum, unter welchem der ganze hohe Adel glänzte, fand sich zur Vorstellung ein. Aber voller Enttäuschung verließ Alles den Concertsaal, denn der Erfolg war nahezu ein kläglicher. Die Schuld wurde auf Knecht geschoben, der sein Versprechen, das Instrument ganz fertig aufzustellen, nicht gehalten hatte, während der sonst schon zu weit gediehenen Vorbereitungen wegen das Concert nicht mehr rückgängig zu machen war. Kurze Zeit danach ging Vogler nach Schlesien, wo er die Schweidnitzer Orgel simplificirte, dann nach Breslau, wo er die Oper des Kammerrathes Bürde „Der Rübezahl“ in Musik setzte. Aus letztgenannter Stadt begab er sich mit Beginn des Jahres 1803 nach Wien. Hier nahm ihn das für musicalische Genüsse ungemein empfängliche Publicum auf das freundlichste auf. Er führte in einem Concert der musikalischen Societät mit einem aus 200 Musikern bestehenden Orchester seine Oper „Kastor und Pollux“ auf, sagte für das neue Theater an der Wien die Composition einer Oper zu und brachte in der That auch die Oper „Samori“ auf die Bühne. Hierbei gedachte er mit dem gefeierten Tonheros Beethoven zu concurriren, welcher den „Fidelio“ zu schreiben versprochen hatte, aber freilich erst neunzehn Monate später denselben in Scene setzte. Vogler’s „Samori“ wurde nach 46 von dem Componisten selbst abgehaltenen Proben am 18. Mai mit der größten Pracht aufgeführt und errang trotz der gesuchten Instrumentation, als ein wahrhaft imposantes Werk entschiedenen Beifall. „Und nun“, wie ein Biograph Vogler’s schreibt, „versetze sich der geneigte Leser mit uns im Geiste um das Ende des Jahres 1803 nach Wien in die übervolle festlich geschmückte Peterskirche. Was ist es, was die zahllose Schaar der Andächtigen dort versammelt hat und sie mit solcher Spannung nach dem Hochaltar schauen läßt? Dort steht ein Priester von 54 Jahren. Er ist von mittlerer Gestalt mit kräftigen geistvollen Gesichtszügen. Nur eine kleine Tonsur ist an seinem [216] Scheitel wahrzunehmen. Aber den Priester schmückt der päpstliche Orden des goldenen Sporns, und einst hat der Abbé für den Kurfürsten von der Pfalz Karl Theodor das Weihwasser aus Rom mitgebracht. In ernster Würde steht er da am Hochaltar, consecrirend, es ist ja die Feier seines eigenen dreißigjährigen Priesterjubiläums. Dennoch verhindert ihn dies nicht, sorgsam auf die vom Orgelchore herab sich ergießenden mächtigen Tonwellen einer heiligen Musik zu lauschen. Hat er doch selbst diese Musik componirt; es ist seine Messe, geschrieben von ihm zur Feier dieses Festes. Wohin unsere Blicke schweifen, überall Staunen und Entzücken. Die Priester freuen sich eines so kunstreichen Genossen; die Tonkünstler sind nicht wenig stolz, diesen Hohenpriester zu den Ihrigen zu zählen; die Frauen sind entzückt durch seine Liebenswürdigkeit und feine Sitte; die Masse ist hingerissen von der Herablassung in seiner so einzig artigen Erscheinung. So feierte er in Wien nachhaltige Triumphe und bestätigte nach allen Seiten hin den ihm vorangegangenen Ruf als wissenschaftlicher Lehrer der Tonsetzkunst, als Componist von Massenopern und Symphonien, als großartiger Orgelspieler und hier besonders als berühmter Virtuos in der musicalischen Malerei, endlich als Akustiker und Erfinder eines Orchestrions, sowie eines Simplificationssystems bei der Orgel“. Durch eine sehr glückliche Mischung von Wissen und Können, durch ein sehr glückliches Lehrtalent bei glänzender Redegabe, durch eine nie verleugnete, wenn auch nirgend lästig zur Schau getragene priesterliche Würde in Verbindung mit dem gehaltenen Wesen eines echten Denkers, aristokratischen Lebensformen und einem künstlerischen Glanze war es ihm gelungen, einen Nimbus um sich zu verbreiten, der ihn für die musicalische Masse zum Gegenstande ehrfurchtsvoller Bewunderung machte, sympathische jüngere Naturen dagegen unwiderstehlich anzog. Bis 1804 blieb Vogler in Wien, 1805 begab er sich wieder nach München, um daselbst bei der Vermälungsfeier einer königlichen Prinzessin seine Oper „Kastor und Pollux“ aufzuführen, und besuchte dann Frankfurt a. M., Offenbach und verschiedene Städte des Rheinlandes, 1807 aber folgte er einem Rufe des Großherzogs von Hessen, der ihn als Hofcapellmeister und geheimen geistlichen Rath mit einem Jahresgehalte von 2000 fl. bei freiem Mittag- und Abendessen aus der großherzoglichen Küche u. s. w. in Darmstadt anstellte. Dabei war er fast täglich Gast des Großherzogs, der ihn sehr ehrte. Sieben Jahre verlebte er hier in glücklicher Muße, ganz seinen wissenschaftlichen Studien hingegeben, da der Großherzog keinerlei dienstliche Anforderungen an ihn stellte. Außerdem widmete er sich der Ausbildung tüchtiger Schüler. Unter diesen ragen besonders hervor: Peter Winter, der Compositeur des „Opferfestes“, Gottfried von Weber, der Verfasser einer wissenschaftlichen Compositionslehre, Gänsbacher in Wien, Freiherr von Poißl in München, Meyerbeer und Karl Maria von Weber, welch Letzterer gar große Stücke auf Vogler hielt, wie wir dies aus der Biographie Karl Maria Weber’s erfahren, welche dessen Sohn Max im Jahre 1863 herausgegeben; der Componist des „Freischütz“ war seinem Lehrer bis zu dessen Tode auf das innigste zugethan geblieben. Ende 1812 bis in die Mitte 1813 machte Vogler noch eine größere Reise durch Deutschland, dann kehrte er nach Darmstadt zurück und beschloß [217] daselbst 1814, erst 65 Jahre alt, sein wechselreiches Leben. Eine Uebersicht seiner theoretischen Werke, seiner Compositionen: Opern, Kirchenstücke und Kammermusik, eine kurze Darstellung seiner Simplificationsmethode und der Ausspruch der competenten Fachkritik über Vogler’s künstlerische Stellung und Bedeutung in der Musikgeschichte siehe in den Quellen.

I. Des Abbé Vogler theoretische Schriften über Musik, theils die selbständigen, theils die in Fachschriften zerstreuten, in chronologischer Folge.Tonwissenschaft und Tonsetzkunst“ (Mannheim 1776, 86 S., 8°., nebst einer Tabelle und einem musicalischen Zirkel). – „Stimmbildungskunst“ (Mannheim 1776, 8°., 8 Seiten und 4 Notentafeln); ist auch mit einigen Zusätzen und Veränderungen in seine später erschienene Tonschule aufgenommen. – „Betrachtungen der Mannheimer Tonschule. Eine Monatschrift“ (Mannheim 1778, 8°., 206 S.. nebst 30 Tabellen in Fol.); enthält Zergliederungen verschiedener Tonstücke; nach Gerber’s altem „Musik-Lexikon“ wären von dieser Monatschrift drei Jahrgänge, welche sich doch nirgends sonst verzeichnet finden, im Druck erschienen. – „Churpfälzische Tonschule“ (Mannheim 1778 auf Kosten des Verfassers, 8°., 96 S.); nach einer Abhandlung über die Tonkunst überhaupt folgen die Clavierschule, die Stimmbildungskunst, Singschule und Begleitungskunst. Zu diesem Werke gehört gleichsam als zweiter Theil die oben angeführte „Tonwissenschaft und Tonsetzkunst“. So schwülstig und schwerfällig auch Vogler’s Schreibart ist, so enthält dieses Werk doch wie alle anderen unseres viel verlästerten und nie unbefangen beurtheilten Meisters viel Wichtiges und Geistvolles. – „Erklärung einiger (von Weißbeck) angetasteten... Grundsätze aus der Vogler’schen Theorie. Nebst Anmerkungen über Löchlein’s Einleitung in den zweiten Theil seiner Clavierschule“ (Ulm 1785, 4°.); zwar erscheint Justus Heinrich Knecht als Verfasser, in Wirklichkeit aber ist es Vogler selbst. – „Erste musicalische Preisaustheilung für das Jahr 1791, nebst vierzehn Kupfertafeln, die aus dem Magnificat beider Preisträger ein Stück und die Umarbeitung beider Stücke vom Preisrichter liefern“ (Frankfurt a. M. 1794, Varrentrapp, 8°.). – „Bemerkungen über die der Musik vortheilhafteste Bauart eines Musikchors. Auszug aus einem Briefe Vogler’s von Bergen in Norwegen“ [abgedruckt im „Journal von und für Deutschland“, 1792, Stück 2, S. 103–190]. – Essai de diriger le Goût des amateurs de musique et de les mettre en état d’analyser, de juger un morceau de Musique“ (Paris 1782, Joubert, 8°·); diese Schrift ist wohl von Vogler verfaßt aber nicht von ihm herausgegeben. – „Antwort... auf verschiedene tiefgedachte, sein System betreffende, von den Herausgebern der musicalischen Realzeitung in Speyer ihm zugeschickte Fragen“ (London Märzmonat 1790) [in der „Musicalischen Correspondenz“, 1790, S. 9 u. f.]. – „Aesthetisch-kritische Zergliederung des wesentlich vierstimmigen Singesatzes des vom Herrn Musikdirector Knecht in Musik gesetzten ersten Psalms“ [in der „Musicalischen Correspondenz“, 1792, S. 155 und 314]. – „Verbesserung der Forkel’schen Veränderungen“ (Frankfurt a. M. 1793, Text in 8°. und Notentafeln in Fol.). – Inledning til Harmoniens hannedom, d. i. Einleitung zur Harmoniekunde (Stockholm 1797); ein ins Schwedische übersetzter Auszug aus Vogler’s Schriften. – „Organisten-Schule mit 90 schwedischen Chorälen“ (Stockholm 1797). – „Clavier- und Generalbaß-Schule“ (Kopenhagen 1797, 8°.); dieses und das vorige Werk sind in schwedischer Sprache verfaßt, ich konnte aber ihre Titel nicht finden. – „Choral-System“ (Kopenhagen 1800, 8°, 105 S. und 23 Notentafeln in 4°.); in sehr freimüthigem Tone kündigte Vogler dieses Werk im Intelligenzblatte des I. Jahrganges der Leipziger „Musik-Zeitung“. S. 94, an; das Werk enthält eine kritische Prüfung der musicalischen Theorie; eine historische Deduction über die uralte Psalmodie; eine Verbesserung und Umarbeitung fehlerhafter Behandlungen der sechs griechischen Tonarten und strenge Prüfung vierstimmiger Orgelbegleitungen und Chöre. – „Data zur Akustik. Eine Abhandlung, vorgelesen bei der Sitzung der naturforschenden Freunde in Berlin den 15. December 1800“ (Offenbach, André, 38 S., 8°.); enthält Versuche, die Akustik auf den Orgelbau[WS 1] anzuwenden, und ertheilt zum ersten Male Nachricht von dem [218] Simplificationssystem Vogler’s. – „Handbuch der Harmonielehre und für den Generalbaß, nach den Grundsätzen der Mannheimer Tonschule, zum Behufe öffentlicher Vorlesungen im Orchestrionsaale auf der Universität zu Prag“ (Prag 1802, Barth, 142 S., 8°. und 12 S. Notenbeispiele in Folio; auch Offenbach, bei André). – „Erklärung der Buchstaben, die im Grundriß der nach dem Vogler’schen Simplificationssysteme neu zu erbauenden St. Peters-Orgel in München vorkommen“ (München 1806). – „Vergleichungsplan der vorigen mit der neu umgeschaffenen Orgel im Hofbethause zu München“ (ebd. 1807). – „Gründliche Anleitung zum Clavierstimmen für die, welche ein gutes Gehör haben“ (Stuttgart 1807, Burglein, und Wien, Steiner, 8°.). – „Deutsche Kirchenmusik, die vor 30 Jahren zu vier Singstimmen und der Orgel herausgekommen und mit einer modernen Instrumentalbegleitung bereichert worden; nebst der Zergliederung und Beantwortung der Frage: Hat die Musik seit 30 Jahren gewonnen oder verloren?“ (München 1807, 8°.). – „Ueber die harmonische Akustik (Tonlehre) und über ihren Einfluß auf alle musicalischen Bildungsanstalten. Rede... gehalten zu München“ (München 1807, Lentner, 28 S, 4°.). – „Vergleichungsplan der nach seinem Simplificationssysteme umgeschaffenen Neu-Münster Orgel in Würzburg“ (Würzburg 1812, Stachel, gr. 4°.). – „Uebung für das Ueberspringen des zweiten Fingers der linken Hand“ (Dresden 1797, Hilscher). – „Vom Zustande der Musik in Frankreich“ [in Cramer’s „Magazin der Tonkunst“, Bd. I, S. 785 u. f.]. – „Aeußerung über Knecht’s Harmonik“ [in der Leipziger „Musicalischen Zeitung“, Bd. II, S. 689]. – „System für den Fugenbau. Als Einleitung zur harmonischen Gesangverbindungslehre. Nach Vogler’s hinterlassenem Manuscripte herausgegeben“ (Offenbach o. J., André, 75 S., 8°., nebst 35 Seiten Notenbeispiele); nach Erörterung der mathematischen Ansicht der Fuge geht Vogler im Verlaufe der Darstellung auf die rhetorische, logische und ästhetische über; dann liefert er zur Vergleichung und Prüfung seiner Grundsätze die Arbeit des Schülers, zuletzt jene des Meisters. Ungedruckt blieb seine in Prag am 9. November 1801 gehaltene Antrittsrede: „Was ist Akademie der Musik?“
II. Abbé Vogler’s Compositionen. A. Opern.Der Kaufmann von Smyrna“ Operette (1780). – Ouverture und Zwischenacte zum „Hamlet“; im Clavierauszug gestochen. – „Ino“. Ballet. – „Lampredo“. Melodram. – „Egle“. Oper (Stockholm 1787). – „Die Dorfkirmeß“ (La Kermesse). Operette (1783). – „Le Patriotisme“. Große Oper, von der Pariser großen Oper zurückgewiesen. – „Albert der Dritte von Bayern“. Singspiel in fünf Auszügen, in München aufgeführt 1781. – Chöre zu Racine’s „Athalia“. Französisch aufgeführt in Stockholm 1791. – „Gustav Adolf“. Schwedische Oper, aufgeführt in Stockholm 1791. – „Kastor und Pollux“ (Mannheim 1791). Daraus das „Coro de mostre“ zu Mannheim 1791 und die Ouverture. von Kleinheinz für vier Hände eingerichtet, 1793 gestochen; die ganze Oper im Stich bei Heckel in Mannheim. – „Hermann von Unna“. Schauspiel mit Ouverture, Chören, einer Romanze und Tänzen ursprünglich als schwedisches Original in Musik gesetzt, dann aber 1800 ins Dänische übertragen und erst zu Kopenhagen, im folgenden Jahre aber deutsch zu Berlin mit großem Beifalle aufgeführt. Im Clavierauszuge gedruckt Kopenhagen 1800 bei Sönnich sen. und dann im nämlichen Jahre zu Leipzig bei Breitkopf und Härtel. – „Samori“. Große Oper fürs Theater an der Wien (1804); im Stich erschienen bei Artaria in Wien. – B. Kirchliche Compositionen. „Paradigma modorum ecclesiasticorum“. – „Ecce Panis, chorus“. – „Deutsche vierstimmige Messe mit der Orgel“. – „Suscepit Israel“. – „Vierstimmige Fugen“ zu Pergolese’s „Stabat mater“. – „Psalmus Miserere decantandus a 4 vocibus cum organo et Bassis... compositus“ (Speyer). – „Vesperae chorales“ (ibd.). – „Neun lateinische Psalmen“. – „Missa in D-moll. – „Kyrie cum gloria“. – „„Meditationes: Christen sammelt euch! a 4 voc.“. – „Requiem in Es. Und sonst noch mehrere Messen und andere Kirchenstücke. So erschien erst in neuerer Zeit ein „Veni Sancte Spiritus“, für vier Männerstimmen und Physharmonika eingerichtet von Dr. Finkes 1865 bei Glöggl in Wien. – C. Orgel- und Clavierwerke. „Sechs Claviertrio“. – „Sechs leichte Claviersonaten mit Begleitung einer Violine“. – „Sechs Sonaten“, welche Duette, Trios, Quatuors [210] u. s. w. von sechs verschiedenen Arten enthalten. – „Sechs Clavierconcerte“, erstes und zweites Buch, jedes zu drei Stück. – „Sechs Claviertrio“. – Desgleichen (Paris). – „Leichte Divertissements mit Nationalcharakteren“, erstes Buch. – Sechs desgleichen, zweites Buch. – „Clavierconcert à 9“, in einem Concert vor der Königin von Frankreich vorgetragen. – „112 kleine und leichte Präludien für Clavier und Orgel“. – „Clavierconcert à 9“, mit einem von L. Kornacher, einem Schüler Vogler’s, den er 1784 auf der Reise nach Paris begleitete, zusammen gestochen. – „Sechzehn Variationen aus dem C“. – „Sonate für vier Hände“. – „Variations sur l’air de Marlborough pour le Pfte. avec accompagnement de 2 V., A. et B., 2 Fl., 2 Fag. et de Cors ad lib.“ (Speyer, qu. 4°.). – „Schicksal der blinden Clavierspielerin Paradies“. Cantate mit Accomp. (Mainz 1792). – „Concert pour le Clav.“ (Paris 1792). – „Polymelos ou Charactères de Musique de différentes Nations pour Clav. av. 2 V., A. et B.“ (Speyer 1792). – „Quartetto concert, p. Clav. av. accomp.“ (Amsterdam, Schmitt; London 1792). – „Wilhelm von Nassau, variée p. Clav. av. V., A. et B.“ (Amsterdam 1792, Schmitt; auch London). – „6 Sonates à 2 Clav.“ (Darmstadt 1794, qu. Fol.). – „Brouillerie entre mari et femme, sonate caractéristique pour Clav. av. 2 V., A. et B.“ (Paris 1795); auch unter dem Titel: „Der eheliche Zwist. Sonate fürs Pianoforte u. s. w.“ (Leipzig 1796). – „Notturno p. Clav., V., A. et B.“ (2. Aufl. Darmstadt). – „16 Variations in F p. le Clav.“ (München 1800). – „Trichordium oder die Romanze von Rousseau zu drei Tönen, dreistimmig gesetzt“ (Leipzig 1800, Breitkopf). – „Pièces de Clav. fac. doigt. avec Variat.“ (1801). – „Polymelos pour le Fortep. av. l’accomp. d’un V. et Va. ad libitum comp. et déd. S. M. la Reine de Bavière etc. Nr. 1 et 2“ (München 1807). Dieses Werk, dessen Inhalt im neunten Jahrgange der Leipziger „Musicalischen Zeitung“, S. 382, ausführlich zergliedert ist, bezeichnet Gerber als ein ganz merkwürdiges, das mit den 19 Nationalmelodien in charakteristischer Ausführung ein Non plus ultra der harmonischen Kunst ist. – „32 ausgeführte Präludien“, für die Orgel durch alle Tonarten nebst einer Zergliederung in ästhetisch-rhetorischer und harmonischer Rücksicht (München 1807, Falter). – „Davids Bußpsalm“, nach Moses Mendelssohn’s Uebersetzung im Choralstyl zu drei selbstständigen Singstimmen nebst der vierten wesentlichen Stimme, dem willkürlichen Tenor, mit einer Zergliederung (München 1807). – „Variationen fürs Pianoforte über: Ah que dirai-je, Mama? mit V., Vc. ad lib.“ (München 1807). – „Davids Psalm: Ecce quam bonum“, für vier Männerstimmen (ebd. 1807). – „Polonaise favorite p. Pfte.“ (Leipzig, Kühnel). – „Variations sur 2 thèmes p. Pfte.“ (ebd.). – „Zwölf Chorale von J. Sebast. Bach, umgearbeitet von Vogler, zergliedert von K. M. von Weber“ (ebd.). Von Gerber als „ein wichtiges Werk“ bezeichnet.
III. Porträte. 1) Urlaub p.Bittheuser sc. (8°.). – 2) F. V. Durmer sc. (4°., Hüftbild). – 3) Hauber p. H. W. Eberhard sc. (8°.). – 4) Scheffner sc. (4°.). – 5) J. M. Schramm sc. (8°.). – 6) Unterschrift: „Abt Vogler“. P. Wuest sc. (Zwickau, bei den Gebrüdern Schumann, 4°.). – 7) Unterschrift: „Georg Joseph Vogler“. Medaillonbild. Am unteren Medaillonrande: H. E. von Wintter del. 1815 (Fol.) [seltenes und auch dadurch merkwürdiges Blatt, daß es zu den ersten Versuchen der eben zu jener Zeit von Senefelder erfundenen Lithographie gehört].
IV. Abbè Vogler’s Grabdenkmal in Darmstadt. Zu Darmstadt auf dem sogenannten alten Friedhofe erhebt sich wenige Fuß von den Mauern einer ziemlich unansehnlichen, doch in ihrem Verfalle recht malerischen Capelle ein Würfel von grauem Marmor, im griechischen Styl gearbeitet, mit folgender Inschrift: „Abt G. J. Vogler, Geistlicher Geheimer Rath. Geboren zu Würzburg XV. Juni MDCCXLIX. Gestorben zu Darmstadt VI. Mai MDCCCXIV. Liegt unter diesem Grabstein. Dem vorzüglichen Tongelehrten. Und geistvollen Componisten. Errichtet von Ludewig G. H. v. H.“. Im Laufe der Zeit gerieth das Denkmal, um das die Darmstädter sich nie kümmerten, obwohl die mehrjährige Anwesenheit des bedeutenden Künstlers und das durch ihn geweckte und gesteigerte Musikleben ihrer Stadt ein erhöhtes Relief und ihm einen Anspruch auf Dankbarkeit derselben gegeben, in völligen Verfall. Da ließ im Jahre 1867 der regierende Großherzog an Stelle des alten Denkmals ein demselben [220] ganz ähnliches herstellen, welcher Umtausch, binnen wenigen Tagen in aller Stille vor sich ging. Nun ermannte sich auch der Verschönerungsverein der Stadt und ließ das Wohn- und Sterbehaus Vogler’s mit einer Gedenktafel schmücken. [Payne’s Allgemeine Illustrirte Zeitung, 1866. S. 203: „Abt Vogler’s Grab“.]
V. Abbé Vogler’s Simplificationssystem. Daß sich ein großer Theil der künstlerischen Thätigkeit des Meisters auf dem Felde der Orgelbaukunst bewegte, wurde in der obenstehenden Lebensskizze angedeutet. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts stellte nun der Abbé sein sogenanntes Simplifications- (Vereinfachungs-) System auf, welches hauptsächlich darin bestand, daß sämmtliche Register auf einen sehr engen Raum zusammengedrängt wurden, wodurch die Windführung allerdings eine bedeutende Vereinfachung erfuhr; dann verwarf es die Mixturen (gemischten Stimmen in der Orgel), Tertien, Nasale u. s. w., wie auch die mehr spielerischen Stimmen, wie Cymbal u. dgl. m. Ferner stellte es die Pfeifen anders, und zwar in aufeinanderfolgenden Reihen nach Art der Saiten eines Claviers oder einer Harfe, und endlich verwarf es allen äußerlichen Zierat und alle Prachtentfaltung durch glänzende Prospectpfeifen. Wenn nun dieses System auch nicht in seiner ganzen Consequenz Eingang gefunden hat, weil es der geschmackvollen Aufstellung alles Recht entzog und die allzu dichte Häufung der Pfeifen der vollen Entwickelung ihrer Klangfülle im Wege steht, so bewirkte es doch eine heilsame Reaction im Orgelbaue überhaupt, indem es denselben mehr Zusammenhang und Ordnung brachte und dem vorwiegenden bloßen Empirismus, nach dem die meisten Orgelbauer verfuhren, ein Ende machte und mehr zu Wissenschaftlichkeit führte.
VI. Vogler’s künstlerische Bedeutung in der Musikgeschichte. Wie schon bemerkt, zählte unser Componist neben seinen zahlreichen Freunden und Verehrern nicht wenige, und zwar entschiedene Gegner, wie denn überall, wo viel Licht, sich auch Schatten lagern. Wenn es nun auch nicht zu leugnen ist, daß Vogler nicht frei von Eitelkeit und kluger Berechnung dessen war, wovon er sich von der Welt Erfolg versprechen konnte, daß er den Glanz und Schein liebte, daß ihm in der Kunst oft die Form über den Inhalt, die Wirksamkeit über die Tiefe des inneren Gehaltes ging, daß er sich mit besonderem Interesse an dem sinnlich Wohlgefälligen erfreute, ja daß er gerade auf diese Weise nicht selten auf Irrwege gerieth, die ihn von dem höchsten Zwecke der Kunst abführten, so darf doch nicht verkannt werden, daß er nicht blos ein hervorragendes Talent für die Musik und deren Ausübung besaß, sondern daß er auch wirklich von glühender Begeisterung für die Kunst erfüllt war. Nur so erklärt sich seine rastlose Thätigkeit für dieselbe nach den verschiedensten Seiten hin, nur so seine zähe Ausdauer im Kampfe mit allen sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten. Mögen seine akustischen Anordnungen in Kirchen und Sälen sich oft nicht bewährt haben, er zeigte doch eine tiefe Kenntniß der aus reicher musicalischer Erfahrung abgeleiteten Regeln für Tonbildung und für die Hervorbringung tönender Klange. Nicht blos theoretischer Grübler, war er zugleich talentvoll genug, seine neuen Ansichten und Principien in einem Kunstwerke lebendig werden zu lassen, wenn dieses auch nicht auf die Dauer zur Geltung kam, sondern nur die Forschung auf dem Gebiete der Akustik förderte. Das Extravagirende in seinem Orgelspiel ist längst vergessen, aber der große, seit Sebastian Bach fast unerhörte Beherrscher der Orgel, der mit seiner freien Phantasie die wunderbarste Bewegung nicht minder auf dem Gebiete des Lieblichen, als des Erhabenen und Erschütternden hervorrief, wird nie vergessen werden. Wer kennt heute noch Vogler’s Opern? Und dennoch waren sie für jene Zeiten bedeutend. Mit besonderer Vorliebe für das Großartige Heroische erfüllt, und in dem nach der classischen Tragödie gebildeten drama lyrique die Norm für die Oper sehend, war er, auf den Schultern Gluck’s stehend, mit seltener Kenntniß der Instrumente ausgerüstet und gewandt genug, dieselben dem Charakter, den er seinen Tonstücken geben wollte, anzupassen, vorübergehend in Süddeutschland, in Wien und München der deutsche Vorläufer Spontini’s; wie dieser verschmähte er aber auch den größten Pomp der Scenerie und die reichsten Orchestermittel nicht und war, gleich ihm, unermüdet in Proben, deren Zahl zuweilen beinahe ein halbes Hundert betrug, wodurch er aber auch wie Spontini Aufführungen von solcher Vollendung ermöglichte, daß gerade diese vollendete Ausführung, [221] wie bei genanntem Meister über den oft mageren inneren Gehalt täuschte. Endlich auch in seinen Kirchencompositionen, Messen, Requiem – Karl Mar. von Weber fällte über dieselben ein ganz begeistertes Urtheil – verdient Vogler in Wahrheit nicht, vergessen zu sein. Niemand, der sie unbefangen prüft, kann in ihnen ein tiefes, echt religiöses Gefühl verkennen. Dazu kommt einfacher, meist schöner Gesang, harmonischer Reichthum, kunstgemäße Behandlung des Satzes und einsichtsvolle, im edlen Sinne effectvolle Instrumentation, in der That genug, um den von K. M. von Weber bei der Nachricht vom Tode Vogler’s im Jahre 1814 in tiefer Bewegung des Herzens brieflich an Gänsbacher ausgesprochenen Wunsch zu rechtfertigen: „Meinen Schmerz brauche ich dir nicht erst zu beschreiben. Friede sei mit seiner Asche! Ewig lebt er in unseren Herzen. Wenn nur seine Werke nicht verschleudert werden und er einen von uns, seinen Schülern, zu seinem Erben gemacht hat!“ Leider ist dies nicht geschehen. Wie aber Vogler seinerzeit alle Gemüther – und nicht blos die der großen Menge, sondern auch der wenigen Auserwählten, denen die Muse die Lippen geküßt – erregte, dafür ein Beispiel. D. F. Schubert, der Märtyrer auf dem Hohenasperg,. beginnt eine Ode an Vogler folgendermaßen: „Halt’ inn’ in deinem Cherubsfluge, | Halt’ inne, du gekostester Sohn der Harmonie. | Orgelgeist, des ersten Tongebäudes Beseeler, | Halt’ inn’ in deinem Cherubsfluge. | Daß ich am Hals dir hang’ und weine, | Ach, des Abschieds blutige Zähre“. Und so geht es noch in 22 begeisterten Zeilen weiter.
VII. Quellen zur Biographie. Fröhlich (F. Dr.). Biographie des großen Tonkünstlers Abt Georg Joseph Vogler, bei Gelegenheit der Inauguration des vom historischen Vereine von Unterfranken und Aschaffenburg ihm am 5. August an seinem Geburtshause gesetzten Denksteines (Würzburg 1845). – Dlabacz (Gottfried Johann). Allgemeines historisches Künstler-Lexikon für Böhmen und zum Theile auch für Mähren und Schlesien (Prag 1815, Gottlieb Haase, 4°.) Bd. III, Sp. 305. – Frankfurter Conversationsblatt (4°.) 8. März 1841, Nr. 67 u. f.: „Der Meister und seine Schüler“ [betrifft Vogler, dessen vorzüglichste Schüler Gänsbacher, K. M. von Weber, Gottfried Weber, Meyerbeer, Peter Winter und Freiherr von Poißl waren]. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, gr. 4°.) 12. und 13. Februar 1869, Nr. 43 und 44, I. Beilage: „Alles schon dagewesen. Eine musicalische Abbaten-Parallele“ [Parallele zwischen Abbé Vogler und Abbé Liszt]. – Gaßner (F. S. Dr.). Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Franz Köhler, Lex.-8°.) S, 872. – Gerber (Ernst Ludwig). Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler u. s. w. (Leipzig 1792, Breitkopf, gr. 8°.) Bd. II, Sp. 743 u. f. – Derselbe. Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler u. s. w. (Leipzig 1814, A. Kühnel, gr. 8°.) Bd. IV, Sp. 468–481. – Hanslick (Eduard). Geschichte des Concertwesens in Wien (Wien 1869, Braumüller, gr. 8°.) S. 194. [Hanslick ist der Erste, der zwischen Vogler und Liszt eine künstlerische Parallele zieht.] – Journal des Luxus und der Moden. Herausgegeben von F. J. Bertuch und Kraus (Wiener Industrie-Comptoir, 8°.) Jahrg. 1804, Märzheft, S. 123 bis 129: „Abt Vogler. Sein Aufenthalt zu Prag und Etwas zu seiner Charakteristik“. – Leipziger Lesefrüchte, gesammelt in den besten literarischen Fruchtgärten des In- und Auslandes von Dr. Karl Greif (Leipzig, Hartmann, gr. 8°.) I. Jahrg. 1832, Bd. I, S. 752: „Die Biklinge und der Abt Vogler“. – Meusel (Joh. Georg). Künstler-Lexikon vom Jahre 1809, Bd. II, S. 489–496. – Morgenblatt für die gebildeten Stände (Stuttgart, Cotta, 4°.) 1816, Nr. 222, 885: „Sorget nicht für den anderen Morgen“. Von A. E. [nach Vogler’s mündlicher Mittheilung]. – Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Für Künstler, Kunstfreunde und alle Gebildeten. Angefangen von Dr. Julius Schladebach, fortgesetzt von Eduard Bernsdorf (Offenbach 1861, Joh. André, gr. 8°.) Bd. III, S. 819. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. V, S. 578 [nach dieser gest. am 12. Juni 1814]. – Pillwein (Benedict). Biographische Schilderungen oder Lexikon salzburgischer theils verstorbener, theils lebender Künstler, auch solcher, welche Kunstwerke für Salzburg lieferten (Salzburg 1821, Mayr’sche Buchhandlung, kl. 8°.) S. 246. – Riemann (Hugo Dr.). Musik-Lexikon u. s. w. (Leipzig 1882, Bibliogr. Institut, br. 12°.) [222] S. 978. – Sammler (Wiener Unterhaltungsblatt, 4°.) 1814, S. 428. – Das Siebengestirn und die kleineren Sterngruppen im Gebiete der Tonkunst aus Seraph Lener’s Werken (Pesth 1861, Jos. Herz, gr. 8°.) 2. Theil. S. 5. – Ziehrer’s Deutsche Musik-Zeitung (Wien, gr. 4°.) 1875, Nr. 1, S. 2.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Orbelbau.