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RE:Dominus 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Kaisertitel
Band V,1 (1903) S. 13051309
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Dominus. 1) Als Kaisertitel. Das Wort dominus bezeichnet den Herrn im Gegensatze zum servus (vgl. Suet. Tib. 29. Plin. paneg. 88), den δεσπότης im Gegensatze zum δοῦλος (vgl. Cass. Dio LVII 8, 1. 2. Philo leg. ad Gaium 17, II p. 562, 40 Mangey. Dio Chrysost. I 22. Lyd. mag. I 6 p. 126, 3 Bekker. Lyd. mens. IV 112 p. 152, 3 Wuensch). Daher die Abneigung des Augustus, der princeps, d. h. princeps civium, sein wollte, gegen die Anrede domine. Er duldete diese Anrede ebensowenig (Tertull. apol. 34, I p. 239, 9 Oehler) wie die als θεός (Philo leg. ad Gaium 23, II p. 568, 22 Mangey). Als das Volk ihn einmal (ποτε, nicht τότε) δεσπότης nannte, so verbat er sich (Dio LV 12, 2) diese Anrede. Er lehnte es ab, sich mit δοῦλοι zu unterhalten (Lyd. mag. I 6) und erklärte: ἐγὼ δὲ ἐλευθέροις, ἀλλ’ οὐ δούλοις ἔμαθον διαλέγεσθαι (Lyd. mens. IV 112). Er sah in der Bezeichnung als dominus eine Beschimpfung. Als bei der Aufführung eines Mimus die Zuschauer die Worte o dominum aequum et bonum auf ihn bezogen, wandte er sich am folgenden Tage in einem scharfen Edicte dagegen und liess sich nachmals nicht einmal von seinen Kindern oder Enkeln, nicht im Ernst und nicht einmal im Scherz, so nennen. In Rom wusste man dies Verhalten des Augustus zu würdigen, Ovid. fast. II 142 tu (sc. Romulus) domini nomen, principis ille (sc. Augustus) tenet. Bereits vor der Begründung des Principates und schon vor dem Bruche mit Antonius hatte er sich von der dominatio der Triumvirn abgewandt und der Idee des Principates zugeneigt. Die angeblichen Worte des Licinius Macer über Pompeius, Sallust. hist. oratio Macri 23, mihi quidem satis spectatum est Pompeium, tantae gloriae adulescentem, malle principem volentibus vobis esse quam illis dominationis socium sind in Wahrheit Worte des quadriennio ante Actiacum bellum verstorbenen Sallust, sie gehen auf den jugendlichen Octavian und führen uns in die Vorgeschichte des augusteischen Principates; vgl. K. J. Neumann Herm. XXXII 1897, 314–317. Auch bei Tacitus könnte [1306] der Leser an den Gegensatz zum Principate denken, wenn Tac. ann. I 1 von Augustus sagt cuncta discordiis civilibus fessa nomine principis sub imperium accepit und. I 3 dann fortfährt ceterum Augustus subsidia dominationi Claudium Marcellum ... M. Agrippam... extulit; der Gedanke liegt nahe, Tacitus habe hier ganz beiläufig, aber darum nicht minder wirksam, die Herrschaft des Augustus als dominatio charakterisieren wollen, zumal da er den Gegensatz zwischen dem dominus Domitian und dem princeps Traian mit durchlebt und mitempfunden hatte. Und gewiss geht auch bei Tacitus der Begriff der dominatio von dem Gegensatze zur libertas (ann. VI 42), von dem Verhältnisse des dominus zum servus (hist. I 36). aus, aber er hat das Wort doch auch indifferent, ohne odiösen Beigeschmack, verwendet. Und zwar gerade von Augustus. Ann. II 59 redet er von den dominationis arcana des Augustus bei der Verwaltung von Ägypten, von dem Ausschluss der Senatoren und der Ritter mit Senatorencensus aus diesem Lande. Dass dem Tacitus aber an dieser Stelle jedes ungünstige Urteil fern liegt, ergiebt seine Motivierung dieses Ausschusses mit der Besorgnis des Augustus, es könne jemand durch Besetzung Ägyptens und Zurückhaltung des ägyptischen Getreides Hungersnot über Italien bringen.

Tiberius trat auch mit der Ablehnung der Anrede als dominus in die Fussstapfen des Augustus; er bezeichnete sie (Suet. Tib. 27) als contumelia. Von den Freien wollte er nicht domine und nur von den Soldaten imperator angeredet werden. Er selber sagte oft, er sei dominus der servi, imperator der Soldaten und princeps aller andern, δεσπότης μὲν τῶν δούλων, αὐτοκράτωρ δὲ τῶν στρατιωτῶν, τῶν δὲ δὴ λοιπῶν πρόκριτος εἰμι (Cass. Dio LVII 8, 1. 2). Und das Gefühl der Verantwortlichkeit, in der vielmehr er, der Princeps, sich als den wahren Sclaven aller fühlte, kommt, nicht ohne Empfindlichkeit und Ironie gegen den Senat, zum Ausdruck in seinen Worten (Suet. Tib. 29), der gute Princeps, der das Gemeinwohl im Auge habe, müsse dem Senate und oftmals allen Bürgern und meistens auch noch den einzelnen Sclavendienste leisten, servire; dafür habe er auch an den Senatoren gute, billige und geneigte domini.

Augustus hatte Erfolg gehabt mit seiner allgemeinen Politik der Mässigung und des Masshaltens, und wenn Tiberius im ganzen und zunächst auch im einzelnen den Spuren dieser Politik nachging, so lohnte ihn wenigstens der Dank der Provincialen; den sprechendsten Ausdruck findet ihre Stimmung in der Geographie des Strabon, deren Redaction das erste Jahrzehnt seiner Regierung ausfüllt. Der senatorischen Aristokratie der Hauptstadt konnte Tiberius es aber, trotz seinem Pflichtgefühl, von Anfang an nicht recht machen. Daran hatte sein Naturell freilich seinen gemessenen Anteil, und es hatte sich auch nicht glücklicher entwickeln können. An seiner Wiege hatten die Grazien nicht gestanden. Ihm fehlte die Liebenswürdigkeit, die Gabe, durch seine Persönlichkeit die Herzen zu gewinnen und fortzureissen, eine Gabe, wie sie Germanicus besass und offenbarte, wo er sich zeigte. Zurückgesetzt im Hause des Augustus, von einer geliebten Frau getrennt und [1307] an eine unwürdige gefesselt, hat er später den Kelch der Demütigung bis zur Neige geleert, als die tribunicische Gewalt ihm in Rhodus nicht erneuert wurde. Er war zweiter Kaiser gewesen und war es nun nicht mehr; er sah sich bei seite geschoben und später auch nur aus dynastischer Not wieder hervorgezogen. So steigerte er sein Misstrauen und seine Menschenscheu, und hinzu kam die Menschenverachtung, als sie alle sich nun vor ihm neigten, die ihn im Unglück nicht gekannt hatten. Nicht neigten sich die herrschsüchtigen Frauen seines Hauses, aber mit ihnen war schwer zu leben, mit seiner Mutter Iulia Augusta, mit Agrippina, die, wo sie nicht herrschte, über Unterdrückung klagte. So ging er, so geriet er in die Zurückgezogenheit, aus der wieder hinauszutreten er nicht über sich gewinnen konnte. So ward er schon für die Zeitgenossen zu der unheimlichen Gestalt des geheimnisvollen greisen Zauberers, der die Welt regierte aus seiner Einsamkeit auf Capri – bis allmählich der müden Hand die Zügel dieser Welt entfielen, bis alles einschlief und die Räder nur noch liefen, sofern sie noch von früher her sich im Schwunge hielten.

So wohl construiert war die Maschine der augusteischen Verwaltung, dass in der Folge das Reich sogar durch einige Jahre einen irrsinnigen Princeps ertragen konnte. Epileptisch veranlagt, hat der Sohn des Germanicus, C. Caesar, noch all die Eindrücke erfahren, die das Schicksal seines Hauses und der Aufenthalt bei dem Einsiedler von Capri auf die jugendliche Seele üben mochten; in Angst und Verstellung ist er herangewachsen. Und durch den Tod des Tiberius auf die Höhe der Macht gehoben, ist er nach wenigen Monaten des Principates in eine schwere Krankheit gefallen, aus der er körperlich genesen sollte, doch sein Geist blieb von der Paranoia umfangen. Sogar die Zeit seiner geistigen Erkrankung ist bestimmbar. Das gehobene Selbstgefühl des Herrschers sah in sich den dominus und in den Unterthanen Sclaven: Philo leg. ad Gaium 17, II p. 562, 44 Mangey Γαΐου ἡμεῖς ... ἐν δούλοις ... ἐγραφόμεθα, τοῦ ἄρχοντος τρέποντος εἰς δεσπότην. Er wollte dominus genannt sein. Vict. Caes. 3, 13 dominum dici tentaverat; und, zwar nicht aus Victor, aber aus derselben Quelle, einer Bearbeitung des Sueton, epit. 3, 8 dominum se iussit appellari.

Bei Domitian war die gleiche Forderung nicht Irrsinn, sondern gehörte zum System. In der Reihe der römischen Kaiser nach Tiberius und vor Hadrian ist er persönlich die bemerkenswerteste Natur; er bewegt sich als Regent nicht blos in dem hergebrachten Geleise, sondern hat eigene Gedanken. Es erinnert zwar an Caligula, dass Domitian es gern hörte, wenn er und seine Gemahlin im Amphitheater als dominus und domina begrüsst wurden. Und die Briefe seiner Procuratoren, für die er selber das Schema entworfen hatte, begannen mit den Worten: unser Herr und Gott befiehlt, dominus et deus noster hoc fieri iubet. Suet. Dom. 13. So begegnet denn auch bei Martial. V 8. 1 edictum domini deique nostri; vgl. Vict. Caes. 11. 2 se dominum deumque dici coegit und epit. 11, 6. Plin. ep. IV 11, 6; paneg. 88. Das hängt aber bei Domitian mit seiner planmässigen Steigerung der Würde und Machtfülle des Princeps zusammen. Was bei Caligula die Eingebung des [1308] Wahnwitzes war, ist bei ihm politische Überlegung. Ebenso hat bei Caligula der Anspruch auf göttliche Verehrung ahnungslos die Aufregung im jüdischen Lande und in Jerusalem entfesselt; bei Domitian hat er ein staatliches Eingreifen den Christen gegenüber zur Folge, das die Grundlage des römischen Verfahrens für zwei Jahrhunderte geworden ist und dadurch welthistorische Bedeutung erlangt hat.

Gegenüber Domitian bedeutet die Regierung Nervas und Traians die bewusste Abkehr von der dominatio und die Rückkehr zum principatus; der Panegyricus des jüngeren Plinius betont den Umschwung und den Gegensatz von dominatio und Principat. Plin. paneg. 45 scio ut sunt diversa natura dominatio et principatus, ita ut non aliis esse principem gratiorem quam qui maxime dominum graventur; ebd. 2 abeant ac recedant voces illae, quas metus exprimebat . . . non de domino, sed de parente loquimur, so heisst es von Traian, der (paneg. 55) sedem obtinet principis, ne sit domino locus. Auch Martial. X 72, 3. 4. 8. 12. 13 kehrt zu den alten Bezeichnungen zurück: dicturus dominum deumque non sum. iam non est locus hac in urbe vobis. non est hic dominus, sed imperator. hoc sub principe, si sapis, caveto, verbis, Roma, prioribus loquaris.

Aber die Anrede domine war im täglichen Leben bereits allgemein geworden; schon zur Zeit des älteren Seneca redete man den Begegnenden so an, wenn einem sein Name nicht gleich einfiel: obvios, si nomen non succurrit, dominos salutamus, Senec. ep. 3. 1. So liess, trotz allem, sich auch Traian die Anrede domine gefallen, die wir sogar in den Briefen des Plinius selber an den Kaiser finden; dabei mag dann Plinius (vgl. paneg. 2) sich solche Anrede als die der Kinder an den Vater, nicht als die von servi zurechtgelegt haben. Auch Fronto, der Lehrer des Marc Aurel und L. Verus, redet den Thronfolger und die Kaiser mit d. an; vgl. z. B. ad Antoninum imp. I 3 Domino meo Antonino Aug. Fronto. In einer Gerichtsverhandlung Dig. XLVIII 4, 3 wird Marc Aurel mit domine imperator angeredet, und wenn eine Bittschrift an Antoninus Pius Dig. XIV 2, 9 κύριε βασιλεὺ Ἀντωνῖνε begonnen hatte, so trägt die Antwort des Kaisers kein Bedenken, zu erklären ἐγὼ μὲν τοῦ κόσμου κύριος, wenn sie auch die Geltung des νόμος nicht aufheben will. Auch auf griechischen Münzen erscheint bereits Antoninus Pius als κύριος (Eckhel VIII 365). und d. noster heisst er 155 n. Chr. CIL VI 2120; ebenso Commodus CIL VI 727. Massenhaft begegnet seit Septimius Severus d. noster in den Inschriften der Corporationen und Gemeinden. Auf Aurelian geht die Münzlegende deo et domino nato, bei Cohen² Aurelian 200, und auf Carus die deo et domino, bei Cohen² Carus 27. Die auf den alten Principat zurückgreifende Auffassung des Severus Alexander, der (Hist. Aug. Alex. 4, 1) dominum se appellari vetuit, hat die Entwicklung nicht aufgehalten, die mit dem diocletianischen System endet: se primus omnium Caligulam post Domitianumque dominum palam dici passus et adorari se appellarique uti deum, Vict. Caes. 39, 4. An die Stelle des augusteischen Principates war ein Dominat [1309] getreten. Das Ostrakon 442 bei Wilcken nennt bereits den Vespasian ὁ κύριος. In den Berliner ägyptisch-griechischen Urkunden I. II. III 1–9 wird zuerst Domitian (III nr. 766) und dann Traian als ὁ κύριος bezeichnet; seit Pius begegnet der Ausdruck häufiger, Marcus und Verus sind οἱ κύριοι; ὁ κύριος ἡμῶν, also d. noster, ist hier zuerst Pertinax, Diocletian und Maximian sind οἱ κύριοι ἡμῶν. Auch der Midrasch von den Provincialen, die dem Könige, der mit dem Eparchen zusammen im Wagen sass, domine zurufen wollten, aber nicht wussten, welches der König sei, zeigt uns die Geläufigkeit der Anrede und zugleich ihre Einschränkung auf den Kaiser; vgl. Ignaz Ziegler Die Königsgleichnisse des Midrasch beleuchtet durch die römische Kaiserzeit, Breslau 1903, V. Litteratur: Mommsen R. St.-R. II² 760ff. Eckhel VIII 364–366 De titulo dominus noster Augustis Caesaribusque dato. Chr. Schoener Über die Titulaturen der römischen Kaiser, Acta seminarii philologici Erlangensis II 1881, 474–481. Friedländer Über den Gebrauch der Anrede domine im gemeinen Leben, S.-G. I⁶ 442–450.