Unerschütterlich

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Autor: Roderich Benedix
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Titel: Unerschütterlich
Untertitel: Vorspiel in einem Aufzuge
aus: Gesammelte Dramatische Werke, Band 4, Seite 1–22
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Auflage:
Entstehungsdatum: 1845 (Uraufführung 1847, Erstdruck 1848)
Erscheinungsdatum: 1848
Verlag: J. J. Weber
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Erscheinungsort: Leipzig
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[1]
Unerschütterlich.


Vorspiel in einem Aufzuge.




1845.


[2]
Personen:


Der Vater.

Die Mutter.

Die Tochter.

Der Liebhaber.


[3]
Zimmer mit Mittel- und zwei Seitenthüren.
Erster Auftritt.
Der Vater, die Mutter, die Tochter.


(Der Vater steht in der Mitte, Mutter und Tochter auf beiden Seiten.)

Tochter. Väterchen!

Vater. Nein. (Schnupft fortwährend stark.)

Mutter. Männchen!

Vater. Nein.

Tochter. Ich bitte Sie.

Vater. Nein!

Mutter. Ich beschwöre dich!

Vater. Nein!

Tochter. Sie sind hartherzig!

Vater. Hilft nichts.

Mutter. Eigensinnig bist du!

Vater. Standhaft bin ich.

Tochter. Sie machen mich unglücklich.

Vater. Das ist nicht wahr.

Mutter. Du wirst sie ins Grab stürzen!

Vater. Redensarten.

Tochter. Ich kann ihm nicht entsagen!

[4] Vater. Philosophie, mein Kind, hilft über Alles weg, macht uns Alles möglich. Ich habe dich von Jugend auf in dieser herrlichen Wissenschaft unterrichtet, jetzt zeige, daß du etwas gelernt hast.

Mutter. Deine Philosophie ist lauter Dummheit!

Vater. Frau, ich habe eine fünfundzwanzigjährige Ehe mit dir geführt, – wie hätte ich das ohne Philosophie fertig gebracht?

Tochter (hat sich gesetzt und weint). Mein eigner Vater will mein Unglück.

Vater. Das ist unlogisch, meine Tochter! Eines Vaters Liebe ist Naturtrieb, die Liebe kann nie eines Andern Unglück wollen, also kann ein Vater seiner Tochter Unglück nicht beabsichtigen.

Mutter. Du bist ein Barbar! (Geht zur Tochter.)

Vater. Einen Augenblick, liebe Frau, das war ein zu schöner Schluß, mit unumstößlichen Vordersätzen und schlagender Folgerung, – den muß ich erst aufschreiben. (Schreibt in ein Taschenbuch.)

Mutter. O, über den kalten, gefühllosen Mann! Sei ruhig, meine Tochter, trockne deine Thränen, tröste dich!

Vater. Barbar hast du mich genannt? Du brauchst ein Wort, dessen eigentliche Bedeutung du nicht kennst!

Mutter. Du wirst wohl wissen, was ich habe sagen wollen.

Vater. Insofern ich die veränderte Bedeutung des Wortes geschichtlich zu verfolgen im Stande bin, kann ich den beabsichtigten Sinn deiner Worte wohl errathen! [5] Antworte mir, meine Tochter, das wird deine Gedanken auf andere Dinge richten und deine Traurigkeit zerstreuen. Aus welcher Sprache stammt das Wort Barbar?

Tochter (weinend). Aber lieber Vater!

Mutter. Man könnte krank werden, wenn man diese Gefühllosigkeit sieht.

Vater. Gefühllosigkeit? Quod non, nur philosophische Ruhe. Das Wort Barbar finden wir zuerst bei den Griechen.

Mutter (führt die Tochter nach hinten und redet ihr eifrig zu).

Vater (bemerkt das nicht, bleibt ruhig stehen und fährt fort). Wahrscheinlich aber stammt es aus dem Phönizischen und hat jedenfalls seine Wurzel im Ostaramäischen oder in einer andern orientalischen Sprache. Barbaroi (βαρβαροι) nannten die Griechen alle Fremden oder Ausländer. Weil nun die Fremden von den Griechen als ungesittet betrachtet wurden, so bekam das Wort Barbaros (βαρβαρος) den Nebenbegriff von roh, ungesittet. Von den Griechen haben die Römer das Wort bekommen und von diesen die neuern Sprachen. Insofern ich nun weder ein Fremder, noch roh oder ungesittet bin, passen diese ersten Bedeutungen des Wortes nicht auf mich. Allein in spätern Zeiten, zu Zeiten der Völkerwanderung, bekam das Wort noch den Nebenbegriff von Grausamkeit, und insofern – doch halt – nein – der Grausamkeit kann man mich nicht wohl beschuldigen. Was meinst du, meine Tochter? (Sieht sich um.) Fast komme ich auf die Vermuthung, ihr habt mich nicht gehört?

Mutter (kommt vor). Alle Fassung könnte man verlieren, wenn man deine Reden hört!

[6] Vater. Ein Philosoph verliert nie die Fassung!

Mutter. Du bist doch ein Barbar, phönizisch, griechisch, lateinisch und aus der Völkerwanderung!

Vater. Da wäre ich auf den Beweis neugierig!

Tochter. Ja Vater, Sie verstehen meinen Kummer nicht, also sind Sie fremd in meinem Herzen, ein Fremder gegen Ihre Tochter.

Mutter. Fremd im eignen Hause, fremd im Vaterlande, ein echter Gelehrter!

Vater. Das läßt sich hören!

Mutter. Und roh bist du; denn du hast kein Gefühl für die Leiden deiner Tochter!

Vater (beifällig nickend). Hm, hm!

Mutter. Ungesittet bist du; denn du verhöhnst ihren Schmerz mit leeren Redensarten!

Vater. Hm, hm!

Tochter. Und grausam sind Sie; denn Sie sind unerbittlich für meine heißen Wünsche und zerstören mein ganzes Erdenglück.

Mutter. Komm, Anna, beruhige dich, verlaß dich auf mich! Wir wollen doch sehen, ob eine Mutter für das Glück ihrer Tochter nichts wirken kann. (Führt sie links ab.)


Zweiter Auftritt.
Der Vater, allein, später die Mutter.

Es war Verstand in dem, was sie sagten. Sind aber ihre Schlüsse richtig? Wenn sie richtig wären, müßte ich [7] ein Barbar sein? Jedenfalls bin ich aber ein Deutscher, ein Christ und ein Gelehrter. Kann ich dann zugleich ein Barbar sein? Hm, das ist eine interessante Untersuchung. Schreiben wir die Vordersätze auf und sehen, ob die richtig sind. (Setzt sich und schreibt.)

Mutter (kommt zurück). Jetzt ein ernstes Wort mit dir!

Vater (immer schreibend und nicht auf sie hörend). Fremd im Herzen meiner Tochter –?

Mutter. Ja das bist du!

Vater. Fremd in meinem Hause –?

Mutter. Leider.

Vater. Fremd im Vaterlande –?

Mutter. (nimmt ihm die Feder weg). Willst du endlich auf mich hören!

Vater. Bist du schon wieder da? Ich glaubte, du hättest deine Tochter weggeführt!

Mutter. Ist denn nichts im Stande, dich aus deiner Gefühllosigkeit herauszubringen?

Vater. Du drückst dich falsch aus – philosophischen Gleichmuth besitze ich, nicht Gefühllosigkeit. Sokrates und Seneca –

Mutter. Gleichmüthig? Starrsinnig, eigensinnig bist du, unbiegsam wie Eisen.

Vater. Du springst von einem Begriffe auf den andern über. Unerschütterlich bin ich in meinen Entschlüssen, weil sie sich auf richtige Gründe bauen! Ein Philosoph thut immer, was er für richtig ersannt hat; denn das Richtige ist ihm auch das Rechte!

Mutter. O über das Rechte! Es wird deiner Tochter das Herz brechen!

[8] Vater. Das wäre nicht meine Schuld, und wenn es ihr nach dem richtigen Systeme bricht, so muß sie sich zu trösten wissen.

Mutter. Nein, hat man so etwas erhört! Doch wenn du Vater bist, so bin ich Mutter, und ich lasse mein Kind nicht aufopfern. Also du willigst nicht ein? Anna soll deinen Mündel, den jungen, hübschen, reichen Baron nicht bekommen, der sie so zärtlich wieder liebt?

Vater. Nein!

Mutter. Gut, ich werde mir Hülfe holen! Zu deinem Oheim gehe ich, zu deinen Muhmen, zu meinen Basen und zu meinen Vettern! Einen förmlichen Familienrath werde ich über dich schicken, und wenn sie dir das Herz nicht rühren, sollen sie dir doch den Kopf so warm machen, daß du am Ende Ja sagst. Wir wollen doch sehen, ob meine Mittel nicht über deinen philosophischen Gleichmuth siegen! (Links ab.)


Dritter Auftritt.
Der Vater.

Ueber meinen Gleichmuth siegen? Das bringt ihr nicht fertig. Zwar wenn die ganze Verwandtschaft kommt, wird das ein heißer Kampf werden. Die Leute haben so viele Worte und so wenig Gründe! Die Muhmen und Basen haben entsetzlich viel Sprachwerkzeuge, aber bei der Austheilung der Ohren sind sie sicher zu kurz gekommen. (Hat während der letzten Rede der Mutter schon ein Packet Schnupftabak in Blei geöffnet und seine Dose gefüllt.) Ein herrlicher Tabak! Kräftig, [9] duftend! Meine Dose und meine Philosophie werden schon Stand halten. Am besten ist es aber, ich gehe dem ersten Sturm etwas aus dem Wege. (Rechts ab.)


Vierter Auftritt.

Der Liebhaber (durch die Mitte). Niemand hier? Heda, wo steckt mein Liebchen? (An der Thüre links.) Anna, mein süßes Bräutchen, wo bist du, ich harre dein?!


Fünfter Auftritt.
Voriger. Die Mutter, die Tochter (mit Shawls und Hüten).

Tochter. Ach, Gustav!

Liebhaber. Was ist das? Verweinte Augen?

Tochter. Unsre Hoffnung war vergebens!

Liebhaber. Wie?

Tochter. Mein Vater willigt nicht ein!

Liebhaber. Nicht möglich!

Mutter. Leider nur zu wahr! Aber lassen Sie den Muth nicht sinken. Eben wollten wir ausgehen, um uns bei den Verwandten Rath und Hülfe zu holen.

Liebhaber. Ich stehe erstarrt! Darauf war ich nicht gefaßt! Er willigt nicht ein? (Lachend.) O, wie wird mein Dünkel, mein Hochmuth gestraft! Ich dachte immer: du bist jung, bist hübsch und reich, du dürftest überall [10] anklopfen – alle Thüren würden dir offen stehen, und siehe da, gleich das erste Mal bekomme ich einen Korb in schönster Form.

Tochter. Sie nehmen die Sache sehr leicht.

Liebhaber. Ich glaube nicht an den Ernst Ihres Vaters.

Mutter. Leider ist es sein vollkommner Ernst.

Liebhaber. Nicht doch! Er wird es unschicklich gefunden haben, daß er die Sache zuerst von Ihnen erfahren hat. Nach Sitte und Gebühr mußte ich um Anna werben. Das werde ich jetzt thun, und dann sagt er sicher nicht Nein.

Mutter. Er sagt’s doch! Sie kennen seine Festigkeit nicht.

Liebhaber. Das wollen wir doch gleich sehen! Ist er zu Hause?

Mutter. In seinem Zimmer!

Liebhaber. Schön! Sie wollten ausgehen – lassen Sie sich nicht stören. Wann Sie wiederkommen, habe ich das Jawort.

Tochter. Ich hoffe nichts mehr!

Liebhaber. Wie, Anna? Ich bin dir treu geblieben als Student, habe dir ein unverändertes Herz bewahrt während vierjähriger Reisen – die Welt sagt, das wäre ein halbes Wunder –

Tochter. Bin ich Ihnen nicht auch treu geblieben?

Liebhaber. Das ist die andere Hälfte – also ein ganzes Wunder – und wenn sich ein Wunder für uns zuträgt, sollten wir am Erfolge verzweifeln?

[11] Tochter. Sie haben guten Muth.

Liebhaber. Ich habe dir in sieben Jahren einen ganzen Roman von Briefen geschrieben – ein Roman muß mit einer Heirath schließen. Sagt mir geschwind: wie ist der Alte geworden? Seit meinem Abgange zur Universität habe ich ihn nur selten und flüchtig gesehen, gestern bei meinem Antrittsbesuche, nach langer Abwesenheit, hatte ich nur Augen für dich – wie muß man ihn behandeln? Soll ich ehrbar oder schelmisch, lustig oder gemessen sein?

Mutter. Ach, er hat sich ganz auf das Studium der Philosophie gelegt.

Liebhaber. Das ist entsetzlich!

Mutter. Und nun hält er seinen Eigensinn für Festigkeit, sein Phlegma für philosophischen Gleichmuth. Ach, er ist sein Lebenlang eigensinnig und phlegmatisch gewesen!

Liebhaber. Ich weiß genug. Gehen Sie, verkünden Sie den Vettern und Basen: heute Abend sei Verlobung!

Tochter. Sie scherzen grausam.

Mutter. Aber –

Liebhaber. Nichts Scherz, nichts aber! Nur fort, laßt mir das Feld rein – ich will den Angriff beginnen.

Tochter. Nun denn –

Liebhaber (indem er beide abführt). Lebe wohl – – auf eine halbe Stunde und auf fröhliches Wiedersehen.

Mutter
 (ab).
Tochter

Liebhaber (allein). Halt, wie fangen wir es am [12] besten an? Mein Herr Vormund war immer ein streng rechtlicher Mann, aber ein wunderlicher Kauz. Diese Wunderlichkeiten sind es, bei denen man ihn fassen muß. Umständlich, ceremoniös, eigensinnig, phlegmatisch, voll alter Vorurtheile – und er schnupft sehr stark. Halt, ich hab’s – bei dem Schnupfen fasse ich ihn. (Nimmt während dessen den Hut, den er abgelegt hatte, zieht Handschuhe an und klopft jetzt an die Thüre rechts).


Sechster Auftritt.
Voriger. Der Vater.

Liebhaber (ceremoniös). Mein verehrter Herr Vormund.

Vater (ebenso). Mein werther Herr Baron.

Liebhaber. Nicht so! Bin ich nicht mehr Ihr Mündel, Ihr lieber Sohn, wie Sie sonst mich nannten?

Vater. Das ist vorbei, Herr Baron. Als Mündel waren Sie mir Gehorsam schuldig, jetzt sind Sie mündig geworden, die Sachen stehen anders – Jedem, was ihm gebührt.

Liebhaber. Wie gern wäre ich immer Ihr Sohn geblieben!

Vater. Sie sind es auch noch – in meinem Herzen! Allein außerdem muß ich Ihnen die Ehre erweisen, die Ihnen zukommt. Nehmen Sie gefälligst Platz. (Setzt einen Stuhl und legt dabei seine Schnupftabaksdose auf den Tisch.)

Liebhaber (legt den Hut ab und nimmt dabei die Dose vom Tische und steckt sie ein. Das Publikum muß dies, und daß es absichtlich geschieht, bemerken). Ich komme gleich mit einer Bitte zu Ihnen.

Vater. Und diese Bitte ist?

[13] Liebhaber. Lassen Sie mich etwas weiter ausholen. Ich wuchs in Ihrem Hause auf – Sie waren mir ein treuer Vater!

Vater. Bitte.

Liebhaber. Mit mir zugleich wuchs Ihre Tochter auf.

Vater. Hm! (Greift in die Tasche.)

Liebhaber. Wir liebten uns – und ich versprach ihr Treue –

Vater. Aber.

Liebhaber. Noch mehr, ich hielt ihr diese Treue. Ich bezog die Universität, ich ging auf Reisen, jetzt kehre ich zurück, mündig, im Begriff, mein väterliches Erbe anzutreten. Dazu bedarf ich einer Hausfrau – hier kann von keiner Wahl die Rede mehr sein, und so werbe ich hiermit feierlich und wie es sich gebührt um die Hand Ihrer Tochter, meiner theuern Anna. (Steht auf und verbeugt sich.)

Vater (ebenso). Werthgeschätzter, geehrter Herr Baron! Ihr Antrag gereicht mir, so wie meiner ganzen Familie zur höchsten Ehre – allein ich muß denselben höflichst ablehnen. (Sucht die Dose.)

Liebhaber. Ablehnen? Damit kann ich mich so schlechtweg nicht zufrieden geben – ich muß Sie bitten, mir Ihre Gründe mitzuteilen.

Vater (für sich). Wo habe ich denn – (laut), ich habe als ein treuer Vormund Ihr Vermögen verwaltet und nach bester Einsicht für Ihre Erziehung und Ihre Studien gethan, was ich konnte. Gäbe ich Ihnen aber mein Jawort, so würde man allgemein sagen: „sieh, wie schlau der Alte ist. Hat sich die Vormundschaft zu Nutze gemacht; das Töchterchen mußte den reichen Erben in [14] ihre Netze locken, und so hat er sich den angesehenen Eidam erschlichen!“ Also würden die Leute sprechen, und mein guter Name wäre gebrandmarkt.

Liebhaber. Werther Herr, Ihr Ruf steht zu fest, um so angetastet zu werden. Ich werde selbst erklären, wie Alles zusammen hängt, und unsere glückliche Ehe wird die Leute Lügen strafen.

Vater (hat alle Taschen durchsucht). Man kann den Leuten den Mund nicht verbieten. Der gute Name ist des Menschen höchstes Gut, und schon Solon sagt –

Liebhaber. Ist das Ihr einziger Grund?

Vater (durchsucht das Rockfutter). Haben Sie vergessen, daß Ihre Frau Mutter immer den Wunsch hegte, Sie möchten sich mit der Gräfin Reh verbinden? Ein guter Sohn soll seiner Mutter Wünsche erfüllen, auch wenn diese todt ist.

Liebhaber. Aber die Gräfin Reh hat nicht auf mich gewartet und sich voriges Jahr bereits anderweitig verheirathet.

Vater (fährt mit der Hand an die Nase). Allerdings, allerdings – (für sich), ich begreife nicht, wo die Dose – (laut) Gräfin Reh ist verheirathet – indessen –

Liebhaber. Sie sehen, Ihre Gründe sind nicht stichhaltig, Sie werden mir also jetzt Ihre Einwilligung nicht länger versagen.

Vater (immer suchend, sich im Zimmer umsehend, die Tischdecke aufhebend). Bedenken Sie, Herr Baron, nach reiflichem Nachdenken, nach Erwägung aller Gründe habe ich den Entschluß gefaßt, Ihnen die Hand meiner Tochter zu versagen – bei einem Philosophen, wie ich bin, ist ein solcher Entschluß unerschütterlich.

[15] Liebhaber. Unerschütterlich?

Vater. Unerschütterlich – und ich muß Sie bitten, von Ihrem Vorhaben abzustehen.

Liebhaber (geht aus seinem angenommenen Wesen heraus und nimmt seinen natürlichen, muntern Ton wieder an). Das wollen wir sehen! So erkläre ich Ihnen denn meinerseits, daß ich nicht eher von Ihnen gehe, bis ich Ihr Jawort habe.

Vater. Herr Baron.

Liebhaber. Ich weiche nicht von Ihrer Seite bei Tag und Nacht, bis Sie nachgeben. Ich bin auch Philosoph, habe nach reiflichem Nachdenken und Erwägung aller Gründe den Entschluß gefaßt, Ihre Tochter zu heirathen, und dieser Entschluß ist unerschütterlich.

Vater. Unerschütterlich?

Liebhaber. Unerschütterlich! Messen wir also unsere beiden Unerschütterlichkeiten miteinander. Ich bin neugierig, wer Sieger bleibt.

Vater (lächelnd). Die Höflichkeit verbietet mir allerdings –

Liebhaber (lachend). Mich zur Thüre hinaus zu werfen – richtig – und doch können Sie mich nur auf diese Art los werden, wenn Sie mir Ihr Jawort nicht geben wollen.

Vater (für sich). Sollte sie im Zimmer stehen –? (Laut) Erlauben Sie – (will nach rechts.)

Liebhaber (springt vor, schließt ab und steckt den Schlüssel ein, lachend). Sie entkommen mir nicht.

Vater. Nicht doch – ich wollte nur – (für sich) ich habe sie doch mit herausgebracht. (Laut) Die Höflichkeit, wollte ich sagen, gebietet mir, Sie als meinen Gast [16] willkommen zu heißen, und wenn auch Ihre Art etwas sonderbar –

Liebhaber. So sind Sie viel zu fein und artig, um mir diese Sonderbarkeit übel zu nehmen – ich habe darauf bei meinem Plane gerechnet.

Vater. Plane?

Liebhaber (lachend). Bei dem Plane, wie ich ihnen die Einwilligung abdringen will.

Vater. Das ist vergebene Mühe. (Für sich) Nun kann ich nicht hinein und komme zu keiner Prise.

Liebhaber. Setzen wir uns und vertreiben wir uns die Zeit.

Vater. Wie Sie befehlen. (Für sich) Halt, die Magd kann mir Tabak holen. (Klingelt.)

Liebhaber. Es thut mir leid, Sie werden vergebens klingeln.

Vater. Wie so?

Liebhaber. Ich habe die Magd verschickt. Sie besorgt mir einen Auftrag und kommt unter zwei Stunden nicht wieder.

Vater (für sich). Nun denn, ausgehalten! (Laut) Also.

Liebhaber. Also?

Vater. Wie?

Liebhaber. Ich verstehe nicht –!

Vater. Sie wollten etwas sagen.

Liebhaber. Nach Ihnen –

Vater. Bitte –

Liebhaber. Sie fingen an – also –

Vater. Richtig, ich wollte sagen, daß der Befehl [17] Ihrer Frau Mutter, wegen der Gräfin Reh, doch eigentlich bindend für Sie sein muß.

Liebhaber. Allerdings. Allein da die Gräfin Reh schon einen Mann hat, kann sie mich doch nicht auch noch nehmen. Wollen Sie Vielmännerei einführen?

Vater. Vielmännerei? Bewahre mich in Gnaden! (Sucht unwillkürlich in der Tasche, für sich) ja so – (laut) ich meine nur, Ihre Frau Mutter hielt sehr auf Reinheit des Adels – sie würde Ihre Verbindung mit meiner Tochter als eine Mißheirath ansehen, und in ihrem Sinne handelnd, darf ich sie nicht zugeben.

Liebhaber. Lieber Herr Vormund, wenn wir alle Vorurtheile unserer Ahnherrn in Ehren halten wollten, müßten wir noch Heiden sein und in Bärenfellen gehen. Zudem wissen Sie ja, daß die Verheirathung des Adels mit wohlhabenden Bürgerstöchtern zu den neuesten adligen Grundsägen gehört.

Vater. Ja, ja – allein was würde die Welt von mir sagen?

Liebhaber. Das alte Lied! Ein Philosoph muß das Geschrei der Menge verachten. Geben Sie nach.

Vater. Nachgeben? Nein – ich bin unerschütterlich.

Liebhaber. Gut; sprechen wir von etwas Anderm.

Vater. Ja, von etwas Anderm. (Seine Verlegenheit und Verwirrung nimmt von jetzt an zu.)

Liebhaber. Sagen Sie mir doch, was ist der Nutzen der Philosophie?

Vater. Hm – sie hellt den Verstand auf, sie läßt uns alle Dinge von neuen, interessanten Seiten betrachten, [18] weist den Zusammenhang der Dinge nach, sie klärt uns über Alles auf, reinigt uns von Vorurtheilen.

Liebhaber. Ein Philosoph weiß also über alle Dinge Rechenschaft zu geben?

Vater. Allerdings.

Liebhaber. Wenn ich Ihnen nun einen Gegenstand aufgäbe, würden Sie mir den vom philosophischen Standpunkte aus besprechen können?

Vater. Jeden Gegenstand.

Liebhaber. Z. B. eine Schnupftabaksdose.

Vater. Eine Schnupftabaksdose?

Liebhaber. Ja.

Vater (wehmüthig). Wie kommen Sie auf eine Schnupftabaksdose?

Liebhaber. Hm – es fiel mir eben ein. Wie ist mir denn, schnupften Sie nicht sonst?

Vater. Sonst – ja!

Liebhaber. Aha, und jetzt haben Sie es sich abgewöhnt, weil ein Philosoph nicht in den Fesseln der Gewohnheit liegen soll?

Vater (seufzend). So ist es!

Liebhaber Also eine Schnupftabaksdose philosophisch betrachtet?

Vater. Richtig. Nun denn: eine Schnupftabaksdose kann sein eine relative und eine positive.

Liebhaber. Relativ?

Vater. Allerdings. So lange die Dose noch unverkauft beim Fabrikanten steht, ist sie relativ; denn sie kann möglicherweise auch zu etwas Anderm, z. B. zu [19] Stecknadeln, benutzt werden, oder sie kann unverkauft stehen bleiben.

Liebhaber. Sehr wahr.

Vater. Eine positive Schnupftabaksdose aber ist eine solche, die voll Tabak ist, und aus welcher man wirklich schnupft.

Liebhaber. Wie interessant! Wie viele Leute laufen auf der Welt herum, die den Unterschied zwischen einer relativen und positiven Tabaksdose nicht kennen!

Vater. Der Tabak in der Dose ist ferner subjectiv oder objectiv.

Liebhaber. Subjectiv?

Vater. So lange er in der Dose für sich betrachtet, als Masse liegt, Feuchtigkeit anzieht oder vertrocknen läßt, ist er subjectiv –

Liebhaber. Und objectiv wieder, wenn man ihn zwischen die Finger nimmt und als Prise zur Nase führt?

Vater (fährt an die Nase, seufzend). Richtig!

Liebhaber. Jetzt sind wir am Ende!

Vater. Noch lange nicht. Wir theilen die Dosen nach ihrer Form ein, ob sie rund oder eckig sind, dies lehrt uns die Mathematik; wir theilen sie nach der Art und Weise ihrer Fabrikation ein, dies lehrt uns die Technologie; wir theilen sie nach dem Stoffe ein, aus welchem sie bestehen, dies führt uns auf Mineralogie, Papyrographie und Xylologie; wir theilen sie ein nach ihrem Inhalt, dies führt uns auf die Eigenschaften des Tabaks, also auf Toxikologie; bei dem Tabak kommen wir auf dessen Geschichte, also in die Historiographie, auf sein Vaterland, die Geographie, sein Wachsthum, die Botanik –

[20] Liebhaber. Hören Sie auf, hören Sie auf! Mich dünkt, ich bin jezt schon um ein gutes Stück gescheidter geworden. Mein Gott, wenn die Philosophie so viel über die Schnupftabaksdosen zu sagen weiß, so wird sie über wichtigere Dinge den höchsten Aufschluß geben.

Vater. Ja, die Philosophie ist die herrlichste Blüthe des menschlichen Geistes. Sie verleiht dem Menschen Weisheit und Charakterstärke. (Für sich) Hätte ich nur eine Prise.

Liebhaber. Kommen Sie, Herr Vormund, unterrichten Sie mich in den Grundzügen der Philosophie.

Vater. Das ist zu weitläufig.

Liebhaber. Wir haben Zeit.

Vater. Sie müssen erst Logik studiren.

Liebhaber. „Mein theurer Freund, ich rath’ euch d’rum zuerst collegium logicum.“ Richtig.

Vater. Sie müssen die coordinirten und subordinirten Begriffe unterscheiden lernen.

Liebhaber. Ich bin ganz Ohr.

Vater. Sie müssen die Prämissen und die Conclusio auffassen.

Liebhaber. Nur immer zu.

Vater (immer unruhiger). Das gibt erst einen folgerechten Schluß.

Liebhaber. Ich brenne vor Erwartung.

Vater. Dann kommt das Definiren.

Liebhaber. Fangen Sie an, fangen Sie an!

Vater. Das geht so rasch nicht!

Liebhaber. O, wir haben Zeit. Es ist jetzt drei Uhr: vor [21] zehn Uhr kommen Ihre Frau und Ihre Tochter nicht wieder, da können wir ein tüchtig Stück vorwärts kommen.

Vater. Sieben Stunden? (Für sich) Das halte ich nicht aus. Eine Prise muß ich haben, in meine Stube kann ich nicht, die Magd ist nicht da, eine Prise muß ich haben.

Liebhaber. Nun, Herr Vormund?

Vater. Ich überlege eben.

Liebhaber. Was?

Vater (wehmüthig). Bester Baron, ist es Ihr Ernst, daß Sie mir nicht von der Seite gehen wollen?

Liebhaber. Nicht eher, bis ich Ihre Einwilligung habe, mein Wort darauf, so wahr –

Vater. Schwören Sie nicht – nun denn – in Betracht, daß meine Tochter Sie liebt –

Liebhaber. Und ich Ihre Tochter.

Vater. Und daß die Gräfin Reh –

Liebhaber. Einen Andern geheirathet hat.

Vater. Und in Betracht –

Liebhaber. Noch vieler anderen Gründe – schießen Sie los!

Vater. Gebe ich meine Einwilligung.

Liebhaber. Topp?

Vater. Hier meine Hand! Mein Wort steht immer unerschütterlich fest.

Liebhaber. Bester Schwiegervater – (umarmt ihn) ich danke!

Vater. Schön, schön – jetzt geben Sie mir meinen Stubenschlüssel wieder.

Liebhaber. Hier! Was ist das – ist das Ihre Dose?

[22] Vater (ergreift sie hastig). Allerdings, meine Dose.

Liebhaber. Wie kommt die in meine Tasche!

Vater. Ja, das möchte ich auch wissen.

Liebhaber. Vermuthlich habe ich sie mit dem Schlüssel in der Zerstreuung eingesteckt.

Vater. Vermuthlich, vermuthlich! (Schnupft.)


Letzter Auftritt.
Vorige, die Mutter, die Tochter.

Mutter. Ergebenster Diener, Herr Baron!

Liebhaber. Guten Tag, Mütterchen.

Mutter. Nun, Mann, sollst du sehen! Heute Abend kommen meine beiden Oheime und deine drei Muhmen, meine vier Vettern und deine beiden Basen, die werden dir den Kopf schon zurecht setzen.

Liebhaber (spricht mit der Tochter). Wie ich sagte, Mütterchen, Sie können zu unserer Verlobung kommen!

Mutter. Tochter. Wie?

Liebhaber. Ja, der Vater hat seine Einwilligung gegeben.

Vater (hat stark geschnupft und niest jetzt).

Mutter. Ist es wahr?

Liebhaber. Er hat es beniest.

Mutter. Rede, Daniel, ist es wahr?

Tochter. Lieber, guter Vater!

Vater. Ja (niest, tritt zwischen beide Liebende und spricht im Kămpfen mit dem Niesen), da – – – nehmt Euch – – – seid glücklich – – – und (niest kräftiger).

Alle. Wohl bekomm’s!