Sieben Predigten in Nürnberg zu St. Aegydien (2. Auflage)/Von den falschen Propheten
« Von der seufzenden Creatur | Wilhelm Löhe Sieben Predigten in Nürnberg zu St. Aegydien (2. Auflage) |
Lasset euch versöhnen mit Gott I » | |||
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Unmittelbar vor unserm Texte versichert Der, welcher die Wahrheit ist, daß die Pforte zur Lebensstraße eng, die Straße selber schmal sey, – daß derer, welche diese schmale Straße nur finden, geschweige derer, welche sie wandeln, wenige seyen, die Menge wandele auf einem breiten Wege zur Verdammniß. – Ernste, wahrlich sehr ernste, aller Ueberlegung werth zu achtende Worte unsers Herrn! Wir alle sind durch sie dringend aufgefordert, in uns einzukehren und unsere liebe Seele zu fragen: „Auf welchem Wege bist du, Seele? Wohin gehst du? Wenn dein Weg nun gar zu Ende ist, wenn du deinen Wanderstab, dein Reisekleid ablegen mußt: was wird’s seyn, das dir zu Theil wird? Leben oder Verdammniß?“ – Was ist wichtiger für uns alle, als diese Frage nach unsern letzten Dingen? Was geht uns näher an, als Seligkeit und Verdammniß? Wer über diese Dinge irrt, kann sich leicht zu seinem ewigen Schaden verirren. Großer Gott, erbarme Dich!
So wichtig diese Sache in unsern Augen ist, so wichtig ist sie auch in den Augen des guten Hirten Jesus. Darum hat Er uns nicht nur in der Bergpredigt die schmale Lebensbahn so genau und kenntlich beschrieben, daß man denken sollte, es müßte ein Jeder leicht verstehen,| was Er mit ihr meint; – sondern Er warnt auch am Ende dieser Predigt Seine Schafe mit treuem Herzen vor den Verführern, durch welche sie an der schmalen Straße irre gemacht und von ihr verleitet werden könnten. „Sehet euch vor vor den falschen Propheten!“ ruft Er mit mächtiger, liebevoller Stimme, – an die falschen Messias’e, an die falschen Apostel, an die falschen Lehrer denkend, welche nach seinem Hingang zum Vater die Zeit benützen, als Wölfe unter der Heerde, als Eber im Weinberg wüthen würden.Theure, werthe Seelen! Ich kann, ich darf es euch nicht verhehlen, – meine Jugend lockt mich zwar zu schweigen, aber mein Amt und der Eid, welchen ich der heiligen Kirche gethan, zwingt mich zu reden, – ich muß es euch bei Gelegenheit des heutigen Evangeliums sagen: Es sind viele falsche Propheten in unsern Tagen, – viele Verführer vom schmalen Wege, – viele, welche von dem Worte Gottes weichen und den Weg breit und bequem machen wollen, der zum Leben führt. Ja, wenn in irgend einer Zeit, so laufen die Christen in unserer Zeit Gefahr, durch Verführer um ihr ewiges Heil betrogen zu werden. Darum bedarf es gerade jetzt treuer Wächter, unerschrockener Zeugen, welche vom rechten und falschen Wege deutlichen Unterricht geben, auf daß Niemand ungewarnt verloren gehe.
Wohl wahr! Alle, auch die treuen Zeugen sind nicht ganz rein, – in jedem Diener Gottes ist noch der alte Mensch als ein falscher Prophet. Unter allen kann ich mir am wenigsten anmaßen, ein treuer Diener und Zeuge des Herrn zu heißen. Viel Trauriges, was ich heute reden muß, paßt auch auf mich. Aber mag es mich gleich selber treffen: zeugen muß ich doch, auf daß ihr behutsam werdet, auf daß ihr nicht jeglichem Geiste glaubet, sondern euch vorsehet vor allen falschen Propheten, und von dem, was auch in treugesinnten Zeugen von dem falschen Propheten stammt.
| Mein Gott, züchtige und demüthige mich Du! Ich weiß ja, daß ich nichts bin, als ein armer, unwerther Sünder, auch noch nie eine Predigt ohne Sünde gethan habe. Aber siehe Du dennoch in Christo Jesu gnädig auf mich und diese meine Zuhörer, auf daß wir selig werden, ich sammt denen, welche Dein Wort aus meinem Munde hören! Amen.
1. „Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reissende Wölfe“ spricht der Herr. Er redet also für’s Erste von denen gar nicht, welche sich als offenbare, reissende Wölfe geberden, welche ohne allen Schafpelz und Bemäntelung sich für das geben, was sie sind. Wider diese gleichsam ehrbaren Wölfe predigt Christus hier nicht: das Geheul aus ihrem Munde predigt genugsam und wer vor ihnen fliehen will, der kann es. Sie sind wie Aussätzige, welche schon von weitem durch Wort und Geberde ihr: „unrein! unrein!“ kreischen, – wie ein Regen, dessen Wolken man lange vorher sieht – wie Sümpfe, welche ihren Geruch weit genug um sich her verbreiten. –
2. Diejenigen, von welchen Christus im Texte spricht, sind im Grunde eben so schlimm, ja schlimmer, als die eben Genannten. Sie wollen nicht scheinen, was sie sind. Sie wissen wohl, was Christus zu seinen Jüngern spricht: „Siehe, Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe!“ (Matth. 10, 16). Darum verkleiden sie sich, um desto sicherer unter der Heerde zu verderben, in Schafe. So waren zu Jesu Zeiten viele Pharisäer. So sind und waren zu allen Zeiten alle Heuchler und Gleißner.
Ich scheide absichtlich zwischen Heuchlern und Gleißnern. Die Heuchler wissen gar wohl, daß sie Wölfe sind: es ist bei ihnen wissentlicher, ausgesuchter Betrug, wenn sie eine Schafsmiene annehmen. Sie arten darin ihrem Vater, dem Teufel, nach, welcher auch, um desto sicherer zu verführen, sich mühsam in einen Lichtengel verkleidet. Zu Ehren der Menschheit möchten wir hoffen, daß solcher Leute auf Erden sich nur wenige finden. Desto größer aber ist die Menge der Gleißner, welche ihre eigne Wolfsnatur, ihr verderbtes Herz mit seinem Betrug und seinen Schleichwegen, mit seiner teuflischen List sich selber geflissentlich verhehlen; – welche so verrückt sind, daß sie, obwohl Wölfe, sich dennoch selbst für Schafe alles Ernstes halten, sich als Schafe geberden und es höchst übel nehmen, wenn man sie nennt, was sie sind, nämlich Gleißner| d. i. Heuchler ohne es zu merken. Die Heuchler sind nicht so gefährlich als die Gleißner: den Heuchlern ist’s so gar hoher Ernst nicht mit ihrer Heuchelei, sie verrathen sich öfter. Aber die Gleißner sind ganz darauf aus, Schafe zu scheinen; ja, so viel sie sich selbst erkennen, ist es ihnen auch Ernst, zu seyn, was sie scheinen. Es ist aber Nichts mit ihnen bei allem Schein: ihr Christenthum paßt zu ihrem inwendigen Menschen wie ein neuer Lappen zum alten Kleid: das, was in Christo Jesu alleine gilt, die neue Creatur, ist in ihnen nicht geboren. Es hat sich blos ihr alter Mensch bekehrt, ohne daß ein neuer da ist. Sie haben die Kraft Gottes nie erfahren, welche allerdings aus Steinen und Gleißnern Gotteskinder, aus Wölfen Schafe machen kann. Ein fürchterlicher Betrug ist in ihnen: selbstbetrogen betrügen sie andre. Mit Einem Worte: sie sind selbstgerechte, scheinheilige Frömmler. – Was vor Menschenaugen recht ist, thun sie, wissen sich viel damit und sind stolz. Haben sie ja einmal eine Sünde vor andern eingestanden, so bleibt ihnen tief innen die stille, stolze Freude, daß sie demüthig gewesen – und eben damit vor der Gemeinde größer geworden seyen, als hätten sie nicht gesündigt. Wenn ihr Gewissen sie schlägt, wie ein Cherub, mit hauendem Schwert, so pflegen sie inwendig oft die geheime Hoffnung, daß wohl gar ihr Name bei Gott besser angeschrieben ist, als bei ihnen selbst, daß der Allerheiligste sich ihrer Demuth freue. Diese Art kann im Amte treu seyn bis zu einem gewissen Punkte, dem Ehrenpunkte: wer ihnen da wohl thut und schmeichelt, hat Simson’s Locken gestohlen und kann mit ihm machen, was er will: – wer ihnen da weh thut, hat den Wolf gereizt, daß er in angebornem Grimm seinen Schafpelz fallen läßt!Ferner: Es stehen zwei Weinstöcke verschiedener Art im Garten, doch jeder gut und fruchtbar in seiner Art. Beide sind in Wahrheit Gottes liebe Pflanzen, und ihre Früchte sind weder Heckenbeeren, noch Dornenfrüchte. Wenn dir nun des einen Weinstocks Trauben besser schmecken, als des andern, und du wolltest um deines Geschmacks willen den einen Weinstock loben, den andern verachten, da sie doch beide Gottes Pflanzen sind in ihrer Art; so wärest du freilich um deiner Leidenschaft willen ungeschickt, zu urtheilen, was gut und bös ist; aber des Herrn Befehl bleibt dennoch lauter und ohne Wandel: „An den Früchten sollt ihr sie erkennen!“ Er verneint in unserm Evangelio auf das allerstärkste die Möglichkeit, daß von einem bösen Baume gute Früchte, von Dornen Trauben, von Disteln Feigen, von einem bösen Herzen Früchte eines heiligen Wandels geerntet werden können. Dabei muß es bleiben, obgleich der Christen Sünde im Urtheil über eines Lehrers Werke groß ist.
5. Indeß weil auf ein richtiges Urtheil allerdings viel ankommt; so kommt der Herr der menschlichen Schwachheit| hülfreich entgegen, und lehrt uns Vorsicht. Er warnt uns in unserm Evangelio namentlich vor dreien Dingen, von denen wir ohne Seine Rede allzugeneigt seyn würden, einen Schluß auf die Treue eines Lehrers zu machen. Diese drei unsicheren Dinge sind:a. „Es werden, versichert Jesus Christus, nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in’s Himmelreich kommen.“ Herr, Herr sagen heißt Jesum für einen Herrn bekennen; – bekennen, daß Er würdig sey, zu nehmen Preis und Ruhm und Ehre, Gewalt und Macht, würdig, daß sich in seinem Namen beugen alle Kniee im Himmel und auf Erden und unter der Erden. Es steht wohl geschrieben (1. Cor. 12, 3.): „Niemand kann Jesum einen Herrn heißen, ohne durch den heiligen Geist.“ Aber viele maßen sich’s an, und nennen den großen Namen in frecher Dreistigkeit, ohne Ehrfurcht. Darum kann man denjenigen noch nicht mit Sicherheit einen Diener Gottes nennen, dessen Bekenntniß vom Namen Jesu rechtgläubig lautet: es kann Schafpelz seyn und ist es hundertmal gewesen. Rechtgläubiges Bekenntniß ohne rechtgläubiges Leben ist Nichts; von jenem zu diesem ist ein großer Schritt.
b. Daß nun „Herr, Herr sagen“ kein sichres Kennzeichen frommer Lehrer sey, ist leicht zu begreifen. Aber das ist erstaunlich, daß man in Jesu Namen weissagen und am jüngsten Tage doch die Stimme hören kann: „Ich habe euch nie erkannt.“ Weissagung – nach der nächsten Bedeutung Vorherbestimmung der Zukunft, ist eine Wundergabe; aber dennoch eine Gabe, welche auch ein Heuchler haben und trotz ihres Besitzes als Heuchler verloren gehen kann. Bileam (4. Mos. 22–24.) weissagte| herrlich von dem Aufgang des ewigen Morgensterns Jesus Christus, und war doch ein reißender Wolf, welchen der Zorn des Höchsten verzehrte. (4. Mos. 31, 8.) – Weissagen heißt aber in der heiligen Schrift auch manchmal predigen. Die Predigtgabe ist also auch kein sichres Kennzeichen eines frommen Predigers. Wenn einer noch so schön, noch so christlich predigt, wenn Christus sein A und sein O ist, wenn er, wie man sagt, mit Salbung, mit einer gewissen himmlischen Kraft und mit einem Ansehen predigt, dem sich nicht widersprechen läßt, – wenn er die Schrift erklärt, als wäre er dabei gewesen, wenn er aus jedem Wort die treffende Vermahnung, die passende Lehre zu ziehen weiß, – wenn ihm auf allen seinen Tritten der Segen seiner Zuhörer folgete und das Volk in seiner Nähe wie von einem Schauer der Ehrerbietung ergriffen würde: – was ist alles das? Betrüglich Ding! Es kann Schafpelz seyn, und ist es hundertmal gewesen!6. Ob uns nun wohl der Herr ein Mißtrauen gegen solche äußerliche Gaben einflößt; so müssen wir doch bedenken, daß Er sagt: „Nicht alle, die zu mir Herr, Herr sagen, werden in’s Himmelreich kommen!“ und nicht: „Alle, die zu mir Herr, Herr sagen, werden nicht in’s Himmelreich kommen!“ Es müssen allerdings auch fromme Christen ihren Herrn nennen, was Er nun einmal ist: „Herr, Herr!“, sie müssen in Seinem Namen reden und Thaten thun. Wer ihnen daraus ein Verbrechen machen wollte, der wäre einem thörichten Manne gleich, welcher allen Schafen gram seyn wollte, weil einmal der Wolf ein Schaf erwürgt und ihm den Pelz gestohlen hat. Dem Schafe ist sein Pelz, dem Christen der Name Seines Herrn zum Kleid und Schmuck gegeben: beide tragen ihr Kleid mit Ehren. Ja, selbst an Wölfen ist nicht der Schafpelz das Schändliche, sondern daß sie zum Schafpelz nicht passen, daß ihre verkehrte, böse Art desto greller in’s Licht tritt, wenn sie gegen den Schafpelz betrachtet wird. Es ist leider die schwere Schuld der Heuchler, daß nicht allein sie heucheln, sondern durch ihre Heuchelei auch alle andern frommen Seelen in den Geruch pharisäischen Wesens kamen. Darum muß auch das Mißtrauen seine Schranken haben.
| 7. Bis hieher, lieben Brüder, gedachten wir eigentlich blos der Lehrer und Prediger. Aber die Sache geht weiter: jeder Mensch ist in seinem Kreise ein Prediger, wenigstens durch das Beispiel. Darum giebt’s in jedem Stande Wölfe im Schafpelz. – So giebt es zum Beispiel eine Klasse von Menschen, deren Beispiel in unsern Tagen noch mehr Gewalt hat, als das der Prediger. Ich meine die Edlen und Vornehmen dieser Welt. Diese sind, wofern sie Heuchler sind, unter allen Wölfen die gefährlichsten. Wie Capernaum sind sie bis in den Himmel erhoben: weil sie so hoch stehen, sind der Menschen Augen zu ihren Gunsten bestochen. Der Herr hat sie mit irdischer Pracht ausgezeichnet unter den Menschenkindern – nach unerforschter Gnade: Er hat sie erhöhet bis zum Himmel, Er kann sie erniedrigen bis zur Hölle: wenn Er zu Gerichte sitzt, sieht Er nicht Person an – benedeit und fluchet einem jeden Baume je nach seiner Frucht.Endlich überschwemmt eine ganze Schaar falscher Propheten das Land: ich meine jene schlechten Erbauungsbücher, die Kinder der falschen Propheten, welche der Menschen ewiges Heil untergraben wollen. Honigsüß sind sie, kein Gewissen tasten sie an, lassen Jedermann in seinem Sündenschlummer, schläfern ein, was noch nicht schläft: viele junge, viele alte Herzen sind durch diese elenden Bücher verderbt worden; viele Verdammte werden’s einst bezeugen, daß durch so ein Buch der Grund zu ihrem Verderben gelegt worden ist.
Ach, wie lange könnte man reden, wenn von den falschen Propheten unserer Tage rein ausgeredet werden sollte! Aber ich bin müde der langen Predigt voll unangenehmer Entdeckung. Summa: die Welt ist voll Verführung. – Lasset mich nun nur noch einen Augenblick ausruhen im Anschauen dessen, der ja doch meiner Seele Freude, mein Hirte und mein König ist.
8. Ja! Gott sey ewig Lob und Dank! In der weiten Welt, die den Verführern nachfolgt, – in der großen Wüste derer, welche sich zur Erde bücken, nur sich, nur ihre Ehre, ihren Vortheil suchen, – steht der große Prophet hehr und mild, Jesus Christus, genannt nach Wahrheit Gottes Lamm. Auf ihn sehet, ihr Schafe, wenn ihr wissen wollet, welches Geistes Kinder ihr seyn sollt. Lammessinn und Lammsgeberde sind in Ihm beisammen. In Ihm haben auch Seine Feinde keinen Betrug auffinden können. Er ist, was Er scheint, – ein Lamm. Er| hat den Willen des himmlischen Vaters treulich erfüllt. Siehe da! wie liegt das Lamm Gottes so fromm! Voll Freundlichkeit schaut es auf die Menschenkinder, aus Seinen Wunden quillt der Reichthum göttlicher Gnade, wie ein Strom: daraus trinken die müden Seelen Vergebung der Sünden, Friede und Freude, ewiges Leben. Das war Seines Vaters Wille: eine Quelle des Heils sollte er erfinden: Er fand sie in Seinem Herzen, in Seiner Liebe, – und Er schenkte Sein Herz, Seine Liebe den Sündern! So hat Er des Vaters Willen gethan! Er hat es treu gemeint und meint es noch treu! Er ist kein Heuchler; denn ein Heuchler hat nicht die Liebe, daß er sein Leben ließe für die Feinde!
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