Du bist der Mann!

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Textdaten
Autor: Edgar Allan Poe
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Titel: Du bist der Mann!
Untertitel:
aus: Unbegreifliche Ereignisse und geheimnissvolle Thaten. In achtzehen der merkwürdigsten Erzählungen des Amerikaners Edgar Allan Poe. Verlag von J. Scheible, Stuttgart 1861, S. 132–163
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: J. Scheible
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Originaltitel: Thou Art the Man!
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Originalherkunft:
Quelle: Columbia und Commons
Kurzbeschreibung:
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[132]
Du bist der Mann!

Es soll hier meine Aufgabe sein, dem Leser zu zeigen, daß auch ich den Oedipus spielen kann. Ich will ihm, wie nur ich es kann, die geheime Maschinerie erklären, welche das Rattleborough-Wunder hervorbrachte, – das wahre, das unbestrittene und unbestreitbare Wunder, das bei den Rattleburgern dem Unglauben ein für alle Mal ein Ende machte und alle Fleischlichgesinnten, die bis dahin sich unterstanden hatten, die Skeptiker zu spielen, zur Orthodoxie der Urururgroßmammas zurückzuführen.

Es trug sich dieses Ereigniß, das ich um keinen Preis in einem Tone unpassender Leichtfertigkeit besprechen möchte, im Sommer des [133] Jahres 18– zu. Es war Herr Barnabas Shuttleworthy, einer der reichsten und angesehensten Bürger des Fleckens, mehrere Tage vermißt worden unter Umständen, welche glauben ließen, daß böse Menschen ihn zu ihrem Opfer gemacht. Herr Shuttleworthy hatte nämlich an einem Samstag Morgen in aller Frühe Rattleborough zu Pferde verlassen und zugleich als das Ziel seiner Reise die etwa fünfzehn englische Meilen entfernte Stadt – bezeichnet. Noch am Abend desselben Tages wollte er wieder zurück sein. Aber schon zwei Stunden nach seinem Wegreiten kam das Pferd ohne ihn, sowie ohne den Sattelranzen zurück, der ihm auf den Rücken geschnallt worden war. Und ferner war das Thier verwundet und mit Koth bedeckt.

Natürlich waren diese Umstände dazu angethan, die Freunde des Vermißten lebhaft zu beunruhigen; und als Herr Shuttleworthy auch am Montag Morgen noch fehlte, wollte der ganze Flecken sich aufmachen und seinen Leichnam suchen.

Einer der Eifrigsten und Energischsten war dabei ein Busenfreund Herrn Shuttleworthy’s, ein Herr Karl Goodfellow, oder wie man ihn allgemein nannte, Karlchen Goodfellow, oder kurzweg das alte Karlchen. Nun mag es ein wunderbares Zusammentreffen sein, oder [134] mag der Name selbst auf den Charakter einen unmerklichen Einfluß üben, aber so viel ist unbestreitbar, daß es noch nie eine Person mit dem Vornamen Karl gegeben, die nicht offen, mannhaft, ehrlich, gutmüthig gewesen, die nicht eine volle, klare, für das Ohr wohlthuende Stimme und ein Auge besessen, das Einem stets gerade in’s Gesicht geschaut, als wollte es sagen: „Ich selbst habe ein gutes Gewissen, scheue Niemand und bin jeder gemeinen Handlung schlechterdings unfähig.“ Und so werden denn alle herzlichen, munteren, sorglosen Herren, welche auf unserer Weltbühne herum spazieren, sicherlich Karl genannt werden müssen.

Nun aber war es dem alten Karlchen, obwohl es erst etwa seit einem halben Jahre zu Rattleborough war und früher Niemand von ihm etwas gewußt hatte, durchaus nicht schwer geworden, mit allen angesehenen Leuten des Fleckens bekannt zu werden. Da war auch nicht Einer, dem Karlchens Wort nicht wie tausend gewesen wäre; und was vollends die Frauenzimmer betrifft, so läßt sich gar nicht sagen, was sie nicht gethan hätten, um ihm einen Gefallen zu erweisen. Und alles dieß, weil er in der heiligen Taufe den Namen Karl bekommen und mithin jenes offene Gesicht hatte, das sprichwörtlich der allerbeste Empfehlungsbrief ist.

[135] Ich habe bereits gesagt, daß Herr Shuttleworthy einer der angesehensten und unzweifelhaft der reichste Einwohner von Rattleborough war. Das alte Karlchen aber stand mit ihm auf so vertrautem Fuße, daß man hätte glauben können, es seien die Beiden Brüder. Die zwei alten Herren wohnten neben einander, und obwohl Herr Shuttleworthy das alte Karlchen nur selten, ja vielleicht nie besuchte, und obgleich ferner Jedermann wußte, daß der erstere nie bei letzterem etwas genoß, so verhinderte dieß doch die beiden Freunde nicht, ganz intim mit einander zu sein; denn nie ließ das alte Karlchen einen Tag vorbeigehen, wo es nicht drei bis vier Mal nach seinem Nachbar schaute. Sehr oft blieb es dann auch da, um mit dem Freunde zu frühstücken oder zu Nacht zu speisen; was das Hauptmahl betrifft, so wurde es fast immer im Hause des Herrn Shuttleworthy eingenommen. Was dabei immer an Wein aufging, das könnten wohl nur die beiden Freunde angeben: wir vermögen es nicht. So viel ist jedoch gewiß, daß große Quanten vertilgt wurden. Das Lieblingsgetränk des alten Karlchen war Château Margaux, und es that Herrn Shuttleworthy immer in der innersten Seele wohl, wenn er den alten Burschen so ein Quart nach dem andern vertilgen sah, so daß er eines [136] Tags, als der Wein drinnen und, als natürliche Folge, der Witz etwas heraus war, zu seinem Freunde, indem er ihn auf den Rücken schlug, sprach: „Will dir sagen, wie die Sache steht, altes Karlchen: bist in alleweg der herzlichste, lustigste alte Bursche, der mir im Leben je vorgekommen; und da du den Wein so meisterlich zu bewältigen verstehst, so soll mich der Kuckuck holen, wenn ich dir nicht eine ganz große Kiste Château Margaux verehre. Will des Teufels sein (Herr Shuttleworthy hatte die üble Angewohnheit zu fluchen, wenn er auch nur selten über „will des Teufels sein,“ oder „Gott soll mich strafen“ hinausging) – will des Teufels sein, sagte er, wenn ich nicht schon heute Nachmittag in der Stadt eine doppelte Kiste vom Besten, der zu haben ist, bestelle; und die verehre ich dir, ja das will ich. Keine Einwendung, – will meinen Willen haben, sag’ dir alter Bursche, sollst die doppelte Kiste Château Margaux bekommen. Also aufgepaßt! Eines schönen Tags wird sie dich durch ihre Ankunft erfreuen, und vielleicht gerade in einem Augenblick, wo du sie am Wenigsten erwartest!“ Dieses Anflugs von Freigebigkeit thue ich hier nur darum Erwähnung, weil ich dem Leser zeigen möchte, wie intim die Freundschaft zwischen den Beiden war!

[137] Als daher an dem fraglichen Sonntag Morgen es sich immer mehr herausstellte, daß Herrn Shuttleworthy etwas geschehen sein müsse, sah ich das alte Karlchen tief ergriffen. Vielleicht daß ich noch nie in meinem Leben einen Menschen so ergriffen gesehen. Als der würdige Alte zum ersten Mal hörte, daß das Pferd ohne seinen Herrn und ohne den Sattelranzen seines Herrn zurückgekommen, daß es von einem Pistolenschusse ganz blutig, sowie daß die Kugel durch die Brust des armen Thieres ganz hindurchgedrungen, ohne es jedoch ganz zu tödten, – als, sage ich, der gute Alte dieses Alles hörte, wurde er leichenblaß, als wäre der Vermißte ihm Bruder oder Vater gewesen; auch zitterte er am ganzen Leibe, als hätte er das kalte Fieber.

Anfänglich war er vom Schmerze zu sehr überwältigt, als daß er hätte etwas thun oder auch nur für einen Operationsplan sich entscheiden können. Es darf daher auch nicht Wunder nehmen, wenn ich sage, daß er Herrn Shuttleworthy’s übrigen Freunden lange Zeit und mit aller ihm zu Gebot stehenden Beredsamkeit abrieth, in der Sache etwas zu thun, weil es wohl das Beste wäre, noch ein paar Wochen oder ein paar Monate zu warten, um zu sehen, ob sich unterdessen nicht etwas zeigte und Herr Shuttleworthy nicht selbst [138] wieder käme und seine Gründe aus einander setzte, warum er sein Pferd also heim geschickt. Wohl jeder meiner Leser hat diese Neigung zum Temporisiren und Aufschieben schon oft bei Leuten wahrgenommen, die ein recht schwerer Kummer drückt. Es scheint die seelische Thätigkeit bei ihnen vollkommen erschlafft zu sein, so daß sie vor Allem, was einem Handeln gleich sieht, einen wahren Abscheu haben und auf der Welt nichts so sehr lieben, als ruhig in ihrem Bette liegen zu bleiben und ihren Kummer zu nähren, wie alte Damen sich auszudrücken pflegen, das heißt, über dem, was ihnen Sorge und Kummer macht, zu brüten.

In der That, es hatten die Leute von Rattleborough von der Weisheit und Umsicht des alten Karlchen eine so hohe Meinung, daß die Meisten geneigt waren, ihm zuzustimmen und in der Sache lediglich nichts zu thun, bis etwas sich zeigen würde, wie der ehrliche alte Herr sich ausgedrückt hatte. Und es würden wohl am Ende Alle zu diesem Entschlusse gekommen sein, wenn nicht Herrn Shuttleworthy’s Neffe, ein höchst ausschweifender und auch sonst ziemlich übel beleumundeter junger Mann in überaus verdächtiger Weise sich in die Sache gemischt hätte. Dieser Neffe, dessen Name Pennifeather war, mochte nichts von einem [139] Stillliegen hören, sondern verlangte beharrlich, daß man den Leichnam des Ermordeten alsbald suchen solle. Dieß war der Ausdruck dessen er sich bediente. Was Herrn Goodfellow betrifft, so konnte er sich nicht enthalten, die scharfsinnige Bemerkung zu machen, daß das, um nicht mehr zu sagen, ein recht sonderbarer Ausdruck gewesen sei.

Auch war diese Bemerkung des alten Karlchen von großer Wirkung auf die Menge; und bald hörte man eine Stimme in recht nachdrücklicher Weise fragen, wie es denn komme, daß der junge Pennifeather sämmtliche mit dem Verschwinden seines reichen Oheims in Verbindung stehende Umstände so genau kenne, daß er so kühn und unzweideutig zu behaupten im Stande sei, es sei sein Oheim unter den Todten.

Nun stritten Verschiedene hin und her, insbesondere aber das alte Karlchen und Herr Pennifeather, obgleich Letzteres in der That nichts Neues war, da seit den letzten drei bis vier Monaten die Beiden einander nur wenig leiden konnten; ja es war zwischen ihnen schon so weit gekommen, daß Herr Pennifeather den Freund seines Oheims zu Boden geschlagen hatte, weil dieser sich im Hause besagten Oheims, wo auch der Neffe lebte, sich allzu viel herausgenommen haben sollte. Wie [140] es heißt, so benahm sich das alte Karlchen bei diesem Anlasse mit exemplarischer Mäßigung und mit ächt christlicher Liebe. Es stand wieder auf, ordnete seine Kleider und dachte nicht einmal daran, das Empfangene zurückzugeben. Alles, was es that, war, daß es ein paar Worte von „summarischer Rache bei der nächsten Gelegenheit“ brummte: ein ganz natürlicher und durchaus zu entschuldigender Zornausbruch, der indessen nichts zu sagen hatte und ohne Zweifel auf der Stelle wieder vergessen ward.

Wie es nun aber auch mit diesen Dingen sich verhalten mag (wir hätten sie hier füglich unberührt lassen können, da sie auf das, was uns hier beschäftigt, keinen Bezug haben), so viel ist gewiß, daß die Rattleburger ganz besonders durch dir überzeugende Beredsamkeit des Herrn Pennifeather endlich zu dem Entschlusse kamen, eine Streife vorzunehmen, um den vermißten Herrn Shuttleworthy zu suchen. Ich sage, sie kamen zu diesem Entschlusse. Nachdem aber einmal der Entschluß gefaßt war, so wurde es fast als etwas sich von selbst Verstehendes angesehen, daß die Suchenden sich partienweise über die Umgegend zerstreuen sollten, um diese um so gründlicher durchsuchen zu können. Doch ich habe indessen vergessen, wie es dem alten Karlchen endlich [141] gelang, die Versammelten zu überzeugen, daß ein solcher Plan der unglücklichste wäre, den sie immer fassen könnten. Nur so viel weiß ich noch, daß er alle überzeugte, mit alleiniger Ausnahme des Herrn Pennifeather. Es ward also schließlich ausgemacht, daß die Bürger in Masse, das alte Karlchen an der Spitze, eine sorgfältige und gründliche Streife ausführen sollten.

Einen besseren Pionier gab es sicherlich nicht als das alte Karlchen, von dem Jedermann wußte, daß er die Augen eines Luchses habe; obgleich er sie aber in alte abgelegene Löcher und Winkel führte auf Wegen, von denen bis daher Niemand etwas gewußt, und obgleich die Streife eine volle Woche dauerte und auch bei Nacht nicht ausgesetzt wurde, so konnte man von Herrn Shuttleworthy doch immer noch keine Spur entdecken. Indessen darf man das Wort Spur hier nicht buchstäblich nehmen, da bis zu einem gewissen Grade eine solche Spur sich allerdings zeigte. Die eigenthümlichen Hufspuren des Pferdes, auf dem der arme Herr weggeritten war, führten an einen drei Meilen östlich vom Flecken gelegenen Ort unfern der nach der Stadt führenden Hauptstraße. Hier ging die Spur durch ein Wäldchen auf einen Nebenweg, der sich dann wieder mit der Hauptstraße vereinigte und etwa eine [142] halbe Meile abschnitt. Diese Hufspuren verfolgend, kamen die Suchenden endlich zu einem stagnirenden Sumpfe, der durch die Brombeerbüsche zur Rechten des Weges halb verdeckt war; auf der andern Seite des Sumpfes aber verlor sich jede Spur. Wie es schien, so hatte hier ein Kampf irgendwelcher Art stattgefunden, und konnte man glauben, es sei ein großer, schwerer Körper – ein Körper, weit größer und schwerer als der eines Mannes – von dem Nebenwege weg in den Sumpf gezogen worden. Mit vieler Sorgfalt und Mühe wurde letzterer nun zwei Mal durchsucht, ohne daß jedoch etwas gefunden ward; und schon wollten die guten Rattleburger, am Erfolg verzweifelnd, sich wieder entfernen, als die Vorsehung Herrn Goodfellow den Gedanken eingab, das Wasser des Sumpfes abfließen zu machen.

Dieser Vorschlag wurde mit großem Jubel aufgenommen, und es ward dem alten Karlchen die Freude, seinen Scharfsinn und seine Besonnenheit in schmeichelhaftester Weise anerkannt zu sehen. Da von den Bürgen viele Spaten mitgenommen hatten, in der Voraussetzung, daß sie vielleicht einen Leichnam auszugraben hätten, so war der Sumpf bald und ohne Mühe trocken gelegt; und kaum war der Boden sichtbar, als man mitten im Schlamme [143] eine Weste von schwarzem Seidensammt entdeckte, in der fast jeder Anwesende auf der Stelle ein Eigenthum des Herrn Pennifeather erkannte.

Es war diese Weste sehr zerrissen und mit Blut besudelt; auch waren unter den Anwesenden einige, die sich genau erinnern wollten, daß der Eigenthümer sie noch an dem Morgen getragen, wo Herr Shuttleworthy nach der Stadt geritten; wieder andere waren bereit, nöthigenfalls eidlich zu bezeugen, daß Herr Pennifeather während des Restes jenes denkwürdigen Tages das fragliche Kleidungsstück keinen Augenblick getragen; und endlich wollte Niemand seit Herrn Shuttleworthy’s Verschwinden die fragliche Weste am Leibe des Pennifeather gesehen haben.

Jetzt gewannen die Dinge ein ziemlich ernstes Aussehen; auch wurde die Menge in dem Verdacht, den Herr Pennifeather erweckte, unzweifelhaft dadurch noch bestärkt, daß derselbe leichenblaß wurde und, als man ihn fragte, was er zu seiner Entschuldigung vorzubringen hätte, auch nicht ein Wort zu stammeln vermochte. Nun fielen auch die wenigen Freunde, die ihm bei seiner ausschweifenden Lebensweise geblieben waren, mit einem Male von ihm ab; und nicht nur thaten sie dieß, sondern sie tobten sogar noch stärker als seine alten und erklärten [144] Feinde und verlangten seine alsbaldige Verhaftung.

Dagegen hatte nun Herrn Goodfellow’s Großmuth Gelegenheit, sich in um so größerem Glanze zu zeigen. Er sprach warm und beredt für Herrn Pennifeather und spielte mehr denn einmal darauf an, wie er selbst dem wilden jungen Herrn – „dem Erben des würdigen Herrn Shuttleworthy“ – aufrichtig die Beleidigung verziehen, die derselbe, ohne Zweifel in der Hitze des Zorns, für gut befunden, ihm (Herrn Goodfellow) anzuthun. Er vergebe ihm dieselbe von ganzem Herzen, sagte er; und was ihn selbst (Herrn Goodfellow) betreffe, so sei er nicht nur nicht gesonnen, die verdächtigen Umstände, die leider wider Herrn Pennifeather sprächen, zu dem Nachtheil des letzteren auszubeuten, sondern er wolle auch sein Möglichstes thun, und seine ganze geringe Beredsamkeit aufwenden, um – um – um – um, so weit es mit seinem Gewissen vereinbar sei, diese wirklich so bedenkliche Sache in ihren schlimmsten Zügen zu mildern.

So sprach Herr Goodfellow etwa eine halbe Stunde in einer Weise, die sowohl seinem Verstande, als seinem Geiste Ehre machte; aber leider sind warmherzige Personen in ihren Bemerkungen nicht vorsichtig genug: sie [145] lassen sich in dem Eifer, womit sie einem Freunde dienen, allerlei Versehen und Ungeschicklichkeiten zu Schulden kommen, und schaden so oft mit der besten Absicht von der Welt demselben unendlich mehr, als sie ihm nutzen.

So war es auch im vorliegenden Falle, trotzdem daß das alte Karlchen alle seine Beredsamkeit aufbot; denn obgleich Karlchen es sich allen Ernstes angelegen sein ließ, den verdächtigen Neffen zu vertheidigen, so fügte es sich doch unglücklicher Weise, daß jedes Wort, das es sprach, das verdächtigte Individuum nur noch mehr bloßstellte und die Wuth der Menge gegen diesen weckte.

Einer der unerklärlichsten Fehler, die der Redner machte, war das, daß er des verdächtigen Neffen als „des Erben des würdigen alten Herrn Shuttleworthy“ gedachte. Es hatten die guten Leute in der That hieran noch gar nicht gedacht. Sie hatten sich bloß gewisser Drohungen des Oheims erinnert, in welchen derselbe schon vor ein paar Jahren die Absicht ausgedrückt, seinen Neffen, das heißt, seinen einzigen noch lebenden Verwandten, zu enterben, und deßhalb hatten sie auch diese Enterbung als eine längst abgemachte Sache angesehen – so einfältige Geschöpfe waren die Rattleburger; nun aber wurden sie durch die Bemerkung des alten Karlchen mit einem [146] Male gezwungen, diesen Punct ins Auge zu fassen und in den erwähnten Drohungen nichts Anderes als Drohungen zu erblicken. Und flugs entstand nun die ganz natürliche Frage cui bono? – eine Frage, welche geeignet war, den jungen Mann noch mehr zu graviren als die Weste selbst.

Und hier will ich, damit man mich nicht mißversteht, eine kleine Abschweifung machen, um zu bemerken, daß die so kurze und einfache lateinische Phrase, deren ich mich eben bedient, stets falsch übersetzt und mißverstanden wird. In allen Moderomanen und anderwärts – wie zum Beispiel in den Romanen der Frau Gore, einer Dame, die aus allen Sprachen, von der hebräischen bis zu der der Chickisaws, citirt – in allen Moderomanen, sage ich, von denen eines Bulwer und Dickens bis zu denen eines Turnapenny, James und Ainsworth, sind die zwei lateinischen Wörtchen cui bono mit „zu welchem Zwecke oder Ende“ übersetzt. Ihre wahre Bedeutung ist nichts destoweniger „zu wessen Nutzen.“ Cui, wem; bono zum Nutzen. Es ist eine rein juristische Phrase, die in Fällen wie der vorliegende, wo die Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens um die Wahrscheinlichkeit des dem Verbrecher daraus erwachsenden Vortheils sich dreht, genau anwendbar ist. Nun aber deutete im vorliegenden [147] Falle die Frage cui bono ganz entschieden auf Herrn Pennifeather. Es hatte sein Oheim, nachdem er ein Testament zu seinen Gunsten gemacht, ihm mit Enterbung gedroht. Aber es war bei der bloßen Drohung geblieben und das ursprüngliche Testament, wie es schien, weder ganz, noch theilweise umgestoßen worden. Wäre Letzteres der Fall gewesen, so hätte man nur annehmen können, es habe der muthmaßliche Mörder sich wegen dieser Drohung rächen wollen; aber auch dieser Rachelust wäre die Hoffnung, bei dem Oheim wieder in Gnaden zu kommen, entgegengestanden. Da aber das Testament noch nicht umgestoßen war und andererseits über dem Haupt des Neffen immer noch die Gefahr einer solchen Umstoßung schwebte, so kommen wir mit einem Male auf das allergewaltigste Motiv, das zu einer solchen Greuelthat treiben konnte; und zu diesem sehr scharfsinnigen Schlusse gelangten auch die ehrenwerthen Rattleburger.

Herr Pennifeather wurde also auf der Stelle gepackt und von der nach einigen weiteren Nachforschungen heimkehrenden Menge gefangen mitgeführt. Unterwegs aber ereignete sich noch etwas, was den Argwohn der guten Rattleburger noch vermehren mußte. Mit einem Male sah man Herrn Goodfellow, der aus purem Eifer den übrigen immer ein [148] wenig voraus war, etliche Schritte vorwärts springen, sich bücken und dann scheinbar einen kleinen Gegenstand von dem grasbewachsenen Boden aufheben. Nachdem er das Ding rasch geprüft, suchte er es, wie die Uebrigen gleichfalls bemerkten, in seiner Rocktasche zu verstecken; allein es wurde, wie schon gesagt, dieß bemerkt und mithin auch verhindert. Hier müssen wir freilich alsbald bemerken, daß er bei diesem Verstecken etwas ungeschickt zu Werke gegangen war.

Der von dem alten Karlchen aufgehobene Gegenstand aber war nichts Anderes als ein spanisches Messer, das von einem Dutzend Personen alsbald als ein Eigenthum des Herrn Pennifeather erkannt wurde. Nicht genug damit, es waren auch die Anfangsbuchstaben seines Namens auf den Griff gravirt. Die Klinge des geöffneten Messers war blutig.

Nun zweifelte Niemand mehr an der Schuld des Neffen; und sobald man Rattleborough erreicht hatte, führte man ihn zum Friedensrichter, damit dieser ein Verhör mit ihm vornehme.

Auch hier gestalteten sich die Dinge für den Gefangenen überaus ungünstig. Als er nämlich gefragt wurde, wo er an dem Morgen, an dem Herr Shuttleworthy verschwunden, gewesen, war er so frech zu gestehen, daß er [149] gerade an jenem Morgen mit seiner Büchse draußen auf dem Felde, und zwar in der unmittelbaren Nähe des Sumpfes gewesen sei; um zu jagen, – in der Nähe eben des Sumpfes, wo, Dank dem Scharfsinn des Herrn Goodfellow, die blutbesudelte Weste gefunden worden war.

Sofort trat der Letztere hervor und bat, mit Thränen in den Augen, um Erlaubniß, verhört zu werden. Er hob damit an, daß er sagte, er könne nun nicht länger schweigen; seine Pflichten gegen Gott und gegen die Menschen geböten ihm, die volle Wahrheit zu sagen. Bisher hätte die aufrichtigste Liebe zu dem jungen Manne (trotzdem daß letzterer mit ihm, Herrn Goodfellow, so übel verfahren) ihn veranlaßt, Herrn Pennifeather’s Thun und Lassen von einer möglichst günstigen Seite zu betrachten. Nun aber seien der überzeugenden Beweise zu viele da, als daß er Herrn Pennifeather länger für unschuldig halten dürfe. Nun müsse er (Herr Goodfellow) Alles sagen, was er wisse, und wenn ihm auch das Herz dabei springe. Ein längeres Zögern von seiner (Herrn Goodfellow’s) Seite wäre jetzt verbrecherisch.

Sofort setzte Herr Goodfellow auseinander, wie der unglückliche alte Herr am Nachmittag vor seiner Abreise in seiner (Herrn Goodfellow’s) [150] Gegenwart gegen seinen Neffen erwähnt habe, daß der Zweck seiner Reise kein anderer sei, als bei der Farmers’ und Mechanics’ Bank eine ungewöhnlich große Summe Geldes zu deponiren. Zugleich habe da der besagte Herr Shuttleworthy dem vorbemeldeten Neffen seinen unwiderruflichen Entschluß, den ursprünglichen letzten Willen wieder umzustoßen und ihn – den Neffen – mit einem Shilling abzuspeisen, kund gethan.

Und nun forderte der Zeuge den Angeklagten in feierlichster Weise auf zu sagen, ob er (der Zeuge) in allen wesentlichen Punkten die Wahrheit gesprochen oder nicht.

Zu Jedermanns Staunen gab Herr Pennifeather die Wahrheit des Ausgesagten unumwunden zu.

Nun hielt es der Friedensrichter für seine Pflicht, etliche Constabler nach dem Hause des unglücklichen Shuttleworthy zu schicken, damit sie daselbst das Zimmer des Angeklagten genau durchsuchen möchten. Es stand nicht lange an, so erschienen die beiden Polizeidiener wieder mit dem wohlbekannten Taschenbuche, das der alte Herr schon seit vielen Jahren bei sich getragen hatte. Es war dasselbe von rothgarem Leder und mit stählernen Bändern versehen. Der werthvolle Inhalt der Brieftasche aber war verschwunden.

[151] Vergebens suchte der Friedensrichter aus dem Gefangenen herauszubringen, welchen Gebrauch er von dem Gelde gemacht, und wo er es verborgen. Herr Pennifeather behauptete hartnäckigst, von der Sache lediglich nichts zu wissen. Auch entdeckten die Constabler im Bette des unglücklichen Mannes, unmittelbar auf dem Strohsacke liegend, ein Hemd und ein Halstuch, welche die Anfangsbuchstaben von dessen Namen trugen und vom Blute des Opfers gräßlich besudelt waren.

Jetzt wurde auch gemeldet, daß das Pferd des Ermordeten in Folge der erhaltenen Wunde im Stalle verendet habe.

Sofort stellte Herr Goodfellow den Antrag, daß das Thier alsbald secirt werden solle, damit die Kugel wo möglich gefunden werden möchte.

Dieß geschah, und es fand Herr Goodfellow, gleich als sollte die Schuld des Angeklagten außer allen Zweifel gestellt werden, nach langem Suchen in der Brusthöhle des Pferdes eine ungewöhnlich große Kugel, die bei genauerer Untersuchung genau in den Lauf von Herrn Pennifeather’s Büchse paßte, während sie für die Büchsenläufe aller übrigen Bewohner des Fleckens und der Umgegend viel zu groß war.

Aber es sollte noch ein Schuldbeweis beigebracht [152] werden: es stellte sich nämlich heraus, daß diese in der Brusthöhle des Pferdes gefundene Kugel eine kleine Naht zeigte, welche mit der gewöhnlichen einen rechten Winkel bildete. Und als diese Naht untersucht ward, zeigte es sich, daß sie einer zufälligen Erhabenheit in einem Kugelgießer, den der Angeklagte selbst als sein Eigenthum anerkannte, genau entsprach.

Nun hielt es der Richter für völlig überflüssig, noch weitere Schuldbeweise zu verlangen, sondern erklärte, daß der Angeklagte werde vor die nächsten Assisen gestellt werden; auch sei die Bestellung eines oder mehrerer Bürgen schlechterdings nicht zulässig.

Gegen solche Strenge machte Herr Goodfellow die energischsten Einwendungen, sich zu gleicher Zeit erbietend, jede beliebige Bürgschaft für den Angeklagten zu leisten. Solcher Edelmuth von Seiten des alten Karlchen stimmte bloß zu dem übrigen liebenswürdigen und ritterlichen Betragen, dessen er sich während der ganzen Zeit seines Aufenthalts im Flecken beflissen hatte. Im vorliegenden Falle ward der würdige Mann von der übergroßen Wärme seiner Sympathie dermaßen fortgerissen, daß er, als er sich erbot, für seinen jungen Freund Bürgschaft zu stellen, total vergessen zu haben schien, wie er selbst (Herr Goodfellow) [153] auf Gottes weiter Erde auch nicht den Werth eines Dollars besaß.

Was die Folge dieser Stellung vor den Assisenhof war, ist leicht vorauszusehen. Herr Pennifeather wurde von den Geschwornen, ohne daß diese auch nur ihre Bänke verließen, „des Mordes im ersten Grade für schuldig“ erklärt, was nicht zu verwundern ist, wenn man bedenkt, daß eine ganze Kette überzeugender Schuldbeweise gegen den Angeklagten vorlag, wobei wir noch bemerken zu müssen glauben, daß dem Herrn Goodfellow es sein zartes Gewissen nicht erlaubte, im Gerichtssaal mit einigen weiteren Thatsachen zurückzuhalten, welche Herrn Pennifeather’s Schuld noch unzweifelhafter machten. Es sprach das Gericht über den unglücklichen Neffen das Todesurtheil aus, worauf derselbe nach dem Grafschaftsgefängniß zurückgebracht wurde, bis die unerbittliche Rache des Gesetzes sich an ihm erfüllte.

Inzwischen hatte das alte Karlchen bei den ehrlichen Rattleburgern sich durch sein edles Benehmen noch mehr beliebt gemacht. Man erwies ihm alle irgend erdenkbare Ehre, und um hinter der Gastfreundschaft der guten Rattleburger nicht zurückzubleiben, fing er, gleich als könnte er nicht anders, an, jenem äußersten Sparsamkeitssystem zu entsagen, das [154] seine Armuth ihm bisher auferlegt hatte. Sehr oft gab er in seinem Hause kleine Gesellschaften, wo es lustig genug hergegangen wäre, wenn das gute Karlchen nicht hie und da sich an das traurige Loos erinnert hätte, dem der Neffe des vielbeklagten Busenfreundes mit Nächstem anheimfallen mußte.

Da ward eines schönen Morgens der großmüthige alte Herr durch nachstehenden, ihm überbrachten Brief angenehm überrascht: –

[155]
Herrn Karl Goodfellow, Wohlgeboren,
Rattleborough.
von H. F. B. u. Co.
Chât. Marg. A – No. 1. – 6 Dutzend Flaschen (½ Groß)
„Herrn Karl Goodfellow,
Wohlgeboren.

„Sehr geehrter Herr! In Folge einer vor etwa zwei Monaten durch unsern geehrten Geschäftsfreund, Herrn Barnabas Shuttleworthy, bei unserem Hause gemachten Bestellung, haben wir die Ehre, heute Morgen eine doppelte Kiste Château Margaux an Ihre Adresse abgehen zu lassen. Qualität Antilope, Siegel veilchenblau. Kiste numerirt und markirt wie hier am Rande.

Wir verbleiben, sehr geehrter Herr,
Ihre ergebensten Diener
Hoggs, Frogs, Bogs u. Co.

Stadt –, 21. Juni, 18–.

P. S. – Es wird die Kiste Ihnen einen Tag nach Empfang dieses Briefes per Fuhre zukommen. Unsere höflichsten Empfehlungen an Herrn Shuttleworthy.

H. F. B. u. Co.     

Sollen wir die Wahrheit gestehen, so hatte seit Herrn Shuttleworthy’s Tod Herr Goodfellow alle Hoffnung aufgegeben, den versprochenen [156] Château Margaux je zu bekommen; und darum sah er nun die Ankunft des köstlichen Weines als eine Art besonderer Fügung der gütigen Vorsehung an. Natürlich war er voller Freude, und in dem Uebermaß derselben lud er für den nächstfolgenden Abend eine zahlreiche Gesellschaft von Freunden zu einem keinen Souper ein, wo dem Geschenk des guten alten Herrn Shuttleworthy Ehre angethan werden sollte. Damit will ich nun freilich nicht gesagt haben, daß er in seinem Einladungsschreiben des guten alten Herrn Shuttleworthy erwähnt habe. Nur so viel ist gewiß, daß er viel und lange über die Sache hin und her dachte und endlich zu dem Schlusse kam, daß es besser sei, wenn er gar nichts sage. Er that also – wenn ich mich anders recht erinnere – des Umstandes, daß er Château Margaux zum Geschenk bekommen, gegen Niemand Erwähnung. Er bat einfach seine Freunde, ihm einige Flaschen köstlichen Weines vertilgen zu helfen, die er schon vor etlichen Monaten in der Stadt bestellt und an dem nächstfolgenden Tage bekommen würde. Ich selbst habe mir gar oft den Kopf darüber zerbrochen, warum wohl das alte Karlchen zu dem Schlusse kam, daß es besser sei, wenn er nicht sage, daß er den von seinem verstorbenen Freunde bestellten [157] Wein erhalten, obwohl er ohne Zweifel einen gar guten und recht großmüthigen Grund hatte. Aber, wie gesagt, diesen Grund habe ich mir nie recht denken können.

Endlich erschien der ersehnte Tag und mit ihm in Herrn Goodfellow’s Hause eine sehr zahlreiche und höchst achtbare Gesellschaft.

In der That, es war der halbe Flecken erschienen, – ich selbst mit den übrigen; zum großen Verdrusse des Wirthes aber kam der Château Margaux erst spät an, als die Gäste dem prächtigen Souper, welches das alte Karlchen hatte serviren lassen, bereits die vollste Gerechtigkeit hatten widerfahren lassen. Endlich aber kam, wie gesagt, eine ungeheure Kiste an, und da Alles bei bester Laune war, so wurde unter allgemeiner Zustimmung beschlossen, daß sie auf die Tafel hinaufgehoben werden solle, um sofort ihres Inhalts entledigt zu werden.

Gesagt, gethan. Ich half mit und in einem Nu stand die Kiste auf der Tafel inmitten all der Flaschen und Gläser, von denen dabei nicht wenige übel genug wegkamen. Nun nahm das alte Karlchen, das schon ziemlich angetrunken und im Gesichte purpurroth war, oben an der Tafel einen Sitz ein, schlug mit einer Carafe wie ein Wüthender auf die Tafel und gebot allen Anwesenden, sich ruhig zu verhalten, [158] während der Schatz in feierlicher Weise gehoben werden würde.

Nachdem das Schreien noch einige Augenblicke fortgedauert hatte, wurde es im Zimmer wieder ruhig, und zwar folgte nun, wie in solchen Fällen oft zu geschehen pflegt, eine tiefe, merkwürdig tiefe Stille. Da man mich jetzt aufforderte, den Deckel aufzusprengen, so kam ich natürlich mit unendlichem Vergnügen diesem Verlangen nach.

Ich nahm einen Meißel, steckte denselben zwischen den Deckel und den untern Theil der Kiste, und schlug einige Male mit einem Hammer leicht darauf.

Da flog der Deckel mit einem Male in die Höhe, und zu gleicher Zeit richtete sich, gerade dem Wirth gegenüber, der blutige und schon halb verfaulte Leichnam des ermordeten Herrn Shuttleworthy auf. In sitzender Stellung schaute der Leichnam mit seinen gläsernen Augen dem Herrn Goodfellow einige Augenblicke scharf und betrübt in’s Gesicht, und ließ endlich die langsam, aber deutlich und energisch gesprochenen Worte hören: „Du bist der Mann!“ Und als der Verstorbene dies gesprochen, fiel er, als wäre er vollkommen befriedigt, aus der Kiste heraus und lag nun der Länge nach ausgestreckt auf der Tafel.

Die Scene, die jetzt folgte, spottet aller [159] Beschreibung. In gräßlicher Hast stürzte Alles auf Fenster und Thüren zu, und nicht wenige von den stärksten, im Zimmer anwesenden Männern wurden vor purem Entsetzen ohnmächtig. Als aber der erste betäubende Schrecken vorüber war, blieben Aller Augen auf Herrn Goodfellow haften. Wenn ich auch noch tausend Jahre lebe, kann ich nimmermehr die mehr als tödtliche Angst vergessen, die sich auf dem so eben noch von Siegesbewußtsein und Wein gerötheten Gesichte malte.

Mehrere Minuten saß der arme Wicht da, als wäre er in ein Stück Marmor verwandelt worden; seine öde und ausdruckslos starrenden Augen schienen ganz nach innen gekehrt und in die Anschauung seiner elenden Seele verloren zu sein. Endlich blitzten sie plötzlich wieder auf, und in demselben Augenblicke sprang er von seinem Stuhle auf, fiel mit Kopf und Schultern schwerfällig auf die Tafel und legte, den Leichnam berührend, ein umständliches Geständniß des entsetzlichen Verbrechens ab, um dessen willen Herr Pennifeather im Gefängniß lag und zum Tode verurtheilt worden war. Was er sprach, ließ sich seinem wesentlichen Inhalt nach auf Folgendes reduciren: – Er folgte seinem Opfer bis in die Nähe des Sumpfes, wo er auf dessen Pferd mit seiner Pistole feuerte, den Reiter mit dem [160] Griffe der Pistole todtschlug, sich des Taschenbuchs bemächtigte und das Pferd, da er es für todt hielt, mit vieler Mühe in die Brombeerbüsche neben dem Sumpfe zog. Auf sein eigenes Thier aber band er den Leichnam des Herrn Shuttleworthy, um ihn weit davon in einem Walde zu verbergen.

Die Weste, das Messer, das Taschentuch und die Kugel hatte er selbst an die Orte gelegt, wo sie gefunden wurden, in der Absicht, sich an Herrn Pennifeather zu rächen. Ihm hatte man auch die Auffindung des blutgerötheten Taschentuches und Hemdes zu verdanken.

Als der Elende mit seiner gräßlichen Geschichte fast zu Ende war, fing die Stimme an, ihm zu versagen. Sein Stottern hatte etwas eigenthümlich Erschütterndes, etwas eigenthümlich Gräßliches. Und als er endlich nichts mehr zu sagen hatte, stand er auf, taumelte zurück und fiel .... todt nieder.


Die Mittel, wodurch dieses rechtzeitige Geständniß ausgepreßt wurde, waren, trotz ihrer großen Wirksamkeit, doch ungemein einfach. Herrn Goodfellow’s übermäßige Offenheit hatte mich [angeekelt][WS 1] und gleich Anfangs Verdacht bei mir [erregt.] Ich war dabei, als Herr Pennifeather [161] ihn zu Boden schlug, und als ich den wahrhaft teuflischen, wenn auch nur momentanen Gesichtsausdruck des Geschlagenen wahrnahm, hielt ich mich überzeugt, daß derselbe seine Drohung, wenn irgend möglich, streng erfüllen werde. So war es mir möglich, die Manöver des alten Karlchens in einem ganz andern Lichte zu erblicken, als dieß von Seiten der guten Rattleburger geschah. Es war mir auf der Stelle klar, daß sämmtliche gravirende Entdeckungen und Aufschlüsse direct oder indirect von Herrn Goodfellow ausgingen. Was mir aber die Augen vollkommen öffnete und aller meiner Unschlüssigkeit ein Ende machte, war der Umstand, daß Herr Goodfellow im Cadaver des Pferdes die Kugel fand. Ich hatte – obgleich die Rattleburger es nicht mehr wußten, nicht vergessen, daß die Kugel an einer Stelle der Brust des Pferdes eingedrungen, um an einer andern wieder hinauszugehen. Wenn sie also nachdem sie hinausgegangen, in der Brust des Thieres wieder gefunden wurde, so konnte sie einzig und allein von der Person, die sie fand, hineingelegt worden sein. Das blutige Hemd und das blutige Taschentuch bestärkten mich nur noch in meiner Ansicht; denn bei genauerer Untersuchung stellte es sich heraus, daß das vermeintliche Blut nichts Anderes als guter [162] Bordeaux war. Bedachte ich alles dieses, und faßte ich die vielen Ausgaben, sowie die Freigebigkeit in’s Auge, worin Herr Goodfellow in der letzten Zeit sich gefiel, so konnte ich nicht umhin, mich in meinem Argwohn immer mehr bestärkt zu finden, – einem Argwohn, der dadurch nicht gemindert wurde, daß ich ihn ganz für mich selbst behielt.

Unterdessen stellte ich fleißige Nachforschungen an, um den Leichnam des Herrn Shuttleworthy möglicher Weise zu finden, und zwar suchte ich aus naheliegenden Gründen an Orten, die von denen, wo Herr Goodfellow mit seinen Leuten gesucht hatte, möglichst weit ablagen. So kam ich nach einigen Tagen an einen alten, ausgetrockneten Brunnen, dessen Oeffnung durch Brombeerbüsche fast verdeckt war, und hier fand ich auf dem Boden, was ich suchte.

Nun aber hatte es sich so gefügt, daß ich die zwischen den beiden Freunden gewechselten Worte hörte, als Herr Goodfellow durch allerlei Schmeicheleien seinen Wirth bewogen hatte, ihm eine Kiste Château Margaux zu versprechen. Diesen Umstand beschloß ich zu nutzen. Ich verschaffte mir ein steifes Stück Fischbein, stieß es in den Hals des Leichnams hinab und legte letzteren selbst in eine alte Weinkiste, wobei ich es mir angelegen sein ließ, den entseelten Leib so zu beugen, daß auch das Fischbein [163] damit sich beugte. Mithin brauchte ich nun nur noch den Kistendeckel kräftig niederzudrücken, während ich ihn festnagelte; und so konnte ich denn erwarten, daß der Deckel, sobald die Nägel herausgenommen wurden, zusammt dem Leichnam in die Höhe sprang.

Nachdem ich Alles in der angegebenen Weise geordnet, markirte, numerirte und adressirte ich die Kiste, wie bereits weiter oben angegeben ist. Dann schrieb ich im Namen der Weinhändler, mit denen Herr Shuttleworthy in geschäftlicher Verbindung stand, einen Brief und gab meinem Diener Befehl, auf ein von mir gegebenes Zeichen die Kiste auf einen Schiebkarren zu laden und sie in Herrn Goodfellow’s Haus zu schaffen. Was die Worte betrifft, welche der Leichnam sprechen sollte, so verließ ich mich auf mein bauchrednerisches Talent; ihre Wirkung anlangend, zählte ich auf das Gewissen des elenden Mörders.

Wie ich glaube, so brauche ich nun nichts weiter zu erklären. Herr Pennifeather wurde auf der Stelle seiner Haft entlassen, erbte das beträchtliche Vermögen seines Oheims, nutzte die Lehren der Erfahrung, wurde ein ganz anderer Mensch und lebte von nun an glücklich und zufrieden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die im Scan fehlenden Worte – in eckigen Klammern – wurden aus Edgar Allan Poe’s Erzählungen wunderbarer und unheimlicher Begebenheiten in Auswahl. Verlag von Otto Hendel, Halle a. S. [1896] S. 234 Google-USA* ergänzt.