Die Brunnennixe
In Schwabenland lebte ein mannlicher Ritter, Wackerbart genannt, auf seinem festen Raubschloße. Es galt damals das Recht, wo die Faust vorankommt und dann das Recht schon nachfolgt, nämlich das Faustrecht. Wer den Andern niederwerfen konnte mit Schwerdt und Lanze, der hatte allezeit Recht, und Schwerdt und Lanze hatte jeder Ritter und seine Knappen und Knechte hatten die nämlichen Waffen. Damit übten sie nun weit und breit im Lande umher das Recht aus, nahmen dem schwächeren Nachbar seine Burg und sein Gut, fielen Kaufleute, die mit Waaren daher kamen, auf offener Heerstraße an, und nahmen ihnen Geld und Waaren ab, und thaten Alles, wozu sie die Macht hatten. Das war das Recht, [318] damaliger Zeit. Jetzt haben wir dieses Recht nicht mehr, sondern dagegen ist das Kanonenrecht aufgekommen.
Damals aber galt das uralte Faustrecht noch, welches Wackerbart als ein mannlicher Ritter, tapfer und gewißenhaft ausübte, und daher ringsumher im Lande so gefürchtet war, daß, wenn es hieß: „Wackerbart kommt!“ Alles floh, wie eine schutzlose Heerde Schafe, wenn der Wolf kommt.
Kam er von seinen Streifzügen wieder zurück und hatte seine Rüstung abgeschnallt, so war er ein ganz guter Mann gegen Weib, Kinder und Gesinde. Die tugendsame und fromme Hausfrau saß an ihrem Rocken oder Webstuhl, wenn der Hausherr nicht daheim, sondern auf Weglagerung war. Ihre zwei Töchter hielt sie zu Häuslichkeit und Züchtigkeit an, denn sie sollten auch einmal brave Hausfrauen werden, welches in ihren Augen etwas gar Ehrwürdiges und Hohes war. Solche hohe Weltdamen, wie sie heutiges Tags der liebe Gott bescheert, kannte man damals noch nicht.
Wie glücklich und zufrieden wäre die treffliche Frau gewesen, hätte ihr Wackerbart nicht Freibeuterei getrieben, die ihrem Herzen sehr weh that. Er gab ihr, wenn er heimkehrte, das Beste von der Beute; reiche mit Gold und Silber durchwirkte Kleider, Armspangen und Perlen, aber sie verschloß das Alles traurig in ihre Truhe (große Kiste oder Lade), weil die Thränen der Unglücklichen dran hingen, die ihr Gemahl beraubt hatte.
Sie wollte den Himmel mit ihrem Gemahl versöhnen, indem sie den Armen so viel Gutes that, als sie nur immer vermochte, und Wackerbarts Gefangenen so viel Erleichterung schaffte, als sie nur vermochte.
Es war eine Felsenquelle am Fuße des Schloßberges mit köstlichem Waßer. Hier versammelten sich oftmals die Armen der [319] Nachbarschaft, die sie speisete und beschenkte, und hier lustwandelte sie am liebsten, wenn ihr die alte Burg in des Hausherrn Abwesenheit zu öde und dumpf und enge wurde.
Einsmals blieb ihr Gemahl sehr lange aus und es wurde ihr, o wie so bange, es möchte ihm ein Unglück begegnet sein. Wie oft fragte sie den Zwerg, der Wacht auf der Thurmwarte hielt: „Kleinhänsel, erschauest du nichts? Kleinhänsel, hörst du nichts trappeln?“ Aber Kleinhänsel sagte immer traurig: „Nichts! nichts!“ – Dann trieb sie oftmals die Angst an den krystallhellen Brunnen, wo sie sich hinsetzte und zum Himmel aufsahe und weinte und seufzte.
So saß sie auch einst unfern vom Brunnen, da kam es ihr vor, als ob ein leichter Schatten den Rand deßelben umschwebte, doch achtete sie in ihrer Betrübniß nicht drauf. Aber sie sahe gar bald, daß wirklich eine Gestalt da war. Die hielt sie für die Nixe der Quelle, und das war sie denn auch.
Die Nixe hatte ein holdes mildes Angesicht und winkte ihr mit der Hand. Da wollte sie verzagen, nicht aus Grauen vor der Nixe, sondern weil sie glaubte, ihre Erscheinung zeige den Tod des Gemahls an, denn es hieß seit undenklicher Zeit, wenn die Nixe erscheine, bedeute es ein großes Unglück. Aber die Nixe kam, faßte sie freundlich bei der Hand, küßte ihre Stirn[WS 1] und führte sie in die Grotte, aus welcher die Quelle hervorsprudelte, und sagte: „Sei ruhig, du theures Weib; dein Gemahl ist geborgen und ist bei dir, ehe die Morgenröthe zum zweitenmal leuchtet. Ich aber liebe dich lange, weil dein Herz so rein ist, wie das Waßer meines Brunnens. Ich habe nicht Macht für Dich und die Deinen gar viel zu thun; ich will dir aber offenbaren, daß du deinen Gemahl nicht wirst betrauern. Aber einer holden Tochter, die du noch gebären wirst, stehen seltsame Dinge bevor, und du wirst sie nicht lange pflegen.
[320] Darob weinte das liebe treue Mutterherz schon im Voraus; aber die Nixe tröstete sie und sprach: „Gott wird sie schützen, und ich will mütterlich thun, was ich vermag, obwohl es nicht viel sein wird. Aber merke: ich muß ein Recht an das Kind haben, und will darum, daß du mich mit zur Pathe beim Kinde erwählst. Nimm aber auch das in Obacht, daß mir das Kind den Pathenpfennig zu seiner Zeit bringe, dem ich ihm einbinden werde.
Hierauf nahm die Nixe einen glatten Bachkiesel und gab ihm der Burgherrin. „Nimm! sagte sie, und laß durch eine treue Magd den Kiesel zu rechter Zeit und Stunde in den Brunnen werfen, so werd ich bei der Taufe erscheinen.“ Die Nixe versenkte sich in den Brunnen.
Am andern Tage gegen Mittag trompetet Kleinhänsel von der Thurmwarte gar lustig herab, und Herr Wackerbart, der mannliche Ritter, zieht mit seinen Lanzenknechten und Reisigen ein und hat großes Gut erbeutet.
Als sie nach einem Jahr Hoffnung hatte, eines Kindes zu genesen, offenbarte sie es dem ehlichen Gemahl, der darob eine große Freude empfand. Aber wie sollte sie es anfangen, die Nixe des Brunnens zur Pathe zu erwählen? Es hatte großes Bedenken zu sagen, was ihr am Brunnen begegnet war. Herr Wackerbart möchte große Einwendungen gehabt haben und die Mitgevattern große Sorge, und hätten wohl gar von Seelenverkauf an Hexen und böse Geister gesprochen. Wie sollte sie es anfangen?
Die Klugheit des Weibes siegte, und als er sich wieder zum neuen Raubzuge rüstete, forschte sie nach, gegen wen der Zug gehe? Das hatte sie sonst niemals gethan.
„O neugieriges Weibervölklein, sagte Herr Wackerbart lächelnd; das will doch Alles wißen, was ihm zu wißen weder noth [321] noch gut ist. – Aber wie kommts denn, du ehrenwerthe Hausfrau, daß du auf einmal neugierig bist? Warst es ja sonst nicht!“
„O, sagte sie, ist man einmal so lange um sein Gemahl so beängstigt gewesen, als ich um dich bei deinem letzten Raubzuge, da wird man wohl neugierig. – Und was willst du denn uns Weiber anschuldigen? Du und dein Männergeschlecht sind vielleicht neugieriger als wir. Ich möchte fürwahr die Probe nicht machen!“
„Nicht machen? sagte er ernst. Bei mir mache sie immer, mein liebes Gemahl.“
Sie schien sich ordentlich auf eine Probe zu besinnen. Dann sagte sie endlich: „Soll ich dir eine Probe aufgeben?“
„Gib sie, liebes Weib, sie sei welche sie wolle!“
„Welche sie wolle? versetzte sie; das wollen wir sehen. Ich habe für unser Kind, das uns Gott bescheeren will, mir im Herzen eine Pathe ersehen, die Ich wohl kenne, die aber Du nicht kennst. Wenn ich sie nun zur Pathe bitte, wirst Du Dich enthalten können zu fragen, wer sie ist?“
Wackerbart reichte ihr seine Hand und sagte: „Ich werde nicht fragen!“
Wackerbart war wohl ein Raubritter, aber kein schleichender Bube. Wo er Hand und Wort gegeben, das hielt er heilig und treu, denn das war ihm Ehrensache.
Jetzt hatte sie freie Hand. Nach einigen Wochen kam ein Töchterlein zur Welt, und der Vater bat die Gevattern, die allsammt am Kindtaufstage eintrafen.
[322] Da sie nun meistens schon da waren, berief die Mutter des Kindes eine vertraute Dienerin, gab ihr den Kiesel und sagte: „Wirf diesen Kiesel stillschweigend in den Nixenbrunnen. Vielleicht daß es meinem Kinde ein Glück bringt.“
Die treue Magd that, wie ihr befohlen war, und ehe sie noch wiederkehrte, trat eine hohe, aber unbekannte Frau ins Gemach, wo die Pathen allesammt versammelt waren, neigte sich hoch und dehmüthig gegen Herren und Frauen und sagte kein Wort, und Niemand hatte das Herz sie zu befragen: Wer? oder von Wannen?
Der Täufer kam; die Pathen stellten sich, und die Unbekannte stellte sich oben an, nahm das Kind und hielt es zur Taufe zuerst.
Sie war so schön; sie war so züchtig und sittig; ihr Kleid war waßerblaue Seide, und Perlen, wie sie fast Keiner gesehen, schmückten nebst den kostbarsten Steinen ihr Gewand, und der Zipfel ihres Schleiers war naß, als wäre er so eben erst aus Waßer gezogen. Die Mitgevattern erstaunten, sannen, riethen, wer die Fremde sein möchte? und achteten nicht auf die Worte des Täufers, der das Kind Mathilde nannte.
Die Taufhandlung war vorbei und die Pathen traten glückwünschend ans Bette der Wöchnerin, und begabten den Täufling mit reichen Geschenken, aber die Fremde zog einen sorgfältig eingewickelten hölzernen Bisamapfel[1] hervor, legte ihn auf die [323] Wiege des Kindes, küßte Mutter und Kind auf die Stirne und ging.
Alle wären gern laut geworden und hätten sich ihre Gedanken und Bemerkungen über das elende Geschenk mitgetheilt, aber weil die Aeltern des Kindes schwiegen, konnten sie nur unter einander flüstern. Der Ritter Wackerbart hätte das Geheimniß von der fremden Pathe seiner Hausfrau gern abgelistet, aber sein gegebenes Ritter- und Ehrenwort hielt ihn ab zu fragen, und sie konnte schweigen. Der Bisamapfel ward in ihrem Schatzkästlein sorgfältig verwahrt.
Ehe noch Mathilde ohne Hülfe gehen konnte, starb ihre Mutter, eben als ihr Gemahl auf einem Zuge abwesend war. Als dieser wiederkehrte, stieß der Zwerg in sein Horn, aber es waren traurige Töne, die er blies. „Das weißagt Unglück!“ rief der Ritter, und als er in den Schloßhof hineinsprengte, war, nach damaliger Sitte, eine Laterne ohne Licht, an welcher ein schwarzer Flor flatterte, vor der Hausthür ausgestellt und die Fensterladen waren verschloßen. Das waren die Leichenzeichen. Und als der Ritter eintrat, da lag die fromme treue Hausfrau auf der Bahre mit Blumen geschmückt; die ältern Töchter, in Flor gehüllt, weinend zu ihren Häupten, die kleine Mathilde mit Blumen spielend zu den Füßen.
Da brach dem Ritter das Herz und er jammerte laut und trug Leid um sie in tiefer Einsamkeit und Stille. Das aber konnte bei ihm nicht lange dauern, denn auf Zügen und Fahrten zu sein, war seine andere Natur geworden.
Bald brachte er eine Gemahlin wieder ins Haus, die war gar andern Sinnes als die Entschlafene. Mit ihr ging ein prächtig verschwenderisch Leben mit Banketen und Lustgelagen, [324] Schlemmen und Zechen an, und das arme Gesinde, das Liebe und Sanftmuth gewohnt war, wurde herrisch geplagt und gehudelt. Die beiden ältesten Töchter der Entschlafenen wurden in ein Frauenkloster gesteckt, und die Kleine bekam eine entlegene Kammer und eine Amme, denn die hochgebietende Frau mochte sie nicht vor Augen haben.
Der Aufwand wurde so groß, daß Wackerbart, obwohl er dem Faust- und Raubrecht unermüdet oblag, bald nicht mehr so viel herbeiliefern konnte, als verschwelgt ward. Da wurde dann von dem vergnügungssüchtigen Weibe Alles durchsucht und geplündert und verkauft oder verpfändet, was die Vorfahrerin hinterlaßen hatte.
Als einsmals fast gar nichts mehr da war, hielt die Verschwenderin wieder eine Durchsuchung, und, welch ein Fund! sie trifft auf ein Geheimfach, welches das Schatzkästlein der Verstorbenen enthielt! Da funkelten Juweelen, Demantringe, Ohrengehänge, Armspangen, Perlenschnuren und anderes Geschmeide mehr. Sie durchsahe Alles genau, schätzte es und rechnete, wie viel sich damit ausrichten laße und wie lange es ausreichen könne.
Der hölzerne Bisamapfel war ihr auch in die Hände gefallen und sie wußte nicht, was sie daraus machen sollte und wie er hieher käme. Er war unscheinbar, leicht wie eine Nußschale und wie sie ihn schüttelte, klapperte es nicht. Sie wollte ihn aufschrauben, aber er war fest verquollen. „Wer weiß, dachte sie, wie er daher gekommen sein mag?“ und warf ihn als unnütz aus dem Fenster.
Wenn Etwas sein soll, fügt sich schon Alles. Die kleine Mathilde saß eben mit ihrer Puppe spielend im Zwingergarten, [325] als der Apfel herabflog. Der war ein köstliches Spielstück für die kleine Verwaiste, und sie bracht ihm Tagelang nicht aus der Hand.
Einsmals um Abendzeit war die Amme mit dem Kinde zum Felsenbrunnen gegangen. Das Kind wollte eßen, aber die Amme hatte noch nicht Lust, in das Schloß zurückzukehren. Sie ging in das Gebüsch, um demselben Himbeeren zu suchen. Während deß spielte die Kleine mit dem Apfel, warf ihn in die Höhe und fing ihn wieder. Da mißlang ein Wurf und der Apfel fiel in den Brunnen, und im Augenblicke stand eine schöne Frau da.
Das Kind erschrack und meinte, es sei die böse Stiefmutter, von welcher sie immer gestoßen und geschlagen ward. Aber freundlich und liebkosend zog es die schöne Frau an sich, reichte ihm den Bisamapfel wieder, nahm es auf den Schooß und sagte: „Ich bin deine Pathe, du arme Verlaßene, und will mich deiner annehmen. Komm nur oft hieher, du sollst mich immer hier finden. Wenn du ein Steinchen in den Brunnen wirfst, so bin ich gleich bei dir. Aber spiele nicht mehr mit dem Apfel, sondern bewahre ihn sorgfältig. Wenn du einmal groß bist, soll er dir drei Wünsche gewähren. Aber schweige davon gegen Jedermann. Damit verschwand die Pathe.
Das Unglück hatte die Kleine schlau und klug gemacht. Sie nähete den Apfel in das Unterfutter ihres Kleides, und schwieg. Das kleine Ding verlangte von nun an oft zu dem Brunnen zur freundlichen Pathe. Die Amme konnte dem schmeichelnden Kinde nichts abschlagen, zumal da ihm das Vergnügen an dem Brunnen wie von der Mutter angeboren schien. War es aber erst an dem Brunnen, so ersann es immer einen Vorwand die Amme [326] zu entfernen. Dann fiel das Steinchen, und die holde Pathe war gleich bei dem Kinde und lehrte es Mancherlei.
Schön blühte Mathilde zu einer Jungfrau herauf, aber sie blühete einsam. Nie wurde sie zu den Banketen im Hause gezogen, und war auch dazu nicht gekleidet. Der Tag verging unter Arbeit, und der Abend mit der Freundin und Lehrerin am Brunnen.
Eines Abends war die Pathe recht traurig und wehmüthig und im Mitgefühl weinte auch Mathilde. „Du weinst? sagte die Pathe; ach, du armes Kind, weißt nicht warum? Es ist die Vorahnung deines Schicksals, die dich weinen macht. Wiße, es steht nahe bevor! Die Burg wird wüste stehen, ehe die Herbstfrucht reift. Wenn eines Abends die Dirnen mit leeren Eimern von meinem Brunnen zurückkehren, dann ist das Unglück nahe. Nimm deinen Bisamapfel wohl in acht, der dir drei Wünsche gewähren soll und laß ihn nie von dir. Sei in den drei Wünschen vorsichtig und klug!“
Die Pathe lehrte sie noch einige geheime Eigenschaften des Apfels, und sie schieden unter Schluchzen und Weinen.
Ehe die Waitzenernte vollbracht war, kamen eines Abends die Dirnen bleich und erschrocken vom Felsenbrunnen mit leeren Krügen und Eimern wieder und sagten aus: die weiße Frau sitze wehklagend und händeringend am Brunnen und das bedeute nichts Gutes. Nun gingen die Knechte hinaus und fanden, daß es wahr sei. Weil ihrer viel waren, faßten sie sich ein Herz und gingen auf die Gestalt zu; als sie aber hinkamen, war dieselbe verschwunden und der Felsenbrunnen war leer. Im Schloße ward Alles bestürzt und ängstete sich über die Deutung. Mathilde [327] wußte sie, schwieg und saß trübsinnig in ihrer einsamen Kammer.
Auf Wackerbarts Burg hatte man in immerwährenden Freudentaumel gelebt, und die Raubereien des Ritters wurden immer ärger und ließen für den Handel der reichen Stadt Augsburg keine Sicherheit mehr. Der Bund der schwäbischen Städte mahnte den Ritter mit Drohen, den Unfug abzustellen, aber wie konnte er das, da das verschwenderische Weib immer Mangel hatte an Gelde und Gute. Er mußte ja schaffen, und glaubte auch mit den Drohungen sei es so großer Ernst nicht. Es war aber Ernst, und ehe er es gedacht hatte, wehten die Bundesfahnen vor seiner Burg, mit Roß und Mann und allerlei Geschütz wohl versehen.
Es gab heftige Kämpfe und Wackerbart vertheidigte sich mit den Seinen mannlich; aber als ihm eines Tages ein Bolzen durchs Hirn flog und er todt hinsank, da war Alles verloren. Die Belagerer merkten, daß Uneinigkeit im Schloße war, stürmten daßelbe, gewannen es und schlugen nun in der Wuth gegen den Räuber Alles darnieder, was ihnen vorkam, selbst die Verschwenderin wurde mit allen ihren Kindern ohne Barmherzigkeit erschlagen. Das Schloß wurde geplündert und in Brand gesteckt.
Mitten in dem wüthigsten Getümmel der fremden Kriegsknechte warf Mathilde ihren Schleier über, drehte den Apfel dreimal in der Hand umher und sprach: „Hinter mir Nacht und vor mir Tag: daß mich Niemand erblicken mag.“ So geschahe es und sie kam ohne Unfall auf die Landstraße und wandelte auf derselben fort und wußte nicht wohin. Vor Ermattung sank sie am Abend in einer Strohhütte, die auf dem Felde stand, [328] hin. Sie sahe noch einmal nach der väterlichen Burg zurück; aber da, wo sie gestanden hatte, war der Himmel blutroth von Flammen, die aufstiegen und niedersanken. Sie wußte, woran sie war, und schlief weinend ein.
Des andern Tages gab ihr eine gutherzige Bäuerin Brodt und Milch; sie tauschte von derselben grobe Bauernkleider ein und kam mit Fuhrleuten, die Kaufmannsfracht brachten, nach Augsburg.
Womit sollte sie sich erhalten? Der armen verlaßenen Ritterstochter blieb nichts übrig als Magddienst zu suchen, den sie nicht sogleich fand, da sie nicht sagen durfte, wer und woher sie sei.
Es hatte zur selben Zeit ein hoher und reicher schwäbischer Graf, Konrad, einen prächtigen Palast in Augsburg, den er aber nur im Winter bewohnte, denn im Sommer zog er auf seinen großen Gütern, oder zu seiner Lust in der Welt umher. Die Schließerin in dem Palaste war als ein böser Drache in der ganzen Stadt bekannt. Sie hieß Frau Trude.
Eines Tages hatte Frau Trude das Gesinde mit ihrem Schlüßelbunde und mit Töpfen und Besenstielen so wacker zerarbeitet, daß es größtentheils davon gelaufen war. Da kam Mathilde und bat um Dienste. Sie hatte sich unkenntlich gemacht, hatte sich eine hohe Schulter gepolstert; Gesicht und Hände mit Rußwaßer gewaschen, um gelb auszusehen wie eine Zigeunerin, und das schöne Lockenhaar hatte sie unter einem groben Tuche versteckt.
Als sie Frau Trude gefragt, ob sie waschen und platten, nähen, spinnen, stricken, kochen, braten und backen könne und Mathilde Alles bejahete, da nahm sie dieselbe zur Küchenmagd an.
Mathilde war so sanft, so fleißig und geschickt, daß das alte böse Stück Weib fast immer milder und beßer wurde. Sie ward [329] durch solche Tugenden, am meisten aber durch Mathildens Sanftmuth und nachgiebiges Dulden überwunden.
Gegen den Winter kam Graf Konrad mit einem Heer von Dienern; aber was kümmerte das Mathilden, die in ihrer Küche genug zu thun hatte. Die Arbeit läßt ja fremde und unnütze Gedanken so leicht nicht aufkommen. – Und wer im Hause fragte denn nach dem Zigeunermädchen?
Aber das Zigeunermädchen sahe den Grafen Konrad, der ein wunderschöner Mann war, hoch und kräftig gewachsen, und den ganz Augsburg seines Reichthums und seiner Schönheit wegen ohne Ausnahme preisete und ehrte. Sie sahe ihn mit Wohlgefallen, sie sahe ihn so gern, und wußte nicht warum? Er aber sahe nicht nach ihr hin, und das that ihr weh; aber sie wußte nicht warum? Sie dachte an ihn und versah darüber in ihrem Küchenwesen da und dort eine Kleinigkeit, so daß der Drache fast fauchen wollte.
In der reichen Handelsstadt ging der Winter in allerlei Lust und Vergnügung dahin. Bälle, Tänze, Spiele und Gesang, Turniren, Stechen und Ringelrennen wechselten miteinander ab, und Graf Konrad war bei Allem mit; aber Mathilde war in ihrer Küche traurig und betrübt.
Da ward dem Kaiser ein Prinz geboren, und die Stadt Augsburg stellte ein dreitägiges Freuden- und Ehrenfest auf dem großen Rathssaale an, zu welchem alle Grafen und Herrn aus der Nachbarschaft und alle schönen Jungfrauen geladen waren. Des Tages war Ritterspiel mit Stechen um hohen Preis, und des Abends war Tanz, der bis zum Morgen währte.
Mathilde war ein Mädchen; wie hätte sie dem Verlangen widerstehn können, an all dieser Pracht mit Theil zu nehmen, alle [330] Schönen der Gegend kennen zu lernen und – mit Konrad zu tanzen.
Als die Küche beschickt und bald Schlafenszeit war, da säuberte sie sich von aller Verunstaltung und der Bisamapfel mußte einen schönen Anzug liefern. Der quoll aus dem Apfel mit allem Schmuck hervor und paßte genau für ihre schöne Gestalt. Dreimal drehte sie den Apfel in der Hand um mit den Worten:
die Augen zu
bleibt alle in Ruh,
und ein tiefer Schlaf fiel auf die Schaffnerin und auf alles Gesinde, und ungesehen kam Mathilde in den Tanzsaal.
Es war allen Anwesenden, als sei eine Göttin des Himmels gekommen und ein heimliches Flüstern lief durch den ganzen Saal, ein Flüstern der Bewunderung und des Fragens wer ist sie?
Niemand konnte Auskunft geben. Konrad bat ihr die Hand zum Tanz, die sie mit sanftem Erröthen annahm. Ihr leichter angenehmer Tanz entzückte Alle, und Konrad tanzte fast nur mit ihr, denn sein Herz war alsbald in Liebe gegen sie entzündet worden. Er forschte, wer und von wannen sie sei? aber sie wich geschickt seinen Fragen aus. Sie war von dem Saale mit Hülfe ihres unsichtbar machenden Bisamapfels auf einmal verschwunden, und kam wieder auf ihre Kammer, ohne von einem der ausgestellten Diener gesehen worden zu sein, und nahm wieder die vorige häßliche Gestalt an.
Mathilde hatte dem Ritter auf vieles Flehen zugesagt, des nächsten Abends wieder zu kommen. Der Ritter hoffte, harrte, zweifelte und die Zeit wollte nicht vorwärts, aber der Abend kam dennoch und mit ihm Mathilde.
Wohl hatte sie Bedenken, dem Apfel den zweiten Wunsch abzunehmen, [331] der für einen wichtigern Fall des Lebens aufgespart werden könnte, aber ein heimliches Verlangen zog sie zum Saal, und daß sie ein neues Kleid haben müßte, litt keinen Zweifel – Sie war ja ein Mädchen! Wie hätte sie in dem Kleide des vorigen Abends noch einmal erscheinen sollen? Was würde man gesagt, was würde man gedacht haben?
Der Wunderapfel mußte ein neues Kleid liefern, viel schöner und reicher an kostbaren Schmuck und Steinen als das erste, aber auch Konrad glänzte in aller Pracht und Herrlichkeit seines Standes.
Als sie Beide müde waren vom Tanze und sich in ein Seitengemach begeben hatten, da konnte Konrad nicht länger an sich halten und trug ihr Herz und Hand an. Mathilde sagte: „Wohl sind die mir viel werth, denn Ihr seid ein edler Mann, allein Ihr wißet ja nicht, wer ich bin? Wie bald möchte Euch Eure Wahl gereuen.“ Da sagte er, er nähme Gott zum Zeugen, sie solle sein ehelich Gemahl werden und wär sie die Tochter des allerniedrigsten Mannes in Schwaben, nur aber eine züchtige sittige Jungfrau. Damit zog er einen Demantring von großem Werth von seinem Finger und gab ihr denselben, zum Zeichen der Treue. In drei Tagen wolle er allen Grafen, Rittern und Herrn ein festliches Mahl geben, dem solle sie beiwohnen, da werde er die Ehestiftung machen laßen. Mathilde trug Sorge, ob sie einwilligen sollte, es kam ihr Alles zu schnell und sie sagte nicht Ja, sagte aber auch nicht Nein.
Da wurden drei Tage die kostbarsten Zurüstungen zu einem großen Verlobungsmahle gemacht, und als der dritte Tag gekommen war, kamen die Geladenen allzumal auch, Herren und Frauen in Glanz und Pracht, aber die Braut wollte nicht kommen. Da ward aus dem Freudenmahle ein stummes Trauermahl, bei welchem der [332] Ritter im tiefen Trübsinn saß und seufzend nach dem Gedecke hin schauete, das an der Tafel unbesetzt geblieben war.
Als die Gäste davon geschlichen waren, ging Konrad in sein einsamstes Gemach und jammerte, und am andern Morgen war es, als läg er im heftigsten Fieber. Da kam das Haus in Aufruhr, und die Aerzte wurden gerufen, aber er nahm ihre Tränke nicht und keiner konnte ihn trösten, oder heilen und von seinem Gram abbringen.
So dauerte es sieben Tage, und er verwelkte wie eine zerknickte Blume. Daran erkannte Mathilde, daß Konrads Liebe treu sei; ach und es war ihr ja auch recht weh ums Herz gewesen, am Tage des Gastmahls und nachher. Nun sollte es mit Beiden anders werden.
Als am siebenten Tage früh Alles verzweifeln wollte, sagte Mathilde zu Frau Gertrud: „Habet nur Muth; unser Herr wird nicht sterben; Ich habe diese Nacht einen guten Traum gehabt.“ – Den Traum mußte die Alte sogleich wißen, denn Träume galten ihr allezeit als hohe und unzweifelhafte Offenbarungen.
Mathilde erzählte: „Mir war es, als wär ich bei meiner Großmutter daheim, die lehrte mich ein Süpplein von neunerlei Kräutern kochen und sagte, das sollte ich dem Herrn zurichten so würde er, nähme er nur drei Löffel davon, gewiß und wahrhaftig wieder gesund!“
„Das ist nicht von ungefähr, sprach Frau Trude. Flugs richte dein Süpplein zu, so will ichs ihm bringen, und nicht eher aufhören zu bitten, bis er davon Etwas genießt!“
Graf Konrad gedachte, heut sei es sein Letztes, als eben die Schaffnerin hereintrat und ihm das Süppchen brachte, welche [333] Mathilde gar köstlich mit Gewürz und allerlei Kräutern zugerichtet hatte. Sie hatte aber auch heimlich den Demantring mit hineingeworfen.
Um der Zudringlichkeiten der geläufigen Zunge der schwatzhaften Alten los zu werden, zwang er sich einige Löffel Suppe ein, und bemerkte, indem er mit dem Löffel auf den Grund der Schale traf, daß Etwas auf dem Boden derselben lag, was er heraufholte. Da war es sein Demantring und war auf einmal um alle trübsinnige Gedanken geschehen, die Augen glänzten wieder und der Ritter aß mit Lust die Suppe bis auf den letzten Löffel. – Das war eine Wundersuppe, und Alle lobten dieselbe aus allen Kräften.
Konrad wollte nun wißen, wer die Suppe bereitet habe, ließ sich aber von dem gefundenen Ringe nichts merken. Die Zigeunerin mußte sogleich vor ihn gebracht werden, obgleich die Schließerin sagte, sie sei gar zu häßlich und schmutzig.
Als sie nun in ihrer Häßlichkeit zu ihm eintrat, und er Jedermann hatte hinausgehen geheißen, fragte er, wie sie zu dem Ringe gelangt sei, der in der Suppe gelegen? Sie aber antwortete: „Den Ring hab ich von Euch. Ihr habt mich damit beschenkt, am zweiten Tanzabend, wo Ihr mir Eure Liebe gelobtet. Nun sehet selbst, ob ich Euch noch anstehe?“
„Wie? sagte Konrad verwirrt. Das ist ja nicht möglich. Es fuhren ihm seltsame Gedanken durch den Kopf, denn er meinte, seine Familie wolle ihn von seinem Vorhaben abbringen. Er suchte das Mädchen auszuforschen und sagte: „Seid Ihr die Jungfrau, der ich mich mit dem Ringe gelobt habe, so nehmt nur die Gestalt an, die Ihr auf dem Tanzboden hattet, und seid dann meiner Treue gewiß. Wo nicht, so laß ich Euch ausstäupen. [334] – Ja freilich! auf die Gestalt eines Menschen und eines Dinges kommt gar viel an.
Sie hielt ihm eine sträfliche Rede, daß er die Schönheit mehr achte, als Unschuld und Tugend, und setzte ihre Worte also zierlich und geschickt, daß der Ritter darob erstaunte. Jedoch versprach sie sich in der Gestalt zu zeigen, in der sie ihn auf dem Tanzsaale entzückt hatte, nur daß er sie auf ihre Kammer gehen und sich reinigen und umkleiden ließe.
Das geschahe denn auch, und die Schließerin hielt vor der Kammerthür Wache. Sie aber trat nach weniger Zeit im Glanze der Schönheit, in welcher sie auf dem Saale erschienen war, vor den Ritter, der vor ihr kniete, ihr abermals den kostbaren Ring an den Finger steckte und sagte: „Behalt ihn auf ewig, du Theure!“
„Nicht also rasch, sagte die Jungfrau, hört erst, wer ich bin, und wie mirs ergangen.“ Hierauf erzählte sie ihm Alles, selbst das Geheimniß des Bisamapfels. – Er hörte kaum drauf und nach zwei Tagen wurden sie ehelich zusammen gegeben, und die Gastereien und Tänze wollten anfangs gar kein Ende nehmen.
Einige glückliche Jahre waren vorübergegangen und Mathilde achtete in ihrer Seligkeit des Bisamapfels kaum mehr. Sie wünschte nur noch die Mutter ihres Gemahls zu sehen, um ihr die mütterlichen Hände zu küßen, aber Konrad hatte mancherlei Ausrede und Vorwand, warum das jetzt noch nicht angehe und führte sie auf seine Güter, bald dahin, bald dorthin, nur nicht auf das, wo die Mutter sich aufhielt. Zuletzt begab er sich auf ein Gut mit ihr, welches unfern ihrer väterlichen zerstörten Burg gelegen war. Hier weilte sie gern. Sie weinte auf den Gräbern der Aeltern. „Ach! seufzte sie, wenn sie doch noch lebten, damit sie sich freuen könnten über mein Glück!“ Aber, so sollte sich denn doch die Brunnennixe mit [335] ihr freuen, denn das Herz sucht im Glück eben sowohl Theilnahme, als im Unglück. Darum ging sie zu dem Brunnen und warf zuerst kleine Steine hinein, und zuletzt den Bisamapfel, aber es erschien keine Gestalt und den oben aufschwimmenden Bisamapfel mußte sie selbst wieder herausfischen.
Mathilde wurde auf diesem Gute von einem schönen Knaben entbunden. O, wie seelig war sie da, und ihr Gemahl mit ihr. Sie ließ das Kind nicht aus ihren Armen; obwohl eine verständige Amme gemiethet war, die des Kindes sorgfältig hüten sollte.
Es gab Freudenfeste im Schloße, die drei Tage gedauert hatten. Als aber in der dritten Nacht Alles, ermüdet von dem Rausche der Freuden, im tiefen Schlaf lag, wandelte auch Mathilden der Schlummer an, und als sie erwachte, war der Knabe aus ihren Armen.
„Amme, wo ist mein Kind?“ rief sie voll Entsetzen. Die Amme erwachte, rieb sich die Augen und sagte noch schlaftrunken, das junge Herrlein habt Ihr ja in Euren Armen!“
Da war es nicht! ach es war nirgends und nur ein Paar kleine Blutstropfen wurden auf dem Fußboden bemerkt.
Da schrie die Amme: „Ach, daß sich Gott erbarme! So hat der Währwolf das liebe Kind geholt und davon getragen. – Die Aeltern waren trostlos, die Amme war es mit ihnen. Mathilde behielt ihren Gram im Herzen, obwohl sie sich, aus Liebe zu dem Gemahl, zwang heiter zu scheinen.
Es kam ein zweiter Knabe, schön und lieblich wie der erste, und der Graf feierte wieder drei Freudentage, wo selbst die Thürhüter von den edelsten Weinen trunken wurden, und in der dritten Nacht ging es wieder, wie das erstemal, obwohl die sorgsame Mutter den Knaben in ihrem Bette behalten, mit ihrer goldenen Halskette den [336] Leib des Kindes umschlungen und die Enden der Kette an ihrem Arm befestigt hatte. – Ein Gelenk der Kette war mit scharfer Scheere durchschnitten.
Die Amme erhob ein Jammergeschrei, das überall im Schloße wiederhallte. Konrad eilte herbei und als er das Unglück hörte, zuckte er sein Schwerdt und wollte die Amme tödten.
„Du schändlicher Satan, brüllte der wüthende Ritter, gebot ich dir nicht zu wachen?“
Da fiel das Weib nieder und stöhnte: „O, ich habe gewacht! Ach, hätt ich es nicht! so hätt ich die gräßliche That nicht gesehen! Bringt mich nur um, damit ich nur das grausende Andenken los werde. O! aus Barmherzigkeit bringet mich um!“
„Was? was hast du gesehen? sagte der erschrockene Graf. Bekenne frei, oder ich laße dich foltern!“ Die Amme weigerte sich und sagte: „Laßet mich lieber tödten; es ist beßer für Euch und für mich!“
Da wollte der Graf nur um so eher das furchtbare Geheimniß wißen, nahm das Weib in sein Gemach und mit Drohungen und Verheißungen brachte er Alles heraus.
„Euer Gemahl, sagte das Weib, ist eine gräßliche Zauberin, und hat die Kindlein mit einer scharf geschliffenen Demantnadel durchs Herz gestochen, da sie dachte, ich schliefe, und hat aus den Knöchlein der Kleinen und aus Kräutern einen Trank wollen bereiten, daß sie immer schön bleibe und immer Eure Liebe behalte; denn, Herr, Euch liebt sie über alle maaßen! „Komm, du lieber Kleiner, sagte sie zu dem zweiten, und drückte ihn dazu an ihr Herz und küßte ihn; „komm, du sollst zu deinem Brüderlein gehen; und wenn noch ein Brüderlein kommt, das send ich dir auch nach, denn aus Dreien kann ich den Zaubertrank der Schönheit und Liebe bereiten.“ [337] Damit durchstach sie sein Herz mit der Nadel und ließ es ein wenig ausbluten. Dann öffnete sie den Bisamapfel, aus dem kam eine Flamme, die das Kind in einem Augenblick verzehrte, und nur die zarten Knöchlein und die Asche übrig ließ, welche sie in einer Schachtel sammelte, die sie unter der Bettlade versteckt hat.“
Der Graf war vor Entsetzen zum Stein geworden. Da er wieder zu sich kam, befahl er dem Weibe Keinem ein Wort von der ungeheuren That zu offenbaren. Er verstellte sich, ging mit dem Weibe zu seiner Gemahlin, küßte und tröstete die Jammernde, bis die Amme heimlich das Schächtlein hervorgeholt hatte, das sie dem Ritter auf sein Gemach brachte.
„Ach, welch ein Teufel der Hölle, mit einem Engelsangesicht! stöhnte der Ritter. Und doch, ich liebe die Unselige noch; aber sie soll sterben; sie darf ja nicht leben!“
Der Haushofmeister bekam mit großem Eifer und Strenge Befehl, wie er sollte zu Werke gehen. Der alte Mann jammerte im Herzen sehr, denn alles Hausgesinde betete die sanfte, milde Hausherrin an; aber er mußte gehorchen.
Der Ritter verreiste auf einige Tage, und Mathilde sollte des Tages darauf ein Bad nehmen, weil es der Hausarzt verordnet hätte zur Stärkung. Sie wollte es nehmen, aber es war in der Badstube eine Glut wie in der Hölle. Da wollte sie umkehren; aber sie wurde mit starken Armen hineingestoßen, und die Thüren verschloß und verriegelte man.
Die Unglückliche errieth ihr Schicksal und den schändlichen Verdacht. „Konrad! schrieb sie mit einer silbernen Nadel an die weiße Wand, ich sterbe unschuldig!“ Darnach legte sie sich auf ein Ruhebett und ergab sich in den Todt. Aber als sie in der Todesangst sich umher warf, da entfiel ihr der Bisamapfel. Sie [338] nahm ihre letzte Kraft zusammen, hob ihn vom Fußboden auf und mit den Worten: „O Pathe, kannst du, so hilf mir von dem Tode der Schande!“ öffnete sie ihn.
Da quoll ein kühl feuchter Nebel hervor, der die Flammen auslöschte und die Glut verschlang, und aus dem Nebel trat die Pathe hervor, an ihrer Hand Mathildens ältesten Knaben, auf ihrem Arm den Säugling. „Wohl dir, sagte die Pathe, daß du dir einen Wunsch aufspartest; aber wie verderblich konnt es dir werden, daß du das Geheimniß des Apfels offenbartest. Hier sind deine Kinder, die die stolze Mutter deines Gemahls durch die tückische Amme wollte ersäufen laßen, weil sie glaubte, es seien die Kinder einer nichtswürdigen Küchenmagd. Die Amme wollte die Kinder ersäufen, und trug sie glücklicher Weise zu meinem Brunnen.“
Die Pathe erzählte, wie sie die Amme als eine Kindermörderin bei dem Gemahl mit listiger Erfindung verklagt habe, und sagte ihr von der Schachtel, und daß nur Hüner und Taubenknochen in derselben gewesen wären. Hierauf sagte sie: „Dein Gemahl ist nicht mehr fern, und du wirst bald gerechtfertigt an seinem Herzen liegen, und nimmermehr wieder eines Wünschapfels zu deinem Glücke bedürfen.“ Damit verschwand sie.
Die Diener, welche innerhalb des Badegemachs noch Stimmen gehört hatten, wollten das verloschene Feuer wieder anschüren, aber es wollte nicht brennen. Darüber kam der Graf Konrad und fragte bebend: „Lebt sie noch? O öffnet, öffnet!“
Was der Graf im ersten Grimm, der ihm das Nachdenken benahm, anfangs geglaubt hatte, wurde ihm immer mehr zweifelhaft. Er gedachte der Frömmigkeit seiner schönen Gemahlin und fing an sich zu ängsten und die Angst trieb ihn zurück.
[339] Wie überglücklich waren sie Beide, als sie einander mit Liebe und Entzücken in den Armen lagen und die geliebten holden Knaben gerettet waren.
Die Bübereien der Amme waren bald klar, und die listige Schlange wurde in die Badstube geworfen, wo sie elendiglich erstickte, indem die Ofenflammen, wie von selbst gleichsam, frisch und lustig wieder aufflackerten. Die alte böse Schwiegermutter, da sie hörte, wie es gegangen sei, starb vor Aerger, und die vielgeprüfte Unschuld hatte den Sieg behalten, und hatte von nun an den Himmel auf Erden.
- ↑ Statt der Riechfläschchen hatte man, selbst noch vor sechzig Jahren kleine hölzerne Büchsen, in welchen sich eine silberne Büchse befand, innerhalb welcher man starkriechende Sachen gegen Anwandlungen von Ohnmachten bewahrte, die meistentheils wohl von dem Moschus- oder Bisamthiere oder von der Zibethkatze genommen waren.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Sirn