Zum Inhalt springen

ADB:Becker, August

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Becker, August“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 309–315, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Becker,_August&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 17:39 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Becker, Albert
Nächster>>>
Becker, Clemens
Band 46 (1902), S. 309–315 (Quelle).
August Becker (Autor) bei Wikisource
August Becker (Autor) in der Wikipedia
August Becker in Wikidata
GND-Nummer 118850067
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|46|309|315|Becker, August|Ludwig Julius Fränkel|ADB:Becker, August}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118850067}}    

Becker: August B., Belletrist, wurde am 27. April 1828 im Marktflecken Klingenmünster in der südlichen Rheinpfalz geboren. Wie dem ganzen Heimathländchen, so hat B. dem Geburtsort zeitlebens treueste Anhänglichkeit bewahrt. Im Buche über die Pfalz (S. 424) heißts davon: „einer der Glanzpunkte der Pfalz in landschaftlicher Hinsicht, – und dies spricht der Verfasser nicht bloß aus natürlichem Gefallen an seiner Heimath aus“, und die Einleitung eines spätern Romans läßt den Knaben vom väterlichen Weinberg über den Weißenburger Gaisberg in der Ferne die Spitze des Straßburger Münsterthurms erkennen: [310] „macht, ihr Jungen, daß man von ihm wieder nur auf deutsches Land schaut!“, so wies der Vater, ein protestantischer Volksschullehrer, hin. Sagen und Märchen umspannen die kindliche Seele, die sich in der herrlichen Gegend frei erging und früh allerlei poetische Gebilde entwarf, besonders nachdem B. seit dem achten Jahre täglich zur Lateinschule in Bergzabern wanderte. Später kam er auf die dortige Präparandenanstalt, um sich zum Berufe des Vaters vorzubereiten. Eifrige Lectüre, stark Eindrücke Walter Scott’s, und eigene poetische Versuche drängten ihn von der ihm mißfälligen Laufbahn immer mehr ab, und als ein Drama wie eine Novelle Aufnahme in ein Taschenbuch und Beifall fanden, durfte er nach München zum Studium ziehen. Ende 1847 oder gerade im bewegten März 1848 traf er in der bairischen Hauptstadt ein, die nun zwei Jahrzehnte sein Wohnsitz sein, sein Geschick, seine Anschauungen bestimmen sollte. Nachdem er selbst seine Kenntnisse zur Reife für die Universität ergänzt hatte, trieb er an dieser philosophische Studien, hauptsächlich aber Geschichte, unter Neumann, Lindemann, Frdr. v. Thiersch. Letzterem, dem berühmten Humanisten, dem „Fragmentisten“ Fallmerayer, dann L. Steub, Moritz Wagner, den Künstlern Kaulbach, Schwind und Lachner trat B. nahe, der Vater der bekannten Schauspielerin Friederike Goßmann brachte ihn in einem Vereine mit den Dichtern Herm. Schmid, Plötz, Feldmann, dem Malerpoeten Ed. Ille zusammen, in einem andern lernte er Franz Trautmann und Georg Scherer, der ihm in Alter und Entwicklungsgang gleich war, kennen. Dieser Verkehr, das reiche Kunst- und Volksleben Münchens, die Nothwendigkeit eigenen Erwerbs stachelten ihn an, eifrig sein litterarisches Talent zu tummeln. In dem Münchner „Verein für deutsche Dichtkunst“ (seit 1848) übte B. mit J. Grosse, Lingg, C. W. Neumann, Hnr. v. Reder, H. Schmid, Ille, L. Wohlmuth erziehenden Einfluß auf einander, und das Jahrbuch des Vereins für 1851, „Von der Isar“, enthält von B. sechs Nummern elegische Lyrik, davon einige kurze Cyklen, drei romantische Sagen-Balladen, sowie „Der Hannewackel und seine Schwester. Dorfgeschichte aus der Pfalz am Rhein“, alles dort vergraben und auch in den Gattungen später niemals von B. aufgenommen. Die Leichtigkeit des Schaffens ist ihm von da an geblieben. Die Frucht von Bibliothekstudien war ein Schelmenroman, der ein Abenteurerleben vom Bauern- bis zum Dreißigjährigen Kriege im Tone jener Zeit behandelte: die 8 Bände Manuscript ließ er liegen, als er Druck und Publicum ins Auge faßte. Vielfach beschäftigten ihn damals litterarisch-kritische, culturhistorische, novellistische Arbeiten für Zeitschriften, so Dorfgeschichten aus der Heimath und historische Novellen, z. B. die Preiserzählung „Die Pestjungfrau“, ferner Beiträge zu den „Fliegenden Blättern“. Für den harmonischen Fortgang seiner Schriftstellerei und spätere Sorgenfreiheit wäre ein formeller Abschluß der akademischen Studien von Vortheil gewesen, doch Zwang, früh auf eigenen Füßen zu stehen, verhinderte einen solchen und fesselte wohl auch die ideale Dichternatur an die politische Publicistik. Seine Bekannten von damals, jetzt noch in der Erinnerung Hyac. Holland, kannten ihn schon als herzensguten gemüthvollen Menschen, doch empfindlich und vom ersten starken Erfolg arg eingenommen.

Während vier Monate 1852 nämlich schrieb B., durch eine Zeichnung Ludwig Richter’s – ein wandernder Geiger spielt trinkenden Bauern vor – am bez. im „Englischen Gatten“ „Jung Friedel der Spielmann. Ein lyrisch-episches Gedicht aus dem deutschen Volksleben des sechzehnten Jahrhunderts“, das der ganz neuromantischen Stimmung der Poesie jener Jahre entsprach und mit den, freilich weiter verbreiteten „Waldmeister’s Brautfahrt“ von Roquette und „Otto der Schütz“ von G. Kinkel ein Gegengewicht zu dem Tendenzerfolge von Redwitz’ „Amaranth“, seiner übertroffenen Vorlage, bildete. Obwohl die [311] Achtung vor dem hier bewährten Vers- und lyrischen Talente, zu der dies Werk B. rasch verhalf, ihm die Spalten der Zeitschriften öffnete, hat er, der so etwas seit Goethe nicht gedichtet wähnte, sich fürder, abgesehen von dem 1884 erneuerten „Liederhort aus Jungfriedel der Spielmann“, nur gelegenheitlich wieder in gebundener Rede gezeigt und sprang jetzt völlig in die Journalistik hinein. Seit 1855 arbeitete er fleißig für die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ Cotta’s, aus dessen für einen Anfänger höchst ehrenvollem Verlage 1854 Jung Friedel hervorgetreten war. Außer einem Bande, wol früher entstandener Novellen (1856) konnte er damals nur das gründliche ethnographisch-culturgeschichtliche Buch „Die Pfalz und die Pfälzer“ (1858) ausführen; es war aus einem Preisausschreiben König Max II. hervorgegangen, in dem das von dessen Beauftragten – die Sache verhielt sich ähnlich wie 1859 bei der vom König veranlaßten Dramen-Concurrrenz betr. Ludwig’s des Bayern (P. Heyse) – W. H. Riehl verfaßte Lebensbild „Die Pfälzer“ (1857 erschienen, aber von B. laut Vorwort „fast gar nicht mehr“ benutzt) siegte, und die touristische Erschließung der Rheinpfalz, durch entsprechende Vereinsbildung gestützt, knüpfte daran an. Aus den Flittermonaten der am 31. März 1859 mit Frieda, einer Tochter Georg Scheurlin’s, geschlossenen Ehe zur Redaction infolge der Kriegsereignisse von Tegernsee zurückgerufen, übernahm der unpolitische B. bald die Leitung der liberalen und großdeutsch-ministeriellen „Isar-Zeitung“ (seither „Bayerische Landbötin“), die täglich, zwei Mal wöchentlich mit dem Feuilleton-Beiblatte „Der Schatzgräber“, vom 1. Sept. 1860 bis 24. Aug. 1864 im Verlage der Hofbuchdruckerei von J. Rösl erschien. B. war bis 1. Juli 1864 Redacteur des die letzten zwei Jahre vergrößerten Blattes, das ihm viel Mühe und Aerger kostete und neben den zahlreichen von ihm verschlungenen Beiträgen zu nichts Größerem und Tieferem Muße ließ. Diese gewährte erst die Amtlosigkeit von 1864 an, theils wegen fachlicher Differenzen, theils, um unabhängig zu sein, von B. erlangt. Er galt in den ganzen Jahren als eine Hauptstütze des bairischen Litteratenkreises gegenüber den von König Max nach München „Berufenen“ und wie er einmal als Redacteur mit Dingelstedt als Intendanten wegen eines Recensentenplatzes collidirte, so gelegentlich eines Verbrüderungsfestes der „Autochthonen“ mit jenen „Nordlichtern“, infolge seines anonymen Gedichtes voll Lob der ersteren und Spott der zweiten, mit dem launigen Entlarver E. Geibel und dem Cirkel des „Krokodils“. In dies trat B., vielleicht wegen der damals relativen Unbeliebtheit der Pfälzer in München, nicht gleich seinen einstigen mitstrebenden Vereinsbrüdern bezw. bairischen Landsleuten C. W. Neumann, Lingg, dann Hopfen, M. Meyr, F. Dahn, ein; so kamen auch seine elf schwungvollen Strophen auf Schiller’s unvergängliche Geistesführerschaft, „Vive ut vivas“, zum 10. November 1859 neben Schmid, Bodenstedt, Heyse, Dahn, Grosse, Meyr wol nicht zu öffentlichem Vortrage und stehen schüchtern hinter diesen beim gemeinsamen Abdrucke „Schiller-Denkmal. Volksausgabe“ II (1860), S. 43–46. Seine Stimmung über die Situation spiegelte der vierbändige Roman „Vervehmt“ (1868), der, scharfe auf Persönlichkeiten des Münchner Hofs und der oberen Gesellschaft gedeutete Streiflichter werfend, außerordentliches Aufsehen erregte – in den fast zerrissenen Exemplaren der Leihbibliotheken wurden die angeblich gemeinten wirklichen Namen (Pocci, Jul. Braun, Buchhändler Oldenbourg u. a.) beigeschrieben – und im Januar 1868 des Verfassers dauernde Uebersiedlung nach Eisenach wenigstens mit beeinflußte. Vorher noch hatte B. sein Hauptwerk, den sechsbändigen culturgeschichtlichen Roman „Des Rabbi Vermächtniß“ (1866/67, neue Ausg. 1884), veröffentlicht, bedeutend und anerkannt, dann die „bescheidene Geschichte“ aus dem pfälzischen Wasgau „Hedwig“ (2 Bde., 1868), 1896, weil [312] jahrelang vergriffen, von der Familie Becker’s erneuert. Dabei hat das Versprechen seines nunmehrigen Verlegers, des bekannten Besitzers der „Deutschen Romanzeitung“ Otto Janke in Berlin, die Wahl dieses norddeutschen Wohnsitzes mit bestimmt.

Die Uebersiedlung aus der geistigen Atmosphäre Isar-Athens, wo B. mit Männern aus Rich. Wagner’s Kreis, mit Jul. Fröbel, Pet. Cornelius, Aug. Röckel, verkehrte, nach den kleinen Verhältnissen und Gäßchen der Thüringer Beamtenstadt fiel ihm, mitten im Winter zumal, schwer genug. Trotzdem hat B. sich dort bald eingewöhnt; fand er doch außer Fritz Reuter und dem Germanisten Koch einen freundlichen Gönner am Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar, der oft auf der Wartburg Hof hielt und in seiner Umgebung oft Bodenstedt, Franz Liszt, den Maler Kalkreuth, den Intendanten Baron Loën hatte; so verlebte B. genußreiche Stunden in dem ungezwungenen Kreise des bildungsbegeisterten Fürsten, die der deutsch-französische Krieg unterbrach. Der Rückfall des Elsasses an das neue Reich erweckte in B. Erinnerungen an seines Vaters und seine jugendlichen eigenen Wünsche, und der vierbändige Roman „Das Thurmkätherlein“ (von Herlisheim) mit dem cultursatten Elsässer Schauplatze vor 400 Jahren erstand jetzt 1871 aus dem jahrelang ruhenden Plane, begleitet von einer Einleitung, die sich kundig und freudig über deutsche Art und Ueberlieferung der wieder gewonnenen Landschaft verbreitet. Die fünfjährige Pause seit diesem Werke und der gleichzeitigen Veröffentlichung der, einer wahren Entwicklungsphase eines Träumereien überwindenden Künstlers nacherzählten Geschichte vom Starnberger See „Der Nixenfischer“ verschuldete ein langwieriger Proceß mit dem genannten Verleger betreffs des Urheberrechts, für B. ungünstig endend. Seit 1876 war er wieder recht fruchtbar und zwar ausschließlich auf erzählendem Gebiete. Er bewegte sich dabei zwar, die zuletzt (1891) gedruckten zwei Novellen aus der Geschichte der Rheinpfalz „Vor hundert Jahren“ (1886 verfaßt), abgerechnet meist in Norddeutschland, hie und da mit mitteldeutscher Scenerie, gab jedoch nie das bairische Indigenat auf und sah nachher seinen Wunsch erfüllt, daß sich seine Söhne (drei wurden Officiere) im Heimathslande ansässig machten. In Eisenach wohnte er jedoch dauernd und ließ sich nicht, wie da und dort zu lesen steht, 1875 zu Landau nieder; er betrat überhaupt die pfälzische Muttererde nur zwei Mal vorübergehend und starb auch, nachdem er als letzten Versuch der Heilung von kurzen, aber schweren Leiden eine harte Operation überstanden hatte, am 23. März 1891 zu Eisenach.

Zwei Mal ist es B. gelungen, in der deutschen Leserwelt und im ganzen auch bei der Kritik nachhaltigen Eindruck zu machen: in der Jugend mit „Jung Friedel“, in reiferen Jahren mit einer Reihe anmuthiger Erzählungen, deren Naturhintergrund oder cultur-historische Züge verdientermaßen ansprachen. Erstere Dichtung war ein sehr geschickter Wurf mitten in einem Decennium, dem Gedankentiefe und Problemernst für die Poesie gleichsam inofficiell verboten war. Mit ihr wird er, voran unter den deutschen Sängern (einzelne Lieder 10–20fach componirt), fortleben; sie besitzt aber auch in der That wirkliche poetische Tugenden, die ihr bis dato noch bei sämmtlichen Verfassern litterarhistorischer Handbücher eine lobende Note sicherten. Beispielsweise räumt ihr Heinr. Kurz’ große „Gesch. d. dtsch. Litt.“ (IV, 450–52) für Inhaltsauszug und Probeabdruck einen auffällig breiten Raum ein, auffällig schon deshalb, weil Kurz (1872) von des Dichters Lebensumständen oder sonstigen Werken „nichts weiter bekannt geworden“ ist (vgl. aber ebd. S. 4a, 30b, 687a, 698b). Auch anderwärts steht, sobald auf B. die Rede kommt, die „mit prächtigen Liedern durchsetzte poetische Erzählung, der leider keine zweite gefolgt ist“ (Ad. Stern), im Vordergrunde. Leugnet auch keine gründlichere Prüfung, daß das Werk von [313] der technisch-epischen Seite mißglückt ist, indem die zu breite Handlung eines befriedigenden Schlusses entbehrt, so hebt ein anderer Litterarhistoriker hervor, wie diese „Dichtung reich geschmuckt ist mit den blitzenden Diamanten der kleinen, in dem frischen, kecken Tone des Volksliedes aus tiefstem Gemüthe gesungenen Lieder“. Und als nach dreißig Jahren Jungfriedel, diesmal aber nur mit dem „Liederhort“ im Ranzen ohne die romantischen Episoden und Culturbilder, eine neue Fahrt antrat, um sich der Vergangenheit zu entreißen, fand man sich durch die balladenähnlichen Stücke an Meister Uhland erinnert, die Gedichte und Sänge aus dem Landsknechtleben des 16. Jahrhunderts über der Schablone der archaistisch-deutschthümelnden Richtung, die, nach Paul Heyse, nur ihr Licht auf den – Scheffel stellen, und so bezeichnete eine Parallele in der „Deutschen Romanzeitung“ Becker’s Jungfriedel-Stil natürlicher, männlicher, ganz anders volksthümlich und in dieser Hinsicht tiefer gegründet als der seines jüngeren glücklicheren Nachfolgers Jul. Wolff.

Trotz aller hochlöblichen Eigenschaften und des anfänglichen Eindrucks dieses lyrischen Epos – es „würde in seiner lieblichen Fische, seinem kecken naturwüchsigen Humor und seinem melodischen Tonfall („die Componisten wissen schon lange, welch eine Fundgrube es für sie ist“, bemerkte 1884 die „Tägliche Rundschau“) genügen, dem Verfasser einen hohen Rang auf dem dichterischen Parnaß einzuräumen“ (so bei Bornmüller, s. u.) – gerieth es hinter Beckers’s Prosaepik bald ganz in den Schatten, so daß, außer O. v. Leixner, Gesch. d. dtsch. Litt.² S. 1042, ein so weit ausgreifendes Handbuch wie R. Gottschall’s „Deutsche Nationallitteratur des 19. Jahrhunderts“ noch 1881 in der 5. Auflage (IV, 151) nur die Romane behandelt – erst in der 6. Auflage 1891/92, wo die Romane IV, 516 f. besprochen werden, ist III, 423 f., mit scharfem Tadel nach epischem wie lyrischem Maßstabe, „Jungfriedel“ nachgetragen – mit Hervorhebung der aberkannten Besonderheit der B.’schen Erzählungen, des herzenswarmen Localcolorits (s. R. M. Meyer, D. Litt. d. 19. Jhs.² S. 230. Phantasie, Lebendigkeit und Frische im Schildern bethätigt er überall; öfters zieht er abenteuerliche oder antiquarische Züge etwas gesucht herbei, wofür der Roman „Die graue Jette“, sein letztes selbstveröffentlichtes Erzeugniß (1890), ein Muster bildet. Als Hauptwerke stellen wir voran: „Des Rabbi Vermächtniß“, „Vervehmt“, „Das Thurmkätherlein“, „Meine Schwester“. Letzterer vierbändige Roman (1876), „von trefflicher Anlage und Charakteristik“, nach dem stürmischen Vorspiel des 1848er Lola Montez-Scandals in einer „Umrahmung anmuthiger Arabesken … eine Herzensgeschichte, der es an erschütternden Gefühlsmomenten nicht fehlt“ (Gottschall), blieb als erster der geplanten vier Theile eines Cyklus „Das Johannisweib“ wegen der erwähnten Mißhelligkeiten mit Janke isolirt; dieser Cyklus sollte, damit unwillkürlich an Zola’s „Les Rougon-Macquart“ erinnernd, das Schicksal einer rheinpfälzischen Familie vom Ende der vierziger Jahre bis 1870 behandeln. Ferner sind nennenswerth „Maler Schönbart“ (3. Aufl. 1878), „Franz Staren“ (3 Bde., 1879) und die Nummern 5 und 75 der „Collection Spemann“, „Auf Waldwegen“, das Eisenacher Milieu mit seiner Naturschönheit erklärend, und „Das alte Bild“, das alle Kennzeichen seiner spätern Periode trägt; harmloses Fabuliren, einfache Composition, leichte Ver- und Entwicklung, nord- und süddeutsche Sphäre und Menschenart kreuzt sich, Autobiographisches, gern dazumal Münchner Reminiscenz (vgl. S. 38 f. die oberbairische Gebirgstour; in „Vor hundert Jahren“, S. 213, tritt der Verf. in erster Person in der engsten Heimath auf und spricht dortigen Dialect, „aber mit altbayerischem Beigeschmack, als ob er lange in München gelebt hätte“) wirbeln dazwischen, und das Ganze ist halb unmerklich in die Form des Ich-Romans eingekleidet, wobei gern Episoden (z. B. S. 54 Fußnote) als „verbürgtes Erlebniß“ des Verfassers auftreten. In dem ergiebigen letzten Decennium seines [314] Lebens und Schaffens herrscht bei B. die mitteldeutsche Scenerie mit ständigen Ausblicken nach Süden und Norden, Landschafts-, kleinbürgerliche Menschen- und Culturbilder beider wiederholt abspiegelnd. Das Personenmaterial ist im ganzen das übliche. Mancherlei, was er da an novellistischen Kleinigkeiten, und auch schon früher, veröffentlicht hat, ist, weil in Zeitschriftenbänden („Ueber Land und Meer“ u. a.) vergraben, wohl heute halb verschollen. Mit Unrecht! Erfindungsgabe, spannende, Effecthascherei verschmähende Darstellung, gewandter, inniger Ausdruck zeichnen seine erzählenden Spenden alle aus und erheben sie über zahllose gleichzeitige Erscheinungen, denen durch Cliquen- oder Verlegerreclame u. ä. der Stern des Mammon-Erfolges weit heller leuchten sollte. Uebrigens hat B. in den sechziger Jahren zahlreiche Adventgeschichten und Weihnachtsmärchen als „Gottlieb Gutfreund“ veröffentlicht. In der ihm ewig dankbaren Pfalz beabsichtigt man seit längerem, seit 1899, unter Agitation des „Vereins pfälzischer Schriftsteller“, B., der das Heimathländchen so vielfach verherrlicht hat, ein Denkmal oder eine Gedenktafel bei Klingenmünster zu setzen; zum Fonds soll der Abdruck einiger Novellen, die noch nicht in Buchform erschienen, z. B. „Chronik eines Hirtenhauses“, einzelner Märchen und ungedruckter „Wasgaubilder“ (betreffen den südlichen Wasgenwald) beisteuern.

Eines Verzeichnisses der oben nicht genannten erzählenden Schriften Aug. Becker’s überheben uns die in Kürschner’s Litteraturkalender bis 1891 (XIII. Jhrg. II, S. 45 f.) und bei Brümmer, Lexik. d. dtsch. Dchtr. u. Pros. des 19. Jhrhs.4 I, 88 f. gegebenen, nicht ganz vollständigen Listen. Bei Brümmer, bei Bornmüller, Schriftsteller-Lex. S. 56, Hinrichsen, Das litterarische Deutschland² (1891) S. 83 f., Brockhaus’ Conversationslexikon14 II, 611 (vom Unterzeichneten, authentisch), A. de Gubernatis, Diction. international des écrivains du jour (1891), S. 223b, Lebensabrisse mit charakterisirenden Glossen. Weiter konnten für vorstehenden Artikel benutzt werden: Kritiken über „Jungfriedel“ in der Verlags-Festgabe von A. G. Liebeskind, „Neue deutsche Dichter und ihre Werke“ S. 55 f., durch die J. G. Cotta’sche Buchhandlung, der nun „Jung Friedel“ und der „Liederhort“ gehören; Notizen des jüngsten Sohnes Aug. Becker’s, Dr. med. Karl B. in Lambsheim (Pfalz), nebst einem verständigen Nachrufe im „Eisenacher Tageblatt“ vom 25. März 1891 (B. war aber nicht Dr., erwarb sich überhaupt nie Titel oder Orden); L., „Der pfälzische Verschönerungsverein“, Münchn. Neueste Nachr. Nr. 363 v. 9. Aug. 1899, S. 9; Jos. Kürschner’s Einleitung zu Becker’s „Auf Waldwegen“ (1881), S. 5–8 (über diese Novelle, dazu kurze Bio- und Bibliographie); Cajus Möller, „‚Autochthonen‘ und ‚Nordlichter‘ in München, Täglch. Rundschau, Unterhaltungs-Beilage v. 1. Nov. 1899 Nr. 257, S. 1027 f. (vom Verf. übersandt); ausführlicher, panegyrischer Aufsatz über B. von Neumann-Strela i. d. „Tägl. Rundschau“ v. 16. u. 17. Aug. 1883 (in einer von Dr. K. B. ergänzten Copie). Vergleiche ferner: Karpeles. Allg. Gesch. d. Litt. II, 653; Vilmar-Stern, Gesch. d. dtsch. Nationallitt.22 (1886) S. 621 („Das Johannisweib“ ist aber unvollendet); L. Salomon, Gesch. d. dtsch. Nationallitt. d. 19. Jahrh.² S. 510 u. 51Z; Ad. Bartels, Die dtsch. Dichtung der Gegenwart² (1899) S. 89 u. 101; die Denkmalsangelegenheit verzeichnet z. B. „Litterar. Echo“ II (1899), Nr. 3, S. 215. Mittheilung persönlicher Eindrücke durch Prof. Dr. Hyac. Holland in München.

R. M. Werner, Lyrik u. Lyriker (1890) S. 606, bemerkt zu der Möglichkeit, daß ein Dichter zu einer bestimmten Stelle ein nöthiges lyrisches Gedicht nicht „unter dem eigenen oder fremden Vorrath“ findet, und drum „befreundete Dichter bittet, ihm mit ihrer Kunst beizuspringen“: „so hat es August Becker bei seinem ‚Jungfriedel‘ gemacht, Storm, Heyse wurden in Contribution gesetzt, um die lyrischen Einlagen zu dichten“. Diese Notiz, die [315] Becker’s Hauptruhm aufheben und ihm den „Liederhort“ ganz rauben würde, ist nicht etwa uncontrolirbar, wie die Gottschall’s a. a. O.6 IV, 141 (5 IV, 76): „Eine mittelalterliche Tragödie von Julius Minding: ‚Papst Sixtus V.‘ (1846, an die Hoffnungen bei Pius’ IX. Thronbesteigung anknüpfend) erschien [1870] in einer neuen Bühnenbearbeitung von A. Becker und C. Rainer“), sondern eine völlig unbelegte Angabe, die übrigens P. Heyse, J. Grosse, H. Holland im Jahre 1900 brieflich für ganz grund- und sinnlos erklärten.