RE:Aristaios 1
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Figur d. gr. Religionsgeschichte | |||
Band II,1 (1895) S. 852–859 | |||
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Aristaios (Ἀρισταῖος). 1) Eine Figur der griechischen Religionsgeschichte, über die wir nur eine trümmerhafte und weitverstreute Überlieferung haben, aus der jedoch noch die ehemalige Bedeutung dieses einer sehr alten und ursprünglichen Entwicklungsstufe angehörenden Gottes hervorgeht.
I. In der örtlichen Überlieferung tritt, [853] durch den Glanz des Epos gehoben, Kyrene in den Vordergrund; Kultus und Wesen stellen sich noch am reinsten in Keos dar; älter aber werden solche Sagen von A. sein, welche auf dem griechischen Festlande selbst spielten, obgleich gerade diese ganz verblasst sind. 1) Von Thessalien entführt Apollon, wie die hesiodische Eoee nach kyrenaeischer Sage berichtete, die Kyrene, in älterer Zeit, wie Studniczka Kyrene 132ff. gezeigt hat, eine Hypostase der Artemis als Jägerin, deren Hauptthat die Bezwingung des Löwen ist. Kyrene ist Tochter des Lapithenkönigs Hypseus, in dem deutlich der Zeus Ὕψιστος durchblickt. Ihr Sohn A. wächst nicht in Libyen, sondern in Thessalien bei Cheiron auf (Apoll. Rhod. II 510, aus der Rolle, die Cheiron bei Pind. Pyth. IX spielt, für Hesiod erschlossen von Studniczka 40; nach Schol. Pind. Isthm. IV 92 [alles aus Bakchylides? frg. 62] gab es einen A., Sohn des Cheiron), wohin auch Spätere folgerichtig seine erste Thätigkeit als Hirt setzen (Apoll. Rhod. II 513ff.). Älter als die Eoee und als die Gründung von Kyrene kann von alledem die Verehrung des A. in Thessalien, von der wir freilich später nichts mehr erfahren, und können jedenfalls die einzelnen Figuren der Genealogie sein; es ist aber durchaus unsicher, ob A. schon früher mit Apollon oder (Artemis-) Kyrene in irgend welcher Beziehung stand. — 2) In Boiotien freit A. die Tochter des Kadmos, Autonoë, die ihm den Aktaion gebiert (Hes. Theog. 977 und die Späteren: Timaios bei Diod. IV 82, s. Geffcken Timaios Geogr. d. Westens 168, 1ff. Apoll. Rhod. II 512 und die mythologischen Handbücher. Apd. III 30 W. Paus. X 17, 3. 4. O. Jahn Griech. Bilderchron. Taf. III D 2 u. S. 75 etc.). Hier hat aber der Sohn den Vater, dessen Wesen ihm sehr ähnlich, gewissermassen seine Ergänzung ist, fast ganz verdrängt. — 3) Eine Überlieferung, die Apoll. Rhod. II 520 vorlag, liess offenbar den A. von Arkadien nach Keos wandern; da es dem Dichter aber nicht in seinen pragmatischen Zusammenhang passt, giebt er ihm nur parrhasisches Volk, A. selbst kommt aus Thessalien (wie Sallust. bei Serv. Georg. I 14). Umgekehrt wanderte A. nach Pindar frg. 251, PLG⁴ I 461 von Keos nach Arkadien, wo er als Zeus verehrt wurde — wenn Serv. Georg. I 14 nicht irrt. Also eine jener zahlreichen ,Doppel- oder Rückwanderungen.‘ Pridik De Cei ins. reb. 19 ist der Ansicht, dass lediglich die Verwandtschaft des keischen und arkadischen Zeuskults zur Erfindung der Wanderung führte. Indessen hat eine Wanderung von Arkadern nach Keos an sich nichts Unwahrscheinliches; auch an der ionischen Wanderung nahmen nach Herodt. I 146 Ἀρκάδες Πελασγοί teil. Andererseits hat Immerwahr Arkad. Mythen u. Kulte I 251ff. auf die bereits von Studniczka 15. 120 gesammelten Beziehungen Arkadiens zu Kyrene hingewiesen, die um die Mitte des 6. Jhdts. ihren Ausdruck in der Sendung des Demonax von Mantineia fanden. Mit Zeus Lykaios kann auch A. von Arkadien nach Kyrene gekommen sein, obwohl, soweit wir sehen, andere seine Stelle beim Zeuskultus vom Lykaion einnehmen. — 4) Aus Keos liess Pindar den A. kommen; die erste eingehende Behandlung a) der dortigen Sage giebt Apollonios als αἴτιον für die Etesien (II 500ff.). Als der Sirius mit seiner Hitze die minoischen [854] Inseln versengt und Seuchen im Gefolge entstehen, ruft man A. auf Geheiss des delphischen Gottes zur Abhülfe. Er kommt mit parrhasischem Volk und errichtet auf den Bergen dem Zeus Ἰκμαῖος einen grossen Altar, wo er dem Zeus und dem Sirius opfert. Ihm zu Liebe sendet Zeus die vierzigtägigen erfrischenden Passatwinde. Daher noch heutzutage das Opfer vor dem Aufgehen des Hundssternes, den man gewappnet erwartet (Schol. 526), jedenfalls um daran irgendwelche Waffentänze oder Scheingefechte anzuschliessen, wie sie gerade in den ältesten griechischen Kulten öfters vorkamen (Pridik 136f.). Diese keïsche Sage hat dann wahrscheinlich Eratosthenes in der Erigone mit der Ikariossage, an die sich ja die attische Hundssternsage von Maira und ihrem Hunde knüpft, in Verbindung gebracht: die Keïer werden mit Seuchen geschlagen, weil sie die Mörder des Ikarios aufgenommen hatten (Erat. nach Maass Anal. Eratosth. 68f. 78f. 87f. Quelle von ,Erat.‘ catast. 81 Rob. und von Nigid. Figulus Schol. German. BP p. 85f. Breysig). A. erscheint hier als ein Sühnepriester wie Epimenides. — b) Eine andere, wohl nicht ganz intacte Überlieferung sagt, dass Bakchylides einen A., Sohn des Karystos, kannte (frg. 62, PLG⁴ III 587, wo nach dem jetzigen Wortlaut vier A. von dem Dichter unterschieden sind; vielleicht aber gehört das ὡς καὶ Βακχυλίδης richtiger nach als vor den ersten: τὸν μὲν Καρύστου). Dies geht zusammen mit der vielfältigen Überlieferung, die wir kurzweg als die aristotelische Κείων πολιτεία bezeichnen (Arist. frg. 511 Teubner = Schol. Theocr. V 53. Heracl. Pont. πολ. Κείων 1. 2, ergänzt durch Hesych. Et. M. s. Βρῖσαι, auch bei Cic. de div. I 130. Theophr. d. vent. 14, III 99 Wimmer). Keos war ehemals von Nymphen bewohnt, aber ein Löwe schreckte sie; sie flüchteten hinüber nach Karystos. Von dem Löwen wird ein Vorgebirge auf Keos benannt (ἀκρωτήριον — der bei Brönsted Reisen I Taf. XI abgebildete colossale Steinlöwe liegt freilich nicht am Meere, sondern im Centrum der Insel beim alten Iulis). Hier bricht die alte Sage ab; ein Eponym Keos wird eingeschoben und dann fängt es von vorn ganz prosaisch an — von den Künsten des A., dem Misswachs und Viehsterben infolge Ausbleibens der Passate, und — der Rest ist aus der sonstigen Litteratur leicht zu ergänzen. Aber der Schluss der alten keïsch-karystischen Sage, in der A. doch wahrscheinlich als Helfer der Nymphen gegen die Wut des Löwen auftrat, ist der Scheere des pragmatischen Bearbeiters zum Opfer gefallen. Aus Timaios (Diod. IV 82) scheint auch hervorzugehen, dass sich auf Keos ein Geschlecht von A. ableitete, vielleicht das der Zeuspriester.5) Auch im Westen findet sich A., so in Korkyra, wo seine Tochter Makris ansässig ist, die den Dionysos mit Honig, der Gabe des A., genährt hat (alles dionysisch, s. u. bei Thrakien) und deshalb vor dem Zorn der Hera hatte flüchten müssen, so Apoll. Rhod. IV 1131. Nach dem Scholiasten nährte sie den Dionysos auf Korkyra in derselben Grotte, in der der γάμος von Iason und Medeia stattfand. Dies ist nicht korinthisch, sondern euboeisch, vgl. v. Wilamowitz Homer. Unters. 172, 14. — 6) Euboia, im besonderen Eretria, besass in älterer Zeit die Insel Keos [855] (Strab. X 448, mehr bei Pridik 23), dessen Sagen, wie wir sehen, nach Karystos übergreifen; hier ist also die Brücke gegeben. Auf Euboias Berge verlegt den Sitz des A. Oppian. ven. IV 265ff. – 7) Sicilien. Syrakus s. u. Allgemein drückt sich Diodoros IV 82, ergänzt durch Ps.-Arist. mir. ausc. 100, aus, der aus Timaios schöpft (Geffcken 166ff.). Es ist das eine vollständige Biographie des A., die alle localen Überlieferungen in pragmatischer Weise vereinigt. Danach wurde A. in Sicilien namentlich von den Ölbauern wegen seiner ländlichen Wohlthaten wie ein Gott verehrt. – 8) Nach Sardinien kam A. nach Timaios von Libyen, also Kyrene; bis dahin war die Insel von gewaltigen Vögeln bewohnt, er bepflanzte und befriedete sie, und hinterliess zwei Söhne auf ihr, Charmos (ἀνδράσι χάρμα φίλοις Pind. Pyth. IX 64 von A.) und Kallikarpos. Vielleicht haben hier die Griechen, wie so oft, einen einheimischen barbarischen Gott mit ihrem A. verschmolzen; dies meint V. Hehn Kulturpflanzen und Haustiere⁵ 91.
9) Endlich lässt ihn Timaios a. a. O. auch nach Thrakien kommen und dort in den θίασος des Dionysos aufgenommen werden, zu dem er auch in den Dionysiaka des Nonnos gehört. Am Haimos wird er ἄφαντος und daraufhin von Barbaren und Hellenen unsterblicher Ehren gewürdigt. Dieser ,Bergentrückung‘ kann ein thrakischer Kult zu Grunde liegen, von der Art derjenigen des Rhesos oder Zalmoxis (vgl. E. Rohde Psyche 104ff.); indessen ist auch denkbar, dass A. zunächst als Gottheit des ländlichen Segens in den θίασος des Dionysos kam, zu einer Zeit, als dieser alles aufnahm, was sich irgend in ihn hineinfügte; dass man dann als geeignetsten Ort für dionysische Orgien Thrakien auswählte und da, um die Apotheose zu begründen, nach berühmten Mustern die Bergentrückung erfand. Man müsste freilich auch wissen, ob das oppidum in vertice (Haemi) Aristaeum Plin. n. h. IV 45 echt oder, was wahrscheinlicher, nur aus Timaios heraus erschlossen ist. Anhangsweise seien hier die Beziehungen des A. zu Dionysos zusammengestellt. In Syrakus stand seine Statue im Tempel des Dionysos – dass ihn Cic. Verr. IV 128 zum Sohn des Dionysos macht, kann Irrtum oder Glossem sein, braucht es aber nicht –; seine Tochter Makris (Kerkyra-Euboia), nach Diod. III 70 (Dionysios Skytobrachion nach Bethe Quaest. Diod. 27. 32) er selbst und seine Tochter Nysa (s. auch Oppian. ven. IV 273ff.) ziehen den Dionysos auf. Für die Amme des letzteren gilt auch eine der Brisen, von denen A. nach keïscher Sage die Honigbereitung lernt (v. Wilamowitz Homer. Unters. 409; s. Brisai).
10) Kyrene trat in der Überlieferung von A. deshalb so stark hervor, weil ein ,hesiodischer‘ Dichter, wohl nicht lange nach Erbauung der Stadt (um 630), ganz im Geiste der delphischen Apollonreligion (v. Wilamowitz Isyllos 70, 48) mit seiner Eoee Kyrene einen bleibenden Erfolg davongetragen hat. Die Dichtung, der Pindar Pyth. IX in vielen Stücken gefolgt ist, hat Studniczka Kyrene 40ff. in den Hauptzügen wiederhergestellt (auf die Versuche, die historischen Anhaltspunkte der Sage, die K. O. Müller, Kirchhoff u. a. gewonnen, wieder zu verflüchtigen, ist [856] hier nicht einzugehen; Näheres s. u. Kyrene). Die directe Anknüpfung an Thessalien, mit Überspringung der Mittelglieder, ist durch die Urheimat der Sage und ihrer Träger begründet, sodann auch für den mittelgriechischen Dichter natürlich zu einer Zeit, da Thessalien als Vormacht der Amphiktyonen die delphische Sache gegen Krisa führte. Apollon entführt die Kyrene von den Ufern des Peneios nach Libyen, dort gebiert sie den A. Nach Pindar, der für Kyrene, also auch, soweit es die Vorlage erlaubt, möglichst nach kyrenaeischer Sage dichtet (Studniczka 41), bringt Hermes das Kind zu den Horen und Gaia, die ihn unsterblich machen werden, zu einem (anderen) Zeus und Apollon, Beschützer der Herde und Freude der Menschen, Ἀργέα καὶ Νόμιον, τοῖς δ’ Ἀρισταῖον καλεῖν. Die Wortstellung ist chiastisch, Ἀργεύς und Νόμιος sind Beinamen des Apollon (Preller-Robert Gr. Myth. I 269, 4. 272, 1), A. des Zeus (vgl. Serv. Georg. I 14: A. apud Arcades pro Iove colitur). Diese ἐπικλήσεις, die aus Pindar von vielen, besonders von Apoll. Rhod. II 507 angeführt werden, standen wahrscheinlich alle, sicher die eine schon in der Eoee (Hes. frg. 150 Rz. pastoralem = νόμιον). Ausserdem hat Studniczka 105f. den A. in dem schafeweidenden (nicht einsamen) οἰοπόλος δαίμων wiederfinden wollen, der bei Pind. Pyth. IV 28ff. dem Ahnherrn des kyrenaeischen Königsgeschlechts die berühmte Scholle reicht. Ein unbekannter Autor (Schol. Ar. equ. 894) lässt A. den Anbau des Silphion, der Hauptexportpflanze Kyrenes, erfinden. Später hat man sogar die Gründung Kyrenes dem A. zugeschrieben (Trogus bei Iust. XIII 7, 1), eine nicht unbeabsichtigte Hinaufrückung der Stadtgründung und der Battiadendynastie in mythische Zeit, durch den Namensanklang erleichtert (bei Pind. Pyth. V 87 war der ursprüngliche Name des Battos Aristoteles). Vgl. unter Aristaeu.
Wo der Gigant A. hingehört, der angeblich von Bakchylides frg. 62 erwähnt wird – Sohn des Uranos und der Gaia – und allein von allen Brüdern dem Strafgericht entgangen ist (Suid. s. Ἀρισταῖος, δικαίωσις) ist nicht auszumachen.
II. Wirkungskreis, Erfindungen. Was zuerst zu den Segnungen gehörte, die man dem Gotte A. zuschrieb, wurde später bei dem vermenschlichten Heros zu Erfindungen. In beiden tritt uns sein vielseitiges und im Grunde doch so einfaches Wesen entgegen. Er ist zuerst Herdengott, Νόμιος, wie Apollon (Hesiod. Pind. a. a. O. Apoll. Rhod. II 507. 513ff. Timaios bei Diod. IV 82. Verg. Georg. I 14f. IV 317 pastor) und als solcher auch Erfinder des Hirtengesanges (Nonn. Dion. V 261ff.). Im besonderen wird ihm auch die Erfindung der γάλακτος πῆξις zugeschrieben (Timaios a. a. O. Iust. XIII 7, 10 u. a.). Dass er den Arkas die Wollespinnerei gelehrt habe, beruht auf Conjectur Sylburgs (Ἀρισταίου für Ἀδρίστα bei Paus. VIII 4, 1, wo Roscher Myth. Lex. I 83 die Überlieferung verteidigt). Bienenzucht und Honigbereitung schreiben ihm Aristoteles πολ. Κείων. Timaios. Philoxenos frg. 3, 8, PLG⁴ III 606. Schol. Arist. equ. 894. Ov. ex Ponto IV 2, 9. Plin. n. h. VII 199. Nonn. Dion. V 242ff. zu. Eine längere Erzählung hat Verg. Georg. IV 315ff. mit fingierten Begründungen: der Zorn der Nymphen [857] tötet die Bienen des A., um ihn dafür zu strafen, dass Eurydike, die Gattin des Orpheus, von ihm verfolgt, die tötliche Schlange nicht gemieden hatte; er opfert an vier Altären den Nymphen vier Stiere und vier Kühe, und als er nach acht Tagen zurückkehrt um den Manen des Orpheus ein Totenopfer zu bringen, entstehen aus den verfaulten Leibern neue Bienenschwärme. Nicht übel dichtet Nonnos XIX 225ff. von einem Wettkampf des A. mit Dionysos. Natürlich siegt der Wein über den Honigtrank; dieser mundet zuerst, aber schon der dritte Becher erregt Ekel bei den Göttern, während beim Wein der Durst nur mit jedem neuen Becher wächst. Die Parallele zwischen den beiden Gegnern war in älterer Zeit noch grösser; namentlich begegnen sich beide in der Förderung der Baumzucht. Den wichtigsten Fruchtbaum im Süden, den Ölbaum, bevorzugt er besonders; Spätere lassen ihn mit der Ölpresse auch die Olive selbst erfinden (Timaios [Diod.] τὴν τῶν ἐλαιῶν κατεργασίαν, Öl und Ölpresse im Erfinderkatalog bei Plin. n. h. VII 199, wo A. als Athener [!] figuriert, und bei Nonn. V 258ff.; das thörichte olivae inventor hat nur Cic. n. d. III 45). Γεωργικώτατον nennt ihn im allgemeinen Timaios (Ps.-Arist. mir. ausc. 100). In Kyrene baut er die wichtigste Pflanze für den Handel, das Silphion, zuerst (Schol. Arist. equ. 894). Einer solchen ländlichen Gottheit steht auch die Jagd zu. Als Jäger bezeichnet ihn schon die ἐπίκλησις Ἀργεύς, die an Apollon erinnert (s. o.). Er soll zuerst Schlingen (ποδάγρας) gelegt haben, und wird daher von denen angerufen, die Wölfe und Bären fangen wollen (Plut. amat. 14, 6 mit anon. Dichtercitat); er hat, wie aus Ps.-Arist. mir. ausc. 100 (Timaios) hervorgeht, Sardinien von den wilden Vögeln befreit. Doch tritt diese Seite mehr bei seinem Sohne Aktaion hervor, der in erster Linie Jäger ist. Endlich werden ihm von einigen die Heilkunst (ἀκεστορίη) und Weissagung (θεοπροπίαι), apollinische Gaben, zugeschrieben; er lernt sie von Cheiron, Apoll. Rhod. II 512. In einer ganz vereinzelten Genealogie erscheint er sogar als Sohn des Götterarztes Paion, Vater der Hekate (Pherek. frg. 10). Als Arzt auch bei Nonn. XVII 357ff. Die Seuche auf Keos heilt er nicht direct, sondern durch sein Opfer, das die Passatwinde bringt. Da diese mit dem Aufgange des Hundssterns zusammenhängen, macht man ihn natürlich auch zum Astronomen (Iust. XIII 7, 10).III. Bildende Kunst. Vollständigste Zusammenstellung von Blondel bei Daremberg et Saglio I 424, wo übrigens die Vasen als sicher nicht hergehörig besser ganz weggeblieben wären. Bezeugt ist für Syrakus eine Statue, die im Tempel des Dionysos stand, bis sie Verres raubte, Cic. Verr. IV 128. Auf Antinous mit den Attributen des A. deutet Clarac Musée de sculpture V S. 237 u. planches III 266 nr. 2431 eine Statue des Louvre mit Exomis, Hut und Stiefeln, die rechte Hand mit der geschulterten Hacke, die linke, die einen Ölzweig hält, freilich ergänzt. Ferner wird erwähnt eine apollinische Jünglingsgestalt aus Erz, die mit Bienen auf der Brust bedeckt ist (Arch. Anz. 1857, 30*). Dazu zwei Bronzen des Louvre, einen Schäfer darstellend, der über den Schultern einen Widder trägt; dies kann A. oder auch etwas anderes sein. [858] Vgl. die Wiener Bronze Robert v. Schneider Arch. Jahrb. VII 1892 Anz. 52 aus Ägypten. Ferner erwähnt Welcker Griech. Götterl. I 489 ein Relief aus der Kyrenaika, A. einen Widder auf dem Rücken, ein Pedum in der Hand, von Schafen umgeben, zugleich Fische im Kreise herum. Endlich kommt auf den Münzen von Keos, sowohl denen der gesamten Keïer wie den einzelnen Stadtmünzen, ein jenachdem jugendlicher oder bärtiger Kopf vor, den man auf A. gedeutet hat, zumal der Revers häufig den Stern oder das Vorderteil eines Hundes von Strahlen umgeben als deutliches Symbol des Sirius enthält. Head HN 410ff. schwankt indessen zwischen A. und Zeus Ἰκμαῖος bezw. Apollon. Was von A.-Darstellungen auf Münzen von Rhegion (Head 94), Kyrene (726ff.) und noch mehr von Korkyra (276) auf A. zurückgeführt wird, ist alles so unsicher, dass es nur durch die litterarische Überlieferung gehalten werden, nicht aber diese um ein selbständiges Zeugnis bereichern kann.
IV. Schluss. A. ist nur einer von vielen Namen – πολλῶν ὀνομάτων μορφὴ μία – einer alten Gottheit oder der Hauptgottheit einer sesshaften Bevölkerung, die von Baumkultur und Viehzucht lebte. Er giebt den Herden, den Baumpflanzungen Segen und Gedeihen, er hilft daher auch, wenn man ihn bei Dürre, Pest und Misswachs anruft. Auf dem griechischen Festlande mag er einst Regen gespendet haben; auf Keos ist er es, der ursprünglich wohl selbst, dann als Heros durch sein Gebet und Opfer die erfrischenden Passatwinde sendet. Zur Zeit des Hundssternaufganges war die grösste Hitze, bedurfte man daher auch seiner Hilfe am meisten. So hat man auch seinen Mythos mit anderen verbunden, in denen man schon im Altertum Beziehungen zum Hundsstern gesehen hat, dem attischen von Ikarios und Erigone-Maira, dem thessalisch-boiotischen (kadmeischen) von Aktaion, den seine Hunde zerreissen, vielleicht auch darin das Gegenstück zu seinem Vater, der von der Hitze des Hundssternes Heilung bringt.
Wenn man einen griechischen Stamm, wohlverstanden nur für die ältere Zeit, als besonderen Träger des Kultus in Anspruch nehmen will, so muss es einer sein, der durch die Wanderungen zersprengt und in anderen aufgegangen ist, wie Kadmeer oder Minyer. Einzelne locale Zusammenhänge haben sich schon im Laufe der Darstellung ergeben, so Kyrene mit Thessalien und Arkadien, Arkadien-Keos, Keos-Karystos und Euboia-Korkyra. Bei der Mangelhaftigkeit der Überlieferung und der Vielfältigkeit der möglichen Combinationen verzichtet man aber besser auf den Versuch, eine zusammenhängende Kultgeschichte zu schreiben.
V. Litteratur. Bröndsted Reisen und Untersuchungen in Griechenland I 1826, 30ff. 40ff. K. O. Müller Orchomenos² 340; Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie 1825, 142ff. D. H. Müller Mythologie der griechischen Stämme I 1857, 23f. Welcker Griech. Götterl. 1857, I 487ff. Preller-Plew Griech. Myth.³ I 372ff. Studniczka Kyrene 1890, 40ff. 132ff. und in Roschers Lexikon II 1716ff. Immerwahr Arch. Ges. Febr. 1891 (Arch. Jahrb. 1891 Anz. 40); Arkad. Myth. u. Kulte I 1891. 251ff. Alex. Pridik De Cei insulae rebus, Diss. [859] Dorpat., Berlin 1892, 19. Endlich Schirmer in Roschers Lexikon I 547ff. und Blondel bei Daremberg et Saglio I 424.