Kalmückische Mährchen

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Textdaten
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Autor: Johann Andreas Christian Löhr
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Titel: Kalmückische Mährchen
Untertitel:
aus: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, Band 2, S. 339–372
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Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1820]
Verlag: Gerhard Fleischer d. Jüng.
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Kinder- und Jugendbibliothek München und Commons
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[339]
28. Kalmückische Mährchen.
(1)

Es lebten in Mittelindien sieben weise Zaubermeister, die hatten viel Lehrlinge ihrer Kunst; aber die Lehrlinge lernten nicht viel, denn die Meister oder Profeßoren waren so weise, daß sie die Schüler eben nicht sehr mit Weisheit überhäuften, und viel Ferien gaben, damit die Schüler Zeit hätten, Alles von sich selbst herauszubringen. Außer den ordentlichen und bestimmten Feierzeiten, hatten die Meister bald den Husten, bald den Schnupfen, bald eine nothwendige Geschäftsreise auf vier oder fünf Tage, bald eine dringende Abhaltung – nämlich ein großes Gastmahl. So behielten denn die Jünger, mit den heiligen Feier- und Festtagen, über ein halb Jahr Zeit zum Selbststudiren.

[340] In so vieler Zeit hätte sich nun wohl etwas Tüchtiges erlernen laßen, aber ich weiß nicht, wie es kam, daß die jungen Lummrians grade dadurch träger und fauler wurden, und die weisen Meister wußten es trotz ihrer Weisheit auch nicht und betrübten sich darüber tief nicht blos bis ins Herz, sondern bis in den Magen hinein, indem ihr einziger Wunsch war, die Jünger sollten die Meister einst nach ihrem Leben einmal übertreffen, und so sollte es immer fortgehen, bis endlich das Weltheil gekommen wäre.

Da war einmal ein junger sinnender Schleffel, der war ein Prinz, nämlich ein Chans Sohn, der brachte in den Ferien so Mancherlei heraus, und war bis so weit gekommen, daß er sich in ein Pferd verwandeln konnte.

Als ein verwandeltes Pferd trat er vor die sieben Meister hin und wieherte.

Nach vielem Sinnen brachten sie es heraus, das sei ein magisches Pferd, worin sich einer ihrer Schüler verwandelt habe, welches ihnen aber gar nicht gelegen war, denn der Schüler möchte die Meister wohl gar am Ende zu Eseln machen; und wenn auch nicht das, würde er doch, als ein noch unreifes Genie, die edle Kunst der Magie sehr unvorsichtig anwenden, und wohl gar so gemein machen, daß kein Mensch mehr an die Wunderbarkeit und Vortrefflichkeit derselben glaubte. Um das Dunkel ihres Heiligthums zu schützen, beschloßen sie das Pferd zu tödten, und griffen es in Gestalt von sieben Löwen an.

Das geängstete Pferd sprang in den nahen Fluß und nahm die Gestalt eines Fisches an. Die sieben Weisen verwandelten sich in sieben Reiher, verfolgten den Fisch und hätten ihn beinahe gefangen, aber er nahm die Gestalt einer Taube an, sie hingegen wurden zu sieben Habichten, die die arme Taube über Berge und Thäler und [341] Flüße verfolgten, bis sie zur beruhigenden Höhle gelangte, wo sie sich in den Busen eines Oberweisen, Nangasuna, verbarg.

Was mag das bedeuten? dachte Nangasuna, daß diese Taube von sieben Habichten verfolgt wird? „Taube, fragte er, wie kommst du hieher?“ Da erzählte die Taube die Ursache und sagte: „Es werden sieben Bettler kommen und um Nangasunas Rosenkranz bitten. Dann will ich mich in das größeste Kügelchen des Kranzes verwandeln, du aber geruhe dieses in den Mund zu nehmen und den Rosenkranz von dir zu werfen. Also geschahe es, und die weggeworfenen Kügelchen des Kranzes wurden zu Würmern, und die sieben Bettler wurden zu sieben Hünern und fraßen die Würmer. Da ließ Nangasuna das größeste Kügelchen aus seinem Munde fallen, das verwandelte sich in einen Menschen mit einem Schwerdte in der Hand.

Als nun der Mensch mit dem Schwerdte die sieben Hüner getödtet hatte, ward der Oberweise in seiner Seele betrübt und sagte: „Indem ich einen einzigen Menschen am Leben erhalte, werden sieben getödtet. Dieß ist wahrlich nicht gut.“

Auf diese Worte erwiederte der Andere: „Wiße, daß ich ein Chans Sohn bin; und wenn das nicht genug ist, so will ich dir dienen, mich von Sünden zu reinigen.“

Der Oberweise versetzte: „Weil gegen einen Chans Sohn die die ganze Welt nichts ist, so ist es gut, wenn ihrer auch siebenmal hunderttausend wären getödtet worden; dennoch aber sollst du mir dienen. Geh in den kühlen Hain der Todten, wo Siddikür weilt, der oben von Gold und unten von Erz und deßen Kopf mit Silber bedeckt ist. Nimm ihn und bring ihn. Wer mir ihn bringt, den mach ich zum tausendjährigen Menschen auf Erden.

Darauf begann der Jüngling: „Den Weg, welchen ich machen [342] muß, die Nahrungsmittel, deren es bedarf, und Alles, was ich beobachten muß, geruhe mir, o Nangasuna, zu sagen.“

Dieser versetzte: „Also geschehe es. Eine Meile von hier, nach Morgen zu, gelangst du zu einem finstern Walde, durch welchen ein schmaler Pfad nur hindurch führt. Hier wohnen lauter Gespenster. Sie werden alle um dich herumkommen, dann rufst du mit lauter Stimme: „Gespenster Chu lu chu lu ssochi;“ dann werden sie zerstieben. Hierauf wird kommen ein Haufen nackter Gespenster, dann sprich: „Chu lu chu la ssochi.“ Dann werden Kindergespenster kommen, dann sprich: „Ri ra ri ra padra. Hierauf wirst du in der Mitte des Hains finden den Siddikür, sitzend neben dem Wunderbaum. Erblickt er dich, so steigt er hinauf. Dann nimm die Mondaxt und drohe mit wilder Gebehrde den Baum umzuhauen, so kommt er herunter. Zum Forttragen nimm diesen hundert Menschen befaßenden Sack und zum Festschnüren dieses hundert Klaftern lange Seil. Dieser unvergängliche Kuchen ist deine Reisekost. Hast du nun aber die Last auf dem Rücken, dann wandere hieher und sprich nicht.

Alles geschahe also, wie Nangasuna gesagt hatte, und Siddikür wurde in den Sack gesteckt und fortgetragen.


(2)

Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches Wunderding zur Welt, einen Maßang. Es war ein Mensch mit Hörnern eines Ochsen und einem langen Kuhschwanz. Der Vater ward unmuthig und sagte: „Der stößigen Menschen sind schon so viel, ich will ihn tödten, aber der Maßang sprach: „Tödte mich nicht, Vater, du sollst auch belohnt werden.“ „So bleib denn am Leben, sprach der Vater, aber geh fort.“

[343] Der Maßang ging fort und kam ins Innere eines Haines, deßen Bäume waren dunkel. Im Haine aber stand ein schwarzfarbiger Mensch, den fragte der Maßang: „Wer bist du?“ – „Ich bin, war die Antwort, ein schwarzfarbiger Mensch, denn ich bin vom Haine geboren und heiße Iddär. Ich folge dir nach, wohin du auch gehest.“

Beide gingen weiter und kamen zu einem dichten Grasplatze. Da fanden sie einen grünen Menschen, den fragten sie: „Wer bist du?“ – Ich bin, versetzte dieser, ein grüner Mensch, denn ich bin vom Grase geboren und heiße Gägär. Ich will Euch begleiten.“

Die Drei kamen an einen Schilfplatz, wo sie einen weißen Menschen fanden, den fragten sie: „Wer bist du?“ – „Ich bin, antwortete der, ein weißer Mensch und bin vom Schilfe geboren. Ich heiße Addär und will Euch begleiten.“

Darauf zogen alle Vier weiter und gelangten zu einem Berge, und in der Vertiefung des Berges fanden sie eine große Hütte, in welcher vollauf war zu eßen und zu trinken. Sie fragten nicht, wem das gehöre, sondern sie aßen und tranken und blieben in der Hütte.

Jedes Tags sollten drei von ihnen auf die Jagd ziehen und der vierte die Hütte hüten und Alles besorgen.

Den ersten Tag blieb der Waldsohn Iddär in der Hütte, und kochte Fleisch für die Andern, als eine Alte die Leiter anlegte und zur Thüre hineinkam. „Wer da?“ rief er, und als er nun hinsahe, war es eine kaum spannenlange Alte, die einen Tragsack auf dem Rücken hatte, nicht größer als ein kleiner Apfel.

„Oh! sprach die Alte, so Einer sitzt jetzt da. Du kochst Fleisch und hast auch Milch. Laß mich doch ein wenig davon kosten. Ich bin klein und brauche nicht viel. Als sie aber von Fleisch und Milch [344] ein klein wenig gekostet hatte, verschwand Beides und die Alte entfernte sich.

Der Waldsohn schämte sich, daß die Speisen weg waren und fürchtete sich vor den Andern, nicht wißend, wie er sich sollte entschuldigen. Da er nun aus der Hütte blickte, fand er zwei Pferdehufen. Diese nahm er und machte eine Menge Pferdetritte damit um die Hütte und schoß einen Pfeil in den Hof.

Die Jäger kamen nach Haus und fragten: „Wo ist Fleisch; wo ist Milch?“ Der Waldsohn antwortete: „Es kamen hundert Leute zu Pferde, drangen ins Haus, nahmen Fleisch und Milch und schlugen mich halb todt. Geht selbst hinaus und schauet es. Da schaueten sie hinaus, fanden die Pferdetritte und den Pfeil und sprachen: „deine Worte sind wahr.“

Am andern Tage blieb der Grüne in der Hütte zurück, dem ging es gleich also. Weil er aber zwei Rinderfüße fand, machte er eine Menge Tritte damit um die Wohnung und sagte: „Es kamen hundert Leute mit beladenen Kühen und raubten die Speisen.“

Am dritten blieb der Weiße in der Hütte, dem ging es nicht beßer. Er machte mit zwei Maulthierfüßen viel Maulthiertritte und sagte, hundert Leute, auf Maulthieren ankommend, hätten die Speisen genommen.

Am vierten Tage blieb der Maßang daheim und bereitete die Speisen. Da kam die Alte und sagte: „Ha, so Einer sitzt dießmal da! – Laß mich doch von Milch und Speise ein wenig kosten?“ Aber Maßang dachte, diese Alte ist gewiß die drei vorigen male dagewesen. Thu ich, was sie verlangt, so weiß ich nicht, was daraus kommt. Darum sagte er: „Alte! ehe du kosten darfst, mußt du zuvor erst mir Waßer schaffen. Er reichte ihr aber einen durchlöcherten Eimer, den nahm sie. Als er ihr aber nachsahe, wurde sie [345] höher und immer höher und endlich so hoch, daß sie an den Himmel hinanreichte.

Während sie Waßer schöpfte und wieder schöpfte und doch nichts bekam, durchsuchte der Maßang den Tragsack der Alten. Er nahm ein Darmseil, einen eisernen Hammer und eine eiserne Zange heraus, und legte ihr einen verrotteten Hanfstrick und hölzernen Hammer und Zange hinein.

Als die Alte zurückkam, sprach sie: „Ich kann mit deinem Eimer nicht schöpfen. Willst du mir aber nichts zu eßen geben, so laß uns sehen, wer der Stärkste ist?“ Damit band die Alte den Maßang mit dem verrotteten Strick, den er zerriß. Aber das Darmseil, womit der Maßang die Alte band, konnte sie nicht zerreißen.

„Hierin hast du gesiegt, sagte sie, nun aber wollen wir mit der Zange uns zwicken.“ Sie zwickte ihn, aber das half nichts; er aber zwickte ihr ein großes Stück Fleisch aus der Brust, daß sie schreiend ausrief: „O Jüngling! du hast eine unbarmherzige Faust.“

Als nun die Alte mit dem Hammer auf den Maßang schlug, flog der Hammer von dem Stiel und Maßang blieb unverletzt. Darauf nahm der Maßang seinen Hammer, den er im Feuer erst glühend gemacht hatte, und schlug damit Schlag auf Schlag auf die Alte, daß sie, mit Blut und Brandblasen bedeckt, lautheulend entfloh.

Als die drei Gefährten rückkehrten, sagten sie: „Maßang, du hast gewiß zu dulden gehabt.“ Er aber antwortete: „Ihr seid feig und habt gelogen, ich aber habe die Alte bezahlt. Auf! wir wollen ihr nachgehen.“

Sie folgten der Blutspur, welche sie zu einer furchtbaren Felsenhöhle führte, von großer Tiefe. Auf dem Boden derselben lag [346] die blutige Leiche der Alten, unter Haufen von Gold und Erz, unter Panzern und Schwerdtern.

Seht! sagte der Maßang, wie das Finstere in Finsternißen wohnt! Aber die Frage ist, wer will hinabsteigen und die kostbaren Sachen mir zureichen?“ Die Gefährten entschuldigten sich und sagten: „Wir gehen nicht, denn gewiß ist die Alte eine Schumnu (Hexe.)“

Da ließ sich Maßang in die Tiefe hinab und reichte den Gefährten die Sachen. Die aber wurden geblendet von dem reichen Gute und sprachen untereinander: „Ziehen wir den Maßang hinauf, dann behält er Alles für sich; wir gehen lieber mit den Sachen davon, dann muß der Maßang sterben.“

„Treuloser Verrath!“ jammerte Maßang; soll ich hier sterben?“ Er suchte nach Speise umher, aber in der Höhle war nur Rinde zu finden. Maßang pflanzte darauf die Rinde in die feuchte Erde und sagte: „Bin ich ein wahrhafter Maßang, so müßen drei große Bäume aus diesen Rinden erwachsen.“

Nach diesen Worten legte sich Maßang zur Leiche der Alten, aber wegen der unreinen Berührung der Leiche schlief er mehrere Jahre.

Als er erwachte, ragten drei große Bäume bis über den Eingang der Höhle hervor, an welchen er freudig heraufkletterte.

Er begab sich alsbald nach der Hütte, wo er zuvor hatte gewohnt; die Hütte war aber verlaßen. Da nahm er seinen eisernen Bogen und seine Pfeile, und machte sich auf, die Gefährten zu suchen. Diese hatten Häuser gebaut und Weiber genommen.

„Wo sind Eure Männer?“ fragte Maßang die Weiber. – „Unsere Männer sind auf der Jagd,“ versetzten die Weiber. Da ging Maßang hinaus dieselben zu suchen.

[347] Sie kamen eben zurück und erzitterten heftig, als sie ihn erblickten und sprachen: „O! daß wir so übel gethan haben! Der Maßang wird uns tödten!“ Sie gingen zu ihm hin und sagten kniend: „du bist der Gerechte, wir aber haben gesündigt. O tödte uns nicht! Nimm unsere Häuser und Kinder und Weiber und all unser Gut, aber tödte uns nicht!“

Hierauf sprach Maßang: „Fürwahr Ihr waret nicht redlich! Aber behaltet, was Ihr habt, und lebt wie zuvor. Ich gehe den Vater zu lohnen.“ Und er zog weiter.

Die Gefährten sahen ihm traurig nach und sprachen: „Wie ist er so großmüthig. Wie ist der Geist in dem häßlichen Körper so hoch und so mild. Laßet uns werden, wie er ist!“

Maßang kam in ein unbekanntes Land. Da fand er einen Brunnen am Wege und aus dem Brunnen schöpfte ein herrliches Mädchen. Das Mädchen ging und wo es hintrat, sproßten wunderliebliche Blumen unter seinen Tritten hervor. Maßang folgte dem Mädchen nach, denn es war ihm, als zög es ihn nach.

Da kam er mit dem Mädchen in den Himmel und Churmusta, der Beschützer der Erde, kam ihm entgegen und sagte: „Tängäri (Himmelssohn), ich habe dich lange erwartet; es ist gut, daß du herkommst. Wir haben täglich mit dem Heere der Schumnus zu streiten, welche die Erde verderben wollen[1]. Morgen sieh unserem Kampfe zu, übermorgen sei unser Gefährte. Die weißen Schaaren sind die Tängäris, die schwarzen aber die Schumnus.

Als am dritten Tage die weiße Schaar von der schwarzen bedrängt ward, spannte der Maßang seinen Bogen, zielte nach dem Auge des Führers der Schwarzen und traf ihn, daß er heulend entfloh und seine Gefährten mit ihm.

[348] Churmusta sprach: „deine That ist belohnenswerth, aber geh und verrichte noch Eins. Durch einen kleinen Umweg gelangst du zur Höhle der Schumnus; geh ohne zu zagen und sprich: „Ich bin ein Menschenarzt.“ Führt man dich zu dem Schumnuchan, den Pfeil aus dem Kopfe zu ziehen, dann bewege den Pfeil, streue sieben Getreidearten gen Himmel und stoße den Pfeil tief in den Kopf.“

Maßang umherirrend gelangte an die Höhle und klopfte an die Thüre. Da trat ein altes Schumnuweib hervor mit feuerspeiendem Munde und fragte: „Was hast du gelernt?“ „Ich bin ein Menschenarzt,“ antwortete Maßang. Da wurde er in die Wohnung geführt, und betrachtete die Wunde des Chans und rüttelte an dem Pfeil. „Schon, sprach der Chan, ist mir viel leichter geworden. Da stieß Maßang plötzlich den Pfeil in die Wunde bis zu der Mitte hinein und streuete das Getreide gen Himmel, und klirrend fielen Ketten von Himmel. Während Maßang die Ketten ergriff, schlug ihm das feuerspeiende Schumnuweib mit einem eisernen Hammer auf die Brust, daß von dem Schlage sieben Sterne entstanden, und Maßang wurde an den Ketten gen Himmel gezogen. „O, sagte der Maßang, nun bin ich gestorben und kann dem Vater nicht lohnen!“

„Weil du den Schumnuchan getödtet hast und ein dankbarer Sohn bist, sollst du den Vater dennoch belohnen. Nimm die Tängäritochter und gehe mit ihr zur Erde zurück zum Vater, und lebe so lange mit ihr auf der Erde, bis hundert Jahr um sind.“

Das Mädchen nahm Maßang bei der Hand und sprach: „Ich will dich zur Erde hinführen.“

Als sie waren zum Vater gekommen, sagte die Tängäritochter: „Gib acht, was ich thue!“ Da schüttelte sie die rechte Hand und [349] Haufen von Gold und Erz fielen herab, dann schüttelte sie die linke Hand und es kamen Speisen und Getränke hervor. Hierauf ging sie in weiten Kreisen um die Hütte des Vaters, und es entstanden Lusthaine mit Fruchtbäumen, Wiesen und Blumen und Quellen. Darauf sagte sie: „Nun will ich deine Gemahlin werden,“ und berührte die Hörner und den Kuhschwanz, daß sie abfielen. „Siehe, sagte Sie, nun hast du genug den Vater zu lohnen!“

Als nun die Drei noch hundert Jahre in Frieden und Glück gelebt hatten, gingen sie zu Churmusta in den Himmel.


(3)

In einem glücklichen Lande herschte Güchanas. Dieser Chan hatte von seiner ersten Gemahlin einen Sohn, der hieß Sonnenschein. Nach dem Tode derselben heirathete der Chan wieder und bekam einen Sohn, der hieß Mondschein.

Die Brüder liebten einander von Herzen, aber als sie erwachsen waren, sagte die Chanin zu ihrer Vertrauten: So lange der ältere Chans Sohn lebt, ist er der Erbe des Reichs und Mondschein hat nichts; ist aber der Aeltere aus dem Wege, so wird er Chan. Ersinne ein Mittel.

„Das Mittel hab ich ersonnen, versetzte die Vertraute. Narrani ist uns treu. Wenn der mit dem Chans Sohne jagt, soll er ihn heimlich umbringen.“

Mondschein vernahm diese Worte und sprach zu dem älteren Bruder: „dir steht meine Mutter nach dem Leben, damit das Reich ich erbe. Das ist nicht gut. Laß uns beide entfliehen!“

„Ich will entfliehen, versetzte der Aeltere; du aber bleibe bei Vater und Mutter.“ – „Ich kann nicht bleiben, sagte der Jüngere, wo du bist, da will ich auch sein und nirgends anders.

[350] Als sie mit einem Sack voll Kuchen schon weit weg gezogen waren durch Ebenen und Berge, suchten sie einen Fluß und gelangten zuletzt an einen, der war vertrocknet. Da sank Mondschein kraftlos zur Erde. Aber der Bruder sprach zärtlich: verzweifle nicht und bleib hier. Ich gehe und suche Waßer auf jener Höhe.“

Nach langem vergeblichen Suchen kam Sonnenschein wieder und fand den Bruder verschmachtet. Da klagte er weinend um den Bruder: „Ach, wärst du geblieben!“ Er bedeckte in zärtlicher Liebe die Leiche des Bruders mit Steinen, und als er den Seegen des Wiedersehens gesungen, wanderte er über zwei Anhöhen und kam an die Thür einer Höhle. Innerhalb der Höhle saß der weise und fromme Greis Arschi.

„Woher kommst du? fragte der Greis. Deine Gebehrden verrathen tiefe Rührung.“ Der Jüngling erzählte ihm Alles.

Arschi nahm Heilmittel und Waßer und ging mit dem Jünglinge zum Steingrabe des Bruders und brachte diesen ins Leben zurück.

„Werdet Beide meine Söhne,“ sprach der Greis und sie wurden es und blieben bei dem Alten. Der Alte unterrichtete sie in mancher Kunst und mancher Tugend, wovon Chans Kinder oftmals nichts lernen, und sie waren glücklicher, denn in dem Palaste des Vaters.

In diesem Lande herrschte ein furchtbarer Chan von großer Macht, aber mächtiger als er waren zwei Krokodile, welche die Quellen des Flußes verstopften, womit die Felder bewäßert wurden, wofern ihnen nicht ein Jüngling geopfert wurde, geboren im Tigerjahre. Sie wohnten aber in einem Sumpfe nahe an den Quellen.

Es kam die Zeit des Opfers, aber man suchte vergebens nach [351] einem Sohne des Tigerjahres und das ganze Volk gerieth in Angst und Zagen.

Da traten Leute zum Chan und berichteten: „Nicht weit von hier, wohnt am Fluße der alte Arschi und hat einen Sohn des Tigerjahres. Wir sahen ihn, als wir das Vieh tränkten.“

Nachdem das der Chan vernommen, sandte er zehn Boten mit Schwerdtern und sprach: „Geht ihn zu holen.“

„Was habt Ihr zu suchen? fragte Arschi, als sie an die Thür klopften.“ Der Chan, versetzten diese, spricht zu dir: „Du hast einen Sohn des Tigerjahres. Sende ihn mir; das Reich bedarf deßelben.“

Arschi antwortete: „Wie könnt Ihr so sprechen? Wer sollte bei mir einsamen Alten wohl wohnen?“

So sprechend ging er hinein, verschloß die Thüre und versteckte den Jüngling in ein Faß, worin man Branntewein brennt, legte den Deckel darauf und verklebte die Ritzen. Als nun die Boten, zertrümmernd die Thüre hineindrangen, Alles durchsuchten, den Jüngling aber nicht fanden, sagten sie: „Weil der Gesuchte nicht hier, soll auch im Hause nichts bleiben, und Arschi muß umkommen. So sprechend zogen sie die Schwerdter, aber der Jüngling sprach: „Haut meinen Vater nicht; ich bin hier.

Die Boten nahmen ihn mit sich und Arschi blieb weinend und klagend zurück.

Da nun der Jüngling in die Wohnung des Chans trat, sah ihn die Tochter des Chans und wurde von Mitleid bewegt, schlang ihre Arme um seinen Nacken und sprach: „du darfst nicht sterben;“ und als man ihn fortführen wollte, ihn ins Waßer zu werfen, rief sie: „Werft ihn nicht, oder werft mich auch mit ins Waßer.“

Wegen dieser Worte ergrimmte der Chan und sprach: „Weil [352] diese Dirne so wenig bedacht ist für die Wohlfahrt des chanischen Reiches, so werde sie, mit dem Sohne des Tigerjahres zusammengebunden, den Krokodilen vorgeworfen.“

Als nun der Jüngling mit dem Mädchen zusammengebunden ins Waßer geworfen war, sprach er: Warum mußt du sterben, du himmlisches, mitleidiges Mädchen; mich mochte man opfern, weil ich ein Sohn des Tigerjahres bin! – „Nein, du dankbares Herz, versetzte das Mädchen, wie solltest denn du umkommen; da du aus Liebe und Dankbarkeit zu Arschi sprachst:“ „Hier bin ich!“ „Nein ich sterbe gern mit dir, da bleiben wir beisammen. Doch fürcht ich mich sehr.“ So sprachen sie.

Die gefräßigen Ungeheuer hörten diese Worte, und wie auch menschenwürgende Menschenungeheuer zuweilen Anwandlungen von Großmuth und Mitleid haben, so hatten sie dießmal die Krokodile, vielleicht weil sie schon übervollen Fraß gehabt hatten. Sie setzten Beide ans Ufer zurück.

„Komm, Jüngling, jetzt mit mir nach dem Palaste, und bleibe bei mir,“ sagte das Mädchen; er aber versetzte: „Hab ich meinen Vater Arschi gesehen, so komm ich, und ungetrennt leben wir alsdann beisammen.“

Als der Jüngling an die Höhle des Greises kam, hörte er denselben laut jammern: „Mein Sohn! mein Sohn!“

„Jammre nicht, mein Vater, jammre nicht, rief draußen der Jüngling; es ist gerettet dein Sohn und steht draußen.“ Da öffnete Arschi die Thür, und sie lagen sich einander in den Armen und der Jüngling erzählte von dem Mitleide der Krokodile.

Als auch die Chanstochter wieder zu dem Palaste zurückgekommen war, wunderten sich der Chan und das Volk. Sie aber erzählte von dem Mitleide der Krokodile, und das Volk ging sich tief [353] verneigend dreimal um die Chanstochter herum und sangen ihr Lobgesänge.

„Es ist sehr gut, sagte der Chan zum Mädchen, daß du wieder da bist, aber der Sohn des Tigerjahres ist wohl umgekommen?“

„Nein, sprach das Mädchen, die Krokodile haben mir nur seiner Milde wegen das Leben geschenkt!“

„Das ist ein Wunder! riefen der Chan und das Volk, und der Chan gebot seinen Ministern: „Auf! bringt mir den Jüngling und seinen Vater Arschi mit Ehren und Freuden.“

Sie brachten dieselben und Mondschein nahmen sie auch mit, und das Volk wandelte neunmal um sie lobsingend herum.

„Wundervoller Jüngling, sprach der Chan, bist du wohl wirklich ein Sohn des Arschi?“ Der Jüngling antwortete: „Ich und dieser hier sind Söhne des Chans Güchanas. Weil meine Stiefmutter aus Liebe zum eigenen Sohn mich zu tödten beschloßen, bin ich entflohen und begleitet von meinem jüngern Bruder aus Liebe, sind wir zu Arschi gekommen und sind seine Söhne geworden!

„Edelherzige Jünglinge! edelherziger Greis! rief der Chan. Er überhäufte sie mit Ehren und Geschenken und gab dem ältesten Jüngling seine Tochter zur Gemahlin. Er sandte darauf die Drei mit großer Begleitung zum Chan Güchanas.

Als sie nahe zum Palaste deßelben waren gekommen, schrieben sie diesen Brief:

„Zu dem chanischen Vater sind, zurückkehrend, beide Brüder gekommen.“

Seit vielen Jahren hatten Vater und Mutter über ihre Söhne gejammert, und waren im Jammer alt und finster geworden und einsam geblieben. Der Chan sandte viel Leute ihnen entgegen. Als aber die Chanin den Aeltesten und seine himmlische Gemahlin [354] erblickte, und die Leute und Schätze, welche sie mitbrachten, ward ire Mißgunst so groß, daß sie Blut spie und starb, denn das Glück der Guten ist das Unglück der Bösen.


(4)

Vor alter Zeit lebte ein Hausvater in einem blühenden Lande, der hatte drei Töchter, die abwechselnd die Kälber hüten mußten.

Als einst die älteste Tochter beim Hüten eingeschlafen war, ging ein Kalb verloren. Sie suchte das Kalb und kam zu einem Hause mit rother Thüre und ging hinein. Erst kam sie zu einer goldenen, dann zu einer silbernen, dann zu einer ehernen Pforte, und fand nun einen Käfig mit Gold und in dem Käfig saß eine weiße Eule.

„Was willst du?“ fragte der Vogel.

„Ich, war die Antwort, habe ein Kalb verloren, und bin gegangen es zu suchen.“

Der Vogel sagte darauf: „Werde meine Frau, dann sollst du dein Kalb finden, sonst aber nicht.“ Das Mädchen aber versetzte: „Eine Vogelfrau mag ich nicht werden, und sollt ich das Kalb[WS 1] nimmerdar wieder erlangen, denn die Vögel gehören zum Vieh.

Am folgenden Tage war die zweite Tochter eingeschlafen und ein Kalb ging verloren. Sie kam auch zum Vogel und sollte seine Frau werden, sie aber sagte: „Ich mag nicht.“

Als es am dritten Tage der jüngsten Schwester nicht anders erging und sie zum Vogel ging, sagte dieser zu ihr: „Werde meine Frau, dann sollst du dein Kalb haben.“ Hierauf sprach [355] das Mädchen: „Dein Wille möge geschehen; ich bin es zufrieden. So wurde sie denn die Frau des Vogels.

Nach einiger Zeit geschahe es, daß ein dreizehntägiges Fest bei einem Tempel gefeiert wurde, und sich zum Zusehen eine Menge Menschen versammelte, die Vogelfrau auch mit darunter.

Unter den Weibern war sie die Erste, und unter den Männern war Einer, der auf einem Schimmel um die Versammlung herumritt und alles Volk rief: „Der ist der Erste.“

Der Vogel fragte die zurückgekommene Frau: „Welche waren wohl unter den versammelten Männern und Weibern die Ersten?“ Die Frau sprach: „Unter den Männern war es Einer, der auf einem Schimmel herumritt, den ich aber nicht kannte, unter den Weibern aber war ich es selbst wohl.“

Daßelbe geschahe eilf Tage immer wieder. Am zwölften Tage aber saß die Vogelfrau neben einer Alten, die fragte: „Wer wird wohl heute der Erste sein?“ Darauf versetzte sie: „Unter den Männern ist es der auf dem Schimmel, unter den Weibern bin ich es. O, wär ich mit diesem Manne verbunden, aber mein Gemahl ist nur ein Vieh, denn er ist nur ein Vogel.“

So sprach sie weinend. Aber die Alte versetzte: „Sprich nicht dergleichen Worte. Der Reiter auf dem Schimmel ist ja eben dein Gemahl.

Geh morgen nicht in die Versammlung, sondern verbirg dich im Hause, bis dein Gemahl das Vogelhaus verläßt, den Schimmel aus dem Stalle zieht, und in die Versammlung reitet. Verbrenne alsdann das Vogelhaus, so wirst du ihn immer in seiner wahren Gestalt erblicken.

[356] Die Frau that, wie ihr gerathen ward und verbrannte das Vogelhaus. Als der Mann nun nach Hause zurückkam, wunderte er sich, daß die Frau schon da war. Dann fragte er: „Wo ist mein Vogelhaus?“ Die versetzte: „Ich habe es verbrannt.“ – Der Mann aber klagte und sprach: „Himmel! das ist sehr übel. Das Vogelhaus war meine Seele; gleichwie bei Andern ihr Gold, ihre Kleider, ihr Ehrenstand ihre Seele sind.“ Da klagte die Frau mit ihm und sprach: „Was ist nun wohl anzufangen?“ Darauf versetzte der Mann: „Jetzt gibt es keinen andern Rath mehr, als daß du hinter die Thüre dich setzest, und Tag und Nacht mit dem Schwerdte raßelst. Hört das Raßeln auf, so kommen die Tschädkürs und reißen mich fort. Sieben Nachtzeiten kämpfe ich gegen die Tschädkürs.“

Nach solchen Worten sperrte die Frau ihre Augenlieder mit Hölzern auseinander und nahm das Schwerdt und raßelte damit. So durchwachte sie sechs Nachtzeiten. Aber in der siebenten Nacht fielen ihr die Augen nur einen halben Augenblick zu, und plötzlich rückten die Tschädküren den Vogelmann hinweg. Da lief ohne Nahrung, sinnlos und jammernd die arme Vogelfrau umher und rief: „O mein Vogelmann! mein lieber, lieber Vogelmann!“

Als sie lange, lange gesucht, hörte sie des Gemahls Stimme aus einem Fluße. Sie lief auf den Fluß zu und erblickte den Gemahl neben einem Tschädkürriesen, der hatte siebentausend Paar Stiefeln auf dem Rücken. „Ueber dein Wiedersehen und deine Treue bin ich gar hoch erfreut! sprach der Vogelmann. Ich muß Waßer für die Tschädküre tragen, und habe alle diese siebentausend Paar Stiefeln bei dieser Arbeit verbraucht. Hast du mich lieb und willst mich wieder haben, so eile zurück und [357] baue mir ein neues Vogelhaus, und weihe es mit Seegenssprüchen zur Seele. Dann kann ich zurück.“

Schnell wie der Wind verschwand er bei diesen Worten. Die Frau aber eilte nach Hause, machte ein Vogelhaus und weihete es ein.

Da erschien der Vogelmann auf dem Dache des Hauses und ging in sein Vogelhaus. Aber da erhielt er seine Gestalt, die er reitend auf dem Schimmel gehabt hatte, und sagte: „Nun bleib ich immer bei dir, wie ich jetzt bin; denn du hast mir durch deine treue Liebe die Seele wiedergegeben, denn treue Liebe ist die Seele des Lebens, und darum bist du meine Seele von jetzt an.


(5)

Ein Chans Sohn verliebte sich in ein Mädchen voll Schönheit und Tugend und Geist, das zwei Meilen weit von ihm wohnte, und sagte: „Du bist meine Gemahlin!“ Das hielt er aber noch heimlich, denn das Mädchen war nur die Tochter eines gemeinen Hausvaters.

Der Chanssohn starb, ohne daß das Mädchen davon erfuhr. In einer Nacht, da eben der Mond war aufgegangen, hörte es an der Thüre klopfen und der Chanssohn trat herein. Da ging es ihm freudig entgegen und bewirthete ihn mit Arack und Kuchen.

„Gemahlin, sprach des Chans Sohn, komm mit mir.“ Sie folgte ihm und Beide gelangten zur chanischen Wohnung, aus welcher ein Schall von Klangbecken und Pauken hervordrang.

„Chan, was ist das? fragte die Gemahlin. Weißest du das nicht? antwortete dieser; es wird mein Leichendienst gehalten.“

„Dein Leichendienst? sagte sie betroffen; was ist denn dem Sohne des Chans widerfahren?“ – „Er ist verschieden, war die Antwort, und wird dich in jeder Vollmondsnacht besuchen.“

[358] „Wie aber, fragte sie, wirst du mich können besuchen, wenn du verschieden bist?“

„Weißest du nicht? versetzte der Verschiedene, daß treue Liebe nimmer verscheidet, sondern dauert bis über das Grab!“ Damit verschwand er. Sie aber jammerte ihm laut nach und rief: „Chan! Chan! kehre wieder. Ach warum bist du verschieden!“

Als im nächsten Vollmond der Verschiedene wieder zu ihr kam, sagte sie mit Thränen: „Es ist schön, daß du in jeder Vollmondsnacht zu mir kommst, allein viel schöner wär es, du könntest alle Nacht zu mir kommen! Darauf erwiederte der Chans Sohn: „Wenn du Muth hättest, dann könnt ich wohl kommen; aber du bist noch zu jung und wirsts nicht vollbringen!“ – Darauf sprach sie: „Treue Liebe wagt Alles, und selbst das Leben; ich will es vollbringen!“

Der Chans Sohn sprach hierauf: „So begib dich denn in der nächsten Vollmondsnacht eine Meile von hier zu dem Eisenalten und reiche ihm Arack. Hierauf gelangst du zu zwei großen Widdern; ihnen gib diesen würzigen Kuchen. Weiter triffst du auf einen Haufen Bewaffneter mit Panzern und Rüstungen, diesen gib Fleisch und Kuchen. Von dort gelangst du zu einem großen schwarzen Gebäude mit Blute bedeckt und statt der Fahne ist eine Menschenhaut aufgestellt. An der Thüre des Hauses stehen zwei Höllendiener, welchen du Ehrenopfer von Blut reichen mußt. Jetzt gelangst du ins Haus und triffst neun schreckliche Beschwörer und neun Herzen, die stehen um einen Chansthron und eins darunter ist noch frisch und blutend, die andern achte sind alt. Das sind aber die Herzen von Chanen und ihren Söhnen. Die acht Alten aber werden rufen: „Nimm mich! Nimm mich!“ Das frische aber wird rufen: „Nimm mich nicht!“ Das aber sollst du nehmen, denn es ist mein Herz, damit [359] lauf eilends zurück, aber du darfst dich nicht umsehen. – Hast du dieß Alles vollbracht, dann darf ich allnächtlich zu dir kommen.“

Zwar das Mädchen fürchtete sich sehr, aber die Liebe besiegte die Furcht, und es ging in nächster Vollmondsnacht, theilte die Opfer aus und gelangte in das Gebäude. „Nimm mich nicht, rief das frische Herz, aber das Mädchen nahm es dennoch und eilte mit demselben davon.

Die neun Beschwörer liefen nach und riefen: „Haltet! haltet, den Dieb des Herzens!“ aber die beiden Höllendiener sagten: „Wir haben Blut zum Ehrenopfer bekommen; wir halten nicht!“ Die Beschwörer riefen den Bewaffneten zu; die aber sagten: „Wir haben Kuchen und Fleisch bekommen; wir halten nicht. – Jene riefen den Widdern zu, die aber sprachen: „Wir haben würzigen Kuchen bekommen, wir halten nicht.“ Da riefen sie dem Eisenalten zu, der aber sagte: „Ich habe Arack bekommen und halte sie nicht!“

Jetzt ging das Mädchen nach Hause ohne Furcht, und als es hineintrat, stand der Chanssohn im Feierkleide da und umschlang den Nacken des Mädchens und sprach: „Nun hab ich mein Herz wieder und bin wieder durch treue Liebe lebendig.“

Sie gingen hierauf zu den Aeltern des Jünglings, welche heftig erschracken. Aber der Jüngling erzählte, was sich hatte begeben, und wie ihn das treue Mädchen wieder lebendig gemacht hätte. Da wurde es seine Gemahlin.


(6)

In früher Zeit lebte der Sohn eines Priesters, der verkaufte seinen Acker und kaufte dafür drei Klaftern Tuch, Handel damit zu treiben und reiste in ein anderes Land.

[360] Auf dem Wege sahe er einen Haufen Kinder, die hatten eine Maus an einer Schnur und warfen sie ins Waßer und zogen sie wieder heraus. Da bat er die Kinder barmherzig zu sein und die Maus laufen zu laßen, die aber sagten trotzig: „Was geht das dich an? Wir laßen sie nicht!“ Da gab er ihnen eine Klafter des Tuches und die Maus war befreiet.

Bald darauf fand er einen Haufen anderer Kinder, die hatten einen jungen Affen gefangen, den schlugen sie und schlugen ihn sehr, und sagten: „Spring! spring ordentlich! spring beßer!“ Aber der junge Affe konnt es noch nicht und machte jammervolle Gebehrden.

Der Mann erbarmte sich des Affens und wollte ihn losbitten, aber weil ihn die Kinder nicht losließen, gab er ihnen die zweite Klafter Tuch, da ließen sie ihn los.

Weiter davon hatte ein Haufen Knaben einen jungen Bären, auf welchem sie ritten und ihn prügelten. Da mußte er sein letztes Tuch hingeben, ehe sie den Bären in den Wald ließen.

Nun hatte der Mann nichts zu handeln und nichts zu zehren und dachte: „Was soll ich nun anfangen?“

Als er so denkend weiter ging, fand er auf einer Schilfwiese ein großes Stück seidenes Zeuges mit Goldblumen durchwirkt, das war sehr kostbar. „So hat denn, sprach er zu sich selbst, der Himmel das Tuch siebenfältig ersetzt, um der Barmherzigkeit willen, die du geübt hast.“ Aber bald dachte er anders.

Es kamen Leute daher und sahen das Zeug und fragten: Woher hast du das kostbare Seidenzeug? Das Zeug ist mit andern Stücken aus der Schatzkammer des Chans gestohlen. Nun haben wir endlich den Dieb gefunden; aber, wo hast du die anderen Sachen?“

[361] Sie führten ihn vor den Chan, welcher sprach: „Weil du so Unziemliches begangen, so lege man dich in einen großen Kasten, den man mit einem Nagel von Holze verschließe, gebe dir zwei Brodte mit und werfe dich ins Waßer.“

Also geschah es. Aber der Kasten blieb bald hängen am Ufer. Die Luft im Kasten ward bewegt, und der Priesterssohn wäre beinahe erstickt, aber da knasperte Etwas am Holznagel und rief ihm zu: „Nun drücke ein wenig am Deckel!“ und als er drückte, wurde es eine kleine Spalte und der Eingesperrte bekam ein klein wenig Luft und erkannte durch die Spalte die Maus, welche er losgekauft hatte.

Die Maus sprach zu ihm, halte dich noch ein wenig, bis ich meine Gefährten herbeirufe; für mich allein ist es zu schwer!“

Die Maus kam mit dem Affen und mit dem Bären. Der Affe erweiterte die Spalte so viel, daß der Bär mit seiner Pratze hineinkonnte und darauf den Kasten mit Gewalt aufbrach, daß jetzt der Mann herauskonnte und sich auf einem Rasenplatze mitten im Fluße niederließ. Alle drei Thiere brachten ihm hierauf Obst und allerlei Speisen.

Am andern Morgen erblickte der Mann am Ufer einen hellen Schein und sandte den Affen hin. Der Affe brachte ihm einen glänzenden Stein, der ein Wunderstein war.

Da wünschte sich der Mann ans Land, und als er auf dem Lande war, wünschte er sich einen Palast und alsbald stieg mitten auf einem großen Platze ein Palast empor mit allen Gebäuden, Thieren und kostbaren Geräthen, und mancherlei Bäume standen umher, und Springbrunnen trieben lieblich helles Waßer aus Marmorbecken gen Himmel. In diesem Palaste wohnte er nun und behielt seine drei Thiere bei sich.

[362] Nach einiger Zeit kamen Kaufleute nach dieser Gegend, die staunten, sagend: „Wo kommt der Palast her? Hier war sonst ein wüster Platz!“ Sie befragten den Priesterssohn und dieser zeigte ihnen den Wunderstein und erzählte ihnen alle seine Schicksale.

Da sprach der Eine: „Nimm Alles, was wir haben, nur laß uns den Stein.“ Gutmüthig gab er ihnen den Stein, und ließ ihnen auch ihre Ladungen, „denn, sagte er, ich bin ja glücklich und reich genug!“

Die Kaufleute waren aber nicht dankbar wie die Thiere, denn sie waren nur Kaufleute, und die Gutmüthigkeit hielten sie wie Viele, die nicht Kaufleute sind, für Einfalt.

Als am andern Morgen der Priesterssohn erwachte, saß er im Fluße auf dem Grasplatze und war Alles verschwunden.

Indem er trauernd da saß, kamen die Thiere und fragten: „Was ist dir geschehen?“ Als er ihnen erzählt, sprachen Jene: „Du bist fürwahr zu beklagen; aber sprich, wohin ist der mit dem Steine gegangen? – Wir wollen ihn suchen gehen.“

Als sie nun zu dem kamen, der den Wunderstein hatte, sagten Bär und Affe: „Maus, schau umher, wo sich der Wunderstein findet!“

Die Maus schlüpfte durch alle Löcher und kam in ein geschmücktes Gemach, wo der Kaufmann schlief, welcher den Stein bekommen hatte. Der Stein hing am Ende eines Pfeiles, und der Pfeil steckte in einem Reißhaufen, und neben dem Reißhaufen lagen zwei angebundene Katzen. Da wagte die Maus sich nicht an den Wunderstein, und sagt es den Gefährten.

Der Bär war immer träge und daher immer dumm, weil Beides zusammengehört, und sagte: „So ist also kein Mittel [363] mehr; laßt uns demnach zurückkehren. Der Affe aber widersprach ihm, sagend: „Wohl gibt es vielleicht noch ein Mittel. Maus! gehe zu dem Kaufmann und benage ihm sein Haar, und in der nächsten Nacht siehe, wer neben dem Kißen des Kopfes wird angebunden sein.

Als am nächsten Morgen der Kaufmann sein Haupthaar benagt fand, band er zu Abend die Katzen ans Kopfkißen an.

Die Maus konnte aber in der nächsten Nacht nicht an dem Pfeil zum Wunderstein hinan. „Nun, sagte der Bär, da gibt es denn weiter kein Mittel; kommt, laßt uns umkehren.“ Der Affe aber sagte: „Wohl gibt es dennoch ein Mittel; laßt uns nur nicht gleich verzagen. Maus! gehe und durchwühle den Haufen Reiß bis der Pfeil umfällt, dann bringe den Stein im Maule hieher.“

Die Maus schleppte den Wunderstein bis zum Loche, sie konnte ihn aber nicht durchbringen, denn der Stein war zu groß. Das klagte sie denn den Gefährten. „Nun, sagte der Bär, so gibt es weiter kein Mittel, und wollen wir wieder nach Hause, denn der Affe und ich können doch nicht durch das Mauseloch kriechen.“ Aber der Affe erweiterte das Loch mit seinen Pfoten, bis die Maus mit dem Steine hindurchkonnte.

Jetzt wanderten sie zurück, und da sie durch einen Fluß kamen, setzte sich die Maus ins Ohr des Bären, der Affe aber, den Wunderstein in dem Munde, auf den Rücken deßelben.

Als sie in den Fluß kamen, rühmte sich der Bär, daß er auch einmal Etwas that und sagte: „Seht! ist das nicht gut, daß ich Euch alle Drei tragen kann: Affe, Maus und Wunderstein? Aber das macht, weil ich stärker bin als Ihr.“

[364] So sprach er noch Mancherlei, aber Keins antwortete ihm, denn die Maus schlief vor Müdigkeit von der vielen Arbeit, und der Affe hatte den Stein im Munde.

Als nun keine Antwort erfolgte, wurde der Bär recht grollig und sagte: „Wollt Ihr nicht antworten, so werf ich Euch beide ins Waßer.

„Thue es nicht!“ sprach der Affe; und der Wunderstein fiel aus dem Munde ins Waßer.

Als sie jetzt über den Fluß waren, zürnte der Affe, sagend: „Du, Bär, bist doch wahrlich ein dummes Thier!“ Da erwachte die Maus und fragte: „Was gibt es?“ und der Affe erzählte Alles und sprach: „Den Stein aus dem Waßer zu bringen ist schwerer als Alles. Jetzt wollen wir fortgehen, dahin und dorthin.“ Die Maus aber versetzte: „Ich will es versuchen, den Stein aus dem Waßer zu bringen. Ihr Beiden setzet Euch weiter ab.“

Die Maus lief längs des Flußes auf und ab, gleichsam als wäre sie ängstlich; da sprachen die in dem Waßer, „Maus, was hast du für Unruhe?“

Die Maus sprach: „Wißt Ihr denn das nicht einmal, daß ein großes Heer anrückt, das alle Waßerbewohner aus dem Waßer will treiben?“

„O Unglück, riefen die Waßerbewohner; so rathe denn, was nun zu thun sei.“

„Es bleibt, sprach die Maus, kein anderes Mittel, als Steine herbeizutragen und am Ufer einen Damm aufzuführen.“ So sprach sie, und die im Waßer brachten Steine aus der Tiefe des Flußes, und endlich brachte ein großer Frosch den Wunderstein und sagte: „Der Stein ist recht schwer!“

[365] „Maus, du bist klug,“ sagte der Affe, als der Stein da war. Darauf kamen sie bald zum Priesterssohn, der aber kaum noch lebte. Als er aber den Stein wieder hatte, wünschte er sich ans Land, wünschte dann wieder einen Palast, geschmückt wie der erste, und noch mehr.

Den Stein ließ er nun nicht mehr von sich, aber die drei treuen Gefährten auch nicht. Der Bär aß und schlief; der Affe aß und tanzte und die Maus aß, und schlüpfte durch alle Winkel und Löcher, und der Priesterssohn litt keine Katze im Palaste.


(7)

Es herrschte in uralter Zeit ein mächtiger Khan über ein großes Land voller Marktplätze, in welchen viel Volks lebte. Das Land war sehr fruchtbar, wenn der Fluß übertrat, der durch das Land floß und die Felder durch Ueberschwemmungen fruchtbar machte. Der Fluß trat aber nicht alle Jahr über, und dann kam über das Land großes Elend und Hunger. Das machten aber zwei böse große Krokodilfrösche, die wohnten an den Quellen des Flußes, in einem großen Sumpfe.

Die Frösche fraßen gern Menschenfleisch. Da mußte man ihnen von Zeit zu Zeit einen Menschen in den Sumpf werfen, an welchem sie eine zeitlang zu zehren hatten, wenn aber das nicht geschahe, so verstopften sie die Quellen des Flußes und dann verdorrte das Land. Dann warf man einen Menschen, den das Loos traf, in den Sumpf, worauf sie das Waßer wieder frei ließen.

Einst traf nun das Loos den Khan selbst, den Fröschen zur Mahlzeit geliefert zu werden. Der Khan hätte nun gern ein Paar [366] Dutzend der Unterthanen den Fröschen zur Mahlzeit gegeben, aber das ging zur selben Zeit und in selbigem Lande gar nicht, denn die Unterthanen waren hochmüthig und keck und meinten: Gottes Wille und Fürstenwille seien zweierlei Ding, und sie brauchten sich nicht so allein freßen zu laßen, sondern die Großen seien so lange sterbliche Menschen, als der Todt sie noch fräße. Kurz es waren verzweifelte Leute.

Also sollte der Khan den Fröschen überliefert werden, und obwohl derselbe behauptete, das ganze Land und die ganze Welt ginge zu Grunde, wenn Er nicht mehr regiere, so wollten die Unterthanen doch kein Wort davon glauben, und half deshalben kein Weigern.

Der Khan wollte sich den Fröschen ausliefern laßen, aber sein Sohn, ein hochherziger Jüngling, gab es nicht zu. Jetzt gab es einen Wettstreit der Ehre, der Liebe, der Zärtlichkeit.

„Ich bin alt, mein Sohn, sagte der Vater; bleibe du und herrsche nach den Gesetzen! Ich aber will gehen, weil es anders nicht sein kann.

„O Tängäri (Himmelsabkömmling), rief der Sohn, das geht nicht an. Du hast mich mit Sorgfalt gepflegt; jetzt muß ich dir danken! Wenn Khan und Khanin zurückbleiben, was bedarf es denn meiner, zumal da der Brüder noch drei sind!“ So sprach er, und das Volk wandelte jammernd um ihn im Kreise herum[2], und begab sich dann wieder zurück.

Der Sohn des Khans hatte von früher Kindheit an einen Gespielen gehabt, den Sohn eines armen Mannes, mit welchem [367] er aufgewachsen war und gelebt hatte. Er ging zu diesem und sprach: Lebe nach dem Willen der Aeltern und lebe vergnügt! „Ich gehe zum Besten des Reichs, mich von den Fröschen verzehren zu laßen.“

Der Sohn des armen Mannes sagte: du Khanssohn! Ich bin mit dir aufgewachsen; wir haben zusammen gespielt, wir haben zusammen gelebt; so laß uns, wenns sein muß, zusammen auch sterben.“

Beide machten sich auf und gingen zu den Fröschen und kamen an den Rand des Sumpfes. Da hörten sie die beiden Frösche, deren einer gelb und der andere blau war, über mancherlei Dinge sprechen. Da sagte der gelbe Frosch: „Der Khans Sohn und sein Begleiter werden kommen, die sollen uns eine köstliche Speise sein. Aber wüßten die Beiden es, wenn sie Jeden von uns den Kopf mit dem Schwerdte zerspalteten und der Khanssohn mich gelben Frosch verzehrte, und des armen Mannes Sohn dich blauen Frosch, daß sie dann Gold und Erz speien würden, so viel sie wollten, und würden hohe Männer werden, und würden die Quellen nicht mehr verstopft, das wäre für uns sehr übel.“

Der Khanssohn verstand die Sprache von allen Geschöpfen, und also begriff er die Rede der Frösche. Und als die Frösche Menschenfleisch witterten und die Köpfe an dem Rande des Sumpfes hervorsteckten, da zerspalteten sie die Köpfe der Frösche und aßen sie, und ging ihnen Gold und Erz aus dem Munde nach Herzenslust.

Der Gefährte sprach nun: „Die Frösche sind beide getödtet; der Lauf des Flußes wird nicht mehr gehemmt; laß uns also nach unserm Lande zurückkehren.“

Doch der Khanssohn verstattete dieß nicht und sprach: „Kehren wir nach unserm Lande zurück, dann wird es heißen: „es [368] sind Gespenster gekommen, und alles Volk wird fliehen vor uns; laß uns lieber noch weiter ziehen, es wird uns nichts fehlen, denn wir haben Gold und auch Erz.“

Als sie darnach wandelnd über einen Berg zu einer Brannteweinhütte gelangten, in welcher zwei Weiber von reizender Bildung wohnten, Mutter und Tochter, da sprachen sie also: „Wir wollen Branntewein kaufen!“ Die Weiber fragten: „Was habt Ihr für Branntewein zu geben?“ Da spien sie Gold und Erz, und die Weiber ließen die Wanderer in die Hütte, reichten ihnen Branntewein in Menge, machten sie trunken, warfen die Trunkenen aus der Hütte hinaus und behielten das Gold und das Erz.

Beide erwachten und zogen weiter bis an die Mündung eines Flußes, und wurden in einem Hain einen Haufen zankender Kinder gewahr. „Worüber, sprachen sie, zankt Ihr Euch wohl?“

„Wir haben, hieß es, im Walde hier eine Mütze gefunden und Jedes begehrt sie.“

„Wozu, fragten die Wanderer, dient denn die Mütze?“

Diese Mütze hat die Eigenschaft, versetzten die Kinder, daß, wer sie aufsetzt, weder von Tängäri, noch Menschen, noch Tschädkürn gesehen kann werden.“

„Nun, so begebt Euch denn bis an das Ende des Waldes und kommt laufend zurück. Ich verwahr indeßen die Mütze und reiche sie dem Ersten von Euch, der von dem Laufe zurückkommt.“

So sprach der Khanssohn, und die Kinder liefen, aber fanden die Mütze nicht, denn der Khanssohn hatte sie auf den Kopf des Begleiters gesetzt. „Eben war sie doch da, sprachen die Kinder, und jetzt ist sie weg.“ Nachdem sie die Kinder, ohne sie zu finden, gesucht, gingen sie jammernd zurück.

[369] Jene zogen noch weiter und fanden in einem Walde einen Haufen zankender Tschädkürn und sprachen: „Worüber zankt Ihr Euch wohl?“

„Ich, riefen sie Alle, habe mich dieser Stiefel bemächtigt!“ „Wozu dienen diese Stiefel?“ fragten sie.

„Wer diese Stiefel anzieht, versetzten die Tschädkürn, erreicht das Land, das er wünscht.“

„Nun, hieß es, so begebt Euch an jenen Weg, und wer zuerst laufend hieher kommt, soll diese Stiefel bekommen.“

Auf diese Worte liefen die Tschädkürn, aber die Stiefel waren in den Busen des Begleiters gesteckt, der auf dem Kopfe die Mütze hatte. Die Tschädkürn sahen die Stiefel nicht mehr, suchten vergebens und gingen zurück.

Hierauf zogen der Fürst und sein Begleiter die Stiefel an, Jedweder Einen, und wünschten sich nach dem Wahlplatze eines khanischen Reichs. Sie wünschten und kamen an, und legten sich schlafen, und früh am Morgen erwachend, befanden sich Beide in der Höhlung eines großen Baumes, mitten auf dem Wahlplatze des Reichs, wo eben das Volk versammelt war, einen heiligen Baling zu werfen. „Auf weßen Kopf der Baling fällt, sagte das Volk, der sei unser Khan.“

So sprachen sie werfend, aber der Baling des Schicksals fiel auf den Baum.

„Was ist das? sprach das Volk verwundernd; erwählet zum Khan ist ein Baum?“ – „Laßet uns sehen, hieß es von Andern, ob nicht der Baum etwas Fremdes verberge?“

Als sie nun nachsahen, traten der Khanssohn und der Begleiter hervor. Aber das Volk stand im Zweifel und fragte: „Wer soll denn nun Khan sein?“

[370] „Laßet es den sein, sprach der Begleiter, denn er ist schon eines Khans Sohn und speiet Gold, ich aber bin eines armen Mannes Sohn und speie nur Erz.

Da sagte das Volk: „So soll er denn Khan sein, du aber sei sein Minister.“

In der Nähe des khanischen Palastes befand sich ein hohes Gebäude und jeden Tag begab sich die Khanin dahin. „Warum, dachte der Minister, geht wohl jeden Tag in diese Wohnung die Khanin?“

So denkend setzt er die Mütze auf und folgte der Khanin durch die geöffnete Thüre von einer Treppe zur andern, bis zu dem Dache hinauf. Sie legte Kißen und Polster aufeinander, bereitete mancherlei Getränke und Speisen und zündete zum Wohlgeruch Weihrauch und Kerzen an. Der Minister aber setzte sich mit der unsichtbar machenden Mütze in einen Winkel und blickte nach allen Seiten umher.

Bald darauf entschwebte dem Himmel ein großer reitzender Vogel. Die Khanin empfing ihn mit duftenden Kerzen. Der Vogel setzte sich erst auf das Dach und sang lieblich, dann kam er zur Khanin und lagerte sich auf die seidenen Polster und genoß von den Speisen und Getränken.

Der Vogel sprach mit der Khanin und sagte: „Nun bist du Gemahlin des Khans, den dir das Schicksal beschied; doch was hältst du von ihm? Die Khanin antwortete: „Ich kenne den Fürsten zu wenig, um von seinen Vorzügen und Mängeln zu sprechen.“

Die Zeit war vorübergegangen; die Khanin hüllte sich in ihre Kleider und ging in den Palast zurück.

Am folgenden Tage folgte der Minister der Khanin wie das vorigemal und vernahm diese Worte: „Morgen will ich als Wundervogel, [371] deinen Gemahl besuchen.“ Die Khanin aber sprach: „Es sei also.“

Als die Zeit vorüber war, kehrte die Khanin zurück, aber der Minister erzählte seinem Herrn Alles, und sie hielten Rath, den Vogel zu tödten. Als nun am andern Morgen der Vogel kam, fing ihn der Minister, der die Mütze aufhatte, und der Khan hieb ihm mit dem Schwerdte den Kopf ab. Dann wurde der Vogel ins Feuer geworfen, und als er anfing zu brennen, verwandelte er sich und wurde zum Jüngling von unvergleichlicher Bildung. Als der Jüngling erkannt ward, war er der Bruder der Khanin.

Unsichtbar in der Mütze ging oft der Minister umher und sahe, was sich begab. Sich nahend einem Hause erblickte er durch eine Spalte der Thür einen Menschen, der ein Eselsbild ausbreitete und sich auf dem Bilde umherwälzend, erhielt er die Gestalt eines großen Esels und lief als Esel umher und schrie wie ein Esel. Dann wälzte er sich von neuem und erschien wieder in Menschengestalt. Zuletzt nahm er das Papier, rollte es zusammen und steckte es in die Hand eines Burchans (Götzenbild).

Der Mann kam heraus; der Minister aber ging unsichtbar hinein und eingedenk der schlechten That in der Branntweinshütte, geht er zu der Branntwein verkaufenden Mutter und ihrer Tochter und sprach mit verschlagenen Worten: „Euch für Eure Wohlthat zu lohnen bin ich zu Euch gekommen.“ Mit diesen Worten reichte er den Weibern drei Goldstücke, und die Weiber sprachen: „Du bist wirklich ein guter Mensch, aber wie bist du wohl zu dem Golde gekommen?“

Der Minister antwortete: „Hin und her mich wälzend auf diesem Papiere, habe das Gold ich erlangt.“

[372] Nach diesen Worten sagten die Weiber: „So vergönne uns doch, daß wir uns ebenfalls wälzen.“ Beide wälzten sich und wurden in Esel verwandelt.

Der Minister führte die Esel zum Khan und der Khan sprach: „Gib sie hin, daß sie Erde und Steine tragen, so sind sie bestraft.“ So sprach er, und die Esel mußten drei Jahre Erde und Steine tragen und ihr Rücken ward wund und mit Blut und Eiter bedeckt. Da sahe der Khan ihre Augen voll Thränen und sprach zu dem Minister: „Quäle die Thiere nicht mehr, sie sind nun genug gestraft.“

Hierauf holte der Minister das Papier, und als sie sich darauf herumgewälzt hatten, waren sie zu zwei zusammengeschrumpften Weibern geworden. Aber der Khan ließ sie ernähren.


  1. Verbeßerungen S. 471: st die Erde wollen l. die Erde verderben wollen
  2. Nach der Sitte der Lama Religion, wo ein Fürstensohn, der sich fürs Volk aufopfert, wie ein göttliches Wesen angesehen wird; ich denke mit großem Recht.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kald