Sieben Predigten in Nürnberg zu St. Aegydien (2. Auflage)/Vom Trost an Sterbebetten

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Sieben Predigten in Nürnberg zu St. Aegydien (2. Auflage)
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D. D. p. Tr. XXV.
Vom Trost an Sterbebetten.




1. Thess. 4, 13–18.

Das Kirchenjahr läuft zu Ende und erinnert uns damit an der Welt Ende und die letzten Dinge. Schön ist und stimmt es daher, daß auch die Evangelien und Episteln dieser letzten Sonntage an das Ende erinnern, – an’s Ende des Lebens, an’s Ende der Welt, an’s Ende des Kampfes der streitenden Kirche, an’s Ende des Widerspruchs der Welt. Unsre heutige Epistel namentlich reicht in Erinnerung der Dinge, die da kommen sollen, Trost an Sterbebetten. Es denke sich nun ein Jeder an ein Sterbebette, an ein fremdes oder an das eigene, es fasse ein Jeder den Schmerz des Abscheidens von der Welt, – dann thue er sein Herz und Ohr auf, ob er etwa auch fassen könne, wie viel Trost für Sterbebetten in unserm Texte liegt! – Der Herr aber verleihe uns nach Seiner großen Barmherzigkeit eine gesegnete Betrachtung unsers Textes! Amen.

Vom Trost an Sterbebetten.
 1. Liebe Brüder! Es ist kein geringer Schmerz, wenn nur eine Mutter von ihrem Sohne Abschied nimmt, der auf einige Jahre in die Fremde geht. Denn Mutter und Sohn gehören einander so nahe an, sind so gerne beisammen, –| und die süße Gewöhnung aneinander verursacht, daß sie den Gedanken einer Trennung gar nicht fassen können. Der Abschied kostet viele Seufzer, Thränen und Gram. Und wer, der noch ein menschliches Herz in der Brust hat, möchte darüber eine Mißbilligung äussern? –

 Wenn aber der Schmerz bei einer Trennung auf kurze Zeit nicht gemißbilligt werden darf, wie viel weniger darf man Thränen, Seufzer und Gram mißbilligen, welche an Sterbebetten die Herzen belasten? Diese Trennung ist fast ernsthafter, als jede andre. Der Sterbende verläßt nicht nur sein Vaterhaus, sondern Vaterstadt und Vaterland, ja diese Erde und dieses freundliche Licht der Sonne – er geht durch ein dunkles Thal in ein Land, welches nur die kennen, welche darin wohnen. – Wer an einem Sterbebette steht, ist wie einer, der am Meere stehend die Schiffe abfahren, oder auf dem flachen Lande verweilend die Störche und Kraniche abziehen sieht: er kann weder Schiff, noch Vogel halten – und nachziehen kann er auch nicht. Er sieht ihnen nach, so lange sie sichtbar sind: dann ist’s, als hätte er sie nie gesehen. Wenn nun einer Vater oder Mutter, Bruder oder Schwester, Sohn oder Tochter so über Land, d. i. in die Ewigkeit ziehen sieht; so thut ihm sein Herz so weh und sein Schmerz ist unaussprechlich groß.

 Diesen Schmerz nun nimmt das Christenthum nicht weg. Wir sollen, so lange wir hie wallen, durch allerlei Schmerz, sonderlich durch den an Sterbebetten, erinnert werden, daß wir nicht daheim sind, daß wir keine bleibende Stadt haben, sondern die zukünftige suchen. Aber mäßigen will das Christenthum diesen Schmerz – und gleichwie das ganze Leben ein Elend, aber ein getröstetes Elend ist, so soll für den Christen auch der Schmerz an Sterbebetten durch große, süße Tropfen himmlischen Trostes gemildert werden. – Verlangen, daß man bei solchen oder andern schweren Fällen des Lebens von keinem Schmerz| berührt werde, kann nur ein verhärtetes Herz oder ein solches, welches selbst noch keine Erfahrung von dergleichen Leiden hätte. Gleichwie ein Vater über seinen Sohn keine Freude haben könnte, sondern über ihn jammern müßte, wenn derselbe unter seiner züchtigenden Hand keine Thräne mehr vergösse, sondern hart und stumm bliebe, so kann auch der himmlische Vater die nicht wohlgefällig anschauen, welche seine Züchtigungen kalt und steif dahin nehmen. Viel schöner ist Hiob’s Beispiel, welcher beim Verluste seiner Kinder vor Kummer sein Kleid zerriß und sein Haupt raufte, aber in seinem großen Leide dennoch gottergeben ausrief: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sey gelobet!“ (Hiob 1, 21.) – So reicht auch unsere Epistel Trost – nicht in der Meinung, den Schmerz völlig wegzunehmen, sondern auf daß die Christen, wenn auch traurig, doch nicht so traurig seyen, „wie die andern, die keine Hoffnung haben.“

 2. Indem wir aber hier vom Troste weiter reden wollen, müssen wir zuvor wohl unterscheiden, was wahrer und was falscher Trost ist.

 In der Welt ist kein wahrer Trost, nur die heilige Kirche hat Trost. Die Kinder der Welt sind es, auf welche der Apostel deutet, wenn er „von den andern redet, die keine Hoffnung haben“, für welche daher auch kein wahrer Trost vorhanden seyn kann. Lieben Brüder! Man wirft den treuen Dienern der Kirche oft vor, daß ihre Religion nur in dunkeln Gefühlen bestehe. Es liegt uns hier gar nicht daran, diese leere und unverständige Beschuldigung zu widerlegen. Doch weisen wir auf die Art hin, wie die Welt ihre Kinder an Sterbebetten und Gräbern tröstet, und fragen keck: „Besteht ihr Trost in mehr, als in Worten und in Erregung dunkler, ungewisser Gefühle, welche das Herz nicht stillen, den Schmerz nicht mindern, sondern nur sind, wie das sanfte Streicheln| und Liebkosen einer ohnmächtigen Hand, aus dem man weiter nichts, als das arme, trostlose Mitleid des Liebkosenden erkennen kann? Welchen Grund hätte die Welt, die Trauernden damit zu trösten, sie, die nur von allerlei veränderlichem Wind der Lehre, Schalkheit und Täuscherei der Menschen herumgetrieben wird? Armer, bodenloser Trost – und dreifach armes Herz, welches mit solchem Trost sich genügen, mit Wind seinen Hunger nach Erquickung statt stillen, ersticken lassen muß!
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 Ganz anders tröstet die Kirche Gottes. Ihr Trost ist ein wahrer Trost, weil er aus Gottes ewigem und zuverlässigem Wort genommen ist, und weil die Kirche weder mehr, noch weniger zu trösten begehrt, als Gottes Weisheit in Seinem Worte Trost darreicht. – Eben darum aber, weil der Trost der Kirche ein wahrer Trost ist, ist er auch in seinem Maaß verschieden, je nachdem der Verstorbene gewesen ist, über den sie tröstet. Ist ein Mensch bis an sein Ende ein Verächter der alleinseligmachenden Lehre und eines heiligen Lebens geblieben; so kann die Kirche für einen solchen nur wenig Trost darreichen. Wer für solche Todte zu viel Hoffnung gäbe, würde den Leichtsinn des Weltmenschen begünstigen, der sein schreiendes Gewissen gerne damit tröstet, daß auch in der letzten Noth noch möglich sey und Zeit genug, Bekehrung zu suchen. Die Bekehrungen in den letzten Stunden aber sind selten und haben in der heiligen Schrift nur ein einziges Beispiel, nämlich das des Schächers. – – Weil jedoch dergleichen späte Bekehrungen allerdings nicht unmöglich sind; so darf man auch denen, welche scheinbar in Unglauben Verstorbene beweinen, nicht gar alle Hoffnung abschneiden. Das schwache Trostlicht, welches Gottes Wort für solche Todte übrig läßt, nimmt auch die Kirche Gottes nicht weg, und ist bescheiden im Urtheil über sie, weil sie nicht wissen kann, was zwischen einer Seele und ihrem Heiland noch in der letzten Stunde vorgegangen ist. Ein| Jeder steht und fällt seinem Herrn. Der Herr aber hat eine unendliche Liebe in Christo Jesu: er liebt unsere Todten mehr, als wir mit aller unserer Liebe sie zu lieben vermögen. Geht drum ein Todter verloren, konnte das liebreiche Vaterherz im Himmel über dessen Verderben sich zufrieden geben; so muß auch unsere Liebe, die da klein ist, sich an jenem Tag zufrieden geben, wo allein erst offenbar werden wird, wer gewonnen und verloren ist. Getrost können wir also hier der Vaterliebe Gottes trauen. Am Tag der Offenbarung selber aber wird aller Frommen Wille mit Gottes Willen völlig eins geworden seyn – und unser ganzes Wesen wird so ganz in Gotte ruhen und erfreut seyn, daß auch der Jammer der für alle Ewigkeit Verfluchten unsre Seligkeit eben so wenig stören wird, als Gottes Seligkeit. – Das ist der einzige Trost, welchen man wegen derjenigen geben kann, welche allem Anscheine nach im Unglauben dahingefahren sind. Freilich ein Trost, welcher eine große Fülle alleiniger Liebe und Ergebung in Gottes Liebe voraussetzt, – ein Trost, den wenige fassen, – ein Trost, der in uns selbst die Sehnsucht weckt, daß man, ihn anzuwenden, seltener gezwungen seyn möchte. –

 Gewissen Trost bietet die heilige Schrift nur in Rücksicht Solcher dar, welche als Gottes Kinder dahingeschieden sind, auf daß kund werde, daß sie noch einen Vorzug vor den Kindern der Welt haben.

 Ehe wir jedoch den in unserm Texte enthaltenen Trost genauer vor Augen legen, bemerken wir, daß sich derselbe nur auf das bezieht, was an den Sterblichen sterblich ist: nämlich auf den Leib und Leichnam. Denn er beweist allein, daß der Leichnam nicht verloren ist, wenn er in’s Grab und zur Verwesung hinabgesenkt wird. Von den Seelen redet unser Text nichts. Aber gerade in diesem Schweigen liegt ein großer Trost für die abgeschiedenen Seelen der Frommen. Daß diesen kein Leid geschehe, setzt der Apostel voraus. Denn wie könnte die Seele verloren| seyn, wenn der Leib unverloren ist? Ist nicht nach des Herrn höchsteigenem Ausspruch die Seele viel mehr, als der Leib? Wenn nun Gottes väterliches Auge über den Leichnamen der Todten wacht: wie viel mehr über ihren Seelen! Wenn der Leib im Tode nur entschläft, so geziemt ja der Seele, weil sie mehr ist, als der Leib, daß sie im Tode vielmehr frei werde und erwache. Wartet der Leib im Grabe auf den Tag der Auferstehung, so muß die Seele an einem bessern Orte ihre Wartezeit verbringen, nämlich im stillen, friedenreichen Paradies, – in der Heimath, wo der Herr wohnt. Daher kann auch der heilige Apostel der Seele nach so freudig sprechen: „Ich habe Lust abzuscheiden, – ausser dem Leibe zu wallen, – daheim zu seyn bei dem Herrn!“

 3. Nach diesem erlaubet mir, meine Theuern, euch den trostreichen Inhalt unserer Epistel weiter vorzulegen:

 a. Für’s Erste finde ich es sehr tröstlich, daß St. Paul in unserm Texte die Todten mit dem süßen Namen „Entschlafene“ benennt. So ist also der Tod ein Schlaf, wie denn auch der Herr von Jairi Töchterlein sagt: „sie schläft“ und von Lazaro: „Unser Freund schläft.“ Wenn ein Mensch den Tod einen Schlaf nennen würde, so wollte ich’s für eine bildliche Redensart halten, und mein Herz könnte sich mit ihr nicht trösten. Weil aber Jesus, Gottes wahrhaftiger Mund, es sagt, so muß es kein bloßes Bild, sondern es muß eine große Wahrheit dabei seyn. Ja! Gotte leben alle Todten! Abraham war längst gestorben, als sich Gott noch einen Gott Abraham’s nannte. Gott aber ist nicht ein Gott der Todten, sondern der Lebendigen (Matth. 22, 31. 32). Darum muß Abraham auch im Tode lebendig seyn sammt allen, welche in seinem Schoße liegen. – Sehen wir nun einen frommen Sterbenden, so sehen wir einen Entschlafenden. Stirbt er hart, so sagen wir: er schläft schwer ein, – denn man schläft auch sonst manchmal schwer ein, wenn man nicht| zum Tod entschläft. Wenn der Sterbende vollendet hat, seine Augen geschlossen sind, sein Mund schweigt, seine Hände ruhen, so schauen wir auf zu Jesu und sprechen: „Nun ist unser Freund Lazarus entschlafen. Wie ist sein Schlaf so stille!“ – Liebste Brüder! Sollten wir unsern Freunden den Schlaf im Grabe nicht gönnen? Im Schlaf ist Ruhe: sollte man ihnen die Ruhe nicht gönnen? Das Leben, wenn’s köstlich gewesen ist, ist Mühe und Arbeit gewesen: sollte man nicht am Feierabend froh seyn, wenn Mühe und Arbeit schweigen? So lange die Unsrigen im irdischen Leben sind, mögen sie sprechen : „Ich muß wirken, so lange es Tag ist!“ Wenn man sie aber in’s Grab senkt, dann wollen wir sprechen: „Die Nacht ist kommen, wo man nicht mehr wirken kann“, denn sie ist den Menschen zur Ruhe gegeben. Ruhe aber und Schlaf ist kein Verderben, noch Tod; sondern ein heimliches und stilles Leben. Ob wir an den Todten Gottes das Leben merken, oder nicht, was liegt daran? Wenn nur Gott es weiß!

 Tröstet euch also, meine Lieben, über eure im Herrn entschlafenen Todten! Es ist nicht gar aus mit ihnen; sie schlafen nur. Der durch Seinen eigenen Todesschlaf im Grabe unsere Gräber zu Schlafkammern eingeweiht hat, steht gleichsam am Grabesbettlein auch jetzt noch, rufend: „Kommet her zu Mir alle, die ihr mühselig und beladen seyd!“ Und wenn Er sie in des Todes Staub legt, spricht Er: „Ich will euch erquicken!“ und: „So werdet ihr Ruhe finden!“ – Wer wollte nicht gerne, wie reife Aehren in die Sichel, so in die liebevollen, leidlosen Arme unsers Jesu seine Sterbenden sinken sehen?

 b. Ferner liegt in demselben Wörtlein „Schlaf“ große Hoffnung. – Wenn einer am Abend auf seinem Lager liegt und von der ganzen Welt nichts weiß, erschrickt kein Mensch darüber. Dieser Müde schläft ja nur, aus dem Schlafe ist ja wieder ein Erwachen, und ein Schlafender| ist, wenn man will, aus seinem Schlummer bald geweckt. Ist nun der Tod ein Schlaf, so ist ja über jeden Todten die Hoffnung des Erwachens hingebreitet! Das kann man aus dem Worte „Schlaf“ schon schließen, mit großer Wahrscheinlichkeit vermuthen. Die Wahrscheinlichkeit aber wird zur völligen Gewißheit aus Gottes Wort. So sagt Jesus von Jairi Töchterlein besonders darum: „Sie schläft!“, weil er auf dem Wege ist, sie aufzuwecken. Und von Lazaro spricht er nicht allein: „Lazarus, unser Freund, schläft“, sondern er setzt hinzu: „Ich gehe aber hin, daß Ich ihn auferwecke.“ Auch in unserer Epistel versichert im heiligen Geiste der Apostel Paulus: „Die Todten in Christo werden auferstehen!“ Und noch viel andere Zeugnisse stehen von der Auferstehung der Todten in Gottes Wort. Wenn daher einer sich zu Bette legt, so kann er nicht gewiß sagen, ob er am Morgen wieder auferstehen werde; wer aber seinen Leib in’s Grab legen muß, der kann gewiß sagen, daß er den Morgen der Auferstehung schauen werde, – er kann sterbend seinem Leibe zurufen:

Schlaf wohl, laß dir nicht grauen!
Du sollst die Sonne schauen!

 Dem großen Helfer, der Jairi Töchterlein, den Jüngling von Nain, den Lazarus auferweckt hat, kostet die Auferweckung der Todten weniger, als uns, einen Schlafenden aufzuwecken. Er bedürfte die herrliche Pracht Seiner Wiederkunft nicht, nicht Engel, noch Posaunen; denn Er will, so geschieht’s – und ein Wink von Ihm reicht hin, so öffnet sich das große Grab, die Erde, und gibt ihre Todten wieder. Aber Er will an dem Auferstehungstage Ehre und unaussprechliche Freude einlegen; darum kommt Er vom Himmel her mit der herrlichen Pracht Seines ewigen Königreichs!

 c. Wohl schüttelt hiebei mancher das Haupt, der Meinung, ich rede Mährlein, gleichwie die Jünger die Bothschaft| vom Ostermorgen für ein Mährlein hielten. Aber wir behaupten noch mehr, als wir schon behauptet haben. So wenig, sagen wir, ist die Hoffnung der Auferstehung ein Mährlein, daß die Auferstehung vielmehr bereits angefangen hat. – Ist nicht der, welcher gesprochen hat: „Ich habe Macht, mein Leben zu lassen, und es wieder zu nehmen“ – ist Er nicht in’s Grab gegangen, um am dritten Tage Sein Leben wieder zu nehmen? – Als Er sterbend am Kreuze hing, riefen ihm Seine Feinde zu: „Arzt, hilf dir selber!“ „Steig herab vom Kreuz!“ spotteten sie. „Er hat Andern geholfen, und kann sich selber nicht helfen!“ triumphirten sie voll Schadenfreude. Aber Er, der sterbende Lebensfürst, antwortete Nichts. Seine Stunde war noch nicht kommen. Vom Kreuze wollte Er nicht steigen, aber Größeres wollte Er thun: aus dem Grabe wollte Er steigen. Völlig wollte Er sich hingeben in die tiefste Erniedrigung: dann sollte Sein Arm Ihm helfen. Wenn Er in’s tiefste Thal hinabgestiegen wäre, dann wollte Er, wie mit Adlersflügeln, in die höchste Höhe fahren. Freiwillig legte Er sich in des Todes Staub, – freiwillig konnte Er alsdann wieder auferstehen! – So sehen wir ja, daß Er, daß unser Jesus in der Auferstehung der Erstling worden ist unter denen, welche schlafen! So hat ja die Auferstehung ihren Anfang bereits genommen!
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 Konnte aber Christus das Größte, nämlich den eigenen Leichnam auferwecken, wie viel mehr wird Er das Kleinere können, – unsere Leichname auferwecken. Hat Er die Auferstehung angefangen, so wird Er sie auch fortsetzen. Er ist das Haupt, wir seine Glieder: ist das Haupt im Leben, so können Seine Glieder nicht im Tode bleiben. – Er verheißt den Seinigen: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben!“ Wer mein Fleisch isset und trinkt mein Blut, der hat das ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tage.“ Seine Verheißung trügt nicht! Hat Er vor Seinem Tode gesagt: „Brechet diesen Tempel und am| dritten Tage will ich ihn wieder aufrichten!“ und diese Weissagung hinausgeführt, da sie Seinen Tempel brachen d. i. Seinen Leib; so wird Er auch die Verheißungen hinausführen können, welche uns betreffen. Er ist A und O. Er wird am Ende über unserm Staube stehen und unser für die Ewigkeit gebautes Auge wird Ihn schauen. –

 In Seine Verheißungen also, meine Theuern, legt Eure Sterbenden, wie in Grabtücher. Diese Grabtücher bewahren vor dem ewigen Tod unsere Leiber. In diese Verheißungen bettet euch selber, wenn ihr nun sterben sollt. Wer Seiner Verheißung fest vertraut, dem kann vor dem Sterben nicht mehr grauen. Er drückt seinen sterbenden Freunden, ja auch sich selbst dereinst die Augen zu – und spricht in seinem Leide getröstet: „Ich weiß, an wen ich glaube! Er wird meinen Todten, Er wird mir die Beilage bewahren bis auf jenen Tag!“ Solchen Glauben und Glaubenstrost versteht die Welt nicht: er däucht ihr Schwärmerei und Wahnsinn; denn sie hat den Geist des Glaubens und Verstandes nicht empfangen.

 d. Mögen die Kinder der Welt spotten, wo wir uns freuen! Unsere Freude stillt uns sicher die Herzen mehr, als ihr Spott ihre Herzen stillen kann! – Wir wollen uns noch mehr freuen in diesen Minuten, denn wir wollen unserm Text gemäß den Tag der Auferstehung und Wiederkunft Jesu noch genauer betrachten. Ich weiß, daß etliche von dem, was ich nun zu sagen im Begriff bin, sagen werden, ich phantasire. Aber dennoch will ich reden, der völligen Gewißheit, daß alle, die mit nüchternem Glauben das annehmen, was die heilige Schrift selbst vom jüngsten Tage lehrt, mir zugeben werden, daß von den nun folgenden Zügen keiner ist, der nicht an jenem Tage wahr werden könnte. Wenn die Phantasie von Gottes Wort abweicht, ist sie ein furchtbarer Satan; aber wenn sie in den Schranken des göttlichen Worts geht, dann macht sie einen Gedanken kräftig und lebendig, und ihr Dienst ist gut.

|  Liebste Seelen! Der Tag des Herrn wird kommen, ohne daß es Jemand ahnt. Es wird an jenem Tage Alles seinen Gang gehen in größter Sicherheit, wie alle Tage. Es wird die Sonne aufgehen, still und jung, eilend, ihr liebes Tagwerk zu vollenden: – die Erde wird ihr Vermögen geben, je nach der Jahreszeit: – die Bäche werden in die Flüsse, die Flüsse meerwärts eilen – – wie alle Tage. Die Menschen werden an ihr Tagwerk gehen und auf den Abend hoffen: der Greis – der Mann, sie werden leiden oder thun, wie’s ihnen aufgelegt ist. Die Kindlein eilen in die Schule, für ein langes Leben sich Kenntnisse zu sammeln. Kurz, wie heute, so am jüngsten Tage! Niemand merkt, daß die Stunde vor der Thür ist, welche der Vater seiner Macht aufbehalten hat. Da mit einem Male bricht das Licht der Ewigkeit in die Zeit herein: des Erzengels Geschrei und Stimme, der Engel laute Posaunen hallen in tausendfachem Echo die alten Berge entlang. Zu Ende auf einmal ist Alles – alles Sorgen, alles Jauchzen, alles Seufzen und Weinen und Arbeiten. Stille wird die Welt: aller Augen schauen auf und sehen und erkennen in der Engel Mitte Den, deß verborgenes Leben nun auf einmal offenbar wird. Wer nie Kniee gebeugt hat, wird Kniee beugen. Wer nie vom Herzensgebet etwas gewußt hat, wird jetzt beten und seufzen. – Und die Todten in Christo Jesu stehen auf; die Erde und das Meer geben sie wieder; die Lebendigen werden verwandelt, das Verwesliche zieht Unverwesliches an. Alle, welche im Herrn starben, alle, die in Ihm leben werden an jenem Tage, – erfahren eine wundersame Wiedergeburt ihrer Leiber! Welch ein Wiedersehen, welche Scenen wird es geben!
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 An jenem Tage werden hie und da Aeltern an den Sterbebetten junger Kinder stehen. Die Kindlein entschlafen, die Mütter weinen sammt den Vätern. Da erscheint der Herr. Er ruft zur Auferstehung. Da stehen| die Kindlein schön verklärt von ihren Sterbebetten auf, die eben erst in der Taufgnade entschlafen sind. Welch’ ein Lob wird sich der Herr aus dem Munde dieser auferstandenen Kindlein bereiten, wie werden diese Hosianna singen – schöner, als die Kindlein im Tempel zu Jerusalem beim Einzuge Jesu! – – Eine andere Scene, l. Br.! An jenem Tage werden etwa die Grabglocken läuten, wie alle Tage: – unter Grabgesängen, unter vielen Thränen tragen eben fromme Kinder ihre Mutter zu Grabe. Da kommt mit Freudengetön der Engel Gottes Sohn: das Grabgeläute läutet den Tag der Ewigkeit ein: im Sarge regt sich’s – und die Kinder sehen ihrer Mutter Angesicht verklärt und freudig wieder – die verklärte Mutter siehet auch – und Größeres noch! Siehe! vor ihren Augen werden ihre Söhne verwandelt – ihre Leiber verklärt. Nun hat die Mutter ihre Kinder ewig wieder funden und die Kinder ihre Mutter! – – Wie oft wird sich an jenem Tage die Geschichte des Töchterleins Jairi, des Jünglings zu Nain oder Lazari wiederholen! Welch ein Wiedersehen wird es da geben! Und doch wird Niemand mehr seine Anverwandten nach dem Fleische kennen. Nicht das wird die größte Freude seyn, daß einer den Andern sieht, sondern das wird der Freuden Fülle seyn, daß Alle Ihn sehen, Ihn lieben, Ihn anbeten – den Erlöser! Welch’ eine Kirche dann, welch’ eine Gemeinde von Heiligen! Schöner als ein reifes Erntefeld im Morgenroth steht die große Schaar im Sonnenschein der Gnade Jesu! Eine reine Braut des Herrn, die Leib und Seel’ in dem Versöhnungsblute gewaschen hat! Welch’ eine Stille der Gemeinde vor ihrem König! Welch’ eine Liebe zwischen beiden! – Dann wird der Herr, wie er einst selbst heimfuhr von Bethanien zur Rechten Seines Vaters, Seine Gemeinde Seiner Himmelfahrt theilhaftig machen. Durch die Luft hin mit Ihm vereinigt zieht sie mit Ihm ein zu den Freuden und zu der ewigen Ruhe Gottes. Der Vogel entfliegt| zu Seinem Gott in die ewigen Hütten: die Erde ist ein leeres Nest, ein Haus ohne Bewohner. Dann wird in Erfüllung gehen, was der Herr Jesus in Seinem hohenpriesterlichen Gebete sprach: „Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seyen, die Du mir gegeben hast, auf daß sie meine Herrlichkeit sehen!“ Dann sieht die Gemeinde Seine Herrlichkeit. Ja, sie theilt Seine Herrlichkeit mit Ihm! Sie wird bei ihm seyn allezeit! Hört ihr’s? Bei Ihm wird sie seyn – allezeit! Kann man die selige Ewigkeit mit einem Zuge schöner malen, als mit diesem Worte: „Sie wird bei Ihm seyn allezeit!“ Die Königin von Arabien sprach zu Salomo: „Selig sind deine Leute und deine Knechte, die allezeit vor dir stehen und deine Weisheit hören!“ (1. Kön. 10, 8.) Was soll man erst von denen sagen, die allezeit vor dem ewigen König Jesu stehen in Seinem Reich? –




 Als einst Jesus Christus sich anschickte, nach Gethsemane und in Sein Leiden zu gehen, sprach Er Joh. 16, 5.: „Nun gehe ich hin, zu dem, der mich gesandt hat.“ Er nennt also Sein Leiden und Sterben den Anfang Seines Hingangs – und der Anfang war bitter. Wie herrlich aber war Seines Hingangs Ende: Er fuhr auf mit Jauchzen und setzte Sich zur Rechten des Vaters in der Höhe! Sein Hingang ist auch unser und aller frommen Todten Hingang. Auch wir werden auffahren und uns mit Jesu zu des Vaters Rechten setzen. Wenn nun ein solch herrliches Ende uns und unsre Todten erwartet, warum wollten wir nicht auch den bittern Anfang, den Tod, hinnehmen, wie ihn Christus hingenommen hat? Wenn eine Mutter wüßte, daß auf eines steilen Berges Gipfel eine Krone läge, würde sie nicht ihren Sohn selbst ermuntern, der Mühe nicht zu achten, – hinauf zu steigen, daß er die Krone gewänne? Warum weinen denn also die Leute,| wenn ihre Lieblinge anfangen, den Weg zur Herrlichkeit zu gehen? Warum beklagt man, die im Herrn sterben? Sie schlafen, sie liegen als Körnlein in der Erde, – über ihnen ist Gottes Thau, ein Thau des grünen Feldes, welcher die Erde für die Ernte des Auferstehungstages befruchtet! Bis auf jenen Tag sind die Leichname in Ruhe: ihre ewige Herrlichkeit ist ihnen durch einen ewigen Bürgen verbürgt! Kann das nicht trösten? Sagt nicht der heilige Apostel in unserm Text: „Tröstet euch mit diesen Worten!“? – Wahrlich, wer in der Lehre von der Auferstehung keinen Trost findet, rücksichtlich frommer Verstorbener, der ist für einen großen Trost des Christenthums unempfänglich, – der gönnt seinen Todten weniger ihre Ruhe und ihr Daheimseyn bei dem Herrn, als sich selber die Freude ihrer Gegenwart, – der ist nicht um der Todten, sondern um seines eignen Verlustes willen betrübt, – der liebt nicht sie, sondern sich selbst in ihnen!

 Theure Seelen! Gönnet den Verstorbenen ihr Loos, welches ihnen auf das Liebliche gefallen ist; aber – und das ist sehr wichtig! – gönnet auch euch dasselbe Loos! Nur die Todten, welche im Herrn sterben, werden ein so seliges Loos empfangen; was aber denen geschehen werde, welche im Unglauben sterben, davon schweigt zwar unsre Epistel, aber andre Stellen der heiligen Schrift machen es offenbar. Eine schreckliche Ewigkeit wartet Derer, welche nicht im Herrn sterben. Darum kommt Alles darauf an, wie man stirbt, ob im Glauben, ob im Unglauben, – Alles darauf, daß man im Herrn stirbt. Daß wir im Herrn, im Glauben an Ihn sterben, sey darum unsre größte Sorge. Weil aber, um in dem Herrn zu sterben, kein sichererer Weg ist, als daß man im Herrn lebe, so schaffe ein Jeder unter uns mit allem Eifer, daß er, er lebe oder sterbe, im Herrn erfunden werde!

 Ihr, in welchen der barmherzige Gott etwa schon ein Fünklein des Wohlgefallens an Jesu Christo und des Glaubens| an Ihn entzündet hat, – haltet diesen Glauben fest und nähret ihn durch Gebet zu Gott, bei welchem es möglich ist, aus einem Funken ein großes Feuer anzufachen. Der große Heiland ist eines großens Vertrauens werth, einer großen Liebe, einer großen Freude. Seyd eures Glaubens froh, ihr Gläubigen! Der, an welchen ihr glaubt, hat die Sünde weggenommen, den Tod zum Schlaf, das Grab zur Schlafkammer, den Himmel zu euerm ewigen Haus, die Luft zum Weg dahin gemacht! Warum sollten Christen nicht fröhlich seyn, welche doch nicht anders sagen können, als, daß ihnen eine ewige Hülfe geworden ist, – daß sie einen Gott haben, der da hilft, einen Herrn Herrn, der vom Tode errettet? Heilige, sanfte, demüthige Freude bringe Ihm Sein Volk! – Lasset uns freuen und fröhlich seyn, die wir glauben! Der Herr hat Großes an uns gethan!
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 Aber ihr, die ihr etwa selig sterben zu können glaubet, ohne in Ihm d. i. im Glauben an Ihn zu sterben, – die ihr euch der Barmherzigkeit Gottes getrösten wollet, ohne den gekreuzigten Jesus Christus glaubensvoll zu umfahen: eine Frage bedenket wohl! Wisset ihr’s gewiß, daß man ohne Bekehrung, ohne Glauben, ohne ein Versöhnopfer selig sterben und ewig leben kann? Wenn nun der Tod bei euch anklopft, wenn, je näher er kommt, euer Gewissen euch desto lebendiger verklagt: wird alsdann im Angesicht des Todes dieses schreiende Gewissen schweigen und zufrieden seyn, wenn ihr ihm, ohne es gewiß zu wissen, vorsagt: „Gott ist barmherzig!“? Wer hat’s euch gesagt, daß Gott barmherzig ist? Dem Sohne Gottes, der alleine sagen kann, was Gott und bei Gott ist, – dem glaubt ihr nicht; denn der lehrt nur eine Barmherzigkeit durch Versöhnung, nur eine Versöhnung durch Sein eignes Opfer! Da ihr nun Jesum nicht für euch habt, wer ist am Ende euer Bürge? wer steht euch dafür, daß Gott barmherzig, daß er gegen euch barmherzig ist? An des Todes Pforten| gilt das Zeugniß einer kranken, einer abgefallenen Vernunft nicht mehr! Wenn das Auge und das Herz bricht und die Sinnen verschwinden: o meine Lieben! wie elend sind wir dann, wenn wir keine Gewißheit des ewigen Lebens haben, – keine ewige, göttliche Gewißheit, welche fester hält, als selbst unser Glaube! – – Wahrlich! wir dürfen beten: „Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden!“ (Ps. 90, 12.) Der Herr lehre einen Jeglichen die heilige Klugheit, Lebensgewißheit für die Todesstunde im Tode Jesu zu suchen – und gebe einem Jeglichen, daß er finde! Amen.






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