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ADB:Osiander, Andreas (Professor der Theologie)

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Artikel „Osiander, Andreas“ von Wilhelm Möller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 473–483, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Osiander,_Andreas_(Professor_der_Theologie)&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 14:45 Uhr UTC)
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Osiander: Andreas O. ist nach der gewöhnlichen Angabe am 19. Decbr. 1498 zu Gunzenhausen an der Altmühl im fränkisch-brandenburgischen Gebiete geboren, als Sohn eines gleichnamigen Schmieds und dessen Ehefrau, einer geborenen Herzog. Indessen nennt ihn der mit ihm von frühauf bekannte Joh. Eck eines Schmieds Sohn, bei dem Kloster Ahausen im Dorf geboren, Vater und Mutter hätten sich mit ihrer Arbeit beim Kloster genährt. Gemeint ist hier die Benedictinerabtei Ahausen (Auhausen, Ohawsen) an der Wörnitz unweit Wassertrüdingen, also wenige Stunden von Gunzenhausen entfernt, wo 1608 die protestantische Union geschlossen wurde, jetzt Pfarrdorf Auhausen. Da im Städtekrieg (1450) die Schirmgerechtigkeit an die Markgrafen von Brandenburg übergegangen war, so bestünde damit Osiander’s eigene Aussage, wenn er später den Herzog Albrecht von Preußen als geb. Markgrafen von Brandenburg seines Vaterlands, darinnen er geboren und erzogen, rechten natürlichen Herrn nennt *). Den Namen Osiander, der vielfach und wahrscheinlich richtig = Hosiander, Heilmann gedeutet wird, von andern aber als halb gräcisirende Umbildung eines deutschen Namens, Hosmann, Hosanderle, d. i. Hos Andreas (wie der Vater genannt worden sei) angesehen wird, hat nach Osiander’s Versicherung schon sein Vater und Großvater getragen. Wenn das richtig, so möchte man, da der Vater ein Handwerksmann, außerhalb der gebildeten Kreise stand, auf die Vermuthung kommen, daß besondere Umstände im Leben des Großvaters ihm den auffallenden Namen eingetragen hätten. Die Angaben über die jüdische Abstammung Osianders legen, falls ihnen Wahrheit zu Grunde liegt, die Annahme nahe, daß der Großvater ein getaufter Jude gewesen und bei seiner Bekehrung ihm der Name beigelegt sei. Doch sind jene zu unsicher, um mehr als Muthmaßung zu gestatten.

In Gunzenhausen – mag nun sein Vater immer da gelebt haben oder von Ahausen dahin übergesiedelt sein – ist O. jedenfalls als Kind unbemittelter und einfacher Leute aufgewachsen, der Vater aber soll es hier zur Stellung eines Rathmannes gebracht haben. Der Sohn wurde dann auf die Schule nach Leipzig und Altenburg geschickt und hat wie Luther vor den Thüren gesungen. Dann besuchte er die Universität Ingolstadt als Informator vornehmer Zöglinge. Hier, wo Joh. Eck seit 1510 wirkte, hat er den Grund gelegt für die ihn auszeichnende vielseitige (humanistische) Bildung; es war der Beginn der humanistischen Glanzperiode Ingolstadts (Jacob Locher!). Insbesondere hat er hier den Grund für die ihn auszeichnende Kenntniß des Hebräischen gelegt, wofür seine Beziehungen zu Böschenstein, der bis 1517 in Ingolstadt lebte, wichtig waren; ebenso muß er dort seinem Landsmann im engeren Sinne, Joh. Peurle (Ammonius Agricola) aus Gunzenhausen, der seit 1515 dort Lehrer der griechischen Sprache und Litteratur war, nahe gestanden haben; denn derselbe mußte später, als er zum Vorstand der Drachenburse gewählt wurde, den Verkehr mit dem inzwischen zum Ketzer gewordenen O. abschwören (Prantl, Gesch. der Universität Ingolstadt I, 149). Dagegen hat O. dem schulmäßigen Gang des theologischen Studiums fern gestanden, einen theologischen Grad nicht erworben. „Ex schola Prisciani hat er sich geschlungen in die Schule Pauli“, wie Eck später dem „selbstgewachsenen Theologus“ vorwirft. Im J. 1520 empfing O. in Nürnberg die Priesterweihe und wurde Lehrer der hebräischen [474] Sprache bei den Augustinern; eine Frucht seiner Studien war die Herausgabe einer lateinischen Bibel, eines nach dem Grundtext und der griechischen Uebersetzung verbesserten Vulgatatextes. Seinen Unterhalt gewann er noch durch Lesen von Privatmessen. Aber er war in Nürnberg auf einen Boden gekommen, auf welchem die religiösen Bewegungen bereits die Gemüther mächtig erfaßt hatten; er kam in Berührung mit jenem Kreise großentheils humanistisch interessirter hervorragender Männer, welche um die mystische lebendige Frömmigkeit und die feine Natur Staupitzen’s sich in Verehrung sammelten, mit den Wittenbergern in lebhaftem Verkehr standen und den ersten Schritten Luther’s mit lebhaftester Theilnahme folgten; zugleich auf den Boden des reichen, kräftigen und vielseitig bewegten Lebens der blühenden Reichsstadt, das den populären Antrieben der Reformationszeit sich äußerst empfänglich öffnete (s. Fr. Roth. Die Einführung der Reformation in Nürnberg, Würzburg 1885). Gerade das Augustinerkloster unter dem Prior Wolfgang Volprecht, wo Luther’s Freund Wenc. Linck schon damals eine Zeit lang lebte, war ein Herd der neuen Ideen. Der Rath besetzte – nach seinem Recht – die Propsteien der beiden Pfarrkirchen St. Lorenz und St. Sebald mit Männern der neuen Richtung, und O. ward 1522 von dem neuen Propst Pömer zum Prädicanten an St. Lorenz angenommen und gewann schnell bedeutenden Zulauf; bald gehört er zu den Führern der Bewegung, voll starken Selbstgefühls im Bewußtsein ungewöhnlicher Begabung, eigenthümlicher religiöser Entwickelung und selbsterworbener theologischer Einsicht, leidenschaftlich, rücksichtslos, im Einvernehmen mit Laz. Spengler und selbst auch noch mit Pirkheimer, der ihn noch 1523 dem Erasmus lobt. Der zum Reichstag von 1522/23 nach Nürnberg kommende päpstliche Legat Chieregati hatte schon Ursache, sich über Osiander’s heftige Predigten gegen den Papst und die Marienverehrung zu beschweren, und benutzte zugleich die Gerüchte von seiner jüdischen Abstammung gegen ihn, wofür seine hebräischen Kenntnisse und die dunkele Gesichtsfarbe die Handhaben boten. Als beim Reichstage des folgenden Jahres die Wogen der Bewegung schon so hoch gingen, daß in beiden Pfarrkirchen großen Scharen das heilige Abendmahl unter beiderlei Gestalt ausgetheilt wurde, stand O. auf der Höhe der Bewegung und im Vollgefühl des Siegs. Schon am Tage nach dem mit absichtlicher Vermeidung alles Gepränges vollzogenen Einzuge des Legaten Campegius, der Nürnberg schon für eine dem Papste verlorene Stadt ansah, hatte O. von der Kanzel gegen den päpstlichen Antichrist gepredigt: „Da der Kaiser Constantinus ist von Rom gezogen, ist der Antichrist eingezogen“. In der Charwoche predigte er über die Leidensgeschichte so, daß er in dem Christus zum Tode bringenden jüdischen hohen Rath die päpstliche Hierarchie, in dem Verräther Judas die päpstlich gesinnten Theologen abgeschildert fand. In derselben Zeit empfing die Königin Isabella von Dänemark (Gemahlin des vertriebenen Christian II. und Schwester Karls und Ferdinands) aus Osiander’s Hand das Abendmahl unter beiderlei Gestalt. Der im Reiche Hilfe für seine Bedrängniß suchende Hochmeister des deutschen Ordens, Markgraf Albrecht empfing in Nürnberg von O. entscheidende Eindrücke.

Bei den vorwärts drängenden Schritten, wie bei deren Vertheidigung gegen die Maßregeln des Bamberger Bischofs, stand O. den beiden Pröpsten der Pfarrkirchen als bedeutendste Kraft zur Seite, wie er auch bei der von ihnen veröffentlichten Rechtfertigungsschrift (Grund und Ursach etc., 1524) wesentlich betheiligt erscheint (S. 27). Als dann im Hinblick auf die in Aussicht genommene Nationalversammlung zu Speier zur Erörterung der religiösen Frage Markgraf Casimir von Brandenburg mit seinen Nachbarn, der Stadt Nürnberg und dem Grafen Wilhelm von Henneberg, sich über 23 Fragartikel einigte, über welche Gutachten aufgestellt werden sollten, lieferte O. in Gemeinschaft mit seinen Amtsbrüdern [475] Dominicus Schleupner und Venatorius den am entschiedensten vorgehenden Rathschlag. Es ist die bedeutende Schrift: „Ein gut Unterricht und getreuer Ratschlag aus heiliger göttlicher Schrift, wes man sich in diesen Zwietrachten, unsern heiligen Glauben und christliche Lehre betreffend, halten soll. Darinnen – was Gottes Wort und Menschenlehr, was Christus und der Antichrist sei, fürnehmlich gehandelt wird“, 1524. Sie ist Osiander’s eigenstes Werk, in welchem seine eigenthümliche von einer starken Ader speculativer Mystik durchzogene Theologie sich mit großer Sicherheit und Selbständigkeit ausbreitet, aber freilich auch mit Verkennung der Grenzen zwischen einem populären Bekenntniß und einer individuellen Theologie (vgl. S. 24–44 und Heberle in den Stud. und Krit., 1844, S. 371 ff.). Ungefähr um dieselbe Zeit schüttete O. seinen ganzen Zorn gegen die den evangelischen Bestrebungen feindseligen Mönche, insbesondere die Bettelmönche aus, indem er den Brief des bambergischen Hofmeisters Joh. v. Schwarzenberg an seinen Bischof, worin dieser rechtfertigte, daß er seine Tochter wieder aus dem Kloster genommen, herausgab mit einer langen Vorrede, „darinnen die Mönche ihres zukünftigen Unterganges erinnert und ernstlich gewarnt werden“. Diese gestaltet sich in Form einer allegorischen Schriftauslegung zu einer äußerst heftigen Bekämpfung des kirchlichen Systems, deren scharfer Ton das Misfallen des vorsichtigen Raths erregte. Endlich aber war O. der ausschlaggebende Sprecher der evangelischen Partei auf dem durch die städtische Obrigkeit in den Fasten 1525 veranstalteten Religionsgespräch, welches über die religiöse Stellung der Stadt entschied, sowie zunächst über das Schicksal der Klöster. Im Spätherbst desselben Jahres that O. dann den für seine persönliche Stellung entscheidenden Schritt der Verheirathung.

Die Anfänge der religiösen Umwandlung hatten sich nun aber vollzogen mitten unter den politisch-socialen Bewegungen der Bauernunruhen, welche auch Nürnberg bedrohten und in der städtischen Bevölkerung viel Zündstoff fanden. O. an der Spitze der religiösen Freiheitsbewegung sah sich ähnlich wie Luther genöthigt, gleichzeitig Front zu machen gegen diese Umsturztendenzen, welche die Sache der religiösen Erneuerung zu compromittiren und in verhängnißvolle Bahnen zu treiben drohten. Wie unter den Bauern eine Zeit lang die Hoffnung herrschte, die Reichsstadt für ihre Sache zu gewinnen, so erscheint in der Schrift: Handlung, Ordnung und Instruction so fürgenommen worden sein von allen Rotten etc. (Strobel, Beiträge z. Litt. II, 30) der Vorschlag eines Schiedsgerichtes über die Forderungen der Bauern unter Ferdinand, dem Kurfürsten von Sachsen, Nürnberg u. a. und mit Heranziehung ihrer christlichen Lehrer, und hier wird nach Luther etc. auch Osiander’s Name genannt. Der Rath von Nürnberg, der es verstand, durch kluges Laviren bei starker Nachgiebigkeit in manchen Dingen doch das Heft in der Hand zu behalten, forderte in dieser Zeit die Prediger ausdrücklich auf, die „Freiheit eines Christenmenschen wohl zu verdeutschen und zu zeigen, daß die Freiheit, so durch das Blut Christi erlangt, sich nicht auf die äußerlichen Bürden und Schulden ziehen lasse“ (Roth a. a. O. S. 165). Infolge dessen hielt O. am Sonntage Lätare 1525 eine bald darauf in Druck gegebene Predigt über Matth. 17, 24–27 72 ff.) welche dem in trefflicher Weise entsprach. – Nicht minder aber zeigte sich die klare Sonderung der evangelischen Anschauungen Osiander’s von den radicalen der Schwärmer Münzerischer Richtung in dem Gutachten gegen die Schriften des um diese Zeit (Octbr. 1524) in Nürnberg erscheinenden Heinrich Pfeifer, gen. Schwertfeger (S. 63 ff.). Wie hierin O. im Wesentlichen auf demselben Boden steht mit Luther, so finden wir ihn auch bereits eines Sinnes mit ihm in der Bekämpfung einer blos symbolischen Auffassung des heil. Abendmahls, wie das Gutachten über den Maler Greiffenberger zeigt (S. 66 ff.). Dem in den [476] nächsten Jahren wachsenden Einfluß Zwingli’s in Oberdeutschland bemühte sich O. nach Kräften entgegenzuwirken. Man predigte in Nürnberg eifrig gegen die Lehre der Schweizer, ohne Zweifel auf Anregung der Prediger ließ der Rath Zwingli’s und Oekolampad’s Schriften in Nürnberg nicht zu. Dann zog Laz. Spengler O. heran, um den ihm befreundeten Billican in Nördlingen von seiner Hinneigung zur Zwingli’schen Auffassung zurückzubringen. Jetzt (Frühjahr 1527) wandte sich Zwingli selbst in einer ausführlichen brieflichen Darlegung an O., welche O. mit einer schroffen und groben zurückweisenden Erwiderung in Druck gab (Epistolae duae etc. S. 85 ff.). Die Kluft wurde unüberbrückbar. Die kirchenpolitischen Wünsche und größern Gesichtspunkte des Landgrafen Philipp führten zwar zu dem Marburger Gespräch (Octbr. 1529), zu welchem er neben den Wittenbergern auch Brenz und O. einlud; aber O., obwol er die Auszeichnung gewiß zu schätzen wußte, versprach sich doch einen reellen Erfolg davon ebensowenig wie Luther, da er sich einen solchen nur so denken konnte, daß die Schweizer ihre Lehranschauung aufgäben.

Die Nothwendigkeit, sich nach verschiedenen Seiten abwehrend zu verhalten, hinderte übrigens O. nicht, auch ferner römische Kirche und Papstthum in entschiedenster Weise zu befehden. In origineller Art ist dies geschehen in einer Schrift, zu welcher er sich mit Hans Sachs verbunden und überdies die Hülfe des Holzschneiders in Anspruch genommen hat. Er ließ eine ältere „Prophecey im Bilde (ohne alle Wort) gestellt“, von der sich ein Exemplar im Karthäuserkloster, das andere in der Rathsbibliothek fand, im Bilde reproduciren, gab eine Erklärung dazu, deren Summa Hans Sachs in kurze Reime faßte: „Ein wunderliche Weissagung von dem Papstthum, wie es ihm bis an das Ende der Welt gehen soll etc.“, 1527 (S. 97 ff.). Ohne Zweifel ist schon der ursprüngliche Sinn dieser Bilder eine Polemik gegen die Verweltlichung des Papstthums, wahrscheinlich drücken sich in ihnen, die aus dem Jahre 1278 stammen sollten, joachimitische Ideen von einem Gericht über das Papstthum und einer Reformation durch das lautere Mönchthum aus; es wurde O. nicht schwer, sie frischweg auf Luther’s Werk zu deuten, eine ohne Zweifel nach Geist und Stimmung der Zeit höchst wirkungsvolle Art der Polemik, die aber von Seiten des maßvollen und vorsichtigen Raths dem Drucker wie dem Theologen und Dichter eine Rüge zuzog.

Andererseits machte sich das Bedürfniß einer positiven Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse immer gebieterischer geltend. Nach dem Tode des Markgrafen Casimir verband sich dessen Bruder und Nachfolger mit der Reichsstadt Nürnberg zu einer gemeinsam abzuhaltenden Kirchenvisitation in den benachbarten Gebieten. Hierfür waren von Seiten der markgräflichen Theologen Artikel (d. h. Bezeichnung der Punkte, auf welche sich die Visitation richten sollte) gestellt, welche dann von O. und Schleupner inhaltlich entwickelt wurden: die sog. Schwabacher Visitationsartikel von 1528 (bei v. d. Lith, Erläuterung der Reformationshistorie, Schwabach 1733, S. 247 ff. u. ö.; nicht zu verwechseln mit den Schwabacher Artikeln, welche der Augsburgischen Confession zu Grunde liegen). Hieran und an die 1528 und 1529 gehaltene Visitation schlossen sich jahrelange Bemühungen und Verhandlungen behufs Herstellung einer Kirchenordnung, bei denen die evangelischen Prediger Nürnbergs mit der eigenwilligen und hektischen Natur Osiander’s in manche Reibung geriethen, O. aber schließlich doch als die bei weitem bedeutendste theologische Kraft in Gemeinschaft mit dem durch Markgraf Georg hinzugezogenen Brenz den Abschluß der brandenburgisch-nürnbergischen Kirchenordnung zu Stande brachte, welche 1532 im Druck erschien, aber mit der Jahreszahl 1533, da sie [477] vom ersten Tage dieses Jahres in Nürnberg gelten sollte. Dies geschah also, nachdem durch den sogenannten Nürnberger Religionsfrieden die gefahrvolle Lage der Augsburgischen Confessionsverwandten, wie sie seit der Speierschen Protestation sich gestaltet hatte, friedlicheren Verhältnissen gewichen war. In jener gefahrvollen Zeit, wo angesichts des bevorstehenden Augsburger Reichstags die Möglichkeit des gewaltsamen Vorgehens des Kaisers sich zeigte, und wo auf den Conventen der protestantischen Partei (Schwabach, Schmalkalden) die Frage aufgeworfen wurde, ob man äußersten Falls zu bewaffneter Gegenwehr gegen den Kaiser berechtigt sei, wie Philipp von Hessen und auch die juristischen Rathgeber des Kurfürsten von Sachsen behaupteten, Luther aber und die meisten der evangelischen Theologen bestritten, finden wir O. auf ersterer Seite. Er trennte sich hier nicht nur von Luther, sondern auch von Laz. Spengler, der in dieser Frage schon durch die traditionelle Stellung der Städte zum Kaiser bestimmt war. „Es scheine als wolle man aus dem Kaiser einen Gott machen“, äußerte er und erbot sich zu einem schriftlichen Gutachten (S. 126). Dieses halte ich mich für berechtigt, in einem „theologischen Rathschlag von Nürnberg“ wiederzufinden, der uns anonym (bei Hortleder, Ursachen des teutschen Kriegs II, I, 7 ff.) erhalten ist, und dessen Grundgedanken darüber, „daß nicht alle, sondern nur die ordentliche Gewalt von Gott, und daß deswegen die untere Obrigkeit im Reich wohl befugt, wider die unordentliche Gewalt der Oberen in Glaubenssachen ihre Unterthanen zu schützen“ in späteren Aeußerungen Osiander’s entschieden wiederklingen. Während des Augsburger Reichstags wurde auch O. für einige Zeit von seiner Obrigkeit dorthin gesandt, wie es scheint erst nach der Uebergabe der Confession (s. Herzog’s Realencycl. 2. A. II, 121. Anm.). Er verkehrte dort mit den Theologen, war aber über die Zaghaftigkeit Melanchthon’s sehr unwillig; Melanchthon aber hatte Grund, sich von Osiander’s persönlichem Verhalten unangenehm berührt zu fühlen. Nach Nürnberg zurückgerufen, setzte dann O. wol nach den Aufzeichnungen, welche Camerarius bei Anhörung der päpstlichen Confutationsschrift gemacht hatte, eine Apologie auf, welche noch unter der Voraussetzung, daß der Kaiser noch eine Beantwortung der Confutatio annehmen würde, als Rathschlag des Nürnberger Theologen an Melanchthon gesandt wurde. Beachtenswerth ist in dieser Apologie die Entschiedenheit, mit welcher das katholische Autoritätsprincip bekämpft und deshalb am römischen Begriff der Kirche getadelt wird, daß für den Begriff der sichtbaren Institution der Kirche ohne Weiteres die idealen Prädicate in Anspruch genommen werden, welche der Kirche, sofern sie Gegenstand des Glaubens ist, zukommen. Als dann auf dem Tage zu Schmalkalden (Decbr. 1530) auch Nürnberg, obwol es in den schmalkaldischen Bund nicht eintrat, doch sich dem Beschluß einer Appellation wider den Augsburger Reichstagsabschied anschloß, lieferte O. seiner Obrigkeit ein Gutachten für eine solche Appellation an ein Concil (S. 147 ff.), welches dem Kaiser das Recht abspricht, die Religion, die Lehre und den Glauben zu regieren.

Ueberall wird man in diesen Erörterungen eine eigenthümliche Kraft und Energie der Gedanken wahrnehmen, aber auch ein Naturell, welches zwar, so weit es sich um Durchsetzung der Forderungen evangelischer Reformation, um Losreißung vom Alten handelt, von durchschlagender Kraft ist, viel minder aber die Eigenschaften für ein geduldiges, vorsichtig abwägendes und sich den realen Verhältnissen anpassendes Verfahren im Aufbauen des Neuen erkennen läßt. Daher folgt denn auf die Periode in Osiander’s Leben, wo er an der Spitze der Bewegung stehend einer großen Popularität genoß, eine Periode, in welcher sein entscheidender Einfluß drückend empfunden wird, und besonders das Verhältniß zum Rath wie zu seinen Collegen zu wiederholten Reibungen führt. Schon in [478] den Verhandlungen wegen der Kirchenordnung läßt sich das erkennen, besonders aber dann in dem Beichtstreite (S. 169 ff., dazu noch Spengler’s Brief bei Seidemann, in den Stud. u. Krit. 1878, 320). Der Aufrichtung des Bannes, wie er als eine für die Selbsterhaltung der Kirche wesentliche Function von O. und andern für die Kirchenordnung gefordert war, hatte sich der Rath entschieden widersetzt; in der That fehlten nach Aufhören der bischöflichen Gerichtsbarkeit die geeigneten Organe, wenn nicht die Prediger zu souveränen Herrn der Gemeinde gemacht werden sollten. Die Kirchenordnung hatte nun zwar im Interesse kirchlicher Zucht eine zeitweilige Zurückhaltung vom Sacramente vorgesehen. Diese aber blieb ein todter Buchstabe, solange Privatbeichte und Absolution nur empfohlen, nicht aber obligatorisch waren, und die an alle Besucher des Gottesdienstes sich richtende allgemeine Beichtvermahnung und Zusage der Sündenvergebung (die sog. offene Schuld) das Uebliche war. Dem gegenüber trat O. zuerst 1533 mit zähester Leidenschaftlichkeit auf, da diese nach seiner Ansicht unberechtigte Anwendung des Löseschlüssels die Handhabung des zur Herstellung strengerer kirchlicher Zucht erforderlichen Bindeschlüssels unmöglich machte. Ein berechtigtes Gefühl, das z. B. auch Brenz theilte, trieb ihn doch in große Leidenschaftlichkeit, offenbare Uebertreibung und Consequenzmacherei hinein; selbst L. Spengler war entrüstet über Osiander’s hoffärtigen und verächtlichen Geist; es sei Zeit, „daß O. durch unser aller Patron Dr. Luthern in einem sondern Schreiben ernstlich am Zaum geritten wird, denn dies Roß will zu viel frech und ungehalten, auch mit scharfem Sporn geritten werden“. Die Wittenberger mußten vermitteln und O. schwieg. Aber noch zweimal, 1536 und 1539, brach der Streit wieder aus. Den zuchtlosen Elementen der städtischen Bevölkerung wurde dies eine willkommene Gelegenheit zu seiner Verkleinerung. Als im J. 1539 das seit 15 Jahren (also seit Beginn der Reformation) unterbliebene Schönbartlaufen wieder gehalten wurde, wobei die übermüthige Jugend der reichen Nürnberger Geschlechter allerlei Ueppigkeit und Uebermuth zu treiben pflegte, erschien auf der sogenannten Hölle, einem großen Schiff, das umhergezogen und zuletzt verbrannt wurde, die Gestalt Osiander’s abgebildet mit einem großen Schlüssel darüber. Mit dem dabei gegen O. und sein Haus verübten Unfuge hing zusammen, daß das Schönbartlaufen von da an untersagt wurde.

An den öffentlichen Verhandlungen der Protestanten hat O. mehrfach Theil genommen; so wurde er auf Melanchthon’s Wunsch mit Veit Dietrich den Nürnberger Gesandten zum Schmalkaldener Convent 1539 beigegeben und betheiligte sich an den Verhandlungen der Theologen; es erregte aber Anstoß, daß er wenige Tage nach Luther über denselben Text wie dieser (1. Joh. 4, 1–3) predigte, um seiner Lieblingsidee von der wesentlichen Einwohnung Christi in den Gläubigen entschiedenen Ausdruck zu geben. Indessen blieb er gerade in den folgenden Jahren in lebendigem Verkehr mit den Wittenbergern. Auch an den Verhandlungen zu Hagenau (Sommer 1540) und Worms (November 1540), den vorbereitenden Handlungen für den Regensburger Einigungsversuch nahm er Theil; von Hagenau aus besuchte er auch Straßburg (Corp. Ref. XXXIX p. 69). Damals wurde er auch mit Calvin, der in Hagenau und nachher in Worms war, bekannt, und verletzte ihn durch den Mangel jener strengen sittlichen Haltung, insbesondere bei Tische und beim Trunk, die ihm öfter zum Vorwurf gemacht wurde. Durch sein schroffes Auftreten gegenüber den Schachzügen Granvella’s und der, wie er nicht ohne Grund urtheilte, gefährlichen Nachgiebigkeit Melanchthon’s erregte er aber das Mißfallen der Nürnberger Herren, die ihn von Worms abriefen und am Regensburger Gespräch (1541) nicht ihn sondern Veit Dietrich Theil nehmen ließen. Dagegen finden wir ihn im folgenden Jahre bei dem Pfalzgrafen Ottheinrich in Pfalz-Neuburg, [479] der sich von Nürnberg einen Theologen erbeten hatte zur Reformation seines Gebiets. O. durfte hier, seiner Neigung entsprechend, als selbständige geistliche Autorität auftreten, und es überrascht zu sehen, wie sehr er auf Ottheinrichs Wunsch dem Reformationsmandat eine möglichst wenig provocirende, dem Kaiser gegenüber möglichst unverfängliche Form gab und wie conservativ er in der Ausarbeitung der pfalz-neuburgischen Kirchenordnung, der er im Ganzen die brandenburgisch-nürnbergische zu Grunde legte, dem Wunsche Ottheinrichs nachgebend in der Beibehaltung von Ceremonien war, indem er sich in dieser Hinsicht vielfach an die kurbrandenburgische anschloß.

Es kamen nun trübe Zeiten für O., nicht nur durch persönliche Gehässigkeit gegen ihn, sondern auch durch die düsteren Aussichten für die Evangelischen in Deutschland. In ersterer Beziehung reizte ihn eine anonyme Schmähschrift in lateinischen Versen, Speculum Andreae Osiandri praedicatoris, Norimb. 1544 (abgedruckt im Litterarischen Museum II. Altorf 1780. S. 187 ff.). Mit einer starken Beleuchtung der unleugbaren Schwächen seines Charakters, seines hochfahrenden rechthaberischen Wesens und eines gewissen Eigennutzes, den man in seinen Verhandlungen mit dem Rath (1534) finden konnte, da er sein Bleiben in Nürnberg von vergleichsweise starken Forderungen abhängig machte (S. 203 ff.), verbindet sich unzweifelhaft lügenhafter Klatsch über Osianders Privatleben. O. sah darin das Werk eines Zwinglianisch gesinnten und vertheidigte sich dagegen in einer lateinischen Apologie (1545). Wichtiger aber waren die allgemeinen Verhältnisse; die Stimmung in Nürnberg, welche verglichen mit den früheren Entscheidungsjahren eine merklich abgekühlte war, empfand er als sträfliche Lauheit; das Stadtregiment, von je gewohnt, sein Aufsehen auf den Kaiser zu haben, wurde unter den drohenden Verhältnissen, welche schließlich den schmalkaldischen Krieg herbeiführten, in seiner sehr vorsichtigen Haltung bestärkt, während O. die reformatorische Stellung in ihrer ursprünglichen Schroffheit festhielt und aus der Offenbarung Johannis und dem Propheten Daniel das nahebevorstehende Gericht über das Papstthum als den Antichrist nachwies (conjectura de ultimis temporibus 1544). Sein tiefer Unmuth über Lauheit und religiöse Indifferenz, welche nur von weltlichen Interessen sich bestimmen läßt, klingt aus der Schrift von den Spöttern des Wortes Gottes (1545) hervor, und in der viel Schönes enthaltenden „Trostschrift wider die gottlosen Verfolger des Wortes Gottes aus den ersten drei Bitten des heiligen Vater Unsers gezogen“ (Sommer 1546), schlug er gerade in den Tagen der bängsten Erwartung unmittelbar vor dem Losbrechen des Unwetters einen Ton an, der zusammen mit seiner ganzen Haltung es begreiflich macht, daß er sich nachher beim Durchzug der kaiserlichen Truppen auf ihrem Wege nach Sachsen besonders gefährdet sah, zumal er und Veit Dietrich durch Briefe compromittirt waren, die bei der Besetzung von Schwäbisch-Hall durch die kaiserlichen Truppen unter den Papieren von Brenz gefunden worden waren. Indessen ging die Gefahr vorüber. Als aber nun Nürnberg sich genöthigt sah, trotz des Widerstrebens seiner Theologen, vor allen Osiander’s, das Interim wenigstens pro forma anzunehmen, verließ O. plötzlich die Stadt, nachdem sein sehr scharfes „Bedenken vom Interim“ auswärts (vielleicht in Magdeburg) wider Willen des Raths gedruckt worden war. Der Rath hatte von den Geistlichen verlangt, nicht wider das Interim zu predigen. O. aber wollte nicht schweigen und scheint überdies weitere Maßregeln gegen sich gefürchtet zu haben.

Von Breslau aus bot O. (2. December 1548) seinem alten Gönner, dem Herzog Albrecht von Preußen, der in ihm seinen geistlichen Vater verehrte, seine Dienste an, „auf dem Predigtstuhl oder mit Lectionen an der Universität“, und erhielt freundliche Antwort. Am 24. Januar 1549 traf er in Königsberg ein, [480] wo ihm die Pfarrstelle an der altstädtischen Kirche übertragen wurde, welche seit kurzer Zeit Osiander’s Landsmann, der ebenfalls wegen des Interims aus dem Nürnberger Gebiet entwichene Joh. Funck, interimistisch versehen hatte. Zugleich sollte aber Osiander auch an der Universität wirken; ja, er wurde bald professor primarius in der theologischen Facultät, obwohl er keinen akademischen Grad besaß. Die bedeutende, aber auch herrische, ihres Uebergewichts sich stark bewußte Persönlichkeit des sichtlich vom Herzog bevorzugten Mannes wurde von vorn herein mit mißgünstigen Augen betrachtet; man fühlte sich durch sie bedrückt. Staphylus, der viel jüngere Mann, der seine theologische Lectur kurz vorher niedergelegt hatte, aber bei Albrecht viel galt, fühlte sich ihm gegenüber innerlich unsicher. Osiander’s Antrittsdisputation (de lege et evangelio, 5. April 1549), sowie Aeußerungen in seinen Vorlesungen über die ersten Capitel des 1. Buchs Mosis’ wurden von einem jungen Magister, Mathias Lauterwald, der in Wittenberg studirt hatte und sich auf die Lehre der Wittenberger, besonders Melanchthon’s, berief, angegriffen. Lauterwald veranlaßte auch den Leipziger Theologen Bernh. Ziegler sich einzumischen. O. aber verfolgte seine Gegner um so schärfer, als er in ihnen zugleich das verhaßte Interim, dem sich ja Wittenberg und Leipzig gefügt hatten, traf, das Interim, vor dessen seelengefährlichen Folgen er nicht müde wurde, den Herzog zu warnen. Er wurde nun zum Mittelpunkt einer kleinen einflußreichen Partei; namentlich ließ sich Joh. Funck, jetzt Hofprediger Albrecht’s, nach einem merkwürdigen anfänglichen Schwanken, von O. völlig hinnehmen und wurde sein rücksichtslosester Parteigänget, und sodann wurde der bei Albrecht viel geltende Leibarzt Andreas Aurifaber Osiander’s Schwiegersohn und verstärkte so noch Osiander’s Einfluß auf den Herzog. Gegen den Begünstigten erschienen jetzt Epigramme und Pasquille, deren Urheber von O. heftig verfolgt wurden: die Universität wurde in die häßlichsten persönlichen Zwistigkeiten hineingezogen, wobei O. auch manche Mißbräuche in der Verwaltung der Universität aufdeckte und dadurch um so mehr gegen sich aufreizte. Er blieb aber siegreich; nicht nur Lauterwald, sondern auch sein Hauptgegner an der Universität, der Mediciner Bretschneider (Placotomus), mußten aus Königsberg weichen. Der Hauptkampf aber brach erst aus in Folge der Disputation Osiander’s vom 24. October 1550, „Von der Rechtfertigung des Glaubens“, wobei der junge Martin Chemnitz und Melchior Isinder seine Opponenten waren. Der Fassung der Rechtfertigung des Sünders vor Gott als der göttlichen Gewährung der Sündenvergebung und Gerechterklärung des Sünders um des Verdienstes Christi willen, welche vom Glauben angeeignet wird, setzte O. die mystisch-speculative Anschauung entgegen, welche in der That von Anfang an seine Theologie beherrscht hat, daß auf Grund der objectiv durch Christus beschafften Sündenvergebung der Glaube Christum selbst, d. h. die ewige Gottheit selbst im ewigen Worte Gottes und damit die wesentliche (substantielle) göttliche Gerechtigkeit empfange; eine Anschauung, welche O. weiter dahin entwickelte, daß der Mensch seiner ursprünglichen Bestimmung nach eben auf jene wesentliche Einwohnung Gottes angelegt sei, so daß die Menschwerdung Gottes in Christo nicht blos als eine durch die menschliche Sünde veranlaßte besondere Heilsveranstaltung Gottes erscheint, sondern als Ausführung der ursprünglichen Idee einer von Gott erfüllten Menschheit, deren organisches Haupt der Gottmensch ist („An filius dei fuerit incarnandus, si peccatum non introivisset in mundum etc.“ 1550). Der damals eben nach Königsberg berufene Joachim Mörlin, Pfarrer am Kneiphöfischen Dom, gleich O. ein heftiger Gegner des Interims, schien anfangs zu einer Vermittelung zwischen O. und den Gegnern, welche in Wittenberg eine andere Theologie gelernt hatten, geneigt und geeignet. [481] Aber der Gegensatz zwischen O., der sich den Häuptern der deutschen Reformation ebenbürtig fühlte, und seinen Gegnern (Hegemon, Isinder, Venediger und besonders Staphylus), die epigonenhaft an der Melanchthonischen Lehre hielten und O. in keiner Weise gewachsen waren, verschärfte sich rasch, genährt durch Osiander’s Schriften mit ihrer feindseligen Gereiztheit gegen die Wittenberger („Bericht und Trostschrift an seine Nürnberger Freunde“, s. S. 418 f.). Die vom Herzog gewünschte Vermittelung durch Mörlin und Andr. Aurifaber (Febr. 1551) scheiterte. Von beiden Seiten berief man sich auf Luther, in dessen früheren Schriften O. in der That eine gewisse Anknüpfung für seine eigenthümliche Anschauung fand. Zwischen Mörlin und O. kam es endlich zum völligen Bruch und zur rücksichtslosesten Polemik von Kanzel und Katheder; vergeblich versuchte das Mandat des Herzogs vom 8. Mai 1551 den Streit in die Bahnen ruhiger theologischer Verhandlungen zu leiten. Die Erbitterung wuchs noch durch einen anderen Umstand. Nach dem Tode des Bischofs von Samland, Georg v. Polenz, hatte Albrecht für die Verwaltung der geistlichen Functionen eines solchen – denn einen Bischof wollte er trotz früherer Zusage nicht wieder ernennen – Joh. Brenz zu gewinnen gesucht, aber vergeblich. Gerade jetzt nun, im Sommer 1551, machte er den so gehaßten und gefürchteten zum „Verwalterpräsidenten“ des Bisthums. Dies goß Oel ins Feuer; man erklärte, ihn als solchen nicht anerkennen zu können. Mörlin wollte keinen Osiandristen zum Sacrament zulassen und nahm eigenmächtig Ordinationen von Candidaten vor, welche ihm von Patronen dazu präsentirt wurden, „weil sie das Heiligthum nicht beim Teufel suchen wollten“. Während nun Mörlin und die Seinen es dahin zu bringen suchten, daß Osiander’s Sache auf einer preußischen Synode verhandelt und dann ohne Zweifel verurtheilt wurde, versuchte Albrecht, der dem O. den Druck seines Bekenntnisses gestattete, seinen Gegnern aber den Druck wehrte, einen anderen Ausweg, indem er (5. October 1551) sein „Ausschreiben“ an die Fürsten und Städte evangelischer Confession in Deutschland richtete und mit ihm Osiander’s Confession („Von dem einigen Mittler Jesu Christo und Rechtfertigung des Glaubens“, Königsb., 8. September 1551) und eine Darlegung der bisherigen Streitigkeiten sandte. Aber die meisten der nun einlaufenden Urtheile und Gutachten fielen wenig günstig für seinen Schützling aus, und wurden zunächst nicht vom Herzog veröffentlicht. Nur das würtemberger Responsum vom 5. December 1551, dessen hauptsächlicher Urheber der von Alters mit O. in intimeren Beziehungen stehende Brenz war, versuchte in einer für O. wohlwollenden Weise eine Vermittelung und Ausgleichung der einander gegenüber stehenden Ansichten. Aber die Gegner wollten sich darauf nicht einlassen, und O. veröffentlichte eine Streitschrift nach der anderen, darunter: „Daß ich nun über 30 Jahre allerweg einerlei Lehre geführt habe“. Gegen ein sehr maßvolles Gutachten Melanchthon’s, welches von Paul Eber ohne Wissen Melanchthon’s und unter Beifügung recht gehässiger und plumper Aeußerungen Bugenhagen’s und Försters in Druck gegeben war, schrieb O. die bedeutende Schrift: „Widerlegung der ungegründeten, undienstlichen Antwort Philippi“ (S. 481 ff.), worin aber auch die ganze Gereiztheit Osiander’s gegen den herrschenden theologischen Einfluß Melanchthon’s und den engen Kastengeist der an Philippus und ihren der Wittenberger Schule geleisteten Eid (Doctoreid) gebundenen jüngeren Generation zum vollsten Durchbruch kommt. Nun aber traten auch die Männer, welche gleich ihm besonders wegen des Interims den Wittenbergern grollten, Flacius Illyricus, Gallus u. a. mit Streitschriften von nicht geringer Heftigkeit gegen ihn auf und zeigten, daß O. auch von dieser Seite nichts zu hoffen hatte. O. kannte natürlich bei seiner vertrauten Stellung zum Herzog die eingelaufenen und noch nicht veröffentlichten Gutachten; litterarisch [482] aber durfte er nur die bereits zahlreich im Druck erschienenen Schriften berücksichtigen. Dies that er in der Schrift „Schmeckbier“, worin er, da der Unermüdliche doch nicht sofort alle eingehend widerlegen konnte, aus einer ganzen Anzahl gegnerischer Schriften je einzelne Stücke herausgriff als Proben ihres Geistes, „gleich als wenn man ein Faß anzäpft und Schmeckbier daraus gibt, da man denn aus einem oder zwei Trunken wol schmecken kann, was im ganzen Faß ist“. Auch das zweite nun im Sommer 1552 eingehende würtemberger Responsum vermochte nach Lage der Sache nichts, da die Gegner unbedingte Revocation Osiander’s, dieser volle Anerkennung seiner dogmatischen Position verlangte, an einer ausgleichenden Verständigung aber beiden Parteien nichts lag. Es schien nur noch gewaltsames Eingreifen gegen die eine oder die andere Partei übrig zu bleiben; und dergleichen Befürchtungen beherrschten in der That die Gemüther. Die Anwesenheit des Königs von Polen in Königsberg im September 1552 hat vielleicht schon damals zu Versuchen seitens des ständischen Adels und der mit der Hofpartei unzufriedenen Elemente im Lande geführt, mit Hilfe Polens einen Druck auf Albrecht zu üben.

Aber O. sollte den Kämpfen schnell entrückt werden. Der schon seit einiger Zeit leidende Mann hat am 2. October 1552 zum letzten Male gepredigt, dann sich bald gelegt und ist am 17. October nachmittags gegen 4 Uhr vom Schlag getroffen gestorben, dann unter Beisein des Hofes mit einer hochrühmenden Grabrede Joh. Funck’s in der altstädtischen Pfarrkirche beigesetzt worden. Aber der über sein Grab weiter tobende Streit hat ihm den Ruheplatz nicht gegönnt. Nach der Katastrophe, welche die Hinrichtung J. Funck’s herbeiführte, ist sein Leichnam ausgegraben und, man weiß nicht wo, beigesetzt.

Blicken wir noch auf die gelehrte Thätigkeit Osiander’s, so weit sie nicht im Obigen bereits dargestellt ist. Ohne Zweifel liegt ja das Schwergewicht in den reformations-historischen und dogmatisch-polemischen Schriften, deren wichtigste genannt sind. Ich erwähne noch seine Schrift gegen Eck, eine der leidenschaftlichsten und gröbsten: „Verantwortung des Nürnbergischen Katechismi“, 1539. Eine umfangreiche Schrift Eck’s über die Kirchenordnung hatten die Urheber derselben unbeantwortet gelassen; eine spätere Anzapfung aber der Lehre des der Kirchenordnung beigegebenen „Katechismus oder Kinderpredigt“, veranlaßte O. zu der obigen sehr umfangreichen Gegenschrift; ein Umstand, der doch dafür spricht, daß der Antheil Osiander’s an jenen Kinderpredigten (die Justus Jonas 1539 ins Lateinische übersetzte, Cranmer 1548 in englischer Sprache herausgeben ließ), wohl kein ganz geringer war, obgleich sie gewöhnlich nur Brenz zugeschrieben werden. Der Kampf gegen das unter dem Gesichtspunkt des Antichristenthums betrachtete Papstthum setzt sich nicht nur in den erwähnten Conjecturae (Vermuthung von den letzten Zeiten) und der Schrift gegen das Interim fort, sondern auch in der merkwürdigen Schrift „Von dem neugeborenen Abgott und Antichrist zu Babel“, 1550 (S. 363 ff.). – Die hebräischen und rabbinischen Studien, zu deren Vervollständigung er in Nürnberg eine Zeitlang die Hilfe eines jüdischen Schulmeisters zu Schnaitach in der Oberpfalz benützte, der unter besonderer Genehmigung der Obrigkeit im Monat ein- oder zweimal zu ihm in die den Juden verschlossene Stadt kommen durfte, verrathen sich wiederholt bei O. Auch mit dem bekannten Elias Levita hat er in Verbindung gestanden. Als die Juden im Bisthum Eichstädt im Verdacht des Mordes von Christenkindern zu rituellen Zwecken standen, überreichten sie 1540 dem Bischof ein Büchlein, welches sie gegen diesen Verdacht in Schutz nahm, und dessen (nicht genannter) Verfasser O. war. Die kleine, ohne Ort und Datum gedruckte Schrift („Ob es war vnn glaublich sey, daß die Juden der Christen kinder heymlich erwürgen, vnd jr Blut gebrauchen etc.“), wurde sofort von Eck bekämpft [483] (s. Wiedemann, J. Eck S. 636 ff. und meinen Osiander S. 561). – In der Evangelienharmonie (Harmoniae evang. ll. IV. Basil. 1537. Ins Deutsche übersetzt von Schweintzer, Frankf. a. M. 1541), der ersten von evangelischer Seite, hat O. die harmonistischen Grundsätze unter Voraussetzung einer sehr strengen Inspirationsvorstellung mit großer Gewaltsamkeit durchgeführt. – Von einer günstigen Seite lernen wir O. als praktischen Seelsorger in einigen kleineren Schriften und Predigten kennen: „Wie man um zeitlichen Fried etc. Gott bitten soll“, 1527 (S. 107); „Wie und wohin ein Christ die grausame Plag der Pestilenz fliehen soll“, 1533 (S. 156), „Unterricht an einen sterbenden Menschen“, 1537 (S. 204), „Unterricht und Vermahnung, wie man wider den Türken beten und streiten soll“, 1542 (S. 245). Andere Predigten zeigen uns den Reformator, so die zu Neuburg an der Donau gehaltenen mit ihrer evangelischen Belehrung über Heiligenanrufung, Fegfeuer und Gebet für die Todten etc. (S. 250 ff.); noch andere dienen dem evangelischen Schriftverständniß, wie die der Königsberger Zeit angehörigen (S. 510 ff.). In allen ist Wärme, Tiefe und eigenthümliche Kraft des religiösen Gedankens zu spüren, sowie freie Beherrschung der Sprache, doch macht der Theolog sich etwas zu stark geltend, sie stehen wenigstens hinter denen Luther’s an Unmittelbarkeit und Popularität zurück. – Die gelehrten Interessen Osiander’s gingen aber auch über das theologische Gebiet hinaus; insbesondere auch auf Mathematik und Astronomie. Wie er auf diesem Gebiete ganz den astrologischen Liebhabereien der Zeit huldigt, so steht er doch mit hervorragenden Mathematikern, auch mit Nicol. Copernicus, in näheren Beziehungen, und so konnte J. Rhäticus, als er 1543 in Nürnberg den Druck des berühmten Werkes des Copernicus betrieben, bei seinem Weggang Andreas O. die Beaufsichtigung des Drucks übertragen, wobei O., entsprechend seiner schon 1540 brieflich dem Copernicus geäußerten Ansicht sich erlaubte, eine Vorrede beizufügen, welche, um möglichen Anstoß zu beseitigen, die Resultate des Copernicus nur als „bewunderungswürdige Hypothesen“ bezeichnet, die für die Berechnung der Gestirnbahnen die ausreichende Grundlage gäben (S. 258, vgl. Kepleri opp. ed. Frisch. 1858 p. 236 ff. u. Prowe, N. Coppernicus, I, 2 S. 517 ff.). Auch Hieronymus Cardanus schätzte O. und widmete ihm mit einer schmeichelhaften Vorrede seine Ars magna von den algebraischen Regeln, welche O. vielleicht ebenfalls zum Druck befördert hat. – O. war dreimal verheirathet, zuerst (1528) mit Katharina Preuin, die ihm 800 Goldgulden mitbrachte und 1537 starb. Noch am Ausgang desselben Jahres heirathete er eine Jugendfreundin seiner ersten Frau, eine Wittwe Helena Künhoferin, welche ihm ebenfalls Vermögen zubrachte und 1545 starb. Zum dritten Male trat er noch in Nürnberg, ich weiß nicht wann, in die Ehe mit einer Tochter des angesehenen Nürnberger Arztes Magenpuch, welche ihn überlebte. Eine Tochter erster Ehe heirathete 1548 den Nürnberger Theologen Hieronymus Besold, eine andere aus derselben Ehe im Januar 1550 den bereits verwittweten Leibmedicus Andr. Aurifaber. Nach dessen Tode wurde diese (1561) die zweite Frau Joh. Funck’s (s. Alfr. Hase, Herzog Albr. v. Pr. und sein Hofprediger S. 27. Darnach ist meine Anmerkung in Herzog’s Real-Encycl. 2. A. IV, 716 zu berichtigen). Name und Geschlecht Osiander’s wurde durch seinen Sohn Lucas (geb. 1534, s. u. S. 493) nach Schwaben verpflanzt. Das Geschlecht, aus welchem berühmte Theologen hervorgegangen sind, blüht noch heute daselbst.

Vgl. Wilken, Andr. Osiander’s Leben, Lehre und Schriften I, Stralsund 1844, 4°. – W. Möller, Andreas Osiander’s Leben und ausgewählte Schriften, Elberfeld 1870 (5. Bd. des Leben der Väter und Begründer der luth. Kirche).

[473] *) Zu den Nachweisungen, in meinem Leben Andr. Osiander’s (S. 1 mit Anm.), auf welches im Folgenden die in Klammern beigefügten Seitenzahlen hinweisen, vgl. noch Chroniken der deutschen Städte II, 522, 25 f.; III, 81, 11. Eine abweichende Ansetzung des Geburtsdatums auf 14. December 1496 erhält an einer eigenen Aeußerung Osiander’s einen erheblichen Stützpunkt; wir hätten dann ein zweites Beispiel, wie beim Geburtsjahr Luther’s, daß eine Genitur ein anderes Datum als das richtige vorausgesetzt hätte.