Disciplina militaris ist ein specifisch römischer Begriff. Das erklärt sich unschwer daraus, dass wir bei keinem Volke des Altertums den Sinn für Manneszucht und militärische Ausbildung, die zusammen das Wesen der D. m. ausmachen (Lange Historia mutationum rei milit. Rom. 26. Schurz Die Militärorganisation Hadrians I 19), so entwickelt und ausgebildet finden, wie gerade bei den Römern. Der Ort, wo die D. m. im besonderen geübt und gepflegt wurde, war das römische Lager (Lipsius De militia Rom. V 1. Lange a. a. O. 99). Sie wird daher nicht selten auch als D. castrorum (Mommsen Röm. Strafrecht 30 ,Lagerzucht‘) bezeichnet, vgl. Val. Max. VI 1, 11. Veget. I 1. Dig. XLIX 15, 19, 7. Das Charakteristische der D. m. war einmal ihre unerbittliche Strenge, vgl. Tac. hist. I 51. Val. Max. VI 1, 11. 3 ext. 1. Veget. II 9. Sie musste, wenn anders der Grundsatz (Val. Max. II 7, 15): Nulla clades, nullum meritum valentius militari disciplina fuit Geltung hatte, vor allem und um jeden Preis gewahrt werden. Verwandtschaftliche Rücksichten irgend welcher Art waren ihr unbekannt, vgl. Val. Max. II 7, 3–6. Quintil. decl. 315. Ihr fiel unter Umständen selbst der Consul zum Opfer, vgl. Val. Max. II 7, 7. Zum andern war sie durch ihr hohes Alter heilig. Iam inde ab initiis urbis tradita sagt Livius (IX 17, 10) von ihr, vgl. damit Liv. 1 19, 4. Flor. I 3, 1 und den bekannten Ausspruch des Paulus (Dig. XLIX 15, 19, 7): D. castrorum antiquior fuit parentibus Romanis quam Caritas liberorum. Sie war die Grundlage, auf der das römische Staatswesen fest und sicher ruhte, vgl.
[1177]
Liv. VIII 7, 16. Cic. de re publ. II 16, um mit Valerius Maximus (II 7) zu sprechen, das praecipuum decus et stabilimentum Romani imperii. Allzeit die certissima Romani imperii custos (Val. Max. VI 1, 11), rettete die D. m. Rom in Zeiten der Gefahr, vgl. Polyb. I 17, 11. Darum war sie aber auch für den römischen Staat ganz unentbehrlich, vgl. Val. Max. II 7, 6. In richtiger Erkenntnis dessen sprach Alexander Severus zu seinen Soldaten die bedeutsamen Worte (Hist. Aug. 53, 5): D. maiorum rem publicam tenet. quae si dilabitur et nomen Romanum et Imperium dimittemus. Ihr verdankte Rom die Blüte seines Heerwesens (Cic. Tusc. I 1) und im letzten Grunde die Weltherrschaft (Val. Max. II 8. Veget. I 1). Die D. m. gründete sich in erster Linie auf Manneszucht. Diese erheischte vor allem unbedingte Unterwerfung unter das Gebot des Feldherrn. Einem imperatorischen Befehle gegenüber gab es nach dem altrömischen Rechtsgrundsatze (Cic. de leg. III 3): Militiae ab eo, qui imperabit, provocatio ne esto quodque is qui bellum geret, imperassit, ius ratumque esto und weiter Regio imperio duo sunto ..., militiae summum ius habento, nemini parento keinerlei Provocation. Im Gegenteil, wer ihm zuwiderhandelte, machte sich, wie es in den Digesten (XLIX 16, 6, 2) heisst: Contumacia omnis adversus ducem vel praesidem militis capite punienda est eines todeswürdigen Vergehens schuldig (Mommsen Röm. Strafr. 30), selbst dann, wenn durch sein Verhalten ein Erfolg erzielt wurde, vgl. Dig. XLIX 16, 3, 15: In bello qui rem a duce prohibitam fecit aut mandata non servavit, capite punitur, etiamsi res bene gesserit. Getreu diesem obersten Grundsatze römischer Kriegszucht liessen der Dictator Postumius Tubertus (vgl. Liv. IV 29, 5. Val. Max. II 7, 6. Gell. XVII 21, 27) und der Consul T. Manlius Torquatus (vgl. Liv. VIII 7, 16. 19. Cic. de fin. I 10. Flor. I 9, 2. Val. Max. II 7, 6. (Frontin. strat. IV 1, 40. 41. Gell. IX 13, 20) die eigenen Söhne, welche gegen ihren ausdrücklichen Befehl mit dem Feinde gekämpft hatten, obwohl sie siegreich waren, zum Tode führen, und für das gleiche Vergehen bedrohte der Dictator L. Papirius Cursor seinen verdienten Reiterobersten Fabius Rullus mit dem Tode, vgl. Liv. VIII 30, 11. 32, 7. 34, 2. 3. 7. 35, 4. Val. Max. II 7, 8. Frontin. strat. IV 1, 39. So oft hingegen römische Feldherrn nicht auf strengsten Gehorsam in ihren Heeren hielten, kam es zu Aufruhr und Empörung, so z. B. als der ältere Scipio 206 v. Chr. infolge schwerer Erkrankung sein Feldherrnamt nicht versehen konnte, vgl. Liv. XXVIII 24, 5ff., desgleichen in der sullanischen Zeit, wo innerhalb weniger Jahre sechs römische Anführer von der Hand der eigenen Leute fielen, vgl. Mommsen R. G. II⁷ 365. und später vgl. Vell. Pat. II 81, 1. Tac. ann. 119. Plin. paneg. 18. Weiter verlangte die römische Kriegszucht von dem Soldaten möglichste Anspruchslosigkeit in seinen Bedürfnissen. Omnem apparatum castrensis D. submoveat heisst es bei Senec. dial. XII 12. Einfachheit in Speise und Trank, in Wohnung und Kleidung, wie in der sonstigen Lebensführung stählte ebensosehr die Kräfte eines Heeres, wie Wohlleben und Überfluss dieselben verzehrte, vgl.
[1178]
Caes. bell. civ. III 110, 2. Tac. ann. 116; hist. II 69. Fronto ad Verum II 1 p. 128 Naber. In den ersten Zeiten der Republik bewahrte sich der römische Soldat, der als Bürger ein einfaches Leben gewöhnt war, unschwer seine Genügsamkeit. Das änderte sich, als Rom in auswärtige Kriege verwickelt wurde. Seitdem hatten die römischen Feldherrn beständig mit dem zunehmenden Luxus zu kämpfen, so der jüngere Scipio 147 v. Chr. vor Karthago (Appian. Pun. 116) und 134 vor Numantia (Appian. Hisp. 84f. Flor. I 34, 10), Q. Caecilius Metellus 109 im iugurthinischen Kriege (Sall. bell. Iug. 44f. Val. Max. II 7, 2). Besonders verderblich für die römische D. m. war die berüchtigte asiatische Üppigkeit (Cass. Dio frg. 61 Melber, vgl. damit Plut. Lucull. 7. 30). Wie arg der im syrischen Antiochia in der Kaiserzeit herrschende Pomp die daselbst garnisonierenden Truppen demoralisierte, schildert Fronto ad Verum II 1 p. 128 Naber und in den principia historiae p. 206 Naber. Ein wohldisciplinierter Soldat musste ferner wetterfest sein, geduldig Hunger und Durst ertragen, vor allem aber Strapazen jeder Art aushalten können. Kein geringerer als C. Marius stellt diese Forderungen in seiner Cunsulatsrede, dabei aus eigenster Erfahrung sprechend (Sall. bell. Iug. 85, 33. 34). Erleichtert wurde dem Soldaten die Gewöhnung an dergleichen Abhärtung, wenn der Feldherr ihm hierin mit gutem Beispiel voranging, wie es unter anderem von Neros Feldherrn Corbulo (Tac. ann. XIII 35) und von Kaiser Hadrian (Cass. Dio LXIX 9, 3. 4) berichtet wird. Wo freilich die Heeresleitung die Truppen verweichlichen liess, war es um die gerühmte römische D. m. geschehen. Das sehen wir an dem in völliger Auflösung begriffenen römischen Heere, das unter Neros Regierung in Britannien stand, vgl. Cass. Dio LXII 5, 5. Ausserdem war dem römischen Soldaten dieselbe strenge Sittlichkeit, die er im bürgerlichen Leben zu beobachten hatte, wenn er sich keine censorische Rüge zuziehen wollte, zur Pflicht gemacht. Unzucht im Lager fiel nach Polyb. VI 37, 9 unter die Capitalverbrechen, vgl. Mommsen R. Strafr. 30. Frauenspersonen wurden da, wo eine gute D. m. herrschte, im Lager nicht geduldet. Dass der jüngere Scipio 134 das römische Lager vor Numantia von zweitausend Hetaeren säubern liess (Appian. Hisp. 85. Liv. epit. LVII), ist bekannt. Nicht minder streng wurde ein von Militärpersonen begangener Diebstahl geahndet, vgl. Polyb. VI 37, 9, schon um deswillen, weil diese damit den von ihnen geleisteten Eid, nichts stehlen zu wollen (Gell. XVI 4,2), brachen, vgl. Mommsen a. a. O. 30. Von dem Ehr- und Pflichtgefühl des römischen Soldaten wurde schliesslich erwartet, dass der einzelne jederzeit den eigenen Vorteil willig dem Gemeinwohl unterordnete und alle Obliegenheiten des militärischen Dienstes freudig und gewissenhaft erfüllte. Wenn dieser den Römern von Haus aus eigene Gemeinsinn mit der Zeit immer mehr dahinschwand, bis er schliesslich nur künstlich noch aufrecht erhalten werden konnte, so waren daran einmal die häufigen Bürgerkriege, zum andern aber der Umstand schuld, dass die römischen Bürgerheere schon früh durch Söldnerheere, die von Vaterlandsliebe nichts wussten,
[1179]
ersetzt wurden (Appian. bell. civ. V 17). Entsittlichend musste es wirken, wenn das Überlaufen, einst ein nicht zu sühnendes Verbrechen, vgl. Mommsen R. Strafrecht 30, in Zeiten bürgerlicher Unruhen nicht nur nicht bestraft, sondern obendrein noch belohnt wurde (Appian. a. a. O.). Welch geringes Mass von Diensteifer aber bereits manchem römischen Heere des 2. Jhdts. v. Chr. innewohnte, ersehen wir daraus, dass sowohl 147 vor Karthago (vgl. Appian. Pun. 115f.), wie 109 im iugurthinischen Kriege (vgl. Sall. bell. Iug. 44) römische Soldaten scharenweise, um sich dem Dienste zu entziehen und ihren Neigungen zu frönen, dem Lager entliefen, obwohl auf dieses Vergehen der Tod stand, vgl. Mommsen a. a. O. 30. Siehe auch oben unter Desertor oben S. 249f. Die zweite, nicht minder wichtige Grundlage der D. m. war die gute, bis ins einzelnste gehende militärische Ausbildung, welche dem römischen Soldaten zu teil wurde. Besonders umfassend war dieselbe in den Legionen (Veget. II 3), nicht in gleichem Masse später in den Auxilien (ebd. II 2). Sie begann mit einem streng geregelten Lagerleben, das niemandem zum Müssiggang, dem schlimmsten Feinde der D. m. (vgl. Liv. XXVIII 24, 6. Vell. Pat. II 78, 2. Tac. Agric. 16), Zeit übrig liess. Zunächst hatte der Soldat dafür zu sorgen, dass seine Waffen sowie das sonstige Kriegsmaterial sich jederzeit in brauchbarem Zustande befanden, vgl. Liv. XLIV 34. Viel Zeit und Mühe kostete ihn ferner die sorgsame und pünktliche Ausübung des Wachdienstes. Näheres s. unter Excubiae und Vigiliae. Vor allem jedoch wurden mit ihm in Friedenszeiten, in gesteigertem Masse seit der Errichtung stehender Heere (Lange Hist. mutat. rei milit. Rom. 29), ein- bis zweimal täglich (Veget. II 23) eine Reihe anstrengender militärischer Übungen vorgenommen, wie schon der Name des römischen Heeres exercitus besagt (vgl. Varro de l. l. V 87. Cie. Tusc. II 16. Veget. II 1. 23). Regelmässig und nach einem bestimmten Plane hielt z. B. der ältere Scipio 209 v. Chr. in Neukarthago mit seinen Truppen militärische Übungen ab, vgl. Polyb. X 20, 1ff. Nachdrücklich betonten die auf Hebung der D. m. ernstlich bedachten Kaiser Augustus (vgl. Cass. Dio LII 27, 2. Veget. I 27) und Hadrian (vgl. Hist. Aug. 10, 2. Cass. Dio LXIX 5, 2. 9, 4. CIL VIII 2532) den hohen erzieherischen Wert derselben. Auf sie weist auch die von dem sterbenden Septimius Severus ausgegebene Losung Laboremus (Hist. Aug. 23, 4) hin. Vergleiche im übrigen Onosander strat. 10, 1 mit der Überschrift περὶ τοῦ δεῖν γυμνάζειν τὸν στρατὸν ἀδείας οὔσης. Senec. epist. II 6, 6. Joseph. bell. Ιud. ΙΙI 72ff. Veget. I 9ff. Tertull. ad Martyr. 3. Leo tact. 7. Marquardt St.-V. II² 567. Schurz a. a. O. I 19. Die einzelnen Exercitien bestanden in Waffenübungen (Marquardt St.-V. II² 567, 8), Marschübungen (s. o. Bd. I S. 1816 unter Ambulare), Übungen im Manövrieren (s. oben S. 2353 unter Decursio), Springen (Veget. I 9. II 23. III 4), Schwimmen (ebd. I 10. II 23. III 4), Reiten (ebd. I 18), Gräbenziehen und Verschanzungenaufwerfen (Tac. ann. I 35. Veget. I 21. III 4). Zeitraubend und mühsam war schliesslich das oft sich nötig machende Futterholen und Holzfällen (Tac. ann. I 35). Die freie
[1180]
Zeit, die alsdann immer noch häufig genug, namentlich in der Kaiserzeit, übrig blieb, wurde durch Beschäftigung der Soldaten bei Befestigungsbauten, bei der Anlage und Unterhaltung von Militärstrassen, sowie bei der Aufführung der verschiedentlichsten öffentlichen Gebäude ausgefüllt, vgl. Marquardt St.-V. II² 568–571. Verliess das Heer das Lager, so musste der Soldat alsbald marschbereit sein (vgl. Liv. XLIV 34, 3. Suet. Caes. 65) und unterwegs in Reih und Glied bleiben (vgl. Sall. bell. Iug. 45, 2), widrigenfalls er sich der Desertion (s. oben 249 unter Desertor) schuldig machte. Kam es zum Kampfe, so galt es Selbstvertrauen, Unerschrockenheit und Tapferkeit zu zeigen. Die grenzenlose Feigheit, die römische Truppen 178 v. Chr. im istrischen Kriege an den Tag legten (vgl. Liv. XLI 3. Mommsen R. G. I⁷ 812), ist ein schlimmes Zeichen der damals herrschenden Disciplinlosigkeit. Hüter und Pfleger der D. m. eines Heeres war der Anführer desselben, vgl. Dig. XLIX 16. 12. Er allein hatte anzuordnen, alle andern mussten gehorchen, vgl. Liv. XLIV 34, 2. Tac. hist. I 83. Diese ausserordentliche Machtbefugnis des Feldherrn war nach Tacitus (Germ. 30) eine besondere Eigentümlichkeit der D. m. der Römer. Gab er sie preis, wie z. B. Antonius Primus, der die Centurionenwahl den Soldaten überliess (Tac. hist. III 49), so geschah es auf Kosten der guten Zucht. Das blosse Anordnen reichte freilich noch nicht aus. Der Feldherr musste sich vielmehr persönlich davon überzeugen, ob die von ihm zur Aufrechterhaltung der Disciplin getroffenen Massnahmen auch wirklich allerseits richtig befolgt wurden, vor allem aber Selbstzucht üben und durch eigenes Wohlverhalten seinen Untergebenen mit gutem Beispiel vorangehen, wie das mit bestem Erfolge unter anderen der jüngere Scipio (Appian. Hisp. 85f.), Metellus (Sall. bell. Iug. 45, 2. Oros. V 15, 7), Marius (Plut. Mar. 7) und nicht zum wenigsten Hadrian (Hist. Aug. 10, 2. 4. Cass. Dio LXIX 9, 2) gethan haben. In keinem Falle durfte der Feldherr seiner Autorität etwas vergeben (Veget. III 10). Das geschah nur zu leicht, wenn er aus Schwäche den Soldaten etwas nachliess, so z. B., um ihre Gunst zu gewinnen, ungewöhnlich langen Urlaub bewilligte (Liv. XLIII 11, 10. 14, 7. XLV 36, 8. 37, 12), oder aber, wenn er es nicht verschmähte, ihre Dienstfertigkeit durch ausserordentliche Geldgeschenke (Näheres s. unter Donativum) zu erkaufen, wie es seit dem letzten Jahrhundert der Republik leider Brauch war. Als oberster Kriegsherr mit der höchsten Strafgewalt ausgestattet hatte der Feldherr alle Vergehungen gegen die D. m. unnachsichtlich zu ahnden. Ein strafbares delictum war aber Dig. XLIX 16, 6 zufolge onme, quod aliter, quam D. communis exigit, committitur. veluti segnitiae crimen vel contumaciae vel desidiae. Näheres über die verschiedenen Soldatenstrafen siehe unter den betreffenden Stichworten und unter Poena. Strafe verwirkte übrigens nicht nur der einzelne, sondern auch ganze Truppenteile. Unter Umständen konnte der Feldherr jedoch auch von einer Bestrafung absehen, wenn er es für richtiger hielt, die Straffälligen durch blosse Beschämung zu bessern, vgl. Sall. bell. Iug. 100, 5. Tac. hist. III 2. Die Kehrseite der
[1181]
feldherrlichen Strafgewalt war das schöne Vorrecht des Feldherrn, gutes Verhalten und kriegerische Verdienste durch militärische Auszeichnungen der verschiedensten Art (Näheres über die einzelnen Orden und Ehrenzeichen siehe unter den betreffenden Stichworten und unter Dona militaria) zu belohnen. Bei seiner schwierigen Aufgabe, die D. m. zu überwachen, wurde der Feldherr von den Tribuni militum thatkräftig unterstützt. Sie kannten Gesinnung und Charakter des einzelnen (Appian. bell. civ. III 43), achteten streng darauf, dass der Soldat nicht nur Waffen und Kleider ordentlich in stand hielt, sondern auch gut exercieren lernte (Veget. II 12), machten bei den Wachen die Runde (Liv. XXVIII 24, 8) und verfügten in leichteren Fällen selbständig Bestrafungen (Liv. XXVIII 24,10. Polyb. VI 37, 8. Dig. XLIX 16, 12, 2). Kaiser Hadrian besonders wird nachgerühmt, er habe die Tribunen in der angegebenen Weise in den Dienst der D. m. zu stellen gewusst, vgl. Schurz a. a. O. I 13. 14. Die Wandlungen, welche die D. m. der Römer im Laufe der Jahrhunderte durchmachte, waren kurz etwa folgende. Bis gegen Ende des zweiten punischen Krieges (Flor. I 47, 2) hatte die bewährte römische Zucht, von einem vorübergehenden Aufruhr 206 v. Chr. im Lager des älteren Scipio (Liv. XXVIII 24, 9ff.) abgesehen, Bestand. Ein merklicher Verfall trat mit dem Zunehmen der auswärtigen Kriege und seit dem Aufkommen der Söldnerheere (Lange a. a. O. 26) im folgenden Jahrhunderte ein (Vell. Pat. II 1, 1). Schlimm stand es um die römische Disciplin 178 im istrischen Kriege (Liv. XLI 3. Mommsen R. G. I⁷ 812), 170 im dritten makedonischen Kriege (Mommsen a. a. O. 764f.), 147 vor Karthago (Appian. Pun. 115ff.), 134 vor Numantia (Liv. epit. LVII. Appian. Hisp. 84ff. Val. Max. II 7, 1. Frontin. strat. IV 1, 1) und 109 im iugurthinischen Kriege (Sall. bell. Iug. 44f. Val. Max. II 7, 2. Frontin. strat. IV 1, 2). Vorübergehend Ordnung schufen in diesen Zeiten Aemilius Paulus (Liv. XLIV 34), der jüngere Scipio, Q. Fabius Maximus Aemilianus (Vell. Pat. II 5, 3. Appian. Hisp. 65), Q. Caecilius Metellus und C. Marius (Mommsen R. G. II⁷ 365). Immer bedenklicher lockerten sich dann die Bande der Disciplin während der Bürgerkriege des letzten Jahrhunderts der Republik, vgl. Plut. Sull. 12. Val. Max. IX 7 mil. rom. 3. Appian. bell. civ. V 17. Caes. bell. Alex. 65, 1. Mommsen R. G. II⁷ 248f. Der wachsenden Zuchtlosigkeit gegenüber war selbst ein Sulla machtlos: sein Versuch, die entfesselte Heeresgewalt wieder unter die Staatsgewalt zu zwingen, missglückte, vgl. Mommsen a. a. O. 365f. Erst Caesar, der von Sueton (Caes. 67) treffend als desertorum ac seditiosorum et inquisitor et punitor acerrimus bezeichnet wird, gelang es, die unruhigen Elemente durch straffe Zucht niederzuhalten (Mommsen R. G. III⁷ 499). Ausser ihm stand unter anderen Domitius Calvinus in dem Rufe, dass er hinsichtlich der D. m. die alte Strenge walten liess, vgl. Vell. Pat. II 78, 3. Das Verdienst, die D. m. der Römer neu belebt und nach den hewährten Grundsätzen der Vorzeit wiederum fest begründet zu haben, gebührt nach dem Zeugnisse des Sueton (Aug. 24) in re militari et commutavit
[1182]
multa et instituit, atque etiam ad antiquum morem nonnulla, revocavit; disciplinam severissime rexit dem Augustus. Seine Reformen auf diesem Gebiete standen in engstem Zusammenhange mit der von ihm ins Leben gerufenen Errichtung stehender Heere. Über verschiedene disciplinelle Verfügungen des Kaisers vgl. Suet. Aug. 24. Dig. XLIX 16, 12, 1. Veget. I 8. 27. Mit gleicher Strenge wie sein Vater handhabte Tiberius die Kriegszucht, vgl. Suet. Tib. 19. Unter Nero dagegen nahm Verweichlichung und Willkür unter den römischen Soldaten wiederum in ärgster Weise überhand, vgl. Cass. Dio LXII 5. Tac. hist. I 5. 60; Agric. 16. Die einzigen, die damals, in ihren eigenen Heeren wenigstens, die D. m. aufrecht erhielten, waren Neros Feldherrn Corbulo (Tac. ann. XIII 35. Cass. Dio LXII 19, 1. Frontin. strat. IV 1, 21. 28. 2, 3) und Vespasian (Suet. Vesp. 4). In den Zeiten des nach Neros Tode ausbrechenden Bürgerkrieges machte der Verfall der Kriegszucht weitere Fortschritte (Tac. hist. I 51). Während Galba mit seiner Strenge nicht durchdrang (Tac. hist. I 5), duldete Vitellius, unbekümmert um die Folgen, in seinem Heere das wüsteste Treiben, vgl. Tac. hist. II 27. 68f. Suet. Vitell. 10, bis schliesslich Kaiser Vespasian durch sein zielbewusstes Auftreten die gestörte Ordnung der D. m. wiederherstellte, vgl. Suet. Vesp. 8. Eutrop. VII 20. In der Folgezeit machte sich namentlich Traian, den der jüngere Plinius bald als corrector emendatorque disciplinae (Plin. paneg. 6) bald als conditor firmatorque derselben (Plin. epist. X 29, 1) feiert, um die Erhaltung der militärischen Zucht verdient, vgl. Plin. paneg. 18; epist. VI 31. X 78, 3. Veget. I 8. Doch blieb es Hadrian vorbehalten, die römische D. m. noch einmal, wie es einst durch Augustus geschah, bis ins kleinste zu regeln (vgl. Hist. Aug. Hadr. 10, 3. Cass. Dio LXIX 5, 2. 9, 4. Aurel. Vict. epit. 14, 11. Eutrop. VIII 7. Veget. I 8. 27. Schurz Die Militär-Organisation Hadrians I. II) und die zunehmende Üppigkeit und Erschlaffung mit aller Entschiedenheit zu bekämpfen (Hist. Aug. Hadr. 10, 2. 4. 7). Im besonderen liebte es der Kaiser, die militärischen Übungen seiner Soldaten einer strengen Kritik zu unterziehen, vgl. Fronto princip. hist. p. 206 Naber und CIL VIII 2532. An die grossen Verdienste Hadrians um die Kriegszucht erinnert die öfters auf seinen Münzen sich findende Aufschrift Disciplina Augusti (vgl. Eckhel VI 503. Cohen II Hadr. nr. 540-549, s. oben S. 1176), die einmal übrigens noch auf einer Münze des Antoninus Pius (Cohen nr. 351) wiederkehrt. Was Hadrian geschaffen, daran hielten seine Nachfolger zunächst wenigstens fest. Mit besonderem Eifer übten unter ihnen Avidius Cassius (Hist. Aug. 4, 2. 7. 6, 2. 4), Pertinax (Hist. Aug. 3, 10) und Pescennius Niger (Hist. Aug. 3. 5–9. 10, 1. 3) überaus strenge Zucht. Ein plötzlicher Umschwung, an dem vor allem die den Soldaten entgegengebrachte übergrosse Liberalität schuld war, vollzog sich am Ausgang des 2. Jhdts. n. Chr. (Lange a. a. O. 95ff.). Septimius Severus insbesondere trifft nach Herod. III 8. 4. 5 der schwere Vorwurf, die militärische Disciplin durch übertriebene Nachgiebigkeit von neuem untergraben zu haben. Wenn auch in der Folgezeit [1183]
Alexander Severus (Hist. Aug. 53, 5. Eutrop. VIII 23), Aurelian (Hist. Aug. 7, 3–5. Eutrop. IX 14) und Probus (Hist. Aug. 8, 1. 2. 9, 2. 3. 20, 2) die D. m. für die Dauer ihrer Regierung nochmals kräftig stützten, so waren sie doch ausser stande, den drohenden Niedergang aufzuhalten. Einen Begriff von der um das 4. Jhdt. herrschenden Disciplinlosigkeit giebt Ammian. Marc. XXII 4, 6. 7. Die Hauptquellen für unsere Kenntnis der D. m. der Römer sind, abgesehen von einer grossen Zahl verstreuter Einzelstellen: Polyb. VI. Dig. XLIX 16. Val. Max. II 7. Frontin. strat. IV 1. 2. Veget. II.
Litteratur: Lipsius De militia Romana V. Le Beau Acad. d. bell. lett. et inscript. XLI mém. 25 p. 206ff. W. A. Becker Paulys Realencycl. II 1100-1105. Chr. Conr. Ludw. Lange Historia muationum rei militaris Romanorum 26ff. 73ff. 94ff. Marquardt St.-V. II² 566ff. Cagnat in Daremberg-Saglio Dict. II 922. Schurz Die Militärorganisation Hadrians I. II, Gladbacher Gymnasialprogramm 1897. 1898. F. Hönig Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine XXXVIII 176–198. 279–304. XXXIX 1–29. XLV 39–60. 131–158. 221–250. XLVI 13–32. 113–133.